Eine Sommerliebe in Schweden - Mia Jakobsson - E-Book
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Eine Sommerliebe in Schweden E-Book

Mia Jakobsson

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Beschreibung

Ein Sommer auf der Insel Smögen? Klingt idyllisch! Doch die Bäckerin Tove und ihre drei Kinder reisen nicht ganz freiwillig dorthin. Sie sind auf das Geld des Knäckebrot-Fabrikanten Patrik angewiesen. Und der wiederum braucht, quasi leihweise, eine Bilderbuch-Familie, um einen amerikanischen Investor zu beeindrucken. Aber kann der ewige Junggeselle Patrik überzeugend den Familienvater spielen? Und wie soll Tove den kleinen Benny dazu bringen, einen fremden Mann Papa zu nennen?

Mit leckeren Rezepten zum Nachbacken





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Seitenzahl: 311

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

CoverWeiterer Titel der AutorinÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Patrik backt BrotKapitel 4Tove backt Grov limpaKapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Patrik backt KräuterbrotKapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Tove backt ZimtschneckenKapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Tove backt Smögen-BrotKapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Tove und Patrik backen Whisky-BrotKapitel 32Kapitel 33Kapitel 34EpilogMårtensson-Bröd backt Seetangknäcke

Weiterer Titel der Autorin

Das Glück kommt mit der Weihnachtspost

Über dieses Buch

Ein Sommer auf der Insel Smögen? Klingt idyllisch! Doch die Bäckerin Tove und ihre drei Kinder reisen nicht ganz freiwillig dorthin. Sie sind auf das Geld des Knäckebrot-Fabrikanten Patrik angewiesen. Und der wiederum braucht, quasi leihweise, eine Bilderbuch-Familie, um einen amerikanischen Investor zu beeindrucken. Aber kann der ewige Junggeselle Patrik überzeugend den Familienvater spielen? Und wie soll Tove den kleinen Benny dazu bringen, einen fremden Mann Papa zu nennen?

Mit leckeren Rezepten zum Nachbacken

Über die Autorin

Mia Jakobsson ist mit den Geschichten von Astrid Lindgren und Selma Lagerlöf aufgewachsen. Schon in den langen verschneiten Wintern ihrer Kindheit hat sie ihrer Fantasie freien Lauf gelassen und davon geträumt, einmal einen Roman zu schreiben, der die Leser in den hohen Norden entführt. Mit Pfefferkuchentage hat sie sich diesen Traum erfüllt. Doch Mia Jakobsson träumt weiter und hat noch viele gute Ideen, die sie zu Papier bringen will.

M I A J A K O B S S O N

R O M A N

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Der Roman ist unter dem Titel»Liebe ist wie Knäckebrot« bereits als Weltbildausgabe erschienen.

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Marion Labonte, Labontext

Umschlaggestaltung: Jeannine Schmelzer

Unter Verwendung von Motiven von© mauritius images / age fotostock / Jörgen Larsson;© Iya Khrakovsky / shutterstock; © Desy Aghadhia / shutterstock

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-7819-1

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Für Elsa

Prolog

»Das war’s dann wohl«, sagte Krister und griff nach dem letzten Karton.

Seine Stimme klang bedrückt, dabei war er es gewesen, der ihre Ehe beendet hatte. Einfach so, von heute auf morgen. Mit der Erklärung, dass er sich durch die Ehe und das Familienleben eingeengt fühle und dringend seine Freiheit benötige, um wieder richtig durchatmen zu können.

Tove hatte sich die ganze Zeit vor dem Moment gefürchtet, in dem sie die gemeinsame Wohnung – und das gemeinsame Leben – endgültig hinter sich ließen. Sie war froh, dass die beiden Großen in der Schule waren und Benny im Kindergarten.

Sie hatte um ihre Ehe gekämpft. Tagelang, nächtelang hatte sie mit ihm geredet, auf ihn eingeredet. Sie hatte ihn beschworen, der Kinder wegen zu bleiben, ihm immer wieder versichert, wie sehr sie ihn liebe, doch keines ihrer Worte schien Krister zu erreichen.

Dann folgte die Phase der Wut. Tove hatte geweint und ihn angeschrien, bis sie erkannte, dass sie dabei war, ihre eigene Würde zu verlieren. Sie hatte ihn gehen lassen.

In den Wochen darauf hatte sie so viel gebacken wie nie zuvor, denn nichts konnte sie besser von ihren düsteren Gedanken ablenken.

Tove war Bäckerin aus Leidenschaft. Bis vor ein paar Monaten hatte sie in einer kleinen Bäckerei gearbeitet, die nur wenige Meter von ihrem Zuhause entfernt war. Tove liebte ihre Arbeit, und die alteingesessenen Kunden liebten ihre Brotkreationen. Doch in den letzten Jahren entwickelte sich Södermalm immer stärker zum hippen Szeneviertel, und die jungen Leute, die hierher zogen, bevorzugten die preiswertere Supermarktware.

Es war vor allem Mårtensson-Bröd, das vor zwei Jahren einen regelrechten Siegesfeldzug mit großen Kampagnen und Dumpingpreisen angetreten hatte. Tove hasste dieses Unternehmen mehr als alle anderen Großbäckereien, weil es all das verkörperte, was die kleine Bäckerei zerstört und sie den Job gekostet hatte.

Inzwischen hatte sie einen schlechtbezahlten Halbtagsjob in einer dieser Billigbackstuben gefunden, die sie beinahe ebenso verabscheute wie Mårtensson-Bröd. Richtig backen konnte sie dort nicht, sondern lediglich fertige Teigrohlinge in den Ofen schieben. Keine erfüllende Aufgabe für eine Bäckerin mit Herz und Seele.

Von ihrem bescheidenen Lohn konnte Tove sich diese Wohnung in Södermalm jedenfalls nicht mehr leisten, zumal sie sich nie darauf verlassen konnte, dass Krister den Unterhalt für die Kinder pünktlich bezahlte.

»Du hast den Unterhalt noch nicht überwiesen«, sagte sie aus diesen Gedanken heraus.

Krister zog eine Grimasse. »War ja klar, dass du mir das wieder vorhältst!«

»Den Unterhalt für letzten Monat hast du auch nicht komplett bezahlt.«

»Ich hatte Ausgaben«, sagte er ausweichend. »Nächsten Monat bekommst du dein Geld.«

Tove trat an das große Wohnzimmerfenster und schaute hinaus. Von hier aus konnte sie über den Riddarfjärden bis nach Gamla Stan schauen, aber sie sah nur das rote Cabriolet mit dem offenen Verdeck vor dem Haus. Auf dem Beifahrersitz saß eine vollbusige Blondine, die ihrerseits zum Haus schaute und winkte, als sie Tove hinter dem Fenster erblickte.

»Ich verstehe«, sagte Tove sarkastisch. »Ein neues Auto und eine neue Freundin! Wie rücksichtslos von mir, da noch Unterhalt zu fordern.«

Krister ignorierte ihre Bemerkung. Er ging mit dem Karton in Richtung Tür. »War das alles?«

Tove nickte und wünschte sich insgeheim, sie hätte seine restlichen Sachen einfach im Müll entsorgt. Krister brauchte sie in seinem neuen Leben wohl nicht mehr, und ihr hätte es diese Begegnung erspart.

»Danke«, sagte er.

Tove hatte keine Ahnung, wofür er sich bedankte. Sie fragte auch nicht nach.

»Es tut mir leid, Tove«, hörte sie ihn hinter sich sagen.

»Ziehst du bitte die Tür hinter dir zu, wenn du gehst?«, erwiderte sie spröde. Sie wollte allein sein, um in aller Ruhe Abschied zu nehmen. Nicht nur von ihrem Zuhause, sondern vor allem von dem Teil ihres Lebens, den sie mit dieser Wohnung verband.

Langsam ging sie durch die leeren Räume. Alles wirkte so kalt und verlassen. Nichts zeugte mehr von dem Leben, von der Liebe, die hier zu Hause gewesen waren. Wenn sie jetzt rausging, wenn sie die Tür hinter sich zuzog, dann gab es kein Zurück mehr. Es war ein Abschied für immer …

… und irgendwann konnte sie den nicht mehr hinauszögern. Es war vorbei, sie würde nie wieder hierher zurückkehren.

Tove warf den Schlüssel in den Briefkasten, so wie sie es mit dem Hausbesitzer abgemacht hatte. Dann machte sie sich auf den Heimweg – was für ein absurdes Wort, wo sie ihr Zuhause doch gerade hinter sich gelassen hatte. Sie musste sich regelrecht dazu zwingen, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Dabei schaute sie starr geradeaus und versuchte, alle Gedanken auszuschalten.

Es blieb bei dem Versuch. Sie war traurig, aber vor allem tat es ihr für die Kinder leid, die ihr Zuhause so sehr vermissten. Für die drei war es eine gewaltige Umstellung gewesen, aus der großen, schönen Wohnung mit dem tollen Ausblick in die Hochhaussiedlung in Liljeholmen zu ziehen.

Tove blieb stehen und atmete tief durch. »Alles wird gut«, sagte sie leise zu sich selbst. »Irgendwann wird alles wieder gut.«

Dann setzte sie sich in Bewegung. Sie wollte so schnell wie möglich in die neue Wohnung, auch wenn sie diese noch nicht als ihr Zuhause bezeichnen konnte. Aber zumindest gab es dort eine Küche mit einem funktionierenden Backofen.

Und backen, das war für Tove immer noch die beste aller Möglichkeiten, um sich abzulenken.

Kapitel 1

»Du hast WAS?« Patriks Stimme überschlug sich. Er wusste selbst nicht, ob er eher wütend oder fassungslos war. Zu ungeheuerlich war das, was sein Freund und Anwalt Lovis ihm da gerade mitgeteilt hatte.

Patrik war aufgesprungen und kämpfte gegen das Bedürfnis an, Lovis am Kragen seines zweifellos teuren Anzugs zu packen und über den Schreibtisch zu ziehen.

Lovis zog den Kopf ein. »Es ist mir einfach so rausgerutscht. Ich dachte … Nein«, verbesserte er sich selbst. »Eigentlich habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich wollte einfach nur den Vertrag abschließen.«

»Indem du behauptet hast, ich wäre ein glücklich verheirateter Familienvater?« Patrik ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. Er schüttelte den Kopf, immer wieder. Warum nur hatte er Lovis gebeten, nach New York zu fliegen?

Hilflos hob Lovis beide Arme und ließ sie wieder sinken. »Wie konnte ich ahnen, dass ein erfolgreicher Geschäftsmann wie Erik Wallin so ein altmodischer Kauz ist? Er setzt bei Geschäftsabschlüssen dieser Größenordnung ausschließlich auf verheiratete Familienväter. Weil die seiner Meinung nach zuverlässiger sind. Jedenfalls hat er mir das genau so erklärt.«

»Und anstatt ihm zu sagen, dass er uns das besser schon vor deinem Abflug mitgeteilt hätte, behauptest du, ich wäre verheiratet und hätte Kinder? Wie viele Kinder habe ich denn?«, fragte Patrik sarkastisch.

»Zum Glück sind wir da nicht so ins Detail gegangen. Das lässt uns ein bisschen Spielraum«, erwiderte Lovis zaghaft.

»Spielraum?«, fuhr Patrik erneut auf. »Wofür?«

»Das weiß ich auch noch nicht so genau, aber mir wird schon was einfallen.« Lovis bemühte sich um ein Lächeln.

Bildet er sich wirklich ein, dass er mich so leicht besänftigen kann?, fragte sich Patrik.

»Erik Wallin lebt in New York, du in Schweden«, fuhr Lovis fort. »Ich dachte, er würde nie erfahren, dass du kein glücklich verheirateter Familienvater bist, sondern schnell wechselnde Beziehungen vorziehst.« Lovis schüttelte den Kopf. »Wobei man in deinem Fall nicht einmal von Beziehungen sprechen kann.«

Patrik ignorierte die letzte Bemerkung. Er richtete sich auf, atmete tief durch und fragte: »Und warum hat Erik Wallin den Vertrag nicht unterschrieben, obwohl er glaubt, dass ich alle Voraussetzungen erfülle?«

Lovis lockerte seine Krawatte und zerrte an seinem Hemdkragen. Er fühlte sich sichtlich unwohl.

Finster zog Patrik die Augenbrauen zusammen. »Hat er etwa herausgefunden, dass du ihn schamlos belogen hast? Haben wir dadurch alle Chancen auf einen erfolgreichen Vertragsabschluss verspielt?«

»Er wird den Vertrag unterschreiben«, behauptete Lovis. »Allerdings gibt es da noch etwas, was du wissen musst. Ich weiß allerdings noch nicht so richtig, wie ich dir das beibringen soll.«

»Sag es einfach«, murmelte Patrik resigniert. Es konnte kaum noch schlimmer kommen. Dachte er jedenfalls …

»Erik Wallin kommt zur Vertragsunterzeichnung persönlich nach Schweden. Er will dich kennenlernen.« Lovis machte eine kurze Pause. Er zog den Kopf ein, bevor er weitersprach: »Und deine Frau und deine Kinder.«

Patrik fasste sich mit beiden Händen an den Hals und stieß einen gurgelnden Laut aus. »Warum tust du mir das an?«

Von allem, was er mit Lovis bisher erlebt hatte, war das hier zweifellos das Schlimmste. Und dabei kannte er Lovis schon fast sein ganzes Leben. Sie waren zusammen auf der Insel Smögen aufgewachsen und schon als Kinder die besten Freunde gewesen. Zusammen mit Mats, der heute als Betriebsleiter in Patriks Großbäckerei arbeitete, hatten sie ein unzertrennliches Trio gebildet. Schon damals hatte Lovis sie immer wieder in Situationen manövriert, die ihnen eine Menge Ärger einbrachten.

Später war Lovis für sein Jurastudium nach Stockholm gezogen, und Patrik hatte zusammen mit Mats im Unternehmen seines Vaters eine Ausbildung als Bäcker begonnen. Nach dem Studium blieb Lovis in Stockholm, während Patrik durch die Welt reiste. Immer auf der Suche nach Abenteuern und den besten Backrezepten. Nur Mats war auf Smögen geblieben und arbeitete weiterhin bei Mårtensson-Bröd.

Ihre Freundschaft hatte all das ausgehalten. Wenn sie drei sich trafen, war es immer noch so, als hätten sie sich erst gestern das letzte Mal gesehen, und heute konnte Patrik sogar über Lovis’ Streiche von früher lachen. Nur über das, was er jetzt angestellt hatte, darüber würde er wohl niemals lachen können.

Patriks Wut wandelte sich in tiefe Enttäuschung. Erst vor vier Jahren war er endgültig nach Schweden zurückgekehrt, um die Großbäckerei seines Vaters zu retten. Es war Mats gewesen, der ihm anvertraute, dass das Unternehmen wegen einiger falscher Entscheidungen seines Vaters kurz vor dem Ruin stand.

Anfangs war es für Patrik nur eine Verpflichtung gewesen. Sein Vater war ein verbitterter, hartherziger Mann. Vielleicht war es verständlich, dass Patriks Mutter es an der Seite dieses Mannes nicht ausgehalten hatte und irgendwann abgehauen war. Einfach so!

Patrik hatte seine Mutter geliebt und nie verwunden, dass sie auch ihn im Stich gelassen hatte. Er hatte gehofft, dass das gemeinsame Schicksal wenigstens seinen Vater und ihn zusammenschweißen würde, aber das Gegenteil war der Fall. Der alte Mårtensson wurde noch unzugänglicher, verschloss sich allem und jedem, und Patrik war froh, als er die Heimat verlassen konnte. Er hatte das Gefühl gehabt, endlich wieder frei durchatmen zu können.

Patrik wusste bis heute nicht, ob sein Vater sich über sein Heimkommen gefreut hatte. Er hatte es einfach so hingenommen, nur das Nötigste mit ihm gesprochen und sich halsstarrig geweigert, in der Firma Änderungen zuzulassen. Ein halbes Jahr später starb der alte Mårtensson und hinterließ seinem Sohn einen Berg Schulden und eine abgewirtschaftete Firma.

Patrik hätte das Erbe ablehnen können, aber als er von Mats erfuhr, wie verzweifelt die Mitarbeiter der Großbäckerei waren, übernahm er die Verantwortung. Je mehr er ums Überleben des Unternehmens kämpfte, umso stärker wurde ihm bewusst, dass ihn diese Arbeit erfüllte. Er konnte seine eigenen Erfahrungen als Bäcker einbringen und brachte gutes Brot auf den Markt, das inzwischen in ganz Schweden verkauft wurde. Vor zwei Jahren hatte er endgültig den Durchbruch geschafft. Das Unternehmen war gerettet und damit auch die Arbeitsplätze.

In den letzten Monaten hatte Patrik sehr erfolgreich mit Seetang experimentiert und das Rezept für ein Knäckebrot entwickelt, das bei den Kunden gut ankam. Es waren allerdings umfangreiche Investitionen erforderlich, um den Seetang in größeren Mengen zu verarbeiten. Erik Wallin wäre der perfekte Investor gewesen, weil er neben dem finanziellen Zuschuss auch noch den internationalen Vertrieb von Mårtensson-Bröd übernehmen wollte.

Lovis hob in einer hilflosen Geste die Arme und ließ sie wieder fallen. »Ich wollte dir doch nur helfen.«

»Indem du eine Familie erfindest, die ich nicht habe?«, erwiderte Patrik bitter.

»Mir ist in dem Moment eben nichts Besseres eingefallen«, verteidigte sich Lovis. »Aber wir biegen das schon wieder hin.«

Patrik fuhr erneut auf. »Wie sollen wir das denn hinbiegen?«

Lovis presste beide Hände gegen seine Schläfen und schloss kurz die Augen. »Du musst mich einfach nur in Ruhe nachdenken lassen!«

Patrik überhörte Lovis’ Worte. »Wann kommt Erik Wallin denn nach Schweden?«, wollte er wissen.

»Äh … ja …«, stotterte Lovis.

Patrik schlug so hart mit der Faust auf Lovis’ Schreibtisch, dass der erschrocken zusammenzuckte.

»In zwei Wochen.«

Jetzt war es Patrik, der die Augen schloss. »In zwei Wochen?«, fragte er resigniert. Er öffnete die Augen und stand auf. »Ruf Erik Wallin an und sag ihm, dass sich die Sache erledigt hat«, forderte er Lovis auf.

Auch Lovis erhob sich von seinem Schreibtischstuhl. »Gib mir bitte ein paar Tage Zeit!«, beschwor er Patrik. »Mir fällt bestimmt eine Lösung ein.«

Patrik starrte ihn an, Lovis hielt seinem Blick stand.

»Mach doch, was du willst«, brummte Patrik schließlich. Er wandte sich um und verließ das Büro. Unsanft ließ er die Tür hinter sich ins Schloss fallen.

Patrik fuhr noch am gleichen Nachmittag zurück nach Smögen. Für ihn stand fest, dass Erik Wallin als Investor nicht mehr infrage kam.

»Verflixt!«, murmelte er enttäuscht. »Das wäre perfekt gewesen.«

Lovis hatte zwar versprochen, eine Lösung zu finden, aber Patrik glaubte nicht daran. Alles fing von vorn an. Die Suche nach einem Investor, die erste Kontaktaufnahme, die Präsentation seiner Großbäckerei und der Versuch, andere von seinem Konzept zu begeistern. Es lag noch viel Arbeit vor ihm.

Ganz bestimmt würde er heute nicht mehr damit beginnen, wahrscheinlich auch noch nicht morgen.

Patrik wusste, dass er ein paar Tage brauchen würde, um sich von dieser Enttäuschung zu erholen. Am besten gelang ihm das erfahrungsgemäß, indem er in der Backstube seines Unternehmens mit neuen Rezepten experimentierte. Und genau das nahm er sich für die nächsten Tage vor: Er wollte backen, bis er den Rückschlag von heute verkraftet hatte und bereit war, mit seinen Bemühungen um einen Investor von vorn zu beginnen.

Kapitel 2

»Krister, ich versuche seit Tagen, dich zu erreichen. Warum meldest du dich nicht?« Wütend beendete Tove das einseitige Gespräch mit Kristers Mailbox.

»Er ruft nicht zurück, weil er genau weiß, was du von ihm willst.« Kerstin schaute nur kurz auf, bevor sie weiter Teigrohlinge auf einem Backblech verteilte.

»Genau! Und wahrscheinlich braucht er sein Geld viel dringender für ein Auto oder für eine Reise mit seiner neuen blondierten Freundin.«

Kerstin lachte. »Immerhin ist er seinem bevorzugten Typ treu geblieben«, sagte sie und wies auf Toves Haar, das sie während der Arbeit hochgesteckt trug.

»He, das ist nicht blondiert!«, widersprach Tove. »Er steht jetzt auf Wasserstoffblondinen.« Auf keinen Fall wollte sie mit einer von Kristers wechselnden Freundinnen verglichen werden. »Inzwischen ist es mir völlig egal, mit welchen Frauen er seine Zeit verbringt. Ich will nur, dass er seinen Verpflichtungen nachkommt. Ich brauche den Unterhalt dringend. Die Waschmaschine ist kaputt, der Vermieter hat eine Mieterhöhung angekündigt, und Svea will in den letzten beiden Ferienwochen mit ihrer besten Freundin und deren Eltern nach Gran Canaria fliegen.« Tove holte tief Luft. »Aber das könnte ich mir selbst dann nicht leisten, wenn Krister den ganzen fehlenden Unterhalt auf einmal bezahlen würde. Was er natürlich nicht tun wird …«

»Habt ihr nichts zu tun?«

Tove fuhr herum, als sie die verärgerte Stimme ihres Chefs in ihrem Rücken vernahm.

»Wir arbeiten doch«, erwiderte Kerstin pampig und knallte das Tablett mit den Teigrohlingen in den Backofen.

Gunnar Nordström warf ihr einen finsteren Blick zu. »Dann macht das schweigend, und konzentriert euch auf eure Arbeit!«, brummte er, drehte sich um und ging zurück in den Verkaufsraum.

»Vielleicht sollte ihm mal jemand sagen, dass diese Arbeit nur für ihn geistig anspruchsvoll ist«, flüsterte Kerstin erbost.

»Also, ich sage ihm das nicht«, gab Tove ebenso leise zurück. »Ich kann es mir nicht leisten, diesen Job zu verlieren.«

»Sobald ich etwas anderes gefunden habe, bin ich hier weg«, versicherte Kerstin. Sie lächelte Tove traurig an. »Am liebsten würde ich wieder mit dir zusammen in einer richtigen Bäckerei arbeiten.«

»Das wäre schön«, seufzte Tove.

Sie und Kerstin hatten bereits in der kleinen Bäckerei in Södermalm zusammengearbeitet, und der Job in dieser Backstube war für sie beide nur eine Notlösung. Inzwischen hatte sich ihr neuer Chef als absolutes Ekel entpuppt, und es war allgemein bekannt, dass er seine Mitarbeiter ziemlich schnell feuerte.

Genau das war der Grund, weshalb Tove nicht widersprach, als Gunnar sie an diesem Nachmittag dazu aufforderte, länger zu bleiben. Er bat sie nicht darum, sondern befahl es einfach: »Du bleibst hier, bis ich zurück bin.«

Mehr sagte er nicht. Keine Erklärung, wohin er ging, keine Information, wie lange es dauern würde. Leider war Kerstin bereits weg, weil sie einen Zahnarzttermin hatte.

Nervös schaute Tove auf die Uhr. In einer halben Stunde musste sie Benny aus dem Kindergarten abholen. Und genau diese halbe Stunde brauchte sie für den Weg dorthin.

Als Gunnar zehn Minuten später noch nicht zurück war, rief sie ihre Tochter an.

Svea meldete sich nach dem zweiten Freizeichen. »Was willst du?«

Die Fünfzehnjährige steckte tief in ihrer pubertären Mütter-sind-doof-Phase und ließ keine Gelegenheit aus, das zu beweisen.

»Du musst Benny abholen!«, sagte Tove. »Ich muss noch arbeiten.«

»Keine Zeit!« Mit dieser knappen Absage beendete Svea einfach das Gespräch und ging nicht mehr an ihr Handy, als Tove erneut anrief. Nur die Mailbox meldete sich.

»Svea!«, sage Tove. »Du musst Benny abholen. Ich kann hier nicht weg.«

Minutenlang starrte sie danach auf ihr Handy. Zuletzt versuchte sie per SMS, ihre Tochter endlich zu einer Reaktion zu bewegen.

Svea, ich brauche jetzt wirklich deine Hilfe!

Immerhin erhielt sie diesmal eine Antwort: Jetzt nicht!

Danach reagierte Svea überhaupt nicht mehr, obwohl Tove noch einmal versuchte, ihre Tochter mit einer Ansage auf der Mailbox und anschließend per SMS zu erreichen.

Eine weitere halbe Stunde verging, in der sie weder eine Antwort von Svea erhielt noch Gunnar zurückkehrte. Nur ein Kunde kam zwischendurch in die Backstube und kaufte ein Brötchen.

Es reichte ihr! Tove holte ihre Tasche und schaltete die Backöfen aus.

Ein ungutes Gefühl beschlich sie, als sie an Gunnar dachte. Noch einmal griff sie nach ihrem Handy, obwohl sie wusste, dass Gunnar es hasste, wenn sie ihn während seiner Abwesenheit anrief. Aber sie musste ihm sagen, dass sie nicht länger warten konnte.

Das Freizeichen ertönte, und gleichzeitig klingelte es unter der Ladentheke. Gunnar hatte sein Handy nicht mitgenommen.

Tove stieß einen leisen Fluch aus. Gunnar vergaß ständig sein Handy, wenn er es nicht sogar mit Absicht liegen ließ.

Sie schrieb ihm eine kurze Nachricht, dass sie nicht länger warten konnte, dann zog sie ihre Jacke an und verließ die Backstube. Sorgfältig verschloss sie die Tür, bevor sie zur Station der Tunnelbana sprintete.

Der Gedanke an ihren kleinen Sohn bedrückte sie. So oft schon hatte Benny auf sie warten müssen, während alle anderen Kinder längst von ihren Eltern abgeholt worden waren. Inzwischen war ihr sogar schon vorgeschlagen worden, Benny in einen anderen Kindergarten zu schicken, der etwas näher an ihrem Arbeitsplatz lag. Es war die freundliche Umschreibung dafür, dass die Erzieherinnen einfach keine Lust mehr hatten, ständig nach Feierabend auf Tove zu warten.

Heute war sie sogar fast eine Stunde zu spät, als sie den Kindergarten endlich erreichte. Kein Wunder, dass Inger, eine der Erzieherinnen aus Bennys Gruppe, demonstrativ auf ihre Armbanduhr schaute.

»Es tut mir leid!«, rief Tove schon von Weitem.

Benny saß mit gesenktem Kopf auf seiner Lieblingswippe. Ein knallrotes Feuerwehrauto auf einer riesigen Feder, das bei jeder Bewegung vor und zurück wippte. Jetzt stand das Auto ganz still, weil Benny bewegungslos auf dem Sitz saß und jeden Blickkontakt mit seiner Mutter vermied.

»Es tut mir leid«, beteuerte Tove noch einmal, als sie die beiden endlich erreicht hatte. Sie war so schnell gerannt, dass ihre Lunge pumpte und sie die Worte nur hervorstoßen konnte.

Ingers Miene blieb ernst. »Das sagst du jedes Mal. Aber wenn …«

»Ich weiß!«, fiel Tove ihr ins Wort. Sie wollte mit der Erzieherin nicht mehr darüber diskutieren, ob ein anderer Kindergarten für Benny infrage kam. Er liebte seine Gruppe, und alle seine Freunde waren hier. »Es kommt nicht wieder vor.«

Wie oft hatte sie das schon versprochen? Kein Wunder, dass Inger skeptisch eine Augenbraue hochzog. Sie sagte aber nichts mehr dazu, sondern wünschte ihnen einen schönen Abend und verabschiedete sich.

»Komm, Benny, wir gehen nach Hause!«

Schweigend kletterte der Fünfjährige von dem Feuerwehrauto. Als Tove ihm behilflich sein wollte, schlug er ihre Hand weg.

»Es tut mir wirklich leid, Benny.«

Benny antwortete nicht, sondern stapfte einfach los. Seine kleinen Hände waren zu Fäusten geballt, als er einen Kieselstein wegkickte.

Tove beschleunigte ihren Schritt und holte ihn ein. Als sie neben ihm herging und eine Hand nach ihm ausstreckte, verschränkte er die Hände mit verstockter Miene hinter seinem Rücken.

»Benny, es tut mir wirklich sehr leid.«

Wahrscheinlich hatte sie diese Entschuldigung auch bei dem Kleinen schon zu oft benutzt, um ihn damit zu beeindrucken. Er ging einfach weiter, ohne sie anzusehen.

»Kann ich es irgendwie wiedergutmachen?«, fragte Tove.

Sie bemerkte, dass ihr Sohn kurz innehielt, bevor er mit gesenktem Kopf weiterging.

»Pizza«, schlug sie vor.

Endlich blieb Benny stehen und schaute zu ihr auf. »Und Eis«, verlangte er kategorisch.

»Okay«, gab sie sofort nach. Es war ihr völlig egal, dass sie sich aus pädagogischer Sicht komplett falsch verhielt. Sie wollte einfach nur, dass ihr Kleiner wieder fröhlich war. Und eigentlich war es nicht nur Benny, der eine Entschädigung verdient hatte.

Benny war noch nicht fertig. »Nur du und ich?«, vergewisserte er sich.

»Nur du und ich!« Tove grinste und legte einen Zeigefinger an die Lippen. »Wir sagen den Großen nichts davon.«

Obwohl Benny mit einem verschwörerischen Grinsen nickte, wusste Tove genau, dass er seinen Geschwistern bei der ersten Gelegenheit davon erzählen würde.

»Ich war mit Mama Pizza essen«, krähte Benny gleich nach dem Heimkommen. Er breitete die Arme aus, so weit er konnte. »Die war sooo groß! Und danach hat Mama mir ein Eis gekauft. Das war noch viel größer.« Diesmal hob er die rechte Hand weit über seinen Kopf.

»Na und!« Jesper zuckte ungerührt mit den Schultern. »Ich hatte einen Burger und Pommes. Das mag ich viel lieber als Pizza.«

Tove zog fragend die Augenbrauen in die Höhe. »Ich dachte, du warst beim Fußballtraining.«

»War ich ja auch. Danach hat der Trainer uns eingeladen, weil wir letzten Sonntag so gut gespielt haben. Ich brauche übrigens eine neue Trainingshose. Die hier ist schon wieder zu klein.« Er streckte ein Bein vor.

Tove zuckte innerlich zusammen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie Jespers rasantes Wachstum finanzieren sollte. Ständig brauchte er neue Kleidung, und sein Appetit war enorm. Zum Glück war er nicht eitel. Jedenfalls nicht so wie Svea. Vielleicht fand sie im Secondhandladen oder online eine nicht ganz so teure Trainingshose. Aber nicht mehr diesen Monat, das war völlig ausgeschlossen.

Sie wollte es Jesper gerade erklären, als Svea nach Hause kam. Noch bevor sie die Küche betrat, wusste Tove, dass ihre Tochter stinksauer war. Sie knallte lautstark die Haustür hinter sich zu.

»Oh – oh!«, flüsterte Benny und zeigte grinsend mit dem Finger in Richtung Flur.

Svea rauschte herein. Wütend blitzte sie ihre Mutter an. »Du bist so peinlich!«

Tove rief sich den Artikel in Erinnerung, den sie vor einem Jahr über pubertierende Teenager gelesen hatte. Laut amerikanischer Forscher fand in Sveas Alter ein massiver Umbau von Nervenverbindungen im Gehirn statt, und deshalb konnten Teenager nichts für ihr Verhalten. Am Ende des Artikels wurde den betroffenen Eltern geraten, einfach die Ruhe zu bewahren.

Wer immer diesen Artikel geschrieben hatte, kannte Svea allerdings nicht. Tove versuchte es trotzdem. Sie lächelte ihre Tochter sanft an und sagte betont leise: »Ich habe dich nur gebeten, Benny abzuholen.«

»Und alle meine Freunde haben das mitbekommen. Weißt du eigentlich, wie peinlich das ist? Außerdem will ich den Zwerg nicht abholen!«

Sie ist ein Teenager! Sie kann nichts dafür! Ruhe bewahren!

Tove atmete tief durch und zählte in Gedanken langsam bis zehn. Sie kam bis drei.

»Ich bin kein Zwerg!« Benny baute sich vor seiner Schwester auf und stemmte die Hände in die Hüften.

»Bist du doch!« Erstaunlich, wie schnell sich Sveas Laune besserte, als sie ihren kleinen Bruder reizen konnte.

»Lass dich von der dummen Pute nicht ärgern, Benny!«, goss Jesper Öl ins Feuer.

»Ich hatte Pizza und du nicht!«, rief Benny triumphierend aus. »Danach hat Mama mir ein Eis gekauft.«

Svea rümpfte verächtlich die Nase. »Das würde ich sowieso nicht essen. Viel zu viele Kohlehydrate. Ich esse nur noch Low Carb. Ich will im Urlaub eine Bikinifigur haben.« Sie drehte sich zu Tove um. »Die Svenssons wollen übrigens nächste Woche buchen. Dann brauche ich das Geld, damit ich es Majas Vater geben kann.«

Seit zwei Monaten sprach Svea schon davon, dass sie mit ihrer besten Freundin Maja und deren Eltern in Urlaub fliegen wollte. Und ebenso lange erklärte ihr Tove geduldig, dass sie sich das nicht leisten konnten. Auch jetzt schüttelte sie den Kopf. »Ich kann dir dafür kein Geld geben. Ich habe es einfach nicht.«

Sveas Blick verfinsterte sich. »Das sagst du doch nur, weil ich den Zwerg nicht abgeholt habe.«

»Ich sage das, weil ich das Geld wirklich nicht habe«, wiederholte Tove mit erhobener Stimme. Sie hielt kurz inne, atmete tief durch, bevor sie ruhig weitersprach. »Und selbst wenn ich genug Geld für deinen Urlaub hätte, würde ich es dir nicht geben, weil das deinen Brüdern gegenüber ungerecht wäre.«

»Von mir aus kannst du der Geld geben, auch wenn ich nichts kriege.« Jesper zeigte mit einem geringschätzigen Grinsen auf seine Schwester. »Ich bin froh, wenn die zwei Wochen weg ist.«

Svea schien einen Augenblick mit sich zu ringen, ob sie ihrem Bruder eine patzige Antwort geben oder dessen Bemerkung für sich nutzen sollte.

»Siehst du!« Offensichtlich hatte sie sich für die zweite Möglichkeit entschieden und wies jetzt ihrerseits auf Jesper. »Der will überhaupt nichts, und der Zwerg kann mit so viel Geld sowieso nichts anfangen.«

Tove seufzte laut und wünschte sich zum x-ten Mal, ihre Kinder würden sich mit Namen anreden und nicht ständig als der, die oder Zwerg bezeichnen.

»Ich bin kein Zwerg!«, protestierte Benny erneut. »Und ich kann wohl ganz viel Geld brauchen. Wenn du welches kriegst, will ich das auch. Zuerst kaufe ich mir ein Feuerwehrauto, und dann fahr ich auch in Urlaub. Ganz allein, ohne euch. Aber Mama nehme ich mit, und Jesper auch.« Womit er klargestellt hatte, wen er nicht dabeihaben wollte.

»Wo willst du denn hin?«, fragte Tove überrascht. Dass ihr Jüngster neuerdings Urlaubswünsche hegte, überraschte sie.

»Ans Meer«, kam es prompt zurück.

Svea kicherte. »Du bist wirklich noch ein Zwerg. Wir wohnen in Stockholm, und überall um uns herum ist Wasser. Direkt vor Stockholm liegt die Ostsee.«

»Ich will ans richtige Meer«, beharrte der Kleine. »Da wo richtige Wellen sind. So wie in dem Film, den Mama und ich gesehen haben.«

Tove dachte einen Moment nach. Dann fiel ihr ein, dass sie und Benny sich einen Film über die schwedische Westküste angeschaut hatten. Sie hatte nicht gewusst, dass der Film ihren Sohn so beeindruckt hatte. Liebevoll strich sie ihm über die blonden Locken.

»Wenn wir einmal ganz viel Geld haben, fahren wir alle zusammen dahin. Aber solange wir kein Geld haben …«, Toves Blick richtete sich streng auf Svea, »… fährt niemand von uns in Urlaub.«

Sveas Augen füllten sich mit Tränen. »Du bist so gemein!«, stieß sie hervor.

Svea weinte selten, deshalb empfand Tove mehr Mitleid als Ärger. »Ich hätte dir die Reise wirklich gegönnt, Svea, aber es geht einfach nicht.«

Ihre besänftigenden Worte erreichten Svea nicht. Mit einer hastigen Bewegung wischte sie sich über die Augen. »Wenn du zu geizig bist, frage ich eben Papa, ob er mir das Geld gibt.« Mit diesen Worten lief sie aus der Küche.

»Viel Glück!«, rief Tove ihr nach. »Und erinnere ihn bitte daran, dass ich schon seit Tagen auf seinen Rückruf warte.«

Sie bemerkte Jespers unglücklichen Blick. Er sprach nie darüber, aber Tove hatte oft das Gefühl, dass er besonders unter der Trennung seiner Eltern litt. Es machte ihm sehr zu schaffen, dass Krister den Kindern immer wieder gemeinsame Unternehmungen versprach, aber nie etwas daraus wurde. Sie hätte Jesper gerne in die Arme genommen, doch als sie auf ihn zuging, wich er zurück und streckte abwehrend die Hände aus.

»Svea beruhigt sich schon wieder«, sagte sie, obwohl sie im Moment selbst nicht daran glaubte.

»Ist mir doch egal«, brummelte Jesper und wechselte dann das Thema. »Was gibt es heute zum Abendessen?«

Tove sah ihn überrascht an. »Du hattest doch schon Burger und Pommes«, sagte sie.

»Na und?« Jesper hob kurz die Schultern. »Ich habe trotzdem wieder Hunger.«

»Ich auch«, krähte Benny. »Machst du Spaghetti?«

Spaghetti kosteten nicht viel. Tove dachte daran, dass sie kaum noch Geld für Lebensmittel hatte. Und Svea meint, ich wäre geizig. Tove biss sich auf die Unterlippe, um nicht in Tränen auszubrechen. Die Kinder sollten nichts von ihren großen Sorgen wissen.

»Also gut, dann gibt es auch noch Spaghetti«, sagte sie betont fröhlich.

»Mit Bolnäse«, verlangte Benny.

»Mit ganz viel Bolognese«, versprach Tove. Darauf kam es jetzt auch nicht mehr an.

Erleichtert registrierte sie, dass auch Jesper wieder grinste. So wie immer, wenn sein kleiner Bruder bestimmte Worte nicht richtig aussprechen konnte. Im Gegensatz zu Svea zog er Benny nie damit auf.

Svea tauchte erst wieder auf, als alle am Tisch saßen. Sie nahm sich einen Teller aus dem Küchenschrank und häufte am Herd eine riesige Portion Spaghetti mit reichlich Soße darauf, bevor sie sich mit schlecht gelaunter Miene ebenfalls an den Tisch setzte.

Jesper schaute ihr eine Weile grinsend beim Essen zu und ignorierte Tove, die ihm mit Zeichensprache zu verstehen gab, dass er seine Schwester jetzt nicht ärgern sollte.

»Machst du jetzt eine Spaghetti-Diät?«

»Halt die Klappe!«, zischte Svea mit vollem Mund.

»Hoffentlich schieben sie dich am Strand von Gran Canaria nicht ins Meer, weil sie dich für einen gestrandeten Wal halten«, stichelte Jesper weiter.

»Der Witz ist soooo alt.« Svea breitete ihre Arme aus. »Außerdem hat sich Gran Canaria sowieso erledigt.« Ihre blauen Augen richteten sich hasserfüllt auf Tove. »Papa kann mir das Geld nicht geben, weil du ihn ständig ausnimmst.«

Tove verschlug es sekundenlang die Sprache. »Wie kommst du darauf, dass ich deinen Vater ausnehme?«, wollte sie wissen.

»Weil er es gesagt hat! Du ziehst ihm das Geld aus der Tasche, und deshalb kann er mir die Reise nach Gran Canaria nicht bezahlen.«

Tove schüttelte fassungslos den Kopf. »Hat er das wirklich so gesagt?«

»Er kann sich überhaupt nichts mehr leisten«, fuhr Svea unbarmherzig fort. Sie stocherte mit der Gabel in ihren Spaghetti herum, dann schob sie den Teller abrupt von sich. »Wahrscheinlich kann er sich nicht mal was Ordentliches zu essen kaufen. Und du bist schuld!«

Benny begann zu weinen. »Muss Papa jetzt verhungern?«, schluchzte er.

Tove verspürte den heftigen Wunsch, ihrem Exmann wehzutun. Sie sprach vor den Kindern nie schlecht über ihn, obwohl er es gewesen war, der aus ihrer Ehe und der Familie ausgebrochen war. Außerdem konnte sie beweisen, dass sie von Krister schon lange kein Geld mehr gesehen hatte. Noch nicht einmal den Unterhalt für die Kinder, der ihr gerichtlich zugesichert worden war.

Offenbar nutzte Krister es gnadenlos aus, dass sie all das für sich behielt, um die Kinder zu schützen. Dass er nun auch noch behauptete, Tove würde ihn ausnehmen, war wirklich die Krönung!

Diesen Mann habe ich einmal geliebt, schoss es ihr durch den Kopf. Ich habe wirklich geglaubt, dass er und ich miteinander alt werden. In guten wie in schlechten Zeiten.

Benny schaute sie unglücklich an. Immer noch rollten ihm dicke Tränen über die Pausbäckchen. »Wir haben doch noch ganz viele Spaghetti mit Bolnäse. Können wir die Papa schicken?«

Was für ein verlockender Gedanke. Tove stellte sich Kristers Gesicht vor, wenn er das Paket mit den Resten ihres Abendessens öffnete. Und dazu ein Brief von ihr, in dem sie ihm in aller Deutlichkeit klarmachte, was sie von ihm hielt.

»Du hast echt ein Zwergenhirn!« Sveas Wut richtete sich jetzt gegen ihren kleinen Bruder. »Papa kann doch nichts mit unserem ollen Essen anfangen.«

»Svea, es reicht!« Toves Stimme wurde nicht lauter, aber sehr bestimmt. »Lass deinen Ärger nicht an Benny aus, wenn du eigentlich mich meinst.«

»Am liebsten würde ich zu Papa ziehen«, fauchte Svea sie an. Danach verfiel sie in Schweigen, und Tove ahnte bereits, dass ihre Tochter in den nächsten Tagen kein Wort mehr mit ihr reden würde.

Auch die beiden Jungen sagten jetzt nichts mehr. Benny hatte aufgehört zu weinen, aber ihm war deutlich anzusehen, wie sehr ihm die angespannte Atmosphäre zu schaffen machte.

Jesper zog sich wieder einmal völlig in sich zurück. Er ging gleich nach dem Essen in sein Zimmer, und auch Svea verließ wortlos die Küche.

Nur Benny blieb bei Tove am Tisch sitzen. Unglücklich schaute er sie an. »Können wir bald wieder nach Hause, Mama?«

Tove wurde das Herz schwer. Zu Hause, das war auch für sie noch immer die Wohnung in Södermalm.

Nicht darüber nachdenken!, ermahnte sie sich selbst. Es ist so schon alles schwer genug.

Sie legte einen Arm um Bennys Schultern und drückte ihn an sich. »Wir sind jetzt hier zu Hause, Benny. Schau mal, hier ist es doch auch ganz schön. Wir sind nahe an deinem Kindergarten und …«

»Zu Hause war es aber viel schöner«, unterbrach er sie mit weinerlicher Stimme.

»Ja, ich fand es da auch schöner.« Tove schmiegte ihre Wange an sein Köpfchen. »Aber wichtig ist doch nur, dass wir alle zusammen sind und uns lieb haben, findest du nicht?«

Es war Benny anzusehen, dass er ernsthaft darüber nachdachte, bevor er den Kopf schüttelte. »Ich glaube, die Svea hat dich überhaupt nicht mehr lieb.«

»Sie hat es gerade nicht leicht. So wie du und Jesper muss sie sich erst daran gewöhnen, dass jetzt alles anders ist.«

Benny schlang seine Arme um Tove. »Ich hab dich aber trotzdem ganz doll lieb, Mama.«

Die Worte des Kleinen trieben ihr endgültig die Tränen in die Augen. Tove drückte ihn ganz fest an sich. »Ich hab dich auch ganz doll lieb, mein Schatz!«

Später, nachdem sie Benny ins Bett gebracht hatte, wollte Tove noch einmal mit Svea reden. Ihre Tochter hatte sich aber in ihrem Zimmer eingeschlossen und öffnete auch nicht, als Tove anklopfte und ihren Namen rief.

Resigniert gab sie auf und ging sie zu Jesper. Er saß mit einem Zeichenblock auf den Knien auf seinem Bett und hatte Kopfhörer auf. Er bemerkte seine Mutter erst, als sie neben dem Bett stand. Hastig legte er den Block beiseite, und zwar so, dass Tove nicht sehen konnte, was er gerade zeichnete. Dann nahm er die Kopfhörer ab und schaute mit unbewegter Miene zu ihr auf.

Tove wusste wie so häufig nicht, was er dachte oder fühlte. Er hatte sich in ein unsichtbares Schneckenhaus zurückgezogen.

»Geht es dir gut, Jesper?«, fragte sie leise.

»Ja«, war alles, was er daraufhin sagte.

»Vermisst du Papa?«

Jesper zuckte nur mit den Schultern und sagte kein Wort.

»Ich bin immer für dich da, Jesper. Wenn du mit mir reden willst …«

»Mit mir ist alles okay«, unterbrach er sie. »Kann ich jetzt weiter Musik hören?«

»Klar!« Tove zwang sich zu einem Lächeln. »Aber mach nicht mehr so lange.«

Jesper stülpte sich die Kopfhörer wieder über die Ohren, und Tove verließ das Zimmer. An der Tür drehte sie sich noch einmal um, aber Jesper hielt bereits wieder den Zeichenblock auf den Knien und schien völlig in seiner eigenen Welt versunken zu sein.