Eine Stunde wird zur Ewigkeit - Patricia Vandenberg - E-Book

Eine Stunde wird zur Ewigkeit E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Vorsichtig ließ Dr. Norden die feine Injektionsnadel in die Armvene der jungen Frau gleiten, die blass und erschöpft vor ihm saß. Ingrid Grunke hatte die Augen geschlossen und die Lippen fest aufeinandergepresst. »So, für heute hätten wir es wieder«, sagte Dr. Norden. Sie wollte gleich aufspringen, aber Dr. Norden drückte sie sanft auf den Stuhl zurück. »Mit den Aufbauspritzen allein ist es nicht getan, Frau Grunke. Sie müssen sich etwas mehr schonen. Können Sie denn nicht mal ein paar Wochen ausspannen?« Er kannte die Patientin sehr genau. Nach fünfjähriger Ehe hatte Ingrid Grunke vor einem knappen halben Jahr endlich das ersehnte Kind bekommen. Aber die Geburt war schwer gewesen, und sie hatte sich davon noch immer nicht erholt. Dr. Norden wusste, dass Ingrid Grunke noch als Graphikerin arbeitete, zwar zu Hause, aber anscheinend doch sehr intensiv. Er verstand das nicht ganz, denn Hans Grunke musste als Geschäftsführer in einem Speiselokal sehr gut verdienen. Ingrid Grunke war eine schweigsame Frau. Über ihren Mann und ihre Ehe hatte sie nie gesprochen, aber heute brach es doch aus ihr heraus. »Ich muss doch arbeiten.

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Dr. Norden Aktuell – 5 –

Eine Stunde wird zur Ewigkeit

Patricia Vandenberg

Vorsichtig ließ Dr. Norden die feine Injektionsnadel in die Armvene der jungen Frau gleiten, die blass und erschöpft vor ihm saß. Ingrid Grunke hatte die Augen geschlossen und die Lippen fest aufeinandergepresst.

»So, für heute hätten wir es wieder«, sagte Dr. Norden. Sie wollte gleich aufspringen, aber Dr. Norden drückte sie sanft auf den Stuhl zurück.

»Mit den Aufbauspritzen allein ist es nicht getan, Frau Grunke. Sie müssen sich etwas mehr schonen. Können Sie denn nicht mal ein paar Wochen ausspannen?«

Er kannte die Patientin sehr genau. Nach fünfjähriger Ehe hatte Ingrid Grunke vor einem knappen halben Jahr endlich das ersehnte Kind bekommen. Aber die Geburt war schwer gewesen, und sie hatte sich davon noch immer nicht erholt. Dr. Norden wusste, dass Ingrid Grunke noch als Graphikerin arbeitete, zwar zu Hause, aber anscheinend doch sehr intensiv. Er verstand das nicht ganz, denn Hans Grunke musste als Geschäftsführer in einem Speiselokal sehr gut verdienen.

Ingrid Grunke war eine schweigsame Frau. Über ihren Mann und ihre Ehe hatte sie nie gesprochen, aber heute brach es doch aus ihr heraus.

»Ich muss doch arbeiten. Mein Mann …«, sie geriet ins Stocken und senkte den Blick, »er hat sich übernommen. Der teure Wagen und auch sonst.« Sie sprach sich darüber nicht weiter aus. Ihre Lippen bebten, und ihre schlanken, sehr schönen Hände zerknüllten das Taschentuch.

»Ich dachte, es würde alles wieder besser werden durch das Kind«, fuhr sie leise fort. »Ja, vielleicht, wenn es ein Junge geworden wäre. Was soll ich Sie auch noch mit meinen Privatangelegenheiten belästigen.«

»Sprechen Sie sich doch aus. Schlucken Sie nicht alles in sich hinein«, sagte er behutsam.

»Es ist doch alles vergeblich. Hans geht seine eigenen Wege«, sagte Ingrid Grunke leise. »Es ist nur gut, dass ich Petra habe.«

Die kleine Petra stand in ihrem Kinderwagen im Vorzimmer neben Loni Enderles Schreibtisch, ein niedliches, lebhaftes Baby. Das Kind, das Ingrid sich gewünscht hatte, mit dem sie vermeinte, ihre Ehe retten zu können.

Dr. Norden konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Ingrid Grunke an sich sparte. Aber wie konnte er ihr helfen? Mit gütlichem Zuspruch war da nichts getan.

Sollte er Hans Grunke einmal ins Gewissen reden? Aber das konnte er nur, wenn Ingrid es wünschte.

Sie wünschte es nicht.

»Es wäre vergeudete Zeit«, sagte sie leise. Dann ging sie mit ihrem Kind. Dr. Norden konnte nicht ahnen, unter welch tragischen Umständen er sie wiedersehen sollte.

Immer wieder musste Dr. Norden an Ingrid Grunke denken. Was war das doch früher für eine hübsche, lebhafte Frau gewesen. Schon drei Jahre kam sie zu ihm. Noch nie hatte sie ihn gerufen. Anfangs hatte sie ihn immer nur aufgesucht, weil sie so allergisch war. Dann hatte sie auch mal darüber gesprochen, dass sie so gern ein Kind hätte. Er hatte sie zu seinem Freund Dr. Hans-Georg Leitner geschickt, dem Gynäkologen. Und nach langer Hormonbehandlung hatte sie dann endlich das Kind, die kleine Petra, bekommen.

Zum ersten Mal hatte sie nun heute darüber gesprochen, dass sie die Hoffnung gehegt hatte, das Kind würde ihre Ehe zusammenhalten.

Dr. Norden war diesbezüglich anderer Ansicht. Eine Ehe, die auf tönernen Füßen stand, war durch ein Kind nicht zu retten. Das waren nur Wunschträume. Die Liebe und das Zusammengehörigkeitsgefühl waren allein ausschlaggebend, um auch gewisse Krisen, die wohl in den meisten Ehen unvermeidbar waren, zu überbrücken.

Sein nächster Besuch galt einem Patienten, dessen Ehe ein tragisches Ende gefunden hatte.

Er hielt vor einem stilvollen Einfamilienhaus. Hier wohnte Günther Holpert, Werbefachmann, fünfunddreißig Jahre alt, so vermögend, dass er seiner Frau alle auch noch so anspruchsvollen Wünsche erfüllen konnte. Zerbrochen war die Ehe an dem einzigen Kind, denn die kleine Mariella, jetzt fünf Jahre jung, war nach den schwersten Masern, die Dr. Norden je erlebt hatte, erblindet. Und das nur, weil ihre Mutter seine eindringlichen Ermahnungen, das Zimmer dunkel zu halten, nicht befolgt hatte.

Für Liane Holpert waren Vergnügungen wichtiger gewesen als das kranke Kind. Sie hatte Mariella mit dem einfältigen Hausmädchen und Bilderbüchern allein gelassen, um ihre Bridgenachmittage nicht zu versäumen. Und als sich dann herausstellte, dass Mariella erblindet war, hatte sie Mann und Kind verlassen.

Günther Holpert liebte sein Kind abgöttisch. Eine schon recht bejahrte Tante führte seinen Haushalt, aber nun war Tante Hanni, die schon lange von starkem Rheuma geplagt wurde, bettlägerig geworden. Nur eine Kur konnte ihr noch helfen. Die Verantwortung für das blinde Kind war einfach zu viel für sie. Es war ein bildhübsches Kind. Seidiges blondes Haar umgab das feine Gesichtchen. Wie ein kleiner Engel saß sie vor einem Tischchen, auf dem Puppen und Stofftiere lagen, die sie mit zarten kleinen Händen betastete.

Günther Holpert, der Daniel Norden die Tür geöffnet hatte, atmete schwer, als Daniels Blick auf dem Kind ruhte.

»Onkel Doktor, bist du es?«, fragte Mariella mit ihrem süßen Stimmchen.

»Ja, ich bin es«, erwiderte er und strich ihr sanft über das seidige Haar. »Wie geht es dir, Mariella?«

»Ganz gut, aber Tante Hanni hat große Schmerzen. Machst du sie gesund?«

Immer wieder war es ihm unbegreiflich, wie dieses kleine Mädchen, das nichts sehen konnte, so geduldig sein konnte. Ihm zog es das Herz zusammen.

»Vati hat gesagt, dass Tante Hanni eine Kur machen muss«, sagte Mariella. »Dann kann sie nicht bei uns bleiben, aber Vati muss doch arbeiten.«

Sie erwartete von Daniel Norden eine Antwort. Sie hatte ihm auch ihr Gesichtchen zugewendet. Erschütternd war es, in diese Kinderaugen zu blicken.

»Würdest du mit Tante Hanni auf die Insel der Hoffnung gehen, Mariella?«, fragte Daniel Norden. Und als er dies fragte, fing er einen fragenden Blick des Vaters dieses kleinen Mädchens auf.

»Es klingt schön«, sagte Mariella leise. »Insel der Hoffnung. Ist es dort so schön, wie es klingt, Onkel Doktor?«

»Es ist sehr schön«, sagte er.

»Ich kann es doch nicht sehen«, sagte Mariella, »aber riechen kann ich es. Wonach riecht es dort, Onkel Doktor?«

»Nach Rosen und nach Wasser«, erwiderte Daniel.

»Rosen duften, und Wasser rieche ich gern. Und wenn die Sonne scheint, fühle ich es«, sagte Mariella. »Frag mal Tante Hanni, ob sie auch dorthin gehen mag.« Eine kleine Pause folgte. Mariella nahm eine Puppe und drückte sie an sich. »Ist sie hübsch, Onkel Doktor? Vati hat sie mir heute mitgebracht. Sie fühlt sich hübsch an.«

»Sie ist sehr hübsch. Wie heißt sie?«, fragte Daniel mit schwerer Stimme.

»Feechen. Deine Frau mit der schönen Stimme heißt auch Fee. Feechen kann sprechen. Ich kann mich richtig mit ihr unterhalten.«

»Dann unterhalte dich mal ein Weilchen mit ihr«, sagte Daniel. »Ich spreche jetzt mit Tante Hanni.«

»Sie will ja nicht zur Kur, weil Vati und ich sonst allein sind, aber du kannst ihr sagen, dass ich gern mit ihr auf der Insel der Hoffnung sein will.«

Es war noch ein kleines Kind, aber Mariella war überaus intelligent, und ihre Sprache war gebildet durch den Umgang mit den Erwachsenen, die sie betreuten. Es war die einzige menschliche Bindung, die sie zu ihrem Vater und zu Tante Hanni hatte, und deshalb, nur deshalb war sie wohl ihren Lebensjahren so weit voraus.

Dr. Norden ging mit Günther Holpert hinaus, der seine Hand über das Gesicht gelegt hatte.

»Manchmal ist es fast nicht zu ertragen«, flüsterte der Mann. »Ich bin so schrecklich hilflos, und Mariella ist so tapfer.«

»Sie lebt in einer eigenen Welt«, sagte Daniel.

»Haben Sie das ernst gemeint mit der Insel der Hoffnung, Doktor?«, fragte Günther Holpert.

»Sonst hätte ich es nicht gesagt.«

»Aber Tante Hanni kann sich nicht um das Kind kümmern.«

»Man wird sich um Mariella kümmern. Mein Schwiegervater, seine Frau Anne, Mario und auch Dr. Schoeller und seine Frau Isabel. Aber jetzt muss ich erst einmal fragen, wie es Ihnen geht. Sie sind noch sehr heiser.«

»Das ist eine Lappalie im Gegensatz dazu, was mich sonst plagt. Der Konkurrenzkampf ist hart, Doktor. Wenn ich jetzt nicht am Drücker bleibe, bin ich weg vom Fenster. Ich muss ja leider auch an die Zukunft denken. Mariella soll nicht dafür gestraft werden, dass sie blind heranwachsen muss. Wenn die Operation möglich gemacht wird, wird sie viel kosten. Ich möchte so gern, dass sie wieder sehen kann. Dafür würde ich alles geben. Dass Tante Hanni nicht mehr diesen Anforderungen gewachsen sein wird, wissen wir beide doch genau. Aber wer ist schon bereit, ein blindes Kind zu betreuen?«

»Vielleicht finden wir einen Weg«, sagte Daniel. »Wenn Tante Hanni bereit ist, auf die Insel der Hoffnung zu gehen, gewinnen wir ein paar Wochen Zeit. Sie müssen jetzt aber auch ein bisschen an Ihre Gesundheit denken.«

Dr. Norden musste auch um Günther Holpert besorgt sein. Wie hager war der Mann geworden! Er wurde getrieben vom Stress in einem Beruf, der großen Schwankungen unterworfen war, von der Sorge um das geliebte Kind, und nun auch noch geplagt von den Sorgen um Tante Hanni, deren Zustand bedenklich war. Dr. Norden wollte das nicht so deutlich sagen, wie er es diagnostizierte, aber das Herz der alten Dame konnte die Schmerzen, die sie litt, kaum noch verkraften. Es war ein zu mitfühlendes Herz.

»Geh zu Mariella, Günther«, sagte Tante Hanni. »Sie soll nicht so lange allein sein.«

Sie wollte allein mit Dr. Norden sprechen. Sie wollte nicht, dass Günther Holpert zuhörte.

»Sie wissen es so gut wie ich, dass meine Tage gezählt sind, Dr. Norden«, sagte sie leise. »Wozu eine teure Kur?«

»Sie könnte helfen«, erwiderte Daniel. »Im Augenblick jedenfalls ihrem Neffen und Mariella. Und gar so teuer wird die Kur nicht, Frau Holpert.«

»Ich muss immer daran denken, was werden soll, wenn ich nicht mehr bin«, seufzte die Kranke. »Günther ist so ein guter Mensch. Warum musste er, ausgerechnet er, an eine Frau geraten, die so herzlos ist? Mir zerreißt es das Herz, wenn ich Mariella anschaue, dieses liebe, geduldige Kind.«

»Auf der Insel ist Mario«, sagte Daniel. »Er ist ein lieber Junge. Mein Schwiegervater hat ihn adoptiert, seine Eltern sind ertrunken.«

Dass Daniel ihn gerettet hatte, darüber sprach er nicht. Nur davon, dass der kleine Mario mit seinem sonnigen Gemüt und seiner Hilfsbereitschaft auch Mariella Licht in ihr dunkles Leben bringen würde.

»Wenn es so ist«, sagte Tante Hanni, »dann bin ich bereit, aber ich habe Ersparnisse. Günther soll damit nicht zusätzlich belastet werden. Er hat viel draufgezahlt in den letzten Monaten. Noch wissen wir doch gar nicht, ob eine Operation unserer Mariella das Augenlicht wiedergibt. Wäre es nicht möglich, dass ihr meine Hornhaut übertragen werden könnte?«

Daniel war erschüttert. Wollte diese großherzige Frau sich selbst aufgeben, um dem Kind zu helfen?

»Denken Sie jetzt nicht daran«, sagte er eindringlich. »Ich werde mit meinem Schwiegervater telefonieren. Vielleicht können Sie schon morgen fahren. Ich sage noch Bescheid und gebe Ihnen dann noch eine Spritze. Und denken Sie nicht ans Sterben, solange noch Hoffnung ist. Auch Hoffnung für Mariella ohne Ihre Hornhaut.«

»Wenn wir Sie nicht hätten, lieber Dr. Norden«, sagte Tante Hanni mit zitternder Stimme und feuchten Augen.

Günther Holpert begleitete ihn mit Mariella auf dem Arm zur Tür. Es regnete. Schnuppernd hob Mariella das Näschen.

»Bei uns riecht es noch nicht nach Rosen, Vati«, sagte sie. »Auf der Insel der Hoffnung duften sie jetzt schon, hat Onkel Doktor gesagt.«

Daran dachte Dr. Daniel Norden, als er zum nächsten Patienten fuhr. Ihm war es wehmütig ums Herz, wenn er die zweieinhalb Jahre zurückdachte, die er Mariella kannte, als sie noch sehen konnte.

Da war Liane Holpert im wahrsten Sinne des Wortes Herrscherin in dem schönen Haus gewesen.

Als er ihr den Ernst der Situation klarzumachen versuchte, hatte sie nur sarkastisch gelächelt.

»Masern sind doch eine Kinderkrankheit. Dramatisieren Sie das nicht so. Mir reicht es wahrhaftig, wie mein Mann sich aufführt«, hatte sie gesagt.

Und dann, als es feststand, dass Mariella erblindet war, hatte sie sich aus dem Staub gemacht, mit den Pelzen, dem Schmuck und dem Geld von dem Konto, das ihr großzügiger Mann ihr eingerichtet hatte. Auch solche Mütter gab es, und auch Väter wie Hans Grunke. Mit Dankbarkeit nahm Daniel seine Frau in die Arme, als er abends heimkam und sie ihn schon an der Tür erwartete.

Sie legte die Hände um sein Gesicht und sagte: »Es war wieder ein langer, schwerer Tag, Liebster.«

Danny hatte die Stimme seines Papis gehört und war schon zur Stelle.

»Kann nicht immer slafen«, verkündete er kategorisch.

»Papi ist jetzt aber sehr müde«, sagte Fee.

»Armer Papi«, sagte Danny bedauernd. »Papi aber essen muss.«

Ein paar Häppchen wollte er auch noch haben. Ganz brav saß er zwischen seinen Eltern.

Daheim zu sein, umgeben von Liebe und Fürsorge, glich so vieles aus, was Daniel an einem arbeitsreichen Tag verarbeiten musste.

Nach dem Essen rief Daniel seinen Schwiegervater an. Da Danny noch immer munter war, erklärte er Fee, dass er ihr später alles erzählen wolle.

Dr. Cornelius freute sich, von den Kindern zu hören, dass alles wohlauf sei. Wenn sein Schwiegersohn ihn um einen Gefallen bat, hätte er selbst Unmögliches möglich gemacht.

Tante Hanni und Mariella waren auf der Insel willkommen. Daniel konnte das gleich an Günther Holpert weitergeben, nachdem sich Fee auch noch ein paar Minuten mit ihrem Vater und seiner zweiten Frau Anne unterhalten hatte.

Fee war das tragische Schicksal der kleinen Mariella wohlbekannt.

»Wenn Herr Holpert doch nur eine liebe Frau finden würde«, sagte sie gedankenvoll.

»Das wird sehr schwierig sein. Er nimmt sich auch gar nicht die Zeit, sich nach einer solchen umzuschauen. Seine Ehe hat ihn wohl sehr misstrauisch gemacht. Es ist einfach ein Jammer, dass so nette Männer so oft auf oberflächliche Frauen hereinfallen, und umgekehrt auch nette Frauen auf lieblose Männer.« Er kam nun auch auf Ingrid Grunke zu sprechen, die Fee auch persönlich kannte.

»Ja, ich habe sie neulich mal gesehen«, sagte Fee. »Sie sieht sehr elend aus. Aber das ist ja kein Wunder, wenn ihr Mann sich in aller Öffentlichkeit mit seiner Freundin zeigt.«

»Ist das so?«, fragte Daniel bestürzt.

»Ich habe ihn selbst gesehen. Ein ganz junges Ding ist das. Da fühlt man sich wirklich manchmal versucht, so einem Mädchen gehörig die Meinung zu sagen.«

»Wobei man aber sicher den Kürzeren ziehen würde.«

*

In diesem Fall gewiss, wie ihnen bewiesen worden wäre, hätten sie jetzt die Unterhaltung zwischen Hans und Ingrid Grunke anhören können.

Er war nach Hause gekommen, aber nur um sich umzukleiden. Wütend bemängelte er, dass ausgerechnet das Hemd, das er anziehen wollte, noch nicht gewaschen war.

»Ich habe keine Zeit«, erwiderte Ingrid aufbegehrend. »Lass die Hemden doch von deiner Freundin waschen, die du so großzügig aushältst, dass für uns kein Geld mehr bleibt.«

Er wurde unsicher, aber nur einen Augenblick. »Diese Anzüglichkeiten kannst du dir sparen«, herrschte er sie an. »Wie ist es denn dazu gekommen? Du gehst abends doch keinen Schritt mehr aus dem Haus, seit das Kind da ist. Du bist frigide geworden seit der Geburt. Du pflegst dich nicht mehr und läufst herum wie ein Gespenst, da kann einem doch wirklich alles vergehen.«

Ingrid zitterte am ganzen Körper, aber sie sagte nichts mehr, denn Petra begann zu weinen. Sie eilte zu dem Kind.

»Und dauernd dieses Geplärr«, schimpfte er hinter ihr her.

»Wenn du so brüllst, wacht Petra halt auf«, sagte Ingrid mit letzter Beherrschung. »Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns trennen.«

»Reich du doch die Scheidung ein, wenn du das Geld dafür hast«, sagte er höhnisch. »Du weißt genau, in welchen Schwierigkeiten ich augenblicklich bin.«

»Und wer hat dich dahin gebracht?«, fragte sie.

»Du willst Streit. Gut, den kannst du haben!«, schrie er sie an.

»Ich will keinen Streit, ich will Klarheit«, sagte Ingrid. »Und ich möchte das Geld wiederhaben, das du mir aus der Kassette genommen hast. Ich brauche es.«

Es erforderte viel Mut, ihm das ins Gesicht zu sagen, weil sie genau wusste, dass er es abstreiten würde. Sie erntete dafür auch nur Beschimpfungen, und wenig später knallte auch schon die Wohnungstür zu.

Petra schrie jämmerlich und auch Ingrid war am Ende ihrer Kraft angelangt. Sie drückte ihr Kind an sich und küsste die zarte Stirn, dann legte sie das Kind ins Bett, und dann weinte auch sie hemmungslos.

Es dauerte lange, bis sie sich beruhigte. Das Kind war eingeschlafen. Nun war es in der Wohnung so totenstill, dass Ingrid vielerlei Geräusche aus dem ganzen Haus hören konnte. Lautes Lachen und dazwischen auch das Weinen eines anderen Kindes, Schritte und das Surren des Lifts.

Welche Illusionen hatte sie gehabt, als sie Hans geheiratet hatte! Alles erschien ihr im rosigsten Licht, und welche hochfliegenden Pläne hatte er gehabt.

Eine hübsche Mitgift hatte sie von ihren Eltern mitbekommen. Davon hatte Hans ein Lokal eingerichtet. Er hatte sich verkalkuliert und viel verloren.

Dann waren ihre Eltern bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Auch die Lebensversicherung brachte Hans innerhalb von zwei Jahren durch. Er hatte nur die eine Entschuldigung dafür, dass er eben vom Pech verfolgt sei.

Dann zog es ihn in die Großstadt. Er bekam die Stellung als Geschäftsführer, und anfangs pendelte sich alles ein. Sie hatten diese hübsche Wohnung eingerichtet. Ingrid, noch immer vergeblich auf ein Kind hoffend, verdiente gut als Graphikerin. Sie konnte sich selbst versorgen. Sie wollte finanziell auch gar nicht von ihrem Mann abhängig sein, obgleich er ihr wahrhaftig genug schuldete. Aber sie betrachtete eine Ehe nicht als Versorgung. Sie hatte auch immer wieder Entschuldigungsgründe für ihn bereit, wenn er mit seinem Geld nicht auskam. Sie liebte ihn und wollte ihn nicht verlieren. Sie merkte gar nicht, wie diese Liebe immer mehr dahinschmolz und Resignation Platz machte. Es fehlte eben ein Kind, und daran gab sie sich die Schuld.

Und dann kam dieses Kind, und alles wurde noch viel schlimmer. Was Hans bisher heimlich getrieben hatte, wurde nun offiziell. Eine Affäre löste die andere ab. Die Freundinnen wurden immer jünger, seine Ambitionen immer kostspieliger. Er war ein gut aussehender Mann. Er ließ sich nicht abgehen.