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Petra Drews

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Beschreibung

Noch genau vierundzwanzig Stunden, bis sich Kathis von Schule und Elternhaus unterdrücktes Leben in das einer freien Kosmopolitin verwandeln wird. Denn dann beginnt für Kathi ein Jahr als Austauschschülerin in Amerika. Zigtausend Kilometer von zu Hause entfernt warten dort eine Gastfamilie, eine andere Kultur und jede Menge neuer Erfahrungen und Abenteuer – Kathi freut sich riesig. Alle Koffer sind gepackt, da klingelt das Telefon. Ihr Freund Stefan ist dran. Und er stellt sie vor die Wahl: Amerika oder er! Nach endlosen Diskussionen mit ihren Freundinnen, einer schlaflosen Nacht und mit verheulten Augen steigt Kathi schweren Herzens in den Flieger nach Los Angeles. Mit Tonnen von Liebeskummer im Gepäck. Ob das die richtige Entscheidung war?

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Petra Drews

Einfach abgehoben!

Ein Jahr USA

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Noch genau vierundzwanzig Stunden, bis sich Kathis von Schule und Elternhaus unterdrücktes Leben in das einer freien Kosmopolitin verwandeln wird. Denn dann beginnt für Kathi ein Jahr als Austauschschülerin in Amerika. Zigtausend Kilometer von zu Hause entfernt warten dort eine Gastfamilie, eine andere Kultur und jede Menge neuer Erfahrungen und Abenteuer – Kathi freut sich riesig. Alle Koffer sind gepackt, da klingelt das Telefon. Ihr Freund Stefan ist dran. Und er stellt sie vor die Wahl: Amerika oder er!

 

Nach endlosen Diskussionen mit ihren Freundinnen, einer schlaflosen Nacht und mit verheulten Augen steigt Kathi schweren Herzens in den Flieger nach Los Angeles. Mit Tonnen von Liebeskummer im Gepäck. Ob das die richtige Entscheidung war?

Über Petra Drews

Petra Drews ist Innenarchitektin, Lehrerin und schreibt Bücher. Mit ihrer Familie, Hund und diversen Nagetieren lebt sie in Essen. In der Reihe «Chaos, Küsse, Katastrophen» ist von ihr bereits erschienen: «Glamour Fisch».

Inhaltsübersicht

Dank an Ben, ...Chaos im KopfEntweder – oderKrisenstab mit SchampusHammerhaie und andere FreundeSushi cannibaleAlles auf NeustartGorchiosSchool, so far awayKreppsohlencarpaccioOrdnungsfimmelAuf SendungThe show must go onKopf oder ZahlZweihundert WAS?Highway 101ZuckerwattegefühleHobbypsychologenalarmDreamteamKathi meets NilsMoralische BedenkenNeongrüne PowerKathi meets FabianDer totale FlopJede Menge Überraschungen

Dank an Ben, Jule, Mel und Sven

Chaos im Kopf

Freitag, zwölf Uhr. Noch genau vierundzwanzig Stunden, bis sich mein von Schule und Eltern unterdrücktes Leben in das einer freien und unabhängigen Kosmopolitin verwandelt.

Mit voller Wucht stemme ich mich auf den Koffer – irgendwann muss das blöde Ding doch mal zugehen. Zehn Monate sind eine verdammt lange Zeit und zweiunddreißig Kilo erlaubtes Gepäck proportional gesehen dagegen verdammt wenig Masse. Moment, hat Elli nicht gesagt, es regne nie in Kalifornien? Also, raus mit der Regenjacke.

Beide Hände fest auf den Deckel gedrückt, schwinge ich mich im eleganten Umkehrschwung auf den Riesenkoffer. Mit leisen Klackgeräuschen rasten die Metallverschlüsse ein. Na also, geht doch!

Zufrieden throne ich mit verschränkten Armen auf dem alten Schätzchen und betrachte fast sentimental die lädierten Aufkleber aus den Zeiten vergnüglicher Familienreisen.

Es ist Mitte August, die Sommerferien sind gerade vorbei, und normalerweise läge die Naturkatastrophe Schule wie ein bleiernes Endlosband vor mir.

Normalerweise.

Zum hundertsten Mal an diesem Morgen schiele ich auf den Stundenplan an meiner Pinnwand. Nur um zu sehen, ob es immer noch funktioniert; ob sich immer noch wie auf Knopfdruck dieses kribbelnde Glücksgefühl einstellt, weil ich jetzt nicht mit den anderen in der vermieften Schule sitzen muss.

Unter mir klingelt’s. Oh nein! Ich muss das Telefon nach dem letzten Anruf von Stefan im Koffer liegengelassen haben. Bestimmt ist er es wieder. Koffer wieder öffnen, wildes Gewühle … Ha, da ist es ja. Ich puste mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, hole tief Luft und hauche mit der verführerischsten Stimme, die ich auf Lager habe, «Katharina Winandy» in den Hörer.

«Äh, Friederike hier. Von der Schülerzeitung.»

Schluck!

«Alles klar? Du hörst dich irgendwie komisch an.»

Ich murmele etwas von Kehlkopfkatarrh.

«Jetzt? Mitten im Sommer? Na dann, gute Besserung.»

«Danke.» Ungeduldig schaue ich auf meine Uhr. Frau, komm zur Sache.

«Kathi, wir hatten gerade unsere erste Redaktionssitzung und haben uns überlegt, in der nächsten Ausgabe etwas über Austauschschüler zu bringen. Wir dachten, du könntest uns vor deinem Abflug noch erzählen, wie das so ist.»

«Sorry», unterbreche ich sie brüsk. «Aber ich habe noch so viel zu erledigen. Außerdem bin ich gerade auf dem Sprung ins Krankenhaus …»

«Zu der Freundin, für die du nach Amerika gehst?»

«Ja.»

«Wir haben davon gehört. Deshalb rufe ich auch an. Wir würden das gerne bringen.»

Etwas geschmeichelt, dass meine Geschichte schon die Runde gemacht hat, gebe ich mich geschlagen. «Also gut, wenn es nicht zu lange dauert.»

«Toll, danke. Also, wie ist das denn, wenn man für so lange Zeit von zu Hause weggeht?»

«Och, zehn Monate gehen doch sooo schnell rum. Und ich werde bestimmt so viel erleben, dass ich gar nicht merken werde, wie schnell die Zeit vergeht.»

Genervtes Schnauben am anderen Ende. «He, keine Phrasen, bitte. Ich würde gerne wissen, ob du nicht auch ein bisschen Angst davor hast.»

«Angst? Wovor?»

«Na, es ist doch alles neu für dich. Und was machst du, wenn die Familie, bei der du landest, total ätzend ist oder gerade ihre Liebe für die Tarantelzucht entdeckt hat? Oder ursprünglich aus New Orleans kommt und Anhänger der kreolischen Küche ist. Die essen da nämlich Krokodil, weißt du? Stell dir das Mal vor: Kroko mit Möhren, Kroko mit Reis, Kroko …»

Ich stelle erstaunt fest, dass es tatsächlich Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, über die noch nicht mal ICH mir bisher Sorgen gemacht habe.

«Friederike», unterbreche ich ihre Aufzählung. «Bis jetzt war meine Vorstellung von der amerikanischen Küche ganz in Ordnung, aber das hat sich gerade drastisch geändert. Vielen Dank.»

«Och, bitte. Nicht der Rede wert.» Ich höre sie grinsen. Ich muss auch grinsen. Das Eis ist gebrochen.

«Na, im Ernst – was soll schon groß passieren? Falls ein Problem auftauchen sollte, können wir zu unserem Coordinator vor Ort gehen. Die kümmern sich um einen. Und ganz ehrlich: Nachdem feststand, dass Kim wegen des komplizierten Beinbruchs ausfällt und ich für sie fliegen werde, ging alles so schnell, dass ich gar keine Zeit hatte, mir über Krokodilschnitzel Gedanken zu machen.»

«Hm, okay. Trotzdem stelle ich es mir komisch vor, wenn man weiß, dass man seine Familie, die Freunde, einfach alle für so lange nicht sehen wird.» Sie zögert kurz. «Ganz zu schweigen von dem Freund.» Sie macht eine kleine Pause. «Vorausgesetzt, man hat einen.»

Aha, daher weht der Wind. Friederike möchte gerne etwas aus der Herz-Schmerz-Abteilung hören. Aus dem Stand lasse ich mich auf den Boden plumpsen.

«Ach, weißt du», sage ich bemüht fröhlich. «Stefan und ich wohnen sowieso achthundert Kilometer voneinander entfernt. Wir sehen uns eh nicht so häufig.» Und erklärend füge ich hinzu: «Wir haben uns im Sommer in Italien kennengelernt.»

«Ach so», kommt es gedehnt zurück. «Nur so ein Urlaubsflirt.»

«Urlaubsflirt!», pruste ich entrüstet aus. «Von wegen. Nee, wir sind schon richtig zusammen.»

Bei dem Gedanken an den «Urlaubsflirt» und was daraus entstanden ist, trotz der achthundert Kilometer zwischen uns, muss ich lächeln. Denn hätte man mir vor diesem Sommer prophezeit, dass ich mich wieder verlieben würde, hätte ich mir sicher nur an den Kopf getippt. Nachdem ausgerechnet meine beste Freundin Elli mit dem Jungen zusammengekommen war, in den ich mich verknallt hatte, war ich mir hundertprozentig sicher, nie wieder jemandem vertrauen zu können. In Italien machte es dann trotzdem peng, als Stefan meinen Weg kreuzte.

Ich tauche aus den Bildern der Vergangenheit wieder auf. «Stefan ist der verständnisvollste Mensch, den ich kenne. Er hat sofort begriffen, dass es für mich die Gelegenheit ist, die blöde Sch …»

Schschtopp! Ich muss der Tante von der Schülerzeitung nicht unbedingt auf die Nase binden, dass ich die Chance, für zehn Monate verschwinden zu können, auch deshalb sofort ergriffen habe, weil ich dadurch dem Worst-Case-Szenario, das meine Klassenlehrerin eigens für mich entworfen hatte, vorausgesetzt, ich hänge mich nicht durchgängig über Englisch, Bio und Mathe, entrinnen kann.

Die Alternative, eine voll aufregende Ausbildung zur Bürokommunikationskauffrau im Öko-Lebensmittelvertrieb meiner Eltern, haute mich nämlich auch nicht gerade vor Begeisterung aus den Puschen.

Stefan weiß, dass ich die Zeit brauche, um herauszufinden, ob Schule oder Ausbildung das kleinere Übel ist.

«Äh, es ist die Gelegenheit, Land und Leute eines neuen Kulturkreises kennenzulernen und zu prüfen, ob ich mich innerhalb dieses Kontextes zurechtfinde und es schaffe, mich in fremde gesellschaftliche Strukturen einzubringen.»

Pause.

«Äh, könntest du den Satz nochmal sagen?»

«Aber gerne doch!»

Und während ich diesen gehirnakrobatischen Supersatz aus der Info-Broschüre der Austauschorganisation nochmal vorlese und Friederike hingebungsvoll kritzeln höre, geht mir durch den Kopf, dass das Gesülze über Stefan gar nicht mal so übertrieben war. Er ist wirklich der einfühlsamste Mensch, den ich kenne. Wenn ich nur daran denke, wie toll er reagiert hat, als Ellis Brief damals in Siena eintraf, in dem sie mir vorschlug, mich mit ihr beim Konzert ihrer Mutter in Florenz zu treffen. Wie behutsam Stefan mich davon überzeugt hat, auf Ellis Vorschlag einzugehen, da unsere Freundschaft es wert wäre, darum zu kämpfen.

Die Nacht mit Elli in Florenz wurde dann tatsächlich zu einem Ereignis, das ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Nicht nur, weil das Konzert im Palazzo Pitti einfach der Hammer gewesen war, sondern weil unsere Versöhnung mir auch gezeigt hat, wie wichtig es ist, Leute zu haben, die einen wirklich mögen und die einem so nahe sind, dass man bereit ist, Fehler zu verzeihen, selbst wenn sie einem ziemlich wehgetan haben.

Als ich am darauffolgenden Abend wieder in die Herberge kam, in der auch Stefan wohnte, haben wir noch lange geredet. Über Freundschaft, Liebe und wie wichtig es ist, niemanden zu imitieren, nur weil man verlassen worden ist. Und als am Morgen die Sonne über den sanften Hügeln der Toskana aufging, war diese Nacht mindestens genauso schön gewesen wie die Nacht davor.

«… ein-zu-brin-gen. Punkt.» Friederikes Stimme holte mich aus der Vergangenheit zurück. «Du hast viel Vertrauen in eure Beziehung, oder?»

«Jo», sage ich stolz. «Stefan weiß genau, was er will. Er wird auch hierher ziehen, wenn ich wieder zurück bin …» Ich mache eine kleine Kunstpause und sage, nicht ganz ohne Stolz: «Psychologie kann man nämlich auch hier studieren.»

»Na, das ist ja toll, wenn dein Freund so genau weiß, was er will.» Bilde ich es mir ein, oder hört sich Friederike jetzt etwas genervt an? «Und wie sieht’s mit deinen Plänen aus?»

Meine Pläne? Ups, woher soll ich das denn wissen? Und wie so oft, wenn die Sprache auf mich kommt und es irgendwie eng wird, rette ich mich in einen Witz. «Na ja, ganz ehrlich, diese Californian Beach Boys könnten mir schon zu schaffen machen. Ich meine, ich kann nicht dafür garantieren, dass ich nicht mit dem ganzen Trupp unterm Arm nach Hause komme.»

Friederike lacht. «Das schreib ich. Genau so! Tja, dann kann ich dir nur viel Glück wünschen. Und denk ab und an mal an das gute alte Monstadt, wenn du im Pazifik planschst.»

«Mach ich», säusele ich. «Bestimmt.»

Mit einem süßen Lächeln auf den Lippen beende ich die Verbindung.

Ach, wie kann das Leben schön sein!

Entweder – oder

Zwölf Uhr fünfundzwanzig.

Totale Verzweiflung. Soeben rief Stefan an. Er sagte, er könne eine Beziehung über eine so große Distanz nicht führen.

Zuerst dachte ich, er mache einen Witz. Ich lachte kurz, bis ich spürte, dass es ihm ernst damit war.

«Aber wieso? Ich verstehe nicht … Wir haben doch so oft darüber geredet …», stotterte ich.

Seine Stimme hörte sich brüchig an. «Glaub mir bitte, dass mir noch nie etwas so schwergefallen ist.»

«Ich versteh das nicht. Warum jetzt? Es war doch immer alles in Ordnung …»

«Nein!», kam es kurz und bündig von der anderen Seite. «Es war schon lange nicht mehr in Ordnung. Es war nicht mehr in Ordnung, seitdem du beschlossen hast, für Kim nach Amerika zu gehen.»

«Aber wieso hast du nie was gesagt?»

«Kathi, du hast keine Ahnung, wie oft ich mit dir darüber reden wollte. Aber jedes Mal, wenn ich nur davon anfing, sprachst du so begeistert von der Idee wegzugehen, dass ich mich einfach nicht getraut habe. Du warst so überzeugt davon, dass deine Entscheidung richtig ist.»

«Überzeugt?», rief ich fassungslos. «Überzeugung ist genau das, womit ich am allerwenigsten ausgestattet bin.» Mein Blick fiel auf den Koffer. «Ich bin noch nicht mal davon überzeugt, dass ich die richtigen Klamotten einpacke! IHR seid doch alle so überzeugt von dem, was ihr macht. Du mit deiner Kinderpsychologie. Elli, die auf jeden Fall Abi machen will, komme, was da wolle, und die fest daran glaubt, dass wir später irgendwo zusammen studieren. Kim, die schon immer ins Ausland wollte. Luzie, die ständig irgendwo aktiv ist und sich schon als Zwölfjährige für den Umweltschutz engagiert hat.» Ich merkte selber, dass meine Stimme sich überschlug. «ICH bin diejenige, die keinen Plan hat!»

Die Wut machte einer tiefen Verzweiflung Platz. Einer Verzweiflung, die mich langsam lähmte wie das Gift einer Schlange.

Stefan schwieg. Ziemlich lange. Und sagte dann ganz ruhig, wie zu sich selbst: «Weißt du, manchmal, wenn meine Sehnsucht nach dir so groß ist, dass ich sie kaum aushalten kann, sage ich mir, dass wir uns nächstes oder übernächstes Wochenende sehen werden. Und dann geht es wieder. Doch wenn sich der Abstand zwischen uns auf das Zehnfache erhöht, komme ich nicht mehr klar. Tut mir leid.»

«Aber wir können doch jeden Tag mailen!» Krampfhaft suchte ich nach weiteren Argumenten. Doch insgeheim wusste ich, dass es keinen Sinn machte. «Wir telefonieren, so oft es geht. Vielleicht kann ich auch verkürzen», wisperte ich zum Schluss. Und wusste, dass mich jeder weitere Satz nur noch weiter von ihm entfernen würde. Es tat so weh. «Stefan», flüsterte ich. «Ich dachte, wir lieben uns.»

«Ja.» Seine Stimme nahm jetzt ebenfalls einen zärtlichen Klang an. «Das tun wir auch. Und genau deshalb will ich nicht, dass du so weit weg bist. Ich glaube an unsere gemeinsame Zukunft, aber die beginnt heute – und nicht erst in zehn Monaten.» Er seufzt. «Tut mir leid, Kathi. Du musst dich entscheiden: Amerika – oder ich!»

Dann legte er auf.

 

Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Elli kann ich auch nicht erreichen. Sie sitzt noch in der Schule. Unmöglich, jetzt alleine zu sein, das halte ich nicht aus. Ich fahre zu Kim ins Krankenhaus. Sie ist auf jeden Fall da.

Denke ich. Doch Pustekuchen!

Seit eineinhalb Stunden renne ich durch die Krankenhausflure. Kim ist noch beim Röntgen. Habe Elli eine SMS geschickt. Sie rief sofort zurück. Sagte, ich solle ganz ruhig bleiben; Luzie und sie würden die letzte Stunde sausen lassen und auch ins Krankenhaus kommen.

Ganz ruhig bleiben! Wie soll ich das denn machen? Was soll ich überhaupt machen?

Krisenstab mit Schampus

«Blödes Machtspielchen. Das ist so verdammt unfair von dem zukünftigen Herrn Psychologen.» Kim lässt sich, so gut es eben mit einem Bein geht, das fest in ein Metallgestell gezwängt ist, in ihr Kissen zurücksinken. «Und das vierundzwanzig Stunden vor deinem Abflug.»

«Kim, er ist total verzweifelt. Und in dieser ganzen verzweifelten Aussichtslosigkeit fällt ihm nichts anderes ein, als mich … als mich …»

«… zu erpressen? Zu nötigen? Unter Druck zu setzen?» Kim schaut ziemlich böse aus der Bettwäsche.

«Es ist so was wie Torschlusspanik. Er ist eben …» Ich rudere hilflos mit meinen Armen durch die Gegend.

«Ein Arsch?»

Ratlos lasse ich mich auf ihre Bettkante plumpsen. Ich bin total überfordert. Ich bin sechzehn.

«Sag mal, wieso verteidigst du ihn eigentlich? Man setzt niemanden so unter Druck.» Sie verschränkt die Arme und schaut missmutig aus dem Fenster. Und mehr zu sich als zu mir sagt sie: «Mann, und ich war so froh, als du mir gegenüber endlich diesen zerknirschten Blick abgelegt hast, weil du für mich über den Großen Teich hüpfst. Und jetzt kommt dieser Idiot und macht wieder alles kaputt.»

Ich betrachte sie schweigend. Ihr Gesicht unter den kurzgeschnittenen schwarzen Haaren zeigt Entschlossenheit. Aber ich habe das deutliche Gefühl, dass sie stärker tut, als sie ist. Obwohl sie schon sehr stark ist.

«Außerdem …», schiebt sie schnell nach, als sie meinen zweifelnden Blick auf sich ruhen fühlt, «weiß keiner, wofür das alles gut ist. Hier …» Sie tippt auf den Stapel Zeitschriften, der sich auf ihrem Nachttisch türmt. «Hier steht drin, dass ich noch diesen Monat meinen Traumtypen kennenlerne.» Über ihr Gesicht huscht ein Lächeln. «Hoffentlich ist es dieser total nette Zivi, der mich vorhin zum Röntgen gerollt hat.» Das Lächeln wechselt über zu einem fetten Grinsen. «Seine Handynummer hab ich jedenfalls schon.» Sie tastet über das Chaos auf ihrem Nachttisch. «Irgendwo hier muss sie sein.»

«Wird schon klappen, Kim», sage ich im Brustton der Überzeugung und meine es auch so. Denn wenn Kim erst mal jemanden angepeilt hat, ist dessen Chance, ihren Klauen zu entkommen, in etwa so groß wie die einer beinamputierten Gazelle vor einer hungrigen Löwenmutter. Mit der Ausdauer eines indischen Yogis verfolgt Kim ihre Ziele.

Ich seufze.

Es klopft an der Tür, und zwei Zehntelsekunden später stürmen Elli und Luzie herein. Das Vierergestirn ist komplett. Seitdem wir auf dem Gymnasium sind, sind wir fast unzertrennlich.

Es dauert, bis sich die Entrüstungsbekundungen über Stefans Verhalten gelegt haben.

«Und weißt du schon, was du tun wirst?», wendet sich Luzie an mich.

«Nein», murmele ich leise. «Es ist so schwer.»

Elli zieht hörbar die Luft ein. «Na hör mal. Das ist doch wohl keine Frage! Fliegen natürlich. Sie lässt sich doch nicht erpressen.»

Wieder schweigen alle.

Bis Luzie nach einer Weile leise sagt. «Ich kann Kathi verstehen. Ich wüsste auch nicht, was ich tun soll.» Luzie, die Sanfteste von uns. Diejenige, die schon immer Konflikte geschlichtet hat, die selbst so weich scheint und trotzdem mit viel Sensibilität und Fingerspitzengefühl ihre Sachen durchzieht. Mit ihrer leisen Art und der ihr eigenen Diplomatie kann sie andere von einer Sache überzeugen. Sie wendet sich an Elli. Meine Elli, die Starke, die Schwächen so schlecht zugeben kann und zu sich selber oft so streng ist. Die viel schneller als ich Entscheidungen trifft. Die immer tough ist.

«Stell dir mal vor, wie schwierig das ist: Der Verstand sagt: fahre!, aber das Herz will überhaupt nicht weg.»

Ellis Stimme kommt etwas schnippisch rüber. Sie greift nach meiner Hand, und ich weiß, dass sie mir damit zeigen will, dass auch sie mich versteht. «Es ist ja nicht so, als wäre ich gefühlskalt. Aber eins ist doch klar: Erpressen geht gar nicht! Fliegt sie nicht, wird sie es wahrscheinlich für immer und ewig bereuen.»

Ich seufze und wünschte mir, ich könnte das genauso sehen.

«Ich will Stefan aber nicht verlieren», entgegne ich trotzig und entziehe ihr meine Hand, weil ich spüre, wie schwer es mir fällt, ihre Meinung zu teilen.

Sie schaut mich mit dem typischen Denk-doch-mal-logisch-Elli-Blick an. «Kathi, wenn ihr wirklich zusammengehört, wirst du ihn nicht verlieren.»

Ich denke kurz darüber nach. Nee, das ist mir zu einfach gestrickt. «Ach Elli, das sind Weisheiten aus grottenschlechten C-Movies. So was lässt sich leicht sagen. Aber wer garantiert mir, dass es auch stimmt?»

Meine Freundinnen zucken ratlos die Schultern.

«Und wenn du nochmal versuchst, mit ihm zu reden?» Luzie sucht nach einer Lösung.

Kim winkt für mich schon ab. «Kannst du vergessen. Er meint es so, wie er es gesagt hat, oder?» Sie sieht mich fragend an.

Ich nicke.

Elli legt den Arm um meine Schultern. «Vielleicht sollten wir einfach mal aufhören, dich zuzutexten. Hier …» Sie reicht mir eine Packung Papiertaschentücher von Kims Nachttisch. «Ich bin sicher, irgendwann macht es klick, und du weißt, was das Richtige für dich ist.»

«Irgendwann? Ich habe noch genau neunzehn Stunden, um mich zu entscheiden.»

Elli schwingt sich von Kims Bett und befördert eine sehr grüne, sehr teuer aussehende Flasche aus ihrem Rucksack. Auf ihrem Gesicht erscheint ein verschmitztes Lachen. «Vielleicht hilft die ja bei der Entscheidungsfindung.» Sie tippt stolz auf das Etikett. «Aus der Abteilung ‹Für ganz besondere Anlässe›.»

«Und aus der Abteilung der besten Champagner aus dem Weinkeller deiner Eltern, nehme ich an.» Kim grinst.

«Und ich hege nicht die geringste Absicht, sie wieder mit nach Hause zu schleppen.» Elli beginnt, wie wild an dem Verschluss herumzuschrauben.

Und während die anderen sich bemühen, so zu tun, als wäre alles völlig normal, erstelle ich gedanklich eine Pro-und-Kontra-Liste. Doch so sehr ich auch suche, auf der Seite fürs Hierbleiben steht nur ein einziges Argument: Stefan! Um wie viel länger ist dagegen der Punktekatalog auf der anderen Seite. Und Punkt eins der Liste, fett gedruckt: Null Bock, mir ab morgen wieder im Humboldt-Gymnasium den Hintern plattzusitzen.

In Los Angeles gibt es keine Frau Groll, die mich gequälten Blickes, als würde ich ihr mit jedem «Mangelhaft» in Englisch persönlich den Todesstoß versetzen, auf meine schulischen Defizite aufmerksam macht. Auch die gruseligen Sonntagabende wären Vergangenheit, an denen man feststellt, dass man nichts, aber auch gar nichts von dem englischen Text, den man mal eben zwischen den «Simpsons» und dem Spielfilm auf SAT.l übersetzen wollte, kapiert hat. Diese grauenhaften Momente, in denen sich die Spirale des Schreckens immer enger um den Hals zieht, weil man, auf der verzweifelten Suche nach der Übersetzung, stundenlang durch die Gegend telefoniert, um erst mal in Erfahrung zu bringen, dass genau dieser Text Thema der nächsten Klassenarbeit sein wird. Die, als wäre das nicht schon alles erschütternd genug, in der ersten Stunde am nächsten Morgen stattfindet.

«Sag mal, Elli …» Kims Stimme dringt durch den Nebel des Grauens. «Du warst doch schon mal in Los Angeles.»

Elli, die immer noch mördermäßige Verrenkungen anstellt, um der Flasche den Korken abspenstig zu machen, nickt. «Ja, eine Freundin meiner Eltern lebt dort. Wir haben sie vor zwei Jahren besucht.»

«Stimmt es eigentlich, dass man dort überall auf Stars trifft?» Kim grinst entschuldigend in die Runde. «Ist doch auch interessant, oder?»

Elli grinst zurück. «Klar. Die lungern da an jeder Straßenecke herum. Morgens gehst du völlig ahnungslos zum Brötchenholen und zack … hält dir Justin Timberlake die Tür auf.» Sie klemmt die Flasche zwischen ihre Knie und rüttelt an dem Korken. «Echt irre.»

Trotz meines Kummers taucht vor meinem geistigen Auge ein interessantes Bild auf. Justin, ich und ein Schokobagel.

Kim scheint ebenfalls noch in einem Film zu stecken. «Laufen die da wirklich so rum, wie sie in den Zeitschriften immer abgebildet sind?»

«Du meinst so megacool mit Designerlatschen, Schlabberhosen, einer Cap und dem frisch adoptierten Baby auf dem Arm?» Elli zuckt mit den Achseln. «Klar!» Und mit einem leichten Seitenblick zu mir. «Du wirst es bald selber sehen. Und eins musst du mir versprechen: Erzähl mir bitte sofort, wenn du einen von ihnen getroffen hast, ja?»

Verdutzt schaue ich sie an. Wieso ist sie so sicher, dass ich fliegen werde?

Bis auf wenige Millimeter ist die Flasche entkorkt. Elli wickelt sie in Kims Bettdecke und grinst verschmitzt. «Den Knall muss ja nicht jeder mitbekommen, oder?» Sie hat noch nicht ganz ausgesprochen, als der Korken wie eine Rakete unter die Decke knallt und sich die Hälfte der hellsilbrigen Flüssigkeit in hohem Bogen über Kims Bettdecke ergießt.

«Komisch!» Verdutzt mustert Elli die Flasche in ihrer Hand. «Dabei bin ich doch ganz vorsichtig durch die Schlaglöcher geradelt.»

Kims Kopf taucht zögernd unter der Bettdecke auf. Verzagt betrachtet sie die Riesenlache, die schnell in der Bettwäsche versickert. «Na suuuper! Kann vielleicht noch jemand ein paar Käsecracker darauf bröseln? Für perfektes Partyambiente? Oh Gott, die fürchterlich furchtbare Schwester Heidrun wird mich killen, wenn sie das hier riecht.» Sie rümpft die Nase. «Ich glaub, ich kollabiere.» Sie verschwindet wieder unter der Bettdecke.