Einfach Kerstin (Bd. 2) - Helena Hedlund - E-Book

Einfach Kerstin (Bd. 2) E-Book

Helena Hedlund

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Beschreibung

Kerstins Mutter macht eine Midlife-Krise durch und hat sich einen Irokesenschnitt und ein Herz-Tattoo mit einem K in der Mitte verpassen lassen. Steht das K etwa für Kenneth, Kerstins Lehrer? Oder vielleicht für Karen, mit der Mama ganz allein nach Mallorca in den Urlaub gefahren ist? Kerstin hat nicht den leisesten Schimmer! Das Einzige, was sie mit absoluter Sicherheit weiß: Midlife-Krisen sind doof, und ihre Mama soll wieder wie früher sein! Zum Glück hat sie ihren besten Freund Gunnar. Doch dessen Mutter droht, dass sie zurück in die Stadt ziehen, wenn die Wildschweine nicht aufhören, ihren Garten zu verwüsten. Jetzt ist guter Rat – im wahrsten Sinne des Wortes – teuer. Denn eine Flasche Wolfs-Pipi kostet 400 Kronen, und das ist das einzige Mittel, das Wildschweine vertreiben kann.

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Helena Hedlund

Einfach Kerstin

Aus dem Schwedischen von Katrin Frey

Mit Illustrationen von Katarina Strömgård

Hahnenkamm

Komm mal, Kerstin, schnell!«

Papa steht im Garten und schaut nach oben. Kerstin rennt zu ihm.

»Was ist?«

»Guck dir mal das Loch da an!«

»Wo?«

»In der Pappel!«

In dem Moment, als Kerstin das Loch entdeckt, schiebt sich ein Schnabel aus ihm heraus. Gleich dahinter ein Glotzauge.

»Ein Grünspecht!«, sagt Papa stolz. »Wir haben einen Grünspecht.«

»Aha«, sagt Kerstin und seufzt. »Ist das alles?«

Auf ihrer Hose krabbelt eine Ameise, Kerstin fegt sie herunter.

»Wieso alles?«, antwortet Papa verwundert. »Ein Grünspecht ist was Besonderes. Guck mal, da ist noch einer!«

Von einem Ast ganz oben in der Birke wirft sich ein großer grüner Vogel in die Luft, segelt wie ein Papierflieger übers Garagendach und landet direkt vor dem Loch in der Pappel.

»Schau, jetzt schnäbeln sie!«

Lachend setzt sich Papa auf einen Stein und nimmt Kerstin auf den Schoß.

»Sie bauen sich in unserem Garten ein Nest, um darin Eier zu legen.« Papa zwirbelt eine Strähne von Kerstins Haar. »Wenn wir dir heute die Haare abschneiden würden, könnten die Vögel ihre Küken auf goldenes Haar betten.«

»Nie im Leben«, zischt Kerstin und reißt ihm die Strähne aus der Hand. Haareschneiden mag sie schließlich überhaupt nicht. Papa umarmt sie ganz fest und reibt seinen kratzigen Bart an ihrer Wange. Kerstin lässt sich nicht anmerken, dass es ihr wehtut.

»Weißt du was?«, sagt Papa. »Wenn die Jungen geschlüpft sind, werden sie von Mama Grünspecht und Papa Grünspecht abwechselnd gefüttert. Die Eltern teilen sich die Arbeit wie in einer richtigen Familie.«

»Wie die Menschen?«

»Ja, genau. Und wenn die Jungen groß genug sind, um allein zurechtzukommen, löst sich die Vogelfamilie auf.«

»Trennen die Eltern sich dann?«

»Ja«, sagt Papa, »so könnte man das sagen.«

Kerstin steht auf und tritt dabei auf einen morschen Ast.

»Schau, jetzt fliegen sie weg!«

Mama und Papa Grünspecht fliegen zu den Tannen hinüber und verschwinden im Wald. Kerstin sieht ihnen hinterher. Sie schweigt eine Weile und verknotet die langen Bänder an ihrer Kapuze, so fest sie kann.

»Woran denkst du?«, fragt Papa.

Kerstin antwortet nicht. Sie kann nicht, weil sie die Bänder zwischen den Zähnen hat. Sie muss draufbeißen, um die Knoten wieder aufzubekommen, und da sie das ständig macht, riechen die Schnüre schon ganz komisch säuerlich. Wie ein alter Küchenschwamm.

»Wann kommt Mama nach Hause?«

»Morgen holen wir sie vom Bahnhof ab, das weißt du doch.«

Mama war eine Woche weg. Auf Mallorca.

Kerstin mag Mallorca nicht. Ihr wird übel, wenn sie das Wort sagt, ihre Zunge fühlt sich dann ganz dick und eklig an. Mama macht dort Urlaub, mit ihrer Schwester, die alle Keks nennen. Sie liegen in der Sonne, baden und gucken sich Apfelsinen an, weil sie beide eine Midlife-Krise haben. Da wollen die Erwachsenen am liebsten wieder jung sein und brauchen anscheinend Abwechslung. Es ist so ungewohnt zu Hause ohne Mama. Nichts ist wie immer, nichts macht Spaß. Die Zimmer sind öde und verlassen. Zu zweit am Küchentisch sitzen ist ungemütlich. Auf Mamas Platz befindet sich nur Luft, man kann die braune Rückenlehne sehen. Niemand macht die schöne gelbe Lampe am Fenster an, niemand schaltet das Radio ein. Papa ist viel schweigsamer, wenn er sich nicht mit Mama unterhalten kann. Ja, alles ist irgendwie still und unlustig. Ohne Mama ist das Haus wie ein großes Loch.

»Vermisst du sie?«, fragt Papa.

Kerstin nickt. In dem Moment macht es in Papas Hosentasche Ping. Er zuckt zusammen und zieht sein Handy heraus.

»Das war Mama!«, ruft er und liest laut vor:

Hallo, meine beiden Lieblinge, ich vermisse euch! Heute war ich beim Friseur und habe mir einen Hahnenkamm schneiden lassen! Hihi! Ihr werdet mich nicht wiedererkennen ;-) Dickes Küsschen und bis bald.

»Einen Hahnenkamm?«, sagt Papa verwundert. »Sie hat sich einen Hahnenkamm schneiden lassen?«

»Was ist ein Hahnenkamm?«, fragt Kerstin.

»Tja … das ist eine Frisur, mit der man ein bisschen aussieht wie ein Hahn«, erklärt Papa. »Du weißt doch, was ein Hahnenkamm ist. Die Haare stehen nach oben.«

Die Haare stehen nach oben? Kerstin läuft ein Schauer über den Rücken. Sieht Mama jetzt aus wie ein Hahn?

»Erkennen wir sie wirklich nicht wieder?«, fragt sie leise.

»Doch.« Papa lacht. »Natürlich erkennen wir sie.«

»Aber sie hat doch geschrieben …« Kerstin flüstert. Die Tränen brennen schon in ihrer Nase.

»Das war nur ein Witz«, sagt Papa.

Kerstin steht auf und starrt ihn an.

»Das war kein Witz!«, schreit sie. »Über so was macht man keine Witze!«

Comiclöwe

Langsam fährt der Zug in den Bahnhof ein. Die Türen öffnen sich, und Tausende von Menschen strömen heraus. Kerstin steht im Gedränge und hält Ausschau nach Mama. Wo ist sie? Das Komische ist, dass alle Menschen aussehen wie Mama. Sie tragen die gleiche Jacke, beige mit Kapuze, und einen roten Schal um den Hals. Genau wie Mama. Aber Mama ist nicht dabei. Kerstin merkt, dass sie vergessen hat, wie Mama aussieht. Wie konnte sie das nur so schnell vergessen? Jeder dieser Menschen könnte Mama sein, alle laufen kreuz und quer auf dem Bahnsteig durcheinander, und ihren Papa sieht sie auch nicht mehr. Hilfe, was soll sie jetzt machen? Da entdeckt sie am Ende des Bahnsteigs einen Hahn. Der Hahn kommt auf sie zu, und Kerstin weiß, dass dieser Hahn ihre Mama ist. Der Hahn kommt immer näher, breitet die Flügel aus, grinst mit dem Schnabel und will sie umarmen.

»Nein!«, schreit Kerstin, so laut sie kann. »NEEEIN!«

»Wach auf, Kerstin«, sagt Papa. »Wach auf!«

Kerstin setzt sich hin. Es ist schon hell, und sie weint. Sie kann gar nicht aufhören zu weinen.

»Was hast du geträumt?«, fragt Papa besorgt.

Kerstin schüttelt den Kopf.

»Kann ich nicht sagen.«

»Doch.« Papa streicht ihr über den Kopf. »Wenn man es erzählt, geht es einem besser, das weißt du doch.«

»Nein.« Kerstin verkriecht sich unter der Decke. »Nicht, wenn es so schrecklich ist«, flüstert sie.

Papa seufzt. Er bleibt noch eine Weile auf der Bettkante sitzen, dann geht er nach unten und macht Frühstück. Kerstin bleibt liegen. Der Traum fühlt sich noch so furchtbar echt an. Sie spürt sogar die Flügelfedern des Hahns an ihrer Wange.

Heute ist Montag. Heute Abend holen sie Mama vom Bahnhof ab. Kerstin läuft ein Schauer über den Rücken. Sie will Mama nicht abholen. Nie wieder! Wenn Mama wie ein Hahn aussieht, braucht sie gar nicht wiederzukommen und kann gleich auf Mallorca bleiben. Dann ist sie sowieso nicht mehr ihre richtige Mama. Von diesem furchtbaren Gedanken bekommt Kerstin dröhnende Kopfschmerzen. Noch nie hat sie etwas so Schreckliches gedacht.

»Kerstin«, ruft Papa von unten. »Komm jetzt frühstücken!«

Kerstin steht auf, zieht sich an und schlurft die Treppe runter. Sie setzt sich auf ihren Platz. In der Küche ist es kalt. Das Licht ist hässlich und grau, weil die gelbe Lampe auf der Fensterbank nicht an ist. Der Platz ihr gegenüber ist leer. Mamas Platz. Wird sie nie wieder dort sitzen? Vielleicht hat sie einen Unfall. Vielleicht stürzt das Flugzeug ab, und sie stirbt, weil Kerstin so böse Gedanken gedacht hat. Kerstin kauert sich zusammen und zieht den Pullover über die Knie. Sie starrt Mamas Stuhl an. Wie kann etwas so leer sein?

Da springt Kattegatt plötzlich auf Mamas Stuhl. Kattegatt, das ist Kerstins Kater. Eigentlich gehört er der ganzen Familie, aber Kerstin am meisten, weil er in ihrem Bett schläft. Kerstin liebt Kattegatt, er ist schwarz wie Lakritz und weich wie Schokoladeneis und das Kuscheligste auf der ganzen Welt. Aber wenn er auf Mamas Platz sitzt, sieht er so seltsam aus. Warum tut er das? Vorsichtig legt Kattegatt eine Tatze auf den Küchentisch und streckt die Zunge nach der Butter aus.

»Pfui! Runter mit dir, du alter Unglückskater«, zischt Papa und setzt Kattegatt auf den Boden.

»Warum hast du das gesagt?« Kerstin starrt Papa an.

»Katzen haben auf dem Tisch nichts zu suchen«, seufzt Papa müde und setzt sich wieder hin.

»Aber warum hast du Unglückskater gesagt?«

Papa trinkt einen Schluck Kaffee und macht ein gewitztes Gesicht.

»Weißt du denn nicht, dass schwarze Katzen Unglück bedeuten?«

Kerstin schüttelt den Kopf.

»Wenn eine schwarze Katze die Straße überquert, muss man dreimal über die eigene Schulter spucken. Pft, pft, pft, sonst geschieht ein Unglück. An so was haben die Leute früher geglaubt. Aberglauben nennt man das.«

Kerstin sitzt stumm da, das Brot bleibt ihr im Hals stecken. Aberglauben mag sie gar nicht! Sie kann nicht schlucken. Wenn eine schwarze Katze, die eine Straße überquert, Unglück bedeutet, was hat es dann zu bedeuten, wenn sich eine schwarze Katze auf den Stuhl einer verschwundenen Mama setzt?

 

Der Schnee, der überall lag, ist weggeschmolzen, nur nicht beim Steinwall. Die Schotterstraße ist weich und matschig, und auf dem Weg zur Schule bekommt Kerstin trotz ihrer Winterstiefel nasse Füße. Sobald Papa sie vom Fenster aus nicht mehr sehen kann, versucht sie, über die eigene Schulter zu spucken. Pft, pft, pft. Ein bisschen Spucke landet auf der Jacke, die wischt sie weg. War das dreimal? Was, wenn dreimal bei Katzen auf Stühlen nicht reicht? Wahrscheinlich muss man öfter spucken. Pft, pft, pft. Pft, pft, pft, sie kann gar nicht mehr aufhören. Ungefähr fünfundvierzigmal spuckt sie. Über beide Schultern. Zur Sicherheit.

»Hallo! Was machst du?«

Das war Gunnar. Er steht wie jeden Morgen am Gartentor der Neuen Hofstelle und wartet auf sie.

»Ach, ich habe nur ein bisschen gespuckt.« Kerstin wischt sich das Kinn ab.

Gemeinsam gehen sie zur Schule. Die Sonne blendet richtig, und im Straßengraben wächst Huflattich. Die Blumen bilden schöne gelbe Punkte in all dem Braun. Kerstin und Gunnar gehen im Gleichschritt, rechts, links, rechts, links, das machen sie immer so lange, bis einer von ihnen aus dem Takt kommt, und dann fangen sie wieder von vorne an.

»Weißt du, was ich heute Nacht geträumt habe?«, fragt Gunnar.

»Nein«, sagt Kerstin. »Was denn?«

»Ich saß auf dem Klo«, sagt Gunnar, »und plötzlich ging die Tür ein kleines Stück auf, und ein schwarz-weißes Zeichentrick-Reh, wie aus einem Comic, kam herein. Ganz flach. Und dann ist es in der Dusche verschwunden.«

»Wie unheimlich!«, sagt Kerstin.

»Ich weiß«, sagt Gunnar. »Was hast du geträumt?«

»Nichts, glaube ich.«

Kerstin denkt an den Traum von dem Hahn. Der kommt ihr immer noch so echt vor, dass sie innerlich ein bisschen zittert. Aber davon erzählen kann sie nicht. Es ist einfach nicht möglich.

»Ich träume wahrscheinlich nicht jede Nacht.« Kerstin zuckt mit den Schultern.

»Ich schon«, sagt Gunnar. »Jede Nacht. Immer Albträume! Gestern habe ich geträumt, dass Herr Schildkröte in unserer Vorratskammer wohnt. Und Oma Berta saß unter der Spüle und wollte mir einen Schnurrbart nähen.«

Kerstin lacht.

»Träumst du immer von Comicfiguren?«, fragt sie.

»Immer!«, sagt Gunnar. »Jede Nacht.«

Er denkt eine Weile nach und fragt dann:

»Was fändest du gruseliger? Wenn dir jetzt ein echter Löwe entgegenkäme oder ein Comiclöwe?«

Kerstin muss wieder lachen.

»Ein echter natürlich!«

Gunnar macht große Augen.

»Was?! Ein Comiclöwe ist viel schlimmer. Wenn man einen echten sieht, rennt man einfach weg, aber bei einem Comiclöwen kann alles passieren. Dann ist nämlich die ganze Welt ein Comic und nicht echt!«

Der Kenneth-Club

Im Klassenraum ist Frühling. An der Wand hängen Bilder von Leberblümchen, und auf der Fensterbank steht ein Tablett mit aufgereihten Klorollen. Aus den Klorollen ragen kleine grüne Blätter heraus, die im Sommer zu Sonnenblumen und Erbsen werden sollen.

Lotte steht vorne an der Tafel. Von hinten sieht sie ganz normal aus, aber wenn sie sich umdreht, sieht man, dass ihr Bauch größer ist als der Globus im Regal. Bald kommt ihr Baby.

»Das ist jetzt die letzte Woche mit mir«, sagt Lotte. »Am Montag kommt Kenneth, seid nett zu ihm.«

»Jaaa!«, ruft die ganze Klasse im Chor.

Kenneth ist ihr neuer Klassenlehrer. Kerstin weiß, dass männliche Lehrer früher Schulmeister genannt wurden. Das klingt nach einem Mann, der Kindern mit dem Zeigestock auf die Finger haut. Aber Lotte hat ihnen versichert, dass Kenneth so sanftmütig wie ein Lamm ist. Außerdem ist er Vorsitzender des Kenneth-Clubs der Stadt. Der Kenneth-Club ist ein Club für alle, die Kenneth heißen. Sie treffen sich ein paarmal im Jahr, trinken Kaffee, singen Kenneth-Lieder und spenden Geld an arme Kinder. Zum Glück gibt es nicht für jeden Namen einen Club, denkt Kerstin. Sonst müsste sie mit der langsamen Tante, die auch Kerstin heißt und in dem gelben Haus hinter der Kirche wohnt, Kerstin-Lieder singen.

Lotte dreht sich zur Tafel und schreibt groß FAMILIE an.

»Diese Woche behandeln wir das Thema Familie«, sagt sie. »Was bedeutet Familie?«

Hera meldet sich.

»Vater, Mutter, Kind!«

»Hm«, macht Lotte. »Aber gibt es vielleicht auch andere Familien?«

Die Klasse denkt nach.

»Doris hat einen Bonuspapa, weil ihre Mama einen neuen Mann hat«, sagt Gry.

»Gunnar hat gar keinen Papa«, sagt Hera.

»Do-hoch, der wohnt nur in Neuseeland«, sagt Gunnar und sieht Hera böse an.

»Arvid hat sechs Geschwister«, sagt Fadi.

»Und einen Hamster«, fügt Arvid hinzu.

»Meine Mutter hat drei Ziegen«, sagt Iris. »Sie macht damit Käse.«

Lotte lacht.

»Wie ihr hört, gibt es ganz verschiedene Familien. Jede ist einzigartig! Wir machen es so«, fährt sie fort. »Ich fange an und male meine Familie an die Tafel, und dann zeichnet ihr eure auf ein Blatt Papier. Das bin ich …«

Lotte malt sich ein Grinsen vom einen Ohr bis zum anderen ins Gesicht. Es sieht unecht aus, findet Kerstin.

»… das ist meine Frau Eva-Karin, und das da ist unser Baby …«

Lotte verziert den Kopf des Babys mit einer Locke.

»Meine Mutter zieht weg«, sagt Fatima plötzlich. »Sie hat in der Pfingstkirche jemanden kennengelernt. Einen Pfingstler also, mit dem sie lieber zusammenleben will.«

In der Klasse wird es still. Alle sehen Fatima an.

»Aber … oje«, stammelt Lotte. »Das wusste ich ja gar nicht, Fatima.«

»Am Anfang haben sich Mama und Papa gestritten«, erzählt Fatima. »Dann war Mama eine Zeit lang verreist, und als sie wiederkam, hatte sie ihn kennengelernt.«

Es herrscht immer noch Stille. Kerstin starrt auf einen Fleck auf der Tischplatte. Die Ohren tun ihr weh, sie möchte nichts mehr davon hören. Sie will nicht wissen, wie Erwachsene sich trennen.

»Mama wohnt mit dem Pfingstler jetzt in der Stadt«, fährt Fatima fort.

Kerstin stützt die Ellbogen auf den Tisch und legt den Kopf in die Hände. So sieht man nicht, dass sie sich die Ohren zuhält. Wenn sie jetzt noch mit den Zähnen knirscht, versteht sie kein Wort von dem, was Fatima erzählt. Kerstin schließt die Augen und konzentriert sich. Es klingt fast so, als würde in ihrem Kopf eine Katze schnurren. Schnurr, schnurr, schnurr …

»Kerstin, was machst du?«

Lotte legt ihr eine Hand auf die Schulter.

»Nichts!«

»Das sehe ich«, sagt Lotte. »Wir wollten doch unsere Familie malen. Machst du bitte mit?«