Kerstin ist goldrichtig - Helena Hedlund - E-Book

Kerstin ist goldrichtig E-Book

Helena Hedlund

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Kerstin ist sieben Jahre alt, und ihre Lieblingsfarbe ist Gold. In einem geheimen Kästchen unter ihrem Bett sammelt sie alles, was golden glänzt, zum Beispiel Bonbonpapier. Aber das Beste und Goldenste an Kerstin sind ihre Haare. Ihre Freundin Fatima sagt, die Haare wären orange, dabei stimmt das gar nicht. Kerstins neuestes Fundstück ist ein wunderschöner goldener Ring, der in der Schule auf dem Boden lag. Doch als die Lehrerin fragt, ob jemand ihren Ring gesehen hat, kommt kein einziger Ton über Kerstins Lippen. Und dann ist es zu spät, um die Wahrheit zu sagen …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 128

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Helena Hedlund

Kerstin ist goldrichtig

Aus dem Schwedischen von Katrin Frey

Mit Illustrationen von Katarina Strömgård

Die Übersetzerin dankt dem Deutschen Übersetzerfonds für die Förderung ihrer Arbeit an diesem Buch.

 

Wir bedanken uns sehr herzlich bei dem Swedish Arts Council für die Übersetzungsförderung für dieses Buch.

 

 

 

© der deutschsprachigen Ausgabe: Atrium Verlag AG, Imprint WooW Books, Zürich 2021

Alle Rechte vorbehalten

© Text: Helena Hedlund und Natur & Kultur, Stockholm 2018

© Cover und Illustrationen: Katarina Strömgård und Natur & Kultur, Stockholm 2018

Aus dem Schwedischen von Katrin Frey

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Det fina med Kerstin bei Natur & Kultur, Stockholm

German edition published by agreement with Koja Agency, Stockholm

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

ISBN978-3-96177-586-6

 

www.WooW-Books.de

www.instagram.com/woowbooks_verlag

Das Selbstporträt

An der Wand neben Kerstins Tisch ist ein warmes Rohr, und das riecht nach Pipi. Kerstin fasst das Rohr an und hält sich ihre Hände unter die Nase. Jetzt riechen ihre Finger nach Pipi. Das hat sie vorher gewusst. Trotzdem muss sie das Rohr anfassen. Immer wieder. Wieso riecht es nach Pipi? Dieses Rohr ist wirklich seltsam.

»Wie kommst du mit deinem Selbstporträt voran?«

Kerstin zuckt zusammen. »Gut.«

Lotte steht neben ihr, Kerstin lässt das Rohr los und guckt auf ihr Blatt. Es ist weiß und leer, sie hat noch keinen Strich gezeichnet. Wenn sie unsichtbar wäre, wäre es ein richtig gelungenes Selbstporträt. Aber Kerstin ist nicht unsichtbar. Sie ist genauso gut zu sehen wie alle anderen, vielleicht sogar noch besser. Ihre Mutter sagt, wenn die Sonne auf Kerstins Haare scheint, sieht man sie schon von Weitem.

Kerstin schaut sich um. Alle anderen in der Klasse malen rasend schnell. Sie nimmt ihren Stift und zeichnet einen Kreis. Das soll das Gesicht sein. Bevor sie es sich anders überlegen kann, kritzelt sie schnell zwei Augen dazu. Und einen Mund. Rot und fröhlich, aber geschlossen. Auf die Nase kommen Sommersprossen.

»Fertig!«, ruft Doris.

Kerstin bekommt Herzklopfen, jetzt muss sie sich beeilen!

»Ich auch!«, rufen Arvid und Fatima.

Kerstins Wangen glühen.

»Kommst du voran, Kerstin?« Lotte beugt sich über ihren Tisch.

»Ich kann die Farbe nicht finden«, sagt Kerstin leise.

»Für die Haare?«

Kerstin nickt. »Ich brauche Gold.«

»Gold?«, fragt Lotte. »Einen Goldstift haben wir nicht, geht der hier auch?« Sie reicht Kerstin einen orangen Stift.

»Der sieht aber anders aus. Meine Haare sind eher golden.«

»Die meisten würden dich als rothaarig bezeichnen«, sagt Lotte. »Du kannst entweder Rot oder Orange nehmen. Oder beides.«

»Ich will aber Gold!«

»Tja, Goldstifte haben wir leider nicht«, sagt Lotte in scharfem Ton.

Immer mehr Kinder aus der Klasse werden mit ihrem Bild fertig. Iris, Gry und Hera sind auf die Fensterbank geklettert, und Malte probiert aus, wie weit man den Vorhang zur Seite ziehen kann.

»Könnte man nicht einen Goldstift kaufen?«, murmelt Kerstin.

»Jetzt nicht«, sagt Lotte. »Jetzt haben wir nur diese Farben hier. Orange. Rot. Oder Beige.« Dann ruft sie: »Die anderen können in die Pause gehen.«

Alle rennen nach draußen, nur Kerstin bleibt sitzen und guckt Lotte böse an. Sie guckt so böse, dass eigentlich Laserstrahlen aus ihren Augen schießen müssten. Laserstrahlen, die Lotte in Luft auflösen.

»Kerstin.« Lotte legt den Kopf schief. »So schlimm wird es doch wohl nicht sein.«

Kerstin sagt nichts. Es geht nicht. Wenn sie erst einmal mit dem Starren angefangen hat, kann sie nicht mehr sprechen.

»Wenn du willst, warte ich hier mit dir«, sagt Lotte.

Kerstin starrt. Ihre Augen tun schon weh. Bald wird sie keine Luft mehr bekommen. Sie schnappt sich den orangen Stift und kritzelt Haare hin. Sie malt so hässlich, wie sie kann. Das Bild sieht ihr überhaupt nicht ähnlich.

 

»Aber du hast doch wirklich orange Haare«, sagt Fatima. Sie sitzen auf dem rosa Flauschteppich in Fatimas Zimmer und kämmen ihn mit einer Haarbürste.

»Nein, habe ich nicht«, sagt Kerstin.

»Do-och«, sagt Fatima auf ihre beharrliche Art. Als ob sie sich ganz sicher wäre, dass sie recht hat.

Kerstin steht auf und zieht die schmutzige Pippi-Langstrumpf-Puppe unter einem Stuhl hervor. »Siehst du den Unterschied?«

»Das ist ja auch Wolle«, sagt Fatima. »Mit Wolle kann man richtige Haare nicht vergleichen.«

Kerstin und Fatima sind schon seit dem Kindergarten Freundinnen. Kerstin kann sich nicht erinnern, wann es angefangen hat. Jetzt sind sie sieben Jahre alt und immer noch beste Freundinnen. In jeder Pause müssen sie zusammen spielen. Und mehrmals in der Woche nach der Schule. Meistens will Fatima, dass sie bei ihr zu Hause sind und den Teppich bürsten. Also sind sie meistens bei Fatima.

»Was wollen wir machen?«, fragt Fatima.

»Weiß nicht«, sagt Kerstin.

»Ich auch nicht.«

Manchmal würde Kerstin lieber mit jemand anders spielen. Mit Iris vielleicht oder mit Gry oder Hera, aber die drei gehen zusammen ins Folkets Hus, das Gemeindezentrum, zum Tanzen und können sich genau gleich bewegen. Da passt man irgendwie nicht dazu. Außerdem steht Fatima ja immer schon da und wartet auf sie. Und dann muss Kerstin mit ihr spielen.

»Was wollen wir machen?«, fragt Fatima noch einmal.

»Ich weiß nicht.«

»Dann mache ich was allein. Du kannst ja weiter den Teppich bürsten.«

Fatima geht ins Wohnzimmer und setzt sich an den Computer. Kerstin bleibt sitzen und kämmt weiter. Sie kämmt und kämmt und kämmt eine Ewigkeit lang. Was soll sie auch sonst machen? Manchmal ist es nicht leicht, eine beste Freundin zu haben. Kerstin schließt die Augen und denkt so angestrengt nach, dass ihr der Kopf wehtut. In Gedanken beamt sie sich nach Hause und sitzt allein in ihrem eigenen Zimmer und nicht in dem von Fatima, aber als sie die Augen wieder öffnet, ist nichts passiert. Sie sitzt immer noch an derselben Stelle.

Das Dorf

»Wie war dein Tag?«, fragt Mama, als sie Kerstin abholt.

Sie macht die Haustür zu und streicht Kerstin über den Kopf.

»Gut.« Kerstin winkt Fatima, die ihr durchs Fenster hinterherschaut.

Regen liegt in der Luft, und es dämmert schon, obwohl es mitten am Tag ist. Typisch Herbst eben. Die Straßenlaternen flackern kurz und gehen an.

»Was habt ihr gemacht?«, fragt Mama.

»Weiß nicht.«

»Du weißt es nicht?« Mama klingt erstaunt.

»Ich kann mich nicht erinnern.« Kerstin bleibt stehen.

Sie hat auf dem Boden etwas funkeln gesehen. Eine kleine, dreieckige Goldsache aus Plastik, vielleicht von einem Spielzeug abgebrochen. Kerstin hebt sie auf und steckt sie ein.

»Ui, was hast du da gefunden?«, fragt Mama.

»Nichts Besonderes«, sagt Kerstin und greift nach Mamas Hand, die warm und vom Regen ein bisschen feucht ist.

Vorne bei der kaputten Straßenlaterne ist Nisses Gemischtwarenladen. Das ist ein winziger Laden, der einzige im Dorf, aber wundersamerweise gibt es dort fast alles, wie in einem Zauberhut. Spaten und Kaugummi und Wachsdecken und Cornflakes und batteriebetriebene Roboter. Und den Liter Milch, den Mama noch braucht.

Kaum öffnen sie die Tür, ertönt ein Pfiff. Auf einem Regal hinter der Tür sitzt ein kleiner Affe – natürlich kein echter, sondern einer mit einem Bewegungsmelder drin –, und der hat gepfiffen. Kerstin liebt diesen Affen. Er ist das Lustigste im ganzen Dorf. Man kann vor ihm auf und ab gehen, und jedes Mal gibt er einen hohen Ton von sich.

»Jetzt reicht es«, sagt Mama, als der Affe sieben Mal gepfiffen hat.

Nisse lacht. Er ist klein und unrasiert, und wenn er lacht, sieht man das Tabak-Beutelchen unter seiner Oberlippe. Manchmal schenkt er einem einen Lolli. Nur Lachs sollte man in Nisses Laden lieber nicht kaufen, das weiß jeder. Einmal hat jemand gesehen, wie Nisse hinter dem Laden stand und gepinkelt hat, und dann ist er reingegangen und hat den Lachs angefasst. Ohne sich vorher die Hände zu waschen!

 

Hinter dem Laden sieht man nach einer Weile ein Schild mit der Aufschrift Dorf. Dort muss man links abbiegen. Und dann ist das Dorf zu Ende. Wenn auch die Straßenlaternen zu Ende sind, schaltet man die Taschenlampe an. Dann kommt ein verlassenes Haus mit halb verfallener Scheune und dann noch ein verlassenes Haus. Als Letztes kommt Kerstins Haus. Es ist rot und weiß und sieht aus wie gemalt. Auf den Stufen vor der Eingangstür sitzt ein Kater und leckt sich den Po. Das ist Kattegatt, und als er Kerstin bemerkt, rennt er auf sie zu und schmiegt sich an ihre Beine. Kerstin streichelt ihm über den ganzen Rücken bis zur Schwanzspitze, dann öffnet sie die Tür und geht ins Haus.

 

In Kerstins Zimmer ist es angenehm kühl und fast völlig still. Sie setzt sich aufs Bett. Manchmal, wenn Kerstin allein ist, fühlt sich ihr Körper ganz komisch an. Dann muss sie in einen Spiegel gucken. Ganz lange. Zuerst passiert nichts, sie sieht aus wie immer. Nach einer Weile verschwimmt das Spiegelbild und tritt gleichzeitig so deutlich hervor, als ob es in 3-D wäre. Und plötzlich passiert ein Wunder! Kerstin kann sich selbst von innen und von außen gleichzeitig sehen. Sie schaut aus sich heraus – und sich selbst an!

»Ich bin ich bin ich bin ich«, flüstert sie dem Spiegel zu und weiß auf einmal, wie alles zusammenhängt. Und dann plötzlich, PUFF!, ist das Gefühl weg. Wie eine zerplatzte Seifenblase.

Kerstin bleibt noch ein bisschen vor dem Spiegel sitzen. Wenn sie sich mit anderen zusammen betrachtet, zum Beispiel mit Fatima, will sie genauso aussehen wie Fatima und nicht wie sie selbst. Dann will sie Fatimas Haare haben und nicht ihre eigenen. Aber jetzt, allein vorm Spiegel, findet Kerstin sich selbst am schönsten auf der ganzen Welt. Am allerschönsten sind ihre Haare. Sie gehen ihr fast bis zur Taille und sehen aus wie echtes Gold. Sie liebt Gold!

Kerstin tastet in ihrer Hosentasche nach der kleinen Goldsache, die sie auf der Straße gefunden hat. Sie wird sie zu ihrer Goldsammlung unter dem Bett legen. Dort bewahrt sie einhundertfünf verschiedene Goldsachen in einer Dose auf – goldene Sterne, goldene Schrauben, Goldmünzen, eine Haarspange und mehrere Knöpfe aus Gold. Kerstin holt die Dose unter dem Bett hervor und leert sie auf dem Fußboden aus.

»Steinreich bist du«, sagt Papa, als er ins Zimmer kommt. Er streicht Kerstin über das Haar und bündelt es zu einem Pferdeschwanz. »Wenn ich zehn Zentimeter abschneiden darf, könntest du sie zu deiner Sammlung legen.« Papa sieht sie hinterlistig an.

Kerstin reißt ihm den Zopf aus der Hand. »Nie im Leben!«, zischt sie und stopft sich die Haare unter den Pullover.

Ein Ring aus Gold

An manchen Tagen kommt Kerstin pünktlich auf die Minute vor der Schule an. So wie heute. Genau in dem Moment, als Papa und sie durch das Schultor gehen, klingelt es. Alles ist perfekt, wie in einem Film. Kerstin fühlt sich wie jemand, dem gleich ein Preis verliehen wird.

Stattdessen hüpft Fatima auf sie zu. »Können Kerstin und ich uns heute verabreden?«

»Na klar«, sagt Papa erfreut. »Gerne!«

Kerstin nickt und tritt gegen einen Stock. So ist es fast jeden Morgen. Fatima fragt Mama oder Papa, ob sie mit Kerstin spielen kann. Sie fragt nie Kerstin.

»Komm jetzt!«, ruft Fatima und rennt vor ihr her zum Schulgebäude.

Der Klassenraum sieht anders aus als sonst. An der grünen Wand hängen die Selbstporträts. Das grelle Orange auf Kerstins Bild tut richtig in den Augen weh. Die Zeichnung sieht ganz anders aus als sie. Man kann gar nicht erkennen, dass sie das sein soll. Wenn Lotte nicht mit ihrer großen Lehrerinnenschrift KERSTIN draufgeschrieben hätte, könnte Kerstin so tun, als ob auf dem Bild jemand anders zu sehen wäre. Jemand Hässliches.

Auf der Herbstausstellung werden sie ihren Eltern die Kunstwerke präsentieren. Heute töpfern sie. Lotte klatscht einen grauen Klumpen auf ihren Tisch und macht vor, wie man einen Tonkuckuck formt. Es sieht schwierig aus. Lotte braucht ziemlich lange, weil der Kuckuck hohl ist. Als der Bauch des Vogels zum zehnten Mal kaputtgeht, hört Kerstin sie leise zischen. Sie ist sich fast sicher, dass Lotte »Scheiße« gemurmelt hat, obwohl sie doch die Lehrerin ist, aber vielleicht hat Kerstin sich auch verhört. Der Kuckuck wird knubbelig und hässlich.

»Sieht aus wie ein überfahrenes Küken«, sagt Hera traurig.

Lotte seufzt. Sie erlaubt den Kindern, leichtere Tiere zu töpfern. Schlangen und Würmer und andere, die eher länglich sind. Kerstin töpfert einen Tintenfisch. Das ist schwer. In dem Moment, als sie den letzten Arm befestigen will, klingelt es so schrill zur Pause, dass sie vor Schreck zusammenzuckt, und da wird ein Tintenfischarm schief.

 

In der Pause bleibt Kerstin auf dem Gang. Sie weiß, dass Fatima auf dem Schulhof auf sie wartet, aber heute will Kerstin lieber allein sein. Wenn sie Glück hat, ist die Pause zu Ende, bevor sie draußen angekommen ist. Kerstin versucht, die Zeit dazu zu bringen, schneller als sonst zu vergehen. Ticktack, ticktack, jetzt klingle doch endlich!

Sie sieht sich im leeren Flur um. Er ist lang und braun. Zwischen der Tür zu ihrem Klassenzimmer und der Klotür hängt ein Feuermelder. Er ist deutlich zu sehen, weil er leuchtend rot ist und sich gut von der braunen Steinwand abhebt. DECKEL AUFKLAPPEN steht in Großbuchstaben darauf. Und wenn man den Deckel aufgeklappt hat: KNOPF DRÜCKEN. Das Merkwürdige ist nur, dass man den Knopf nicht drücken darf. Es ist streng verboten.

Einmal hat Milo aus der Sechsten es trotzdem gemacht, und da musste die ganze Schule auf Socken raus auf den Schulhof rennen. Dann kam die Schulleiterin und war so wütend, dass ihre Brillengläser beschlugen.

Der Fußboden im Flur ist aus Stein, und in den Steinen sind Fossilien von kleinen toten Tieren aus der Vorzeit. Kerstin geht in die Hocke und zählt so viele, wie sie finden kann. Plötzlich bemerkt sie etwas. Etwas Funkelndes. Kerstin krabbelt hin. Zuerst denkt sie, es wäre ein Zehn-Kronen-Stück, aber dann sieht sie, dass es ein Ring ist. Ein wunderschöner Ring aus Gold! Schnell hebt sie ihn auf und steckt ihn sich in die Hosentasche.

Die Neue Hofstelle

»Komm jetzt, meine Mutter wartet im Auto.« Fatima geht voraus. Sie lässt ihren Rucksack über den Schulhof schleifen und wirbelt eine Menge Staub auf. »Beeil dich!«

Aber Kerstin hat eine Blase am Fuß, und damit kann man sich nicht gut beeilen. Fatima ist bereits ins Auto gestiegen, als Kerstin angehumpelt kommt.

»Hallo, Kerstin!«, sagt Fatimas Mutter. »Wie läuft’s?«

Das fragt sie jeden Tag. Kerstin hat ein bisschen Angst vor Fatimas Mutter, sie stellt so seltsame Fragen. Wie läuft’s? zum Beispiel. Wie läuft was? Kerstin weiß nie, was sie darauf antworten soll, und sagt deshalb gar nichts. Sie schnallt sich einfach an, und bevor sie die Augen einmal zu- und wieder aufgemacht hat, sind sie am blauen Haus mit den Jalousien angekommen. Im Hausflur riecht es nach geschmolzenem Käse.

»Was wollen wir machen?«, fragt Fatima wie immer und schleudert ihren Rucksack von sich. Er landet in einer Ecke voller Regenschirme.

»Weiß nicht«, sagt Kerstin.

Dann sagen sie eine Weile nichts.

»Ich muss Pipi«, sagt Fatima. »Komm!«

Wenn Fatima Pipi macht, sitzt Kerstin so lange auf dem Badewannenrand, aber heute ist es dort nass, und deshalb muss Kerstin stehen und sich stattdessen an die Wand lehnen. Sie steckt die Hand in die Hosentasche und spielt mit dem Ring. Ihre wunderbare neue Goldsache! Ganz, ganz vorsichtig holt sie den Ring hervor und schaut ihn sich hinter dem Duschvorhang heimlich an.

»Was hast du da?« Fatima drückt die Spülung und zieht sich die Hose hoch.

»Nichts!« Schnell versteckt Kerstin den Ring in ihrer Hand. Sie hat Fatima nicht erzählt, dass sie Gold sammelt. Es ist ein Geheimnis. Eins, das nur ihr gehört.