Einheit der Kirche? - Helmut Fischer - E-Book

Einheit der Kirche? E-Book

Helmut Fischer

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Beschreibung

Viele Christen wünschen die Einheit der Kirche?. Doch bei dem Versuch, ein gemeinsames Kirchenverständnis zu definieren zeigt sich, dass Katholiken, Orthodoxe und Protestanten Kirche je anders erleben. Um ein fruchtbares Gespräch zu führen, ist es aber notwendig, das Selbstverständnis der eigenen wie der anderen Kirchen kennenzulernen. Helmut Fischer stellt, von den Anfängen der Kirche ausgehend, die verschiedenen Kirchenstrukturen mit ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden dar. Er entfaltet das jeweilige Selbstverständnis der Kirchen aus ihren offiziellen Dokumenten. Damit werden die Leserinnen und Leser befähigt, sich ein eigenes Urteil über die Möglichkeiten und Chancen einer kirchlichen Einheit zu bilden.

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Helmut Fischer

Einheit der Kirche?

Zum Kirchenverständnis der großen Konfessionen

Theologischer Verlag Zürich

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.

Umschlaggestaltung Simone Ackermann, Zürich, unter Verwendung von Sigisbert (Gijs) Chrétien Bosch Reitz (1860–1938): »St. Johanniskirche in Laren«, 1893 (Kirchgänger vor der St. Johanniskirche); Öl auf Leinwand, 89 x 129 cm; Singer Museum; Foto: akg-images

Bibelzitate nach: Zürcher Bibel 2007

ISBN 978-3-290-17550-4 (Buch) ISBN 978-3-290-17679-2 (Epub)

|XX| Seitenzahlen des Epubs verweisen auf die gedruckte Ausgabe.

© 2010 Theologischer Verlag Zürichwww.tvz-verlag.ch

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Hinführung zum Thema

1 Was uns die Namen der Kirchen sagen

1.1 Was bedeutet »katholisch«?

1.2 Was bedeutet »orthodox«?

1.3 Was bedeutet »protestantisch«?

1.4 Der Bedeutungswandel von »katholisch«

2 Die Anfänge von Kirche

2.1 Der Ursprung des griechischen Wortes ekklesía (Kirche)

2.2 Die Anfänge von Gemeinde und Kirche

2.3 Der Umbruch um die Jahrhundertwende

3 Die Kirche heute

3.1 Das byzantinische Modell der Orthodoxie

3.2 Das westliche Modell des römischen Katholizismus

3.3 Das Modell des Protestantismus

4 Das Gewicht der Heiligen Schrift für das Verständnis von Kirche

4.1 Die Berufung auf Christus und auf die Heilige Schrift

4.2 Der Kanon der Heiligen Schriften

4.3 Das Schriftverständnis der Orthodoxie

4.4 Das Schriftverständnis der römisch-katholischen Kirche

4.5 Das Schriftverständnis des Protestantismus

5 Der Ursprung von Kirche

5.1 Unterschiedliche Begründungen

5.2 Das römisch-katholische Dogma zum Ursprung der Kirche

5.3 Die biblischen Aussagen

5.4 Die Orthodoxie zum Ursprung von Kirche

5.5 Das protestantische Verständnis des Ursprungs von Kirche

6 Die Ämter der Kirche

6.1 Vom Charisma zum Amt

6.2 Die Ausbildung einer Ämterordnung

6.3 Das Amt wird für Kirchesein unentbehrlich

6.4 Das Amt wird im lateinischen Westen weiter ausgebaut

6.5 Der Papst, die Vollendung der Hierarchie

6.6. Der Ausbau des Papsttums im Westen

6.7 Nachwirkungen des absolutistischen Papsttums

6.8 Das protestantische Amtsverständnis

7 Die Grundstrukturen der Kirchen

7.1 Das ostkirchliche orthodoxe Modell

7.2 Das westkirchliche römisch-katholische Modell

7.3 Das protestantische Modell

8 Vielfalt und Einheit der Kirchen

8.1 Einheit in der Geschichte

8.2 Der Gedanke der Ökumene

8.3 Das Hauptproblem der Einheitsdebatte

9 Einheit und Ökumene in den Konfessionen

9.1 Die Orthodoxie

9.2 Der römische Katholizismus

9.3 Der Protestantismus

9.4 Einheit der Kirche?

Zitierte Literatur

Glossar

|7| Hinführung zum Thema

Viele engagierte Christen wünschen, ja fordern die Einheit der Kirche. Sie nennen dafür gute Gründe:

Die Christusbotschaft verliert ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie von verschiedenen Konfessionen auf verschiedene Weise verkündet wird, von einigen sogar mit dem Anspruch, dass nur bei ihnen die reine Wahrheit zu finden sei.

Konfessionell gemischte Ehen und Familien werden in die Konkurrenzkämpfe ihrer Kirchen verwickelt und können noch nicht einmal gemeinsam das Abendmahl feiern, das Symbol der Gemeinschaft.

Kirchen, die in der Öffentlichkeit nicht mit einer gemeinsamen Stimme sprechen, werden nicht mehr gehört.

Der einstimmige Ruf nach kirchlicher Einheit löst sich in ein dissonantes Stimmengewirr auf, sobald gefragt wird:

Was ist denn Kirche überhaupt?

Wie soll die Einheit von Kirche aussehen?

Welche Schritte zu dieser Einheit wären von allen zu tun?

Was Kirche ist, glauben alle zu wissen, aber alle eben auf ihre Weise. Damit ist bereits das Problem umrissen, mit dem jedes Gespräch über Kirche konfrontiert ist. Alle reden von Kirche so, wie sie sie selbst erfahren haben.

Das ist bei Katholiken, Orthodoxen und Protestanten unterschiedlich. Die subjektiven Verständnisse von Kirche stimmen freilich nur zum geringen Teil mit dem Selbstverständnis jener Kirchen, für oder gegen die gestritten wird.

Gespräche, in denen man sich gegenseitig die Gemeinsamkeiten bestätigt tun gewiss der ökumenischen Zusammenarbeit auf Ortsebene gut. Aber die Einheit der Kirche wird ja nicht durch die Gemeinsamkeiten verhindert, sondern durch die Differenzen. Deshalb müssen sich ernsthafte Bemühungen um die Einheit der Kirche auf die Differenzen richten, die bereits in den Selbstverständnissen der Konfessionen angelegt |8| sind. Dazu ist es nötig, das Selbstverständnis sowohl der eigenen als auch der anderen Konfessionen in ihren Grundstrukturen zu kennen.

Von kirchlicher Einheit lässt sich sinnvoll nur reden, wenn man sich dessen bewusst ist, welche Kirchenverständnisse und Kirchenstrukturen zur Einheit zusammengeführt werden sollen.

Was Einheit sein und wie sie verwirklicht werden könnte, das kann nur aus der Logik der jeweiligen kirchlichen Selbstverständnisse erhoben werden. Einheitswünsche und Einheitsforderungen, die jenseits dessen bleiben, wie Kirchen sich selbst und wie sie mögliche Einheit verstehen, bleiben illusionär und haben keine Chance, gehört zu werden. Wenn ökumenische Gespräche nicht Unterhaltungsveranstaltungen bleiben sollen, dann kommen die Gesprächsteilnehmer nicht umhin, sich mit den konfessionellen Gegebenheiten und Perspektiven zum Thema Einheit realistisch auseinanderzusetzen. Für diese geistige Auseinandersetzung versucht dieses Buch die erforderliche Informationsbasis bereitzustellen und einige Hilfen zu geben.

Eine standortlose Perspektive, aus der sich Kirchen objektiv wahrnehmen und beschreiben ließen, gibt es nicht. In jede Aussage über Kirche geht die Perspektive des Autors mit ein. Der Verfasser dieses Textes ist in der protestantischen Kirche beheimatet, aber darin nicht gefangen. Ich bemühe mich darum, die Selbstverständnisse der Kirchen aus deren offiziellen Dokumenten zu entfalten. Die selbstkritischen Gedanken zu meiner Kirche formuliere ich selbst. Die Selbstkritik innerhalb der orthodoxen und römisch-katholischen Kirche lasse ich durch Stimmen aus diesen Kirchen zu Wort kommen.

Der Charakter des Buchs

Das Buch ist für Leser/-innen und für Gesprächskreise verfasst, die elementare Informationen zum Thema »Kirche« |9| und »Einheit der Kirche« suchen. Für die Vielfalt der Zugangsmotive wurde ein offenes Konzept gewählt, in dem sich jeder mit seinen Fragen und Interessen seinen eigenen Leseweg suchen kann. Das Buch ist zwar systematisch aufgebaut, aber doch so angelegt, dass man nach persönlichen Interessen an jeder Stelle »einsteigen« kann. Die einzelnen Kapitel sind so ausformuliert, dass sie in sich selbst verständlich sind und nicht die gesamte Lektüre des zuvor Dargelegten voraussetzen. Zudem sind Verweise auf Ergänzendes eingefügt. Die systematisch Lesenden werden mit Rücksicht auf die Lesegewohnheiten anderer dem Verfasser hoffentlich die Wiederholungen nachsehen, dort, wo sie sie stören.

Der Text beschreibt nicht nur den »Ist-Zustand« der konfessionellen Kirchenverständnisse, sondern zeigt, wie und weshalb das Gewordene so geworden ist, wie es gegenwärtig ist und wo die entscheidenden Weichen dafür gestellt wurden. Er beschränkt sich dabei bewusst auf jene wesentlichen Elemente und Grundstrukturen, die die Leser/-innen kennen müssen, um sich ein eigenes Urteil über die Möglichkeiten und Chancen einer kirchlichen Einheit zu bilden und am Gespräch über die Einheit der Kirche produktiv teilnehmen zu können.

|10| 1 Was uns die Namen der Kirchen sagen

1.1 Was bedeutet »katholisch«?

Seit dem 4. Jahrhundert bekennen alle Christen die »eine heilige katholische und apostolische Kirche«. In diesem Bekenntnis definiert sich die Glaubensgemeinschaft der Christen. Die genannten vier Charakteristika (eine; heilige; katholische; apostolische) sind allesamt erklärungsbedürftig. Sie werden in unterschiedlichen Zusammenhängen zur Sprache kommen. Hier soll zunächst nur auf die mehrdeutige Bezeichnung »katholisch« eingegangen werden.

Unser deutsches Wort »katholisch« ist von gr. katholikós abgeleitet und bedeutet »allgemein«. Seit etwa 100 wurde »katholisch« im Sinn von »allgemein« auf die christliche Kirche bezogen. Während der Auseinandersetzungen mit häretischen Strömungen im 3. Jahrhundert nahm »katholisch« die Bedeutung von »rechtgläubig« an. Das Religionsedikt von 380 (Theodosius I.) erhob das Christentum unter der Bezeichnung ecclésia catholika zur alleinberechtigten Reichsreligion. Der Kirchenvater Augustinus († 430) verstand »katholisch« als »umfassend«, »rechtgläubig«, »über die ganze Erde verbreitet« und »immer, überall und von allen geglaubt«. Diese ungeteilt umfassende Kirche zerbrach freilich. Papst Nikolaus I. von Rom (863) und Photius, der Patriarch von Konstantinopel (867) belegten einander mit Bannflüchen und exkommunizierten die Gegenseite. 1054 trennten sich Ost- und Westkirche definitiv voneinander. Beide Kirchen reklamierten fortan für sich, den einen allumfassenden und rechten apostolischen Glauben zu besitzen und zu bewahren und allein im ursprünglichen Sinn »katholisch« zu sein.

Seit dem 12. Jahrhundert wurde in Rom »katholisch« immer eindeutiger mit »römisch« gleichgesetzt. Im gegenreformatorischen |11| Konzil von Trient von 1545–1563 hat sich die inzwischen rom- und papstzentrierte Kirche des Westens als die »heilige katholische apostolische und römische Kirche« definiert. Im Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis, die eine wahre Kirche zu sein, nahm sie aber mit der zusätzlichen Bezeichnung »römisch« den Charakter einer von nun zwei christlichen Konfessionen an, ohne freilich ihren Absolutheitsanspruch aufzugeben. Im Lehrbekenntnis von Trient wurden alle Amtsträger auf die »Heilige Römische Kirche« verpflichtet. Der vom Trienter Konzil angeregte Katechismus wurde mit Bedacht »Römischer Katechismus« genannt. 1568 wurde das »Römische Brevier« und 1570 das »Römische Messbuch« veröffentlicht. Der Begriff »katholisch« wurde damit auf den Traditionsstrang Roms verengt, aber zugleich mit der Fülle und Ganzheit der christlichen Tradition gleichgesetzt.

1.2 Was bedeutet »orthodox«?

In unserer Alltagssprache gilt als »orthodox« derjenige, der an alten Lehrmeinungen starr festhält. In diesem Sinne kann auch zum Beispiel von einem orthodoxen Marxisten gesprochen werden. Die orthodoxe Kirche sieht sich mit diesem Wortverständnis nicht zutreffend charakterisiert.

Das griechische Wort orthodox ist aus zwei Wörtern zusammengesetzt. Das erste Wortelement, orthós, bedeutet »recht/ richtig«. Wir kennen diese Bedeutung z. B. aus dem Begriff »Orthographie/Rechtschreibung«. Das zweite Wortelement, dox, hat zwei unterschiedliche Wurzeln. Es findet sich zum einen in dem griechischen Wort dokein mit der Bedeutung von »meinen/glauben«. Die andere Wurzel liegt in dem griechischen Wort doxázein, »lobpreisen«.

Die orthodoxen Kirchen sehen sich als in allen genannten Wortdeutungen beschrieben. Mit »orthodox« als Selbstdefinition bringen sie zum Ausdruck, dass sie sich als die Kirchen |12| verstehen, die das urchristliche, apostolische und frühchristliche Erbe der Kirchenväter samt den sieben ökumenischen Konzilien unverfälscht bewahrt haben, und zwar im Unterschied zur Kirche des Westens, die aus ihrer Sicht davon abgewichen ist. So ist mit »Orthodoxie« die Kirche der rechten Glaubenslehre gemeint. Aber nach orthodoxem Selbstverständnis ist die Kirche nicht auf rechten Lehren und zeitlosen Dogmen gegründet. Der orthodoxe Theologe N. Thon formuliert zugespitzt: »Die orthodoxe Theologie hat … keine Tradition (im Sinne von Glaubenslehren), sie lebt die Tradition« (Thon, 921) Der orthodoxe Theologe G. Larentzakis verdeutlicht, dass sich seine Kirche »zunächst als Kirche der rechten Lobpreisung des dreieinigen Gottes« (Larentzakis, 15) versteht. Die rechte Lehre erwächst aus der rechten Lobpreisung. Orthodoxe Kirche ist nicht primär lehrende und belehrende Institution, sondern eine Gott preisende und betende Gemeinschaft. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass sie sich als »katholisch« im ursprünglichen Sinn versteht. In der heutigen Umgangssprache wird »orthodox« aber selbst von orthodoxen Christen nur selten in diesem inhaltlichen Sinn, sondern durchweg als Konfessionsbezeichnung verstanden.

1.3 Was bedeutet »protestantisch«?

Die Reformatoren wollten nicht eine neue Kirche, sondern Reformen in ihrer katholischen Kirche. Insofern stand eine Selbstbezeichnung für sie zunächst gar nicht an. Die Bezeichnung »Protestanten« kam von den Gegnern der reformatorischen Bewegung, die damit auf die »Protestation« der evangelischen Reichsstände beim 2. Reichstag von Speyer 1529 anspielten. Die reformatorische Bewegung charakterisierte sich selbst als »evangelisch« und meinte damit »dem Evangelium gemäß«. In der Umgangssprache gilt »evangelisch« heute |13| als Sammelbegriff für die lutherischen, reformierten und unierten Kirchen.

Mit dem Wort »protestantisch« verbindet man heute oft die Vorstellung von Protest und Widerspruch. Die reformatorische Bewegung bezog ihre Schubkraft aber nicht aus dem Widerspruch. Darauf weist der Wortsinn sehr deutlich hin. Das Wort »Protestant« ist aus den lateinischen Worten pro und testari entwickelt worden. Das Verb testari bedeutet »bezeugen/Zeuge sein«. Und pro bedeutet »für«. Ein christlicher protestans (Protestierender) ist demnach einer, der sein Zeugnis für Christus auch öffentlich zum Ausdruck bringt und der dort seinen Einspruch und Widerspruch äußert, wo nach seinem Verständnis das Christuszeugnis, wie es uns in den neutestamentlichen Schriften vorliegt, verdunkelt, verfremdet oder durch fremde Elemente ersetzt wird. Der Impuls des Protestantischen kommt bis heute also nicht aus dem Protest gegen etwas oder gegen jemanden, sondern aus der Verpflichtung, in Glaubensfragen dem Zeugnis der Schrift Vorrang zu geben. Das kommt in der missverstehbaren Kurzformel sola scriptura (allein die Schrift) zum Ausdruck, worauf noch näher einzugehen sein wird.

Luther, Calvin und die anderen Reformatoren haben ihren Glauben selbstverständlich als fides catholica, als katholischen Glauben im frühchristlichen Wortsinn verstanden und die heutigen Protestanten tun das auch. Die Bekenntnisschriften der lutherischen und reformierten Kirchen definieren sich bewusst als »katholische Bekenntnisse«, als Bekenntnisse zu der einen allgemeinen christlichen Kirche, in die die Christusgläubigen jenseits aller Konfessionsgrenzen als Gemeinschaft eingebunden sind. Es sei freilich auch gesagt, dass römische Katholiken ihren Glauben ebenfalls in der biblischen Botschaft begründet sehen und sich insofern als »evangelisch« verstehen.

|14| 1.4 Der Bedeutungswandel von »katholisch«

Das Wort »katholisch« ist im theologischen Selbstverständnis aller christlichen Konfessionen in seinem ursprünglichen Sinn fest verankert. In der Umgangssprache hat es diesen ursprünglichen Sinn weitgehend verloren und ist zur gängigen Konfessionsbezeichnung der römisch-katholischen Kirche geworden. Diese Reduktion wird von der römisch-katholischen Obrigkeit gefördert. Selbst in offiziellen Verlautbarungen der römisch-katholischen Kirche im deutschsprachigen Raum fällt das »römisch« oft weg und wird nur von der »katholischen Kirche«, vom »katholischen Katechismus«, von der »katholischen Erwachsenenbildung gesprochen«. Oft wird sogar auch die Bezeichnung »katholisch« weggelassen und nur von »der Kirche« oder von der »Deutschen Bischofskonferenz« gesprochen und geschrieben, so, als gäbe es nur die eine Kirche und nur römisch-katholische Bischöfe. Die romfreundliche Presse bezeichnet den römischen Papst als »das Oberhaupt der Christen« Diese Verkürzungen bringen das Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche allerdings sehr wirkungsvoll zum Ausdruck, die sich ja tatsächlich als die christliche Konfession versteht, in der allein die Fülle der christlichen Wahrheit verwirklicht ist.

Die Tendenz, das Wort »katholisch« exklusiv für die römisch-katholische Kirche zu reklamieren, kommt auch in der deutschsprachigen Fassung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses zum Ausdruck. Einer Kommission von Vertretern der römisch-katholischen, der protestantischen und der altkatholischen Kirchen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz war es 1970 gelungen, eine gemeinsame deutschsprachige Fassung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses zu erstellen. Lediglich bei dem Wort catholica war eine Einigung nicht möglich. Die protestantischen Kirchen hielten es für nötig, das Wort »katholisch« wegen seiner konfessionellen Engführung |15| im gegenwärtigen Sprachbewusstsein mit »christlich« zu übersetzen, um so die allen Konfessionen übergeordnete christliche Glaubensgemeinschaft im Blick und im Bewusstsein zu halten, die alle altchristlichen Bekenntnisse meinen.

Die römisch-katholischen Vertreter bestanden darauf, das Wort »catholica« unübersetzt beizubehalten. So bekennen römisch-katholische Christen ihren Glauben mit den Worten: »Ich glaube die heilige katholische Kirche«. Sie meinen in ihrer Mehrzahl ganz unbefangen mit »katholisch« die römisch-katholische Kirche, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass sie sich damit aus der alle Christen umfassenden Glaubensgemeinschaft ausgliedern. Diese volkstümliche Gleichsetzung von »katholisch« mit »römisch-katholisch« ist von römischer Seite deshalb gern gesehen, weil sie dem theologischen Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche entspricht, die einzige Kirche zu sein, in der die allumfassende Einheit der Glaubenden bereits voll verwirklicht ist. Das ökumenische Bekenntnis ist dabei zwar sprachlich gewahrt, aber inhaltlich in exklusiv römischer Weise neu definiert.

|16| 2 Die Anfänge von Kirche

Die Geschichte der Kirche, das Verständnis ihres Wesens und ihrer Funktionen, entwickelten sich nicht aus einem einheitlichen Konzept, sondern entfaltete sich aus vielfältigen Ansätzen. Dieser historische Tatbestand weist bereits auf jenes Spannungsfeld hin, das wir seit einem Jahrhundert als das Problem von Einheit und Vielfalt der Christenheit diskutieren und in dem Begriff »Ökumene« bündeln. Von der lange gehegten Vorstellung, dass am Beginn eine einheitliche Kirche existiert habe, die erst später in mehrere Teile auseinanderbrochen sei, müssen wir uns verabschieden.

2.1 Der Ursprung des griechischen Wortes ekklesía(Kirche)

Was drückt sich in der Selbstbezeichnung ekklesía aus, mit der die Urgemeinde in Jerusalem ihre Gemeinschaft charakterisierte? Die älteste schriftliche Erwähnung finden wir in einer biographischen Notiz des Apostels Paulus in seinem Brief an die Galater, geschrieben 52/53: »Unerbittlich verfolgte ich die ekklesía Gottes und suchte sie zu vernichten« (Gal 1,13).

Ekklesía bedeutet im profanen Griechisch »Volksversammlung«. Bezogen auf die Gemeinde deutet das auf eine überschaubare Versammlung hin, die inhaltlich durch eine besondere Beziehung zu Gott charakterisiert ist. So wird man sich unter ekklesía nicht eine Kirche im Sinne einer Großorganisation vorzustellen haben, sondern eine konkrete örtliche Gemeinde, in der sich Christen versammelten, sei es in Jerusalem oder an anderen Orten.

Unser deutsches Wort »Gemeinde« hält den Charakter der konkreten örtlichen Versammlung fest. Das deutsche Wort »Kirche« ist wohl von dem griechischen kyriakós (zum |17| Herrn gehörig) abgeleitet und charakterisiert die Gruppe, die sich um ihren Mittelpunkt, den Herrn, versammelt. Das gilt entsprechend auch für die späteren Versammlungsgebäude derer, die sich als »zum Herrn gehörig« verstehen.

2.2 Die Anfänge von Gemeinde und Kirche

2.2.1 Der historische Jesus und Kirche

Gemeinde im Sinne einer Versammlung derer, die aus dem Geist Jesu leben, gibt es erst nach Ostern. Es überrascht daher nicht, dass der Begriff ekklesía in der Jesusüberlieferung der Evangelien nicht auftaucht. Die beiden Stellen in Mt 16,18 und 18,17, an denen von ekklesía die Rede ist, gelten in der bibelwissenschaftlichen Forschung seit langem als späte sekundäre Bildungen der palästinensischen Gemeinde. Das Markus- und das Lukasevangelium kennen diese Texte nicht, und auch im Johannesevangelium kommt der Begriff ekklesía nicht vor. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Jesus die Absicht hatte, eine Kirche zu gründen, oder das gar getan hätte. Ob und inwiefern eine Kirche aus dem Wirken des irdischen Jesus notwendig hervorging, wird an anderer Stelle zu erörtern sein.

2.2.2 Die Urgemeinde

Historisch kann als gesichert gelten, dass sich schon sehr bald nach dem gewaltsamen Tod Jesu im Jahr 30 christliche Gemeinden bildeten. Eine Schlüsselstellung nahm in der Anfangszeit die Urgemeinde in Jerusalem ein. Hier in Jerusalem, der Mitte und dem Heilsort Israels, hatten sich die maßgeblichen Persönlichkeiten des Jüngerkreises Jesu versammelt, zu denen Petrus mit dem »Kreis der Zwölf« gehörten. Sie waren überzeugt, dass mit der Auferstehung Jesu von den Toten die von Jesus verkündigte Endzeit angebrochen sei. Sie wussten Jesus in ihrer Mitte gegenwärtig und verstanden sich als der |18| Kern des erneuerten Gottesvolkes. Sie nannten sich »die Heiligen«, »das heilige Volk«, »die Auserwählten«, »das auserwählte Geschlecht« und »die königliche Priesterschar«. In der Gewissheit der Gegenwart Christi wussten sie sich zur Predigt und zum Handeln in seinem Namen ermächtigt und stark gemacht.

2.2.3 Erste heidenchristliche Gemeinden

Zur Jerusalemer Urgemeinde gehörten nicht nur Juden. Auch Männer, die aus hellenistischen Kreisen der jüdischen Diaspora stammten, hielten sich zur Urgemeinde. Ihr Sprecher war Stephanus. Hellenistische Judenchristen darf man sich auch als die ersten Missionare vorstellen, die außerhalb Jerusalems Gemeinden um sich sammelten. Das geschah ohne jede zentrale Organisation, rein aus dem Impuls heraus, die von Jesus verkündete Heilsbotschaft auch zu den nichtjüdischen Menschen zu bringen. Als Paulus im Jahr 33, also drei Jahre nach Jesu Tod, seine Heidenmission begann, traf er bereits einige nichtjüdische Christengemeinden an.

Bei einem Treffen mit den Leitern der Urgemeinde (Petrus, Herrenbruder Jakobus und Johannes) im Jahr 48 erwirkte Paulus, dass Nichtjuden, die sich der christlichen Gemeinde anschlossen, keinerlei jüdische Ritualgesetze zu erfüllen hatten. Mit dieser Entscheidung war der christlichen Botschaft der Weg in die religiös so vielfältige hellenistische Welt freigemacht. So entstanden durch private Initiativen (oft durch Händler, die in der Welt herumkamen), vor allem in den Zentren des Römischen Reichs christliche Gemeinden.

2.2.4 Charakter und Gestalt der ersten Gemeinden

Das einigende Band zwischen den Gemeinden war die Christusbotschaft. Die Art und Weise, in der die Gemeinden ihr Gemeinschaftsleben organisierten und ihre Versammlungen gestalteten, hing allerdings von den Gegebenheiten und den |19| Möglichkeiten am Ort ab. Von Beginn an war es entsprechend vielgestaltig.

Rechtlich oder kultisch geregelte Ämter gab es in den frühen Gemeinden nicht. Jesus hat nirgends Amtsträger eingesetzt. Er rief Menschen in seine Nachfolge. Damit berief er sie in eine Art Dienstgemeinschaft, die den Auftrag hatte, zur Umkehr zu rufen und die anbrechende Herrschaft Gottes auszurufen. Die Begriffe apóstolos, epískopos und diákonos bezeichneten Funktionen, die aber weder mit einer besonderen Stellung noch einem Rechtsstatus noch einer hohen Würde einhergingen. Diese inoffizielle offene Form einer Glaubens- und Dienstgemeinschaft dürfte der Normalfall von Gemeinde in den beiden ersten Generationen gewesen sein.

2.2.5 »Die Zwölf«

Die synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus,. Lukas) berichten, dass Jesus zwölf Apostel berufen hat, deren Namen – mit kleinen Abweichungen – auch genannt werden. Der älteste dieser Texte liegt in Mk 3,13–19 vor: »Und er steigt auf den Berg und ruft zu sich, die er um sich haben wollte; und sie traten zu ihm hin. Und er bestimmte zwölf, die er auch Apostel nannte, die mit ihm sein sollten und die er aussenden wollte, zu verkündigen und mit Vollmacht die Dämonen auszutreiben. Und er bestimmte die Zwölf: Simon, dem er den Beinamen Petrus gab, und Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, den Bruder des Jakobus, denen er den Beinamen Boanerges gab, das heißt ‹Donnersöhne›, und Andreas und Philippus und Bartolomäus und Matthäus und Thomas und Jakobus, den Sohn des Alfäus, und Thaddeus und Simon Kananäus, und Judas Iskariot, der ihn dann auslieferte.«

Umstritten ist, ob dieser Text einen historischen Vorgang wiedergibt. Plausibel ist die Einsetzung der »Zwölf« hingegen als Zeichenhandlung, mit der zum Ausdruck gebracht wird, |20| dass Jesu Verkündigung darauf zielt, ganz Israel (repräsentiert durch die zwölf Stämme) als das endzeitliche Volk Gottes zu sammeln. Historisch hatte dieser Zwölferkreis wohl keine langfristige Bedeutung. Als Paulus nach seinem Damaskuserlebnis Jerusalem etwa im Jahre 35 erstmals besuchte, verhandelte er nach Gal 1,18f mit den »Aposteln« Petrus und Jakobus, dem Bruder Jesu, der aber nicht zu dem Zwölferkreis gehörte. Der Zwölferkreis verlor bald nach Jesu Tod seine Bedeutung, schon deshalb, weil mit der Heidenmission die Christusbotschaft über Israel hinausdrängte.

2.2.6 Der Charakter der Jerusalemer Urgemeinde

In der Urgemeinde in Jerusalem war eine besondere Organisation zunächst nicht erforderlich, weil sie sich noch im Verband der Synagoge befand. Einer konkreten Struktur bedurfte sie erst dann, als sie sich vom Tempel und der Synagoge löste und als eigenständige Gemeinschaft formierte. In Anlehnung an den jüdischen Ältestenrat bildete man wohl ebenfalls einen Leiterkreis, dessen Sprecher Petrus war. Ob der Kreis der Zwölf dabei noch eine Rolle spielte, ist nicht mehr zu ermitteln. Da sich Petrus wegen seiner Missionstätigkeit unter Juden nur noch selten in Jerusalem aufhielt, übernahm der Herrenbruder Jakobus die Leitung der Gemeinde. Unter seinem Einfluss erhielten die jüdischen Traditionen wieder größeres Gewicht, und das Ältestenamt nahm deutlichere Gestalt als Hüteramt hinsichtlich der Tradition an.

Von einer Besonderheit der Jerusalemer Urgemeinde berichtet Apg 6,1–6. Danach wurde ein Kreis von sieben Personen eingerichtet, der sich der Belange und der sozialen Probleme jener hellenistischen Judenchristen annahm, die in Jerusalem wohnten. Diese Griechisch sprechenden Judenchristen, die nicht am synagogalen und kultischen Leben des Tempels teilnahmen und auch die jüdischen Ritualgesetze nicht einhielten, bildeten wohl schon sehr früh eine eigenständige Gruppe |21| innerhalb der Urgemeinde. Ihr Sprecher, Stephanus, wurde wegen seiner Christusbotschaft und seiner gesetzeskritischen öffentlichen Äußerungen vor der Stadt gesteinigt. In der Apostelgeschichte heißt es dazu: »Und die Zeugen legten ihre Kleider ab, zu Füßen eines jungen Mannes namens Saulus. … Saulus war einverstanden mit dieser Hinrichtung« (Apg 7,58 und 8,1). Daraus ist zu schließen, dass Stephanus unter den Augen des Saulus/Paulus zwischen 30 und 33 wegen seines Christuszeugnisses als der erste Märtyrer der Christenheit zu Tode gebracht wurde.

2.2.7 Die judenchristlichen Gemeinden im syrisch-palästinensischem Raum