Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Hans-Walter Hoppensack, geb. 1957, ist autorisierter Zen-Lehrer und Kursleiter. Er war 34 Jahre reformierter Gemeindepfarrer in Schwanden, Kt. Glarus. Seine Zen-Kurse finden im Lassallehaus Bad Schönbrunn bei Zug statt
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 115
Veröffentlichungsjahr: 2022
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Vorwort
Kindheit und Jugend im Pfarrhaus und im CVJM
Studium – Bruch und Neuanfang
In der Kirche
Kirchlich-christlicher Pfarrer-Alltag
Glaube und Weltbild
Zen – die Anfänge
Individualpsychologie – Gewaltfreie Kommunikation
Zen – worum es geht
Radikal vergeben können
Radikal bescheiden werden
Perspektivenwechsel
Anmerkungen
Kontakt – Links
Vor einem Jahr, als wir miteinander philosophierten, fragte mich ein älterer Freund: „Warum schreibst du deine Geschichte nicht einmal auf?“ Im ersten Moment dachte ich: „Vergiss es! Ich schreibe nur ungern Bücher!“ Schon während meines Studiums war es nicht gerade mein Hobby, Seminararbeiten oder Ähnliches zu verfassen. Auch Predigten habe ich nur über eine kurze Zeit meines Pfarrerlebens geschrieben. Doch der Gedanke liess mich während der darauffolgenden Nacht nicht los. Und so erzähle ich meine Geschichte mit aller Subjektivität meiner selektiven Erinnerung. Ich tue es für mich, weil es mir Freude macht und Klarheit schafft. Meine Hoffnung ist, dass die Leserinnen und Leser von den Einsichten und Erfahrungen profitieren können, die sich in meinem Leben als Pfarrer und Mensch manifestierten. Mein Weg führte mich von fundamentalistischen und eher weltfremden Glaubenssätzen zu einer Glaubens- und Lebenspraxis, die auch für einen modernen Menschen annehmbar und hoffentlich hilfreich ist. Es ist eine Auseinandersetzung mit traditionellen Glaubensinhalten und religiöser Praxis bis hin zu einer Spiritualität, die sich in meinem Alltag bewährt hat. So findet der Leser in diesem Buch eine bunte Mischung aus Theologie, Psychologie und Spiritualität. Ich danke allen meinen Lehrerinnen und Lehrern, die mir auf meinem Weg begegnet sind, und die dazu beigetragen haben, dass ich heute dort stehe, wo ich stehe.
Hans-Walter Hoppensack
Im zumindest damals „frommen Siegerland“, in Siegen-Weidenau, Nordrhein-Westfalen, durfte ich recht behütet und im Wesentlichen unbeschwert meine Kindheit und Jugend verbringen. Mein Vater war ein geschätzter Pfarrer seiner Gemeinde und meine Mutter Pfarrfrau mit Leib und Seele. Sie waren ein gutes Team und wussten, was sie aneinander hatten. Die Atmosphäre war christlich-traditionell geprägt, ohne eng zu sein. Tischgebete und das Singen christlicher Lieder gehörten selbstverständlich zum Alltag. Natürlich besuchte ich den Kindergottesdienst (Sonntagsschule), in dem ich mit den wichtigsten biblischen Geschichten vertraut gemacht wurde. Ich weiss noch, dass ich es kaum erwarten konnte, endlich auch mitzudürfen, und traurig war, als ich noch nicht mit in die Kirche durfte, weil ich noch zu jung war. Natürlich war es nicht mein religiöses Interesse, sondern ich wollte einfach dazu gehören.
Ich war vielleicht 10 Jahre alt, da wünschte ich mir, zu den Pfadfindern zu gehen, denn deren Abenteuer in Feld und Wald sowie ihr Lagerleben lockten mich. Das war jedoch nicht möglich, da die Pfadfinder katholisch waren. Nicht, dass meine Eltern mir das verboten hätten, sondern es kam einfach nicht in Frage. Als Alternative bot sich die „Jungschar“ des örtlichen CVJM an (Christlicher Verein Junger Männer/ heute: Menschen). Dieser wiederum war angeschlossen an die sogenannte „Gemeinschaft“, in Süddeutschland und der Schweiz auch als „Stündeler“ bekannt. Dort ging ich hin und genoss das Zusammensein mit den anderen Knaben. Damals war es selbstverständlich, dass es nur Buben waren, für die diese Arbeit gemacht wurde. Später kam auch eine Mädchen-Jungschar hinzu. So ging ich bis zur Konfirmation, in Deutschland damals mit zirka 14 Jahren, jeden Samstag in diese Jungschar. Das Programm war: Spielen im Gemeinschaftsraum, Geländespiele, Vorlesen und Ähnliches mehr und einmal pro Monat eine Bibelstunde. Ausserdem wurde zum Ende eines jeden Spielnachmittages eine Andacht und damit verbunden eine „Gebetsgemeinschaft“ abgehalten, in der diejenigen, die sich trauten, laut einen oder mehrere selbstformulierte Sätze beteten. Die Andacht wurde vom Leiter oder einem „Mitarbeiter“, ältere Jugendliche, gehalten und dauerte ungefähr 10 Minuten. Im Rückblick glaube ich, dass wir Jungs das mehr ertragen als geliebt haben. Auch die Bibelstunden-Nachmittage waren nicht unsere Favoriten. Aber wir haben es auch nicht in Frage gestellt. Es war einfach so und gehörte zum Paket dazu. Das Ziel dieser Andachten war, dass wir uns irgendwann einmal bekehrten, „Jesus als unseren persönlichen Herrn und Heiland annahmen“ und „Christen“ wurden. Negativ in Erinnerung im Zusammenhang mit den Andachten war die starke Betonung darauf, dass wir alle Sünder waren und errettet werden mussten. Die Aussage einer Andacht ist mir bis heute in der Erinnerung geblieben. Der Leiter hatte damals als Beispiel eine Briefmarke gewählt und in dem Zusammenhang deutlich gemacht: Mit unserem Wert verhalte es sich wie mit einer Briefmarke: Wenn sie irgendwie beschädigt ist, hat sie keinen mehr. Und eine Sünde – auch im Grunde Kleinigkeiten – seien solche Beschädigungen bei uns selbst. Wir verlören unseren Wert und müssten errettet werden, in dem wir bereuen und uns bekehren. Der genaue Wortlaut ist mir nicht mehr gegenwärtig, aber das Bild ist geblieben. Die Verwendung solcher Bilder ist aus meiner heutigen Sicht eine Katastrophe und dürfte eigentlich nicht sein. Zur Entlastung muss ich sagen: Sie/wir/ich wussten nicht, was wir taten.
Der Höhepunkt in einem Jungschar-Jahr war das Sommer-Zeltlager irgendwo auf einer Wiese in der weiteren Umgebung. Da gab es dann ein bisschen Pfadfinder-Technik. Ich habe diese Lager genossen und geliebt. Wir mussten unter anderem jede Nacht abwechselnd Wache schieben. Wir sassen immer zu zweit oder zu dritt um das Lagerfeuer und machten unsere Kontrollgänge. Die Nachtwache dauerte von 22.00 bis 4.00 Uhr in der Früh, eine Schicht umfasste 2 Stunden. Diese Nachtwachen waren nötig, da wir nie sicher waren vor Überfällen durch andere Jugendliche oder Kinder, die unseren Wimpel stehlen wollten. Wenn dann so ein Überfall stattfand, ging die Post ab. Später, als ich aus dem Jungschar-Alter heraus war, habe ich selbst an solchen Überfällen teilgenommen, damit die Jungen etwas zu erleben hatten. Das sind die schönen Erinnerungen!
Problematisch waren aus heutiger Sicht die Praxis der Abendandachten am Lagerfeuer mit ihrer speziellen Atmosphäre. Da wurde konkret und immer wieder zur Bekehrung aufgerufen mit dem Angebot, im Anschluss an die Andacht mit einem Mitarbeiter zu sprechen und mit ihm ein „Übergabegebet“ zu sprechen. Besonders gegen Ende der Lagerwoche wurden diese Appelle immer dringender. Irgendwann, ich weiss nicht mehr genau wann, vielleicht mit 12 Jahren, habe auch ich mich entschieden und diesen Schritt getan und wurde ein Christ. Ich wurde es zumindest gemäss meinem damaligen Verständnis und dem religiösen Umfeld.
Später als Mitarbeiter ging es im Anschluss an ein Lager darum, wieviel Jungen „sich für Jesus entschieden“ hätten. Waren es viele, war das Lager ein Erfolg. Ich habe diese Praxis damals nicht in Frage gestellt oder kritisiert. Obwohl es hoch manipulativ war, hatte niemand ein schlechtes Gewissen. Es ging schliesslich darum, „Menschen für Jesus zu gewinnen“, sie zu retten vor der ewigen Verdammnis. Und man wusste aus Erfahrung: Die Stimmung am Lagerfeuer war ein perfekter Zeitpunkt, um Kinder zu dieser Entscheidung zu führen oder diese Entscheidung herbeizuführen. Um nicht missverstanden zu werden: Ich habe damals, soweit ich mich erinnern kann, diesen Schritt nicht aus Angst vor der Hölle vollzogen – zumindest nicht bewusst. Was gesagt und gepredigt wurde, hat mich scheinbar überzeugt, oder es war doch dieser drängende Unterton, sich „heute“ entscheiden zu müssen, denn „morgen könnte es zu spät sein“.
Aus meiner heutigen Perspektive betrachtet, ist es natürlich im Grunde ziemlich verrückt zu glauben, Gott erwarte einen solchen Glauben und eine derartige Entscheidung von einem Menschen. Auf Grund dieses Glaubensschrittes gehe dieser dann nicht verloren, sondern kommt nach seinem Tode in den Himmel. Und jeder, der aus welchen Gründen auch immer, sich nicht zu dem entsprechenden Glauben durchringen kann oder „nicht zum Glauben“ kommt, findet sich im Jenseits in der Hölle wieder. Ein solcher Gott wäre ein ziemlich seltsamer Gott. Mit dem skizzierten Glaubensmodell hängt allerdings die durchaus biblisch begründete „Opfertheologie“ zusammen, nach der der Tod Jesu Christi DAS Opfer ist, das nötig war, damit wir nicht für unsere Sünden bestraft werden, wenn wir daran glauben, dass „er für uns gestorben“ ist. Stellvertretend für alle anderen Bibelstellen, die eine solche Deutung des Todes Jesu nahelegen, sei Jesaja 53, 5 angeführt: „Er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Diese Bibelstelle wurde zur Deutung des Todes Jesu herangezogen. Nach dieser Auffassung braucht es ein Opfer, damit Gott den Menschen gnädig ist. Das widerspricht fundamental meiner Vorstellung von einem verstehenden und bedingungslos liebenden Gott. Jesus selbst sprach, gemäss der Überlieferung, übrigens verschiedenen Menschen voraussetzungslos die Vergebung der Sünden zu, ohne dass sie einen Glaubensschritt getan hätten, ihre Sünden bereut oder um Vergebung gebeten hätten (vgl: Mt. 9,2ff; Lk. 7,48). Im Altertum war jedoch die Meinung verbreitet, man müsse die Götter gnädig stimmen – wofür auch immer. Doch diese Götter waren nach meiner Auffassung in den Himmel projizierte Übermenschen, die abgesehen von ihren übernatürlichen Fähigkeiten mit all ihren Eifersüchteleien und Intrigen ziemlich menschlich agierten. Man denke an das griechisch-römische Pantheon und die entsprechenden Sagen und Legenden. Die Opfertheologie-Lehre ist jedoch nicht nur im fundamentalistisch-evangelikalen Lager vertreten, sondern findet ihren Niederschlag auch in den Passionsliedern des reformierten Kirchengesangbuches, in der Liturgie des reformierten Abendmahls und der römischkatholischen Messe. Wichtig sind in diesem Kontext die sogenannten Einsetzungsworte, die sich in verschieden Varianten in Mt 26,26–29; Mk 14,22–25; Lk 22,17–22 als auch in 1. Kor 11,23–26 finden. “Der Herr Jesus in der Nacht, da er verraten ward und mit seinen Jüngern zu Tische sass, nahm das Brot, sagte Dank und brach es, gab es seinen Jüngern und sprach: Nehmet hin und esset; das ist mein Lei, der für euch gegeben wird. Das tut zu meinem Gedächtnis." Desgleichen nach dem Mahl nahm er den Kelch, sagte Dank, gab ihnen den und sprach: "Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Neuen Bundes, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Das tut zu meinem Gedächtnis.“ In meinem späteren Pfarrerleben hatte ich meine liebe Mühe damit, mich von dieser Lehre vollständig zu lösen und eine Umdeutung vorzunehmen.
Um es nochmals klarzustellen: Niemand handelte böswillig oder berechnend! Es ging ja auch nicht um den eigenen Vorteil. Und gerade die Älteren und die Erwachsenen, bei denen letztlich die Leitung lag, hatten erfahren, dass Ihre Entscheidungen damals keine Strohfeuer, sondern der Beginn eines „bewussten Lebens als Christen“ waren. Was sollte daran schlecht sein?! Dabei kommt mir in den Sinn, dass es möglicherweise unter den Jungschar-Mitarbeitern ein gewisses Wetteifern gab. Wer hält die beste Andacht, bei der sich die meisten bekehren? Aber die Erinnerung daran ist eher dunkel, und die Andacht am letzten Abend hielt sowieso immer der Lagerleiter.
In der CVJM-Jungschar also begann mein evangelikal-fundamentalistisch christlicher Weg. Nach der Konfirmation wurde ich Jungschar-Mitarbeiter und hielt – wie die anderen – meine Andachten. Ich kann mich noch an die ersten Andachten erinnern. Sie waren eher kurz. Ich konnte noch keine 10 Minuten füllen mit Sprechen über einen Bibeltext. Sicher aber begann hier mit 15 Jahren meine Schulung und Ausbildung zum Pfarrer. Zu Glück war es eine erfolgreiche Schulung, wie mir später bescheinigt wurde.
Zu meiner Rolle als Jungschar-Mitarbeiter kam die Mitgliedschaft im Jugendchor der „Gemeinschaft“. Zum besseren Verständnis: Die „Gemeinschaft“ war ein Verein von Christen, die neben der Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche zusätzlich ihre eigenen Zusammenkünfte im „Gemeinschaftshaus“ hatten, wie „Bibelbesprechstunden“ oder „Gebetsstunden“. Der CVJM war unter ihrem Dach zuhause und dementsprechend fundamentalistisch-evangelikal geprägt. Unser Jugendchor war eine – die erste und einzige gemischgeschlechtliche – Jugendgruppe innerhalb der „Gemeinschaft“. Man blickte deshalb besorgt auf uns, und was wir machten, damit ja nichts passierte, was nicht sein durfte. Dabei waren wir ziemlich arglos und trafen uns sogar zu extra Bibelstunden neben unseren Chorproben, in denen wir über Bibeltexten brüteten. Aus dieser Jugendgruppe wurden später vier Personen Pfarrer, mich eingeschlossen, und einer wurde Missionar. Allerdings hatten die „Brüder“ (Leiter der „Gemeinschaft“) natürlich auch recht in ihrer Besorgnis, denn wir waren nicht wirklich zu kontrollieren und wollten uns auch nicht kontrollieren lassen. Heute kommt es mir wir eine Mini-Rebellion vor, wie wir damals unser Ding innerhalb der engen Grenzen durchzogen. Ich war nie offiziell in der Leitung, hatte aber doch gewissen Einfluss und galt als rebellisch. In meiner Erinnerung war ich in der Weise aufmüpfig, als ich den „Alten“ vorhielt, sie seien nicht konsequent und nähmen bestimmte Bibelstellen nicht ernst genug. Das bezog sich damals auf die „Lehre vom Heiligen Geist“, der „Geistestaufe“(1) und den sogenannten Geistesgaben, von denen im 1. Korinther Brief die Rede ist. In den Pfingstkirchen werden diese Lehren betont und versucht zu leben. Ich war also in ihren Augen ein Abweichler und wollte die Alten „rechts“ überholen, in dem ich die Bibel noch wörtlicher nahm als sie.
Was mir damals tatsächlich fehlte, waren religiöse Erfahrungen, die sich mit Recht so nennen durften. Ich wollte nicht nur an Gott glauben, sondern Gott oder Göttliches erleben. In diesem Zusammenhang ist mir in Erinnerung geblieben, wie viele Personen in dieser religiösen Gemeinschaft „Zeugnis davon ablegten, wie sie erfahren hätten, dass Jesus ihnen ihre Sünden vergeben habe“. Doch an dieser Erfahrung hatte ich damals schon Zweifel. Ich hatte zwar „mein Leben Jesus übergeben“, aber Sündenvergebung „erfahren“ hatte ich nicht. Mir war gesagt worden, Jesus habe meine Sünden vergeben, was ich nur glauben konnte. Theorie und Praxis waren nicht eins. Niemand jedoch gab zu, dass er oder sie ähnliche Zweifel oder Mühe damit hatte – und ich natürlich auch nicht. Wenn etwas nicht stimmte, musste es ja an uns selbst liegen. Das gab Druck.
Druck gab auch das Gebot, Gott zu lieben über alle Massen. Dieses Gebot wollte ich damals durchaus erfüllen. Immerhin steht in der Bibel: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst“