Eisbär und Pinguin - Stefan Fourier - E-Book

Eisbär und Pinguin E-Book

Stefan Fourier

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Beschreibung

Sie können gegensätzlicher nicht sein: Der Eisbär vom Nordpol, der Pinguin vom Südpol - das Raubtier und ein harmloser, watschelnder Vogel. Doch sie verbindet die gleiche Gefahr, denn das Schmelzen der Pole durch die Klimaerwärmung bedroht beider Lebensräume. Weil es ihnen gelingt, den Egoismus zu überwinden, schafft das ungleiche Paar das Unmögliche: Sie heben die Welt im wahrsten Sinne des Wortes aus den Angeln, schaffen das Unmögliche und retten die Erde. Eine Fabel voller Witz und Charme, die zeigt, wie man gemeinsam statt gegeneinander große Ziele erreicht und dabei auch noch glücklich wird.

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Seitenzahl: 83

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Der Aufbruch

Die Begegnung

Der Impuls

Der Pakt

Die Lösung

Die Schwierigkeiten

Der Trick

Die Folgen

Das Fest

Die Zukunft

Der Aufbruch

Das erste Kapitel, in dem sich zwei Tiere, denen es zu warm geworden ist, auf den Weg machen, die Kälte wiederzufinden. Der eine sucht im Norden, der andere im Süden, und beide ahnen nicht, was sie letzten Endes finden werden.

„Das hat doch alles keinen Sinn mehr“, grummelte der Eisbär leise vor sich hin. Er lag ausgestreckt auf dem Bauch, das Kinn auf das rechte Vorderbein gestützt, und blinzelte mit halb geöffneten Augen in die Frühlingssonne. Sie stand tief am Horizont über den Eisfeldern, durch die vereinzelte Felsen hindurchschimmerten. Jetzt war wieder die Jahreszeit, in der einem das grelle Sonnenlicht den Mittagsschlaf verdirbt und in der man schon am frühen Morgen ins Schwitzen gerät. Seine Laune erreichte den Tiefpunkt. Vor einer Stunde hatte er sich auf den schönen, kühlen Schnee gebettet, und jetzt war er bereits in eine eklige, lauwarme Pfütze zerflossen.

Und dann erst der Hunger! Keine Robbe weit und breit. Alle nach Norden abgehauen. Nicht mal ein Lemming oder ein Seetaucher in Sicht. Seit Tagen nur Seetang, Seetang, Seetang. Pflanzenkost bis zum Erbrechen – eines Raubtiers einfach unwürdig. Müde schweifte der Blick des Eisbären zum Ufer. Dort lag auf dem von Schmelzwasser feuchten Kieselstrand noch ein abgenagtes Rentierskelett. Nicht einmal die Polarfüchse oder die Seemöwen fanden daran noch eine einzige Fleischfaser.

So war es stets in dieser Jahreszeit, in der sich die Eisbären der Wrangelinsel auf den weiten Weg nach Norden machten. Wie schon ihre Väter und Großväter und Urgroßväter verließen sie die Insel, sprangen von Eisscholle zu Eisscholle und schwammen viele, viele Kilometer Richtung Nordpol. Zum ewigen Eis, dahin, wo es in früheren Jahren immer noch schön kühl war. Wo es um diese Zeit noch leckere junge Robben gab. Und wo sie ihre Ruhe hatten vor diesem verdammten Frühling. Aber dieses Jahr hatte der Eisbär keine Lust, mit den anderen nach Norden zu ziehen. In den letzten Jahren war es dort nämlich auch nicht mehr richtig kalt geworden. „Das hat doch alles keinen Sinn mehr“, murmelte er noch einmal, atmete tief seufzend aus, schloss die Augen und versuchte, einfach weiterzuschlafen. Als er so vor sich hindöste, träumte er im Halbschlaf von seiner großen Liebe. Das schönste Weibchen, das er je gesehen hatte, mit einem strahlend weißen Fell und geheimnisvollen schwarzen Augen.

Und dann sah er noch einmal, wie er sie verloren hatte. Jämmerlich ertrunken war sie, völlig entkräftet, im letzten Frühling, auf dem Weg nach Norden. Er wollte mit ihr den Weg gemeinsam zurücklegen und musste mit ansehen, wie sie unterging. Da war er umgekehrt und hatte einen fürchterlichen Sommer auf der Insel verbracht, gehungert und gedarbt. Er konnte dieses Weibchen nicht vergessen. Und längst waren es viele, die ihre Liebsten an das Meer verloren hatten. Jedes Jahr zog sich das Eis weiter zurück, jedes Jahr wurde der Weg zum Packeis länger und jedes Jahr schafften es weniger Eisbären, die sommerlichen Jagdgründe zu erreichen. Es wurde einfach immer wärmer. Die Welt veränderte sich. Nichts war mehr so, wie die Großväter es gekannt hatten.

Am liebsten wäre der Eisbär einfach im Schneematsch liegen geblieben. Wenn bloß diese blöde Sonne nicht so stechen würde! Und wenn dieser elende Hunger nicht wäre! Missmutig öffnete er die Augen und richtete sich dann langsam auf. Erst erhob er sich mit den Hinterbeinen, dann mit den Vorderbeinen, dann stellte er sich hoch auf die Hinterbeine, bis er in seiner ganzen Größe aufrecht stand. Er ließ den Blick bis zum Horizont schweifen – und hatte eine Idee.

Er würde zu dem alten Eisbären gehen, dem Ältesten der ganzen Insel. Zu dem gingen immer alle, wenn sie Probleme hatten. Dieser Eisbär war schon fast fünfzig Jahre alt. Er war in einer Zeit groß geworden, in der niemand geglaubt hätte, dass das ewige Eis eines Tages schmelzen könnte. Den alten Eisbären würde er fragen, wohin er gehen sollte. Vielleicht nach Süden statt nach Norden? Möglicherweise suchten alle die Kälte in der vollkommen falschen Richtung?

Er machte sich auf den Weg und trottete zwischen bröckeligen Felsen und verharschten Schneefeldern hindurch, bis er zu einer weiten Mulde kam, in deren Mitte sich der Eingang zu einer Schlucht befand. Hier konnte die Sonne nicht herankommen, und so hatte sich eine dicke Schneedecke erhalten. Der Eisbär stapfte mit wachsendem vergnügen durch die kalte Pracht und erreichte den Eingang einer ausgedehnten Eishöhle.

„Komm nur herein“, brummte der Älteste in seiner Höhle, als der Eisbär mit seiner rechten Tatze vorsichtig an einen dicken Eiszapfen klopfte. „Hier drinnen ist es schön kühl.“ Und tatsächlich, die ganze Höhle war erfüllt von einer wohligen Kälte. Es war so kuschelig kalt, dass der Eisbär sogar seinen Hunger vergaß. Und als der Älteste ihm noch frisches Eiswasser mit großen, glänzenden Eiswürfeln zu trinken anbot, fühlte er sich gänzlich wie in Abrahams Schoß.

Würdevoll saß der Älteste tief in seinem Eispalast. Er thronte auf einem riesigen Eisblock, die Hinterbeine eingezogen, die Vorderbeine ausgestreckt, den Hals gerade und den Kopf leicht zur Seite geneigt. Es war ein Bild erhabener Ruhe und Kraft.

„Was führt dich zu mir?“, fragte der Älteste seinen Gast und sah ihn mit seinen dunklen Augen an.

„Ich sehe keinen Sinn mehr darin, mit den anderen nach Norden zu ziehen“, entgegnete der Eisbär. „Das Eis schmilzt, die Kälte verschwindet. Jedes Jahr kommen weniger von uns zurück.“

Der Älteste nickte verständnisvoll. Er kannte diese Klagen. Der Eisbär fuhr fort: „Warum probiert niemand etwas Neues? Warum suchen wir die Kälte nicht woanders?“ Der Alte nahm einen Schluck Eiswasser und sagte dann: „So ist es nun einmal. Die meisten tun einfach das, was sie immer getan haben. Jedes Jahr wieder.“

„Und wenn es nicht mehr klappt?“, fragte der Eisbär.

„Dann tun sie immer noch das, was sie gewohnt sind. Bloß heftiger und verzweifelter“, sagte der Älteste. Sein Ton war dabei milde und verständnisvoll.

„Das kann nicht sein!“, protestierte der Eisbär. „Wenn etwas nicht mehr klappt, dann muss man etwas Neues ausprobieren. Wenn die Kälte im Norden verschwindet, dann muss man sie eben im Süden suchen.“

„Du, mit deiner schwarzen Strähne“, sagte der Älteste lächelnd und betrachtete diese Besonderheit auf der Stirn des Eisbären, „du warst schon immer anders. Du bist mutiger als die anderen. Du gehst immer deinen eigenen Weg. Im Süden also? Warum nicht?“

„Ich soll also nach Süden gehen und dort die Kälte suchen?“, fragte der Eisbär.

„Das musst du selbst entscheiden“, entgegnete der Älteste. „Wenn ich jünger wäre, käme ich mit dir“, setzte er hinzu und hob seinen Kopf ein Stück höher. „Aber ich bin alt. Wenn du nicht gehst, wird niemand gehen. Tu es für uns!“ Bei diesen Worten spürte der Eisbär auf einmal eine bisher nicht gekannte Kraft in sich aufsteigen. Seine Muskeln spannten sich, und er sagte stolz und zuversichtlich: „Ja, ich gehe! Ich mache mich gleich auf den Weg. Ich wandere so weit nach Süden, bis ich dort die Kälte wiederfinde. Und wenn ich sie gefunden habe, kehre ich zu euch zurück und bringe die Kälte wieder zurück.“

„Tu es für uns!“, wiederholte der Älteste. Und er sah dem Eisbären lange nach, als dieser die Höhle verlassen hatte und sich auf den Weg nach Süden machte.

+++

Zur gleichen Zeit auf der anderen Seite der Erde. Ein eisiger Herbststurm fegte über die endlose Weite der Antarktis. Wie ein gewaltiger Trauerzug zogen die Pinguine in Richtung Meer. Hundert, fünfhundert, tausend Pinguine dicht an dicht. Nach vorn gebeugt und mit gesenkten Köpfen watschelten sie gleichmütig dahin, Schritt für Schritt, Meter für Meter, Kilometer für Kilometer. Der Wind pfiff nur so durch ihre Reihen, und die Eiskristalle prasselten auf ihr dichtes, schwarzweißes Gefieder. Aber sie senkten die Köpfe und liefen stetig weiter.

Bereits im Morgengrauen des Vortages hatten sie ihre Familien verlassen. Zwei, drei oder mehr Tage würden die zurückgebliebenen Weibchen und Jungen in der Kolonie ausharren müssen, bis der Zug der Tausend von der Jagd im Meer zurückkäme, die Bäuche voller leckerer Krebse und anderem Kleingetier. Doch der Weg war weit und beschwerlich. Die Eiswüste schien endlos zu sein. Ein ständiges Schnarren und Schnattern, welches das Heulen des Windes kaum übertönte, lag über dem Zug der Geplagten, die unaufhaltsam weiterzogen. Die Pinguine klagten sich gegenseitig ihr Leid.

„Immer müssen wir marschieren, marschieren“, jammerte einer in Reihe sechsundneunzig.

„Bei diesem Scheißwetter!“, ergänzte der Hintermann in Reihe siebenundneunzig.

„Andere Tiere haben es viel besser, viel besser“, klagte einer in Reihe fünfunddreißig.

„Nie, nie können wir uns mal Urlaub leisten“, seufze einer in Reihe hundertvier.

Dann, endlich, nach vielen Stunden beschwerlichen Marsches, lag das offene Meer vor ihnen. Der Sturm hatte sich verzogen, und ein wolkenloser Himmel verlieh der Wasseroberfläche ein geheimnisvolles Dunkelblau. Hier, wo die Eiswüste endete wie abgebrochenes Brot und der endlose Ozean begann, jagten die Pinguine immer und immer wieder nach Meeresgetier. Wie schon ihre Väter und Großväter und Urgroßväter.

Doch wer würde diesmal den Anfang machen? Bibbernd vor Angst standen die Pinguine an der schroffen Eiskante, einige Meter über dem Wasserspiegel. An Land hatten sie keine Feinde. Aber im Wasser, in ihren Jagdgründen, gab es furchtbare Biester, denen eine kräftige Pinguinmahlzeit gerade recht kam. Seelöwen und Seeleoparden, Haie und Schwertwale – ihnen allen lief das Wasser im Mund zusammen, wenn sie dieses appetitliche schwarzweiße Gefieder sahen, das sich auf dem hohen Festlandeis zusammendrängte.

„Spring du zuerst, du zuerst!“

„Nein, du, du!“

„Nein, das könnt ihr nicht von mir verlangen!“

Fast eine halbe Stunde ging es so hin und her. Die Pinguine starrten auf das Wasser und zitterten und schnarrten. Da fasste sich der Pinguin mit dem blassen orangefarbenen Fleck auf dem Bauchgefieder ein Herz. Kopfüber sprang er ins Wasser und tauchte tief ein. Und kaum, dass er eingetaucht war, sprangen hundert, fünfhundert, tausend Pinguine hinterher. Eine Reihe nach der anderen, bis zur allerletzten. Und dann jagten sie Krebse, und keines der großen Raubtiere des Ozeans störte sie dabei, für sich und ihre Familien die Bäuche zu füllen.