El Sendador - Karl May - E-Book

El Sendador E-Book

Karl May

4,4

Beschreibung

Karl Mays Doppelroman"El Sendador" ist eine fesselnde Abenteuererzählung, die den Ich-Erzähler an exotische Schauplätze Südamerikas führt. Die Reiseerzählung erschien erstmals in Fortsetzungen in der Zeitschrift "Deutscher Haussachatz" zwischen Oktober 1889 bis Oktober 1891. Der Roman umfasst die beiden Teile "Lopez Jordan" und "Der Schatz der Inkas". Die Erzählung wurde später in 2 Bänden als Teil der "Gesammelten Reiseerzählungen" von Karl May in Buchform veröffentlicht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 1460

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,4 (18 Bewertungen)
11
3
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



El Sendador

I. Teil Lopez Jordan1. Kapitel Der Yerbatero2. Kapitel Unter den Bolamännern3. Kapitel Der Bruder JaguarII. Teil Der Schatz der Inkas4. Kapitel Nuestro Sennor Jesu Christo de la floresta virgin5. Kapitel Ein Cascarillero6. Kapitel SchlussImpressum

I. Teil Lopez Jordan

1. Kapitel Der Yerbatero

Ein kalter Pampero strich über die meerbusenartige Mündung des La Plata herüber und bestrich die Straßen von Montevideo mit einem Gemisch von Sand, Staub und großen Regentropfen. Man konnte nicht auf der Straße verweilen, und darum saß ich in meinem Zimmer des Hotel Oriental und vertrieb mir die Zeit mit einem Buche, dessen Inhalt sich auf das Land bezog, welches ich kennenlernen wollte.

Es war in spanischer Sprache geschrieben, und die Stelle, bei welcher ich mich jetzt befand, würde in deutscher Übersetzung ungefähr lauten: »Die Bevölkerung von Uruguay und der argentinischen Länder besteht aus Nachkommen der Spanier, aus einigen nicht sehr zahlreichen Indianerstämmen und aus den Gauchos, welche zwar Mestizen sind, sich aber trotzdem als Weiße betrachten und sich stolz auf diesen Titel fühlen. Sie vermählen sich meist mit indianischen Frauen und tragen dadurch das Ihrige bei, die Bevölkerung des Landes wieder den Ureinwohnern zu nähern. Der Gaucho hat in seinem Charakter die wilde Entschlossenheit und den unabhängigen Sinn der Ureinwohner und zeigt dabei den Anstand, den Stolz, die edle Freimütigkeit und das vornehme, gewandte Betragen des spanischen Kavallero. Seine Neigungen ziehen ihn zum Nomadenleben und zu abenteuerlichen Fahrten. Ein Feind jeden Zwanges, ein Verächter des Eigentumes, welches er als eine unnütze Last betrachtet, ist er ein Freund glänzender Kleinigkeiten, welche er sich mit großem Eifer verschafft, aber auch ohne Bedauern wieder verliert.

Er ist ferner ein kühner, todesmutiger Beschützer seiner Familie, welche er aber ebenso hart behandelt wie sich selbst; mißtrauisch, weil er unzählige Male betrogen worden ist, schlau aus Instinkt und Vorsicht, achtet er den Fremden, ohne ihn zu lieben, dient er dem Städter, ohne ihn zu achten, und hat niemals begreifen gelernt, wie man in seine Heimat kommen konnte, um die Herden auszubeuten, welche die seinigen geworden waren und von denen er nichts verlangte als den täglichen Lebensunterhalt, ohne sich um den vorhergehenden und den folgenden zu Tag kümmern. Seit sich im Lande eine besitzende Klasse gebildet hat, ruht der Gaucho, welcher sich tapfer für die Befreiung von dem spanischen Joche schlug, vom Siege aus, hat niemals Belohnung verlangt und begnügt sich mit der bescheidenen Rolle, das Eigentum anderer zu schützen, wofür er nichts fordert, als dass man nie vergesse, dass er ein freier Mann sei und seine Dienst freiwillig leiste.

Die Bewaffnung des Gaucho bildet der Lasso, ein langer, lederner Riemen mit einer Schlinge, die Bolas und außerdem im Falle des Krieges eine Lanze. Der Ruhm des Gaucho besteht in der Geschicklichkeit, mit welcher er den Lasso wirft. Ein mehr als dreißig Fuß langer Riemen ist mit dem einen Ende an dem Schenkel des Reiters befestigt; das andere läuft in eine bewegliche Schlinge aus. Diese Schlinge wird um den Kopf geschlungen und nach dem fliehenden Tiere geworfen. Trifft sie den Hals oder die Füße, so wird sie durch den Widerstand des Tieres zugezogen. Die Aufgabe des Pferdes ist es nun, die Erschütterung des Riemens auszuhalten, bald nachzugeben, bald Widerstand zu leisten. Der Reiter versucht indes, das Tier nach einem Orte zu ziehen, wo er es niederwerfen kann. Diese Art des Schlingenwerfens, welche man laceara muerte nennt, ist sehr gefährlich und erfordert große Übung. Man hat viele Beispiele, dass durch die Verwickelung des Riemens dem Reiter die Beine zerbrochen worden sind. Der Lasso hängt beständig am Sattel des Gaucho. Widerspenstige Pferde, Ochsen, Hammel, alles wird mit der Schlinge gebändigt oder gefangen. Die Bolas sind drei an Riemen zusammenhängende Bleikugeln. Zwei werden um den Kopf geschlungen, die dritte aber festgehalten, bis man sicher ist, das Tier mit dem Wurfe zu erreichen. Die Kugeln schlingen sich dann um die Beine desselben und bringen es zu Fall.

Die Hauptleidenschaft des Gauchos ist das Spiel; die Karten gehen ihm über alles. Auf den Fersen hockend, das Messer neben sich in die Erde gesteckt, um einen unehrlichen Gegner sofort mit einem Stich ins Herz bestrafen zu können, wirft er das Kostbarste, was er besitzt, in das Gras und wagt es kaltblütig. In der Estanzia arbeitet der Gaucho nur, wenn es ihm gefällig ist, gibt seinem Dienstverhältnisse ein Gepräge von Unabhängigkeit und würde es niemals dulden, dass sein Herr so unhöflich wäre, in ihm nicht die Eigenschaft eines Kavallero anzuerkennen, deren er sich durch seine Bescheidenheit, sein anständiges, ja nobles Betragen und seine ruhige, Achtung einflößende Haltung würdig macht. Wenn es ihm einmal nicht gefällig ist, die vom Herrn verlangte Arbeit zu verrichten, so sagt er, dass er nur zu der oder der Stunde unter den oder den Umständen an das Werk gehen könne. Wenn dann der Herr einige Unzufriedenheit zeigt, so verlangt der Gaucho, ohne aber grob zu werden, seinen Lohn, setzt sich auf sein Pferd und sucht sich eine andere Estanzia, deren Besitzer minder gebieterisch ist. Obgleich er die Bequemlichkeit liebt, findet er stets Arbeit, weil er verständig ist und die Pflege des Viehes, welches den Hauptreichtum jener Gegenden bildet, ganz vorzüglich versteht.

So ist der Gaucho, welchen man nicht mit den zwar kühnen, aber gewissenlosen Abenteurern verwechseln darf, welche Frauen, Mädchen, Pferde, kurz, alles entführen und stehlen, was ihnen gefällt, und unbesorgt in die Zukunft hinein leben.« –

So stand geschrieben, was ich las. Ich war am Vormittag in Montevideo angekommen und kannte also das Land und seine Bewohner nicht im mindesten. Dennoch wagte ich, einigen Zweifel gegen die Wahrheit des Gelesenen zu hegen.

Zunächst besteht die Bevölkerung, von welcher die Rede war, nicht nur aus Gauchos, Indianern und Nachkommen der Spanier. Es sind auch Engländer, Deutsche, Franzosen und Italiener zu Tausenden, ja Zehntausenden vorhanden, die Schweizer, Illyrier und viele andere gar nicht gerechnet.

Mit der Art und Weise, in welcher der Gaucho den Lasso gebrauchen sollte, war ich gar nicht einverstanden. Welcher Reiter, der zum Beispiel einen halb wilden Stier einfangen will, wird den Lasso sich am Schenkel befestigen! Der Stier würde ihn unbedingt vom Sattel reißen und zu Tode schleppen.

Ich war bei erster Gelegenheit so frei, mich nach dem Verfasser dieser Auslassung zu erkundigen. Er hieß Adolphe Delacour und war Redakteur des Patriote Francais zu Montevideo gewesen. Nun, dieser Herr musste die Verhältnisse besser kennen als ich. Ich musste mich begnügen, abzuwarten, ob ich seine Ansichten bestätigt finden werde, was aber glücklicher Weise nicht der Fall war.

Übrigens war es nicht nötig, mich länger mit der Lektüre zu beschäftigen. Der Pampaswind hatte nachgelassen, und auf den Straßen entwickelte sich das rege Leben einer bedeutenden Hafenstadt von neuem. Ich wollte mir dasselbe betrachten und zu diesem Zwecke einen Ausgang machen.

Eben setzte ich den Hut auf, als es an meine Türe klopfte. Ich rief herein, und zu meinem großen Erstaunen trat ein fein nach französischer Mode gekleideter Herr ein. Er trug eine schwarze Hose, eben solchen Frack, weiße Weste, weißes Halstuch, Lackstiefel und hielt einen schwarzen Zylinderhut in der Hand. um welchen ein weißseidenes Band geschlungen war. Dieses Band, von welchem zwei breite Schleifen herabhingen, brachte mich unerfahrenen Menschen auf die famose Idee, einen Kindtaufs- oder Hochzeitsbitter vor mir zu haben. Er machte mir eine tiefe, ja ehrbietige Verneigung und grüßte: »Ich mache Ihnen meine Verbeugung, Herr Oberst!«

Er wiederholte seinen tiefen Bückling noch zweimal in demonstrativ hochachtungsvoller Weise. Wozu dieser militärische Titel? Hatte man hier in Uruguay vielleicht dieselbe Gepflogenheit wie im lieben Österreich, wo die Kellner jeden dicken Gast »Herr Baron«, jeden Brillentragenden »Herr Professor« und jeden Inhaber eines kräftigen Schnurrbartes »Herr Major« nennen?

Der Mann hatte so ein eigenartiges Gesicht. Er gefiel mir nicht. Darum antwortete ich kurz: »Danke! Was wollen Sie?«

Er schwenkte den Hut zweimal hin und her und erklärte: »Ich komme, mich Ihnen mit allem, was ich bin und habe zur geneigten Verfügung zu stellen.«

Dabei richtete sich sein Auge von seitwärts mit einem scharf forschenden Blick auf mich. Er hatte keine ehrlichen Augen. Darum fragte ich: »Mit allem, was Sie sind und haben? So sagen Sie mir zunächst gefälligst, wer und was Sie sind.«

»Ich bin Sennor Esquilo Anibal Andaro, Besitzer einer bedeutenden Estanzia bei San Fructuoso. Euer Gnaden werden von mir gehört haben.«

Es kommt zuweilen vor, dass der Name eines Menschen bezeichnend für den Charakter desselben ist. Ins Deutsche übersetzt, lautete derjenige meines Besuchers Äschylus Hannibal Schleicher. Das war gar nicht empfehlend.

»Ich muss gestehen, dass ich noch nie von Ihnen gehört habe«, bemerkte ich. »Da Sie mir gesagt haben, wer und was Sie sind, darf ich wohl auch erfahren, was Sie haben, das heißt natürlich, was Sie besitzen?«

»Ich besitze erstens Geld und zweitens Einfluß.«

Er machte vor den beiden Worten, um sie besser ins Gehör zu bringen, eine Pause und sprach sie mit scharfer Betonung aus. Dann sah er mich mit einem pfiffigen, erwartungsvollen Augenblinzeln von der Seite an. Seine Gesicht war jetzt ganz dasjenige eines dummlistigen, dreisten Menschen.

»Das sind allerdings zwei recht schöne, brauchbare Sachen, Geld und Einfluß. Sind Sie zu dem Zwecke gekommen, mir beides zur Verfügung zu stellen?«

»Ich würde mich glücklich fühlen, wenn Sie die Gewogenheit haben wollten, diese meine Absicht nicht zurückzuweisen!«

Das war überraschend. Dieser Mann stellte mir seine gesellschaftlichen Verbindungen und auch seinen Geldbeutel zur Verfügung! Aus welchem Grunde? Um das zu erfahren, sagte ich: »Gut, Sennor, ich nehme beides an, vor allen Dingen das letztere.«

»Also zunächst Kapital! Wollen Euer Hochwohlgeboren mir sagen, wie stark die Summe ist, deren Sie bedürfen?«

»Ich brauche augenblicklich fünftausend Pesos Fuertos.«

Er zog sein Gesicht befriedigt in die Breite und sagte: »Eine Kleinigkeit! Euer Gnaden können das Geld binnen einer halben Stunde haben, wenn wir die kleinen Bedingungen einig werden, welche zu machen mir wohl erlaubt sein wird.«

»Nennen Sie dieselben!«

Er trat nahe an mich heran, nickte mir sehr vertraulich zu und sagte: »Darf ich vorher fragen, ob dieses Geld privaten oder offiziellen Zwecken dienen soll?«

»Nur privaten natürlich.«

»So bin ich bereit, die Summe nicht etwa herzuleihen, sondern sie Euer Hochwohlgeboren, falls Sie es mir gestatten, dies tun zu dürfen, als einen Beweis meiner Achtung schenkweise auszuzahlen.«

»Dagegen habe ich nicht das mindeste.«

»Freut mich außerordentlich. Nur möchte ich Sie in diesem Fall ersuchen, Ihren Namen unter zwei oder drei Zeilen zu setzen, welche ich augenblicklich entwerfen werde.«

»Welchen Inhaltes sollen diese Zeilen sein?«

»O, es wird sich nur um eine Kleinigkeit, um eine wirkliche Geringfügigkeit handeln. Euer Hochwohlgeboren werden mir durch diese Namensunterschrift bestätigen, dass ich, Esquilo Anibal Andaro, Ihr Korps bis zu einer angegebenen Zeit und zu einem ganz bestimmten Preise mit Gewehren versehen habe. Ich bin in der glücklichen Lage, mich in einigen Tagen im Besitze einer hinreichenden Anzahl von Spencer-Gewehren zu befinden.«

Jetzt war es mir klar, dass dieser Sennor Schleicher mich mit einem Offizier verwechselte, dem ich vielleicht ein wenig ähnlich sah. Wahrscheinlich hatte er die löbliche Absicht, den Betreffenden durch das Geschenk von fünftausend Pesos zu bestechen, auf den Gewehrhandel einzugehen. Beim Schlusse des nordamerikanischen Bürgerkrieges waren circa zwanzig Tausend Spencer-Gewehre in Gebrauch gewesen. Man konnte den Yankees recht gut zutrauen, dass sie einen Teil dieser Waffen nach den La Platastaaten, wo dergleichen damals gebraucht wurden, verkauft hatten. Bei diesem Handel konnte der Sennor das Zehnfache des Geschenkes, welches er mir anbot, herausschlagen.

Er hatte mich Oberst genannt. Wie kam ein Oberst dazu, über den Kriegsminister hinweg den Ankauf von Gewehren zu bestimmen? Wollte der Betreffende etwa als Libertador auftreten? Mit diesem Worte, zu deutsch Befreier, bezeichnet man am La Plata die Bandenführer, welche sich gegen das herrschende Regiment auflehnen. Dergleichen Leute hat die Geschichte jener südamerikanischen Gegenden sehr viele zu verzeichnen.

Die Sache war mir sehr interessant. Kaum hatte ich den Fuß auf das Land gesetzt, so bekam ich auch schon Gelegenheit, einen Blick in die intimsten Verhältnisse desselben zu tun. Ich hatte große Lust, die Rolle meines Doppelgängers noch ein wenig weiter zu spielen, doch besann ich mich eines bessern. Natürlich hatte ich, bevor ich nach hier kam, mich über die hiesigen Verhältnisse möglichst unterrichtet, und so wusste ich, dass es für mich sehr gefährlich werden könne, meinen Besuch in seinem Irrtume zu belassen, nur um mich über Verhältnisse zu unterrichten, welche mir unbekannt bleiben mussten. Darum sagte ich zu ihm: »Eine solche Schrift kann ich leider nicht unterzeichnen. Ich wüßte nicht, was ich mit diesen Gewehren machen sollte, da ich nicht die geringste Verwendung für dieselben habe.«

»Nicht?«, fragte er erstaunt. »Euer Hochwohlgeboren können in Zeit von einer Woche über tausend Mann beisammen haben!«

»Zu welchem Zwecke?«

Er trat um zwei Schritte zurück, kniff das eine Auge zu, lächelte listig, als ob er sagen wolle: Na, spiele doch mit mir nicht Komödie; ich weiß ja genau, woran ich mit dir bin! und fragte: »Soll ich das Euer Gnaden wirklich erst sagen? Ich habe gehört, dass Sie nach Montevideo kommen würden, und nun, da Sie sich hier befinden, kenne ich ganz genau den Zweck Ihrer Anwesenheit. Es gibt ja nur diesen einen Zweck.«

»Sie irren sich, Sennor. Mir scheint, Sie halten mich für einen ganz andern Mann, als ich bin.«

»Unmöglich! Sie hüllen sich in diesen Schleier, weil meine Forderung bezüglich der Gewehre Ihnen vielleicht nicht genehm ist. So bin ich gern bereit, Ihnen andere Vorschläge zu machen.«

»Auch diese würden nicht zu ihrem Ziele führen, denn sie verwechseln mich wirklich mit einer Person, mit welcher ich einige Ähnlichkeit zu besitzen scheine.«

Das machte ihn aber nicht irre. Er behielt seine zuversichtliche Miene, zu welcher sich noch ein beinahe überlegenes Lächeln gesellte, bei und sagte: »Wie ich aus Ihren Worten schließe, befinden Sie sich jetzt überhaupt nicht in der Stimmung, über diese oder eine ähnliche Angelegenheit zu sprechen. Warten wir also eine geeignete Stunde ab, Sennor. Ich werde mir erlauben, wieder vorzusprechen.«

»Ihr Besuch würde das gegenwärtige Resultat haben. Ich bin nicht derjenige, für den Sie mich halten.«

Er wurde ernster.

»So wünschen Sie also nicht, dass ich meinen Besuch wiederhole?«

»Es wird mir jederzeit angenehm sein, vorausgesetzt, dass Sie nicht länger in dem erwähnten Irrtum verharren. Können Sie mir sagen, wer der Herr ist, mit welchem Sie mich verwechseln?«

Jetzt musterte er mich scharf vom Kopfe bis zu den Füßen herab. Dann meinte er kopfschüttelnd: »Ich kenne Euer Gnaden bisher als einen tapfern, hochverdienten Offizier und hoffnungsvollen Staatsmann. Die Eigenschaften, welche ich jetzt an Ihnen entdecke, geben mir die Überzeugung, dass Sie in letzterer Beziehung schnell Karriere machen werden.«

»Sie meinen, ich verstelle mich? Hier, nehmen Sie Einsicht in meinen Paß.«

Ich gab ihm den Paß aus der Brieftasche, welche ich auf dem Tische liegen hatte. Er las ihn durch und verglich das Signalement Wort für Wort mit meinem Äußern. Sein Gesicht wurde dabei länger und immer länger. Er befand sich in einer Verlegenheit, welche von Augenblick zu Augenblick wuchs.

»Teufel!«, rief er, indem er den Paß auf den Tisch warf. »Jetzt weiß ich nicht, woran ich bin! Ich sowohl, als auch zwei meiner Freunde haben Sie ganz genau als denjenigen erkannt, den ich in Ihnen zu finden gedachte!«

»Wann sahen Sie mich?«

»Als Sie unter der Türe des Hotels standen. Und nun ist dieser Paß allerdings geeignet, mich vollständig irre zu machen. Sie kommen wirklich aus New York?«

»Allerdings. Mit der Sea-gall, welche noch jetzt vor Anker liegt. Sie können sich bei dem Kapitän erkundigen.«

Da rief er zornig: »So hole Sie der Teufel! Warum sagten Sie das nicht sogleich?«

»Weil Sie nicht fragten. Ihr Auftreten ließ mit Sicherheit schließen, dass Sie mich kennen. Erst als Sie von den Gewehren sprachen, erkannte ich, wie die Sache stand. Dann habe ich Sie sofort auf Ihren Irrtum aufmerksam gemacht, was Sie mir hoffentlich bestätigen werden.«

»Nichts bestätige ich, gar nichts! Sie hatten mir nach meinem Eintritte bei Ihnen sofort und augenblicklich zu sagen, wer Sie sind!«

Er wurde grob. Darum antwortete ich in sehr gemessenen Ton: »Ich ersuche Sie um diejenige Höflichkeit, welche jedermann von jedermann verlangen kann! Ich bin nicht gewöhnt, mir in das Gesicht sagen zu lassen, dass mich der Teufel holen solle. Auch bin ich nicht allwissend genug, um sofort beim Eintritt eines Menschen mir sagen zu können, was er von mir will. Übrigens müssen Sie doch bei dem Wirte oder den Bediensteten des Hotels gefragt haben, bevor Sie zu mir kamen, und da muss man Sie unbedingt berichtet haben, dass ich ein Fremder bin.«

»Das hat man mir allerdings gesagt; aber ich glaubte es nicht, da ich den Verhältnissen nach mir sagen musste, dass der Sennor, für welchen ich Sie hielt, sich incognito hier aufhalten werde. Dazu kam dann Ihre Aussprache des Spanischen, welcher man es nicht anhört, dass Sie ein Fremder, ein Alemano sind.«

Dieses letztere war sehr schmeichelhaft für mich. Als ich vor mehreren Jahren nach Mexiko kam, hatte ich mich in Beziehung auf diese Sprache der grausamsten Radebrecherei schuldig machen müssen. Aber das Leben ist der beste Lehrmeister. Während der langen Wanderung durch die Sonora und den Süden von Kalifornien hatte ich mich nach und nach in die Lenguage española finden müssen, ahnte aber bis heute nicht, dass ich gar ein solcher Sancho Pansa geworden sei.

»Und endlich«, fuhr er fort, »warum tragen Sie den Bart genau in der Weise, wie er von den Bewohnern unserer Banda Oriental getragen wird?«

»Weil ich, wenn ich reise, mich den Gewohnheiten der betreffenden Bevölkerung anzubequemen pflege und nicht überall und immer als Fremder erkannt werden will.«

»Nun, so tragen Sie eben die Schuld daran, dass ich Sie für einen andern hielt. Kein Ausländer hat das Recht, uns nachzuahmen. Man kennt eine gewisse Art von Tieren, welche diesen Nachahmungstrieb in hohem Grade besitzen, und jeder verständige Mann wird sich hüten, mit denselben verglichen zu werden.«

»Für diesen Wink bin ich Ihnen unendlich dankbar, Sennor; doch bitte ich Sie dringend, die Lektion nicht etwa noch weiter auszudehnen. Bis jetzt habe ich dieselbe gratis entgegen genommen; geben Sie sich aber noch weitere Mühe, so würde ich mich gezwungen sehen, Ihnen ein Honorar auszuzahlen, welches Ihren Verdiensten angemessen ist.«

»Sennor, Sie drohen mir!«

»Nein. Ich mache Sie nur aufmerksam.«

»Vergessen Sie nicht, wo Sie sich befinden!«

»Und ziehen Sie selbst in Betracht, dass Sie nicht in einem Zimmer Ihrer Hazienda stehen, sondern in einem Raume, welcher gegenwärtig mir gehört! Und nun mag es genug sein. Bitte, machen Sie mir das Vergnügen, Ihnen Lebewohl sagen zu dürfen!«

Ich ging zur Türe, öffnete dieselbe und lud ihn durch eine Verbeugung ein, von dieser Öffnung Gebrauch zu machen. Er blieb noch einige Augenblicke stehen und starrte mich groß an. Es erschien ihm jedenfalls als etwas ganz Ungeheuerliches, von mir hinauskomplimentiert zu werden. Dann schoß er schnell an mir vorüber und hinaus, rief mir aber dabei zu: »Auf Wiedersehen! Man wird mit Ihnen abzurechnen wissen!«

Er schüttelte die Faust drohend gegen mich und eilte dann die Treppe hinab. Das war meine erste Unterredung mit einem Eingeborenen, ein Anfang, von welchem ich keineswegs erbaut sein konnte. Freilich, irgend eine Befürchtung zu hegen, das fiel mir nicht ein. Der Mann hatte mich beleidigt und war deshalb von mir hinausgewiesen worden, etwas so Einfaches und Selbstverständliches, dass gar keine Veranlassung vorhanden war, weiter daran zu denken. Auch hatte dieser Haziendero auf mich gar nicht den Eindruck gemacht, als ob ich ihn weiter zu beachten oder gar zu fürchten habe.

Bevor ich ging, mir die Stadt anzusehen, nahm ich die paar Empfehlungsschreiben her, welche ich mitgebracht hatte. Ich bin prinzipiell gegen diese Art und Weise, fremden Leuten Pflichten aufzuerlegen oder ihnen gar zur Last zu fallen. Man wird selbst in seinen Handlungen und Bewegungen sehr gehindert. Aus diesem Grunde mache ich, wenn ich reise, meine Bekanntschaften lieber aus freier Hand, bewege mich und wähle ganz nach meinem persönlichen Geschmack und gebe etwaige Briefe erst kurz vor der Abreise ab. Hundertmal habe ich da beobachtet, wie befriedigt die Betreffenden davon waren, dass es nun keine Zeit mehr zu gesellschaftlichen Ansprüchen und Forderungen gab.

Heute hatte ich vier solche Schreiben in der Hand. Eins derselben war von dem Chef eines New Yorker Exporthauses an seinen Kompagnon, welcher die Filiale dieses Geschäftes in Montevideo leitete. Ich hatte Gelegenheit gehabt, dem Yankee einen nicht ganz unwichtigen Dienst zu leisten, und von ihm das Versprechen erhalten, dass er mich seinem Teilhaber auf das allerbeste empfehlen werde. Dieses eine Schreiben musste ich sofort abgeben, da der Wechsel, dessen Betrag mein Reisegeld bildete, von dem Kompagnon honoriert werden sollte.

Die drei andern Schreiben steckte ich wieder in die Brieftasche; dieses eine aber legte ich auf den Tisch oder vielmehr, ich wollte es auf den Tisch werfen. Es traf mit der Kante auf und fiel auf die Diele herab.

Als ich es aufhob, sah ich, dass das dünne Siegel zersprungen war und die Klappe des Couverts offen stand. In dieser Weise konnte ich den Brief unmöglich übergeben. Ich musste ihn wieder schließen, und zwar so, dass man nicht sehen konnte, dass er offen gewesen war; ich wäre sonst in den Verdacht gekommen, ihn mit Absicht geöffnet und dann gelesen zu haben.

Gelesen? Hm! Konnte ich das nicht dennoch tun? Ein Unrecht, eine Verletzung des Briefgeheimnisses, eine große Diskretion war es, aber ich hatte doch vielleicht eine Art von Recht dazu, da ich es ja war, auf den der Inhalt sich bezog. Ich nahm also den Bogen aus dem Couverte und öffnete ihn.

Der Inhalt lautete, abgesehen von der Anrede, folgendermaßen: »Habe Ihr Letztes empfangen und bin mit Ihren Vorschlägen vollständig einverstanden. Das Geschäft ist ein gewagtes, bringt aber im Falle des Gelingens so hohen Gewinn, dass wir den Verlust riskieren können. Das Pulver kommt mit der Sea-gall. Wir haben dreißig Prozent Holzkohle darunter gemischt, und da ich hoffe, dass es Ihnen gelingen werde, es heimlich an das Land zu bringen und also den Zoll zu sparen, so machen wir ein vorzügliches Geschäft.

Ich ermächtige Sie hiermit, die Kontrakte zu entwerfen und an Lopez Jordan zur Unterschrift zu senden. Letzteres ist eine höchst gefährliche Angelegenheit, denn wenn die Nationalen den Boten erwischen und die Kontrakte bei ihm finden, so ist es um ihn geschehen. Glücklicherweise kann ich Ihnen ganz zufällig einen Mann bezeichnen, welcher sich zu dieser Sendung ganz vortrefflich eignet.

Der Überbringer dieses Briefes hat sich mehrere Jahre lang unter den Indianern umhergetrieben, ein verwegener Kerl, dabei aber stockdumm und vertrauensselig, wie es von einem Dutchman auch gar nicht anders zu erwarten ist. Er will, glaube ich, nach Santiago und Tucuman und wird also durch die Provinz Entre-Rios kommen. Tun Sie, als ob Sie ihm ein Empfehlungsschreiben an Jordan geben, welches aber die beiden Kontrakte enthalten wird. Findet man sie bei ihm und er wird erschossen, so verliert die Welt einen Dummkopf, um welchen es nicht schade ist. Natürlich dürfen die Dokumente Ihre Unterschrift nicht enthalten; Sie unterzeichnen vielmehr erst dann, wenn Sie dieselben durch einen Boten Jordans zurückerhalten. Im übrigen wird der Dutchman Ihnen nicht viele Beschwerden machen; er ist von einer geradezu albernen Anspruchslosigkeit. Ein Glas sauren Weins und einige süße Redensarten genügen, ihn glücklich zu machen.«

Dies war, so weit er sich auf mich bezog, der Inhalt dieses merkwürdigen »Empfehlungsschreibens«. Hätte ich den Brief nicht gelesen, so wäre ich sehr wahrscheinlich in die Falle gegangen. Es war ein echter Yankeestreich, um den es sich hier handelte. Der deutsche »Dummkopf« sollte, ohne es zu ahnen, eine der Hauptrollen beim Zustandekommen eines Aufruhres spielen. Denn dass es sich um nichts anderes handelte, sagte mir die Erwähnung des Schießpulvers und der Name des berüchtigten Bandenführers Lopez Jordan, welcher seine Gewissenlosigkeit sogar so weit getrieben hatte, seinen eigenen Stiefvater, den früheren General und Präsidenten Urquiza ermorden zu lassen. Ihm sollte jedenfalls Pulver und auch Geld geliefert werden, und der Überbringer der auf dieses Geschäft bezüglichen Kontrakte sollte ich sein!

Ich steckte den famosen Brief in das Couvert zurück und stellte mit Hilfe eines Streichholzes das zersprungene Siegel wieder her. Dann machte ich mich auf den Weg zu dem lieben Kompagnon, welcher spanischer Abkunft war, Tupido hieß und an der Plaza de la Independencia wohnte.

Als ich auf die Straße trat, war von dem Pampero und dem Regen keine Spur mehr zu sehen. Montevideo liegt auf einer Landzunge, welche sattelartig auf der einen Seite zur Bai und auf der andern zum Meere abfällt. In Folge dessen läuft das Wasser so schnell ab, dass das Abtrocknen des Bodens selbst nach dem stärksten Regen nur weniger Minuten bedarf.

Montevideo ist eine sehr schöne, ja glänzende Stadt mitteleuropäischen Stiles. Sie besitzt gute Straßen mit vortrefflichen Trottoirs, reiche Häuser mit lieblichen Gärten, Paläste, in denen sich Klubs und Theater befinden. Die Bauart der Privathäuser ist sehr eigenartig. Es herrscht da fast eine Verschwendung von Marmor, welchen man aus Italien holt, obgleich im Lande selbst ein sehr guter zu finden ist.

Wer bei seiner Ankunft in der Hauptstadt Montevideo etwa glaubt, da die Bewohnertypen des Landesinnern zu sehen, der hat sich sehr geirrt. Kein Gaucho reitet durch die Straßen; indianische Gesichtszüge sind nur selten zu sehen, und Neger trifft man nicht häufiger als zum Beispiel in London oder Hamburg.

Die Tracht ist genau unsere französische, bei den Männern sowohl als auch bei den Frauen. Es können Tage vergehen, ehe man einmal eine Dame erblickt, welche die spanische Mantilla trägt. Über die Hälfte der Einwohnerschaft ist europäischen Ursprunges.

Die Durcheinanderwürfelung der Nationalitäten ruft ein auffallendes Polyglottentum hervor. Leute, welche drei, vier und fünf Sprachen geläufig beherrschen, sind hier weit zahlreicher, als selbst in den europäischen Millionenstädten. Kurz und gut, so lange man sich innerhalb der Bannmeile der Stadt befindet, ist aus nichts zu ersehen, dass man sich auf südamerikanischem Boden bewegt. Man könnte sich ebenso gut in Bordeaux oder Triest befinden.

Auch ich fühlte mich ziemlich enttäuscht, als ich jetzt, neugierig um mich blickend, langsam dahin schlenderte. Ich sah nur europäische Tracht und Gesichter, wie man sie überall findet, wenn man die dunkle Färbung derselben nicht als etwas Eigenartiges betrachten will.

Auffällig waren mir nur die weißen oder roten Bänder, welche viele Herren an ihren Hüten trugen. Später erfuhr ich die Bedeutung derselben: Die Träger weißer Bänder gehörten zur politischen Partei der »Blancos», während die »Colorados« rote Abzeichnungen trugen. Sennor Esquilo Anibal Andaro war demnach nicht etwa Hochzeitsbitter, sondern ein Blanco gewesen. Höchst wahrscheinlich gehörte also der Oberst, mit welchem er mich verwechselt hatte, derselben Partei an. Vielleicht gelang es mir, den Namen desselben zu erfahren.

An der Plaza de la Independencia angekommen, erkannte ich an einem riesigen Firmenschilde das Haus, in welchem sich der Sitz der Filiale meines pfiffigen Yankees befand. Die Fronte desselben machte einen nichts weniger als imponierenden Eindruck. Sie zeigte nur das Parterre und den ersten Stock. In dem ersteren befand sich eine Türe von kostbarer, durchbrochener Eisenarbeit. Hinter derselben lag ein breiter, mit Marmorplatten belegter Hausgang, welcher in einen Hof führte, der mit demselben Materiale gepflastert war. Dort standen in großen Kübeln blühende Pflanzen, deren Duft bis zu mir drang.

Die Türe war verschlossen, obgleich sich vielbesuchte Geschäftsräume hinter derselben befinden mussten. Ich bewegte den Klopfer. Durch eine mechanische Vorrichtung wurde sie geöffnet, ohne dass jemand erschien.

Im Flur sah ich je rechts und links eine Türe. Ein Messingschild sagte mir, dass diejenige der ersteren Seite die für mich richtige sei. Als ich da eintrat, befand ich mich in einem ziemlich großen Parterreraume, welcher sein Licht durch mehrere Türen empfing, die nach dem Hofe offen standen. Schreiber waren an mehreren Tischen oder Pulten beschäftigt. An einem langen Tische stand ein hagerer Mann im Hintergrunde des Zimmers und sprach in sehr rauher Weise mit einem ärmlich gekleideten Menschen.

Ich wendete mich an den mir zunächst Sitzenden, um nach Sennor Tupido zu fragen. Die Antwort bestand in einem stummen, kurzen Winke nach dem Langen. Da dieser mit dem erwähnten Manne beschäftigt war, blieb ich wartend stehen und wurde Zeuge der zwischen ihnen geführten Unterhaltung.

Dem Sennor war die spanische Abkunft von weitem anzusehen, denn er hatte scharfe Züge und einen stolz-verschlagenen Gesichtsausdruck. Den dunklen Bart trug er nach hiesiger Sitte so, dass Schnurr- und Knebelbart zu einem spitzen Zipfel nach abwärts vereinigt waren.

Der Mann, mit welchem er sprach, schien zu der ärmsten Volksklasse zu gehören. Er war barfuß. Die vielfach zerrissene und notdürftig geflickte Hose reichte ihm kaum bis über die halbe Wade. Die ebenso lädierte Jacke mochte einst blau gewesen sein, war aber jetzt ganz und gar verschossen. Um die Hüfte trug er einen zerfetzten Poncho, aus welchem der Griff eines Messers hervorblickte. In der Hand hielt er einen Strohhut, welcher alle und jede Form hatte, aber nur die ursprüngliche nicht. Sein Gesicht war tief gebräunt, die Haut desselben lederartig, und die etwas vorstehenden Backenknochen ließen vermuten, dass zum Teile indianisches Blut in seinen Adern fließe, eine Ansicht, welche durch das dunkle, schlichte, ihm lang und straff bis auf die Schulter reichende Haar bestätigt wurde.

Tupido schien meinen Eintritt gar nicht bemerkt zu haben. Er stand halb von mir abgewendet und fuhr den andern hart an: »Schulden und immer wieder Schulden! Wann soll das einmal ausgeglichen werden! Es scheint in alle Ewigkeit nicht. Arbeitet fleißiger! Die Yerba wächst allenthalben. Sie ist überall zu finden; man braucht nur zuzugreifen. Ein Faultier wird es freilich zu nichts bringen!«

Der andere zog seine Brauen leicht zusammen, sagte aber doch in höflichem Tone: »Ein Faultier bin ich nie gewesen. Wir haben fleißig gearbeitet, Monate lang. Wir mussten im Urwalde leben mit den wilden Tieren und wie dieselben; wir haben mit ihnen um unser Leben kämpfen müssen und sind bei Tag und Nacht an der Arbeit gewesen. Wir freuten uns auf den Ertrag unseres Fleißes und der Entbehrungen, welche wir uns auferlegten, nun aber machen Sie uns unsere Freude zu nichte, da Sie Ihr Versprechen nicht halten.«

»Das brauche ich nicht, denn die Lieferung traf um zwei Tage zu spät hier ein.«

»Zwei Tage! Sennor ist das eine so bedeutende Zeit? Haben Sie irgend einen Schaden davon?«

»Natürlich, denn wir liefern in Folge dessen auch zu spät und müssen uns also einen Abzug bis zu zwanzig Prozent gefallen lassen.«

»Soll ich das wirklich glauben?«

»Natürlich!« brauste Tupido auf. »Ihr müßt es mir Dank wissen, dass ich Euch nicht mehr als ganz dasselbe abziehe. Ich versprach Euch zweihundertvierzig Papiertaler für den Pack Tee. Zwanzig Prozent gehen ab, macht hundertzweiundneunzig, zwei Taler Schreibgebühr, bleiben hundertneunzig Papiertaler. Multipliziert damit die Zahl der Ballen, welche Ihr geliefert habt, so werdet Ihr finden, dass Ihr uns grad noch zweihundert Papiertaler schuldet. Ihr habt uns nicht den Wert des Vorschusses und Proviantes geliefert, welchen Ihr erhieltet.«

»Wenn Sie uns solche Abzüge machen, Sennor, so ist Ihre Rechnung allerdings richtig. Aber ich bitte, zu bedenken, dass ich einen Ochsen jetzt für hundert Papiertaler bekomme, wahrend Sie uns das Stück mit hundertfünfzig berechnet haben. Einen ähnlichen Aufschlag haben Sie uns bei allen übrigen Artikeln auch gemacht; da können wir nicht auf die Rechnung kommen. Anstatt Geld ausgezahlt zu erhalten, bleiben wir in Ihrer Schuld. Ich habe keinen einzigen, armseligen Peso in der Tasche. Ich soll hier für meine Gefährten einkassieren und ihnen das Geld bringen. Sie warten mit Schmerzen auf dasselbe; anstatt desselben aber bringe ich ihnen neue Schulden. Was soll daraus werden!«

»Fragt doch nicht so albern! Abarbeiten müßt Ihr es!«

»Dazu haben wir nicht länger Lust. Wir haben beschlossen, uns einen andern Unternehmer zu suchen.«

»Mir auch recht. Ich finde genugsam Teesammler, welche gern für mich arbeiten. In diesem Falle müßt Ihr aber die zweihundert Papiertaler zahlen, und zwar sofort!«

»Das kann ich nicht. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich ohne alle Mittel bin. Und ich bitte Sie, zu bedenken, dass wir auf die bisherige Weise nie so weit kommen können, unsere Schuld abzutragen. Was Sie uns liefern, wird uns zu den höchsten Preisen angerechnet, und wenn wir die Früchte unserer schweren Arbeit, bei welcher wir fortgesetzt das Leben wagen, bringen, so gibt es regelmäßig so bedeutende Abzüge, wie der heutige ist. Wir treten aus Eurem Dienste.«

»Dagegen habe ich ja gar nichts; nur müssen die zweihundert Taler sofort bezahlt werden. Dort sitzt der Kassierer! Wer so auftreten will wie Ihr, der muss auch Geld haben!«

Der arme Teufel sah verlegen vor sich nieder. Ich fühlte Mitleid mit ihm. Er war ein Yerbatero, ein Teesammler. Ich hatte gelesen, welch ein beschwerliches und gefährliches Leben diese Leute führen. Er und seine Genossen sollten um den Lohn ihrer Arbeit gebracht und mit ihren Familien der Not überantwortet werden, nur um sie in größere Abhängigkeit von dem reichen Unternehmer zu bringen. Dieser Sennor Tupido war jedenfalls ein sehr würdiger Kompagnon meines hinterlistigen Yankees.

Der Yerbatero legte sich auf das Bitten. Er gab die besten Worte, ihm den kleinen Betrag doch nachzulassen. Vergebens.

»Das Einzige, wozu ich mich verstehen kann, ist die Gewährung einer Frist«, erklärte schließlich der harte Geschäftsmann. »Zahlt Ihr die zweihundert Pesos bis heute abend, dann gut; wenn aber nicht, so habt Ihr bis auf weiteres in meinem Dienst zu bleiben, um die Schuld abzuarbeiten. Das ist mein letztes Wort. Jetzt geht!«

Der Teesammler schlich betrübt davon. Als er an mir vorüberging, raunte ich ihm zu: »Draußen warten!«

Er warf einen schnellen, froh überraschten Blick auf mich und ging; ich aber schritt auf den Herrn des Geschäftes zu. Er warf mir einen scharf forschenden Blick zu, kam mir dann einige Schritte entgegen, verbeugte sich sehr tief und fragte: »Sennor, was verschafft mir die unerwartete Ehre eines mich so überraschenden Besuches?«

Es war klar, dass auch er mich für einen andern hielt. Ich antwortete in einem nicht übermäßig höflichen Tone: »Mein Besuch ist für Sie nicht ehrenvoller, als jeder andere auch. Ich bin ein einfacher Mann, ein Fremder, der diesen Brief abzugeben hat.«

Er nahm den Brief, las die Adresse, betrachtete mich abermals und sagte mit einem diplomatisch sein sollenden Lächeln: »Aus New York, von meinem Kompagnon! Stehen Sennor bereits mit diesem in geschäftlicher Beziehung? Es hätte mich unendlich gefreut, vorher von Ihnen durch einen Avis unterrichtet zu werden.«

»Als ich Ihren Kompagnon zu ersten Male sah, wusste ich von Ihnen gar nichts.«

Das machte ihn doch in seiner Überzeugung irre. Er schüttelte den Kopf, brach den Brief auf, ohne zu bemerken, dass das Siegel vorher verletzt worden war, und las ihn. Sein Gesicht wurde länger und immer länger; sein Blick flog zwischen mir und den Zeilen herüber und hinüber. Endlich faltete er ihn wieder zusammen, steckte ihn in die Tasche und sagte: »Höchst sonderbar! Sie sind also wirklich ein Deutscher? Derjenige, von welchem dieses Empfehlungsschreiben handelt?«

»Ich darf allerdings vermuten, dass in diesem Brief von mir die Rede ist.«

»Sie werden mir in demselben auf das allerwärmste empfohlen, und ich stelle mich Ihnen in jeder Beziehung zu Verfügung.«

»Danke sehr, Sennor! Doch ist es nicht meine Absicht, Ihnen Mühe zu bereiten.«

»O bitte, von Mühe kann gar keine Rede sein! Sie sahen mich gewissermaßen erstaunt. Das war infolge einer ganz bedeutenden Ähnlichkeit, welche Sie mit einem in den bessern Kreisen sehr bekannten Herrn besitzen.«

»Darf ich erfahren, wer dieser Herr ist?«

»Gewiß. Ich meine nämlich Oberst Latorre, von welchem Sie vielleicht gehört oder gelesen haben.«

»Ich kenne allerdings den Namen dieses Offiziers, an welchen sich gewisse Zukunftshoffnungen zu knüpfen scheinen. Seien Sie versichert, dass meine Ähnlichkeit mit ihm nur eine äußerliche ist. Ich bin ein einfacher Tourist und besitze weder für Politik noch für Kriegskunst die geringste Lust oder gar Begabung.«

»Das sagt Ihre Bescheidenheit. Mein Kompagnon teilt mir mit, dass Sie sich Jahre lang bei den Indianern befunden haben: eine Art kriegerischen Sinn müssen Sie also doch besitzen. Hoffentlich habe ich das Vergnügen, von den Abenteuern zu hören, welche Sie erlebt haben. Würden Sie mir die Ehre erweisen, heute abend bei mir das Essen einzunehmen?«

»Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.«

»So bitte ich Sie, sich um acht Uhr in meiner Privatwohnung einzustellen, welche Sie auf dieser Karte verzeichnet finden. Kann ich Ihnen für jetzt noch in etwas dienen?«

»Ja, wenn ich bitten darf. Ich möchte Ihnen dieses Papier zustellen.«

Ich nahm seine Visitenkarte und gab ihm den Sichtwechsel. Er prüfte denselben, schrieb einige Ziffern auf den Zettel und stellte mir denselben mit den Worten zu: »Dort ist die Kasse, Sennor. Für jetzt empfehle ich mich Ihnen; aber auf Wiedersehen heute abend!«

Er wendete sich ab, um durch eine Türe zu verschwinden, der durchtriebene Kerl. Ein Blick auf den Zettel genügte, mich zu überzeugen, dass ich geprellt werden sollte.

»Sennor!«, rief ich ihm nach. »Bitte, nur noch für einen Augenblick!«

»Was noch?«, fragte er, sich wieder herumdrehend. Sein Gesicht hatte alle Freundlichkeit verloren, und seine Stimme klang scharf und befehlend.

»Es ist da wohl ein kleiner Irrtum unterlaufen. Der Wechsel lautet auf eine höhere Summe.«

»Sie vergessen höchst wahrscheinlich die Diskontogebühr?«

»Sie kann nicht vergessen werden, da von einem Diskontieren überhaupt keine Rede ist. Sie ziehen mir fünf Prozent ab, während der Wechsel auf Sicht, nicht aber auf ein späteres Datum lautet.«

»Dieser Abzug ist hier Usus.«

»Ein Teesammler mag sich nach Ihren persönlichen Gepflogenheiten richten müssen, weil er sich in Ihrer Gewalt befindet; ich aber habe das nicht nötig. Ihr Kompagnon hat diesen Wechsel nicht mir zu Gefallen akzeptiert, sondern ich habe die Summe voll bei ihm einbezahlt und verlange sie also ebenso voll zurück, wobei ich übrigens ohnedies einen Zinsenverlust zu tragen habe.«

»Ich zahle nicht mehr.«

»So behalten Sie Ihr Geld und geben Sie mir meinen Wechsel zurück!«

»Der befindet sich in meiner Verwahrung, und Sie haben dafür die Anweisung an die Kasse erhalten. Folglich ist der Wechsel mein Eigentum.«

»Ich lege Ihnen die Anweisung hier auf den Tisch zurück, da ich keinen Gebrauch von ihr machen werde.«

»Tun Sie das, wie Ihnen beliebt. Der Wechsel aber ist honoriert und bleibt in meiner Hand!«

»Lange Zeit jedenfalls nicht, denn ich werde zwar jetzt gehen, aber binnen fünf Minuten mit dem Polizeimeister zurückkehren. Bis dahin empfehle ich mich Ihnen!«

Ich machte ihm eine kurze Verbeugung und wendete mich zum Gehen. Seine Untergebenen hatten ihre Federn weggelegt und der Szene mit Spannung zugesehen. Schon hatte ich die Türe in der Hand, da rief er mir nach: »Halt, Sennor! Bitte, eine Sekunde!«

Der Mann hatte Angst vor der Polizei bekommen. Sein geschäftlicher Ruf konnte Schaden erleiden, und überdies war, wenn er mich gehen ließ, von der Ausführung des beabsichtigten Planes keine Rede. Er zog den Empfehlungsbrief nochmals hervor und tat, als ob er ihn jetzt genauer durchlese. Dann sagte er in der früheren höflichen Weise: »Ich habe allerdings um Verzeihung zu bitten. Mein Kompagnon schreibt mir am Schlusse, den ich vorhin leider übersah, dass Sie die Summe voll ausgezahlt erhalten und wir aus Rücksicht auf Sie in diesem Falle von unserm Usus absehen sollen. Ich werde Ihnen also den ganzen Betrag notieren. Sind Sie dann zufrieden gestellt?«

Ich nickte nachlässig.

»Vergessen wir die kleine, unangenehme Differenz, Sennor«, sagte er. »Ich darf doch für heute abend bestimmt auf Sie rechnen?«

»Gewiß! Vorausgesetzt allerdings, dass es in Ihrer Häuslichkeit nicht auch einen Usus gibt, gegen den ich protestieren müßte.«

»O, nein, nein, nein!« stieß er mit freundlichem Gesicht, aber mit vor Wut heiserer Stimme hervor und verschwand durch seine Türe.

Ich erhielt mein Geld, steckte es ein, dankte, grüßte und ging. Draußen sah ich den armen Yerbatero gegenüber an der Ecke stehen. Ich ging auf ihn zu und forderte ihn auf, für kurze Zeit mit mir zu kommen.

In Montevideo gibt es keine Restaurationen in unserm Sinne. Die Kaffeehäuser taugen nicht viel, ganz abgesehen davon, dass man da nicht Kaffee, sondern Matte, das ist Paraguaytee zu trinken bekommt. Besser sind die sogenannten Confiterias, in denen man feines Gebäck, Eis und dergleichen genießt.

In den Gasthäusern zahlt man für Wohnung und Beköstigung ohne den Wein fünfzig Papiertaler täglich. Das klingt sehr viel, beträgt aber nur acht Mark, da so ein papierener Peso ungefähr sechzehn deutsche Pfennig gilt. Die Flasche Bier kostet sechs Taler, also fast eine Mark. Dem Haarschneider zahlt man zehn Taler für ein fingerhutgroßes Gläschen Rum habe ich drei Taler bezahlt. So entwertet war damals das Papiergeld. Man musste in den La Plata-Staaten damals sehr vorsichtig sein, wenn man mit den verschiedenen Arten minderwertigen Papiergeldes nicht, selbst im täglichen Leben bedeutend verlieren wollte. Die Eingeborenen beuteten die Unkenntnis des Fremden in geradezu abscheulicher Weise aus.

In eine der Confiterias führte ich den Teesammler.

Das Lokal war voller Gäste, welche ihrer Kleidung nach zu den besten Ständen gehörten. Der Yerbatero zog aller Augen auf sich; aber was machte ich mir daraus! Man schob sich so weit von uns zurück, dass wir Platz für fünf oder sechs Personen gehabt hätten. Das war sehr bequem für uns, und es fiel uns also gar nicht ein, ihnen darüber zu zürnen.

Keineswegs aber kann ich sagen, dass der Teesammler sich etwa unanständig benommen hätte. Sein Anzug paßte nicht zu denen der anderen; aber in Beziehung auf sein Betragen, seine Bewegungen usw. war er ganz der Caballero, welcher jeder, der ein wenig spanisches Blut in seinen Adern hat, wenigstens äußerlich zu sein pflegt. In dieser Beziehung gleicht der Südamerikaner ganz und gar nicht dem Angehörigen der sogenannten Volksklasse europäischer Länder. Der erstere ist, selbst in Lumpen gehüllt, stets von einem ritterlichen Benehmen. Der letztere aber hat so viele Ecken und Schroffheiten in allen seinen Bewegungen, dass man in ihm, selbst wenn er Generalsuniform trüge, doch den gewöhnlichen Arbeiter unfehlbar erkennen würde.

Sein bärtiges Gesicht war interessant zu nennen. Die Wimpern waren meist bescheiden gesenkt, aber wenn sie sich erhoben, so entschleierten sie ein klares, scharfes, durchdringendes Auge, dessen Blick auf Selbstbewusstsein und Charakterstärke schließen ließ. Der Mann schien zwei ganz verschiedene Naturen in sich zu vereinigen, den unterdrückten, demütigen Arbeiter und den mutigen, besonnenen Pampas- und Urwaldläufer, welcher, wenn es nötig war, auch einen hohen Grad von Schlauheit entwickeln konnte.

Er wählte sich unter den vorhandenen Süßigkeiten das ihm Beliebende mit einer Miene aus, als ob er seit frühester Jugend in so angenehmen Lokalen verkehrt habe. Er genoß es mit der Eleganz einer Dame, der so etwas geläufig ist, und verriet durch keine Miene, dass ich derjenige sei, welcher schließlich bezahlen werde. Dabei sagte er in der ihm eigen scheinenden Weise, in wohlgesetzten Worten zu sprechen: »Sennor haben mir einen Wink gegeben, auf Sie zu warten. Ich habe gehorcht und bin nun bereit, Ihre Befehle zu vernehmen.«

»Ich beabsichtige nicht, Ihnen Befehle zu erteilen«, antwortete ich. »Es ist vielmehr eine Bitte, welche ich Ihnen vorlegen möchte. Ich war Zeuge des Schlusses Ihrer Unterredung mit Sennor Tupido. Ich entnehme aus dem Gehörten, dass Sie sich in einer abhängigen Lage von diesem Herrn befinden?«

»Hm! Vielleicht!« antwortete er mit der lächelnden Miene eines Mannes, welcher, ohne sich zu schaden, tausend Taler verschenken kann.

»Zugleich hörte ich, dass Sie durch den Besitz von zweihundert Papiertalern im Stande sein würden, sich aus dieser Knechtschaft zu befreien. Würden Sie mir nun gestatten, Ihnen diese Summe zur Verfügung zu stellen?«

Er blickte mich groß an. Der Betrag war zwar nicht bedeutend, nur zweiunddreißig Mark nach deutschem Gelde, aber für einen armen Teesammler doch wohl nicht gering. Die Lage des Mannes hatte meine Teilnahme erregt, und einem glücklichen Instinkte folgend, wollte ich ihm das Geld schenken, obgleich ich selbst keineswegs ein wohlhabender Mann war.

»Ist das Ihr Ernst, Sennor?«, fragte er. »Welchen Zweck verfolgen Sie dabei?«

»Keinen andern als nur den, Sie in den Besitz Ihrer geschäftlichen Selbstständigkeit zu bringen.«

»Also Mitleid?«

»Nein, sondern Teilnahme. Das Wort Mitleid hat eine Nebenbedeutung, welche nicht geeignet sein würde für den caballeresken Eindruck, welchen Sie auf mich machen.«

Sein Gesicht, welches sich verfinstert hatte, erhellte sich.

»Sie halten mich also trotz meiner Armut für einen Caballero?«, fragte er. »Aber wie stimmt ein Almosen mit dem Worte Caballero überein?«

»Von einem Almosen ist keine Rede.«

»Also ein Darlehen?«

»Wenn Sie es so nennen wollen, ja. Werden Sie dasselbe annehmen?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Welche Bedingung stellen Sie?«

»Sie verzinsen mir die Summe zu drei Prozent. Kündigung ist auf ein Jahr. Jeder von uns beiden hat bei unsrer nächsten Begegnung das Recht, zu kündigen, worauf Sie das Geld nach Ablauf eines Jahres an mich zu entrichten haben.«

»Und wenn wir uns nicht wieder treffen?«

»So behalten Sie es oder schenken es nach fünf Jahren einem Manne, welcher ärmer ist als Sie.«

Da streckte er mir die Hand entgegen, drückte die meine in herzlichster Weise und sagte: »Sennor, Sie sind ein braver Mann. Ich nehme Ihr Darlehen mit Vergnügen an und weiß, dass Sie keinen Peso verlieren werden. Darf ich fragen, wer und was der fremde Sennor ist, welcher sich so freundlich meiner annimmt?«

Ich gab ihm meine Karte.

»Ein Alemano!«, sagte er im Tone der Freude, als er den Namen gelesen hatte. »Nehmen Sie auch die meinige, Sennor!«

Er langte in seine zerfetzte Jacke, zog aus derselben ein sehr feines, kunstvoll gesticktes Visitenkartentäschchen hervor und gab mir aus demselben eine Karte. Auf derselben stand: »Sennor Mauricio Monteso, Guia y Yerbatero.«

Also Fremdenführer und Teesammler war er. Das schien ein guter Fund für mich zu sein.

»In welchen Gegenden seid Ihr bewandert, Sennor?«, fragte ich ihn. »Ich will nach Santiago und Tucuman und stand im Begriff, mich nach einem zuverlässigen Führer zu erkundigen.«

»Wirklich? Dann werde ich Ihnen einen meiner besten Freunde empfehlen. Er ist ein Mann, auf welchen Sie sich vollständig verlassen können, kein Arriero, dessen Sinn einzig nur dahin steht, den Fremden nach Kräften auszunützen.«

»Sie selbst haben wohl nicht Lust oder Zeit, den Auftrag anzunehmen?«

Er sah mich freundlich prüfend an und fragte dann: »Hm! Sind Sie reich, Sennor?«

»Nein.«

»Und dennoch borgen Sie mir Geld! Darf ich fragen, was Sie da drüben wollen? Sie gehen doch nicht etwa als Goldsucher oder aus andern spekulativen Gründen nach Argentinien?«

»Nein.«

»So, so! Will es mir überlegen. Wann aber wollen Sie hinüber?«

»So bald wie möglich.«

»Da werde ich wohl nicht können, denn ich habe noch einiges abzumachen, was nicht aufgeschoben werden darf. Übrigens befindet sich der Freund, den ich Ihnen empfehlen will, auch nicht hier. Ich müßte Sie zu ihm führen, und das ist ein weiter Weg ins Paraguay hinein. Dieser Umweg würde sich aber gewiß lohnen, denn er ist ein Mann, an den kein zweiter kommt, der berühmteste und gewandteste Sendador, den es nur geben kann. Wollen Sie sich die Sache nicht wenigstens überlegen? Sie kommen trotz des Umweges mit ihm weit eher und wohlbehaltener ans Ziel, als mit einem Führer, mit welchem Sie sofort aufbrechen können, dessen Unkenntnis Ihnen aber bedeutende Zeit- und auch andre Verluste bereiten würde.«

»Wann und wo kann ich Sie treffen, um Ihnen meinen Entschluss mitzuteilen?«

»Eigentlich wollte ich nur bis morgen hier bleiben; aber ich will noch einen Tag zulegen. In meine Herberge mag ich Sie nicht bemühen; lieber komme ich zu Ihnen.«

»Schön! Kommen Sie morgen am Mittag nach dem Hotel Oriental, wo Sie mich in meinem Zimmer treffen werden. Ich glaube, bis dahin eine Entscheidung getroffen zu haben.«

»Ich werde mich pünktlich einstellen, Sennor. Darf ich fragen, ob Sie mit Sennor Tupido in geschäftlicher Verbindung stehen?«

»Das ist nicht der Fall. Ich gab ein Empfehlungsschreiben ab.«

»Hat er Sie eingeladen?«

»Ja. Für heute abend acht Uhr in seine Privatwohnung.«

»Die kenne ich. Sie befindet sich auf der Straße, welche nach La Union führt. Es ist eine kleine, prächtige Villa, welche Ihnen sehr gefallen wird. Leider möchte ich bezweifeln, dass die Bewohner Ihnen ebenso gefallen.«

»Wenn sie dem Sennor ähneln, so werde ich mich bei ihnen nicht übermäßig amüsieren.«

»So! Hm! Seine Person hat also auch Ihnen nicht behagt?«

»Gar nicht. Es kam sogar zu einem kleinen Zusammenstoße zwischen ihm und mir.«

Er hatte während der letzten Minuten den Blick meist draußen auf der Straße gehabt, als ob er dort nach etwas forsche. Da ich mit dem Rücken nach dieser Richtung saß, konnte ich nicht sehen, was seine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch nahm. Jetzt fuhr er im Tone der Besorgnis auf: »Caramba! Haben Sie ihn etwa dabei beleidigt?«

»Einige scharfe Worte hat es gegeben, aber von einer eigentlichen, wirklichen Beleidigung ist wohl keine Rede.«

»Und Sie werden trotz der Differenz, welche Sie mit ihm hatten, zu ihm gehen?«

»Ja. Warum nicht?«

»Tun Sie es immerhin! Aber nehmen Sie sich in acht! Man vergißt Beleidigungen hier nicht so leicht. Die Rache trägt zuweilen ein außerordentlich freundliches Gesicht.«

»Haben Sie Grund zu dieser Warnung?«

»Ich vermute es. Bitte, drehen Sie sich doch einmal um! Sehen Sie den Mann, welcher grad gegenüber an der Gittertüre lehnt?«

Der Mensch, welchen der Yerbatero meinte, stand vis-a-vis am verschlossenen Eingange des Hauses, ganz in der nachlässigen Haltung eines Mannes, dessen einzige Absicht es ist, zu seiner Unterhaltung das Treiben der Straße zu beobachten. Er war in Hose, Weste und Jacke von dunklem Stoffe gekleidet, trug einen breitrandigen Sombrero auf dem Kopfe und rauchte mit sichtbarem Behagen an einer Zigarette.

»Ich sehe den Mann«, antwortete ich. »Kennen Sie ihn?«

»Ja. Er ist bekannt als einer der verwegensten Agenten für gewisse Geschäfte, bei denen es auf einige Unzen Blut nicht ankommt. Er beobachtet Sie.«

»Nicht möglich!«

»Bitte! Ich sage es Ihnen, und Sie können es glauben. Als ich an der Ecke der Plaza de la Independencia auf Sie wartete, bemerkte ich ihn, dass er ebenso stand wie jetzt, scheinbar ganz unbefangen, aber den Blick doch scharf auf das Geschäftshaus von Sennor Tupido gerichtet. Als Sie aus demselben traten, ging er uns nach und stellte sich da drüben auf. Mir kann seine Aufmerksamkeit unmöglich gelten, folglich gilt sie Ihnen.«

»Vielleicht irren Sie sich doch. Es ist nur ein Zufall, dass er in gleicher Richtung mit uns ging.«

»Und auch Zufall, dass er sich da drüben aufstellte? Nein. Solche Zufälle gibt es hier nicht. Beobachten Sie ihn unbemerkt, wenn Sie von hier fortgehen, und Sie werden ganz gewiß sehen, dass er es auf Sie abgesehen hat. Sagen Sie mir morgen wieder, ob ich Recht gehabt habe oder nicht. Ich bitte Sie wirklich, meine Beobachtung zu beherzigen.«

»Aber, Sennor, wenn es sich wirklich um eine Rache handelt, so muss ich doch sagen, dass ich Tupido nicht in der Weise beleidigt habe, dass er mir einen Bravo auf den Hals schicken könne.«

»Vielleicht nennt man in Ihrem Vaterlande eine Beleidigung geringfügig, welche hier nur mit Blut abzuwaschen ist. Sie haben es mit Abkömmlingen der alten Spanier zu tun, was Sie ja nicht vergessen dürfen. Oder gibt es außer Tupido vielleicht einen andern, dessen Zorn Sie erregt haben?«

»Schwerlich! Einen sehr komischen Sennor, dessen Besuch ich empfing und welcher mir bei seinem Fortgehen allerdings sogar mit der Faust drohte, kann ich unmöglich zu den gefährlichen Leuten zählen.«

»Hm! Was nennen Sie komisch, und was nennen Sie gefährlich? Kennen Sie den Namen des betreffenden Mannes?«

»Er nannte sich Esquilo Anibal Andaro.«

»Lieber Himmel! Der ist gar kein komischer Mann. Der ist einer der eingefleischtesten Blancos, die es gibt. Ihm ist alles, alles zuzutrauen. Ich kenne ihn, ich kenne ihn! Wenn Sie mir doch anvertrauen wollen, welchen Zweck sein Besuch hatte und wie derselbe abgelaufen ist!«

Ich erzählte ihm das kleine, mir lustig vorkommende Abenteuer meiner Verwechslung mit dem Obersten Latorre. Die Miene des Yerbatero wurde immer ernster.

Er sagte, als ich geendet hatte: »Sennor, ich wette, dass dieser Andaro Ihnen den Bravo zum Aufpasser gegeben hat. Nehmen Sie sich in acht, und gehen Sie nicht ohne Waffen aus!«

»Kennen Sie den Obersten auch?«

»Ich habe ihn noch nie gesehen, sonst würde Ihre Ähnlichkeit mit ihm auch mir aufgefallen sein. Aber ich weiß, dass es eine Partei gibt, welche große Hoffnungen auf ihn setzt. Dass Sie in Ihrem Äußeren eine solche Ähnlichkeit mit ihm besitzen, kann, wie Sie sehen, unter Umständen bedenklich für Sie werden. Kein Parteigänger ist hier seines Lebens sicher, und wenn man Sie für einen solchen hält, so kann sich leicht eine Kugel oder ein Messer zu Ihnen verirren.«

»Das ist einerseits fatal, andererseits aber hoch interessant.«

»Ich danke für das Interessanteste, wenn es möglich ist, dass ich es mit dem Leben bezahlen muss! Wie nun, wenn dieser Esquilo Anibal Andaro Ihnen nach dem Leben trachtet, weil er Sie für Latorre hält?«

»Das ist geradezu unmöglich.«

»Meinen Sie? Warum?«

»Weil beide zu einer und derselben Partei gehören. Er kam ja doch, um Latorre ein Geschäft anzubieten!«

»Daran glaube ich nicht.«

»Aber, Sennor, er hat es ja doch mir angeboten, weil er mich für den Obersten hielt!«

Über sein Gesicht glitt ein außerordentlich pfiffiges Lächeln.

»Man merkt es, dass Sie ein Bücherwurm sind«, sagte er. »Im Leben geht es weit anders zu als in Ihren Büchern. Latorre gehört nämlich nicht zur Partei Ihres Sennor Andaro, den Sie komisch nennen. Er hält zwar sehr mit seiner eigentlichen Meinung zurück, denn er ist nicht nur ein kühner, sondern auch ein vorsichtiger Mann; aber man weiß doch ziemlich genau, dass er zu den Roten hält und nicht zu den Weißen.«

»Warum aber trägt ihm Andaro ein Geschäft an?«

»Zum Schein nur, um ihn blamieren zu können. So wenigstens denke ich mir. Denken Sie sich doch das Aufsehen, wenn die Blancos sagen könnten: Wir haben eine Unterschrift Latorres, mit welcher er bestätigt, dass er von uns fünftausend Pesos erhalten hat, damit wir ihm die Waffen zum Aufstande liefern! Er hätte sich dadurch für alle Zeit unmöglich gemacht.«

»Ah, jetzt durchschaue ich diesen Andaro.«

»Entweder hält er Sie für Latorre und ärgert sich darüber, dass Sie sich nicht auf seine Leimrute gesetzt haben, oder er hat eingesehen, dass Sie wirklich ein anderer sind, und ärgert sich nun, einem Fremden Einblick in seine Pläne gewährt zu haben, was für ihn und seine Partei gefährlich werden kann, wenn Sie Latorre davon benachrichtigen. In beiden Fällen haben Sie nichts Gutes von ihm und den Blancos zu erwarten. Es muss ihnen daran liegen, Sie am Sprechen zu hindern. Und womit erreicht man das am sichersten? Beantworten Sie sich diese Frage selbst!«

»Wollen Sie mir wirklich Sorge machen, Sennor Monteso?«

»Ja, das will ich. Der Bravo steht nicht zum Scherze so lange da drüben. Darauf können Sie sich wohl verlassen. Ich kenne die hiesigen Verhältnisse besser als Sie.«

»So wäre ich ja gleich mit meinem ersten Sprunge an dieses schöne Land in ein Loch geraten, in welchem ich sehr leicht stecken bleiben kann!«

»Dieser Vergleich ist sehr richtig. Steigen Sie schnell heraus, und laufen Sie davon! Ich meine es gut mit Ihnen. Damit aber will ich nicht etwa sagen, dass Sie gleich heute von hier aufbrechen sollen. Nehmen Sie sich nur vor dem Bravo und andern Fallen in acht, welche man Ihnen legen könnte. Ich bin überzeugt, dass Sie bis morgen mittag, wo ich zu Ihnen komme, irgend etwas erlebt haben werden. Da sollte es mich freuen, zu erfahren, dass meine Warnung nicht unbeachtet geblieben ist.«

»Ich werde sie mir zu Herzen nehmen, Sennor. Und da ich sehe, dass Sie gehen wollen, so erlauben Sie mir, Ihnen die zweihundert Peso jetzt auszuzahlen.«

Ich schob ihm fünf Diez Pesos Fuertes zu. Er wickelte sie zusammen und steckte sie mit einer Miene in die Westentasche, als ob es nur ein Stückchen Zigarettenpapier sei. Dann reichte er mir die Hand, machte mir eine höflich vertrauliche Verbeugung und entfernte sich.

Jetzt nahm ich seinen Platz ein, um den Bravo beobachten zu können. Dieser musterte den aus der Türe tretenden Yerbatero mit einem kurzen Blicke und machte dann eine ungeduldige Bewegung. Nach einer Weile entfernte auch ich mich. Dabei tat ich so, als ob ich den Menschen gar nicht bemerkte. Ich schritt durch mehrere Straßen, blieb an verschiedenen Schaufenstern stehen und überzeugte mich, dass der Mann mir allerdings unausgesetzt folgte.

So verging wohl eine Stunde, und die Dämmerung machte sich bemerkbar. Glockenton machte mich darauf aufmerksam, dass ich mich in der Nähe der Kathedrale befand. Auf meine Erkundigung erfuhr ich, dass man sich jetzt zum täglichen Ave Maria de la noche in die Kirche begebe, und ich schloß mich den gebetsbedürftigen Leuten an.

Der hehre, lichtdurchflossene Raum war von so vielen Gläubigen besucht, dass die Gemeinden mancher europäischen Hauptstädte sich ein Beispiel daran nehmen könnten. Ein gemischter Chor mit Orgelbegleitung tönte von dem Chore herab. Die Sänger waren ziemlich gut geschult, aber der Organist war ein Spieler fünften oder sechsten Ranges. Er verstand das Registrieren nicht und griff sogar sehr häufig fehl.

Die Orgel ist mein Lieblingsinstrument. Ich stieg hinauf, um mir den Mann, welcher die weihevolle Komposition von Palestrina so verdarb, einmal anzusehen. Der Kantor stand dirigierend vorn am Pulte. Der Organista war ein kleines, dünnes, bewegliches Männchen, dessen Gestalt unter den mächtigen Prospektpfeifen noch kleiner erschien, als sie war. Als er sah, dass ich, an der Ecke des Orgelgehäuses lehnend, ihn beobachtete, kam ihm sichtlich die Lust, mir zu imponieren. Er zog schleunigst Prinzipal und Kornett und einige sechzehnfüßige Register dazu. Das gab natürlich einen Lärm, welcher die Vokalstimmen ganz verschlang. Dennoch erhielt er von dem Dirigenten keinen Wink. Das Kirchenstück wurde in dieser Weise bis zu Ende gesungen.

Dann kam ein kurzes Vorspiel, welches aus einem verunglückten Orgeltrio auf zwei Manualen und dem Pedal bestand und in eine mir so bekannte und liebe Melodie leitete. Leider aber hatte der Organista oben Vox angelica, Vox humana, Äoline und Flauta amabile gezogen und dazu für die Bässe die tiefsten und stärksten Register, so dass die schöne Melodie wie ein Bächlein im Meere der Bässe verschwand.

Das konnte ich unmöglich aushalten. Mochte der biedere Orgelschläger mich meinetwegen dafür mit ewiger Blutrache verfolgen, ich huschte zu ihm hin, schob die volltönenden Stimmen hinein und registrierte anders. Er blickte mich erst erstaunt und dann freundlich an. Mein Arrangement schien ihm besser zu gefallen als das seinige.

Nach dem dritten Verse trat der Predicador zum Altare, um ein Gebet vorzulesen. Dies benutzte der Organista zu der leisen Frage an mich:

»Spielen Sie auch die Orgel, Sennor?«

»Ein wenig«, antwortete ich ebenso leise.

Sein kleines, dünnes Gesicht glänzte vor Freude.

»Wollen Sie?«, nickte er mir einladend zu.

»Welche Melodie?«

»Ich schlage sie Ihnen auf und das Gesangbuch dazu. Es sind nur drei Verse. Sind Sie hier bekannt?«

»Nein.«

»So winke ich Ihnen, wenn Sie anfangen sollen. Erst ein schönes, liebliches Vorspiel; dann die Melodie recht kräftig mit leisen Zwischenspielen und endlich nach dem dritten Verse eine Fuga mit allen Stimmen und Contrapunkto. Wollen Sie?«

Ich nickte, obgleich er mehr verlangte, als in meinen Kräften stand. Eine Fuge und Orgelpunkt!

Ich zog die sanften Stimmen zu dem »schönen, lieblichen Vorspiel«, und da war auch schon das Gebet zu Ende, der Segen erteilt, und der Organista stieß mich mächtig in die Seite, was zweifelsohne der Wink sein sollte, den er mir hatte geben wollen. Ich begann.

Wie ich gespielt habe, das ist hier Nebensache. Ich bin keineswegs ein fertiger Spieler, und ob mein »Contrapunkt« Gnade vor einem Kenner gefunden hätte, bezweifle ich mit vollstem Recht. Aber man war die Kunst des kleinen Organista gewöhnt, und so fiel mein Spiel auf. Im Schiffe der Kirche standen nach dem Gottesdienste die Leute noch alle und oben der Kantor, der Organista und sämtliche Sänger um mich her. Ich musste noch eine Fuge zugeben und erklärte aber dann, dass ich fort müsse. Der Organista legte sein Ärmchen in meinen Arm und schien sich meiner bemächtigen zu wollen. Er führte mich unten durch die neugierig wartende Menge und erklärte, als wir vor der Kathedrale anlangten, dass ich unbedingt mit ihm gehen und zu Abend bei ihm speisen müsse.

»Das ist unmöglich, Sennor«, antwortete ich, »denn ich bin bereits geladen.«

»Zu wem?«

Ich sagte es ihm.

»So darf ich Sie freilich nicht belästigen. Dafür aber müssen Sie mir die Ehre erzeigen, morgen das Frühstück bei mir einzunehmen. Wollen Sie?«

»Mit Vergnügen.«

»Ich verlasse mich darauf, Sie zehn Uhr bei mir zu sehen. Dann spielen wir miteinander vierhändig und vierbeinig Orgel. Ich habe prächtige Noten dazu. Und zu Mittag essen wir auch bei mir.«

»Um diese Zeit bin ich bereits in Anspruch genommen.«

»Tut nichts, Sennor. Das wird sich wohl ändern lassen. Ich gehe mit zu dem, der Sie in Anspruch nehmen will, und bitte Sie los. Ich kenne Ihren Namen noch nicht, aber wir sind Brüder in organo und werden einander lieb gewinnen.«

»Hier ist meine Karte!«

»Danke! Von mir habe ich keine mit. Ist auch nicht nötig. Ich will von Ihnen das Registrieren lernen, denn, unter uns gesagt, ich ziehe stets die verkehrten Stimmen. Man muss auf die Hände und Füße Acht geben und auf Noten und Gesangbuch sehen. Wie kann man da eigentlich noch an die Register denken! Das ist mir unbegreiflich. Ich werde es Ihnen hoffentlich ablauschen. Übrigens, wenn Sie nach der Quinta des Sennor Tupido wollen, so gehen wir miteinander. Meine Wohnung liegt nur ein wenig abseits Ihres Weges.«

Er zog mich mit sich fort und beschrieb mir die Lage der Quinta so genau, dass ich sie mit geschlossenen Augen hätte finden können.

Indessen war es natürlich Abend geworden, ein wunderbar schöner, südamerikanischer Frühlingsabend. Der Mond schien fast voll auf den blinkenden Marmor der Häuser nieder, an denen wir vorüberkamen, und der aus den Gärten und Höfen aufsteigende Blumenduft lag erquickend in der Luft.

Wir ließen den belebteren Teil der Stadt hinter uns, denn der Organista wohnte draußen »im Grünen«, wie er sich ausdrückte. Rechts und links gab es Villen. Ich hatte nicht mehr fünf Minuten bis zur Quinta Tupidos zu gehen. Da lenkte mein Begleiter oder vielmehr Führer in einen ziemlich schmalen Weg ein, der zwischen zwei Landhäusern hindurch führte.

»Wohin?«, fragte ich.

»Nach meiner Wohnung. Wir müssen wenigstens ein Glas Wein trinken, wenn Sie keine Zeit haben, mit mir zu speisen. Ich habe Sie ebenso schnell wie herzlich lieb gewonnen. Mein Domicilio liegt gleich hinter diesen zwei Gärten, zwischen denen wir jetzt gehen!«

»Gut, so begleite ich Sie bis an Ihre Türe, an welcher ich mich von ihnen verabschiede. Morgen früh zehn Uhr sehen wir uns ja sicher wieder.«

Bald waren die Gärten zu Ende, und dann standen wir vor einem kleinen Häuschen, welches an seiner niedrigen Außenseite keine Fenster, sondern nur eine Türe hatte. Während wir da, uns verabschiedend, noch einige Worte wechselten, war es mir, als ob ich Schritte hörte. Das leise Geräusch kam von dem Gange her, durch welchen wir soeben gekommen waren. Ich blickte hin.

Ein Sombrero ragte hinter der Ecke der Gartenmauer hervor. Unter diesem Hut musste ein Kopf, ein Mensch stecken. Der Mann sah, dass er bemerkt worden war. Ein Zurückweichen hätte seiner Absicht nur geschadet, denn es musste unsern Verdacht erregen; darum wählte er das in dieser Lage beste und trat hervor. Es war der Bravo, vor welchem ich von dem Yerbatero gewarnt worden war.

»Wer ist da? Was wollen Sie, Sennor?«, fragte der Organisto in ziemlich kleinlauter Weise. Er war ein winziges Männchen und schien auch kein großer Held zu sein.

Der Gefragte trat um einige Schritte näher, doch so, dass trotz des Mondscheines sein Gesicht unter der breiten Krempe des Hutes so im Dunkeln lag, dass die Züge nicht erkannt werden konnten. Ich war augenblicklich überzeugt, dass es sich um einen Angriff auf mich handle.

»Pardon, Sennores!« antwortete er. »Ich suche die Wohnung des Sennor Arriquez, und man hat mich hierher gewiesen.«

Die Stimme war unbedingt verstellt. Der Mann stand noch drei Schritte von mir entfernt und steckte die Hand in die Tasche.

»Hier wohnt kein Sennor Arriquez«, antwortete der Organista. »Man hat Sie falsch gewiesen.«

Jener trat noch einen Schritt näher; ich aber wendete mich rasch zur Seite, so dass ich wieder drei Schritte zwischen uns legte und den Mond hinter mich bekam. Nun konnte mir die kleinste seiner Bewegungen nicht entgehen.

»Einen Sennor dieses Namens kenne ich nicht«, meinte der Organista kopfschüttelnd. »Vielleicht hat man Ihnen nicht nur eine falsche Wohnung, sondern auch einen falschen Namen genannt.«

»Das glaube ich nicht. Ich meine den fremden Sennor, welcher Orgel gespielt hat.«

»Ah, der steht hier. Aber auch er heißt nicht Arriquez, sondern –«

Er hielt meine Karte, welcher er noch in der Hand hatte, dem Monde entgegen, um den Namen zu lesen. Dies benutzte der Bravo, indem er sich schnell auf mich warf. Er hatte ein Messer aus der Tasche gezogen. Ein Glück für mich, dass ich gewarnt worden war! Zwar hätte sein Benehmen auf alle Fälle meinen Verdacht erweckt, aber so ganz heiler Haut, wie jetzt, wäre ich wahrscheinlich doch nicht davongekommen. So aber trat ich einen Schritt zur Seite. Die blinkende Klinge zuckte an mir vorüber, und der Kerl bekam von mir einen Fausthieb an den Kopf, dass er taumelte. Gleich hatte ich ihn mit der Linken beim Genick und schlug ihm die Rechte von unten an den Ellbogen, so dass ihm das Messer aus der Hand flog. Dann schleuderte ich ihn gegen die Mauer des Hauses; er sank dort nieder und blieb liegen. Das alles war das Werk nur weniger Augenblicke.

Dem guten Organista war vor Schreck die Karte entfallen. Er stammelte etwas ganz Unverständliches, rang die Hände und schnappte nach Atem; dann aber erhielt er die Sprache zurück und schrie aus Leibeskräften: »O Unglück, o Traurigkeit! Zu Hilfe, zu Hilfe!«

»Schweigen Sie doch, Sennor!« gebot ich ihm. »Es ist nicht die geringste Gefahr vorhanden.«

»Das ist Verblendung, Herr! Es sind ja Mörder hier! Solche Leute haben stets Helfershelfer bei sich. Wir müssen fort; wir müssen fliehen! Aber wohin, wohin? Was tue ich doch nur? Was – ah, welch ein Glück! Ich habe doch den Türschlüssel bei mir; ich kann ja in mein Haus! Ich bin gerettet!«

Er schloß schnell auf, trat hinein und schloß die Türe hinter sich zu, ohne mich eingeladen zu haben, mit ihm zu kommen. Er wusste sich in Sicherheit. Ob aber ich nun doch noch abgewürgt oder abgestochen wurde, das war ihm sehr gleichgültig. Er blieb hinter dem Gitter stehen und rief mir durch dasselbe zu: »Gelobt sei Gott, ich bin gerettet! Machen Sie schnell, dass Sie fortkommen, Sennor!«

»So? Weshalb haben Sie mich nicht mit in Ihr Haus genommen?«

»Danke sehr! Ich will nicht die Rache der Bravos auf mich lenken. Gehen Sie, gehen Sie! Ich darf Sie nicht vor meinem Hause dulden!«

»Ah! Das sagen Sie, trotzdem Sie sich meinen Freund nannten und mir versicherten, dass Sie mich lieben?«