Elizabeth Taylor - Juliana Weinberg - E-Book
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Weinberg Juliana

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Beschreibung

Elizabeth Taylor: glamouröse Ikone, Schauspielerin, Liebende Schon jung muss die kleine Elizabeth höchsten Ansprüchen genügen: Ihre Mutter Sara hat ihr ehrgeizige Ziele gesetzt. Die kleine Liz soll der größte Stern am Himmel Hollywoods werden. Schon als Zehnjährige ergattert Elizabeth einen Vertrag bei der namenhaften Agentur MGM. Ihr erster großer Film »Lassie« macht sie schlagartig zum Megastar, ihr Leben findet ab diesem Augenblick fast ausschließlich am Filmset statt. Ein liebevolles Umfeld aus Familie und Freunden kennt sie nicht. Sie begibt sich auf die Suche nach einer Liebe, groß genug, um diese Lücke zu füllen …

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Elizabeth Taylor

Die Autorin

JULIANA WEINBERG wurde in Neustadt an der Weinstraße geboren. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern im Pfälzer Wald. Neben dem Schreiben ist ihr Beruf als Lehrerin ihre große Erfüllung.

Von Juliana Weinberg sind in unserem Hause außerdem erschienen:Audrey Hepburn und der Glanz der SterneJosephine Baker und der Tanz des LebensMein Sommer mit Zelda - Mit den Fitzgeralds an der RivieraDie Kinder der Luftbrücke

Juliana Weinberg

Elizabeth Taylor

Die größte Liebende Hollywoods

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Oktober 2023© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: © mauritius images / SOTK2011 / Alamy / Alamy Stock Photos (Elizabeth Taylor); www.buerosued.de Autorinnenfoto: © Fotostudio BackofenE-Book-Konvertierung powered by pepyrusAlle Rechte vorbehalten.Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.ISBN 978-3-8437-3036-5

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Inhalt

Titelei

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

 

Prolog

Teil I

1

2

3

Teil II

4

5

6

7

Teil III

8

9

10

11

12

Teil IV

13

14

15

16

17

18

Teil V

19

20

21

22

23

24

Teil VI

25

26

27

Epilog

Anhang

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Widmung

I feel very adventurous. There are so many doors to be opened, and I’m not afraid to look behind them.

Ich fühle mich sehr abenteuerlustig. Es gibt noch so viele Türen, die zu öffnen sind, und ich habe keine Angst, dahinterzuschauen.

Elizabeth Taylor

Prolog

Die kleine Prinzessin

April 1939

Die Sterne flimmerten am schwarzen Himmel wie silberne Kreuzstiche im Mantel der Nacht, mal leuchteten sie auf, dann schienen sie wieder schwächer, ein stetiger Wechsel. Elizabeth wurde nicht müde, das Spektakel zu bestaunen und zugleich fasziniert den hohen Wellen zu lauschen, die gegen den Bug des Ozeanriesen schlugen, im immer gleichen, beruhigenden Rhythmus. Seit einigen Tagen bereits war die SS Manhattan ihr Zuhause, trug sie über den Atlantik von der Alten in die Neue Welt. Ihr Zuhause in London, wo Vater die Filiale einer prosperierenden New Yorker Galerie leitete, hatten die Taylors verlassen, um sich wieder in ihrer ursprünglichen Heimat Amerika anzusiedeln; Vater war der Meinung, dies sei sicherer, denn obwohl in Europa noch ein brüchiger Frieden herrschte, brodelte es unter der Oberfläche wie in einem Dampfkessel, jederzeit bereit zu explodieren.

»Sara, du reist mit den Kindern vor, Großvater wird euch in Pasadena beherbergen, bis ich nachkomme. Der Verkauf der Galerie wird einige Zeit in Anspruch nehmen, aber ich versuche, alles so rasch wie möglich unter Dach und Fach zu bekommen«, hatte Vater, die Stirn sorgenvoll gefurcht, zu Mutter gesagt, nicht ahnend, dass Elizabeth in der Ecke des Salons kauerte, ein Puzzle legte und aufmerksam zuhörte; vielleicht dachte er aber auch, dass sie mit ihren sieben Jahren kaum die Bedeutung dessen, was er Mutter so eindringlich darlegte, verstand. Doch sie verstand sehr wohl. Das unbeschwerte Leben in London mit den kostspieligen Ballettstunden, den idyllischen Picknicks im Park, den Ausflügen nach Kent und Sussex, den herrlichen Urlauben an der Küste Norfolks, den Teepartys mit Mutters adligen Bekannten, zu deren Welt sie durch Beharrlichkeit Zugang gefunden hatte – all das gehörte nun der Vergangenheit an. Am schmerzlichsten war der Abschied von ihrem Pony; es in England zurückzulassen war, wie einen treuen Freund zu verlieren, und zwar für immer.

»Wo bleibst du denn, Liebes?« Mutters Stimme übertönte das Dröhnen der Schiffsmotoren und das klatschende Geräusch der Wellen, die sich am Schiffsrumpf brachen. »Wir sollten uns sputen, die Kinovorstellung beginnt gleich.«

Elizabeth hatte noch nie einen Film gesehen, sie wusste gar nicht, was ein Kino war, besaß lediglich eine vage Vorstellung eines dunklen, höhlenartigen Raumes, aber es musste etwas Besonderes sein, denn Mutter hatte sich herausgeputzt und trug ein figurbetontes, lindgrünes Kleid mit spitzem Kragen und eng geschnürtem Gürtel, der ihre schmale Taille betonte. »Ich komme ja schon, Mommy«, rief Elizabeth der Mutter zu.

Ihr Bruder Howard, der mit seinen zehn Jahren drei Jahre älter war als sie, hielt ein Papierflugzeug in der Hand, das er, von Brummlauten begleitet, über das Deck fliegen ließ. »Müssen wir uns die Vorstellung anschauen? Sie ist bestimmt langweilig. Die kleine Prinzessin, das klingt nach einer Geschichte für Mädchen, das ist nichts für mich.«

»Du schaust es dir trotzdem an, du kannst nicht allein in der Kabine bleiben.« Mutter klang unerbittlich. »Der Film ist in aller Munde, es schadet nicht, wenn du mitreden kannst.«

Bald darauf reihten sie sich in die Schlange der anderen Passagiere ein, die ebenfalls dem Bordkino entgegenstrebten, und wurden in den Saal eingelassen, der tatsächlich fast so dunkel war, wie Elizabeth sich das vorgestellt hatte – lediglich einige trübe Lampen an den Wänden spendeten etwas Helligkeit. Es roch stickig und nach zuckrigen Süßigkeiten. Elizabeth sank tief in den purpurroten Samtsessel und baumelte abwartend mit den Beinen, denn ihre Füße berührten noch nicht den Boden.

Einige zu spät kommende Gäste drängten sich an ihnen vorbei, um ebenfalls ihre Plätze einzunehmen, und ein ums andere Mal verharrte jemand, den Elizabeth flüchtig aus dem Restaurant oder vom Sonnendeck her kannte, vor ihr, betrachtete sie mit einem schwärmerischen Blick und flüsterte Mutter Dinge zu wie: »Das Kind ist solch eine Schönheit, einfach allerliebst. Diese violetten Augen – wie blühender Lavendel.«

»Nicht wahr?«, antwortete Mutter stolz und strich Elizabeth über das dunkle, weiche Haar sowie die kinderzarte, milchweiße Haut. Sie selbst verstand nicht, wieso die Leute immer über ihr Aussehen sprachen, es war, als lobten sie sie für etwas, für das sie gar nichts konnte.

Howard verdrehte verdrießlich die Augen. »Geht’s endlich los?«

»Leise jetzt«, wies Mutter ihn zurecht, dann, an ihre Tochter gewandt: »Hör auf, mit den Füßen zu schlenkern, das ist nicht damenhaft. Du bist kein Kleinkind mehr.«

Elizabeth hielt augenblicklich die Beine still, sie wusste, welch großen Wert Mommy auf gutes Benehmen legte.

Die Lichter zu beiden Seiten des kleinen Saals erloschen, die Leinwand erstrahlte, erst zuckten helle Lichtpunkte darüber, dann begann der Film.

Die kleine Prinzessin. Shirley Temple spielte die Rolle der Halbwaisen Sara, der im Mädchenpensionat von Miss Minchin übel mitgespielt wurde, mit rührendem Ernst. Selbst Howard, der am Anfang noch gegähnt hatte, schaute nun gefesselt zu, während Elizabeth vollends dem Zauber der bewegten Bilder verfiel. Ihr war, als würde sie in eine völlig fremde Welt hineingezogen, mit unbekannten Orten, Menschen, die sie nie zuvor gesehen hatte und deren Schicksal ihr doch so nah ging, als kenne sie sie seit langer Zeit. Wie aufregend, das Leben für eineinhalb Stunden mit den Augen der kleinen Sara zu sehen, sich so in sie hineinzufühlen, als verschmelze sie mit ihr, könne ihre Traurigkeit darüber spüren, ihre privilegierte Stellung zu verlieren, ihren Mut, sich nicht geschlagen zu geben, ihre unbändige Freude, ihren verschollenen Vater wiederzufinden. Filme waren anscheinend wie Bücher, für eine Weile entführten sie einen aus der Wirklichkeit, mit dem kleinen Unterschied, dass sie einen in den Sog schwarz-weißer, über eine Leinwand wirbelnder Bilder zogen, während man sich das Geschehen in Büchern selbst vorstellen musste. Hoffentlich würde sich bald wieder die Gelegenheit ergeben, solch eine Vorstellung zu besuchen!

Als Shirley Temple in der Schlussszene noch einmal zu sehen war und das Publikum mit ihren verschmitzten Augen in dem kindlich pausbackigen Gesicht anlächelte, wirkte selbst Howard endgültig begeistert.

Dann gingen die Lichter im Kinosaal wieder an, und Elizabeth wurde jäh aus der Filmwelt, in der sie außer Zeit und Raum geschwebt hatte, gerissen.

»War ganz in Ordnung, der Schmachtschinken. Aber vielleicht können wir das nächste Mal was mit Cowboys und Indianern sehen.« Howard gab sich wieder großspurig, um älter zu erscheinen, als er war. Seit sie sich auf der SS Manhattan aufhielten, versuchte er, Vater zu vertreten, auch wenn Mutter sich davon nicht sehr angetan zeigte. Diese saß noch immer mit im Schoß gefalteten Händen auf ihrem Samtsessel, der Blick wie verschleiert, so als befinde sie sich noch in der Epoche des zweiten Burenkriegs, in der der Film spielte.

»Wir sollten gehen«, flüsterte Elizabeth ihr zu, als bereits das Personal erschien, um die inzwischen fast leeren Reihen auszufegen.

»Hm?« Mutter sah sie an, als erwache sie aus einem tranceartigen Zustand, doch dann nickte sie. »Ja, lasst uns gehen und noch eine Kleinigkeit essen, bevor wir uns in die Kabine zurückziehen. Ich freue mich, dass euch der Film gefallen hat, Kinder. Die Akteure waren exzellent.«

Elizabeth wusste natürlich, dass niemand die Darstellungskunst der Mitwirkenden so gut zu beurteilen vermochte wie Mommy, war sie doch selbst einmal Schauspielerin gewesen, wenn sie auch nur auf Theaterbühnen, nicht vor Kameras gestanden hatte. Sie erzählte ihrer Tochter gerne von diesen längst vergangenen Zeiten, Howard hingegen interessierten die alten Geschichten nicht, er tobte lieber auf Bäumen herum und ließ winzige Flöße, die er aus Rindenstücken bastelte, im Fluss schwimmen.

»Aber das war, bevor ich deinen Daddy kennenlernte«, schloss Sara Taylor jedes Mal seufzend und küsste Elizabeth auf das dunkle Haar. »Dann war es mit der Schauspielerei vorbei.«

Es versetzte Elizabeth stets einen Stich, den wehmütigen, fast bedauernden Klang in der Stimme ihrer Mutter wahrzunehmen, und so fügte sie rasch hinzu: »Und dann hast du Daddy geheiratet, und zuerst Howard und dann mich bekommen.«

Damit brachte sie Mutter stets zum Lächeln.

Als letzte Familie verließ das Dreiergespann nun das Kino, um zum Bordrestaurant zu gelangen. Der Himmel hing finster vor den Bullaugen, über dem tiefen Meer schien er endlos. Bunte Glühlampen säumten die Gänge des Schiffes und verbreiteten eine fröhliche Stimmung. Während Howard laut überlegte, ob er lieber einen Hamburger oder ein Steak essen wollte, war Mutter noch immer tief in Gedanken versunken.

»Shirley Temple war reizend«, murmelte sie. »Ein begabtes junges Ding. Weißt du, Liebes, Kinderstars stehen in Amerika hoch im Kurs, allerdings habe ich den Eindruck, dass Shirleys Zeit bald ablaufen wird – immerhin ist sie schon elf, wie ich vorhin in einer dieser Klatschzeitschriften gelesen habe. Bald wird sich ihr Körper verändern, dann kann sie ihrem Image nicht mehr gerecht werden. Genauso erging es auch Judy Garland, die mittlerweile bereits siebzehn ist.«

Sie sprach ausschließlich zu Elizabeth, da Howard sich gar nicht erst die Mühe machte, vorzugeben, er höre zu. Ungestüm stieß er die Flügeltüren zum Restaurant auf, in dem es brummte wie in einem Bienenstock. Der Geruch nach köstlichen Speisen und den schweren Parfums der Damen lag in der Luft.

Plötzlich fixierte Mutter Elizabeth mit einem festen Blick. »Ich frage mich, wer der nächste Kinderstar sein wird?«

Elizabeth wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, aber vielleicht erwartete Mutter auch keine Antwort. Auch als sie ihren Tisch erreicht hatten und sich setzten, ruhte Mutters Blick noch auf ihr, so als denke sie angestrengt über etwas nach. Verwirrt und verlegen, im Fokus von Mutters Aufmerksamkeit zu stehen, ohne zu wissen, wieso, griff sie nach der Speisekarte.

»Eine Portion Würstchen mit Bratkartoffeln«, bat sie, woraufhin Sara Taylor sie anlächelte, als habe sie genau die richtige Wahl getroffen.

»Natürlich, meine kleine Prinzessin«, sagte sie sanft.

Teil I

Im goldenen Käfig1940–1942

Erfolg zu haben heißt, dass man eine Gefangene wird.Elizabeth Taylor

1

Los Angeles, 1940

»Mommy!« Die Glocke der Hawthorne Elementary School hatte gerade geläutet, und Elizabeth rannte mit dem Pulk der anderen Kinder hinaus auf den in der heißen, kalifornischen Sonne brütenden Schulhof, wo bereits eine stattliche Anzahl gut gekleideter Mütter und ebenso vieler Nannys wartete.

»Elizabeth, mein Schätzchen.« Sara Taylor, die ein maßgeschneidertes, karmesinrotes Kostüm mit einem dazu passenden flachen Hut trug, der keck auf ihren kurzen, sorgfältig zu Wellen frisierten dunkelbraunen Haaren saß, breitete die Arme aus, fing ihre Tochter auf und küsste sie liebevoll auf den Scheitel. »Ach, und da ist ja auch Howard. Komm her, mein Junge.«

Elizabeths großer Bruder kam weitaus weniger begeistert über den mütterlichen Empfang angeschlendert, in seinem Alter hielt man sich mit Gefühlsäußerungen doch lieber zurück. »Hi, Mom.«

»Howard, die Sinclairs nehmen dich heute in ihrem Auto mit nach Hause, denn deine Schwester und ich haben noch einen Termin«, ordnete Sara an und deutete mit dem Zeigefinger auf einen am Straßenrand parkenden Wagen, in den gerade Anthony Sinclair, Howards Klassenkamerad, stieg; die Bekanntschaft mit der Familie war Mutter sehr wichtig, wie Elizabeth wusste, denn Mr Sinclair arbeitete im Filmgeschäft und konnte ihnen nützlich sein. Wozu, vermochte sie mit ihren acht Jahren nicht zu sagen, aber sie musste ja auch nicht alles verstehen, wie ihr Vater Francis immer betonte.

»Was denn für einen Termin?«, fragte sie, während sie an Mutters Seite zu ihrer Familienlimousine ging, deren schwarzes Blech in der Hitze glühte. »Gehe ich heute nicht zum Ballettunterricht?«

Jeder ihrer Nachmittage war verplant, selten fand sie die Zeit, im Garten der mediterranen Villa zu spielen, in der sie wohnten, seit Vater endlich aus London nachgekommen war, und ihren Puppen im Schatten der Olivenbäume und Palmen imaginären Tee zu servieren oder sich mit Howard auf die Suche nach Salamandern und Eidechsen zu begeben, die katatonisch in den aufgewärmten Spalten des Mauerwerks saßen. Tanzunterricht, Gesangsstunden, Reiten – diese Tätigkeiten füllten die Stunden, die ihr zwischen Schule und Abendessen blieben. Doch all das bereitete ihr Spaß, außerdem gingen die meisten ihrer Schulkameradinnen ähnlichen Dingen nach. Pacific Palisades, der Stadtteil, in dem sie wohnten, war bevölkert von Mitarbeitern der Filmindustrie, Studiobossen, Regisseuren, Drehbuchautoren und natürlich von Schauspielern, und deren Nachwuchs wurde bereits früh darauf vorbereitet, einmal in die Fußstapfen der Eltern zu treten.

Der Chauffeur – wie jede andere wohlhabende Familie hatten sie Angestellte – fuhr los, an prächtigen pastellfarbenen Villen mit Swimmingpools und gepflegten Gärten vorbei, in denen farbenprächtige, exotische Blumen blühten, und Sara lächelte, als könne sie es kaum erwarten, ihrer Tochter Details über die Nachmittagsplanung zu verraten. »Den Ballettunterricht lässt du heute ausnahmsweise sausen, Liebes. Ich habe etwas anderes für dich arrangiert – Mrs Hedda Hopper wird uns in ihrer Villa empfangen.«

Elizabeths Stirn kräuselte sich. Wer war Mrs Hopper? Sicherlich eine der wechselnden Damen aus dem Filmbusiness, mit denen Mutter regelmäßig Kontakt aufnahm, mit dem Ziel … Mit welchem Ziel eigentlich? Das war Elizabeth nicht so ganz klar, es schien aber damit zu tun zu haben, dass Passanten sie noch immer oft auf ihr Äußeres – vor allem auf ihre ungewöhnlichen blaulila Augen mit den langen, seidig schwarzen Wimpern – ansprachen und Mutter entzückt rieten, ihre Tochter doch beim Film unterzubringen. Sara glühte dann jedes Mal vor Stolz und nickte gewichtig. »Mrs Hedda Hopper?«

»Ganz genau.« Da es im Wagen stickig und heiß war, ließ Sara die Scheibe ein wenig herunter, und ein leichter Luftzug strich über ihre Gesichter, die sich sehr ähnelten. »Ich habe die Dame angeschrieben, und sie hat uns eingeladen, das heißt, eigentlich gilt die Einladung in erster Linie dir. Sie ist Schauspielerin, außerdem schreibt sie eine Kolumne für die Zeitung. Ihre Meinung ist von äußerster Bedeutung, mein Kind!«

»Was soll ich tun?« Beklommen umklammerte Elizabeth ihren Tornister. Sie wünschte sich plötzlich fort aus dem Taxi, nach Hause oder zu der ruhigen Palomino-Stute Indian Summer mit dem fuchsfarbenen Fell, die sie in den Reitstunden ritt.

»Du wirst ihr vorsingen.« Sara sah sie erwartungsvoll an, so als erwarte sie Begeisterungsstürme. »Ich dachte an When the saints go marching in, das hast du doch im Gesangsunterricht geübt, nicht wahr? Ich bin sicher, Mrs Hopper wird es lieben und dich mit ein bisschen Glück in ihrer Gesellschaftsspalte erwähnen. So kommt hoffentlich eins zum anderen, und irgendein Studio wird endlich auf dich aufmerksam werden, Schätzchen.«

»Mhm.« Elizabeths Kehle war wie zugeschnürt, die Angst, einer völlig Fremden vorsingen zu müssen, rauschte ihr kalt durch die Adern. Sie wollte nur noch heim, doch Sara schien so in ihrer Vorfreude gefangen, dass sie es nicht wagte, sich zu sträuben. Wie ein Häufchen Elend kauerte sie in ihrem Sitz, bis der Chauffeur vor einer herrschaftlichen Villa im maurischen Stil vorfuhr, die sich hinter hohen, bonbonrosa blühenden Oleanderhecken verbarg. Ein Springbrunnen plätscherte sanft und ließ feine Wassertröpfchen durch die Luft schweben, als sie an Mutters Hand zur bogenförmigen Haustür ging.

Ein Dienstmädchen mit weißer Rüschenschürze öffnete ihnen und führte sie zur Dame des Hauses. Sie saß im Salon, der mit wuchtigen, dunklen Möbeln vollgestellt war, stirnrunzelnd über einigen Papieren. Elizabeth schmiegte sich schutzsuchend an Sara und musterte Mrs Hopper verstohlen. Sie mochte Mitte fünfzig sein und wirkte gleichzeitig energiegeladen und abgeklärt, so als dulde sie es nicht, dass man ihre Zeit verschwendete.

»Ach, die kleine Elizabeth.« Hedda Hopper erhob sich und strich ihr smaragdgrünes Kleid glatt, in dessen Ausschnitt eine teure Perlenkette schimmerte. »Du bist gekommen, um mir vorzusingen, nicht wahr? Du möchtest gerne eine Rolle beim Film ergattern, habe ich gehört.«

Elizabeth fühlte sich so eingeschüchtert, dass sie es nicht über sich brachte, zu widersprechen. Nie hatte sie dergleichen geäußert. Unsicher spielte sie mit der Schnalle ihres Tornisters, bis Sara ihn ihr resolut wegnahm und neben das mit weinrotem Stoff bespannte Sofa stellte. »Na los, Liebling. Stell dich aufrecht, Brust heraus, und los geht’s.«

Mrs Hopper forderte Sara mit einer Handbewegung auf, sich neben sie zu setzen, dann ruhten die Augen der beiden auf Eliza­beth, gespannt, erwartungsvoll, in Mutters Fall hoffnungsfroh leuchtend.

»Du musst nicht nervös sein, wir sind ja unter uns«, beruhigte Mrs Hopper sie und legte den Kopf schief, um sie besser beobachten zu können.

Elizabeth öffnete den Mund und wusste doch bereits im selben Moment, dass kein Ton herauskommen würde. Es ging einfach nicht. In der Singstunde, wo sie, angeleitet von der jungen, etwas verhuschten Miss Dotty, fröhliche Lieder zum Besten gab, die diese schwungvoll auf dem Klavier begleitete, fiel es ihr nicht schwer, aus sich herauszugehen, ja, dort genoss sie das Singen geradezu. Doch hier fühlte sie sich wie versteinert, ihre Stimmbänder wie in Blei gegossen.

»Schätzchen?« Mutters eben noch weicher Blick wurde schärfer, und sie nickte ihr auffordernd zu. »Keine Scheu, fang einfach an.«

»Oh when the saints …« Mit belegter Stimme, krächzend wie ein Rabe, brachte Elizabeth die erste Zeile hervor, doch noch bevor sie sie zu Ende gesungen hatte, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Obwohl sie die Fingernägel in die Handflächen bohrte, ließen sie sich nicht aufhalten, quollen nur so hervor und rannen ihre hochroten Wangen herab.

Vor ihr verschwamm alles zu einem barmherzigen Nebel, das Einzige, was sie noch sah, war Mutters entsetztes Gesicht, deshalb presste sie die Lider zusammen und unternahm einen letzten verzweifelten Versuch, zu singen, alles zu tun, um Mommy eine Freude zu bereiten. » … go marching in … oh, when … Ich kann das nicht.«

Sie wandte sich ab und drehte den beiden Frauen den Rücken zu, zu groß war die Schmach, zu versagen. Ihr fehlte einfach der Mut, sich vor die fremde Dame, so einflussreich sie auch sein mochte, zu stellen und ein Lied zum Besten zu geben. Eine Rolle beim Film wollte sie auch nicht, wozu denn? Sie wollte auf Indian Summer reiten, sich an ihrer borstigen Mähne festkrallen und den warmen kalifornischen Wind auf ihren Wangen spüren, sie wollte mit ihren Puppen spielen und mit den Nachbarmädchen auf dem Gehweg Springseil hüpfen.

»Versuche es noch mal, Elizabeth, gib nicht auf«, hörte sie Sara, deren Tonfall nun leicht panisch klang. Sie hasste es, Mutter zu enttäuschen, aber sie vermochte nicht, aus ihrer Haut zu schlüpfen.

»Mrs Taylor.« Hedda Hopper, die erkannt zu haben schien, dass aus Elizabeth nicht mehr das leiseste Maunzen hervorzupressen war, erhob sich. »Es tut mir leid, aber Sie merken selbst, dass es für Ihre Tochter noch ein bisschen früh ist, ins Rampenlicht zu treten, nicht wahr?«

»Aber nein, normalerweise singt sie wie ein Vogel«, wandte Sara aufgelöst ein, nicht bereit, sich geschlagen zu geben. »Schätzchen, versuch es ein letztes Mal.«

Zu Elizabeths Erleichterung beharrte die Kolumnistin jedoch darauf, sie in Ruhe zu lassen. »Ich denke, das führt zu nichts. Versuchen Sie nicht allzu verbissen, aus Ihrer Tochter einen Star zu machen, lassen Sie sie einfach Kind sein.«

»Ich … ich werde es versuchen«, murmelte Sara. Sie begriff offensichtlich, dass sie zumindest heute nichts mehr erreichen würde, und griff mit fahrigen Bewegungen nach dem Tornister. »Danke für Ihre Zeit, Mrs Hopper.«

Kopflos stolperte Elizabeth ihrer Mutter hinterher über den gepflasterten Weg, der am Springbrunnen vorbei zur Straße führte. Das sanfte Gluckern des Wassers vermittelte den Eindruck, es sei ein ganz normaler, ereignisloser Tag unter der Sonne Kaliforniens, doch Elizabeth wusste, dass sie etwas, das Mutter immens wichtig war, in den Sand gesetzt hatte.

2

Los Angeles, 1941

»Mann, bin ich froh, dass ich auf der Hawthorne Elementary bleiben darf.« Howard schaufelte zum Frühstück ein Stück Cremetorte in sich hinein, das noch von Elizabeths Geburtstag am Vortag übrig war. Die neun Kerzen hatte sie unter dem lebhaften Applaus ihrer Familie, Großeltern und Nachbarn alle auf einmal ausgepustet, doch auf Saras Anweisung hin, sich etwas zu wünschen, hatte sie erschrocken aufgeblickt. Was sollte sie sich nur wünschen? Die neue Puppe, die sie in einem Schaufenster am Sunset Boulevard entdeckt hatte, hatte hübsch verpackt neben dem Kuchen gelegen, nach etwas anderem verlangte ihr Herz nicht. Seltsam war, dass, obwohl es ihr Geburtstag gewesen war, nun ausgerechnet Mommys Traum in Erfüllung ging: Elizabeth hatte endlich einen Studiovertrag ergattert.

Sara zuckte lediglich die Achseln über Howards vorlaute Äußerung. »Dich werde ich auch noch beim Film unterbringen, mein Junge, dann wirst du wie deine Schwester auf dem Filmgelände unterrichtet.« Sie spießte eine Traube mit der Gabel auf und führte sie zufrieden zum Mund; morgens aß sie immer nur Obst, die Gewohnheit, auf ihre Figur zu achten, hatte sie aus ihrer kurzen Zeit als Theaterschauspielerin mit in ihr Leben als Hausfrau und Mutter genommen. »Ich kann es noch gar nicht glauben, Schätzchen – hundert Dollar pro Woche für die Dauer von fünf Monaten! Das ist ein ungeheuer großzügiger Vertrag.«

»Vor allem angesichts der Tatsache, dass Elizabeth das Geld durch Nichtstun verdient«, wandte Francis Taylor, Elizabeths Vater, trocken ein, über seine Zeitung gebeugt. Er war Anfang vierzig, und mit seinen klassisch geschnittenen Zügen, der geraden Patriziernase und dem dichten gewellten Haar ein attraktiver Mann. Sara bemerkte zuweilen scherzhaft, er könne mit Leichtigkeit die Hauptrolle in einem Hollywood-Blockbuster spielen, woraufhin Francis stets unwillig das Gesicht verzog. Außer seiner Kunstgalerie, die er nahe des Familienwohnsitzes am Elm Drive in einigen gemieteten Räumen des Beverly-Hills-Hotels führte, interessierte ihn wenig, selbst seine Tochter nicht. Elizabeth verspürte trotz ihres jungen Alters das dumpfe Gefühl, dass es ihm bei dem Gespräch mit Sara lediglich ums Prinzip ging – was Elizabeth im Endeffekt wirklich umtrieb, war ihm egal. »Was hat die Kleine von einem Vertrag, wenn sie keine Rolle bekommt?«

Elizabeth leckte die Sahne von ihrer Kuchengabel. Mmh, wie zuckrig süß! Sie selbst war nicht sehr erpicht darauf, unbedingt eine Rolle in einem Film zu ergattern, denn die Arbeit im Studio erschien ihr undurchsichtig und kompliziert, sicher würde sie sich ungeschickt und unbeholfen anstellen. Ihren Kummer behielt sie für sich, denn Mutter sprühte geradezu vor Glück, und sie wollte sie nicht enttäuschen. Wie jedes kleine Mädchen strebte sie danach, Mommy zu gefallen.

»Das kommt schon noch.« Sara wischte Francis’ Einwand mit einer ungeduldigen Handbewegung zur Seite. »Zumindest Mr Cowdin ist schon mal auf Elizabeth aufmerksam geworden, das ist die halbe Miete. In null Komma nichts wird man ihr eine Rolle anbieten.«

Mr Cowdin, so viel wusste Elizabeth inzwischen, war einer der Vorsitzenden von Universal Pictures und Kunde in Vaters Galerie. Als sie kürzlich mit Mutter zusammen nach der Ballettstunde dort aufgeschlagen war, war dessen Frau, Mrs Cowdin, zugegen gewesen, um ein neues Gemälde für den Salon ihrer Villa auszusuchen. Mrs Cowdin war eine elegante Frau in einem eng anliegenden Kleid, das ihre schmale Silhouette betonte, das blonde Haar steif vor Haarspray. Ohne Scheu hatte Mutter sie angesprochen, ein Wort ergab das andere, und zwanzig Minuten später hatten sie sich wie alte Freundinnen verabschiedet, Mrs Cowdin mit der Adresse der Taylors auf einem Zettel in der Handtasche. Eine Woche später war sie tatsächlich zum Tee erschienen, und Eliza­beth hatte zu ihrer Unterhaltung ein Gedicht aufsagen müssen. Sie war ausstaffiert gewesen wie eine Puppe, hatte ihr bestes Kleid und eine rote Schleife in den dunklen Haaren getragen, das Gesicht rot vor Verlegenheit. Mrs Cowdin hatte sich begeistert gezeigt von dem kleinen Mädchen, ihr Aussehen gar mit Schneewittchen verglichen, und versprach, sie ihrem Mann gegenüber zu erwähnen. Elizabeth bekam nur wenige Tage nach dem Teekränzchen einen Vertrag zugeschickt, und Sara schwebte seitdem wie auf einer Wolke.

»Wir werden sehen, wie sich die Dinge entwickeln«, brummte Francis düster. »Wenn du mich fragst, ist die Schauspielerei eine Schnapsidee.«

»Ich frage dich aber nicht«, konterte Sara hitzig. »Unsere Elizabeth hat das Zeug dazu, groß rauszukommen, warum sollten wir uns diese Chance entgehen lassen?«

»Ob sie das Zeug hat, sei mal dahingestellt.« Gereizt blätterte Francis in seiner Zeitung.

Elizabeth traf es wie mit feinen Nadelspitzen, dass Vater nicht so recht an sie glauben mochte, nicht so wie Mutter, die ihr jeden Abend vor dem Einschlafen von dem glamourösen Leben vorschwärmte, das sie würde führen können – Ruhm, nicht enden wollender Beifall, wunderschöne Kleider, Reisen zu entlegenen Drehorten, das Zusammensein mit faszinierenden Persönlichkeiten, ja Stars, dies alles könnte bald ihr Dasein bestimmen.

»Auf jeden Fall wäre es mir lieber, sie würde weiterhin eine ganz normale Schule besuchen. Was ist an der Hawthorne Elementary School falsch? In diesem Klassenzimmer bei den Universal Pictures, wo Kinderschauspieler aller Altersklassen zusammengepfercht werden, lernt sie gewiss nur einen Bruchteil dessen, was auf dem Lehrplan steht. Mr Cowdin hat angedeutet, dass die Kinder ständig aus dem Unterricht gerissen werden, weil sie eine Kostümprobe oder ein Casting haben.«

»Ich bin mir sicher, sie wird genügend lernen«, entgegnete Sara in einem Tonfall, der verdeutlichte, dass die Diskussion hiermit zu Ende war. »Außerdem will sie ja auch keine Wissenschaftlerin, Ärztin oder Anwältin werden, sondern Schauspielerin.«

Wollte sie das wirklich? Elizabeth vermochte sich nicht vorzustellen, jemals erwachsen zu werden, wie sollte sie also jetzt schon wissen, welchen Beruf sie ergreifen wollte? Aber wenn Mommy sagte, dass Filmschauspielerin zu sein toll war, dann würde das sicher stimmen, denn niemand wusste so viel wie sie.

»Gib bloß acht, dass du deine eigenen Karriereziele, die du begraben musstest, nicht auf Elizabeth projizierst«, wagte Francis scharf einzuwenden, doch der eisige Blick seiner Frau ließ ihn verstummen.

»Bist du fertig, Schätzchen?« Sara wandte sich liebevoll an ihre Tochter. »Dann lass uns aufbrechen, der Wagen wartet schon, und du willst doch an deinem ersten Tag nicht zu spät ins Studio kommen.«

Elizabeth hasste die Studioschule. Sie verabscheute den kargen Raum mit nur einem Fenster, durch das gleißend das Sonnenlicht fiel und helle Kringel auf die Tische malte, sie verabscheute die Leere an den Wänden. In ihrer alten Schule hatten von den Schülern gemalte Bilder die Säle geschmückt, es gab Landkarten, einen Globus, ein klappriges Plastikskelett, anhand dessen man sich die Knochen des menschlichen Körpers einprägen konnte, und Bücher, unendlich viele Bücher in den Regalen. Hier gab es so gut wie nichts, doch die Lehrerin, eine ältere, pensionierte Dame, erzählte ihr und den anderen Kindern ohnehin am liebsten von den Filmen, die sie gesehen hatte, mit Mathematik, Biologie, Geschichte und Englisch hielt sie sich wenig auf.

Die anderen Schüler empfand Elizabeth als ein bisschen unheimlich. Viele drehten gerade einen Film, andere hatten eine Rolle in Aussicht, vielleicht umgab sie deshalb dieses überbordende Selbstbewusstsein wie eine goldene Aura.

»Und welche Rolle hast du?«, fragte an einem der ersten Tage ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen namens Jane Withers, dessen Haare auf Lockenwickler gedreht waren, weil sie gleich für einen Auftritt in einem Film abgeholt werden sollte.

»Noch keine«, stammelte Elizabeth, während ihr die Röte in die Wangen kroch. Sie fühlte sich absolut fehl am Platz in dieser merkwürdigen Klasse, in der es nicht vorrangig ums Lernen zu gehen schien. Sie gehörte einfach nicht hierher.

»Wirklich?« Die geschminkten Augen ihrer Klassenkameradin weiteten sich ungläubig. »An deiner Stelle würde ich mich dahinterklemmen, eine Rolle zu kriegen, sonst entlässt Universal Pictures dich am Ende noch.«

Dies war auch Elizabeths heimliche Angst. Ihr selbst hätte es nichts ausgemacht, hinausgeworfen zu werden und wieder mit Howard die Hawthorne Elementary zu besuchen, aber Mutter würde unendlich enttäuscht sein und sie wochenlang mit diesem traurigen Blick anschauen, so wie damals nach dem Vorsingen bei Hedda Hopper.

Gloria, eine der Mitarbeiterinnen des Studios, die für die Betreuung der jugendlichen Schauspieler zuständig war, kam herein und unterbrach Elizabeths geflüstertes Gespräch mit dem Mädchen sowie die Ausführungen der Lehrerin, die von Vom Winde verweht schwärmte. Ihre Augen schweiften suchend über die Tischreihen, sie schien ein bestimmtes Kind zu suchen, um es für Probeaufnahmen oder ein Vorsprechen abzuholen.

Als sich Glorias Kopf in ihre Richtung wandte, wurde Elizabeth so heiß, dass ihre Haut prickelte. Ohne zu überlegen, rutschte sie von ihrem Stuhl und verbarg sich unter dem Tisch. Fieberhaft gab sie vor, ihren Schnürsenkel zu binden, bis sie merkte, dass ein Schatten auf sie fiel. Beschämt hob sie den Kopf und blickte hoch, in Glorias amüsierte Miene.

»Kleine Miss Lizzy«, sagte die Mitarbeiterin belustigt. »Du musst keine Angst haben, wir fressen hier doch keine Kinder! Steh auf, und sag mir, was dein Problem ist. Heute ist nicht das erste Mal, dass du am liebsten in einem Mauseloch verschwinden möchtest, ich beobachte dich die ganze Woche schon.«

Langsam erhob Elizabeth sich, wobei ihr Herz in ihrem Brustkorb trommelte wie die Schüsse eines Maschinengewehrs. Diese Schmach, von der gesamten Klasse beobachtet zu werden, neugierig, gespannt, schadenfroh, sie hielt es kaum aus. »Ich …«, druckste sie herum.

»Na, sag schon.« Gloria stützte die Hände auf dem Tisch ab und beugte sich vertraulich zu ihr herunter, sodass sie ihre Mitschüler auszublenden vermochte.

»Ich mag die vielen Fremden um mich herum nicht«, flüsterte Elizabeth.

Sie hielt durch, trotz des Drucks, dem sie sich ausgesetzt sah. In Mutters Welt war Aufgeben keine Option. Tatsächlich erhielt sie in diesem Sommer ihre erste, winzige Nebenrolle, und zwar in dem Streifen There’s one born every minute. Eine Woche lang trat sie vor die Kamera, von der vor Stolz überschäumenden Sara, die sich im Hintergrund hielt, bewacht. Zu Mutters Verdruss erwies sich der Film als nicht sehr erfolgreich, und kurz darauf entließ man Elizabeth aus ihrem Vertrag.

»Ihre Kleine ist keine Schauspielerin«, setzte Dan Kelly, der Casting-Direktor, ihrer völlig fassungslosen Mutter ungerührt auseinander. »Und obwohl sie bildhübsch ist – ihr Aussehen ist nicht für den Film geeignet. Sie hat ein zu erwachsenes Gesicht, zu alte Augen. Als ob sie schon Dinge gesehen hätte, die nicht für ein Kind gedacht sind.«

3

Los Angeles, 1942

»Ich gebe dir meine schöne rote Murmel mit den Glitzerpunkten, dafür gibst du mir deine blaue mit den silbernen Streifen.« Eliza­beth und ihre Freundin Mary-Ann, deren Familie einige Häuser weiter wohnte, beugten sich über das Samtsäckchen, das voller Murmeln war.

»Okay.« Mary-Ann, ein weizenblondes Mädchen im matrosenblauen Kleid mit weißem Kragen, kramte die gewünschte Murmel aus ihrer Rocktasche und reichte sie Elizabeth. »Mir fehlt noch eine gelbe in meiner Sammlung, Frederic hat eine, aber morgen kann ich nicht mit ihm tauschen, ich muss meinen Vater ins Studio begleiten, er möchte mir alles zeigen.«

»Oh.« Elizabeth hielt die heiß ersehnte Murmel nah an ihr Auge und schaute in den durchsichtigen Kugelkörper mit den blauen Glasflocken, die durch ihn hindurchzuwirbeln schienen. Wie wunderschön sich das Licht darin brach! »Weil du auch bald Schauspielerin wirst?«, fragte sie ihre Freundin dann.

In Pacific Palisades war es etwas völlig Alltägliches, dass Kinder der Schule fernblieben, weil sie ihre Eltern, die beim Film arbeiteten, in die Studios begleiteten oder an einem Vorsprechen teilnahmen.

»Genau.« Mary-Ann schulterte ihren Tornister, und mit schlenkernden Armen setzten sie ihren Heimweg fort. Die Häuser am Rand des Gehwegs lagen still, beinahe verlassen da, in den prächtig angelegten Gärten mit den Schwimmbecken, deren Wasser azurblau in der Sonne glitzerte, rührte sich nichts, so als sei der Stadtteil unbewohnt. Elizabeth wusste natürlich, dass die Einwohner allesamt wichtigen Geschäften nachgingen und sich nicht oft zu Hause aufhielten.

»Und was willst du werden, wenn du groß bist?«, fragte Mary-Ann und kickte mit ihrem zierlichen Riemchenschuh einen Kieselstein aus dem Weg.

Elizabeth überlegte kurz, dann leuchtete ihr Gesicht auf. »Krankenschwester würde ich gerne werden … oder Feuerwehrfrau … Am liebsten aber Tierärztin, dann kann ich Pferden helfen. Indian Summer, die Stute, die ich in den Reitstunden reite, hatte letztens wieder so schlimme Koliken, es wäre schön, wenn ich sie heilen könnte.«

Seit sie wieder die Hawthorne Elementary besuchte, war zu Hause nur noch selten die Rede von einer möglichen Karriere als Kinderschauspielerin. Sara war es seit ihrem unrühmlichen Abgang bei Universal Pictures nicht gelungen, sie erneut bei einer Filmgesellschaft unterzubringen. Einerseits belastete Elizabeth der traurige Blick in den Augen ihrer Mutter, der manchmal auf ihr ruhte, andererseits genoss sie es, wieder eine ganze normale Schülerin zu sein, Spaß an den Reit-, Sing- und Tanzstunden zu haben, ohne den Druck zu verspüren, Glanzleistungen vollbringen zu müssen. Trotz ihrer anfänglichen Schüchternheit hatte sie Freundinnen wie Mary-Ann gefunden. In England, ihrer alten Heimat, tobte ein erbitterter Krieg, doch die Taylors hatten sich zeitig genug nach Amerika abgesetzt, um hier ein unbeschwertes, friedliches Leben führen zu können.

Mary-Ann zeigte sich beeindruckt von Elizabeths Berufswunsch. »Wow, das klingt toll. Ich wette, du schaffst es, Tierärztin zu werden.«

Elizabeth senkte den Blick auf ihre Schuhspitzen. »Meine Noten müssen nur noch ein bisschen besser werden.«

An ihrem Elternhaus angekommen, winkte sie der Freundin zum Abschied zu und trat durch das kleine Tor. Der Garten, den sie durchquerte, war kleiner als bei den meisten Nachbarhäusern und -villen, doch mit den Olivenbäumen und blühenden Beeten voller wolkenweißer Buschanemonen und pflaumenlila Iris, buttergelber Sonnenblumen und purpurfarbener Affenblumen stellte er ein Paradies dar, in dem Elizabeth am Abend, wenn ihre Kurse beendet waren, gerne mit Howard herumtobte.

Sara erwartete sie im Schaukelstuhl auf der schattigen Veranda, nahm ihr ungeduldig den Tornister ab und scheuchte sie ins Wohnzimmer, wo Vater saß, tief über die Buchhaltung der Galerie gebeugt, die er von daheim aus zu erledigen pflegte. Was gab es denn so Wichtiges, dass Mutter sie nicht wie sonst anhielt, erst einmal ihre Hände zu waschen und sich die Sandalen auszuziehen, die staubig vom Spielen auf dem Schulhof waren? Statt dem Becher Milch und den Keksen, die täglich als Nachmittagssnack für sie bereitstanden, drückte Sara ihr lediglich ein Glas Fruchtsaft in die Hand.

»Du wirst es nicht glauben, Schätzchen.« Kaum hatte Elizabeth zwischen den Eltern auf dem Sofa Platz genommen, da schäumte Sara bereits über vor Mitteilungsdrang. »Du hast eine Filmrolle in Aussicht.«

»Was?« Über den Rand des Glases hinweg flog Elizabeths Blick zwischen Mutter, die ihre Begeisterung kaum zu zügeln vermochte, und Vater, der nur kurz stirnrunzelnd von seinen Unterlagen aufsah, hin und her. »Wieso … woher …?«

Sara schien nur auf ihr Stichwort gewartet zu haben. »Einer unserer Nachbarn, Mr Samuel Marx – er ist Produzent bei Metro Goldwyn Mayer, hat Daddy gegenüber erwähnt, dass er für eine Produktion ein ungefähr zehnjähriges Mädchen sucht, das mit englischem Akzent spricht. Welch großartiger Zufall, nicht wahr?«

Elizabeth hatte es zu ihrem Leidwesen noch immer nicht geschafft, sich den britischen Akzent gänzlich abzugewöhnen, auch wenn sie in der Schule manchmal deswegen gehänselt wurde. Dieser Makel sollte ihr nun zum Vorteil gereichen?

»Daddy hat dich für die Rolle vorgeschlagen.« Saras Wangen glühten, als leide sie unter Fieber, der trübe Gemütszustand, in dem sie sich seit einem Jahr befunden hatte, schien hinter ihr zu liegen.

Elizabeth starrte ihren Vater an. Er sollte sie vorgeschlagen haben? Ihn hatte es doch noch nie besonders interessiert, was sie tat, im Gegenteil, ihre nachmittäglichen Zeitvertreibe wie Gesangs- oder Reitstunden entlockten ihm nie mehr als ein müdes Schnauben. Flüchtig erwiderte Francis ihren Blick, bevor er ihn weiterschweifen ließ; er wirkte verstimmt.

»Aber … warum?«, wandte sie sich unsicher an ihre Mutter.

Sara lächelte so wegwerfend, als sei Vaters Meinung nicht von Bedeutung. »Jaja, es stimmt schon, dass Daddy nicht allzu begeistert davon ist, dass du in einem Film mitspielst, Schätzchen. Aber da er weiß, wie sehr ich mir wünsche, dass du deine Chance erhältst, ist er über seinen Schatten gesprungen, nicht wahr, Francis?«

Vater knurrte und notierte weiterhin verbissen Zahlen in eine Tabelle. »Nur fürs Protokoll, Sara, das war das erste und einzige Mal, dass ich die Flausen, die dir im Kopf herumspuken, unterstütze, hast du mich verstanden?«

Sara schenkte ihm einen zuckersüßen Blick und blinzelte Eli­zabeth verschwörerisch zu. Wir bekommen Vater auch weiterhin rum, bedeutete das. Elizabeth lehnte sich zurück und trank ihren Saft aus, der mit einem Mal einen bitteren Geschmack hinterließ. Vielleicht kam das aber auch von den Tränen, die sich in ihrer Kehle zu einem salzigen Klumpen sammelten. Sie konnte nicht abschätzen, was auf sie zukam, doch düstere Vorahnungen verengten ihr die Brust. Musste sie von nun an wieder in eine dieser abscheulichen Studioschulen gehen, statt bei Universal Pictures nun bei Metro Goldwyn Mayer? Was wäre mit ihren Freundinnen, mit Mary-Ann – hätte sie weiterhin Zeit, mit ihr zu spielen und Murmeln zu tauschen? »Kann ich noch weiter auf die Hawthorne gehen?«, fragte sie bang.

»Das wird nicht klappen.« Sara trommelte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. »Wie sollte das funktionieren? Du kannst wohl kaum bis nachmittags deine alte Schule besuchen und nebenher den Film drehen, die Dreharbeiten werden eine ganze Menge deiner Zeit beanspruchen. Aber du hast ja bereits Erfahrungen gesammelt, was den Unterricht in einer Studioklasse betrifft, nicht wahr, Schätzchen?«

Elizabeth nickte beklommen. »Aber es hat mir dort nicht gefallen.«

»Ach was.« Mutter wischte ihren Einwand beiseite, als zähle er nicht. »Du wirst ja hauptsächlich mit Drehen beschäftigt sein, die Schule ist Nebensache. Zumindest im Moment«, fügte sie mit einem Seitenblick auf Francis hinzu, dessen Stirn sich erneut verdrossen in Wellen legte. »Metro zahlt dir auch hundert Dollar pro Woche, das ist doch famos, findest du nicht?«

»Sie wollen dir die Haare färben«, bemerkte Francis unbeteiligt, als Sara eine Atempause einlegte. »Marx sagte, falls deine Haare bei diesem Screentest, den sie noch vorhaben, zu dunkel wirken, wollen sie sie rot oder blond färben. Die haben nichts als Unsinn im Kopf.«

Erschrocken fasste Elizabeth sich in ihr dunkelbraunes, fast schwarzes Haar, das sich in großzügigen Wellen um ihre Schultern legte. Der Gedanke, dass sie ihr Aussehen ändern musste, um sich für die Rolle zu eignen, hinterließ ein mulmiges Gefühl in ihr. War sie denn nicht gut genug, so wie sie war? Die Leute betonten doch immer, welch eine Schönheit sie sei mit ihren dunklen Haaren, den lavendellila Augen und der milchig weißen Haut.

»Deinen Schönheitsfleck auf der Wange wollten sie entfernen, aber das geht nun wirklich zu weit«, erklärte Vater so scharf, dass er jeglichen Widerspruch Saras im Keim erstickte. »Hundert Dollar pro Woche hin oder her.«

Elizabeth kam in dem Film Heimweh recht gut an, was vielleicht daran lag, dass der Hund, der den Helden Lassie verkörperte, ein zutraulicher Collie mit weichem braun-weißem Fell, ihr in diesen Tagen ein treuer Gefährte war und ihr das nötige Selbstvertrauen verlieh, den einstudierten Text zu sprechen, auch wenn ihre Stimme noch etwas dünn klang. Liebenswürdig und diszipliniert, wie sie dank ihrer Mutter war, die jedem einzelnen Drehtag beiwohnte und sie keinen Schritt alleine gehen ließ – sie begleitete sie sogar zur Toilette –, wurde sie bald von der ganzen Crew geschätzt, sodass Metro Goldwyn Mayer ihren Vertrag auch nach Abschluss der Dreharbeiten weiterführte. Ein Folgeauftrag fand sich vorerst nicht, sodass Elizabeth wie ein Jahr zuvor lediglich die Studioschule besuchte.

»Komm raus, du Trantüte«, rief ihr Howard eines Abends im September übermütig zu, als er sie vom Garten aus am Fenster ihres Zimmers entdeckte. »Mit dir ist gar nichts mehr anzufangen, du bist zu einer richtigen Stubenhockerin geworden!«

Die brüderliche Verachtung schmerzte, genauso sehr, wie es ihr tief in die kindliche Seele schnitt, Howard mit einem der Nachbarsjungen, Pete, in der Krone eines Baumes mit weit ausladenden Ästen sitzen zu sehen, die nackten Knie unter den kurzen Hosen vom Klettern zerschrammt, die bloßen Füße dunkel vor Schmutz.

»Ich würde ja gerne rauskommen«, murmelte sie, aber zu leise, als dass Howard sie hätte verstehen können. Der hangelte sich ohnehin gerade wie ein Affe von Ast zu Ast und sprang die letzten anderthalb Meter herab, bis er wie ein Vierbeiner im Gras landete, ohne weiter auf sie zu achten. Wie sie sich danach sehnte, die warme Abendsonne auf ihrer Nase und ihren Haaren zu spüren, die raue Rinde der Bäume unter ihren Handflächen, auch wenn sie sich diese dabei aufschürfte. Vielleicht sollte sie es einfach wagen, mutig zu sein, nicht immer nur dieses artige Mädchen darzustellen, das alle lobten. Sie könnte sich heimlich nach draußen stehlen. Wenn Vater sie erwischen würde, hätte sie nichts zu befürchten – es interessierte ihn wenig, ob sie in ihrem Zimmer oder im Garten spielte –, nur Mutter würde sie natürlich schnurstracks wieder nach drinnen beordern.

Leise zog sie die Tür ihres Kinderzimmers hinter sich zu, dieser Oase pastellfarbenen Plüschs und anmutiger Puppen, und schlich die mit Teppichen ausgelegten Treppenstufen hinab, die jeden ihrer Schritte schluckten.

Sie schaffte es gerade bis zur Hintertür.

»Elizabeth! Was hast du vor?«

Die Stimme ihrer Mutter, nicht gerade scharf, aber wachsam, ließ sie herumschnellen und rot anlaufen, als habe sie etwas ausgefressen. Dabei hatte sie sich doch nichts zuschulden kommen lassen, war es nicht ihr Recht, wie jedes andere Kind auch draußen zu spielen?

»Ich … ich wollte zu Howard und Pete …«, stammelte sie.

»Schätzchen.« Sara legte das Klatschmagazin aus den Händen, in dem sie gerade geschmökert hatte, und nahm sie in die Arme, um sie zärtlich an sich zu drücken. »Ich habe nichts dagegen, wenn du vor dem Schlafengehen noch ein bisschen in den Garten gehst. Aber klettern und herumtollen darfst du nicht, das weißt du.«

Elizabeth nickte, während sie die Tränen herunterschluckte, die sich in ihrer Kehle sammelten.

»Ich weiß, Mommy, aber …«

»Es geht einfach nicht.« Sara strich ihr sanft eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn. »Wir können das Risiko, dass du dich verletzt, nicht eingehen. Stell dir vor, du verstauchst dir den Fuß oder brichst dir das Bein – Metro wäre nicht begeistert, ja, in einer Verletzung würden sie einen Vertragsbruch sehen! Verstehst du? Wir müssen jederzeit damit rechnen, dass sie dir eine neue Rolle anbieten. Du musst ihnen vollumfänglich zur Verfügung stehen. Gerade jetzt, wo dir deine Rolle in Heimweh so schön gelungen ist und du gezeigt hast, dass du schauspielern kannst. Und für ein bisschen Berühmtheit und eine großartige Gage kann ein kleines Mädchen wie du schon mal auf eine Stunde Toben verzichten, nicht wahr?« Sara blinzelte ihr verschwörerisch zu, und Elizabeth rang sich ein Lächeln ab, war sie doch dazu erzogen, nicht zu widersprechen und Mommy glücklich zu stimmen.

»Okay«, seufzte sie, »dann setze ich mich in den Schaukelstuhl und schaue den Jungs ein wenig zu.«

»Tu das, Schätzchen.« Sara küsste sie auf den Scheitel und zog sich mit ihrer Zeitschrift zurück, um wieder in das Leben der Schönen und Reichen Hollywoods einzutauchen.

Elizabeth ließ sich in den Schaukelstuhl fallen und starrte über das weiß gestrichene Geländer der Veranda hinweg in den Garten, der ihr mit seinen Beeten voller süßlich duftender Blüten, den raschelnden Büschen und den hochgewachsenen Bäumen mit ihren dichten, Schatten spendenden Blätterdächern wie ein geheimnisvolles Labyrinth erschien, ein Ort, an dem es so viel zu erkunden gab, in der Luft sirrende Insekten, Mäuse, die in der Erde wühlten, Vögel, die von Zweig zu Zweig hüpften. Es drängte sie, sich an einen der dicken Äste zu hängen und die Beine in die Luft zu werfen, sich an der Mauer hochzuhangeln, die ihr Grundstück vom Nachbargarten abtrennte, oder sich flach auf die staubige Erde zu legen, um mit der Hand zu graben, bis sie auf einen Regenwurm stieß. Doch sie tat nichts davon, sondern schaukelte in ihrem Stuhl nur vor und zurück, vor und zurück, während die Sonne glühend über dem Villenviertel unterging.

Teil II

Verliebt in die Liebe1949–1952

Die Ehe ist eine wunderbare Einrichtung.Elizabeth Taylor

4

Lake Tahoe, 1949

Sara war nach Beendigung der Dreharbeiten in den beschaulichen Ort Incline Village geeilt, um einige Kleinigkeiten, unter anderem ihre geliebten Klatschzeitschriften, zu besorgen. Elizabeth wünschte, sie würde möglichst lange fortbleiben, um die stille Zweisamkeit mit ihrem Filmpartner, Montgomery Clift, auszukosten, so wie man eine süße Frucht genoss, von der man noch nie genascht hatte, deren Aroma nun aber explosionsartig alle Sinne erweckte.

»Ich hoffe, wir bekommen die Szenen morgen gut in den Kasten«, murmelte Montgomery – oder Monty, wie ihn seine Freunde nannten, zu denen Elizabeth sich nun stolz zählte, hing ihr Herz doch an dem jungen, attraktiven Schauspieler – düster. »Heute hatte ich einige Texthänger, es war einfach nicht mein Tag.«

»Aber das macht doch nichts«, beruhigte ihn Elizabeth. Sie saßen auf einem Holzsteg am Lake Tahoe und ließen die Beine über dem Wasser baumeln, das sich dunkel und tief unter ihnen in kleinen Wellen kräuselte. Eigentlich war es zu kalt, um abends am See zu sitzen – es war Oktober –, aber das Farbenspiel der leuchtend roten, glühend orangefarbenen und gelben Laubwälder, die das Gewässer umschlossen wie ein Schutzwall, war zu verführerisch, um in den Hütten zu sitzen, die die Filmgesellschaft für die Schauspieler gemietet hatte. Der Indian Summer stand in voller Blüte, flammend und feurig, und bildete die ideale Kulisse für den Film Ein Platz an der Sonne. Metro Goldwyn Mayer hatte Elizabeth für eine stattliche Summe an Paramount Pictures ausgeliehen, sie selbst erhielt tausend Dollar pro Woche für ihr Mitwirken.

»Ich denke, wir beide kommen als Paar beim Publikum gut an.« Montgomery beobachtete einen Haubentaucher, der seinen Schnabel tief ins Wasser steckte, um nach Futter zu suchen. Eli­zabeth musterte Montys Profil von der Seite. Mit seinen dunklen, vollen Haaren, der römisch geschnittenen Nase und den nachdenklichen Gesichtszügen war er der Inbegriff des begehrten Hollywoodstars, doch im Gegensatz zu seinen Kollegen umgab ihn stets etwas Trauriges, Niedergeschlagenes, das man nicht zu fassen bekam. »Mit etwas Glück werden wir das neue Film-Traumpaar«, fügte er jetzt hinzu.

»So wie Ingrid Bergman und Cary Grant.« Elizabeth legte ihre Hand auf die raue Holzplanke des Stegs, direkt neben Montgomerys, und hoffte, er würde sie ergreifen. Wie schön es wäre, wenn er näher rücken und den Arm um sie legen würde, sie seine Körperwärme durch sein kariertes Flanellhemd spüren könnte. Sie war siebzehn Jahre alt, hatte den ganzen Kopf voll schwärmerischer Ideen von der Liebe und eine Vorliebe für solch schwermütige Männer wie Monty. Wie gern sie ihn aufheitern würde, ein Lächeln auf sein Gesicht zaubern, wenn er sie nur ließe.

Zu ihrer Enttäuschung griff er nicht nach ihrer Hand, ja, er rutschte sogar ein Stück von ihr weg, als sich in der Ferne Sara näherte, die energischen Schrittes den Waldweg entlangmarschierte, trotz der ländlichen Umgebung in einem eleganten Kostüm und Absatzschuhen. Elizabeth sank das Herz; musste Mutter sie noch immer auf Schritt und Tritt überwachen, als sei sie ein kleines Mädchen? Was konnte ihr in der Abgeschiedenheit des Sees schon passieren? Fürchtete sie um Elizabeths Unschuld? Darüber brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, Montgomery unternahm ja keine Anstalten, ihr näherzukommen, sosehr sie sich es auch wünschte.

»Deine Mutter ist ja der reinste Schießhund«, bemerkte der Filmpartner. Er beugte sich über das Wasser und zog mit einem Stöckchen kleine Kreise. »Ich habe dich selten ohne sie gesehen. Stört dich das nicht?«

Natürlich stört es mich!, hätte Elizabeth am liebsten erbittert ausgerufen, doch sie bewahrte die Fassung und nickte lediglich heftig. Montgomery war zwölf Jahre älter als sie, also Ende zwanzig, und ein Mann, er begriff einfach nicht, dass für sie andere Regeln galten. »Sie meint es nur gut, sie ist sehr um mich besorgt. Selbstverständlich wäre ich froh über ein bisschen mehr Freiraum – ich meine, ist es nötig, dass sie von morgens bis abends am Set ist und mir sogar folgt, wenn ich mir nur eine Cola hole?« Sie biss sich auf die Lippen, augenblicklich beschämt. Sie wollte nicht schlecht über Mutter reden, war sie doch eine glühende Verfechterin ihrer Schauspielkunst und ihre größte Anhängerin. Im Gegensatz zu Vater, der sich in den vergangenen Jahren immer mehr zurückgezogen hatte und sich ganz seiner Kunstgalerie widmete, lediglich von Ausflügen ans Meer unterbrochen, die er mit Howard unternahm. Ihr Bruder hatte sich bisher nicht überreden lassen, auch Filmrollen anzunehmen, seine Leidenschaft gehörte dem Ozean und seinen Lebewesen, er wollte Meereskundler werden.

»Nervtötend, das kann ich mir vorstellen.« Montgomery seufzte mitfühlend.

»Vielleicht … vielleicht hat Mutter einfach nur Angst, dass ich beim Film nicht gut behandelt werde«, murmelte Elizabeth zu Saras Ehrenrettung. »Sie war früher auch Schauspielerin, deshalb weiß sie, was in dem Business vor sich geht, und möchte mich einfach beschützen.«