Elizabeth und ihr Garten - Elizabeth von Arnim - E-Book

Elizabeth und ihr Garten E-Book

Elizabeth von Arnim

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Beschreibung

Westpommern, Ende des 19. Jahrhunderts: Die junge Australierin Elizabeth zieht mit ihrem deutschen Ehemann und den drei Kindern auf das ererbte Rittergut Nassenheide. Dort stürzt sie sich in die Gestaltung des vernachlässigten Gartens, um der Enge des Hauses und den Erwartungen an sie als Frau zu entfliehen. Intelligent und mit Augenzwinkern portraitiert die Autorin die gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Zeit.

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Seitenzahl: 238

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Inhalt

[Cover]

Titel

7. Mai

10. Mai

14. Mai

15. Mai

16. Mai

3. Juni

11. Juli

15. September

11. November

20. November

7. Dezember

22. Dezember

27. Dezember

1. Januar

15. Januar

28. Januar

18. April

Autorin, Gräfin, Gärtnerin: die vielen Leben der Elizabeth von Arnim

Literatur

Im Text zitierte Quellen

Über die Autorin

Über die Übersetzerin

Kurzbeschreibung

Impressum

Elizabeth und ihr Garten

7. Mai

Ich liebe meinen Garten. Gerade sitze ich dort und schreibe in der Süße des Spätnachmittags, ständig abgelenkt von den Stechmücken und der Pracht der frischgrünen Blätter, die vor einer halben Stunde von einem Schauer kalt geduscht wurden. Zwei Eulen hocken in meiner Nähe und führen ein langes Gespräch, dem ich mit ebenso viel Vergnügen lausche wie jedem Nachtigallenträllern. Herr Eule sagt

,

und sie antwortet von ihrem Baum, ein Stück entfernt:

,

womit sie die Bemerkung ihres Gemahls so schön bekräftigt und vollendet, wie es sich für eine ordentliche deutsche Eulenfrau geziemt. Sie sagen immer und immer wieder das Gleiche, mit so viel Nachdruck, dass ich vermute, es muss sich um irgendwelche Gemeinheiten über mich handeln; aber ich werde mich durch den Sarkasmus von Eulen nicht vertreiben lassen.

Dies ist weniger ein Garten als eine Wildnis. Seit fünfundzwanzig Jahren hat niemand im Haus gewohnt, geschweige denn im Garten, und es ist ein so hübscher alter Ort, dass die Leute, die hier hätten leben können und stattdessen die Schrecken einer Stadtwohnung vorzogen, zu jener Masse augen- und ohrenloser Menschen gehört haben müssen, aus der die Welt hauptsächlich zu bestehen scheint. Nasenlos außerdem, auch wenn das nicht schön klingt; dabei verdankt sich der Großteil meines Frühlingsglücks gerade dem Duft feuchter Erde und junger Blätter.

Ich bin immer glücklich (draußen, wohlgemerkt, denn drinnen gibt es Dienstboten und Möbelstücke), wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, und mein Frühlingsglück hat keinerlei Ähnlichkeit mit meinem Sommer- oder Herbstglück; es ist aber auch nicht intensiver, und letzten Winter gab es Tage, an denen ich aus schierer Freude in meinem froststarren Garten tanzte, ungeachtet meiner Jahre und meiner Kinder. Wenigstens tat ich es hinter einem Busch, mit Rücksicht auf Anstand und Schicklichkeit.

Ringsum gibt es so viele Traubenkirschen, große Bäume mit im Gras schleifenden Zweigen, und sie sind gerade so üppig mit weißen Blüten und zartem Grün bekränzt, dass der Garten aussieht wie ein Hochzeitsfest. Ich habe noch nie solche Massen gesehen; alles schien voll von ihnen zu sein. Selbst am anderen Ufer des kleinen Bachs im Osten, inmitten des Kornfelds dahinter, steht ein riesiges Exemplar, ein Bild voller Grazie und Glanz vor dem kalten Blau des Frühlingshimmels.

Mein Garten ist von Kornfeldern und Wiesen umgeben, und dahinter liegen weite Landstriche aus sandiger Heide und Kiefernwäldern. Wo die Kiefernwälder enden, beginnt wieder die kahle Heide, aber die Wälder sind wunderschön in ihrer luftigen, rosastämmigen Weite, hoch darüber Kronen in sanftestem Graugrün, darunter ein strahlend grüner Heidelbeerteppich, und überall die atemlose Stille; und auch die karge Heide ist wunderschön, denn man kann über sie hinausblicken bis fast in alle Ewigkeit, und wenn man mit Sicht auf die untergehende Sonne über sie hinschreitet, ist es, als ginge man geradewegs in die Gegenwart Gottes.

In der Mitte der Ebene liegt die Oase aus Traubenkirschen und Grün, in der ich meine glücklichen Tage verlebe, und in der Mitte jener Oase liegt das graue Steinhaus mit den vielen Giebeln, in dem ich meine widerwilligen Nächte hinter mich bringe. Das Haus ist sehr alt und wurde immer wieder vergrößert. Vor dem Dreißigjährigen Krieg war es ein Kloster, und die Kapelle mit ihrer Gewölbedecke und dem von frommen Bauernknien abgewetzten Ziegelboden dient jetzt als Eingangshalle. Gustav Adolf zog mehr als einmal mit seinen Schweden vorbei, was akribisch in bis heute erhaltenen Archiven verzeichnet wurde, denn wir liegen an der einstigen Verbindungsstraße zwischen Schweden und dem glücklosen Brandenburg. Der Löwe aus dem Norden war zweifellos ein achtbarer Mensch und handelte ganz und gar nach seinen Überzeugungen, aber er muss die friedfertigen Nonnen, die durchaus ihre eigenen Überzeugungen hatten, auf betrüblichste Weise aus der Fassung gebracht haben, als er sie hinausjagte in die weite, leere Ebene, wo sie sich einen kärglichen Ersatz für ihr hiesiges Leben der Stille suchen mussten.

Aus fast allen Fenstern des Hauses kann ich über die Ebene hinausschauen, ohne irgendein Hindernis in Form eines Hügels, geradeaus bis zur blauen Linie eines fernen Waldes und im Westen ohne Unterbrechung bis zur sinkenden Sonne – nichts als wogendes grünes Flachland mit einer scharfen Kante vor dem Sonnenuntergang. Die Westfenster mag ich am allerliebsten, und ich habe mir ein Schlafzimmer auf dieser Seite des Hauses ausgesucht, damit nicht einmal die Zeit des Haarebürstens ganz verschwendet wird; die für solche Angelegenheiten zuständige junge Frau hat gelernt, ihre Pflichten an einer im Sessel am offenen Fenster liegenden Herrin zu erfüllen und diese süße, selige Zeit nicht durch Geschwätz zu entweihen. Das Mädchen ist betrübt über meine Gewohnheit, fast ausschließlich im Garten zu leben, und seit sie bei mir ist, sind all ihre Vorstellungen über das Leben, das eine respektable deutsche Dame führen sollte, in traurige Unordnung geraten. Die Leute in der Gegend sind davon überzeugt, ich sei – so freundlich wie möglich ausgedrückt – exzentrisch, denn es hat sich herumgesprochen, dass ich den Tag im Freien mit einem Buch verbringe und dass mich kein menschliches Auge je beim Nähen oder Kochen erblickt hat. Aber warum kochen, wenn man jemanden kochen lassen kann? Und was das Nähen angeht, umsäumen die Dienstmädchen die Betttücher schöner und schneller, als ich es je könnte; außerdem sind alle Formen von Handarbeiten Erfindungen des Satans, die verhindern sollen, dass die Törichten ihr Herz der Weisheit zuwenden.

Wir waren schon fünf Jahre verheiratet, als uns plötzlich der Gedanke kam, diesen Ort zu nutzen, um hierherzuziehen und darin zu leben. Diese fünf Jahre hatten wir in einer Wohnung in einer Stadt verbracht, und über diesen ganzen unendlichen Zeitraum hinweg war ich vollkommen trübselig und vollkommen gesund; das entkräftet eine unschöne Vorstellung, die mich zeitweise beunruhigt hat: dass mein Glück hier weniger mit dem Garten zu tun haben könnte als mit einer guten Verdauung. Und während wir dort unser Leben verschwendeten, gab es hier diesen liebenswerten Ort, mit Löwenzahn bis direkt an die Tür und vom Gras vollkommen überwucherten Wegen, im Winter so einsam, dass niemand außer dem Nordwind von ihm Notiz nahm, und im Mai – in all diesen fünf wunderbaren Maimonaten – voller herrlicher Traubenkirschen und noch herrlicherer Fliedermassen, die niemand sah, alles wuchernd und wehend, der Wilde Wein jedes Jahr wahnsinniger, bis er dann im Oktober sogar das Dach mit blutroten Locken umkränzte und die Eulen und Eichhörnchen und all die gesegneten kleinen Vögel die Herrschaft übernahmen, wobei kein lebendes Wesen je in das leere Haus eindrang, bis auf die Schlangen, die in jenen stillen Jahren die Angewohnheit entwickelten, sich an der Südwand in die dort gelegenen Zimmer zu winden, wann immer die alte Haushälterin die Fenster öffnete. All das war hier – Friede und Glück und ein sinnvolles Dasein –, und dennoch kam es mir nie in den Sinn, herzuziehen und darin zu leben. Im Rückblick erstaunt mich das; ich kann mir überhaupt nicht erklären, warum ich erst so spät entdeckte, dass hier, in dieser abgeschiedenen Ecke, mein Himmelreich lag. Tatsächlich war mir der Gedanke so fern, diesen Ort auch nur im Sommer zu nutzen, dass ich mich jedes Jahr wochenlang dem Leben am Meer mit all seinen Schrecken unterwarf, bis ich dann endlich, letztes Jahr im Vorfrühling, zur Eröffnung der Dorfschule herkam und danach in den kahlen, verlassenen Garten hinauswanderte, wo mir irgendein Duft von feuchter Erde oder moderndem Laub auf einen Schlag meine Kindheit und all die glücklichen Tage, die ich im Garten verbracht hatte, ins Gedächtnis rief. Könnte ich diesen Tag je vergessen? Er markierte den Beginn meines wahren Daseins, meinen Eintritt ins Erwachsenenleben, in mein eigenes Reich. Anfang März, mit einem stillen grauen Himmel und stiller brauner Erde; blattlos und traurig und ziemlich einsam, da draußen in der feuchten Stille; und dennoch fühlte ich verzückt den gleichen Rausch purer Freude über den ersten Frühlingshauch wie als Kind, und die fünf verschwendeten Jahre fielen von mir ab wie ein Mantel, und die Welt war voller Hoffnung, und ich legte an Ort und Stelle ein Gelübde an die Natur ab, und seitdem bin ich glücklich.

Mein Gemahl war milde gestimmt und dachte sich vielleicht auch im Geheimen, dass es ganz gut wäre, sich um das Haus zu kümmern, jedenfalls erklärte er sich bereit, eine Zeit lang dort zu leben. Es folgten sechs außerordentlich selige Wochen von Ende April bis Juni, in denen ich alleine hier war; ich sollte das Anstreichen und Tapezieren überwachen, ging aber tatsächlich erst dann ins Haus, wenn die Handwerker es verlassen hatten.

Wie glücklich ich war! Ich kann mich nicht entsinnen, jemals eine so vollkommene Zeit erlebt zu haben, seit jenen Tagen, als ich noch zu klein für Schulstunden war und mit meinem gezuckerten Elf-Uhr-Butterbrot auf den dicht mit Löwenzahn und Gänseblümchen bestreuten Rasen hinausgeschickt wurde. Der Zucker auf dem Butterbrot hat seinen Zauber verloren, aber Löwenzahn und Gänseblümchen liebe ich heute sogar noch leidenschaftlicher als damals; ich könnte es niemals ertragen, sie abgemäht zu sehen, wenn ich nicht wüsste, dass sie ein, zwei Tage später ihre kleinen Gesichter wieder übermütig emporstrecken. In diesen sechs Wochen lebte ich in einer Welt aus Lust und Löwenzahn. Der Löwenzahn bedeckte alle drei Rasenflächen – ehemaliger Rasen jedenfalls, inzwischen erblüht zu Wiesen voller hübschem Unkraut aller Art – und unter den Gruppen blattloser Eichen und Buchen lagen Teppiche aus blauen Leberblümchen, weißen Buschwindröschen, lila Veilchen und gelbem Scharbockskraut. Das Scharbockskraut mit seinem fröhlichen, klaren Strahlen entzückte mich besonders; es sah so adrett und frisch lackiert aus, als hätten die Maler auch hier gearbeitet. Dann, als die Buschwindröschen weg waren, kamen ein paar verstreute Immergrün und Salomonssiegel, und alle Traubenkirschen explodierten gleichzeitig. Und dann, noch bevor ich mich an das Glück gewöhnen konnte, ihre Blüten vor dem Himmel zu sehen, folgte der Flieder – Massen über Massen von Flieder, in Klumpen auf der Wiese, zwischen anderen Büschen und Bäumen an den Wegrändern und als ein einziges, durchgehendes Band Hunderte von Metern an der Westseite des Hauses entlang, so weit der Blick reichte, in herrlicher Pracht vor einem Hintergrund aus Kiefern. Als diese Zeit kam und als noch vor ihrem Ende sämtliche Robinien blühten und vier große Klumpen aus blassen, silbrig rosafarbenen Pfingstrosen unter den Südfenstern, fühlte ich mich so vollkommen glücklich, und gesegnet, und dankbar, dass ich es wirklich nicht beschreiben kann. Meine Tage schmolzen förmlich dahin in einem friedlichen Traum aus Rosa und Violett.

Im Haus waren nur die alte Haushälterin und ein Dienstmädchen, sodass ich mich unter dem Vorwand, nicht zu viel Mühe zu bereiten, dem hingeben konnte, was mein Gemahl meine fantaisie déréglée beim Essen nennt – Mahlzeiten, die so einfach waren, dass sie auf einem Tablett zum Flieder hinausgetragen werden konnten; und ich lebte, soweit ich mich entsinnen kann, die ganze Zeit nur von Salat und Brot und Tee, wobei manchmal zum Mittagessen eine klitzekleine Taube auftauchte, die mich nach Meinung der alten Dame vor dem Verhungern retten würde. Wer außer einer Frau hätte sechs Wochen Salat ertragen, auch wenn der Salat von Anblick und Duft der herrlichsten Fliedermassen geheiligt wurde? Ich ertrug ihn, und meine Anmut nahm jeden Tag zu, allerdings mag ich seitdem keinen Salat mehr. Heute bedrückt mich die Notwendigkeit, an drei Speisezimmermahlzeiten pro Tag teilzunehmen, zwei davon unter dem Vorsitz jener Honoratioren, die für die Aufrechterhaltung der Familienwürde als unerlässlich gelten, und alle drei von großen Fleischstücken dominiert – wie oft denke ich dabei an meine Salattage zurück, vierzig an der Zahl, und an das selige Gefühl, allein zu sein, so allein wie ich damals!

Und dann gab es die Abende, wenn die Handwerker alle gegangen waren und das Haus der hallenden Leere überlassen blieb und die alte Haushälterin ihre rheumatischen Glieder ins Bett gepackt hatte und mein kleines Zimmer in einem ganz anderen Teil des Hauses bereitet war; wie widerwillig verließ ich die freundlichen Frösche und Eulen, während mir das schwere Herz in die Schuhe sank, wenn ich das Gartentor abschloss und die lange Flucht hallender Südräume voller Schatten und Leitern und geisterhafter Eimer mit Malerkehricht durchquerte, wobei ich mir eine Melodie vorsummte, um mir vorzumachen, dass mir das gefiele, und dann betont langsam durch die ziegelgepflasterte Eingangshalle ging, die knarrende Treppe hinauf, den langen weißgekalkten Gang entlang, und zuletzt in einem Anfall panischer Eile in mein Zimmer stürzte, wo ich die Tür zweimal abschloss und verriegelte!

Im Haus gab es keine Klingeln, und ich nahm immer eine große Tischglocke mit ans Bett, um wenigstens Lärm schlagen zu können, wenn mich nachts etwas erschreckte, allerdings weiß ich nicht, wozu das gut sein sollte, denn es hätte mich niemand gehört. Das Hausmädchen schlief in einer anderen kleinen Kammer direkt neben meiner, und wir beide waren die einzigen lebenden Wesen im großen, leeren Westflügel. Sie glaubte offensichtlich nicht an Gespenster, denn ich konnte hören, dass sie einschlief, sobald sie im Bett lag; ich glaube auch nicht an Gespenster, habe aber trotzdem Angst – »mais je les redoute«, wie eine französische Dame schrieb, die in ihren Büchern eigentlich recht unerschrocken wirkt.

Die Tischglocke war ein großer Trost; sie wurde nie geläutet, aber es beruhigte mich, sie auf dem Stuhl neben meinem Bett zu sehen, weil meine Nächte ganz und gar nicht friedlich verliefen; alles war so eigenartig, und da gab es so ein seltsames Knarren und andere Geräusche. Ich lag stundenlang wach, vom Quietschen irgendeiner Bodendiele aus leichtem Schlaf geschreckt, und lauschte dem gleichmütigen Schnarchen des Mädchens nebenan. Am Morgen war ich natürlich kühn wie ein Löwe und amüsierte mich prächtig über den kalten Schweiß der vorausgegangenen Nacht, aber heute kommt es mir so vor, als wären selbst diese Nächte reizvoll gewesen und ich selbst einer von jenen poetischen Schuljungen, die »in jedem Windhauch Stimmen hören und wohlig Angst erhaschen«. Ich würde sie mit Freuden noch einmal durchzittern für jene wunderbare Klarheit des Hauses ohne Dienstboten oder Polstermöbel.

Wie hübsch die Schlafzimmer aussahen, die nichts außer den fröhlichen neuen Tapeten enthielten! Manchmal ging ich in die Räume, die schon fertig waren, und erbaute alle möglichen Luftschlösser zu ihrer Zukunft und ihrer Vergangenheit. Würden die Nonnen, die darin gelebt hatten, ihre kleinen gekalkten Zellen wiedererkennen, die mit den Blumentapeten und der reinen weißen Farbe so heiter wirkten? Und wie erstaunt wären sie über Zelle Nr. 14, die sich in ein Badezimmer verwandelt hat, mit einer so großen Wanne, dass die Reinheit unserer Körper derjenigen ihrer Seelen gleichkommt! Sie würden sie als Versuchung des Teufels ansehen; ich erinnere mich, dass ich selbst an jenem Tag zum ersten Mal über meine schwarzen Fingernägel schockiert war, an dem meine weiße Seele Schaden nahm, weil ich mich mit fünfzehn in den Kirchenorganisten verliebte, oder eher: in die Zipfel seines Chorhemdes und seiner römischen Nase und seines feurigen Schnurrbarts, die alles waren, was ich je erspähen konnte, und die ich mindestens sechs Monate lang bis zum Wahnsinn liebte. Am Ende jener Zeitspanne ging ich eines Tages mit meiner Gouvernante spazieren und begegnete ihm auf der Straße, wobei ich entdeckte, dass seine nichtamtliche Kleidung aus einem Bratenrock bestand, zu dem er einen Umlegekragen und eine Melone trug; von da an liebte ich ihn nie wieder.

Der erste Teil dieser Zeit der Seligkeit war am vollkommensten, weil all meine Gedanken dem Frieden und der Schönheit ringsum galten. Dann erschien plötzlich er, der das Recht hat, zu erscheinen, wann und wo er will, und rügte mich, weil ich nie geschrieben hatte, und als ich ihm sagte, ich sei buchstäblich zu glücklich gewesen, um ans Schreiben zu denken, schien er die Tatsache, dass ich alleine glücklich sein könne, als Kritik an ihm zu verstehen. Ich führte ihn durch den Garten, auf den neuen Wegen, die ich hatte anlegen lassen, und zeigte ihm die Robinien- und Fliederpracht, und er sagte, es sei die reinste Selbstsucht, dass ich mich vergnügen könne, wenn weder er noch der Nachwuchs bei mir seien, und außerdem müsse der Flieder unbedingt zurückgeschnitten werden. Ich versuchte ihn zu besänftigen, indem ich ihm mein gesamtes Abendessen aus Salat und Toast anbot, das bei unserer Rückkehr am Fuß der kleinen Verandatreppe bereitstand, aber nichts konnte diesen Zornesmenschen besänftigen, und er sagte, er werde sofort zurückreisen zu seiner vernachlässigten Familie. Also ging er, und der Rest meiner kostbaren Zeit wurde, wann immer ich eigentlich Freudensprünge machen wollte, von Gewissensbissen getrübt (zu denen ich stark neige). Ich sah nach den Anstreichern, obwohl meine Füße mich in den Garten tragen wollten; ich trabte emsig durch die Gänge; ich gab an einem einzigen Tag mehr Kritik und Vorschläge und Anordnungen von mir als in der gesamten restlichen Zeit; ich schrieb regelmäßig und versicherte alle meiner Liebe; aber ich brachte es nicht über mich, Sorgen oder Sehnsucht zu empfinden. Was soll man denn machen, wenn das eigene Gewissen rein ist und die Leber gesund und die Sonne scheint?

10. Mai

Letztes Jahr wusste ich überhaupt gar nichts über das Gärtnern, und dieses Jahr nur wenig mehr, aber ich bekomme eine erste Ahnung von dem, was getan werden könnte, und habe zumindest einen großen Schritt hinter mir – von Prunkwinden zu Teerosen.

Der Garten war eine totale Wildnis. Er liegt rings um das Haus, aber der Hauptteil befindet sich auf der Südseite, was wohl immer schon so war. Der Südflügel hat nur ein Geschoss und besteht aus einer langen Flucht miteinander verbundener Räume; seine Mauern sind mit Wildem Wein überwuchert. In der Mitte liegt eine kleine Veranda, von der eine Treppe aus wackeligen Holzstufen hinunterführt in den wohl einzigen Bereich des Gartens, der je gepflegt worden ist. Es handelt sich um einen Halbkreis, in den Rasen eingelassen und mit Liguster umrahmt; in diesem Halbkreis gibt es elf Beete unterschiedlicher Größen, die mit Buchsbaum abgegrenzt und rings um eine Sonnenuhr angeordnet sind. Die Sonnenuhr ist überaus ehrwürdig und moosbewachsen, und ich liebe sie sehr. Diese Beete waren das einzige sichtbare Indiz für irgendeinen Versuch des Gärtnerns (außer einem einsamen Krokus, der jeden Frühling ganz allein im Gras auftauchte – nicht weil er es so wollte, sondern weil er nicht anders konnte), und dort, in allen elf Beeten, hatte ich Prunkwinden aussäen lassen, weil ich ein deutsches Gartenbuch gefunden hatte, in dem es hieß, Prunkwinden in riesigen Mengen seien das Einzige, was man brauche, um die grässlichste Wüste in ein Paradies zu verwandeln. Nichts anderes wurde in diesem Buch mit der gleichen Wärme empfohlen, und weil ich keinerlei Vorstellung von der benötigten Samenmenge hatte, kaufte ich zehn Pfund und ließ sie nicht nur in den elf Beeten, sondern um fast jeden Baum aussäen; dann wartete ich in großer Aufregung auf das versprochene Paradies. Es erschien nicht, und ich hatte meine erste Lektion gelernt.

Zum Glück hatte ich auch zwei große Flächen mit Duftwicken gesät, die mich den ganzen Sommer über sehr glücklich machten, und dann gab es noch ein paar Sonnenblumen, und einige Stockrosen unter den Südfenstern, mit Madonnenlilien dazwischen. Aber die Lilien verschwanden, nachdem sie verpflanzt worden waren – wie hätte ich wissen sollen, dass das bei Lilien normal ist? Und die Farben der Stockrosen erwiesen sich als ziemlich hässlich, sodass mein erster Sommer ausschließlich von Wicken geschmückt und verschönert wurde.

Im Moment schöpfen wir, nach dem geschäftigen Anlegen von Beeten und Wegen, die vor dem Sommer fertig werden sollten, gerade erst wieder Atem. Die elf Beete rings um die Sonnenuhr sind mit Rosen bepflanzt, aber ich merke jetzt schon, dass ich mit einigen Sorten Fehler gemacht habe. Nachdem ich keine Menschenseele habe, mit der ich zu diesem – oder sonst einem – Thema Beratungen abhalten könnte, ist mein einziger Weg zu lernen der des Fehlermachens. Alle elf Beete sollten einen Teppich aus violetten Stiefmütterchen bekommen, aber nachdem ich nicht genügend Pflanzen hatte und niemand mir welche verkaufen konnte, haben jetzt nur sechs ihre Stiefmütterchen; in den anderen ist Zwergreseda ausgesät. Zwei der Beete sind mit Marie-van-Houtte-Rosen gefüllt, zwei mit Viscountess Folkestone, zwei mit Laurette Messimy, eines mit Souvenir de la Malmaison, eines mit Adam- und Devoniensis-Rosen, zwei mit Persian Yellow und Kapuzinerrosen, und ein großes hinter der Sonnenuhr mit drei Sorten roter Rosen (insgesamt 72 Pflanzen): Duke of Teck, Cheshunt Scarlet und Prefet Limbourg. Dieses Beet war ein Fehler, da bin ich mir sicher, genau wie einige der anderen, aber natürlich muss ich abwarten und beobachten, weil ich eine so unwissende Person bin. Außerdem habe ich im Gras links und rechts des Halbkreises zwei lange Beete anlegen lassen; in beiden ist Reseda ausgesät, und das eine ist mit Marie van Houtte bepflanzt, das andere mit Jules Finger und The Bride. In einer warmen Ecke unter dem Salonfenster liegt ein Beet mit Madame Lambard, Madame de Watteville und Comtesse Riza du Parc, weiter hinten im Garten, nach Norden und Westen von Buchen und Fliederbüschen abgeschirmt, noch ein großes Beet mit Rubens, Madame Joseph Schwartz und Hon. Edith Gifford. All diese Rosen sind niedrig; ich habe nur zwei Hochstämmchen im ganzen Garten, beide Madame Georges Bruant, und sie sehen aus wie Besenstiele. Wie ich den Tag herbeisehne, an dem die Teerosen ihre Knospen öffnen! Noch nie habe ich mich so innig auf irgendetwas gefreut, und jeden Tag mache ich die Runde, um zu bewundern, was meine kleinen Lieblinge in vierundzwanzig Stunden an neuen Blättern oder hübschen roten Trieben hervorgebracht haben.

Die Stockrosen und (inzwischen blühenden) Lilien sind immer noch unter den Südfenstern, in einem schmalen Beet über einer Rasenböschung, an deren Fuß ich zwei lange Beete mit Duftwicken ausgesät habe, den Rosenbeeten zugewandt, damit meine Rosen bis zum Herbst etwas betrachten können, das fast so hübsch ist wie sie selbst – danach muss alles weiteren Teerosen weichen. Der Weg, der von diesem Halbkreis in den Garten hinausführt, wird von Chinarosen flankiert, weiß und rosa, mit einer Persian Yellow hier und da. Jetzt wünsche ich mir, ich hätte auch dort Teerosen gepflanzt, und habe düstere Vorahnungen, was die Wirkung der Persian Yellows zwischen den Chinarosen angeht, denn die Chinesinnen sind so zarte kleine Dinger, und die Perserinnen sehen aus, als wollten sie große Büsche werden.

Kein lebendes Wesen in diesem Teil der Welt kann auch nur im Geringsten nachvollziehen, mit welchem Herzklopfen ich mich auf das Erblühen dieser Rosen freue, und es gibt kein deutsches Gartenbuch, das Teerosen nicht in Gewächshäuser verbannen würde, wo sie ihr Leben lang eingekerkert bleiben und der Atem Gottes ihnen für immer verwehrt bleibt. Zweifellos war es meiner Ignoranz geschuldet, dass ich in blindem Eifer voranpreschte, wo teutonische Experten zu äußerster Behutsamkeit raten, und meine Teerosen einem nordischen Winter aussetzte; aber sie trotzten ihm unter Kiefernzweigen und Laub, und keine einzige hat gelitten, und heute könnten keine anderen Rosen in ganz Europa mehr Zufriedenheit und entschlossene Lebensfreude ausstrahlen.

14. Mai

Heute schreibe ich auf der Veranda, und die drei Kinderlein schwirren um mich herum, hartnäckiger als Moskitos, und schon mehrere der dreißig Finger waren im Tintenfass, sodass die Eigentümerinnen getröstet werden mussten, wo die Pflicht nach einer Rüge gerufen hätte. Aber wer könnte solche reumütig gesenkten Sonnenhäubchen ausschimpfen? Alles, was ich erkennen kann, sind Sonnenhäubchen und Trägerschürzen und flinke schwarze Beine.

Diese drei, ihr geduldiges Kindermädchen, ich selbst, der Gärtner und der Hilfsgärtner sind die einzigen Menschen, die meinen Garten je betreten; allerdings verlassen wir ihn auch nie. Der Gärtner ist seit einem Jahr hier und übergibt mir regelmäßig zu jedem Monatsersten seine Kündigung, hat sich aber immer wieder zum Bleiben bewegen lassen. Am Ersten dieses Monats kam er wie gewöhnlich und teilte mir mit, Entschlossenheit in jeden seiner Gesichtszüge gemeißelt, dass er im Juni zu gehen gedenke und dass nichts ihn umstimmen könne. Ich glaube nicht, dass er viel vom Gärtnern versteht, aber er kann zumindest umgraben und gießen, und einige Sachen, die er aussät, gehen auf, und einige Pflanzen, die er setzt, wachsen; außerdem habe ich noch nie einen Menschen gesehen, der so unermüdlich fleißig wäre wie er, und er hat den großen Vorzug, niemals die leiseste Notiz von dem zu nehmen, was wir im Garten tun. Deswegen versuche ich, ihn zu halten – wer weiß, wie der nächste wäre? –, und als ich ihn fragte, was er zu beanstanden habe, und seine Antwort »nichts« lautete, konnte ich nur den Schluss ziehen, dass er eine persönliche Abneigung gegen mich hegt, wegen meiner exzentrischen Vorliebe für Pflanzen in Gruppen anstelle von Pflanzen in Reihen. Vielleicht missfallen ihm auch die Auszüge aus Gartenbüchern, die ich ihm manchmal vorlese, während er etwas Neues aussät oder pflanzt. Weil ich selbst so hilflos bin, fand ich es einfacher, das Buch zu ihm hinauszutragen und ihm anstelle irgendwelcher Erklärungen die Weisheit direkt aus der Quelle zukommen zu lassen, in Portionen verabreicht, während er arbeitet. Ich erkenne durchaus an, dass das unerfreulich sein muss, und nur meine Sorge, ein ganzes Jahr wegen irgendeines dummen Fehlers zu verlieren, gibt mir den Mut dazu. Manchmal lache ich hinter dem Buch über sein angewidertes Gesicht und wünsche mir, jemand würde uns fotografieren, damit ich in zwanzig Jahren, wenn der Garten ein Hort des Liebreizes und ich ein Born des Wissens sein müsste, eine Erinnerung an meine frühen, glücklichen Kämpfe und Fehlschläge habe.

Den ganzen April über setzte er die Stauden, die wir im Herbst gesät hatten, an ihre endgültigen Plätze, und den ganzen April über schritt er mit einem langen Stück Schnur durch den Garten und markierte parallele Linien von wunderbarer Präzision in den Beeten, auf denen er die armen Pflanzen wie Soldaten bei einer Parade platzierte. Zwei lange Beete wurden eines Tages während meiner Abwesenheit so bepflanzt, und als ich erklärte, dass auf dem dritten die Pflanzen in Gruppen und nicht in Reihen stehen sollten, weil ich einen natürlichen Effekt ohne sichtbare kahle Erde wolle, sah er sogar noch hoffnungslos trübseliger drein als sonst; als ich später hinausging, um mir das Ergebnis anzusehen, entdeckte ich, dass er in zwei lange Beete zu beiden Seiten eines geraden Weges kurze Linien aus jeweils fünf Pflanzen gesetzt hatte – erst fünf Nelken, daneben fünf Nachtviolen, dahinter fünf Nelken und neben die Nelken fünf Violen, und so weiter mit verschiedenen Pflanzen jeder Art und Größe bis zum Ende des Beetes. Als ich protestierte, sagte er, er habe nur meine Anweisungen ausgeführt und dabei gleich gewusst, dass es nicht gut aussehen würde; also gab ich auf, und die restlichen Beete wurden nach dem Muster der ersten beiden bepflanzt, und ich werde Geduld haben und sehen, wie sie diesen Sommer aussehen, bevor sie wieder umgegraben werden, weil es Anfängerinnen gut zu Gesicht steht, demütig zu sein.

Wenn ich nur selbst umgraben und pflanzen dürfte! Wie viel einfacher und wie faszinierend wäre es, Löcher genau dort zu graben, wo man sie haben möchte, und die Pflanzen genau nach den eigenen Vorstellungen zu setzen, statt Anordnungen zu geben, die nur halb verstanden werden, sobald sie von jenen schnurgeraden Linien abweichen! In der ersten Verzückung darüber, einen Garten ganz für mich zu haben, und in meiner brennenden Ungeduld, die öden Stellen erblühen zu lassen wie Rosen, schlich ich mich letztes Jahr an einem Sonntag im April zur Essenszeit der Dienstboten mit einem Spaten und einem Rechen hinaus, vor dem Gärtner doppelt abgesichert durch Wochentag und Uhrzeit, und grub fieberhaft ein Stück Erde um und zerkrümelte es und säte verstohlen Prunkwinden aus und rannte erhitzt und schuldbewusst zurück ins Haus, wo ich mich gerade noch rechtzeitig in einen Sessel und hinter ein Buch warf und gelangweilt dreinblickte, um meinen Ruf zu retten. Und warum auch nicht? Gärtnern ist nicht anmutig und bringt einen ins Schwitzen, aber es ist eine gesegnete Art von Arbeit, und wenn Eva im Paradies einen Spaten gehabt und gewusst hätte, wie man ihn benutzt, wäre uns diese ganze traurige Geschichte mit dem Apfel erspart geblieben.