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Laura Silverman

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Beschreibung

Diese zuckersüße Liebesgeschichte ist der ideale Schmöker für die Weihnachtstage – und das ganze restliche Jahr. Shoshanna liebt ihren Job in der Buchhandlung. Was ist schöner, als anderen die passende Lektüre zu empfehlen? Und Shoshanna hat fast immer den richtigen Tipp. Darum ist sie siegessicher, als ihre Chefin eine Feiertags-Challenge ausruft: Wer bis Weihnachten die meisten Bücher verkauft, dem winkt ein Bonus. Doch Shoshanna bekommt unerwartet Konkurrenz. Ausgerechnet Neuzugang Jake erweist sich als geschickter Verkäufer – dabei liest er nicht mal! Jake mag süß sein (sehr süß), trotzdem ist Shoshanna wild entschlossen, ihn zu übertrumpfen. Und kommt ihm im Laufe des Wettbewerbs immer näher ... Eine Heldin mit großem Herz und gutem Büchergeschmack auf der Suche nach Freundschaft und Liebe!

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Laura Silverman: Empfehlung für dich

Aus dem Englischen von Katharina Meyer

Diese zuckersüße Liebesgeschichte ist der ideale Schmöker für die Weihnachtstage – und das ganze restliche Jahr.

Shoshanna liebt ihren Job in der Buchhandlung. Was ist schöner, als anderen die passende Lektüre zu empfehlen? Und Shoshanna hat fast immer den richtigen Tipp. Darum ist sie siegessicher, als ihre Chefin eine Feiertags-Challenge ausruft: Wer bis Weihnachten die meisten Bücher verkauft, dem winkt ein Bonus. Doch Shoshanna bekommt unerwartet Konkurrenz. Ausgerechnet Neuzugang Jake erweist sich als geschickter Verkäufer – dabei liest er nicht mal! Jake mag süß sein (sehr süß), trotzdem ist Shoshanna wild entschlossen, ihn zu übertrumpfen. Und kommt ihm im Laufe des Wettbewerbs immer näher …

Eine Heldin mit großem Herz und gutem Büchergeschmack auf der Suche nach Freundschaft und Liebe!

Wohin soll es gehen?

  Buch lesen

  Viten

 

Für Phillip

Danke, dass du mich immer in meiner Liebe zum Schreiben bestärkt hast.

Du warst der beste Bruder der Welt und uns war nicht genug Zeit zusammen vergönnt. Ich werde dich immer lieben und ewig vermissen.

Deine Schwester,

Laura

KAPITEL 1

Barbra Streisand röchelt und keucht, bis sie schließlich komplett den Geist aufgibt.

»Oh nein!« Seufzend flehe ich mein Auto an: »Barbra, Süße.« Ich streichle in beruhigenden Kreisen über das Armaturenbrett. »Bitte spring an. Ich komme sonst zu spät zur Arbeit. Tust du es für mich? Biiitte. Also noch mal, bereit?«

Ich drehe den Zündschlüssel erneut. Dieses Mal ist das Geräusch noch schlimmer, wie ein metallisches Kreischen. »Mist!« Ich ziehe den Schlüssel ab. Es ist ein eiskalter Dezembermorgen, und wenn ich ausatme, kann ich meinen Atem sehen.

Das Surren meines Handys kündigt eine Nachricht an, es ist Cheyenne: Hab gerade den 75. Pullover des Morgens gefaltet. Wann kommst du?

Wegen des Weihnachtsrummels öffnet das Einkaufszentrum diese Woche früher als sonst. Cheyenne faltet schon seit einer Stunde Klamotten bei GAP und ich müsste in zwanzig Minuten bei ES WAR EINMAL sein, der Buchhandlung, in der ich arbeite.

Ich schreibe zurück: Hoffentlich bald! Barbra springt nicht an.

Sie antwortet: Bitter! Ich kann dich später nach Hause fahren.

Ich schicke ihr einen Kuss-Smiley, dann steige ich aus dem Auto, ziehe den Mantel fest um mich und renne ins Haus. Mom und Mama sind noch nicht weg, trotzdem ist alles still. Ich schaue ins Wohnzimmer, dann in die Küche. Nichts. Ich gehe rauf zu ihrem Schlafzimmer, doch die Tür ist geschlossen. Gemurmel dringt in den Flur. Normalerweise steht die Tür immer offen. Normalerweise würde ich einfach reingehen, mich aufs Bett werfen und fragen, ob mich eine von ihnen fahren kann. Aber jetzt ist die Tür zu und dämpft ihre aufgebrachten Stimmen.

Ich hole tief Luft, richte mich auf und klopfe zweimal kurz.

Die Stimmen verstummen und wenig später öffnet Mom die Tür. Wir haben die gleichen braunen Augen und das gleiche lockige, braune Haar, aber ihr Blick ist müde und ihre Haare sind zu einem unordentlichen Zopf zusammengebunden. Ehrlich gesagt könnten sie etwas Extrapflege vertragen. Am liebsten würde ich ihr das Rezept für diese tolle Avocado-Haarkur empfehlen, das ich im Internet gefunden habe, aber der Stimmung im Raum nach zu urteilen ist jetzt nicht der richtige Moment für solche Tipps.

»Shoshanna«, sagt Mom. »Müsstest du nicht bei der Arbeit sein?«

Ihre Stimme kippt, als ob sie sauer auf mich wäre oder so. Ich spiele nervös mit dem Davidstern an meiner Halskette und wippe auf die Fersen. »Barbra springt nicht an. Schon wieder. Kann mich eine von euch zum Einkaufszentrum bringen?«

»Das Auto gehört längst auf den Schrott«, murmelt Mom.

Mein Puls beschleunigt sich. Barbra Streisand darf nicht auf den Schrott. Klar, sie ist alt, ein Erbstück von meinen Müttern, aber ich brauche ein Auto, und mein Gehalt bei ES WAR EINMAL reicht gerade mal so für Sprit und die Versicherung. »Ähm.« Ich räuspere mich. »Ich möchte nicht zu spät kommen. Ihr wisst schon, Weihnachtstrubel und so.«

Mama gesellt sich zu uns. Ihr blondes Haar ist noch ganz nass vom Duschen und sie hat sich ihren pfirsichfarbenen Seiden-Bademantel locker um die runden Hüften gebunden. Es ist seltsam, wie sie beide barfuß auf dem Schlafzimmerteppich stehen, während ich hier in Stiefeln auf dem Parkett im Flur warte.

»Ich würde dich ja gerne fahren«, sagt Mama. »Aber ich habe gleich Unterricht und muss mich noch vorbereiten. Tut mir leid, Liebes.«

Ich bedenke sie mit einem kleinen Lächeln. »Schon okay, Mama.«

»Na gut.« Jetzt klingt Mom wirklich sauer. »Dann nehme ich dich eben mit. In fünf Minuten bin ich unten.«

»Okay.« Ich verhake meine Finger ineinander. »Danke.«

Mom nickt und schließt die Tür. Das Gemurmel beginnt von Neuem, lauter als zuvor. Ich schnappe etwas von schmutzigem Geschirr auf. Geschirr? Streiten sie jetzt ernsthaft wegen des Abwaschs?

Ich gehe nach unten, aber anstatt die Garage anzusteuern, mache ich einen Abstecher in die Küche. Die Kaffeekanne steht in der Spüle. Daneben ein Löffel und ein Becher mit einem Rest Milchkaffee. Ein idiotischer Grund für einen Streit. Ich kann das Problem ganz einfach aus der Welt schaffen und schon sind alle wieder glücklich. Ich schlüpfe aus dem Mantel, streife mir ein Paar Spülhandschuhe mit Marienkäfermuster über, wasche die Sachen und trockne alles ab.

Mom hält vor dem Einkaufszentrum und nimmt einen Lippenstift aus ihrer Handtasche. Mit zwei gekonnten Strichen trägt sie die hellrosa Farbe auf. Als ich kleiner war, lag ich oft ausgestreckt auf dem Teppichboden im Schlafzimmer und durchstöberte ihre zahlreichen Kosmetik- und Parfümtäschchen, während sie am Schminktisch saß, ihr Gesicht eincremte und die Augen mit einem weichen braunen Stift umrahmte. Es war herrlich ruhig, unser kleines Refugium.

»Soll ich dich nachher abholen?«, fragt Mom und setzt den Deckel auf den Lippenstift. Sie bemerkt, wie ich ihn anstarre. »Na los, nimm schon!«

Eine Riesenlast fällt mir von den Schultern, als ich nach dem Lippenstift greife. Sie ist nicht sauer auf mich. Natürlich nicht. Es war kaum zu erwarten, dass sie vor Freude jubelt, weil Barbra wieder einmal kaputt ist.

»Cheyenne fährt mich nach Hause«, sage ich. »Trotzdem danke!«

Ich klappe die Sonnenblende mit dem Spiegel herunter und trage etwas Farbe auf, die sofort an den Rändern verschmiert. Ich tupfe die Mundwinkel mit dem Finger ab und fühle mich ein bisschen wie ein Kind, das Verkleiden spielt. Dann presse ich meine Lippen aufeinander und lächle. Die Farbe ist nicht ganz so pink wie mein Mantel und passt gut zu meinen rosigen Winterwangen.

»Hübsch«, kommentiert Mom. Dann sagt sie: »Ich muss los.«

»Gut.« Ich lege den Lippenstift ins Mittelfach. »Also, vielen Dank fürs Herbringen.«

Ich schnalle mich ab, schnappe meinen Stoffbeutel und steige aus. Als ich die Tür zuschlagen will, dreht Mom sich zu mir, ihr Blick wird weicher. »Ich sag nachher Eve Bescheid, damit sie vorbeikommt, um sich Barbra anzusehen. Einverstanden?«

Ich strahle. »Super!« Eve ist eine Freundin der Familie und Mechanikerin. Mom hat sie vor gut zehn Jahren beim Kickboxen kennengelernt, und seitdem stattet uns Eve regelmäßig einen Besuch ab, wenn eins der Autos, normalerweise Barbra – okay, eigentlich immer Barbra – repariert werden muss. »Sehen wir uns heute Abend zur Latke-Party?«

»Natürlich«, sagt Mom. »Bis nachher.«

Ich schließe die Tür, und Mom winkt kurz, bevor sie wegfährt.

Die Latke-Party ist unsere Familientradition für den letzten Chanukka-Abend. Wir gehören nicht zu den Juden, die an jedem der acht Lichterfest-Tage eine Kerze anzünden, aber zumindest an einem Abend feiern wir mit Latkes und Dreidel. Meine Mütter und ich lieben es, Zeit zu dritt zu verbringen, ganz egal ob zur Latke-Party, beim In 90 Tagen zum Altar-TV-Marathon oder beim Bowling-Abend. Wir passen einfach perfekt zusammen, wie das 2000-Teile-Puzzle, das wir letztes Jahr gemeistert haben. In einem Sommer haben wir es sogar geschafft, eine sechzehnstündige Autofahrt nach New York zu überstehen, ohne auch nur ein einziges Mal zu streiten, was bei Familien auf Reisen vermutlich so was wie ein Weltrekord ist.

Aber in letzter Zeit ist alles anders. Offene Türen und Reality-TV-Marathons wurden durch geschlossene Türen und Streitereien ersetzt. Und noch häufiger als Streit herrscht eisiges Schweigen, irgendwie ist uns die Verbundenheit verloren gegangen. Ich versuche, meine Sorgen abzuschütteln, als Mom davonfährt. Bestimmt hat es gar nichts zu bedeuten. Bloß ein paar unwichtige Streitigkeiten über den Abwasch. Wir hatten alle viel zu tun in letzter Zeit – Mom arbeitet immer tausend Stunden die Woche, Mama sitzt oft bis spätabends im Wintergarten und malt, den Heizlüfter auf Anschlag, und selbst ich schiebe jetzt in den Winterferien Doppelschichten. Aber heute Abend zünden wir alle gemeinsam die Kerzen an, packen Geschenke aus und essen Kartoffelpuffer mit Apfelmus – der besten Beilage der Welt –, und alles ist wieder gut.

Als ich auf den Eingang des Einkaufszentrums zugehe, fegt der eisige Dezemberwind durch meinen Mantel. Es ist erst acht Uhr früh, aber der Parkplatz ist schon zur Hälfte gefüllt. Ein silberner Sedan kurvt durch die vollbesetzten vorderen Reihen auf der Suche nach einem guten Platz. Ich betrete das Gebäude durch den Ostflügel und seufze erleichtert, als mir die warme Luft entgegenströmt. Die meisten Stände des Food-Courts sind noch geschlossen, aber man kann die Angestellten bei ihren Vorbereitungen hören, es wird viel gerufen und aus den Lautsprechern dröhnt Musik. Starbucks ist bereits geöffnet und in der Schlange stehen schon fünfzehn Leute an. Ich bin spät dran und ignoriere deshalb meine Kaffeegelüste, die um einen Peppermint Mocha betteln.

Als ich bei GAP ankomme, sehe ich durchs Schaufenster Cheyenne. Ihre dunkelbraune Haut hebt sich schön vor den ganzen creme- und pfirsichfarbenen Pullovern ab. Sie erschrickt, als ich an die Scheibe klopfe, doch als sie mich entdeckt, grinst sie und bedeutet mir, in den Laden zu kommen. Ich schüttle den Kopf und forme die Worte: »Bin spät dran! Wir sehen uns in der Mittagspause, Süße!« Sie wirft mir einen Kuss zu und ich fange ihn mit einem Lächeln auf.

Wir haben uns in der siebten Klasse kennengelernt, als wir in der Schulmensa beide das letzte Stück Käsepizza anpeilten. Es war das perfekte erste Treffen, wie aus einer romantischen Komödie. Wir teilten uns die Pizza und quatschten die ganze Pause durch. Die Themen reichten von unserer Liebe zu BOB’S BURGERS über Spekulationen zur Existenz intelligenten Lebens auf anderen Planeten bis hin zum gegenseitigen Geständnis unseres derzeitigen Schwarms – und jetzt ist unsere Freundschaft für alle Ewigkeit durch eine leckere Käsekruste besiegelt.

Ich gehe weiter, vorbei am Disney Store und am Pet Depot, an H&M und an diesem Stand mit den Totes-Meer-Lotionen, an dem immer irgendwelche ultraheißen Israelis arbeiten, und dann bin ich endlich da.

Bei ES WAR EINMAL.

Der Name steht in blauer Kursivschrift über dem Eingang und in den Schaufenstern locken Auslagen mit Neuerscheinungen und Klassikern. Eins der Bücher liegt ein Stückchen zu weit links, sodass der Titel nicht gut zu erkennen ist. Ich muss daran denken, es an die richtige Stelle zu schieben, wenn ich im Laden bin. Drinnen werde ich vom Geruch der Bücher und dem leisen Rascheln der Kunden begrüßt, die frühmorgens schon in den Regalen stöbern. Zufriedenheit durströmt meinen Körper. Ich bin zu Hause.

Ein paar Stunden später ist der Laden gerappelt voll mit Weihnachtskundschaft und ich renne von hier nach da, fülle Auslagen auf, kassiere Kunden ab und ordne Bücher zurück an den richtigen Platz im Regal, denn es wäre ein wahres Wunder, wenn die Leute es schaffen würden, ein Buch dorthin zurückzustellen, von wo sie es genommen haben, oder es zumindest auf einen der Tische zu legen, anstatt es einfach irgendwo ins Regal zu schieben. Auf dem Weg ins Lager fällt mir ein weißer Mann mittleren Alters in der Philosophie-Abteilung auf. Er trägt einen grauen Pullover und Jeans – und er ist gerade dabei, ein Buch Seite für Seite abzufotografieren.

»Entschuldigen Sie bitte …« Ich halte kurz inne. »Das geht nicht, was Sie da machen.«

Er reagieret nicht, sondern blättert einfach weiter und richtet sein Handy auf die nächste Seite.

»Entschuldigung?«, wiederhole ich, um sicherzugehen, dass er mich gehört hat.

Dieses Mal schaut er hoch, doch ihm ist anzumerken, dass er mich nicht als Gefahr sieht. Vermutlich wirken meine fehlende Körpergröße und das Kleid mit den aufgedruckten Streifenhörnchen nicht besonders bedrohlich.

»Ich bin fast fertig«, sagt er und macht noch ein Foto.

»Aber Sie dürfen das nicht abfotografieren«, sage ich und gehe einen kleinen Schritt auf ihn zu. »Dies ist eine Buchhandlung. Eine Autorin oder ein Autor hat hart für das Buch da gearbeitet. Sie können nicht einfach diese Arbeit stehlen, indem Sie nichts dafür bezahlen.«

»Doch«, sagt er und schlägt eine Seite um. »Ich kann.«

»Bitte nehmen Sie das Buch entweder mit zur Kasse oder stellen Sie es zurück ins Regal.«

»Schätzchen«, fertigt er mich in herablassendem Ton ab. »Halt einfach die Klappe.«

Das »Schätzchen« macht mich rasend. Uuah. An meinem Kleid ist ein Walkie-Talkie befestigt und ich bin kurz davor, über die Lautsprecher die Security-Leute zu rufen. Aber ich kenne diesen Typen nicht und er ist ziemlich groß, und sein herrischer Ton lässt vermuten, dass es keine gute Idee wäre, sich mit ihm anzulegen.

Anstatt ihn öffentlich bloßzustellen, knalle ich ihm deshalb die folgenden Worte an den Kopf: »Es ist falsch, was Sie da machen, und Sie sind ein schlechter Mensch.« Dann marschiere ich in Richtung Lager, bevor er antworten kann. Arroganter Idiot und Dieb.

»Shoshanna!«, erklingt eine Stimme, als ich an der Kinderbuchabteilung vorbeirausche. Ich drehe mich um und sehe meine Chefin. Kurz geschorenes Haar umrahmt ihr dunkles Gesicht und das Türkis ihrer Bluse hebt sich schön vom Schwarz ihres Elektrorollstuhls ab.

»Hi, Myra!« Ich räuspere mich. »Was gibts?«

Sie neigt den Kopf. »Alles o. k. bei dir?«

Wahrscheinlich hat mir der kleine Zwischenfall die Röte ins Gesicht getrieben. »Ach, bloß Flugzeugessen.« Das ist unser Code für unangenehme Kunden. »Aber mir gehts gut.«

»Okay, schön.« Sie lächelt und ich entspanne mich. Ich liebe diese Frau. Sie hat ES WAR EINMAL vor fünfzehn Jahren eröffnet. Es ist die einzige inhabergeführte Buchhandlung in Wakesville, Georgia, unserer mittelgroßen Stadt neunzig Minuten südlich von Atlanta. Bücher sind so ziemlich das Beste, was einem überhaupt jemals passieren kann, also habe ich mich im Sommer, bevor ich in die Zehnte kam, hier beworben. Das einstündige Vorstellungsgespräch verbrachten Myra und ich damit, Fan-Theorien über unsere Lieblingsbuchserie Time Stands Still zu diskutierten, und wenig später war ich auch schon eingestellt. »Wir haben einen neuen Kollegen«, fährt Myra fort. »Er wartet im Pausenraum, und ich möchte, dass du ihm alles zeigst, verstanden?«

»Aye, aye, Sir.« Ich salutiere.

Sie schüttelt den Kopf. »Lass das.«

»Natürlich, gnädige Frau.« Ich verbeuge mich.

»Das auch.«

»Alles klar, Eure Hoheit.« Ich mache einen Knicks.

Sie zeigt auf mich und grinst. »Also, das gefällt mir.«

Ich knickse erneute und verschwinde in Richtung Pausenraum. Als ich die Tür öffne, sage ich mit fröhlicher Stimme: »Hallo! Willkommen bei ES WAR EINMAL! Ich bin Shoshanna und heute …«

Ich unterbreche meine Begrüßung jäh, als ich den Neuen erblicke.

Den heißen Neuen.

Den Du bist doch bestimmt Hauptdarsteller in einer Teenie-Serie auf Netflix-heißen Neuen.

Er ist weiß, hat dunkelbraune Augen und dunkelbraunes Haar, und seine Kieferpartie ist scharfkantiger als die Ecke unseres Auslagentisches, an der ich mir jedes Mal das Bein anstoße. Er muss auf eine andere Schule gehen, denn wenn er mir in meiner begegnet wäre, hätte ich ihn auf jeden Fall bemerkt. Hitze steigt mir in die Wangen. Wie kann man es wagen, so früh am Morgen schon so unverschämt gut auszusehen? So was müsste verboten sein, ohne Witz.

Ich lächle und hoffe, dass mein Lippenstift gehalten hat. »Hi, hallo. Ich bin Shoshanna!«

»Sagtest du bereits«, gibt er zurück.

»Oh, stimmt ja.« Ich wippe auf die Fersen. »Und wie heißt du?«

»Jake.« Er hebt einen Arm hinter den Kopf, greift mit der anderen Hand danach und reckt sich. Dabei rutscht sein Flanellhemd ein Stück nach oben und legt ein klitzekleines bisschen Haut frei. Ich beiße mir auf die Lippe. Ich sollte diesen Raum verlassen. Diesen winzigen Raum, in dem nur wir beiden sind.

»Gehen wir raus in den Laden, Jake!« Ich klatsche in die Hände. »Hier im Pausenraum gibts nicht viel zu sehen. Auf dem Whiteboard stehen unsere Telefonnummern und der Wochenplan. Dort drüben ist der Kühlschrank, dein Essen musst du beschriften, aber die meisten von uns essen ohnehin draußen im Food-Court. Für den Spind musst du dir ein eigenes Schloss mitbringen. Und hier …« Ich schnappe mir eins der Ersatz-Namensschilder vom Whiteboard. »Bitte sehr.«

Für einen kurzen Augenblick berühren sich unsere Hände, ich quieke und mache einen Satz zurück. Er sieht mich seltsam an und liest dann das Namensschild. »Peeta Pettigrew?«

»Kleiner Bücher-Witz. Das kriegen bei uns die Neuen. Wenn du lange genug da bist, bekommst du eins mit deinem eigenen Namen.«

»Okay«, sagt Jake, steht auf und steckt sich das Namensschild in die Hosentasche.

»Äh, du musst es tragen!«

»Klar«, antwortet er. Aber er macht keine Anstalten, es sich anzustecken. Hm, vielleicht ist er ja Team Gale oder so.

Jetzt, wo Jake aufgestanden ist, fällt mir auf, dass er nicht gerade groß ist, vielleicht eins siebzig. Aber da ich selbst nur eins zweiundfünfzig bin, hat er vermutlich die perfekte Größe, um meinen Kopf an seine Schulter zu kuscheln – eine Beobachtung, die so was von gar nicht schräg ist, wenn man jemanden das erste Mal sieht. Er nimmt sich einen Spiralblock vom Tisch, rollt ihn wie eine Zeitung auf und steckt ihn in seine Tasche. »Schreibst du?«, frage ich. »Ich schreibe auch! Ich arbeite gerade an meinem ersten Roman. Er ist ein grauenhaft, aber nicht völlig grauenhaft, was ich ziemlich beeindruckend finde, dafür, dass es mein erster Versuch ist!«

»Nein«, antwortet Jake.

»Du bist von der einsilbigen Sorte, was?«

Er starrt mich einfach nur an.

»Jetzt sogar ganz ohne Silbe!« Ich hätte erwartet, dass er lacht, aber er starrt mich weiter wortlos an. Ich zupfe am Ärmel meiner Strickjacke und verspüre ein leicht unwohles Gefühl. Warum lacht er nicht? Das war doch witzig! »Wie auch immer.« Ich räuspere mich. Ist schon okay. Wahrscheinlich hat Jake nur Schiss, weil heute sein erster Tag ist. Ich bin mir sicher, dass wir bald miteinander warm werden. »Auf in den Laden!«

Ich gehe zur Tür und drücke. Aber sie bewegt sich keinen Millimeter, denn es handelt sich um die schwerste Tür der Welt und ich habe so viel Kraft wie ein Hamsterbaby. Es gibt auch einen automatischen Türöffner, aber jetzt bin ich schon zu weit vorgeprescht, um noch einen Rückzieher zu machen. Mit der Schulter drücke ich weiter gegen die Tür, doch sie öffnet sich nur einen Mini-Spalt. Über mir taucht ein Arm auf und stößt die Tür mit einem einzigen festen Ruck auf – und mir ist so was von bewusst, dass Jake genau hinter mir steht und ich mich nur ein winziges Stück zurücklehnen müsste, um mit meiner Schulter seine Brust zu berühren. Meine Wangen werden noch heißer, darum trete ich mit einem fiepsigen »Danke!« schnellstmöglich in den Verkaufsraum.

Jake folgt mir und ich gewinne wieder an Sicherheit. Dies ist mein Laden. Okay, es ist Myras Laden, aber immerhin arbeite ich schon seit anderthalb Jahren hier und bin ihre absolute Lieblingsangestellte, auch wenn sie das niemals zugeben würde. Ich führe Jake durch alle Abteilungen und erkläre ihm, nach welchem Prinzip die Regale eingeräumt werden und welche Aufgaben er zu erledigen hat. Jake hört aufmerksam zu, sagt aber nichts.

»Der Laden gehört Myra«, sage ich, als wir in die Kinderbuchabteilung kommen. Dies ist mein liebster Bereich. Alle Regale sind voller Bücher, die ich als Kind verschlungen habe, und dazu kommen immer neue Titel. Überall stehen kleine Tische und Stühle, an denen zwei unserer treuesten Kunden, das pensionierte Lehrerpaar Murillo, zweimal die Woche Geschichten vorlesen. Und Myras Ehemann, Architekt von Beruf und Tischler aus Leidenschaft, hat sogar ein Spielschloss aus Holz gebaut, in das die Kinder hineinkriechen können, um dort zu lesen. Manchmal, wenn ich besonders früh da bin und außer mir und Myra noch niemand hier ist, verkrieche ich mich mit einem guten Buch im Schloss und genieße die Ruhe.

Ja, ich bin so klein, dass ich in ein Kinder-Holzschloss hineinpasse.

»Du hast sie beim Einstellungsgespräch kennengelernt«, plappere ich weiter. »Sie ist ziemlich super, solange man sich nicht über ihre Vorgaben zum Regale-Sortieren hinwegsetzt. Stelle beispielsweise niemals alle lilafarbenen Bücher in ein Fach, nur weil der Gedenktag von Prince ist und du glaubst, es könnte ihr gefallen, weil sie ein riesiger Prince-Fan ist.«

Jake hebt eine Augenbraue. »Das ist ja ein sehr konkretes Beispiel.«

»Könnte durchaus sein, dass ich so etwas schon mal gemacht habe.« Ich fange seinen Blick auf und versuche es mit einem Grinsen. Er grinst nicht zurück. Mein Anflug von Unbehagen wächst. »Alles klar.« Ich reiße mich zusammen. »Also, jeder hat eine Sechs-Stunden-Schicht und wir dürfen eine halbe Stunde Mittagspause machen. Wie schon gesagt, ich treffe mich normalerweise mit ein paar Freuden im Food-Court. Wenn du willst, kannst du nachher mitkommen …«

»Ich habe mir etwas zu essen mitgebracht.«

»Na ja, du kannst ja …«

Er schneidet mir wieder das Wort ab: »Nein danke.«

Ich straffe die Schultern. Langsam bekomme ich dasselbe unangenehme Gefühl wie bei dem klauenden Idioten in der Philosophieabteilung, nur ohne das Klauen. Ich verstehe nicht ganz, was hier abgeht, aber es gibt überhaupt keinen Grund dafür, dass dieser Jake so unhöflich zu mir ist. »Ich versuche nur, nett zu sein«, sage ich.

»Und ich versuche nur, etwas über meinen Job zu erfahren.«

»Nun, ein Teil deines Jobs ist nett sein. So wie ich.«

Jakes Antwort: Er zieht die Augenbrauen hoch.

Ich will gerade kontern, als eine helle Stimme uns unterbricht: »Entschuldigung.«

Ich schaue zur Seite und sehe ein kleines Mädchen, ungefähr acht, in einem limettengrünen Overall. Ich ignoriere Jack und sein Verhalten und seine Kieferpartie und knie mich hin, sodass ich auf gleicher Höhe mit dem Mädchen bin. »Hallo!« Ich strecke ihr die Hand hin. »Ich bin Shoshanna. Und wer bist du?«

Sie gibt mir mit einem schiefen Grinsen die Hand und sagt dann schüchtern: »Marissa.«

»Marissa! Das ist aber ein toller Name!« Ich schaue zu Jake. »Ist Marissa nicht ein toller Name?«

Ich blicke ihm geradewegs in die blöden schönen braunen Augen. Eine Herausforderung. Ich wette, er ist total überfordert mit so einem Verkaufsgespräch, vor allem bei einem Kind. Doch überraschenderweise lächelt er, und es ist ein verdammt gutes Lächeln, sodass ich ganz rot werde. Aber HaSchem sei Dank sieht er Marissa an und nicht mich, darum bemerkt er es nicht mit.

»Definitiv ein toller Name«, stimmt Jake mir zu. Er gibt ihr ein »Daumen hoch« und sie kichert und erwidert die Geste. Ja schön. Mir doch egal.

»Wie können wir dir heute helfen?«, frage ich.

»Ich möchte ein Buch«, sagte Marissa. »Aber ich habe schon alle Doktor Prinzessin-Bücher gelesen.«

Ich lächle anerkennend. Doktor Prinzessin ist eine Serie für Leseanfänger, in der die Prinzessin von Wynthrop Medizin studiert und dann durch die Welt reist, um Menschen zu retten. Sie ist einfach megacool. »Die sind super! Sie gehören zu meinen Lieblingsbüchern! Und mir fallen auch gleich noch ein paar andere ein, die du bestimmt mögen wirst …«

Marissa folgt mir durch die Abteilung, während ich ein halbes Dutzend Bücher für sie aus den Regalen ziehe. Der Stapel in ihren kleinen Armen hat schon bedenkliche Ausmaße angenommen, als ihr Vater um die Ecke biegt und ihren Namen ruft. Sie eilt zu ihm und er blickt entsetzt auf den Bücherturm, aber dann nickt er und nimmt alle mit zur Kasse. Ich seufze zufrieden, während ich ihnen nachschaue. Ich habe wirklich den besten Job der Welt.

Da fragt Jake: »Doktor Prinzessin ist also eins deiner Lieblingsbücher, hm?«

Ich blicke ihn finster an. »Du klingst ziemlich abwertend. Du guckst auch ziemlich abwertend.« Und jetzt grinst er, als würde er am liebsten gleich loslachen. Idiot. »Doktor Prinzessin ist eine tolle Serie, feministischer geht es kaum. Du verpasst was.« Ich verschränke die Arme. »Was liest du denn so? Nur anspruchsvolle Literatur?«

»Ich lese gar nicht, nur für die Schule.«

Mir fällt die Kinnlade runter. »Entschuldigung, bitte was? Du liest nicht?«

»Nö.«

Ich höre, wie meine Stimme lauter wird. »Warum arbeitest du dann in einer Buchhandlung?«

Die nächsten Worte spricht er betont langsam und voller Herablassung aus, noch schlimmer als der Dieb aus der Philosophieabteilung. »Weil ich einen Job brauche, Shoshanna.«

»Sprich nicht so mit mir. Sprich meinen Namen nicht so aus.«

Langsam ergibt das Ganze einen Sinn. Kein Wunder, dass dieser Typ so abweisend ist. Er liest nicht. Er ist keiner von uns. Und dann redet er so von oben herab mit mir, behandelt mich, als wäre ich total dumm und naiv, wahrscheinlich weil ich Kinderbücher mag und ein Streifenhörnchen-Kleid trage. Und das Ganze ist noch viel schlimmer als bei dem Kerl aus der Philosophieabteilung, weil Jake hier arbeitet. Und ES WAR EINMAL ist doch mein zweites Zuhause, mein Rückzugsort vom Rest der Welt, ein Hort der Sicherheit und Geborgenheit – ein stiller Hafen ohne geschlossene Türen und streitende Eltern.

Aber jetzt droht Jake es zu zerstören.

Mir zuckt es in den Fingern und ich greife instinktiv nach dem Funkgerät, das an meinem Kleid hängt.

»Was machst du da?«, fragt Jake.

Ich drücke den Alarmknopf. Die Lautsprecher knistern.

Er geht einen Schritt auf mich zu. »Ernsthaft, was hast du für ein Problem?«

»Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit«, verkünde ich durch den Lautsprecher. »Wir haben einen Code Lila.« Jake durchbohrt mich mit einem mörderischen Blick, als meine Stimme durch den Laden dröhnt. »Der neue Kollege liest keine Bücher!«

KAPITEL 2

»Hast du das gerade wirklich über den Lautsprecher verkündet?«, fragt Jake.

»Liest du wirklich keine Bücher?«

»Doch. Für die Schule.«

»Ja, aber du liest nicht zum Spaß, was willst du dann in einer Buchhandlung?«

»Arbeiten«, gibt Jake zurück.

»Hey, Shosh! Das war eine … interessante Durchsage.« Als ich mich umdrehe, steht Daniel hinter mir, mein Arbeitsehemann. Daniel ist schwarz und ziemlich groß. Er hat mich an meinem ersten Tag eingearbeitet und wir haben uns auf Anhieb verstanden, weil wir beide totale Bücherfreaks sind und finden, dass man Leute nicht für ihren Buchgeschmack verurteilen sollte. Selbst dann nicht, wenn sie auf Loch-Ness-Monster-Liebesromane stehen. Ja, so was gibt es wirklich. Und nein, googelt es nicht.

Ich war schon immer ein bisschen verliebt in Daniel, weil er nicht nur ein Bücher-Nerd ist, sondern auch noch Muckis hat, und ich bin schließlich ein ganz normales heterosexuelles Mädchen. Aber er ist vergeben, seit ich ihn kenne, und ich kann nicht mal wütend auf ihn sein deswegen, denn seine Freundin Lola ist die coolste und liebste Person der Welt.

»Neuzugang?«, fragt Daniel.

»Jep«, sage ich. »Daniel, Jake. Jake, Daniel.«

»Was geht, Mann?«, sagt Daniel. Er lehnt sich zu Jake rüber und sie begrüßen sich per Handschlag.

»Nicht viel,«, antwortet Jake.

»Wo ist dein Namensschild?«

Ich unterdrücke ein Kichern. Na gut, ich versuche, es zu unterdrücken, und scheitere. Jake findet das anscheinend nicht witzig.

»Schön«, brummt er, zieht das Namensschild aus der Hosentasche und heftet es sich an.

»Ich liebe das Teil«, sagt Daniel grinsend. »Peeta Pettigrew. Das perfekte Harry Potter/Tribute von Panem-Crossover.«

»Nie gelesen«, erwidert Jake.

»Ah«, sagt Daniel. »Dann stimmte die Durchsage also. Macht ja nichts. Bis zur neunten Klasse oder so war ich auch kein großer Leser und jetzt studiere ich Englische Literatur und Drehbuchschreiben.« Er macht eine Pause. »Mit Lyrik im Nebenfach.«

»Wirklich?« Jake lacht.

Daniel nickt. »Echt wahr.«

Mein schlechtes Gewissen macht sich bemerkbar. Natürlich ist es okay, wenn Jake keine Bücher liest. Ich wollte mit meinem Kommentar nicht sagen, dass das nicht okay ist. Nicht jeder liest gerne. Ich finde es nur komisch, dass er dann ausgerechnet hier arbeitet, wo es doch allein in diesem Einkaufszentrum tausend andere Läden gibt.

Plötzlich taucht Myra auf. Sie rollt mit irrsinniger Geschwindigkeit durch den Laden zu uns herüber und stoppt dann direkt vor meiner Nase. »Shoshanna«, sagt sie mit Bestimmtheit. »Das Funkgerät. Sofort.«

»Okay, aber …«

»Jetzt.«

Ich schlucke und überreiche ihr das Walkie-Talkie. Myra betätigt die Lautsprechertaste: »Liebes ES WAR EINMAL-Team, liebe Kundinnen und Kunden, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit: Unsere Kollegin Shoshanna Greenberg hat ab sofort keine Berechtigung mehr, das Funkgerät zu benutzen. Danke!«

»Und was soll daran jetzt fair sein?«, frage ich.

»Mir gehört dieser Laden, also entscheide ich«, antwortet sie. Dann wendet sie sich an Jake, der ziemlich selbstgefällig aus der Wäsche guckt. »Bitte entschuldige, Jake. Daniel übernimmt ab jetzt deine Einarbeitung.«

»Danke«, sagt Jake.

Daniel klopft ihm auf die Schulter. »Los, fangen wir mit der Kasse an.«

Bevor er mit Jake verschwunden ist, rufe ich noch: »Et tu, Daniel?«

Er muss lachen. »Entspann dich, Shosh. Bis nachher.«

Als sie weg sind, drehe ich mich wieder zu Myra. »Es tut mir leid«, sage ich. »Das war wohl nicht die professionellste Durchsage der Welt.«

»Eher nicht.« Sie sieht mich an. »Wenn du die Sonderrechte fürs Funkgerät willst, musst du mir beweisen, dass du verantwortungsvoll genug dafür bist.«

»Ich weiß.« Die meisten neuen Angestellten bekommen nach drei Monaten ein Funkgerät. Bei mir waren es sechs. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund hatte Myra wohl das Gefühl, dass ich nicht dafür bereit war.

»Und um eins klarzustellen«, sagt sie und lehnt sich dabei in ihrem Rollstuhl zurück. »Auch wenn ich einen belesenen Mitarbeiter natürlich zu schätzen weiß, muss man kein Büchernarr sein, um Regale einzuräumen und Kunden zu bedienen. Wir stecken mitten im Feiertagsgeschäft und Jake hatte gute Referenzen.«

»Aber was ist, wenn ihn jemand nach einer Buchempfehlung fragt?«

»Na, dann kannst du ja einspringen. Farshteyt?«

»Benutzt du gerade Jiddisch, um mich einzuwickeln?«

»Du hast es mir doch selbst beigebracht, Mamaleh.« Myras Augenzwinkern löst die Anspannung in meinen Schultern. Sie mag mich noch immer. »Mach Mittagspause und dann kommst du zurück und tust das, was du am besten kannst.«

»Du meinst, die Leute mit meiner umwerfenden Art verzaubern?«

Myra rollt die Augen. »Bücher verkaufen.«

»Da drüben!«, rufe ich und zeige auf einen Tisch in der hintersten Ecke des Food-Courts. »Schnell!«

»Nimm das.« Cheyenne drückt mir ihr Tablett in die freie Hand, und während ich versuche, unsere zwei Mittagessen zu balancieren, sprintet sie los und bahnt sich einen Weg durch die mit tausend Tüten beladenen Feiertagshorden und Rudel von vorpubertären Kids. Sie hat ihr Ziel fast erreicht, als ihr plötzlich ein Mann mit einem Zwillingskinderwagen den Weg versperrt. Aber Cheyenne weicht aus, springt nach vorn und wirft sich auf den Stuhl. Dann breitet sie ihre Arme über dem Tisch aus. »Gewonnen!«, ruft sie.

»Sieg!«, jubele ich. Mit den beiden Tabletts dauert der Weg durch die Menge wesentlich länger, aber schließlich habe ich es durch das Labyrinth aus Menschen und Tischen geschafft und setze mich zu ihr.

»Hab ich’s doch gewusst, dass die rhythmische Gymnastik sich eines Tages noch auszahlen würde«, triumphiert Cheyenne und greift nach ihrem Essen.

Cheyenne hat sehr viele Interessen, denen sie begeistert nachgeht, die aber nur von kurzer Dauer sind. Dazu gehören unter anderem: Rhythmische Sportgymnastik, Horn spielen, Kickboxen, Kalligrafie und Karaoke-Wettkämpfe. Ich folge eben dem Ruf meiner Muse, sagt sie immer. Ich hoffe nur, dass ihre Muse sie nie wieder zum Fliegenfischen ruft, denn sie hat mich einmal mitgeschleppt und es war eklig, verdammt eklig.

Cheyenne nimmt einen großen Schluck von ihrem Milchshake und seufzt zufrieden. »Mmh, süße Nahrung – das habe ich gebraucht. Ich bin so kaputt, Shosh. Ich hätte vor den Feiertagen kündigen sollen.«

»Hätte dein Vater das erlaubt?«

Sie überlegte kurz. »Wahrscheinlich nicht.«

Ich liebe es, bei ES WAR EINMAL zu arbeiten, aber ich brauche den Job auch, weil ich sonst nicht genug Geld zum Tanken und für die Autoversicherung hätte – na gut, auch nicht für diese total niedlichen Harry Potter-Haarklammern, die wie Federn aussehen. Mama ist Kunstlehrerin und Mom ist Buchhalterin in einer Marketing-Agentur. Wir haben genug für alles, was wir brauchen, aber viel mehr auch nicht. Cheyennes Eltern sind ziemlich gut betucht für unsere Gegend. Sie bräuchte den Job eigentlich nicht, aber ihr Vater wollte, dass sie den Wert des Geldes verstehen lernt, und hat darauf bestanden, dass sie sich einen Nebenjob zulegt.

»Wenigstens arbeitest du nicht mehr mit deiner Ex zusammen.« Ich zucke mit den Schultern. »Das war doch echt nicht leicht.«

»Jaaa«, sagt Cheyenne und spielt dabei mit ihrem Strohhalm. »Das Ding ist, irgendwie vermisse ich Anna.«

»Was?« Ich lehne mich vor. »Das ist mir neu. Seit wann denn das?«

»Seit Kurzem. Ach, ich weiß auch nicht. Wahrscheinlich liegt es an den Feiertagen.« Cheyenne seufzt. »Und außerdem war sie echt gut im Küssen. Klamotten falten ist noch viel langweiliger, wenn du niemand hast, den du küssen kannst. Kaum zu glauben, was?«

Ich lache und klaue ihr eine Fritte. Cheyenne hat vor zwei Monaten mit ihrer Freundin Anna Schluss gemacht. Keine Ahnung, warum. Ich bin keine ausgemachte Dating-Expertin. Eigentlich hatte ich noch nie ein Date. Und mit »eigentlich« meine ich, dass ich tatsächlich noch nie eins hatte. Wie auch immer, ein paar Wochen nachdem sie Schluss gemacht hatten, waren die beiden es leid, sich über die Pullover hinweg böse Blicke zuzuwerfen, und so kündigte Anna bei GAP und fing bei NORDSTROM an, was ziemlich cool ist, weil sie dort normalerweise keine Highschool-Schüler einstellen.

»Hi, Leute. Was geht?«

Als ich hochschaue, steht Geraldine an unserem Tisch, in der Hand eine Schale Nachos und Guacamole. Ihr Eyeliner sitzt perfekt und dazu trägt sie knallroten Lippenstift. Geraldine und ich sind schon seit der Grundschule beste Freundinnen. Wir waren die beiden Streberinnen in unserer Klasse, die die Lehrer immer nach Extra-Leseaufgaben gefragt haben.

»Cheyenne trauert ihrer Ex nach«, kläre ich sie auf. »Wie läuft die Arbeit?«

»Oh, interessant! Rutsch rüber«, befiehlt mir Geraldine. Ich rücke ein Stück zur Seite, sodass wir beide auf dem Stuhl Platz haben, jede mit einer Pobacke. »Es ist total heiß bei uns auf der Arbeit. Ein echter Härtetest für meine wasserfeste Wimperntusche. Ich habe das Gefühl, ich bekomme das Geld für die Kamera niemals zusammen.« Sie seufzt und fächert sich mit der Hand Luft ins Gesicht. »Hat jemand Lust auf Guacamole?«