Endlich bist du da, Mutti - Gert Rothberg - E-Book

Endlich bist du da, Mutti E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Auf dem kleinen Bahnhof im Isartal blieben die Fahrgäste erstaunt stehen. Ein seltener Anblick bot sich ihnen. Vor einem Güterwaggon stand ein junges Mädchen mit einem Pferd. »Du, Mathias, schau dir das Mädchen dort an. Sie ist klasse. Und der Reitdress? Allem Anschein nach Ungarn-Look. Wahrscheinlich der letzte Schrei. Helle Reithose, braune Stiefel, braune Bluse und eine ärmellose, bestickte Filzweste. Ja, solche Amazonen wissen, was sie sich schuldig sind. Auffallen ist die erste Devise. Kunststück, wenn es in Vaters Portemonnaie stimmt. Ich möchte nur wissen, wie ein solches Mädchen zu so einer solchen Mähre von Pferd kommt.« Mathias Friese sah seinen Freund entrüstet an. »Das Pferd ist ein reinrassiger Holsteiner.« »Was? Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Aber als Veterinärstudent musst du das schließlich wissen. Und ein Pferdenarr bist du obendrein. Aber du musst doch zugeben, dass das Pferd sehr heruntergekommen aussieht.«

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Seitenzahl: 154

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Sophienlust Extra – 128 –Endlich bist du da, Mutti

Gert Rothberg

Auf dem kleinen Bahnhof im Isartal blieben die Fahrgäste erstaunt stehen. Ein seltener Anblick bot sich ihnen. Vor einem Güterwaggon stand ein junges Mädchen mit einem Pferd.

»Du, Mathias, schau dir das Mädchen dort an. Sie ist klasse. Und der Reitdress? Allem Anschein nach Ungarn-Look. Wahrscheinlich der letzte Schrei. Helle Reithose, braune Stiefel, braune Bluse und eine ärmellose, bestickte Filzweste. Ja, solche Amazonen wissen, was sie sich schuldig sind. Auffallen ist die erste Devise. Kunststück, wenn es in Vaters Portemonnaie stimmt. Ich möchte nur wissen, wie ein solches Mädchen zu so einer solchen Mähre von Pferd kommt.«

Mathias Friese sah seinen Freund entrüstet an. »Das Pferd ist ein reinrassiger Holsteiner.«

»Was? Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Aber als Veterinärstudent musst du das schließlich wissen. Und ein Pferdenarr bist du obendrein. Aber du musst doch zugeben, dass das Pferd sehr heruntergekommen aussieht.«

»Es scheint nicht mehr jung zu sein. Vielleicht ist es ein abgehalftertes Springpferd.«

»Das Pferd kann uns gleichgültig sein. Das Mädchen ist jedenfalls …«

Mathias Friese unterbrach seinen Freund. »Das Mädchen ist klasse. Das sagtest du schon.« Er lachte spöttisch.

»Was willst du? Sagt das Wort Klasse nicht alles? Aber wenn du es unbedingt willst, dann zähle ich einzeln auf, was mir an dem Mädchen so gut gefällt. Also, es ist jung, gertenschlank, sieht durch das lange schwarze Haar besonders rassig aus und hat, wie mir scheint, graue Augen. Das kann ich von hier aus nicht so genau erkennen. Alles in allem, das Mädchen ist bildschön. Bist du jetzt zufrieden?« Mathias lachte und schlug seinem Freund auf die Schulter. »Ja. Aber jetzt muss ich gehen. Wir sehen uns ja bald wieder.«

»Sieh zu, dass du in dasselbe Abteil einsteigst wie das Mädchen, Mathias. Ich würde das jedenfalls an deiner Stelle versuchen.«

Mathias Friese ging über den Bahnsteig. Er hatte den Waggon, in den er einsteigen wollte, noch nicht erreicht, als laute Schreie erklangen. Dazwischen war das Wiehern und Schnauben eines Pferdes zu hören.

Schon lief Mathias am Zug entlang. Vor dem Güterwaggon stand das Pferd des Mädchens auf der Hinterhand. Alle Umstehenden waren zurückgesprungen. Nur das Mädchen bemühte sich, das Pferd zu bändigen.

»Vorsicht!«, schrie Mathias und riss das Mädchen beiseite. Es geschah gerade noch zur rechten Zeit. Beinahe wäre das junge Mädchen von den Vorderhufen des Pferdes getroffen worden.

Das Mädchen war durch den Stoß, den Mathias ihm gegeben hatte, gestürzt. Es hatte noch immer den Ledergurt der Trense um die Hand gewickelt.

Mathias konnte sich jetzt nicht um das Mädchen kümmern, er versuchte, das Pferd zu bändigen. Niemand half ihm dabei.

Das Mädchen war aufgestanden. »Es will nicht in den Waggon hinein«, sagte es. Dann klopfte es sich den Staub von der Reithose und wollte in das Zaumzeug des Pferdes fassen.

»Lassen Sie das«, rief Mathias, »gehen Sie in den Waggon. Gemeinsam schaffen wir es schon.«

Ilona Bartholdy, das Mädchen vom Rosshof, lief über den Laufsteg in den Waggon hinein. Plötzlich lachte sie laut, als ihr das Pferd willig folgte, geschoben von dem jungen Mann, der ihr zu Hilfe gekommen war.

Ilona tätschelte den Hals des Pferdes. »Musstest du mir solche Schwierigkeiten machen, Fortuna?« Sie band das Pferd an der großen Öse in der Wand des Waggons fest.

Zwei Bahnbedienstete drängten draußen: »Beeilen Sie sich, Fräulein. Wir müssen die Türen schließen.«

Ilona gab dem Pferd noch einen Klaps. »Auf Wiedersehen in Maibach, Fortuna. Du hast es gut, du brauchst nicht umzusteigen wie ich.« Sie sprang auf den Bahnsteig zurück. Dort atmete sie tief auf, sah Mathias Friese an und sagte: »Danke für die Hilfe. Ohne Sie hätte ich es wohl nicht geschafft.«

»Wir müssen uns beeilen, sonst fährt der Zug ohne uns ab.« Mathias lief schon zum nächsten Waggon. Ilona folgte ihm. Hintereinander stiegen beide ein.

Vom Bahnhof aus sah Mathias’ Freund lachend herüber. Nun fuhr Mathias doch mit dem schönen Mädchen.

Als sich die beiden im Abteil gesetzt hatten, stellte sich Mathias vor.

»Und ich heiße Ilona Bartholdy. Sie verstehen aber gut, mit Pferden umzugehen.« Ilona musterte den jungen Mann. Er hatte ein schmales Gesicht, braunes, modern geschnittenes Haar und braune Augen. Er ist ein sportlicher Typ, dachte sie.

»Das ist reiner Zufall. Ich bin Veterinärstudent und verbringe meine Semesterferien meistens auf Bauernhöfen.« Mathias lachte. »Das letzte Mal war ich auf einem großen Gut in Niedersachsen. Aber nicht etwa zum Reiten, nur zum Arbeiten. Wohin wollen Sie mit dem Pferd?«

»Ins Württembergische. Nach Maibach.« Ilona lehnte sich zurück. »Von dort wird Fortuna mit dem Pferdeanhänger abgeholt und kommt ins Altersheim.«

»Ins Altersheim? Etwa auf einen Gnadenhof?«, fragte Mathias.

»Ja, so kann man es auch nennen. Aber ich habe das Wort Gnadenhof nicht so gern. Es hört sich kränkend an. So, als wäre es doch besser, die Pferde würden nicht mehr leben.«

Mathias sah Ilona verwundert an. Ihre Stimme hatte sehr ernst geklungen. »Lieben Sie Pferde so sehr?«, fragte er.

»Ja.« Ilonas Augen strahlten. »Deshalb habe ich auch Fortuna geholt, obwohl mich der Transport eine ganze Stange Geld kostet.« Sie lachte. »Mit Geld habe ich immer Schwierigkeiten.«

Mathias dachte in diesem Augenblick daran, dass sein Freund Ilona für die Tochter wohlhabender Eltern gehalten hatte. Allem Anschein nach war es aber nicht so.

Ilona unterbrach ihn in seinen Gedanken. »Fortuna war ein sehr bekanntes Turnierpferd. Jetzt hat sie ausgedient. Das Gut, auf dem sie stand, musste verkauft werden, und niemand wollte sie haben.«

»Aber was werden Sie mit der Stute tun?«

»Sie darf bei mir ihr wohlverdientes Alter genießen.« Ilona begann vom Rosshof zu erzählen und von ihrem besten Freund, dem alten Csikös Janosch, der ihr aus der Puszta nach Deutschland gefolgt war. Dabei hatte sie nicht das Gefühl, sie würde das alles einem Fremden erzählen. Sie merkte, wie gespannt Mathias Friese ihr zuhörte, und sie sah, dass seine Augen zu glänzen begannen. Er war ein Pferdenarr wie sie.

Jetzt sagte er: »Wie man sich irren kann. Ein Freund, der mich an den Bahnhof begleitete, meinte, es müsste der Ungarn-Look aufgekommen sein, als er Sie sah.«

Ilonas Gesicht rötete sich. »Falle ich in meinem Reitdress wirklich so auf? Das ist nicht meine Absicht. Aber ich fühle mich nun einmal in Kleidern nicht sonderlich wohl. Erst recht nicht, wenn ich ein Pferd abhole.«

Sie zupfte an ihrer ärmellosen Filzweste. »Die stammt noch aus Ungarn. Obwohl sie schon etwas mitgenommen aussieht, liebe ich sie.«

Mathias beobachtete Ilona. Dieses Mädchen gefiel ihm. Nicht deshalb, weil sein Freund festgestellt hatte, dass es bildschön war. Nein, von Ilona ging eine Faszination aus, der er sich nicht entziehen konnte und auch nicht entziehen wollte.

Der Zug blieb stehen. »München – Holzkirchner Bahnhof«, erklang es aus dem Lautsprecher.

Mathias sprang auf. »Ich habe gar nicht gemerkt, dass wir schon in München einfahren.«

»Ich auch nicht. Dabei muss ich umsteigen.« Auch Ilona sprang auf.

»Ich bringe Sie noch zum Hauptbahnhof. Wann fahren Sie weiter?«, fragte Mathias.

Ilona sah auf die Uhr. »Schon in einer Viertelstunde. Schade! Wir hätten vielleicht noch über Pferde sprechen können.« Sie sah zu Mathias auf, während sie mit ihm zum Hauptbahnhof ging. »Leben Sie in München?«

»Nein, ich wohne mit meiner Mutter in Wolfratshausen, aber ich besuche in München die Uni. Drei Semester lang noch. Wenn alles gut geht, habe ich dann meine Examina als Tierarzt hinter mir.«

»Dann werden Sie aber sehr jung mit Ihrem Studium fertig sein.« Ilonas Stimme war deutlich anzumerken, dass sie vor Neugierde geplagt wurde. Sie wollte wissen, wie alt Mathias Friese war.

»Ich bin jetzt vierundzwanzig«, sagte er und unterdrückte ein Lachen. »Und Sie? Darf ich das auch wissen?«

»Ganze neunzehn. Vor Kurzem erst geworden.« Ilona sah sich um. »Ich glaube, da drüben ist der Bahnsteig, von dem mein Zug abfährt.«

Den beiden jungen Menschen blieb keine Zeit mehr, sich zu unterhalten, so gern sie das auch noch getan hätten. Vor dem Zug reichte Ilona Mathias Friese die Hand. »Nochmals herzlichen Dank für Ihre Hilfe.«

»Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise, Fräulein Ilona. Und viel Glück für den Rosshof. Aber das brauche ich Ihnen wohl nicht zu wünschen. Sie bringen ja ein Pferd mit, das diesen Namen trägt – Fortuna.«

Ilona stieg ein. Sie suchte sich einen Fensterplatz und ließ das Fenster herunter. »Auf Wiedersehen!«, rief sie, als sich der Zug in Bewegung setzte.

»Auf Wiedersehen!«, rief Mathias Friese. Er lief noch ein Stückchen neben dem Zug her und winkte.

Als Ilona sich setzte, dachte sie, wie merkwürdig ist es, dass man immer »auf Wiedersehen«, sagt, auch dann, wenn man so genau wie dieser junge Mann und ich weiß, dass es gar kein Wiedersehen geben kann.

Ilona lehnte sich zurück und schloss die Augen. Auf ihrem Gesicht lag nun ein verträumtes Lächeln, obwohl sie eben noch etwas wehmütig gewesen war.

*

Die Holsteiner Stute Fortuna war im Rosshof nie mehr so aufsässig wie auf dem kleinen Bahnhof im Isartal. Wenn Ilona erzählte, dass sie damals beinah unter die Hufe des Pferdes geraten wäre, wollte der alte Janosch das kaum glauben. Jedes Mal sah er Ilona dann prüfend an. »Dass du von einer so schlimmen Sache so gern und oft sprichst, verstehe ich nicht«, sagte er eines Tages.

Ilonas Wangen röteten sich. Sie wich den fragenden Blicken des alten Janosch aus. »Du hast mir auch viele Erlebnisse schon sehr oft erzählt, und ich wundere mich nicht darüber. Meistens liegen deine Geschichten schon eine Ewigkeit zurück, ich aber habe das erst vor einigen Wochen erlebt.«

»Warum regst du dich denn so auf?«, fragte Janosch. »Damit machst du dich erst recht verdächtig.«

»Womit?«, fragte Ilona kampfeslustig.

Janosch schmunzelte. »Das weißt du viel besser als ich. Aber wenn du es unbedingt hören willst, meinetwegen. Ich glaube, dein Retter hat dir sehr gut gefallen. Dieser Veterinär in spe. Wie hieß er doch?«

»Mathias«, platzte Ilona heraus.

»Ja, Mathias.« Janoschs Lächeln vertiefte sich. »Er ist groß, schlank, sportlich, er hat braunes Haar und braune Augen.«

Ilona war jetzt gekränkt. »Wenn man so alt ist wie du, dann kann man sich leicht über ein junges Mädchen lustig machen. Du bist ja schon jenseits von Gut und Böse.«

»Holla!«, sagte Janosch. »Ich dachte nicht, dass es bei dir so tief sitzen würde. Aber wenn du mich derart angreifst, scheinst du viel zu verbergen zu haben. Hast du dich verliebt, Ilona?«

Janoschs Blicke waren jetzt besorgt. Er hatte immer Angst davor, dass Ilona ihr Herz verlieren könnte. Einfach deshalb, weil er glaubte, es könne gar keinen Mann geben, der seine Ilona verdiente.

»Du fragst aber sehr gerade heraus, Janosch«, erwiderte Ilona vorwurfsvoll. »Hast du noch nie etwas davon gehört, dass junge Mädchen ihre Geheimnisse hüten wollen?«

»Davon habe ich schon gehört. Aber ich dachte eben, nachdem wir alles miteinander besprechen, würdest du …«

Ilona unterbrach ihn. Jetzt lachte sie übermütig. »Was wir sonst miteinander besprechen, hat mit Pferden zu tun.«

»Diese Sache doch auch. Schließlich passierte sie, als du ein Pferd auf den Rosshof holtest.«

Ilona legte den Zeigefinger auf Janoschs Nase. »Du bist zu neugierig, Janosch. Aber alle Tricks helfen dir nichts. Ich breite meine geheimsten Gedanken nicht vor dir aus.«

Jetzt war Janosch sehr beleidigt. »Gut, dass du mir das so deutlich sagst. Ich werde mich danach richten.«

Ilona legte die Arme um seinen Hals. »Du willst dich rächen und es mir auch nicht verraten, wenn du verliebt bist? Aber, aber, Janosch, du wirst doch mit deinen siebzig Jahren nicht noch Dummheiten machen?«

Janosch befreite sich von Ilonas Armen. »Du hast heute wieder einmal deinen albernen Tag.« Er ging zur Tür. »Aber immerhin hast du jetzt zugegeben, dass du verliebt bist. Für mich ist der einzige Trost dabei, dass dieser Mathias etwas von Pferden versteht.«

»Ja, das ist ungeheuer wichtig, Janosch. Für dich!« Das rief Ilona hinter ihm drein, denn Janosch war schon im Flur. Leise sagte sie: »Aber mir hätte Mathias Friese auch dann gefallen, wenn er nichts von Pferden verstanden hätte.« Sie seufzte abgrundtief. »Der erste Mann, in dem ich mich, seit Imres Tod verliebt habe, und gleich muss die Sache aussichtslos sein.«

Ilona griff nach ihrer Reithose. Am Tag zuvor hatte sie sich ein Eck herausgerissen. Nun musste sie die Hose stopfen. So etwas war eine mühsame Arbeit, aber es ließ sich dabei so schön träumen. Davon, was passiert wäre, wenn sie länger mit Mathias Friese hätte beisammen sein können, oder davon, was geschehen würde, wenn sie ihm noch einmal begegnete.

Aber wie sollte das passieren? Er hatte sie sicher schon längst vergessen. Für ihn war sie ein Mädchen gewesen, dem er beigestanden hatte, wie er jedem anderen Menschen in dieser Situation zu Hilfe gekommen wäre. Danach hatten sie sich recht gut miteinander unterhalten und waren wieder auseinandergegangen, wie es eben bei flüchtigen Bekanntschaften geschah.

Das stellte Ilona resignierend fest, als sie das Haus verließ, um mit ihrer Lipizzanerstute Sissy nach Sophienlust zu reiten.

*

Am nächsten Tag verflog diese Resignation jedoch. Von einer Sekunde zur anderen. Das war, als Ilona am Fenster stand und neugierig beobachtete, dass ein Traktor unterhalb des Rosshofes entlangfuhr. Sie wunderte sich, dass einer der Bauern aus der Umgebung diesen Weg wählte. Er gehörte doch noch zu dem Stück Land, das die Gemeinde Wildmoos mit dem Rosshof ihr und Janosch zur Verfügung gestellt hatte.

Auf dem Traktor saß ein junger braunhaariger Mann. Er hatte Jeans und ein kariertes Hemd an, das an der Brust weit offen stand. Die Ärmel waren hochgekrempelt. Jetzt wischte sich der junge Mann mit dem Unterarm über die Stirn. Es war ein heißer Tag.

»Aber das ist doch … «, sagte Ilona. Ihre Stimme vibrierte.

Janosch stand mit einem Glas Milch hinter ihr. »Was hast du denn?«, fragte er.

Ilona sah noch einmal zu dem jungen Mann auf dem Traktor, dann lief sie an Janosch vorbei, ohne ihm eine Antwort zu geben.

Janosch trat jetzt an das offen stehende Fenster. Er sah Ilona an den Ebereschen vorbeilaufen. »Recht hat sie«, redete er vor sich hin. »Ich würde ihm auch die Meinung sagen. Das sind ja ganz neue Sitten, einfach unseren Weg zu benutzen. Ich kann ihn dann wieder ausbessern.«

Janosch stellte sein Glas Milch auf das Fensterbrett und beugte sich weit hinaus. Er wollte sich nicht entgehen lassen, wie Ilona den jungen Mann auf dem Traktor zur Rede stellte. Sie konnte recht resolut sein, wenn es nötig wurde. Und jetzt war das nötig.

Doch Janosch kam nicht auf seine Kosten. Zwar hielt der Traktor und der junge Mann sprang auf den Boden, aber Ilona begann nicht zu schimpfen. Die beiden schüttelten einander die Hände und lachten. Was sie sprachen, konnte Janosch nicht verstehen. »Kenn sich einer mit Mädchen aus«, sagte er und ging vors Haus.

Ilona wusste nicht, welches Kopfzerbrechen sie dem alten Janosch machte. Sie sah in die lachenden Augen Mathias’ Frieses.

»Ich habe Sie gleich erkannt«, sagte sie jetzt. »Aber Sie haben mir noch immer nicht gesagt, wie Sie in diese Gegend und auf den Traktor kommen. Ist er ein modernes Fortbewegungsmittel für Studenten während der Semesterferien?«

»Auf einem Bauernhof schon, obwohl mir Pferdegespanne noch immer lieber sind. Aber wie viele Bauern halten sich noch Pferde? Der Hecker-Bauer, bei dem ich arbeite, hat gerade noch zwei Pferde im Stall.«

»Der Heckerbauer? Den kenne ich doch. Sein Hof steht am Rand von Wildmoos. Und dort arbeiten Sie? Gerade dort?«, fragte Ilona.

»Ja, gerade dort.« Mathias konnte nicht verbergen, dass er etwas verlegen wurde. »Das hat sich durch Zufall ergeben. Ich sagte Ihnen ja schon auf der Fahrt nach München, dass ich während der Semesterferien immer aufs Land gehe.«

»Ja, das sagten Sie.« Auch Ilona konnte sich jetzt einer leichten Verlegenheit nicht erwehren. Die Vermutung, dass Mathias Friese hier in der Gegend Arbeit gesucht hatte, um sie wiederzusehen, ließ ihr Herz schneller schlagen.

»Und das ist sicher der alte Janosch«, sagte Mathias. »Zünftig sieht er aus.«

Ilona drehte sich um. Von den Ebereschen herunter kam Janosch. In seinen weiten Stiefeln, der dunklen Hose und dem darüberfallenden Leinenhemd, den schwarzen Filzhut in den Nacken geschoben.

»Ja, das ist Janosch«, bestätigte Ilona. Sie ging dem Alten ein paar Schritte entgegen. »Neugierig bist du aber gar nicht.« Ihre Augen funkelten vor Übermut.

»Was heißt – neugierig?«, fragte Janosch. »Ich wollte nur sehen, ob du Hilfe brauchst.«

»Gegen den jungen Mann da?«

»Gegen wen wohl sonst? Er fährt einfach mit dem schweren Traktor über unseren Weg.«

»Aber Janosch, das ist doch Mathias Friese.« Ilona hakte sich bei Janosch unter.

Janosch blieb stehen. »Wer?« Noch erstaunter hätte der alte Mann nicht sein können.

»Ich habe dir doch von Mathias Friese erzählt.« Ilona stieß Janosch sanft in die Rippen.

»Ja, ja, das hast du getan. Aber wie kommt dieser Pferdebändiger hierher?«

»Er arbeitet beim Heckerbauern. Komm schon weiter.«

Jetzt schob Janosch seinen Hut so weit in den Nacken, dass er herunterfiel. Er hob ihn auf und sagte: »Nein, was es doch im Leben für Zufälle gibt. Man sollte es nicht glauben.«

»Ich wundere mich auch darüber.« Ilona zog Janosch zu Mathias. »Aber begrüßen könntest du ihn trotzdem.«

Janosch reichte Mathias die Hand. Er konnte sich dabei nicht die Bemerkung verkneifen: »Auch wenn Sie Ilona kennen, fahren Sie auf einem verbotenen Weg.«

»Wie hätte ich mich denn anders bemerkbar machen sollen?«, fragte Mathias.

Bei so viel Offenheit wusste Janosch nichts mehr zu sagen.

»Lassen Sie den Traktor hier stehen, Herr Friese«, bat Ilona, »und schauen Sie sich Fortuna einmal an. Sie hat sich in den wenigen Wochen herrlich erholt.«

»Dann braucht ihr mich wohl nicht mehr.« Janosch ging wieder zum Rosshof zurück.

Ilona führte Mathias sehr stolz auf die Koppel. Sie hatte ja nicht nur Fortuna zu zeigen, sondern noch drei Pensionisten und vor allem ihren schwarzen Hengst Sandor und die Lipizzanerstute Sissy.

Mathias war von den Pferden begeistert. »Sie sind ja reich, Ilona«, sagte er. »Wer zwei so kostbare Pferde besitzt, der ist zu beneiden.«

»Reich bin ich trotzdem nicht. Manchmal fällt es Janosch und mir schwer, die Pferde durchzubringen. Aber wir sind sehr stolz auf die beiden, die noch von unserem ehemaligen Gut in Ungarn stammen. Vielleicht kann ich Ihnen einmal erzählen, wie die beiden Pferde nach Deutschland gekommen sind. Es geschah auf sehr abenteuerlichen Wegen.«

»Darf ich Sie im Rosshof mal besuchen, Ilona?«, fragte Mathias. »Vielleicht nach Feierabend? Jetzt muss ich sehen, dass ich zum Heckerhof zurückkomme. Sonst fragt sich der Bauer, ob ich meinen Lohn auch verdiene.«

»Ja, kommen Sie zu uns auf den Rosshof, Mathias. Janosch und ich freuen uns immer über Besuch.« Auch Ilona ließ jetzt die förmliche Anrede bleiben. Zwei junge moderne Menschen warfen den Ballast mit ›Fräulein‹ und ›Herr‹ ab.

Mathias ging zu seinem Traktor und rief Ilona noch zu: »Vielleicht komme ich schon heute Abend.«