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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. »Huber-Mutter, bitte, erzähle weiter«, bat der kleine Henrik von Schoenecker mit erhitztem Gesicht. Dominik stieß seinen Bruder sachte in die Rippen. »Du wirst es schon noch erwarten können, Henrik. Immer dieses Drängen. Lass doch unsere Huber-Mutter wenigstens in Ruhe Kaffee trinken.« »Kann sie doch.« Henrik stützte die Ellenbogen auf den Tisch und schob die Fäuste unter das Kinn. »Ich wollte doch nur wissen, wie das weitergeht mit der Teufelsmühle.« »Meinst du, wir anderen wollen das nicht wissen?« Alexander von Schoenecker wuschelte seinem Jungen durch das Haar. Dabei sah er seine Frau lachend an. »Nicht wahr, Denise, wir Erwachsenen hören solche Spukgeschichten ebenfalls gern?« Die Huber-Mutter fuhr glättend über ihr schneeweißes Haar. Sie lehnte sich zurück und sah durch die Fenster des Wintergartens in den Park von Sophienlust. Ihr Blick wirkte verloren, wie so oft, wenn sie sich um etwas ihre eigenen Gedanken machte und kaum auf das hörte, was die anderen sagten. Jetzt schüttelte sie den Kopf. »Spukgeschichten?« Sie sah Alexander von Schoenecker an, dann zuckte sie die Schultern. »Vielleicht war alles ganz natürlich, was in der Teufelsmühle passiert ist.
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Seitenzahl: 164
Veröffentlichungsjahr: 2020
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»Huber-Mutter, bitte, erzähle weiter«, bat der kleine Henrik von Schoenecker mit erhitztem Gesicht.
Dominik stieß seinen Bruder sachte in die Rippen. »Du wirst es schon noch erwarten können, Henrik. Immer dieses Drängen. Lass doch unsere Huber-Mutter wenigstens in Ruhe Kaffee trinken.«
»Kann sie doch.« Henrik stützte die Ellenbogen auf den Tisch und schob die Fäuste unter das Kinn. »Ich wollte doch nur wissen, wie das weitergeht mit der Teufelsmühle.«
»Meinst du, wir anderen wollen das nicht wissen?« Alexander von Schoenecker wuschelte seinem Jungen durch das Haar. Dabei sah er seine Frau lachend an. »Nicht wahr, Denise, wir Erwachsenen hören solche Spukgeschichten ebenfalls gern?«
Die Huber-Mutter fuhr glättend über ihr schneeweißes Haar. Sie lehnte sich zurück und sah durch die Fenster des Wintergartens in den Park von Sophienlust. Ihr Blick wirkte verloren, wie so oft, wenn sie sich um etwas ihre eigenen Gedanken machte und kaum auf das hörte, was die anderen sagten. Jetzt schüttelte sie den Kopf. »Spukgeschichten?« Sie sah Alexander von Schoenecker an, dann zuckte sie die Schultern. »Vielleicht war alles ganz natürlich, was in der Teufelsmühle passiert ist. Manchmal schlägt das Schicksal eben eine Familie so unerbittlich, dass man es nicht begreifen kann.« Sie seufzte. »Ja, ja, das habe ich in meinem langen Leben oft genug erlebt. So war es auch bei den Krainers in der alten Mühle.«
Henrik rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Aber du hast doch gesagt, Huber-Mutter, dass jedes Mal das Mühlrad stehen geblieben ist, wenn wieder einmal etwas so Schlimmes passierte.«
Die Huber-Mutter nickte. »Ja, so soll es gewesen sein. Einmal habe ich es sogar selbst gesehen. Damals, als die letzte Tochter der Krainers ums Leben kam. Sie ist die Treppe hinuntergestürzt. Es war ein Todessturz. Seither ist das Mühlrad nicht mehr in Bewegung gesetzt worden. Die Familie war damit ausgerottet. Fünf Leute waren im Laufe von zehn Jahren gestorben. Und die Leute wollten wissen, dass bei jedem Todesfall der Teufel im Spiel war. Deshalb sprechen sie eben nur mehr von der Teufelsmühle.«
Dr. von Lehn mischte sich jetzt ein. Er und seine junge Frau Andrea hatten der Erzählung der Huber-Mutter ebenfalls sehr interessiert gelauscht. »Dieser Name ist der Mühle nur deshalb geblieben, weil der Besitz nicht mehr genutzt wurde. Wäre neues Leben in die Mühle eingezogen, sähe alles anders aus. Aber jetzt ist es ja soweit. Ich war sprachlos, als ich sah, was aus der Teufelsmühle geworden ist. Da hat ein Architekt gute Arbeit geleistet. Der Bau mutet wie ein modernes Landhaus an, doch ist trotzdem der Charakter der Mühle erhalten geblieben. Meiner Meinung nach hat dieser Umbau sehr viel Geld gekostet. Aber man erzählt sich ja auch, dass die junge Frau, der jetzt die Mühle gehört, schwerreich sein soll.«
Andrea neigte sich vor. »Und noch etwas erzählt man sich: dass sie bildschön sein soll, diese Jutta Pasetti.«
»Das ist sie.« Hans-Joachim von Lehn nickte zustimmend. In seinen Augen stand Bewunderung.
Andrea sah ihren Mann verblüfft an. Dann stieg unwillige Röte in ihr Gesicht. »Du hast sie schon gesehen? Davon weiß ich ja gar nichts. Du bist mir vielleicht ein Heimlichtuer!«
Dominik von Schoenecker lachte laut. »Andrea ist wieder einmal eifersüchtig.«
Andrea sah ihren Stiefbruder wütend an. »Halte gefälligst deinen vorlauten Mund, Nick. Was geht dich das, was ich mit meinem Mann spreche, überhaupt an?«
Hans-Joachim von Lehn legte den Arm um die Schultern seiner Frau und wollte sie an sich ziehen. »Ja, eben, Andrea, was geht das deinen Bruder an? Er hat sich nicht darüber aufzuregen, dass du Rechenschaft von mir verlangst, wen ich so auf meinen Fahrten treffe. Aber du siehst, so ein geplagter Tierarzt bekommt auf seinen Wegen zu kranken Kühen und Pferden auch ab und zu etwas Erfreuliches zu sehen.«
Als sich Andrea von der Umarmung ihres Mannes befreite und sehr demonstrativ ihren Stuhl ein Stückchen zur Seite rückte, lachte Hans-Joachim nur. Die Entrüstung seiner Frau schien ihn zu amüsieren. Leise sagte er: »Ich glaube, du bist wirklich eifersüchtig. Und nur, weil ich eine schöne, schlanke Frau auf dem Pferd beobachtet habe? Pferd und Reiterin boten wirklich einen ermunternden Anblick. Ich musste einfach anhalten und die beiden vom Wagen aus beobachten.«
Jetzt sprang Andrea auf. Ihr Stuhl stürzte polternd zu Boden. »Das hast du getan? So sieht also deine Treue aus!«
Alexander von Schoenecker schüttelte den Kopf. »Aber Andrea! Meinst du wirklich, dass Hans-Joachim einer ist, der in Gedanken sündigt?«
Andreas blaue Augen sahen vor Erregung dunkel aus. »Musst du dich auch noch über mich lustig machen, Vati? Ich habe schließlich auch schon schöne Männer gesehen. Bin ich deshalb mit dem Wagen stehen geblieben und habe sie angehimmelt? So etwas würde Hans-Joachim auch nicht wollen.«
Dr. von Lehn stand auf. Nun zog er seine Frau so fest an sich, dass sie sich nicht mehr wehren konnte. »Nein, das würde ich nicht wollen. Das würde ich dir sogar verbieten, mein Schatz. Sei wieder friedlich. Ich habe dich ja nur ein bisschen ärgern wollen.«
»Kaum taucht eine neue Frau in der Umgebung auf, bist du auch schon hinter ihr her«, maulte Andrea.
Denise von Schoenecker griff jetzt ein. »Du tust ja, als ob dich Hans-Joachim schon einmal betrogen hätte, Andrea. Ich gönne deinem Vater immer den Spaß, eine schöne Frau zu bewundern.«
»Ach, Mutti«, seufzte Andrea, »du kannst leicht so großzügig sein. Eine schönere Frau als dich gibt es nicht, schon gar nicht für Vati.«
»Du sagst erstaunlich wahre Dinge, Andrea«, meinte Alexander von Schoenecker lachend. »Aber stell dir vor, dein Mann hat mir einmal anvertraut, dass es für ihn auch keine schönere und liebenswertere Frau gibt als dich. Im Ernst, Andrea, das behauptet dein Hans-Joachim.«
Andrea musterte ihren Mann eindringlich. »Stimmt das, Hans-Joachim?«
Dr. von Lehn hob seineFrau hoch und schwenkte sie im Kreis herum. »Und ob das stimmt. Verlangst du jetzt noch das große Ehrenwort von mir?«
»Nein«, prustete Andrea. »Aber warum sagst du das anderen? Meinem Vater? Es wäre klüger, es mir zu sagen, damit ich es endlich glaube.«
Dominik und Henrik waren aufgestanden und gingen nun sehr einträchtig miteinander zur Tür. Dort blieben sie jedoch noch einmal stehen. Henrik sagte mit der Überheblichkeit seiner sieben Jahre: »Was sind die Großen doch albern, Nick. Komm, gehen wir. Oder fahren wir mit den Rädern zur Teufelsmühle? Ich möchte auch sehen, was dort gebaut worden ist.«
Dominik kam in Verlegenheit. »Eigentlich hatte ich Pünktchen versprochen, mit ihr einen Ausflug auf dem Rad zu machen. Jetzt wird sie wieder beleidigt sein.«
Henrik wischte mit der Hand durch die Luft. »Ach was, die ist schon nicht beleidigt. Sie muss ja nicht immer mit dir allein sein. Du bist erst fünfzehn Jahre und darfst noch keine Freundin haben. Das hat Mutti gesagt.«
»Aber damit meinte ich doch nicht Pünktchen«, rief Denise von Schoenecker. »Pünktchen ist mit Nick eng befreundet. Das weißt du doch.«
»Ja, weil er sie gerettet und zu uns ins Kinderheim gebracht hat. Das kenne ich doch schon.« Henrik sah recht naseweis aus. »Trotzdem können mich die beiden mitnehmen, wenn sie einen Ausflug mit dem Rad machen. Ich kann doch schon genauso schnell fahren wie sie.«
»Wir nehmen dich ja mit. Sei endlich still«, sagte Dominik und verließ mit dem kleinen Bruder das Zimmer.
»Nichts als Komplikationen«, seufzte Denise von Schoenecker. Aber sie lachte dabei. »So eine Familie bietet manchmal den besten Kriegsschauplatz.«
»Solange es nicht schlimmer wird als heute, Denise, können wir uns nicht beklagen. Schau mal, dort!« Alexander von Schoenecker stieß seine Frau an und zeigte auf einen versteckten Platz im Wintergarten. Hinter hohen Pflanzen küssten sich Andrea und Hans-Joachim.
»Ja, die beiden sind so glücklich, dass sie immer wieder ein kleines Gewitter heraufbeschwören müssen. Damit es ein bisschen knistert. Um so schöner ist dann die Liebe.«
*
Dr. von Lehn und seine Frau blieben noch zum Abendessen in Sophienlust. Dann kehrten sie nach Hause zurück. Obwohl es schon spät war, schlenderten sie noch einmal durch das Tierheim und sahen nach ihren Schützlingen. Der Dackel Waldi begleitete sie auf ihrer Runde, denn er ließ sich kaum eine Gelegenheit entgehen, zu zeigen, dass er hier der Chef war. Er benahm sich wirklich so, als wisse er ganz genau, dass das Tierheim »Waldi & Co.« hieß und nach ihm so getauft worden war.
»In letzter Zeit ist es bei uns recht still geworden, Hans-Joachim«, sagte Andrea. »Keine Neuzugänge, keine Veränderungen, keine verletzten oder kranken Tiere.«
»Freu dich doch darüber, Andrea. Ich tue es jedenfalls. Einfach deshalb, weil ich oft fürchte, dass dir die Arbeit zu viel wird. Es war ein kleines Abenteuer, dass wir uns auf diesen Versuch eingelassen haben, hier alle möglichen Tiere aufzunehmen, die ein Obdach brauchen. Mit meiner Praxis allein wären wir schon genug ausgelastet.«
»Ein Versuch? Aber das soll doch eine bleibende Einrichtung sein, Hans-Joachim. Nein, nein, ich denke nicht daran, diese Fürsorge aufzugeben.«
Der Tierarzt hatte den Arm um die Schultern seiner Frau gelegt. So gingen die beiden zusammen über den Hof und zum Haus zurück. »Und wenn wir einmal ein Kind haben sollten, Andrea?«
»Ich wünschte, es wäre endlich soweit, Hans-Joachim. Ich finde, wir müssen sehr lange darauf warten.« Ein abgrundtiefer Seufzer kam aus Andreas Brust.
»Na, sag mal, sind wir schon ein so altes Ehepaar, Andrea?« Hans-Joachim drückte seine Frau noch fester an sich.
»Nein, ein ganz junges. Jedenfalls dem Heiratsdatum nach. Aber oft kommt es mir vor, als sei ich schon mit dir verheiratet gewesen, solange ich denken kann.«
»Und seit wann ist das?«, neckte Hans-Joachim sie.
»Leg dich heute nicht noch einmal mit mir an«, drohte Andrea. »Ich könnte dann sehr giftig reagieren. Mir reicht noch die Sache mit dieser wunderschönen Reiterin aus der Teufelsmühle.«
Dr. Hans-Joachim von Lehn ließ seine Frau los und rannte auf das Haus zu. »Ich flüchte, sonst muss ich wieder Rede und Antwort stehen«, rief er.
Wenig später saß das junge Ehepaar noch bei einer Flasche Wein beisammen. Doch jetzt wurde nicht mehr über jene Dinge gesprochen, mit denen sich die beiden am Nachmittag ohnehin mehr geneckt hatten, als dass es ihnen damit ernst gewesen wäre.
Frühzeitig ging man zu Bett.
Als der erste Lichtschimmer des Morgens in das Schlafzimmer fiel, schreckte Hans-Joachim von Lehn hoch. Hatte er nun geträumt oder läutete es wirklich Sturm an der Haustür? Schlaftrunken strich er sich über Stirn und Augen.
Jetzt richtete sich auch Andrea auf. »Was ist los?«, fragte sie. »Warum sitzt du im Bett?« Auch sie horchte nun auf. »Kommt Betti schon die Treppe herunter? Wie sie nur wieder poltert! Nein, so etwas Rücksichtsloses.« Andrea streckte sich wieder aus und zog sich die Bettdecke über die Ohren. »Leg dich doch wieder hin. Es muss noch viel Zeit bis zum Aufstehen sein«, murmelte sie.
»Ich glaube nicht.« Hans-Joachim sprang aus dem Bett. »Es scheint jemand draußen zu sein. Ich höre Betti sprechen.« Er zog sich einen Hausmantel an und verließ das Schlafzimmer.
Vor dem Haus war die Stimme einer Frau zu hören. Aber sie hatte nicht Bettis Stimme. Und jetzt sagte Hans-Joachim: »Ja, da muss ich wohl gleich mitfahren. Bitte, gedulden Sie sich einige Minuten. Ich werde mich beeilen.«
Jetzt war es nur mehr eine Sache von Sekunden, dass Andrea aus dem Bett hüpfte. Sie war viel zu neugierig, um unter diesen Umständen wieder einschlafen zu können.
Andrea war noch nicht bis zum Fenster gekommen, da trat Hans-Joachim schon ins Schlafzimmer und nahm seine Kleidung von einem Stuhl. »Ich muss fort, Andrea …«
Die junge Frau schlug fröstelnd die Arme vor der Brust zusammen. »Hätte ich doch nur einen Finanzbeamten geheiratet. Der müsste wenigstens nicht nachts aus dem Haus.«
»Na ja, Nacht ist es nicht mehr.« Hans-Joachim stand schon in Hemd und Hose vor seiner Frau. Er sah sie etwas unsicher an. »Ich muss in den Wald. Eine Hirschkuh soll nicht kalben können.«
»Und da hat sie nach dem Tierarzt geschickt?«, fragte Andrea. Sie hatte die Gardine zur Seite geschoben und sah auf den Hof hinunter. Dort stand ein roter Sportwagen. Davor ging eine junge Frau in Hose, Jacke und Stiefeln auf und ab. »Ist das vielleicht …«, fragte Andrea.
»Ja, es ist Frau Pasetti aus der Teufelsmühle.« Hans-Joachim ging zur Tür.
»Die muss ich mir genauer ansehen.« Schon schlüpfte Andrea in ihren Hausmantel und folgte ihrem Mann. Während sie hinter ihm die Treppe hinunterging, fragte sie: »Gerade Frau Pasetti hat eine Hirschkuh entdeckt, die nicht kalben kann? Was es doch für Zufälle gibt.«
Hans-Joachim drehte sich um. »Jetzt ist wirklich nicht die richtige Zeit für deine komischen Bemerkungen, Andrea. Frau Pasetti hat selbst ein großes Revier, das zur Teufelsmühle gehört.«
»Ja, und sie ist eine Jägerin. Hoffentlich nur eine, die hinter dem armen Wild her ist.« Festen Schrittes ging Andrea mit ihrem Mann durch die Diele und hinaus vor die Haustür.
»Du wirst dich erkälten, Andrea«, warnte Hans-Joachim. Er verschwand in seinem Sprechzimmer, um seine Tasche zu holen.
»Mach dir mal um mich keine Sorgen«, rief Andrea zurück und ging schnurstracks auf die junge Frau neben dem Sportwagen zu.
Jutta Pasetti kam ihr jetzt entgegen und fragte: »Frau von Lehn? Es tut mir leid, dass ich Sie ebenfalls aus den Federn gejagt habe. Ich bin Jutta Pasetti.«
»Ja, das sagte mir mein Mann schon.« Andreas Blick hing an der großen schlanken Frau. Sie war wirklich bildschön. Das schmale ausdrucksvolle Gesicht wurde von großen braunen Augen beherrscht und von langem mittelblondem Haar umschmeichelt.
Noch bevor Andrea etwas sagen konnte, kam ihr Mann aus dem Haus gelaufen. Erstaunt sah sie ihm entgegen. »Nimmst du so viele Instrumente mit?«, fragte sie. »Den Koffer auch noch?«
»Ja, Andrea. Nach allem, was mir Frau Pasetti erzählt hat, könnte es sein, dass ich an Ort und Stelle operieren muss. Es kommt öfters vor, dass Hirschkühe nicht kalben können. Meistens gehen sie dann elend zugrunde. Ein Glück, dass Frau Pasetti draußen war und das Tier entdeckt hat. Wir fahren am Forsthaus vorbei. Ich will Sabine Schröder mitnehmen. Ich werde sicher jemanden brauchen, der mir assistiert.«
Andrea lief zur Haustür zurück. »Warte, bitte, einige Minuten, Hans-Joachim. Ich begleite dich.«
Dr. von Lehn wehrte ab. »Nein, bitte nicht, Andrea. Das könnte dir zu viel werden. Ich brauche schon Sabine Schröder.« Er ließ sich auf den Beifahrersitz des Sportwagens fallen. »Es wird auch nützlich sein, wenn Klaus Schröder mit uns kommt. Einen Förster kann man immer gut gebrauchen. Frau Pasetti bringt mich danach zurück.«
»Hoffentlich«, stieß Andrea hervor. Aber dieses anzügliche Wort ging schon im Aufbrummen des Motors unter. »Eine rasante Autofahrerin ist sie auch noch. Was braucht ein Männerherz eigentlich noch mehr, um sich zu begeistern?«
»Sagten Sie etwas zu mir?«, fragte Betti, die in der Diele wartete.
»Nein, nein, Betti. Gehen Sie in Ihr Zimmer und legen Sie sich noch einmal aufs Ohr. Den Schreck dieser Morgenstunde müssen wir beide erst wieder vergessen.«
Betti blieb auf halber Treppe stehen. »Das war doch die Besitzerin der Teufelsmühle, nicht wahr? Ist das eine schicke und schöne Frau!« Bettis Augen glänzten vor Bewunderung. »Ich habe sie schon auf dem Pferd gesehen. Da sieht sie noch besser aus.«
»Hören Sie auf, Betti«, flehte Andrea. Sie hielt sich die Ohren zu und verschwand im Wohnzimmer.
Andrea dachte nicht daran, sich jetzt noch einmal hinzulegen, so gern sie auch sonst ein Stündchen länger schlief. Jetzt gab es für sie nur eines – auf Hans-Joachims Rückkehr zu warten.
Er hatte sie nicht mitgenommen. Er hatte es sogar abgelehnt, dass sie ihm assistierte. In der Praxis durfte sie das tun. Tiere festzuhalten und zu verbinden, das gestattete er ihr. Ja, dazu brauchte er ihre Hilfe. Aber jetzt holte er sich Sabine Schröder.
Doch als sich Andreas Verärgerung etwas gelegt hatte, konnte sie wenigstens an Sabine Schröder in sachlicher Weise denken. Andrea wusste, die junge Förstersfrau hatte Tiermedizin studiert, war also eine ausgebildete Kraft. Sie hatte sogar kurze Zeit in Hans-Joachims Praxis gearbeitet. Damals waren sie – Sabine und Andrea – gute Freunde geworden. Als Sabine dann den jungen Förster Klaus Schröder geheiratet hatte, war sie mit dem Versprechen gegangen, gelegentlich in der Tierpraxis Dr. von Lehns einzuspringen. Das hatte sie auch schon mehrere Male getan.
Beinah wünschte sich Andrea, ihr Mann möge bei Sabine eine Abfuhr bekommen. Zur Strafe dafür, dass er nicht sie, Andrea, mitgenommen hatte.
Doch nach einiger Zeit wurde Andrea auch von diesem bösartigen Wunsch nicht mehr beherrscht. Sie dachte jetzt nur noch an die arme Hirschkuh. Wenn sie wirklich so leiden musste, wie diese Jutta Pasetti allem Anschein nach behauptet hatte, dann musste Hans-Joachim ja helfen. Aber zu lange sollte er trotzdem nicht wegbleiben.
*
Sabine und Klaus Schröder waren sofort bereit, mit Jutta Pasetti und Dr. von Lehn mitzufahren. In wenigen Minuten waren sie angezogen. Klaus Schröder nahm seinen eigenen Wagen, denn alle vier hätten in dem von Jutta Pasetti nicht Platz gehabt.
Die Fahrt ging über holprige Wald- und Wiesenwege. Knapp hinter der Teufelsmühle musste man aussteigen und zu Fuß weitergehen.
Hans-Joachim von Lehn bewunderte das stattliche Haus. Es stand in einer Mulde, umgeben von Wiesen, eingerahmt vom Wald.
»Sie haben etwas ganz Prächtiges daraus gemacht, Frau Pasetti. Hoffentlich fühlen Sie sich hier auch wohl. Es ist immerhin sehr einsam hier.«
»Das macht mir nichts aus.« Die Stimme der jungen Frau klang ablehnend, beinahe schroff. Nach einigen Sekunden sagte sie: »Ich will hier Haflinger Pferde züchten.«
Der Förster lachte. »Damit bleiben Sie bei den Pferdestärken, Frau Pasetti. Stimmt es, dass Ihr verstorbener Mann Autorennfahrer war?«
»Ja, das stimmt.« Wieder klang die Frauenstimme brüsk.
Sabine Schröder blieb mit ihrem Mann einige Schritte zurück und tuschelte ihm zu: »Sei nicht so neugierig, Klaus. Du siehst doch, dass sie empfindlich ist. Ich habe schon gehört, dass sie auch anderen Leuten Rätsel aufgibt. Ihr Mann soll vor einem Jahr bei einem Rennen tödlich verunglückt sein. Kein Wunder, dass sie das noch nicht überwunden hat.«
»Hier muss es sein«, erklärte Jutta Pasetti in diesem Augenblick. Sie zeigte auf ein Gestrüpp und bog es auseinander. »Ja, sie liegt noch da.« Jetzt klang ihre Stimme plötzlich weich.
Hans-Joachim von Lehn machte einen Schritt in das Gebüsch hinein. Vor ihm lag eine Hirschkuh. Ihr Bauch hob und senkte sich, die großen Augen waren in Todesangst auf ihn gerichtet.
Unwillkürlich redete Hans-Joachim beruhigend auf das Tier ein. Aber das schien seine Worte nicht zu verstehen. Es wollte sich erheben, sackte aber sofort wieder zusammen.
Jetzt war der Förster zur Stelle. Er drückte das Tier auf den Boden. Hans-Joachim von Lehn konnte es dadurch untersuchen.
Neben dem Tierarzt standen Sabine Schröder und Jutta Pasetti. Beide warteten gespannt aüf das Ergebnis der Untersuchung. Dr. von Lehn sah jetzt Sabine Schröder an und erklärte: »Da kann nur noch ein Kaiserschnitt helfen.
Ich habe es befürchtet. Wenn nicht beide verenden sollen, die Mutter und das Junge, müssen wir die Operation hier riskieren. Für einen Transport in meine Praxis bleibt keine Zeit mehr.«
Jutta Pasetti sagte plötzlich leise: »Ich werde dabei sicher nicht gebraucht!« Als ihr niemand Antwort gab, trat sie aus dem Gebüsch heraus und ging den Weg zurück, den sie eben alle gekommen waren. Erst am Waldrand blieb sie stehen.
Juttas Gedanken gingen in ihre Kindheit und Jugend zurück. Ihre Mutter war so früh gestorben, dass sie sich kaum noch an sie erinnern konnte. Das Leben mit dem Vater hätte ihr vieles ersetzen können, aber er war ein kühler, meistens in Zahlen denkender Mann. Er hatte sie auf die teuersten Internate geschickt und ihr jeden Wunsch erfüllt. Aber er war kaum einmal mit ihr verreist. Sein großes Werk in Stuttgart hatte ihn stets mehr interessiert als die Nähe seiner Tochter. Ihm war nur wichtig gewesen, dass er sich hatte an die Brust schlagen und immer wieder sagen können: Hast du nicht alles bekommen, was sich ein Mädchen wünschen kann?