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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. »Mutti, schau, da drüben gibt es Luftballons. Bitte, kaufe mir einen.« Das kleine braunhaarige Mädchen sah bittend zu seiner Mutter empor. »Ich halte ihn auch ganz fest und lasse ihn bestimmt nicht wieder davonfliegen.« Die junge Frau lächelte. »Aber wenn er platzt, weinst du wieder, Dani.« »Wir müssen eben gut auf den Luftballon aufpassen, damit er nicht platzt. Mutti, nehmen wir einen Roten oder einen Blauen?« Die junge Frau bückte sich zu dem kleinen Mädchen hinab. »Vielleicht beide, Dani?« »O Mutti, du bist so lieb.« Die vierjährige Daniela legte mitten auf der Straße die Arme um den Hals ihrer Mutter. Änne Beyer lachte glücklich und fasste nach der Hand ihres Kindes. »Dann lass uns schnell …« Sie brach ab und drehte sich erschrocken um. Hinter ihr erklangen laute Schreie. Touristen, die um diese Nachmittagsstunde durch Bachenau bummelten, liefen auseinander und pressten sich an die Hauswände. Ein Pferd kam in wildem Galopp die Straße entlang. Änne Beyer war zu spät auf diese Gefahr aufmerksam geworden. Sie konnte nur noch der kleinen Daniela einen Stoß geben, dann wurde sie von dem scheu gewordenen Pferd überrannt.
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2023
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»Mutti, schau, da drüben gibt es Luftballons. Bitte, kaufe mir einen.« Das kleine braunhaarige Mädchen sah bittend zu seiner Mutter empor. »Ich halte ihn auch ganz fest und lasse ihn bestimmt nicht wieder davonfliegen.«
Die junge Frau lächelte. »Aber wenn er platzt, weinst du wieder, Dani.«
»Wir müssen eben gut auf den Luftballon aufpassen, damit er nicht platzt. Mutti, nehmen wir einen Roten oder einen Blauen?«
Die junge Frau bückte sich zu dem kleinen Mädchen hinab. »Vielleicht beide, Dani?«
»O Mutti, du bist so lieb.« Die vierjährige Daniela legte mitten auf der Straße die Arme um den Hals ihrer Mutter.
Änne Beyer lachte glücklich und fasste nach der Hand ihres Kindes. »Dann lass uns schnell …« Sie brach ab und drehte sich erschrocken um. Hinter ihr erklangen laute Schreie. Touristen, die um diese Nachmittagsstunde durch Bachenau bummelten, liefen auseinander und pressten sich an die Hauswände.
Ein Pferd kam in wildem Galopp die Straße entlang. Änne Beyer war zu spät auf diese Gefahr aufmerksam geworden. Sie konnte nur noch der kleinen Daniela einen Stoß geben, dann wurde sie von dem scheu gewordenen Pferd überrannt.
Ein alter Herr hob das Kind auf, andere Passanten bemühten sich um die Mutter. Die junge Frau blutete aus einer Kopfwunde, lag zusammengekrümmt auf der Straße und hatte die Augen geschlossen.
»Mutti! Mutti!«, rief die kleine Daniela schluchzend. Sie wollte sich von dem alten Herrn, der sie auf die Füße gestellt hatte und an der Hand festhielt, losreißen.
»Nein, komm auf den Bürgersteig«, sagte der Herr. »Hast du dir wehgetan?« Er sah auf das schmutzige Kleid des Kindes.
»Meine Knie und mein Arm«, klagte Daniela. Ihre Blicke hingen dabei jedoch an den Leuten, die ihre Mutter jetzt auf den Bürgersteig trugen.
Der alte Herr sah, dass das Kind an den Knien und am Ellenbogen Hautabschürfungen hatte. »Du hast noch einmal Glück gehabt.« Er strich Daniela über das Haar. »Deine Mutter war sehr geistesgegenwärtig. Wenn sie dich nicht weggestoßen hätte, wäre dir viel Schlimmeres passiert.«
»Aber Mutti blutet am Kopf, und sie macht die Augen gar nicht auf.« Nun gelang es Daniela doch, sich loszureißen. Sie drängte sich zwischen den Leuten durch. »Ich will zu meiner Mutti.«
Jemand wollte das Kind festhalten. »Der Krankenwagen wird gleich kommen. Lass deine Mutti jetzt in Ruhe. Sie ist bewusstlos. Aber sicher wird sie bald wieder zu sich kommen.«
Die kleine Daniela schien das alles nicht zu hören. Sie warf sich über ihre Mutti und streichelte sie. »Mutti, bitte, bitte, mach doch die Augen auf. Mutti, hörst du mich denn nicht? Das schlimme Pferd ist doch weitergelaufen. Es kann uns nichts mehr tun. Mutti, bitte …« Daniela begann laut zu weinen. »Wir müssen doch noch die Luftballons kaufen.«
Einige der Umstehenden drehten sich erschüttert um. Alle waren erleichtert, als jetzt der Krankenwagen neben dem Bürgersteig hielt. Ein Sanitäter und der Fahrer sprangen heraus. Sie legten Änne Beyer auf eine Trage. Der Sanitäter fragte Daniela: »Ist das deine Mutti?«
Das Kind nickte.
»Ist hier noch jemand, zu dem du gehörst? Oder warst du mit deiner Mutti allein?«
Daniela nickte noch einmal. »Ich bin immer allein mit meiner Mutti.«
»Dann komm mit in den Wagen.« Der Sanitäter fasste nach Danielas Hand. »Du bist ja auch recht mitgenommen. Im Krankenhaus wird man deine Hautabschürfungen behandeln.«
Daniela setzte sich auf den Hocker, der im Krankenwagen stand. Sie griff nach der Hand ihrer Mutter.
Der Sanitäter blieb im Wagen stehen und schimpfte: »Wie kann denn das passieren, dass ein Pferd durchgeht und mitten in einem friedlichen Ort die Menschen gefährdet?«
Daniela sah zu dem Sanitäter empor. »Muss meine Mutti jetzt sterben?«
Der Sanitäter legte den Arm um Danielas Schultern. »Ach, geh, so schnell stirbt niemand.«
»Aber Mutti macht ja die Augen gar nicht mehr auf.« Über Danielas Wangen liefen von Neuem Tränen.
»Im Krankenhaus wird sie wieder zu sich kommen. Schau, wir fahren schon durchs Tor.«
»Darf ich bei meiner Mutti bleiben?«, fragte Daniela ängstlich.
»Wenn sie untersucht wird, musst du auf dem Flur warten. Ich werde dich einer Schwester übergeben. Wie heißt du denn?«
»Daniela Beyer, aber meine Mutti ruft mich Dani. Ich finde das auch viel schöner.«
»Aber du bist doch nicht aus Bachenau?«
»Nein. Wir wohnen in einer großen Stadt. In … in …«
»In Köln«, erklang eine matte Stimme.
»Mutti!«, schrie Daniela. Der Sanitäter musste sie festhalten, damit sie die Mutter nicht umarmte. »Jetzt siehst du mich doch wieder an.«
»Ja, Dani.«
Der Wagen hielt und wurde geöffnet.
»Nimm die Tasche deiner Mutter«, sagte der Sanitäter zu Daniela. »Und verliere sie nicht. Wir müssen froh sein, dass sie noch jemand in den Wagen gereicht hat.«
Die kleine Daniela ging neben der Trage mit ins Krankenhaus. Eine Schwester nahm sich ihrer an und versuchte, sie zu beruhigen, als man die Mutter in die Ambulanz trug. »Du musst jetzt Geduld haben. Schau, die Ärzte wollen deiner Mutti helfen.«
»Können wir dann wieder in unseren Gasthof gehen?«, fragte Daniela. »Wir haben dort ein Zimmer. Mutti und ich machen Urlaub in Bachenau.«
»Ich weiß nicht, ob deine Mutter gleich wieder entlassen werden kann. Ist dein Vati auch mit in Bachenau?«
»Ich habe keinen Vati. Er ist gestorben. Ich habe nur eine Mutti.« Daniela setzte sich auf die Bank und drückte die Handtasche der Mutter fest an sich. »Schwester, wirst du mich auch nicht hier vergessen?«, fragte sie.
»Nein, ganz bestimmt nicht.«
»Und wird meine Mutti auch ganz bestimmt durch diese Tür wieder herauskommen?« Danielas Augen wurden immer ängstlicher.
Jetzt kam eine junge Frau in Straßenkleidung den Flur entlang. Sie hatte Danielas Frage gehört. »Ist ein Unfall passiert, Schwester?«, fragte sie.
»Ja, Frau Dr. Frey.« Die Schwester erzählte von dem scheu gewordenen Pferd, das Danielas Mutter schwer verletzt hatte.
»Und dir ist nichts passiert?«, fragte Dr. Anja Frey. Sie beugte sich zu Daniela hinab.
»Doch«, sagte das kleine Mädchen und zeigte auf seine Knie und auf den blutverschmierten Ellenbogen. »Aber um mich kümmert sich niemand. Dabei hat der Mann im Krankenwagen gesagt, dass ich auch behandelt werden muss. Meine Knie brennen auch so.«
Anja Frey verstand die Klagen des kleinen Mädchens sehr gut. Es wollte sich ein wenig in den Vordergrund rücken. Vielleicht, um sich von der großen Angst um die Mutter abzulenken. »Wie heißt du?«, fragte sie.
Diesmal sagte das Mädchen gleich: »Dani.«
»Dann komm mit mir, Dani. Ich werde mich um dich kümmern.« Anja Frey streckte die Hand aus.
»Aber du hast doch gar keinen weißen Mantel an«, wunderte sich Daniela.
»Trotzdem bin ich Ärztin und kann dir helfen.« Anja Frey lachte. »Aber wenn du unbedingt willst, leihe ich mir einen weißen Kittel.«
»Musst du dir den erst leihen?«, fragte Daniela noch immer misstrauisch. »Eine Tante Doktor muss doch so einen weißen Mantel haben.«
»Ich habe sogar viele weiße Kittel.« Anja Frey amüsierte das Gespräch mit dem aufgeweckten Mädchen. »Aber in meiner Praxis. Weißt du, ich arbeite nicht hier im Krankenhaus. Ich bringe nur manchmal Patienten her oder besuche sie hier. Und wenn es nötig ist, helfe ich hier auch aus. Deshalb werde ich dich jetzt versorgen.«
Danielas Misstrauen war überwunden. Sie ging mit der jungen Ärztin den Flur entlang. Auf einmal aber blieb sie stehen. »Wenn aber jetzt meine Mutti aus dem großen Zimmer kommt, Tante Doktor? Dann findet sie mich ja nicht.«
»Die Schwester weiß, wohin wir gehen, Dani. Du kannst ganz unbesorgt sein.« Anja Frey führte das Kind in ein Verbandszimmer, säuberte die Hautabschürfungen und pinselte sie mit Jod ein.
»Au, das brennt«, sagte Daniela und verzog das Gesicht. »Aber das macht nichts. Meine Mutti kann das, was du kannst, auch alles, Tante Doktor.«
Anja Frey sah das Kind erstaunt an. »Ist deine Mutti Ärztin?«
»Nein. Aber sie arbeitet bei einem Arzt.«
»Aha, dann ist sie vielleicht Sprechstundenhelferin.«
»Ja, so heißt das.« Jetzt wurde Daniela schon wieder unruhig. »Gehen wir lieber, Tante Doktor.«
Anja Frey gab dem Drängen des Kindes nach. Aber sie mussten zusammen noch geraume Zeit auf dem Flur warten, bis die fahrbare Trage mit der Schwerverletzten herausgeschoben wurde.
Daniela machte ein sehr enttäuschtes Gesicht. »Mutti kann ja noch nicht gehen.«
»Warte ein bisschen, Dani«, sagte Anja Frey. Sie ging zu dem Arzt, der auf der Schwelle der Ambulanz stand. Mit ihm sprach sie leise.
Daniela stand inzwischen auf Zehenspitzen an der Trage und strich mit den Fingern über das Gesicht ihrer Mutter. »Was soll ich denn jetzt tun, Mutti, wenn du im Krankenhaus bleibst?«
Anja Frey kam zurück. Sie neigte sich über Änne Beyer, stellte sich vor und sagte: »Bitte, Frau Beyer, vertrauen Sie mir Ihr kleines Mädchen an. Sie brauchen jetzt Ruhe. Hier in der Nähe ist ein Kinderheim. Dort bin ich sehr oft, weil ich die Kinder als Ärztin betreue. Ich nehme Dani mit. Es wird ihr an nichts fehlen. Morgen komme ich mit dem Kind her, um Sie zu besuchen. Sind Sie einverstanden?«
Änne Beyer nickte. Sie hatte jetzt einen Verband um den Kopf und sah sehr erschöpft aus. »Danke, Frau Doktor.« Mühsam hob sie die Hand und strich über Danielas Kopf. »Sei lieb, Dani, geh mit. Ich werde schneller gesund werden, wenn ich mir um dich keine Sorgen zu machen brauche.«
Die Schwestern drängten. Die Verletzte sollte nicht länger im Flur bleiben, sie musste in das Krankenzimmer gebracht werden.
Daniela drückte einen Kuss auf die Wange ihrer Mutter. »Morgen komme ich ja schon zu dir, Mutti.« Die Kinderstimme zitterte, doch die kleine Hand schmiegte sich fest und vertrauensvoll in die Hand von Anja Frey.
*
Die Kinder von Sophienlust nahmen die kleine Daniela mit offenen Armen auf. Jeder bemühte sich, sie den Schrecken, den sie hatte durchstehen müssen, vergessen zu lassen. Und alle trösteten sie, dass ihre Mutti bald wieder aus dem Krankenhaus kommen werde.
Denise von Schoenecker wusste jedoch von Frau Dr. Frey, dass Änne Beyer nicht vor drei Wochen entlassen werden würde. Sie hatte eine schwere Gehirnerschütterung, eine tiefe Kopfwunde und mehrere Prellungen.
Anja Frey hatte inzwischen auch festgestellt, dass die junge Frau siebenundzwanzig Jahre alt war und vor zwei Jahren ihren Mann verloren hatte. Sie arbeitete seit dieser Zeit wieder in ihrem erlernten Beruf als Sprechstundenhelferin und hatte eine kleine Wohnung in Köln.
Denise von Schoenecker hatte es übernommen, mit dem Arzt zu sprechen, bei dem Änne Beyer arbeitete.
Er wusste, dass er mehrere Wochen auf seine Helferin würde verzichten müssen. Verwandte brauchten nicht verständigt zu werden. Änne Beyer stand mit ihrem Kind allein auf der Welt.
Oft sprach man in Sophienlust von dem Pferd, das Änne Beyer so schwer verletzt hatte. Am Ortsende von Bachenau war es zwei Männern gelungen, das scheu gewordene Pferd einzufangen. Niemand wusste, wem es gehörte, und keiner meldete sich, der es haben wollte. Es stand seit einigen Tagen im Stall eines kleinen Bauern. Er wollte es jedoch nicht behalten, denn es war ungepflegt und abgemagert und konnte ihm keine Dienste leisten.
Als das der alte Janosch vom Rosshof hörte, ging er nach Bachenau, um das Pferd zu holen. Sachverständig sagte er: »Ein Isländer. Ein gutes Pferd.«
Der Bauer lachte. »Ein gutes Pferd? Eine Mähre ist das, für die das Gnadenbrot zu schade ist.«
Janosch strich über das struppige Fell des Pferdes, das ihn dankbar ansah. »Ja, ja, du brauchst Pflege und jeden Tag deinen Hafer, dann wirst du dich bald erholen. Im Rosshof wird es dir an nichts fehlen.«
Der Bauer sah den alten Csikos aus der Puszta mitleidig an. »Ihnen ist nicht zu helfen. Eines Tages werden Sie nur alte und abgehalfterte Pferde im Rosshof haben.«
»Dazu ist der Rosshof da«, erklärte Janosch. Seine Augen leuchteten dabei. Er verließ mit dem Pferd den Stall. Es trabte willig neben ihm her.
Janosch ging mit dem Gaul quer über die Felder. Als sie den Rosshof erreichten, kam ihnen Ilona schon entgegen. Sie sah das Pferd bedauernd an.
Als Janosch das merkte, sagte er: »In ein paar Tagen wird Hanko von unseren Pferden nicht mehr so abstechen wie heute.«
»Hanko?«, fragte Ilona. »Wieso weißt du, wie das Pferd heißt, Janosch? Ich denke, es hat sich niemand gefunden, der es kennt?«
Der alte Janosch schmunzelte. »So ist es auch, aber ich habe das Pferd Hanko getauft. Schließlich muss jedes Pferd einen Namen haben. Gefällt dir Hanko etwa nicht?«
»Doch. Trotzdem hättest du mit mir beraten können, welchen Namen wir dem Pferd geben, Janosch.«
Der Alte legte den Arm um Ilonas Schultern. »Lass mir halt ein bisschen Selbstständigkeit, Ilona. Ich stehe doch ohnehin schon ganz unter deinem Pantoffel.«
»Was? Das ist mir neu. Und mir kannst du das nicht einreden. Ich mache zu oft Bekanntschaft mit deinem Dickkopf. Ich wette, dass er auch an dieser Namensgebung schuld ist. Sicher hast du dir schon lange ein Pferd gewünscht, das Hanko heißt.«
»Ja«, bekannte Janosch, »so ist es. Ich hatte in der Puszta einmal ein Pferd, das Hanko hieß. Ich sage dir, Ilona, das war ein Pferd, wie ich es nie mehr gefunden habe. Es war gescheiter als ein Mensch. Stell dir vor, mein Hanko von damals konnte …«
Ilona unterbrach den Alten lachend. »Verschone mich jetzt mit deinen Wundergeschichten, du Rossmensch. Am Abend, wenn wir Zeit haben, kannst du sie mir erzählen. Jetzt versorgen wir erst einmal diesen Hanko.«
*
Janoschs Prophezeiung erfüllte sich. Schon nach wenigen Tagen sah der Isländer Hanko gepflegter aus. Er trieb sich mit den anderen Pferden auf der Koppel herum und war sehr gutmütig. Niemand konnte sich vorstellen, dass dieses Pferd bösartig war. Es musste an jenem Tag in Bachenau in Panik geraten sein.
Ilona ritt jetzt öfters aus. Auch wenn ihr der alte Janosch immer wieder versicherte, dass es ihm gar nichts ausmache, auf den Pferderücken zu steigen, sah sie doch, dass es ihm schwerfiel. Besonders die Lipizzanerstute und der Hengst Sandor brauchten aber mehr Auslauf, als sie auf der Koppel hatten. Sie sollten auch nicht verlernen, einem Reiter gehorchen zu müssen.
Deshalb ritt Ilona abwechselnd mit den beiden aus. Schon zweimal war ihr dabei ein kleiner Junge aufgefallen, den sie zuvor nie gesehen hatte. Er trieb sich in der Nähe des Rosshofes herum. Sobald sie sich ihm aber näherte, lief er fort und verschwand hinter irgendeinem Gebüsch.
Als Ilona dem alten Janosch erzählte, was sie beobachtet hatte, meinte er: »Ja, der Junge ist mir auch aufgefallen. Heute kam er fast bis ans Gatter der Pferdekoppel heran. Und weißt du, was ich bemerkt habe? Hanko wurde unruhig.«
»Ach, das hast du dir sicher nur eingebildet«, sagte Ilona.
»Nein.« Janosch war ärgerlich. »Ich werde doch noch die Regungen eines Pferdes zu deuten wissen. Hanko stand auch noch lange am Gatter, als der Bengel längst wieder verschwunden war.«
»Soll der Junge vielleicht etwas mit Hanko zu tun haben? Ich kann mir das nicht vorstellen. Aber lass uns aufpassen, Janosch, damit wir den Jungen einmal erwischen. Wir werden ihn fragen, warum er sich hier herumtreibt. Wahrscheinlich wird sich dann herausstellen, dass wir uns nur etwas zusammengereimt haben.«
Ilona war, obwohl sie das ruhig sagte, etwas durcheinander. Der Gedanke, dass sich doch noch jemand melden könnte, dem Hanko gehörte, beschwerte sie. Ihr ging es jetzt darum, Hanko alle Liebe und Pflege zuteilwerden zu lassen, damit er sich ganz erholen konnte. Dort, wo er vorher gewesen war, musste es ihm an vielem gefehlt haben.
*
Schon einen Tag später tauchte der Junge wieder auf. Ilona sah vom Fenster aus, wie er sich ans Gatter heranschlich und sich dabei scheu umsah.
Ilona ging ins Freie, drückte sich an der Wand des Stalles entlang und beobachtete den Jungen einige Zeit. Er mochte etwa sechs Jahre alt sein und hatte Jeans sowie einen rot-weiß gestreiften Pulli an. Er sah sauber aus, nur hing ihm das blonde Haar ins Gesicht. Jetzt formte er die Hände zu einem Trichter vor dem Mund und rief etwas. Aber das geschah so leise, dass Ilona es nicht verstehen konnte. Sie musste lachen über den Knirps. Zuerst hatte er so getan, als wolle er ganz laut rufen, und dann war es nur ein Flüstern geworden.
Hinter seinem Rücken lief Ilona auf den Jungen zu. »Wer bist du denn?«, fragte sie.
Der Junge erschrak. Er sah sie mit großen Augen an. Schon wollte er die Flucht ergreifen. Aber das gelang ihm nicht. Ilona war mit zwei Sprüngen bei ihm und hielt ihn fest. Zugleich sagte sie: »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich tue dir nichts. Ich möchte nur endlich wissen, warum du dich immer an die Koppel heranschleichst.«
Der Junge senkte den Kopf und zeigte damit sehr deutlich, dass er Ilona nicht ansehen wollte, die ihn noch immer festhielt. Doch jetzt legte sie den Arm um seine Schultern. »Sag mir doch wenigstens, wie du heißt.«
Der Junge zögerte. Er biss sich auf die Unterlippe. Dann sah er zu Ilona empor und sagte: »Flori.«
»Flori? Das ist ein schöner Name. Dann heißt du sicher Florian.«
Der Junge schüttelte den Kopf.
»Nein, Florentin.«
»Und wie noch?«
»Das sage ich nicht.«
»Also, dann behalte es für dich.« Ilona lachte. »Mir genügt es auch, wenn ich weiß, dass du Flori heißt. Schließlich muss ich wissen, wie ich dich anreden soll, wenn du, sooft in unsere Nähe kommst. Ich heiße Ilona. Kannst du dir das merken?«
Flori ließ sich aus seinem Trotz herausreißen. »Ich bin doch bald sechs. Nächstes Jahr gehe ich zur Schule.«
»Wo wird das sein? In Bachenau, Flori?«
Der Junge zuckte die Schultern. »Großvater weiß noch nicht, wo wir dann sein werden.« Jetzt erschrak er wieder. Sicher war er sich bewusst geworden, dass er schon zu viel verraten hatte.
»Ach so, du lebst bei deinem Großvater.« Ilona neigte sich zu Flori hinab. »Weißt du was? Komm doch mit mir auf den Rosshof. Ich habe einen ganz herrlichen Mohnkuchen gebacken. Der schmeckt dir sicher.«
Floris Augen begannen sehnsüchtig zu leuchten. Gleich darauf aber sah er sich wieder scheu um. »Aber in dem Haus ist vielleicht der alte Mann.«
»Unseren Janosch meinst du?«
»Ja, den Mann mit den Stiefeln und dem Hemd, das ihm immer über die Hose heraushängt.«
Jetzt musste Ilona laut lachen. »Du, mach Janosch nur nicht zum Vorwurf, dass sein Hemd so weit über die Hose heraushängt. Das ist er so gewöhnt. Weißt du, Janosch ist nicht von hier. Er kommt aus Ungarn. Dort war er ein Csikos. Achso, du weißt sicher nicht, was das ist. Ich meine, Janosch war ein Pferdehirt.«
Der Junge sah Ilona jetzt sehr verständnisvoll an. Allmählich schien er Vertrauen zu ihr zu gewinnen. »Und hier ist er auch wieder Pferdehirt. Ich sehe ihn immer auf der Koppel.«
»Aber du brauchst keine Angst vor ihm zu haben. Janosch mag Kinder ebenfalls sehr gern. Komm mit, Flori.«