Engel an meinem Bett - Anand Dilvar - E-Book

Engel an meinem Bett E-Book

Anand Dilvar

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Beschreibung

Das Leben lieben lernen. Was braucht ein Mensch, um sich nicht länger als Sklave eines ungerechten Schicksals zu fühlen? Ein schrecklicher Unfall lähmt den Körper des Erzählers. Ohne sich verständigen zu können, kann er alles um sich herum verfolgen und ist seinen Erinnerungen und dem Krankenhauspersonal hilflos ausgeliefert. Gefangen im Wachkoma, lernt er im inneren Gespräch mit seinem "spirituellen Führer", dass er nicht der Gefangene seines Körpers sein muss und seine Familie sowie die eigene Vergangenheit mit neuen Augen sehen kann. Als er aus dem Koma erwacht, richtet er sein Leben hoffnungsvoll auf eine neue Zukunft aus.

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Seitenzahl: 111

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Engel an meinem Bett

Titel der OriginalausgabeEl Esclavo© 2001 Anand Dilvar (Francisco J. Ángel)Herausgegeben von Francisco Javier Ángel Real, Editión especial

Vollständige E-Book-Ausgabe der beiJ.Kamphausen Verlag & Distribution GmbHerschienenen Printausgabe

Anand Dilvar:

Lektorat: Adele Gerdes

Engel an meinem Bett

Umschlaggestaltung: Dietlind Ehlers

© Lüchow in J. Kamphausen Verlag &

(Motiv: fotolia/bonsy)

Distribution GmbH, Bielefeld 2011

Typografie/Satz: KleiDesign

Projektleitung: Marianne Nentwig

Druck & Verarbeitung Printausgabe:

Übersetzung: Wolfgang Hunklinger

Westermann Druck Zwickau GmbH

[email protected]

Datenkonvertierung E-Book:

www.weltinnenraum.de

Bookwire GmbH

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diesePublikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN E-Book: 978-3-89901-512-6ISBN Printausgabe: 978-3-89901-380-1

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.

Anand Dilvar

Engel an meinem Bett

Eine Geschichte über Liebe, Vergebungund die Freiheit des Geistes

Kapitel 1

Etwas lief sehr schief! Das wusste ich in dem Moment, als ich das Bewusstsein wiedererlangte.

Ein Licht blendete mich – und ich war völlig hilflos. Ich konnte nicht blinzeln! Und ich konnte auch nicht den Blick abwenden oder meine Arme heben, um mein Gesicht mit den Händen zu verdecken. Nichts von all dem war mir möglich.

Mein gesamter Körper war gelähmt – und durchzogen von einem entsetzlichen, nie zuvor gekannten Schmerz und einer Eiseskälte.

Vergebens versuchte ich, zu schreien … um Hilfe zu rufen! Kein Laut entwich meinen Lippen – als sei ich gefesselt und geknebelt –, während mich gleichzeitig infernalischer Lärm quälte.

Es vergingen etliche Stunden, in denen lediglich eines mich erfüllte: furchtbare Verzweiflung. Sie wurde zu panischer Angst, als schließlich einige Gedanken durch den Schmerz hindurch in mein Bewusstsein einsickerten …

„Wo bin ich?“

„Was ist mit mir los?“

„Ich bin tot!“

An diesem Punkt ließ mich diese entsetzliche Mischung aus Schmerz, panischer Angst und niederschmetternden Gedanken das Bewusstsein verlieren. Gott sei Dank!

Als ich wieder zu mir kam, wusste ich nicht: Waren Stunden oder Tage vergangen?

Ich konnte mich noch immer nicht bewegen, meine Augen waren vollständig geöffnet. Der Schmerz hatte ein wenig nachgelassen; das Licht vor mir blendete mich nach wie vor; doch es war erträglich, und ich war imstande zu erkennen, dass der furchtbare Lärm eine Art künstlicher, tiefer und kräftiger Atmung war … Ganz sicher war es nicht meine Atmung!

Das Nachlassen der körperlichen Qual öffnete das Tor zu einer anderen Art von Leiden: die Verwirrung in meinem Geist und das dringende Bedürfnis nach Antworten.

„Bin ich wirklich tot?“

„Was ist das für ein Atmen, das ich höre?“

„Was ist das, das ich in meinem Mund spüre und das mir im Hals kratzt?“

Nach und nach kamen die Erinnerungen wieder an das, was passiert war – wenn ich auch nicht wusste, ob es vor einem Tag oder vor einem Monat geschehen war: die Party, die Drinks, die Auseinandersetzung mit Laura und die Hartnäckigkeit Eduardos, der so fasziniert war von dieser blödsinnigen Droge und sie unbedingt ausprobieren wollte.

„Hör endlich auf zu trinken … Siehst du denn nicht, dass du dabei bist, dich zugrunde zu richten?“, hatte Laura mich angeschrien. „Ist es das, was du willst?“

„Ich will mich nicht umbringen. Ich will davonlaufen.“

„Wovor davonlaufen? Du bist verrückt.“

„Ja! Ich bin verrückt. Und du verstehst mich nicht … niemand versteht mich …“

Dann hatte ich die zwei blauen Tabletten zum Mund geführt, die Eduardo mir gab. Das war das Letzte, woran ich mich erinnerte.

„Oh mein Gott! Endlich habe ich es geschafft! Ich habe meinem Leben ein Ende bereitet. Doch das kann nicht sein! … Was ist los mit mir? Warum kann ich mich nicht bewegen? Warum kann ich die Augen nicht schließen?“

„Dieser Schwachkopf hat mich vergiftet“, dachte ich. „Ich bin in der Hölle. Ich bezahle für alles, was ich getan habe … Und es ist so viel schlimmer, als ich es mir je vorgestellt habe!“

Ich glaubte nicht an das Leben nach dem Tod – doch in diesem Augenblick fand ich keine andere Antwort.

„Nein, mein Gott, vergib mir bitte! … Gib mir noch eine Chance …“

Das Geräusch einer Tür, die geöffnet wurde, unterbrach meine Gedanken; dann nahm ich eine weibliche Stimme wahr.

„Aber was macht denn dieses Teil für einen Lärm?“, bemerkte sie.

„Es ist das Einzige, das wir haben! Du weißt doch, wie die Dinge hier stehen“, entgegnete ihr ein Mann.

„Wie ist es möglich, dass wir nur ein Gerät zur künstlichen Beatmung haben?“

„Es ist nun mal so … Und wir müssen aus dem, was wir haben, das Beste machen!“

„Und der hier, was ist mit ihm passiert?“

„Der hier? … Der war schon hinüber. Deck ihn ab, damit du es siehst.“

Ein Laken wurde von meinem Gesicht fortgenommen, und ich sah eine Frau in einem weißen Kittel, mit einem Gesichtsausdruck zwischen Staunen und Furcht.

„Er ist wach!“, rief sie.

Der Mann neben ihr beugte sich nieder, um mich anzusehen.

„Ach wo, so haben sie ihn gebracht. Als er in die Notaufnahme kam, sagten sie, er hätte einen Unfall gehabt. Er war völlig vergiftet, aber noch bei Bewusstsein. Er wiederholte immer wieder: ‚Laura, Laura, verzeih mir.’ Danach fiel er ins Koma und in eine Art von Rigor mortis, eine Art von Totenstarre. Und wegen dieser komatösen Starre konnten sie ihm seine Augen nicht mehr schließen.“

„Armer Schwachkopf, es wäre besser für ihn gewesen, er wäre gestorben.“

„Es wäre besser für uns gewesen! Jetzt müssen wir ihn am Leben erhalten wie eine Pflanze, und er belegt ein Bett, das andere brauchen, und vergeudet Energie.“

„Aber … kann er sehen, hören … spürt er etwas?“

„Natürlich nicht, sieh nur …“

Ich sah, wie er eine Kanüle in die Nähe meines Bettes bewegte, und spürte einen entsetzlich stechenden Schmerz in meinem Arm.

„Das tut weh, du Idiot! … Ich bin am Leben! Ich bin bei Bewusstsein. Hilf mir!“, versuchte ich, vergebens, ihn anzuschreien.

„Nutz die Gelegenheit, um das Serum auszuwechseln“, sagte der Mann. „Jemand muss ja die Pflanzen gießen.“

Die beiden brachen in schallendes Gelächter aus – und ich war voll Wut und Verzweiflung.

Der Mann ging hinaus; die Frau tauschte eine kleine Flasche aus, aufgehängt in einer Vorrichtung neben meinem Bett, und verließ dann auch eilig das Zimmer.

Jetzt hatte ich einige Antworten … das Gespräch wiederholte sich wieder und wieder in meinem Geist:

Ein Unfall? …

Er fiel ins Koma? …

Laura, verzeih mir? …

… Irgendjemand muss die Pflanzen gießen,

… die Pflanzen gießen …

… die Pflanzen.

Kapitel 2

In den ersten Tagen erkundete ich das Zimmer. Genau genommen erkundete ich den Teil des Raumes, den mein unbewegliches Blickfeld erfasste.

An der Zimmerdecke hing eine klapprige Neonlampe, die aussah, als könne sie jeden Moment herunterfallen. Rechts von meinem Bett war die Vorrichtung, von der ein Serumbehälter herabhing, den die Krankenschwester täglich austauschte. Noch weiter rechts konnte ich gerade noch einen Zylinder sehen, der einen schwarzen Blasebalg enthielt – einen Blasebalg, der sich im Rhythmus dessen hob und senkte, was ich nun schon als „mein Atmen“ wahrnahm.

Auf der linken Seite machte ich ein kompliziertes Gerät mit mehreren Schaltern, Lampen und Diagrammen aus. Später erfuhr ich: Es war dafür zuständig, meine Atmung, meinen Herzschlag und die Nährstoffversorgung zu überwachen; die Nährstoffe wurden mir mittels eines Schlauches verabreicht, der direkt in meinen Magen führte.

Hinter dem Gerät sah man einen Teil des Fensters – für mich eine Tortur! Vom Licht, das den ganzen Vormittag über hereinfiel, schmerzten meine Augen; es weckte mich und brachte mich wieder und wieder in die Hölle des Leidens zurück.

Dabei war der körperliche Schmerz jedoch nichts im Vergleich zum geistig-seelischen Schmerz! Die Hilflosigkeit, die Schuldgefühle, der Groll, die Angst und die Unmöglichkeit, meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen – all das traf in meinem Geist zusammen und machte mich nahezu wahnsinnig.

Jeden Tag flehte ich inständigst darum, nicht wieder aufzuwachen: Sehnlichst wünschte ich mir, diese Maschine, die mich am Leben erhielt, möge versagen und meinem Leiden so ein Ende bereiten.

Wer gab diesen Ärzten das Recht, mich am Leben zu erhalten? Was konnte es noch nützen? Ich vegetierte doch nur noch! Ich war eine verdammte Pflanze, unfähig, mich zu bewegen oder mich auszudrücken!

Das Gefühl unbeschreiblicher Machtlosigkeit ergriff von mir Besitz und verwandelte sich in Hass. Hass gegen die, die mich am Leben erhielten – Hass gegen das Leben selbst.

Die Krankenschwester hatte Recht: Es wäre besser gewesen, wenn ich gestorben wäre. Und doch kam sie jeden Tag herein, mit angsterfülltem Gesicht, um das Serum auszutauschen, das mich ernährte. Und obwohl sie mich für bewusstlos hielt, schaute sie mir niemals in die Augen. Eiligst überprüfte sie alle Schläuche, die von meinem Körper zu der Maschine führten, um dann schnellstens wieder zu verschwinden.

Jeden Tag, den ich sie kommen sah, bat ich sie inständig innerlich, sie möge doch vergessen, mich zu versorgen. Bemerkte sie denn nicht, dass sie mir ganz und gar keinen Gefallen tat, wenn sie mich am Leben erhielt?

„Hey, lass das jetzt bitte“, flehte ich dann, stumm und bewegungslos. „Wenn es dir solche Angst macht, mich anzusehen, komm einfach nicht mehr wieder, lass mich einfach sterben …“ Doch wieder und wieder sah ich sie ihre Routineaufgaben erledigen und mich dann zurücklassen … lebend. Immer und immer und immer und immer wieder …

„Verdammt noch mal, Schluss damit! Bitte! Unternehme doch, bitte, bitte, irgendjemand irgendetwas! Hilf mir jemand! Ich will nicht mehr leben!“

„Besser, du gewöhnst dich daran! Denn wie es aussieht, bist du noch eine ganze Weile da“, hörte ich plötzlich jemanden zu mir sagen. Doch … da war niemand im Zimmer!

„In was für eine beschissene Lage hast du dich nur gebracht“, beharrte die fremde Stimme.

„Wer bist du? Bist du ein Engel?“, erwiderte ich erschrocken. Irgendwie spürte ich: Die Stimme war anders …

„Ha! Du warst der Schlimmste der Gottlosen. Und jetzt glaubst du an Gott und seinen ganzen himmlischen Hofstaat? Sei nicht albern.“

„Aber … wie kannst du wissen, was ich denke? Bin ich verrückt geworden?“

„Das ist wahrscheinlicher.“

„Dann gibt es dich nicht wirklich?“

„Schau mal … die Sache ist die: Ich kann dir nichts sagen, was du nicht schon wüsstest. Vielleicht wird dir später klar, wer ich bin.“

„Aber … Laura geht es gut? Warum kommen meine Eltern mich nicht besuchen? Und wann werde ich sterben? Und: Ist das hier eine Strafe?“

„Mann, was bist du doch starrsinnig! Ich weiß nichts, was du nicht auch wüsstest.“

„Dann nützt du mir aber wenig.“

„Wenn du willst, gehe ich wieder.“

„Nein!!! Bitte! Geh nicht fort!“

In diesem Augenblick erinnerte ich mich daran: Laura hatte manchmal von spirituellen Führern gesprochen, mit denen man sich verständigen kann, wenn man reichlich meditiert. Ich hatte das für ein Ammenmärchen gehalten.

„Ich hielt es auch für ein Ammenmärchen“, erwiderte die Stimme, „Aber das mit dem ‚Führer’ gefällt mir.“

Konnte ein spiritueller Führer dermaßen sarkastisch und unverschämt sein?

„Sieh mal … wenn du mich nicht leiden kannst, gehe ich wieder. Dann war’s das.“

„Nein, sei nicht gleich eingeschnappt, ich will nur begreifen, was hier vor sich geht.“

„Ein bisschen spät! Besser, du hättest vor der Dummheit, die du da verzapft hast, zu begreifen versucht, was vor sich geht.“

„Ich wollte doch nur davonlaufen, flüchten … vor all den Problemen.“

„Ha! Du wolltest vor deinen Problemen davonlaufen – und hast dich in einen Sklaven verwandelt.“

„Einen Sklaven?“

„So ist es. Du hast keine Wahl; du kannst dich weder bewegen noch äußern. Mehr noch, du könntest dir nicht einmal das Leben nehmen, wenn du wolltest.“

„Und du bist gekommen, damit ich mich noch schlechter fühle?“, erwiderte ich.

„Ich bin gekommen? Ich bin immer bei dir gewesen. Das Problem ist, dass du mir nie zuhören wolltest. Außerdem: Niemand kann dich etwas fühlen lassen.“

„Welch ein Blödsinn! Natürlich können andere mich etwas fühlen lassen! Meine Eltern haben fortwährend dafür gesorgt, dass ich mich ärgerte. Meinen Geschwistern hatte ich zu verdanken, dass ich mich stets minderwertig fühlte. Meine Partnerinnen haben mich ständig enttäuscht und verletzt.“

„Sieh mal, ich werde es dir anders erklären … Bevor du hierher kamst, warst du gänzlich frei, niemand und nichts hatte Macht über dich. Du hattest die Gelegenheit, alles zu tun, was du wolltest … du warst Herr über dein Leben.“

„Und was hat das mit meinen Gefühlen zu tun?“

„Immer mit der Ruhe! Warum hast du es so eilig? Wir haben doch jetzt viel Zeit, um nachzudenken und zu plaudern.“

„Du bist ein Zyniker!“

„Machen wir weiter. Du warst außerdem frei, zu denken, was du wolltest, und somit frei, deine Gefühle zu wählen.“

„Wie bitte? Meine Gefühle zu wählen?“

„Ja, deine Gefühle können nur aus deinen Gedanken kommen – und so funktioniert das Ganze:

Du denkst an etwas Trauriges und du wirst traurig; du denkst an etwas Ärgerliches und du ärgerst dich; du glaubst, die anderen könnten dich verletzen oder enttäuschen oder dafür sorgen, dass du dich schlecht fühlst. Doch niemand kann in deinen Geist eindringen und dich etwas denken oder fühlen lassen.

Selbst jetzt, in diesem Moment, könnten die anderen deinen Körper bewegen und mit ihm machen, was sie wollen; sie könnten sogar diese Maschine ausschalten, die dich am Leben erhält. Aber in deinem Geist hast noch immer du die Kontrolle.“

„Du hast doch behauptet, du könntest mir nichts sagen, was ich nicht schon wüsste!“

„Aber das Einzige, was das beweist, ist: Du bist nicht so dumm, wie du dachtest.“

„Wieder diese Beleidigungen …“