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Masterarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Didaktik für das Fach Englisch - Pädagogik, Sprachwissenschaft, Note: 1,3, Universität Münster, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit beschäftigt sich - wie der Titel schon sagt - mit dem Englischunterricht ab der ersten Klasse und dessen Begründungen und Wirksamkeit. Im Februar 2009 wurde in allen staatlichen Schulen in NRW der Englischunterricht ab Klasse 1 eingeführt. Bereits im Vorfeld hat es heftige Diskussionen darüber gegeben, ob es überhaupt sinnvoll sei, mit der ersten Fremdsprache so früh zu beginnen. Es wurden Bedenken angemeldet, dass der zusätzliche Untericht die Kinder überfordern könnte. Andere verteidigten die Position des 'je früher, desto besser'. Doch was ist denn nun'richtig'? Was ist das sogenannte 'ideale Alter'? Welche Begründungen finden sich in der Gesellschaft, der Pädagogik, der Entwicklungs- und Lernpsychologie? Welche didaktischen und methodeischen Folgerungen können aus dem Wissen über den Erstspracherwerb und den ungesteuerten Zweitspracherwerb für einen wirksamen frühen Englischunterricht gezogen werden? Welche grundlegenden Prinzipien müssen eingehalten werden, um einen wirksamen Englisch-, bzw. Fremdsprachenunterricht gewährleisten zu können? Gehen die Ziele des aktuellen Lehrplans überhaupt mit den bisherigen Erkenntnissen konform? Was sind die Ergebnisse empirischer Untersuchungen (z.B. KESS, LAU, EVENING, WiBe)in Bezug auf die Wirksamkeit des frühen Englischunterrichts? Und sind die Schulen und Lehrkräfte auf die rasch implementierte Neuerung des frühen Fremdsprachenunterrichts überhaupt ausreichend vorbereitet und ausgebildet? Diese und viele weitere Fragen werden im Laufe der Arbeit ausführlich erörtert. Dabei zeigt die Arbeit durch die intensive Auseinandersetzung mit den Prinzipien des frühen Englischunterrichts auch wertvolle Tipps für Englischlehrkräfte im Frühbeginn aus - wie kann ich als Lehrkraft das frühe Englischlernen der Kinder besonders wirksam gestalten? So besteht die Arbeit nicht nur aus einer intensiven Beschäftigung mit der Frage, ob Englischunterricht ab der ersten Klasse sinnvoll ist, sondern auch aus wertvollem up-to-date-Hintergrundwissen und konkreten Hinweisen und Tipps für einen effektiven Unterricht.
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Veröffentlichungsjahr: 2011
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Im Februar diesen Jahres (2009) wurde in NRW der Englischunterricht ab der ersten Klasse an staatlichen Schulen eingeführt. Bereits im Vorfeld gab es heftige Diskussionen darüber, ob es überhaupt sinnvoll sei, mit der ersten Fremdsprache bereits so früh zu beginnen. Sowohl Eltern als auch Lehrer1und Sprachwissenschaftler meldeten Bedenken an, dass der zusätzliche Unterricht die Kinder überfordern könne. Zwei Unterrichtsstunden in der Woche seien ohnehin zu wenig, um eine Sprache zu erlernen. Auf der anderen Seite wurde und wird vielfach die Position des ‚je früher desto besser‘ vertreten, die scheinbar geradezu darauf drängt, Englisch schon ab Klasse 1 - wenn nicht sogar schon ab dem Kindergarten - einzuführen. Auch jetzt noch, nach der Einführung, sind die Meinungen geteilt. Dies geht hervor aus verschiedenen Stellungnahmen besonders in den schriftlichen Medien. In manchen Artikeln wird der frühe Beginn gelobt und die anscheinend gelungene Einführung beschrieben. In anderen Artikeln wird der Nutzen bezweifelt und die angeblich mangelnden Vorbereitungen sowie die Art der Einführung kritisiert.
Von der politischen Seite aus wird das Lernen von Englisch in der Grundschule als gesellschaftlich zunehmend wichtig angesehen. Nordrhein-Westfalen nimmt mit der flächendeckenden Einführung des Fremdsprachenunterrichts ab Klasse 1, wie Barbara Sommer unterstreicht, zusammen mit Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Brandenburg, eine Vorreiterposition in Deutschland ein.
In der Tat begegnet uns die englische Sprache verstärkt überall in unserer Umgebung; sie ist gar nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Es bietet sich also offenbar an, daran anzuknüpfen und die Kinder möglichst früh in dieser Sprache zu unterrichten. Auch im europäischen Ausland, wie z.B. in Norwegen oder Österreich, wurde das frühe Fremdsprachenlernen - hauptsächlich von Englisch - schon vor längerer Zeit eingeführt.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, zu untersuchen wie dieser frühe Beginn begründet wird und welche organisatorischen und didaktisch-methodischen Voraussetzungen für einen erfolgreichen, bzw. wirksamen Englischunterricht ab Klasse 1 gegeben sein müssen und dessen wirksame Weiterführung. Es gilt herauszufinden, welche Effekte der frühe FU auf die Schüler und welche Folgen er auf den Unterricht insgesamt hat. Dazu werden Erkenntnisse zum Frühbeginn sowie die daraus resultierenden Prinzipien, die für den frühen Fremdsprachenunterricht2gelten sollten, dargestellt und erläutert. Ebenso gilt es, den derzeitigen Stand der empirischen
1Zur lesefreundlichen Gestaltung des Textes werden in dieser Arbeit Schüler und Schülerinnen, Lehrer und Lehrerinnen sowie Autoren und Autorinnen usw. nur mit dem männlichen Terminus bezeichnet.
2‚Fremdsprachenunterricht‘ wird im Folgenden mit ‚FU‘ abgekürzt, mit Ausnahme der Kapitelüberschriften und der Zitate.
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Forschung zum Frühbeginn bezüglich der Wirksamkeit des Englischunterrichts ab dem ersten Schuljahr darzustellen und mit den Erkenntnissen der Arbeit abzugleichen. Dazu gehören die substantiellen Grundlagen, wie z.B. ausgebildete Englischlehrer, die kindgerechte Vermittlung und ein schulübergreifendes Gesamtkonzept. Es sollen aber insgesamt nicht nur Begründungen pädagogischer und lernpsychologischer Natur für den Englischunterricht ab der ersten Klasse eruiert werden, sondern auch Begründungen, die gesellschafts- politischer und wirtschaftlicher Art sind.
‚NRW‘ steht im Titel in Klammern, da sich die Arbeit nicht nur mit Grundschulenglisch in NRW befasst, sondern zunächst allgemein die Begründungen für den frühen Fremdsprachenerwerb eruiert werden sollen. Der Bezug zu NRW wird dort hergestellt, wo es um die konkreten unterrichtlichen Grundlagen wie Lehrerausbildung, Übergangsproblematik, Lehrplan und die Anzahl der in Englisch zu unterrichtenden Wochenstunden geht. Verschiedene mögliche Modelle des Frühbeginns, wie z.B. das bilinguale Modell oder das Immersionsmodell, etc. werden nicht erläutert, da sie für die flächendeckende Einführung des Englischunterrichts an den staatlichen Grundschulen in NRW nicht relevant sind, obwohl es inzwischen Pilotschulen (wie z.B. die Europaschule [siehe dazu Keferstein 2007]) dazu gibt. Laut dem Bericht der Kultusministerkonferenz (KMK) herrscht bundesweit Einigkeit über das Konzept, nach dem früher Fremdsprachenunterricht in der Grundschule erteilt wird, und zwar „systematisch[e] und themenorientiert[e] […] auf Grundlage eines (Rahmen-) Lehrplans mit ergebnisorientierter Progression“ (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2005, 2/15). Der Rahmenlehrplan ist mittlerweile deutschlandweit etabliert.
Zu dem vorliegenden Thema stellen sich folgende Fragen: Welche Argumente werden für den Frühbeginn Englisch angegeben? Was sind die Ziele des fremdsprachlichen Frühbeginns, sind sie zu erfüllen (in NRW)? Was wird von den Kindern erwartet? Ist zu erwarten, dass die Kinder durch den früheren Beginn die Fremdsprache schneller und besser erlernen? Wie soll am besten - kindgemäß - im ersten Schuljahr unterrichtet werden? Kann Fremdsprachenunterricht zu früh erfolgen? Wie sind die Englischlehrkräfte ausgebildet und welchen (Sprach)Einfluss haben sie auf die Kinder?
Zu einigen dieser Fragen kann bereits der folgende historische Rückblick über den frühen FU eine Auskunft geben. Es werden in der Arbeit durchgehend, wo es möglich ist, empirische Studien angegeben, um die theoretischen Überlegungen zu stützen, um am Schluss der Arbeit einen Überblick über die wichtigsten aktuellen Studien und Projekte zu geben.
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2. Zur Historie, Begründung und Wirksamkeit des frühen Fremdsprachen-unterrichts
Es hat schon seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts Ansätze gegeben, modernen FU an staatlichen deutschen Grundschulen regional oder flächendeckend einzuführen. Diese Versuche sind jedoch zum größten Teil gescheitert. Im Folgenden wird ein Überblick über die Entwicklung des frühsprachlichen Unterrichts ab den frühen Anfängen bis heute gegeben. Dabei ist für diese Arbeit von Interesse, wie dieser Frühbeginn begründet wurde, unter welchen Bedingungen er in der Vergangenheit stattfand und aus welchen Gründen sich der früh beginnende FU in der Vergangenheit nicht durchgesetzt hat.
Schon in den zwanziger und dreißiger Jahren wurden in den USA Schulversuche zum frühen Fremdsprachenlernen durchgeführt (vgl. Jaffke 1996, 18), welche die pädagogischen Reformbewegungen in Deutschland positiv beeinflussten (vgl. Pfitzer 2006, 16; Demircioglu 2008, 14). Zur Zeit der Weimarer Republik wurden an Waldorfschulen ab Klasse 1 und einigen staatlichen Schulen ab Klasse 3 im Schuljahr 1919/20 wahlweise Englisch oder Französisch eingeführt. Dabei kamen im Unterricht sowohl an Staatsschulen als auch an Waldorfschulen inhaltlich-methodische Reformen zum Tragen, die besonders das Mündliche und Spielerische betonten (vgl. Demircioglu 2008, 15). 1933, zur NS-Zeit, wurden diese Projekte ausgesetzt und erst in den sechziger Jahren an staatlichen Schulen teilweise wieder aufgenommen (vgl. Böttger 2005, 15). Die Ausnahmen dazu bildeten Waldorfschulen, die bereits ab 1945 den Englisch-, Französisch- und später Russischunterricht ab Klasse 1 wieder aufnahmen (vgl. Pfitzer 2006, 17). Und auch an den staatlichen Schulen des Saarlands - zu dieser Zeit französische Besatzungszone - wurde Französisch ab dem Schuljahr 1946/47 von der zweiten bis zur vierten Klasse obligatorisch eingeführt. Dies sollte vor allem dazu dienen, „die Beziehungen zwischen Besetzern und Besetzten zu erleichtern“ (Kubanek-German 2001, 114) - es handelte sich demnach also um einen Ansatz mit dem Ziel, Verständigung und Toleranz zwischen den Völkern zu schaffen.
Ein weiterer interessanter Versuch in der Grundschule bereits bilingual zu unterrichten, soll hier nicht verschwiegen werden3. Das Projekt fand Anfang der Fünfziger Jahre4in Schwetzingen (Baden-Württemberg) statt. Es wurde von einem Grundschullehrer der dritten Klasse
3Obwohl Projekte zum bilingualen Lernen in dieser Arbeit nicht weiter dargestellt werden.
4Hier widersprechen sich die Äußerungen: bei Pfitzer steht, dass der Schulversuch 1950/51 stattgefunden hat, bei Kubanek-German heißt es, er sei Ende der vierziger Jahre durchgeführt worden (vgl. Kubanek-German 2001, 120). Da bei Pfitzer ein genaues Schuljahr angegeben ist und es wiederholt heißt, dass der Versuch Anfang der Fünfziger stattgefunden habe, übernehme ich dieses Datum.
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durchgeführt und von Prof. Artur Kern, einem Vertreter der Ganzheitsmethode, begleitet. Auf Englisch unterrichtet wurde das Fach deutsche Heimatkunde. Mit diesem (bilingualen) Pilotprojekt, welches positive Ergebnisse aufweisen konnte, war Kern seiner Zeit weit voraus. Die Idee, Heimatkunde, also Fachunterricht, auf Englisch zu erteilen, wurde in den Sechzigern allerdings nicht weiter verfolgt (vgl. Pfitzer 2006, 1f.; Kubanek-German 2001, 120ff.). Generell wurde ab 1950 jedoch Kritik am fremdsprachlichen Frühbeginn ab Klasse 2 laut. Die wichtigsten Argumente gegen den Frühbeginn waren:
Es gebe zu wenig kompetente Lehrer […]. 2. Der Stundenplan sei für die Grundschulkinder ohnehin überfüllt. 3. In der Grundschule seien die Kinder vor allem mit Lesen- und Schreibenlernen der Muttersprache beschäftigt. 4. Das siebte Lebensjahr sei unter psychologischen Gesichtspunkten zu früh, besonders für die weniger Begabten. 5. Für die Lehrer entstehe eine zusätzliche Bürde ohne entsprechende Anerkennung. (Kubanek-German 2001, 116)Diese Argumente gegen den Frühbeginn werden auch heute noch von Kritikern angeführt und sollen im Verlauf dieser Arbeit auf ihre Richtigkeit untersucht werden.
Gegen Ende der fünfziger Jahre gab es erneut den bildungspolitischen Anstoß, Versuche zum Fremdsprachen-Frühbeginn mit Englisch (vorwiegend ab Klasse 3) in Deutschland durchzuführen, und zwar von verschiedenen Seiten. Ausschlaggebend war vermutlich die Tatsache, dass sich die englische Sprache zurlingua franca,der internationalen Verkehrssprache entwickelt hatte. Außerdem bestätigten die damals aktuellen Forschungen von Wissenschaftlern der Neurophysiologie die Wichtigkeit des frühen Beginns des Fremdsprachenlernens, wie z.B. die Untersuchungen zumoptimal age5von Wilder Penfield und Lamar Roberts oder Eric Lenneberg (vgl. Jaffke 1996, 17f; Böttger 2005, 15; Graf/Tellmann 1997, 53). Der Fremdsprachendidaktiker Helmut Sauer begründete die damalige Vorverlegung des Fremdsprachenlernens damit, dass die Grundschüler durch den Zeitgewinn „die fremdsprachlichen Leistungen steigern und die Chancen für eine Diversifikation der Schulsprachen im Sekundarbereich durch eine früher einsetzende zweite Fremdsprache erhöhen“ (Sauer 1993, 89) könnten. Er sah demnach den Nutzen nicht nur in der Leistungssteigerung in der ersten Fremdsprache, sondern auch in einer positiven Wirkung auf den weiteren Fremdsprachenerwerb an einer weiterführenden Schule.
Weitere Anstöße für den Frühbeginn gaben auch einige vielversprechende Schulversuche. Das vorrangige Ziel dieser Versuche war es herauszufinden, ob und wie der frühere Beginn fremdsprachliche Kompetenz steigern könnte. Dazu zählte beispielsweise der ab 1961 in Kassel durchgeführte Versuch mit der Fremdsprache Englisch (von der 3. bis zum Ende der 5.
5Weitere Überlegungen zu diesem Thema unter Kapitel 5.3.5 ‚Das ideale Alter‘.
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Klasse). Hierbei wurde u.a. die Frage untersucht, wie sich der frühere Beginn des FU u.a. bei einer konsequenten und organisierten Weiterführung im Sekundarbereich auswirken würde. Die Ergebnisse wurden durchgehend positiv bewertet:
Alle Schüler haben eine recht saubere Aussprache, sie wenden die Satzmuster und neuen Wörter auch im freien Gespräch richtig an, sie lesen gut, grammatische Probleme werden schnell erfasst. Ihr Wortschatz ist erheblich größer als der einer normalen Sexta. Ein schnelles Arbeitstempo ist möglich, die Zahl der pro Stunde eingeführten Wörter ist erheblich größer als die in Normalklassen.
Dazu bleibt anzumerken, daß von der bewältigten Stoffmenge her die Versuchsgruppen zu Ende der Klasse 5 einen Stand erreicht hatten, der von der Normalklasse sonst etwa am Ende des ersten Halbjahres in Klasse 6 erreicht wird.
Es wäre jedoch verfehlt, den Erfolg des Schulversuchs nur im sachlich Meßbaren erkennen zu wollen. Als weitaus wesentlicheres Ergebnis muß betrachtet werden, daß die Schüler die Fremdsprache völlig unbefangen handhaben, sie als echtes Kommunikationsmittel gebrauchen und sich innerhalb der vertrauten Strukturen frei in ihr bewegen. Durch die frühe Bekanntschaft mit der Fremdsprache haben sie bereits einen Grad an Identifikation mit ihr entwickelt, den der Schüler in der Höheren Schule sonst erst zu einem viel späteren Zeitpunkt erreicht. (Martens/Windemuth 1970, 47)
Auch im ‚Hamburger Schulversuch’, der in den Sechzigern durchgeführt wurde, wurden positive Ergebnisse nach zweijährigem Unterricht in Englisch an der Grundschule festgestellt: Der Lautbestand wurde befriedigend und der vermittelte Wortschatz sehr gut (von 72% bis zu 96%) beherrscht und die Schüler waren in der Lage, einfache Aussagen selbstständig zu formulieren sowie Wünsche und Befehle zu äußern (vgl. Jaffke 1996, 20). Weitere, anfänglich vielversprechende Ergebnisse kamen aus dem bekannten überregionalen Frühbeginn-Langzeitversuch mit Französisch in England, der vom Bildungsministerium veranlasst und im Jahr 1964 von derNational6Foundation of Educational Research(NFER) durchgeführt wurde. Ungefähr 13000 Kinder sollten vom Anfang der 2. bis zum Ende der 6. Klasse im FU begleitet und deren fremdsprachliche Leistungen analysiert werden (Burstall 1969, 180f.).
Ein Jahr vor dem Abschlussbericht des NFER-Projekts erschienen im Jahr 1973 in Baden-Württemberg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen die ersten Rahmenrichtlinien für den Englischunterricht an Grundschulen, nachdem die Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder von 1970 empfohlen hatte, die Fremdsprachenvermittlung in den Jahrgangsstufen 3 und 4 anzubieten (vgl. KMK 1994, 6). Jedoch kam es nicht zur allgemeinen Einführung des frühen FU, da u.a. im Abschlussbericht der englischen Studie nach acht Jahren Testphase ‚Frühbeginn‘ keine Verbesserung der fremdsprachlichen Kompetenz der Schüler verzeichnet werden konnte, bis auf einen geringen Vorsprung im Bereich des Hörverständnisses (vgl. Jaffke 1996,
6Bei Jaffke (1996, 21) und Pfitzer (2006, 18) steht NFER fälschlicherweise ausgeschrieben alsNuffield Foundation for Educational Research.Richtig istNational Foundation for Educational Research.Die NFER und dieNuffield Foundationunterstützen lediglich von Zeit zu Zeit das gleiche Projekt (siehe http://www.nfer.ac.uk/index.cfm, http://www.nuffieldfoundation.org/).
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21f.; Sauer 1993, 86, Demircioglu 2008, 15). Diese Ergebnisse hatten negative Auswirkungen auf die gesamte Entwicklung des Frühbeginns in Deutschland. Denn die negativen Resultate des NFER-Projekts wurden durch die Kultusministerien unreflektiert auf die eigenen Schulversuche übertragen. Dabei wurde nicht beachtet, dass in den Unterrichtsversuchen der NFER der formal- grammatisch orientierte FU der Sekundarstufe einfach in die Primarstufe vorverlegt wurde. Das bedeutet, dass der Unterricht nicht altersgerecht durchgeführt wurde, und somit durch die Nichtbeachtung von grundschulpädagogischen Prinzipien für den frühen FU7nicht erfolgreich seinkonnte.Daher sollten die Ergebnisse dieses Versuches auch nicht als Argumente gegen den Frühbeginn herangezogen werden (vgl. Freudenstein 1989, 339ff.). Als Folge der negativen Ergebnisse der NFER-Studie wurden damals in allen Bundesländern (bis auf Hessen) die Projekte zum Frühbeginn abgebrochen und für neue Frühbeginn-Versuche wurden keine weiteren finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt (vgl. Jaffke 1996, 23). Dies geschah, obwohl Doyé und Lüttge 1977 mit einer fünf Jahre dauernden Untersuchung nachweisen konnten, dass „die Teilnahme am Frühbeginn des Englischunterrichts auch noch am Ende des 7. Schuljahres meßbare Leistungsvorteile [brachte] gegenüber solchen Schülern, die erst im 5. Schuljahr ihren ersten Englischunterricht erhielten“ (Doyé/Lüttge 1978, 102f.). Doch die Frühbeginn-Versuche wurden nicht nur wegen des negativen Resultats des NFER-Projekts abgebrochen, dessen audiovisuelle Unterrichtsprogramme und Methoden im Übrigen später von mehreren Seiten kritisiert wurden (vgl. Jaffke 1996, 22). Laut Böttger scheiterten die Versuche aus nur zwei Gründen, nämlich weil „für den frühen Fremdsprachenunterricht nicht genügend ausgebildete Lehrer bereit[standen]“ (Böttger 2005, 15) und wegen der Problematik, „die in der Grundschule erworbenen Kenntnisse an den Unterricht in den 5. Klassen der weiterführenden Schulen anzuknüpfen“ (ebd.). Das heißt, aus seiner Sicht scheiterte der Fremdsprachenfrühbeginn aus rein organisatorischen, bzw. äußeren, nicht aber aus pädagogi-
schen oder lernpsychologischen Gründen. Auch Jaffke und andere Fremdsprachenforscher führen das Scheitern des Frühbeginns nicht auf pädagogische oder lernpsychologische Faktoren zurück. Jaffke beispielsweise schiebt es auf die fehlende Durchsetzungsbereitschaft seitens der Lehrerschaft und der Schulverwaltung, dass Anfang der siebziger Jahre nicht mit der Einführung des frühen Englischunterrichts begonnen wurde (vgl. Jaffke 1996, 20f). Als weitere Gründe gelten die vorrangig notwendige sprachliche Förderung von Kindern mit Migrati-onshintergrund in der Zweit -und Schulsprache Deutsch, die mangelnde Verknüpfung und Koordination von Schulversuchen zum FU in der Grundschule, sowie der Unwille der Bildungspolitik, bei empirisch nicht eindeutig belegtem Nutzen des frühen FU weitere Ressour-
7SieheWeiteres zu den grundlegenden Prinzipien im frühen FU in Kapitel 6.
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cen zur Verfügung zu stellen (vgl. Thürmann 2009, 6). Der Frühbeginn wurde also auch deshalb nicht weiter verfolgt, weil die Frühbeginn-Versuche unter zu unterschiedlichen Bedingungen ausgeführt wurden und somit stark variierende Ergebnisse die Folge waren. Diese Ergebnisse hatten für die Politiker nicht genügend Aussagekraft, um den Weg für einen generellen Frühbeginn zu ebnen.
Es bleibt also festzuhalten, dass es in der Geschichte des Fremdsprachenfrühbeginns schon mehrere Versuche in verschiedenen Teilen Deutschlands gab, Englisch (oder andere Sprachen) in der Grundschule einzuführen. Diese Versuche scheiterten in der Vergangenheit auf-grund der oben dargelegten Gründe. Interessanterweise gab es aber auch Versuche mit positiven Ergebnissen, und deutlich messbarer Wirksamkeit des Frühbeginns. Bei diesen wirksamen Versuchen waren stets drei Faktoren gegeben, nämlich „1. Grundschulgemäßes Lernen, 2. Sprachlich und methodisch qualifizierte Lehrkräfte, 3. Bruchlose Kontinuität des Lernens in den Sekundarschulen“(Sauer, 2000, 31).
Auffällig ist, dass es trotz der erfolgreichen Frühbeginn-Versuche ab Klasse 3 keine nennenswerten Versuche ab Klasse 1 oder 2 gegeben hat. Lediglich Jaffke schreibt über Versuche in einer ersten und einer zweiten Klasse (Jaffke 1996, 20). Ein Grund dafür mag sein, dass es in den sechziger und siebziger Jahren hauptsächlich um die Kompetenzsteigerung im Bereich der ‚4 Fertigkeiten‘ und den Kosten-Nutzen-Faktor ging. Pädagogische oder gesellschaftspolitische Ziele, wie die Erziehung zu Toleranz und die Erweiterung des Weltbildes, waren bei den Versuchen der sechziger und siebziger Jahre an staatlichen Schulen nur nachgeordnet relevant (vgl. Sauer 1993, 85). Den Zielen (z.B. Erziehung zur Toleranz) und Erfolgen von Waldorfschulen, die immerhin schon seit 1919 zwei Fremdsprachen ab dem ersten Schuljahr mit Rudolf Steiners anthropologisch-pädagogischen Ansatz unterrichten, wurde von staatlicher Seite wenig Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. Jaffke 1996, 32).
Im Zuge des zusammenwachsenden Europas gab es in den achtziger Jahren hinsichtlich des frühen FU neue Akzentsetzungen. Die empirischen Forschungen der sechziger und siebziger Jahre hatten zwar nicht die erhofften überzeugenden Ergebnisse zur Leistungssteigerung erbracht, doch wurde die Fremdsprachenvermittlung in der Grundschule jetzt nicht mehr hauptsächlich unter linguistisch-leistungsmäßigen Gesichtspunkten gesehen. Es traten stattdessen im Kontext neuer Bildungskonzepte (wie dem grundschulpädagogischen Ansatz, dem interkulturellen Ansatz und dem ‚bilingualen‘ Modell8) zunehmend Aspekte wie z.B. die Forde-
8SieheBemerkung zum ‚bilingualen‘ Modell in der Einleitung.