Entflammte Nacht - Gail Carriger - E-Book

Entflammte Nacht E-Book

Gail Carriger

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Beschreibung

Lady Alexia Maccon wurde von ihrem Ehemann wegen Untreue verstoßen, denn sie ist schwanger, und Werwölfe können keine Kinder zeugen. Doch Alexia hat ihn nicht betrogen. Fest entschlossen, ihre Unschuld zu beweisen, bricht sie nach Italien auf, in die Heimat ihres Vaters. Dort hofft sie, einen Hinweis darauf zu finden, wie sie trotzdem schwanger werden konnte. Denn nur so kann sie das Herz ihres geliebten Werwolfs zurückgewinnen …

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Gail Carriger

Entflammte Nacht

Roman

Aus dem Englischen von Anita Nirschl

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Blameless« bei Orbit, New York.

1. Auflage

Deutsche Erstausgabe August 2011

Copyright © der Originalausgabe 2010 by Tofa Borregaard

This edition published by arrangement with Little, Brown and Company, New York, New York, USA. All rights reserved.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Umschlagmotiv: © Illustration Max Meinzold/HildenDesign, unter Verwendung von Motiven von Yaro/Shutterstock

Redaktion: Peter Thannisch

HK · Herstellung: sam

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN 978-3-641-05805-0

www.blanvalet.de

1

Die Misses Loontwill setzen sich mit einem Skandal in ihrer Mitte auseinander

Wie lange müssen wir diese schreckliche Demütigung denn noch ertragen, Mama?«

Lady Alexia Maccon, die gerade das Frühstückszimmer hatte betreten wollen, hielt inne, als die nicht gerade liebliche Stimme ihrer Schwester Felicity schrill die anheimelnden Geräusche von klappernden Teetassen und knusperndem Toast durchschnitt. Wenig überraschend stimmte gleich darauf Evylin in das morgendliche Duett wohlgeübter Quengelei mit ein.

»Ja, Mamilein, solch ein Skandal unter unserem Dach! Man kann wirklich nicht von uns erwarten, dass wir das noch länger hinnehmen.«

Felicity bekräftigte noch einmal ihren Standpunkt. »Es ruiniert unsere Chancen …«, knusper, knusper, »… unwiderruflich. Das ist völlig untragbar! Wirklich, das ist es.«

In der Hoffnung, noch mehr belauschen zu können, tat Alexia so, als wolle sie im Flurspiegel ihr Aussehen noch einmal überprüfen, doch zu ihrer großen Verärgerung kam Swilkins, der neue Butler der Loontwills, mit einem Tablett voll gebratener Räucherheringe um die Ecke. Er bedachte sie mit einem missbilligenden Blick, der viel darüber aussagte, was er von einer jungen Dame hielt, die beim Belauschen ihrer eigenen Familie ertappt wurde. Lauschen war schließlich von Rechts wegen eine Kunstform, die ausschließlich Butlern vorbehalten war.

»Guten Morgen, Lady Maccon«, sagte er laut genug, dass die Familie es selbst über ihr Geklapper und Geplapper hinweg hören konnte. »Gestern wurden mehrere Nachrichten für Sie abgegeben.« Er reichte Alexia zwei zusammengefaltete und versiegelte Briefe und wartete dann demonstrativ, um ihr beim Betreten des Frühstückszimmers den Vortritt zu lassen.

»Gestern! Gestern! Und warum, bitte schön, haben Sie sie mir dann gestern nicht ausgehändigt?«

Swilkins antwortete nicht.

Ziemliches Ekelpaket, dieser neue Butler. Alexia fand, dass es kaum etwas Schlimmeres gab, als mit seinem Hauspersonal in einem Zustand der Feindseligkeit zu leben.

In ihrer Verärgerung stürmte sie das Frühstückszimmer regelrecht und richtete ihren Zorn gegen die, die vor ihr saßen. »Guten Morgen, liebste Familie!«

Vier blaue Augenpaare bedachten sie mit anklagenden Blicken, während sie auf den einzigen leeren Stuhl zumarschierte. Nun ja, drei Augenpaare – der Right Honorable Squire Loontwill war voll und ganz damit beschäftigt, sein weich gekochtes Frühstücksei ordnungsgemäß zu köpfen, wozu es der Anwendung eines ausgeklügelten kleinen Gerätes bedurfte, das ein wenig wie eine horizontal gehaltene Guillotine aussah und die Spitze des Eis in glatter, kreisrunder Vollkommenheit kappte. Derart vergnüglich beschäftigt machte er sich nicht die Mühe, der Ankunft seiner Stieftochter irgendeine Aufmerksamkeit zu schenken.

Alexia goss sich ein Glas Gerstenwasser ein und nahm sich ein Stück Toast vom Toastständer, ohne Butter, während sie angestrengt versuchte, den Frühstücksduft nach geräucherten Kippers zu ignorieren. Früher war das ihre Lieblingsspeise gewesen; jetzt drehte sich ihr davon unweigerlich der Magen um. Bislang erwies sich dieses ungeborene Ungemach – wie sie es in Gedanken zu nennen pflegte – als viel anstrengender, als man für möglich halten mochte, bedachte man, dass noch Jahre vergehen würden, bis es überhaupt sprechen oder eigenständig handeln konnte.

Mrs. Loontwill betrachtete die spärliche Frühstückswahl ihrer Tochter mit offenkundigem Beifall. »Es tröstet mich«, sagte sie zu den am Tisch Versammelten, »dass unsere liebe, arme Alexia regelrecht verkümmert, weil sie sich so nach der Zuneigung ihres Mannes verzehrt. Welch edles Gefühl der Empfindsamkeit!« Eindeutig hielt sie Alexias Frühstücks-Hungerstreik für ein Symptom eines ausgeprägten Anfalls von schwelgerischem Selbstmitleid.

Alexia warf ihrer Mutter einen verärgerten Blick zu und bearbeitete ihren Toast mit dem Buttermesser. Da ihre ohnehin schon üppige Figur durch das ungeborene Ungemach noch einmal ein wenig an Gewicht zugelegt hatte, war sie etliche Kilos davon entfernt, zu »verkümmern«. Auch neigte sie vom Charakter her nicht gerade zum Schwelgen.

Darüber hinaus ärgerte sie sich, dass irgendjemand glauben könnte, Lord Maccon habe auch nur das Geringste damit zu tun, dass sie keinen Appetit hatte – vom offensichtlichen Grund einmal abgesehen, von dem ihre Familie bisher noch nichts wusste. Schon öffnete sie den Mund, um ihre Mutter diesbezüglich zu korrigieren, als Felicity das Wort ergriff.

»O Mama, ich glaube kaum, dass Alexia zu der Sorte gehört, die an gebrochenem Herzen stirbt.«

»Genauso wenig gehört sie zu der Sorte, die sich zu Tode hungert«, schoss Mrs. Loontwill zurück.

»Ich hingegen«, warf Evylin ein, während sie auf ihren Teller Räucherheringe häufte, »brächte gut und gern beides fertig.«

»Evy, Liebling, bitte!« In ihrer Verzweiflung brach Mrs. Loontwill ein Stück Toast entzwei.

Anklagend richtete die jüngste Miss Loontwill eine Gabel voll Ei gegen Alexia. »Captain Featherstonehaugh hat mit mir gebrochen! Wie gefällt dir das? Heute Morgen erhielten wir seine Nachricht!«

»Captain Featherstonehaugh?«, murmelte Alexia zu sich selbst. »Ich dachte, er wäre mit Ivy Hisselpenny verlobt und du mit jemand anders. Wie verwirrend.«

»Nein, nein, Evy ist jetzt mit ihm verlobt. Besser gesagt, sie war es. Du bist doch jetzt schon seit beinahe zwei Wochen wieder aus Schottland zurück. Pass bitte besser auf, Alexia, Liebes!«, ermahnte Mrs. Loontwill sie tadelnd.

Evylin seufzte theatralisch. »Und das Kleid ist auch schon gekauft und alles. Ich muss es komplett umändern lassen.«

»Dabei hatte er so hübsche Augenbrauen«, meinte Mrs. Loontwill voller Mitgefühl.

»Genau«, krähte Evylin. »Wo soll ich nur noch einmal jemand mit solchen Augenbrauen finden? Ich bin am Boden zerstört, Alexia, das sage ich dir! Völlig am Boden zerstört! Und das ist alles deine Schuld!«

Evylin, das musste man anmerken, sah nicht annähernd so bekümmert aus, wie man es über den Verlust eines Verlobten eigentlich sein sollte, insbesondere wenn er angeblich über derartige Vorzüge wie solche Augenbrauen verfügte. Sie stopfte sich den Bissen Spiegelei in den Mund und kaute methodisch. Seit Neuestem redete sie sich ein, dass sie schlank blieb, wenn sie jeden Bissen zwanzigmal kaute. Das einzige Ergebnis jedoch war, dass sie länger am Esstisch saß als alle anderen.

»Als Grund gab er philosophische Differenzen an, aber wir wissen alle, warum er die Verlobung wirklich gelöst hat.« Felicity wedelte mit einem mit Goldrand verzierten Brief vor Alexias Nase herum – einem Brief, der eindeutig das tiefste Bedauern des werten Captains ausdrückte und nach den Flecken darauf zu urteilen die vereinte Aufmerksamkeit aller am Frühstückstisch Versammelten genossen hatte, einschließlich der Räucherheringe.

»Da stimme ich dir zu.« Gelassen nippte Alexia an ihrem Gerstenwasser. »Philosophische Differenzen? Das kann unmöglich stimmen! Du hast doch genau genommen über nichts eine philosophische Ansicht, nicht wahr, liebe Evylin?«

»Dann gibst du also zu, dass du dafür verantwortlich bist?« Evylin war gezwungen, vorzeitig zu schlucken, um eine weitere verbale Attacke zu starten. Sie warf ihre blonden Locken in den Nacken, die sich nur ein oder zwei Nuancen von der Farbe ihres Spiegeleis unterschieden.

»Natürlich nicht! Ich bin dem Mann noch nicht einmal begegnet.«

»Trotzdem ist es deine Schuld! Deinen Ehemann einfach so zu verlassen und stattdessen bei uns zu wohnen. Das ist ungeheuerlich! Die. Leute. Reden. Schon.« Betonend stach Evylin bei jedem ihrer Worte unbarmherzig auf ein Würstchen ein.

»Die Leute neigen dazu zu reden. Ich glaube, im Allgemeinen betrachtet man das als eine ziemlich gute Möglichkeit der Kommunikation.«

»Oh, warum musst du nur so unmöglich sein? Mama, unternimm doch etwas!« Evylin gab das Würstchen auf und wandte sich einem zweiten Spiegelei zu.

»Du wirkst nicht gerade niedergeschlagen deswegen.« Alexia sah ihrer Schwester zu, wie sie fleißig vor sich hin kaute.

»Oh, ich kann dir versichern, die arme Evy ist zutiefst aufgewühlt. Sie ist wirklich zu bedauern«, sagte Mrs. Loontwill.

»Du meinst sicher, sie ist bedauerlich.« Gelegentlich konnte sich Alexia einen Seitenhieb nicht verkneifen, wenn es um ihre Familie ging.

Am anderen Ende der Tafel gluckste Squire Loontwill, der Einzige, der das Wortspiel verstanden hatte, leise vor sich hin.

»Herbert«, rügte ihn seine Frau sofort. »Ermutige sie nicht auch noch, vorwitzig zu sein! Eine höchst unattraktive Eigenschaft bei einer verheirateten Dame, Vorwitzigkeit.« Mrs. Loontwill wandte sich wieder Alexia zu, und ihr Gesicht einer hübschen Frau, die gealtert war, ohne sich dessen bewusst zu sein, verzog sich zu einer Grimasse, die, wie Alexia vermutete, mütterliche Besorgnis heucheln sollte. Stattdessen sah sie aus wie ein Pekinese mit Verdauungsbeschwerden. »Ist etwa das der Grund für die Entfremdung zwischen ihm und dir, Alexia? Du hast dich ihm gegenüber doch nicht etwa … geistreich verhalten, Liebes?« Mrs. Loontwill unterließ es seit der Hochzeit ihrer Tochter, Lord Maccons Namen auszusprechen, um sich darauf zu beschränken, dass Alexia geheiratet hatte – was die meisten bis unmittelbar vor diesem schicksalhaften Ereignis für höchst unwahrscheinlich gehalten hatten –, ohne daran denken zu müssen, was sie geheiratet hatte. Lord Maccon war ein Adeliger, zugegebenermaßen, und noch dazu einer der vornehmsten Ihrer Majestät, so viel stand fest. Aber er war auch ein Werwolf. Und dass Lord Maccon Mrs. Loontwill nicht ausstehen konnte und kein Problem damit hatte, dies alle Welt, einschließlich Mrs. Loontwill, wissen zu lassen, war der Sache auch nicht gerade dienlich. Also, einmal hatte er sogar …

Jäh verbot sich Alexia jeden weiteren Gedanken an ihren Ehemann und wischte die Erinnerung gnadenlos fort. Leider musste sie feststellen, dass sie versunken in ihre quälenden Gedanken das Stück Toast derart verstümmelt hatte, dass nicht die geringste Hoffnung mehr bestand, ihn noch verzehren zu können. Mit einem Seufzer nahm sie sich eine neue Scheibe.

»Mir scheint es offensichtlich«, warf Felicity mit einem Hauch von Endgültigkeit ein, »dass deine Anwesenheit hier irgendwie Evys Verlobung zerstört hat, Alexia. Nicht einmal du kannst dich aus dieser Sache herausreden, liebe Schwester.«

Felicity und Evylin waren Alexias jüngere Halbschwestern, was ihre Geburt anbelangte, und standen in keinster Weise mit ihr in einer Beziehung, wenn man andere Faktoren in Betracht zog. Sie waren klein, blond und zierlich, wohingegen Alexia groß und dunkel war und – offen gestanden – nicht gerade zierlich. Alexia war in ganz London für ihren Intellekt, ihre Unterstützung der wissenschaftlichen Gesellschaft und ihren scharfen Wortwitz bekannt. Felicity und Evylin waren bekannt für ihre Puffärmel. Demzufolge war die Welt im Allgemeinen ein friedlicherer Ort, wenn die drei nicht miteinander unter demselben Dach lebten.

»Und uns ist allen bewusst, wie wohldurchdacht und unvoreingenommen deine Meinung in dieser Angelegenheit ist, Felicity.« Alexias Tonfall war völlig ungerührt.

Pikiert nahm sich Felicity den Skandalteil des Lady’s Daily Chirrup vor, um deutlich zu machen, dass sie nicht weiter an der Unterhaltung teilhaben wollte.

Mrs. Loontwill hingegen preschte mutig weiter vor. »Sicherlich ist es doch höchste Zeit, dass du nach Woolsey Castle heimkehrst, Alexia. Ich will damit sagen, du bist nun schon beinahe ein Woche hier, und natürlich haben wir dich gern bei uns, aber angeblich ist er inzwischen ebenfalls aus Schottland zurück.«

»Na, bravo!«

»Alexia! Wie schockierend!«, warf Evylin ein. »Natürlich hat ihn bisher niemand in der Stadt gesehen, aber man sagt, dass er gestern nach Woolsey zurückgekehrt ist.«

»Wer sagt das?«

Erklärend raschelte Felicity mit den Klatschspaltenseiten der Zeitung.

»Ach, die.«

»Er sehnt sich sicher schon nach dir, meine Liebe«, setzte Mrs. Loontwill ihre Attacke fort. »Sehnt sich jämmerlich nach dir und vermisst deine …« Hilflos fuchtelte sie mit den Händen.

»Meine was, Mama?«

»Äh … deine brillante Gesellschaft.«

Alexia schnaubte – und das noch dazu am Esstisch! Ihre Unverblümtheit mochte Conall zwar bei ein paar seltenen Gelegenheiten gefallen haben, doch wenn er etwas vermisste, dann stand ihr Wortwitz zweifellos nicht ganz oben auf der Liste. Lord Maccon war ein Werwolf mit deftigem Appetit, um es gelinde auszudrücken. Was er an seiner Frau am meisten vermissen würde, befand sich erheblich weiter unterhalb ihrer Zunge.

Als sein Gesicht kurz vor ihrem inneren Auge auftauchte, brachte das ihre Entschlossenheit für einen Moment ins Wanken. Dieser Ausdruck in seinen Augen, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten – so verletzt und betrogen. Doch das, was er von ihr glaubte, und dass er derart an ihr zweifelte, war unentschuldbar. Wie konnte er es wagen, sie nur mit der Erinnerung an seinen verlorenen Hundeblick alleinzulassen und derart mit ihrem Mitgefühl zu spielen!

Alexia Maccon zwang sich gewaltsam dazu, an all die Dinge zu denken, die er zu ihr gesagt hatte. Niemals würde sie zu diesem – angestrengt rang ihr Verstand nach einer treffenden Beschreibung – misstrauischen, eifersüchtigen Schwachkopf zurückgehen!

Lady Alexia Maccon gehörte zu der Sorte Frau, die einem Dornbusch sofort fein säuberlich alle Dornen entfernen würde, sollte sie jemals das Pech haben, in einem hängen zu bleiben. Während der letzten paar Wochen und der ganzen unentschuldbar fürchterlichen Heimreise von Schottland mit dem Zug war sie der Meinung gewesen, sich damit abgefunden zu haben, dass ihr Ehemann sowohl sie als auch ihr gemeinsames Kind zurückwies.

Allerdings musste sie in den unmöglichsten Augenblicken feststellen, dass dem nicht so war. Ohne Vorwarnung überfiel sie dieses Gefühl des Verrats, wie ein sich windender Schmerz in ihrer Brust, und sie wurde gleichzeitig unglaublich verletzt und unermesslich wütend. Es fühlte sich ganz genauso an wie ein heftiger Anfall von Verdauungsbeschwerden – nur dass dabei die Gefühle beteiligt waren.

In ihren lichteren Augenblicken kam Alexia zu dem Schluss, dass die Ursache für diese Empfindungen in der Ungerechtigkeit des Ganzen lag. Sie war es gewohnt, sich rechtfertigen zu müssen, wenn sie etwas Unangebrachtes getan hatte, aber sich völlig unschuldig rechtfertigen zu müssen war eine ganz andere und weitaus frustrierendere Erfahrung. Nicht einmal Bogglingtons bester Darjeeling vermochte ihre Laune zu verbessern. Und wenn Tee schon nicht ausreichte, was sollte eine Dame denn dann bitteschön noch tun? Natürlich war es nicht so, dass sie den Mann noch liebte, ganz gewiss nicht! Das widersprach jeder Vernunft. Doch es änderte nichts an der Tatsache, dass Alexias Laune ziemlich empfindlich war. Ihre Familie hätte diese Zeichen eigentlich erkennen sollen.

Unvermittelt schlug Felicity die Zeitung zu, das Gesicht von einer für sie untypischen Röte überzogen.

»Du liebe Güte!« Mrs. Loontwill fächelte sich mit einem gestärkten Taschentuch mit Spitze Luft zu. »Was denn nun schon wieder?«

Squire Loontwill blickte kurz auf und suchte dann erneut Zuflucht in der eingehenden Betrachtung seines Frühstückseis.

»Ach, nichts.« Felicity wollte die Zeitung unter dem Tisch verschwinden lassen, doch Evylin streckte blitzschnell die Hand aus, schnappte sich die Zeitung und blätterte sie eifrig auf der Suche nach der pikanten Klatschnachricht durch, die ihre Schwester so aus der Fassung gebracht hatte.

Währenddessen knabberte Felicity an einem Scone und warf Alexia einen schuldbewussten Blick zu.

Diese verspürte urplötzlich ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Mühsam schluckte sie ihr Gerstenwasser hinunter und lehnte sich zurück.

»Oh, Donnerwetter!« Evylin schien die unheilvolle Seite gefunden zu haben. Sie las laut vor, damit alle es hören konnten. »›London reagierte letzte Woche völlig entgeistert, als Lady Maccon, vormals Alexia Tarabotti, Tochter von Mrs. Loontwill, Schwester von Felicity und Evylin Loontwill und Stieftochter des Honorable Squire Loontwill, aus dem Haus ihres Gatten auszog, nachdem sie ohne besagten Gatten aus Schottland zurückgekehrt war. Es kursieren mannigfaltige Spekulationen über die Gründe, angefangen von Mutmaßungen über Lady Maccons intime Beziehung mit dem Vampir-Schwärmer Lord Akeldama bis hin zu angeblichen familiären Differenzen, wie von den Misses Loontwill‹ – Oh, Felicity, wir werden gleich zweimal erwähnt! – ›und gewissen Bekanntschaften aus der Unterschicht angedeutet wurde. Lady Maccon brachte nach ihrer Hochzeit gehörig frischen Wind in die feine Londoner Gesellschaft …‹ – bla bla, bla. Ah, hier geht es wieder weiter – ›… aber von Quellen, die in enger Verbindung mit dem vornehmen Paar stehen, wurde enthüllt, dass sich Lady Maccon tatsächlich in anderen Umständen befindet. In Anbetracht von Lord Maccons Alter, seiner übernatürlichen Art und seinem offiziell anerkannten post-nekrotischen Zustand ist anzunehmen, dass sich Lady Maccon einer Indiskretion schuldig machte. Während wir darauf warten, dass sich dieser Verdacht körperlich bestätigt, deuten alle Zeichen auf den Skandal des Jahrhunderts hin.‹«

Alle starrten Alexia an und redeten gleichzeitig drauflos, doch das scharfe Rascheln, mit dem Evylin die Zeitung zusammenfaltete, ließ ihre Familie verstummen. »Nun, das erklärt alles! Captain Featherstonehaugh muss das hier gelesen haben. Und deshalb hat er heute Morgen unsere Verlobung gelöst. Felicity hatte recht! Es ist wirklich deine Schuld! Wie konntest du nur so gedankenlos sein, Alexia?«

»Kein Wunder, dass sie keinen Appetit hat«, bemerkte Squire Loontwill wenig hilfreich.

Mrs. Loontwill zeigte sich der Situation gewachsen. »Das ist einfach zu viel, als dass eine Mutter es ertragen könnte. Zu viel! Alexia, wie hast du es nur geschafft, alles so gründlich zu vermasseln? Habe ich dich denn nicht zu einem braven, respektvollen Mädchen erzogen? Oh, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll!« Ihr fehlten offenbar tatsächlich die Worte. Zum Glück versuchte sie nicht, ihre Tochter zu ohrfeigen. Das hatte sie einmal getan, und dabei war für niemanden etwas Gutes herausgekommen. Das Ende vom Lied war gewesen, dass Alexia geheiratet hatte.

Alexia erhob sich. Wieder einmal wütend. Ich bin in letzter Zeit beachtlich oft übellaunig, dachte sie bei sich. Nur vier Personen wussten von ihrem unziemlichen Zustand. Drei davon hätten niemals auch nur daran gedacht, mit der Presse darüber zu reden. Was nur eine Möglichkeit übrig ließ. Eine Möglichkeit, die gegenwärtig ein höchst tadelnswertes blaues Spitzenkleid trug, ein verdächtig rotes Gesicht hatte und ihr am Frühstückstisch gegenübersaß.

»Felicity, ich hätte wissen sollen, dass du deine Klappe nicht halten kannst!«

»Das war ich nicht!«, ging Felicity sofort in die Defensive. »Es muss Madame Lefoux gewesen sein. Du weißt doch, wie diese Französinnen sind! Für ein Quäntchen Aufmerksamkeit und Geld erzählen die alles Mögliche.«

»Felicity, du wusstest von Alexias Zustand und hast es mir nicht gesagt?« Mrs. Loontwill hatte sich von ihrem Schock gerade rechtzeitig wieder erholt, um gleich wieder schockiert zu sein. Dass Alexia etwas vor ihrer eigenen Mutter geheim hielt, war zu erwarten, aber Felicity hätte eigentlich auf Mrs. Loontwills Seite stehen müssen. Schließlich war das Gör über die Jahre hinweg mit genug Paar Schuhen bestochen worden.

Lady Alexia Maccon schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Teetassen bedrohlich klirrten, und beugte sich zu ihrer Schwester vor. Damit wendete sie unbewusst eine Einschüchterungstaktik an, die sie im Laufe des mehrmonatigen Zusammenlebens mit einem Werwolfsrudel gelernt hatte. Sie war nicht annähernd so behaart, wie es für dieses Manöver gemeinhin erforderlich war, dennoch gelang es ihr, es fehlerfrei auszuführen. »Madame Lefoux würde nichts dergleichen tun. Zufällig weiß ich ganz genau, dass sie die Diskretion in Person ist. Nur ein einziger Mensch würde darüber reden, und dieser Mensch ist keine Französin. Du hattest es mir versprochen, Felicity! Ich habe dir mein liebstes Amethystcollier gegeben, damit du den Mund hältst.«

»So hast du es also bekommen?« Evylin war neidisch.

»Also wer ist nun der Vater?«, fragte Squire Loontwill, der augenscheinlich das Gefühl hatte, dass er versuchen sollte, die Unterhaltung in eine produktivere Richtung zu lenken. Die aufgeregt gestikulierend am Tisch sitzenden Damen ignorierten ihn völlig. Das war ein Zustand, in dem sie sich alle wohl fühlten. Resignierend sog der Squire die Luft durch die Zähne und widmete sich wieder seinem Frühstück.

Felicity verlegte sich von defensiv auf eingeschnappt. »Es waren doch nur Miss Wibbley und Miss Twittergaddle. Wie sollte ich denn wissen, dass sie gleich zur Presse laufen?«

»Miss Twittergaddles Vater gehört der Chirrup. Wie du dir sehr wohl bewusst bist!« Doch dann kühlte Alexias Wut ein wenig ab. Die Tatsache, dass Felicity ihre Zunge mehrere Wochen lang im Zaum gehalten hatte, war praktisch so etwas wie das achte Weltwunder. Zweifellos hatte Felicity es den jungen Damen erzählt, um sich wichtig zu machen, allerdings war ihr vermutlich auch sehr wohl bewusst gewesen, dass derartiger Klatsch Evylins Verlobung auflösen und Alexias Leben ruinieren würde. Irgendwann nach Alexias Hochzeit hatte sich Felicity von leichtfertig zu regelrecht boshaft entwickelt, was in Kombination mit einem Gehirn von der Größe einer Stachelbeere dazu führte, dass sie ein äußerst desaströses menschliches Wesen geworden war.

»Nach allem, was diese Familie für dich getan hat, Alexia!«, fuhr Mrs. Loontwill damit fort, ihre Tochter mit Anschuldigungen zu überhäufen. »Nachdem dich Herbert wieder an seinem sicheren Busen aufnahm!« Bei dieser Formulierung blickte Squire Loontwill hoch und dann ungläubig an seiner beleibten Statur hinunter. »Nach all den Qualen, die ich auf mich genommen habe, um dafür zu sorgen, dass du sicher verheiratet wirst. Alle Regeln der Schicklichkeit zu missachten wie eine gewöhnliche Dirne! Es ist schlicht und einfach untragbar!«

»Ganz genau meine Meinung«, bemerkte Felicity süffisant.

Bis an die Grenzen der Verzweiflung getrieben griff Alexia nach dem Tablett mit den Kippers und – nach etwa drei Sekunden reiflicher Überlegung – kippte sie ihrer Schwester die Räucherheringe über den Kopf.

Felicity kreischte wild auf.

»Aber«, murmelte Alexia in den darauf folgenden Tumult, »es ist doch sein Kind.«

»Wie war das?« Diesmal schlug Squire Loontwill heftig auf den Tisch.

»Es ist sein verdammtes Kind! Ich war mit niemandem sonst zusammen!«, schrie Alexia über Felicitys Winseln hinweg.

»Alexia! Sei nicht vulgär. Es ist nicht nötig, ins Detail zu gehen. Uns ist allen sehr wohl bewusst, dass das nicht möglich ist. Dein Mann ist im Grunde tot. Oder war im Grunde tot und ist nun hauptsächlich tot.« Mrs. Loontwill schien sich selbst zu verwirren. Sie schüttelte den Kopf wie ein nasser Pudel und fuhr dann stoisch mit ihrer Schimpftirade fort. »Wie dem auch sei, dass ein Werwolf ein Kind zeugt, ist genauso, als würde ein Vampir oder ein Geist einen Nachkommen produzieren – nämlich absolut lächerlich.«

»Nun, das ist diese Familie ebenso, aber dennoch scheint ihr alle im Einklang mit der natürlichen Ordnung zu existieren.«

»Wie bitte?«

»In diesem Fall scheint ›lächerlich‹ eine Neudefinition zu erfordern.« Dieses Kind soll doch ohnehin der Teufel holen, dachte Alexia bei sich.

»Seht ihr, wie sie ist?«, warf Felicity ein, während sie sich Räucherhering aus den Haaren klaubte und Alexia mordlüstern anfunkelte. »Sie redet einfach so weiter. Will partout nicht zugeben, dass sie etwas falsch gemacht hat. Er hat sie zum Teufel gejagt, ist euch das klar? Sie geht nicht nach Woolsey zurück, weil sie nicht zurückgehen kann. Lord Maccon hat sie verstoßen. Deshalb haben wir Schottland verlassen.«

»O du meine Güte! Herbert! Herbert, hast du das gehört?« Mrs. Loontwill blickte wild um sich, als würde sie jeden Augenblick einen hysterischen Anfall erleiden.

Alexia war sich nicht sicher, ob das gekünstelte Verzweiflung darüber war, dass Conall sie öffentlich vor die Tür gesetzt hatte, oder echtes Entsetzen angesichts der Vorstellung, ihre älteste Tochter für absehbare Zukunft weiter beherbergen zu müssen.

»Herbert, tu doch irgendetwas!«, jammerte Mrs. Loontwill.

»Ich bin gestorben und in einem Schundroman wieder aufgewacht«, war Squire Loontwills Antwort. »Um mit einem solchen Vorfall umzugehen bin ich nicht gerüstet. Leticia, meine Liebe, das überlasse ich gänzlich deinen fähigen Händen.«

Eine weniger zutreffende Aussage war über seine Frau, deren Hände zu nichts Komplexerem als einem gelegentlichen, höchst anstrengenden Anfall von Stickereiwut fähig waren, noch nie gemacht worden. Mrs. Loontwill warf besagte Hände himmelwärts und sank halb ohnmächtig in ihrem Stuhl zurück.

»O nein, das wirst du nicht tun, Papa!« Ein stählerner Ton trat in Felicitys Stimme. »Verzeih mir, wenn ich herrisch bin, aber du musst verstehen, dass Alexias weitere Anwesenheit unter unserem Dach völlig untragbar ist. Solch ein Skandal wie dieser wird unsere Möglichkeiten zu heiraten beträchtlich einschränken, selbst ohne ihre tatsächliche Anwesenheit in unserem Haus. Du musst sie fortschicken und ihr jeden weiteren Kontakt mit der Familie verbieten. Ich schlage vor, dass wir London sofort verlassen. Vielleicht unternehmen wir eine Reise durch Europa?«

Begeistert klatschte Evylin in die Hände, und Alexia fragte sich unwillkürlich, wie viel Planung Felicity wohl in diesen kleinen Verrat gesteckt hatte. Fest starrte sie ihrer Schwester ins unerwartet mitleidlose Gesicht. Dieses falsche kleine Spatzenhirn! Ich hätte ihr etwas Härteres als Räucherheringe an den Kopf werfen sollen.

Squire Loontwill war schockiert über Felicitys freimütige Rede, doch da er ein Mann war, der stets den Weg des geringsten Widerstands ging, betrachtete er zunächst seine zusammengebrochene Frau und seine grimmig blickende Tochter und läutete dann nach dem Butler.

»Swilkins, gehen Sie unverzüglich nach oben und packen Sie Lady Maccons Sachen.«

Swilkings rührte sich nicht, vor Überraschung wie erstarrt.

»Sofort, Mann!«, blaffte Felicity.

Swilkins verschwand.

Alexia stieß ein frustriertes kleines Schnauben aus. Na warte, bis sie Conall von dieser jüngsten Absurdität ihrer Familie erzählte! Er würde … Ach ja, vergiss es. Ihre Wut erstarb erneut, niedergedrückt vom Schmerz einer werwolfsgroßen Leere. In dem Versuch, sie mit irgendetwas zu füllen, nahm sie sich etwas Marmelade und – da sie nichts mehr zu verlieren hatte – aß sie direkt vom Löffel.

Daraufhin fiel Mrs. Loontwill tatsächlich in Ohnmacht.

Squire Loontwill bedachte die schlaffe Gestalt seiner Frau mit einem langen Blick, dann überließ er sie nach reiflicher Überlegung einstweilen sich selbst und zog sich ins Raucherzimmer zurück.

Alexia erinnerte sich wieder an ihre Post, und da sie eine Ablenkung bitter nötig hatte und alles andere lieber tat, als sich weiterhin mit ihren Schwestern zu unterhalten, nahm sie den ersten Brief und erbrach das Siegel. Bis zu diesem Augenblick hatte sie eigentlich geglaubt, dass die Dinge nicht noch schlimmer werden könnten.

Das Siegel des Briefes war unmissverständlich – ein Löwe und ein Einhorn mit einer Krone dazwischen. Die Botschaft darin war ebenso deutlich. Lady Maccons Anwesenheit war im Buckingham Palast nicht länger erwünscht. Die Königin von England würde sie in Zukunft nicht mehr empfangen können. Lady Maccon war von ihren Pflichten als Mitglied des Schattenkonzils bis auf Weiteres entbunden. Sie genoss nicht länger das Vertrauen oder die Autorität Ihrer Majestät. Das Amt des Muhjah war wieder einmal unbesetzt. Man dankte ihr freundlich für ihre bisherigen Dienste und wünschte ihr einen angenehmen Tag.

Alexia Maccon erhob sich sehr entschieden, verließ das Frühstückszimmer und ging schnurstracks in die Küche. Sie ignorierte die verblüfften Bediensteten, marschierte ohne innezuhalten zu dem riesigen, eisernen Herd, der den Raum beherrschte, und stopfte das offizielle Schreiben hinein. Sofort fiel es den Flammen zum Opfer.

Da sie sich danach sehnte, allein zu sein, ging sie aus der Küche nicht zurück ins Frühstückszimmer, sondern in den hinteren Salon. Am liebsten hätte sie sich auf ihr Zimmer zurückgezogen und sich unter der Bettdecke zu einer winzigen – nun ja, vielleicht nicht ganz so winzigen – Kugel zusammengerollt. Doch sie war bereits angezogen, und auch in den schwierigsten Zeiten musste man sich nun einmal an die Gepflogenheiten halten.

Eigentlich hätte sie nicht überrascht sein sollen. Trotz all ihrer fortschrittlichen Politik war Königin Victoria moralisch konservativ eingestellt. Sie trauerte immer noch um ihren Ehemann, der seit über einem Jahrzehnt tot und zu einem Gespenst geworden war und sich dann aufgelöst hatte. Und wenn es eine Frau gab, der Schwarz nicht stand, dann war das Königin Victoria. Die Königin würde es Lady Maccon auf keinen Fall erlauben, ihre heimliche Rolle als außernatürliche Beraterin und Agentin im Außendienst weiter auszuüben, selbst wenn diese Position weiterhin strengstens geheim war. Zwischen Lady Maccon und der Königin durfte es nicht auch nur den Hauch einer Verbindung geben, nun da sie eine gesellschaftlich Ausgestoßene war. Die Neuigkeit aus der Morgenzeitung war vermutlich bereits in aller Munde.

Alexia seufzte. Der Wesir und der Diwan, die beiden anderen Mitglieder des Schattenkonzils, waren sicher hocherfreut darüber, sie los zu sein. Sie hatte ihnen das Leben auch nicht gerade leicht gemacht. Das hatte ebenfalls zu den Aufgaben dieses Jobs gehört. Ein ahnungsvolles Schaudern durchlief sie. Nun, da Conall und das Woolsey-Rudel sie nicht mehr beschützten, gab es vermutlich eine Reihe von Personen, deren Meinung nach sie besser tot sein sollte.

Sie läutete nach einem der Dienstmädchen und schickte es los, um ihren Sonnenschirm – Schrägstrich – ihre Waffe zu holen. Das Mädchen kam in kürzester Zeit zurück, und Alexia fühlte sich ein wenig wohler, als sie ihr Lieblingsaccessoire griffbereit hatte.

Unaufgefordert kehrten ihre Gedanken erneut zu ihrem Gatten zurück, der so aufmerksam gewesen war, ihr diesen tödlichen Ziergegenstand zu schenken. Zum Teufel mit Conall! Warum hatte er ihr nicht geglaubt? Es sprach zwar alles in der bekannten Menschheitsgeschichte gegen sie, aber wenn schon! Die Geschichte war selbst unter den besten Umständen nicht gerade berühmt für ihre Genauigkeit. Ebenso wenig wimmelte es in ihr von weiblichen Außernatürlichen.

Wissenschaftlich gesehen verstand niemand, warum sie war, was sie war, oder wie sie tat, was sie tat, trotz all der hoch gelobten technologischen Fortschritte Englands. Dann war er eben zum größten Teil tot, na und? Schließlich machte ihre Berührung ihn wieder sterblich, oder etwa nicht? Warum konnte sie ihn dann nicht auch menschlich genug machen, um mit ihr ein Kind zu zeugen? War das denn so unmöglich zu glauben? Abscheulicher Kerl! Typisch Werwolf, derart übertrieben emotional zu reagieren und das Fell zu sträuben.

Schon allein bei dem Gedanken an ihn wurde Alexia von Gefühlen überwältigt. Wütend über ihre eigene Schwäche wischte sie sich die Tränen fort und besah sich den anderen Brief, in Erwartung weiterer schlechter Nachrichten.

Allerdings entlockte ihr das Geschriebene in dieser Nachricht, kühn und viel zu blumig, ein leichtes Lächeln. Sie hatte ihm ihre Karte geschickt, kurz nachdem sie nach London zurückgekehrt war. Niemals würde sie so unhöflich sein, offen darum zu bitten, doch sie hatte ihre unangenehme häusliche Situation angedeutet, und natürlich wusste er, was los war. Er wusste immer, was los war.

»Meine allerliebste Kamillenknospe!«, schrieb er. »Ich erhielt deine Karte, und in Anbetracht gewisser Informationen, die ich kürzlich erhielt, kam mir der Gedanke, du könntest wachsenden Bedarf an einer Unterkunft haben, wärst aber viel zu höflich, eine solche Bitte offen vorzubringen. Erlaube mir also, dir – der einzigen Person in ganz England, die man im Augenblick für noch ungeheuerlicher hält als mich selbst – mein höchst bescheidenes Angebot zu unterbreiten. Du bist herzlich eingeladen, meine unwürdige Behausung und Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen, so bescheiden sie auch sein mögen. Dein – Lord Akeldama.«

Alexia grinste. Sie hatte gehofft, dass er die Bitte zwischen ihren formellen gesellschaftlichen Floskeln herauslesen würde. Obwohl er den Brief geschrieben hatte, bevor ihr Zustand öffentlich bekannt geworden war, vermutete sie, dass ihr Vampirfreund immer noch für einen ausgedehnten Besuch empfänglich war. Vermutlich hatte er ohnehin längst von ihrer Schwangerschaft erfahren.

Lord Akeldama war ein Schwärmer mit einer so durchwegs schockierenden Art, sich zu kleiden und zu benehmen, dass es seinem Ruf tatsächlich sogar zuträglich war, wenn er die nun ruinierte Lady Maccon bei sich aufnahm. Darüber hinaus würde sie ihm dann – völlig seiner Gnade ausgeliefert – zur Verfügung stehen, damit er bis zum Abwinken alle Einzelheiten aus ihr herauskitzeln konnte.

Natürlich beabsichtigte sie, sein Angebot anzunehmen, in der Hoffnung, sodass es, da die Einladung bereits gestern an sie ergangen war – verflucht sei dieser ärgerliche Swilkins! – noch nicht zu spät war. Sie freute sich ziemlich auf diese Aussicht. Lord Akeldamas Heim und Küche waren das absolute Gegenteil von bescheiden, und er genoss die Gesellschaft einer großen Schar schillernder Gecken, sodass sich jeder Aufenthalt bei ihm als unendliche Augenweide gestaltete.

Erleichtert darüber, dass sie nicht länger obdachlos war, schickte Lady Maccon eine entsprechende Antwort, wobei sie sich peinlich genau vergewisserte, dass der Brief vom attraktivsten Lakai der Loontwills überbracht wurde.

Vielleicht wusste ja Lord Akeldama etwas, das erklären konnte, warum da ein Kind in ihr herumschmarotzte. Er war ein sehr alter Vampir; vielleicht konnte er ihr dabei helfen, Conall ihre aufrechte Tugendhaftigkeit zu beweisen. Bei der Absurdität dieses Gedankens – Lord Akeldama und Tugendhaftigkeit in ein und demselben Satz – musste sie lächeln.

Nachdem ihre Koffer gepackt waren und sie Hut und Cape angelegt hatte, wollte Alexia das Haus ihrer Familie – vermutlich zum letzten Mal – verlassen, als erneut Post für sie eintraf, und zwar in Gestalt eines verdächtigen Pakets, dem ein Brief beigefügt war. Diesmal fing sie es ab, bevor Swilkins es in seine behandschuhten Finger bekommen konnte.

Das Paket enthielt einen Hut von solch unvergleichlicher Scheußlichkeit, dass Alexia nicht den geringsten Zweifel daran hegte, wer der Absender war. Bei dem Hut handelte es sich um eine Filztoque von leuchtend gelber Farbe, verziert mit künstlichen schwarzen Johannisbeeren, Samtschleifen und einem Paar grüner Federn, die wie die Fühler irgendeiner unglückseligen Meereskreatur aussahen.

Der beigefügte Brief brüstete sich bemerkenswert ausrufender Grammatik und erklomm womöglich neue Höhen blumiger Schreibkunst, die sogar die von Lord Akeldama noch übertrumpfte. Das Ganze las sich zugegebenermaßen ein bisschen qualvoll.

»Alexia Tarabotti Maccon, wie konntest du dich nur so sündhaft verhalten! Soeben las ich die Morgenzeitung. Das Herz klopfte mir regelrecht in der Brust, bei meiner Treu, das tat es wirklich! Natürlich würde ich so etwas niemals glauben, solange ich lebe! Niemals! Tatsächlich glaube ich immer noch kein einziges Wort davon. Du verstehst sicher, dass wir, Tunny und ich, dich liebend gern bei uns aufnehmen würden, doch unter diesen widerlichen Umständen, wie man so schön sagt – oder heißt es widersinnigen? – können wir dieses Angebot leider unmöglich unterbreiten. Das verstehst du doch? Ich bin sicher, das tust du. Nicht wahr? Aber ich dachte mir, du könntest etwas Trost gebrauchen, und da fiel mir ein, wie viel Aufmerksamkeit du diesem entzückenden Hut beim letzten Mal, als wir miteinander einkaufen waren, geschenkt hast – ach, vor so vielen Monaten, in unserer unbedarften Jugend, oder meine ich unbekümmerte Jugend? –, deshalb habe ich ihn im Chapeau de Poupe für dich gekauft. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ihn dir zu Weihnachten zu schenken, aber solch eine emotionale Krise, wie du sie erleiden musst, zeigt, dass jetzt ganz offensichtlich eine weitaus wichtigere Zeit für Hüte ist. Würdest du das nicht auch sagen? Alles, alles, alles Liebe – Ivy.«

Alexia verstand all die Dinge vollkommen, die Ivy nicht geschrieben hatte. Ivy und ihr frisch angetrauter Ehemann waren beide engagierte Theaterleute und konnten es sich nicht leisten, durch eine Verbindung mit der nun besudelten Lady Maccon die Unterstützung ihrer Gönner zu verlieren. Alexia war erleichtert darüber, kein Angebot von ihnen zurückweisen zu müssen. Das Paar lebte in einer schrecklich kleinen Wohnung im West End, die tatsächlich nur einen einzigen Salon hatte. Es schauderte sie bei der bloßen Vorstellung.

Entschlossen klemmte sich Lady Maccon den abscheulichen Hut unter den Arm, schnappte sich ihren treuen Sonnenschirm und marschierte hinunter zu der wartenden Kutsche. Sie bedachte Swilkins, der ihr hinein half, mit einem hochmütigen Naserümpfen und wies den Kutscher an, sie zu Lord Akeldamas Stadthaus zu bringen.

2

Lord Maccon wird mit einer kleinen Gurke verglichen

Lord Akeldamas Stadthaus lag in einer der modischsten Gegenden Londons. Einer Gegend, die vermutlich deshalb so modisch war, weil sie das große Glück hatte, dass eben jenes besagte Stadthaus dort lag. Alles, was Lord Akeldama tat, tat er modisch, auch wenn dabei manchmal der gesunde Menschenverstand auf der Strecke blieb. Hätte Lord Akeldama plötzlich Ringkämpfe in Fässern voller Aalsülze veranstaltet, wäre das wahrscheinlich innerhalb von vierzehn Tagen Mode geworden.

Das Äußere seines Hauses war kürzlich nach allerneustem Geschmack und zum ehrfürchtigen Beifall der feinen Gesellschaft umgestaltet worden. Er hatte es in einem blassen Lavendelton tünchen und mit goldenen Verzierungen bemalen lassen, die sich üppig um jedes Fenster und jede Maueröffnung rankten. Ergänzend dazu war zu beiden Seiten der Vordertreppe eine Rabatte aus Fliedersträuchern, Sonnenblumen und Stiefmütterchen gepflanzt worden, was für den Besucher eine gefällige dreistufige Wirkung erzeugte, wenn er die Treppe emporschritt, sogar im Winter.

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