Entmobbt - Lilly Fröhlich - E-Book

Entmobbt E-Book

Lilly Fröhlich

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mobbingopfer können sich nicht alleine aus der Mobbingfalle befreien und Mobber hören mit dem Schikanieren von sich aus auch nicht mehr auf. Das müssen Mia Maibaum und ihre Freunde schnell feststellen, als Michael über einen längeren Zeitraum immer heftiger von Lennard, Boris und Hannes geärgert und verletzt wird. Sie wenden sich an ihren Klassenlehrer Herrn Knabe, der nicht lange fackelt und Anti-Mobbing-Experten in die Schule holt, um das Mobbing zu stoppen. Nach einem Selbstmord an der Schule organisiert der Schülerrat das Projekt "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage". Zeitgleich erfährt Mia nicht nur, dass ihre Tante eine "Bereitschafts"-Pflegemutter ist, sondern ihr langjähriger Kumpel Lucas ein Pflegekind. Warum lebt er in einer Pflegefamilie und was bedeutet das überhaupt? Es stürmt wieder viel auf Mia ein, aber kann sie das Mobbingproblem gemeinsam mit ihren Freunden in den Griff bekommen? Dies ist die überarbeitete, neue Auflage 2020 vom fünften Band der beliebten Mia-Buchreihe - Aufklärung mit Herz! "Schwere Themen leicht gemacht. Lilly Fröhlich scheut sich nicht davor, in ihren Mia-Büchern vermeintliche Tabu-Themen anzusprechen." (Morgenpost)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 219

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Karatekämpferin

Die fremde Frau

Geheimnisse

Mobbing ist kein Kinderspiel

Die STOPP-Methode

Aufregung im Zoo

Lucas Mutter

Mobbingberater

Das Schulprojekt

Der Pate

Der Star

Sei schlagfertig!

Das Zertifikat

Steckbrief:

Name:

Mia Maibaum

Alter:

12 Jahre

Adresse:

Bärenklau

Was ich mag:

Pinguine, Malen

Was ich nicht mag:

Streit, Mobbing

Was ich werden will:

Tierärztin

Steckbrief:

Name:

Emma Rosenstein

Alter:

12 Jahre

Adresse:

Bärenklau

Was ich mag:

Pippi Langstrumpf

Was ich nicht mag:

Fleisch

Was ich werden will:

Chefin

Steckbrief:

Name:

Michael Müller

Alter:

12 Jahre

Adresse:

Bärenklau

Was ich mag:

Computerspiele

Was ich nicht mag:

Mobbingopfer sein

Was ich werden will:

König, Chef

Steckbrief:

Name:

Boris Brotmayer

Alter:

12 Jahre

Adresse:

Bärenklau

Was ich mag:

Computerspiele

Was ich nicht mag:

dumme Jungs

Was ich werden will:

Millionär

Steckbrief:

Name:

Nicolina Grün

Alter:

30 Jahre

Adresse:

Bärenklau

Was ich mag:

Sport, Lesen

Was ich nicht mag:

Streit

Was ich werden will:

Sozialpädagogin

Steckbrief:

Name:

Lisa Sorgenfrei

Alter:

35 Jahre

Adresse:

Bärenklau

Was ich mag:

Musik

Was ich nicht mag:

Streit, Gewalt

Was ich werden will:

Sozialpädagogin

Karatekämpferin

»Und sieh nur, wie fett er geworden ist«, stößt Lennard Bayer gehässig hervor.

»Seine Klamotten kauft er bestimmt im Supermarkt«, fügt Boris Brotmayer hinzu.

»Gleich fängt er an zu heulen«, lacht Hannes Steinmeier.

Mia Maibaum erblickt ihren langjährigen Klassenkameraden Michael Müller in der Mitte der drei fiesesten Jungs der Klasse 6b: Lennard, Boris und Hannes.

Fast schon konnte man meinen, die drei hätten sich gegen alles und jeden verschworen. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht irgendjemand von ihnen attackiert wurde.

Natürlich so, dass die Lehrer nichts mitkriegten.

»Was passiert da vorne?« wendet sich Emma Rosenstein an ihre Freundin.

Mia zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber es sieht nicht nach Spaß aus.«

»Wetten, dass Michael mal wieder ihr Opfer ist?«, zischt Emma erbost. Wütend stemmt sie die Hände in die Hüften. »Die drei Jungs sind mittlerweile eine echte Gefahr für unseren Seelenfrieden.«

»Wie meinst du das?«, mischt sich Amelie Sanders ein.

Atemlos kommt der Zwilling neben ihnen zum Stehen.

»Bin ich schon zu spät?« Sie blickt eilig auf ihre Armbanduhr und atmet erleichtert aus. »Nein. Noch zehn Minuten. Glück gehabt.«

»Nun«, antwortet Emma, »jede Nase, die den Dreien nicht gefällt, wird so lange gebrochen, bis man sie nicht mehr reparieren kann.«

»Verstehe ich immer noch nicht«, sagt Amelie und wirft ihre langen dunkelroten Locken über die Schultern. »Wieso brechen sie die Nasen von anderen Schülern?«

Mia schneidet eine Grimasse. »Das hat Emma nicht wörtlich gemeint. Bisher sind die drei Chaoten zumindest nicht beim Prügeln erwischt worden. Aber wir sehen sie immer öfters beim Ärgern von Mitschülern.«

»›Mobbing‹ nennt man das übrigens«, mischt sich Nils Sanders ein. Amelies Zwillingsbruder grinst und zieht Emma am Pippi-Langstrumpf-Zopf, den sie auch jetzt in der sechsten Klasse noch nicht abgelegt hat. »Guten Morgen, Pippi.«

»Guten Morgen, Rotbart«, kontert Emma schnippisch.

»Und wir wissen sehr wohl, dass das ›Mobbing‹ heißt.«

»Was? Was hast du gesagt?«, fragt Mia zerstreut.

»Ich glaube, Mia schläft noch«, sagt Amelie schmunzelnd.

Mia dreht ihr verwirrt den Kopf zu. »Schlafen? Ich?

Nein.« Sie winkt ab. »Ich habe versucht, zu hören, was die Mobbing-Bande zu Michael sagt.«

Michaels Gesicht ist mittlerweile hochrot. Verstohlen wischt er sich eine Träne aus den Augenwinkeln.

Boris schubst Michael von sich.

Michael stößt gegen Hannes. Der schreit angewidert auf und schubst Michael zu Lennard.

»Bist du bescheuert?«, ruft dieser. »Das Fettschwein ist bestimmt vergiftet. Jetzt kriege ich Pestbeulen. Oder schwarze Pocken.«

»Ich glaube, Michael kann sich nicht mehr alleine wehren«, bemerkt Amelie.

»Das reicht!« Entschlossen stapft Mia auf die Jungs zu.

Michael landet derweil auf dem Boden.

»Lasst ihn in Ruhe!«, ruft Mia.

Überrascht blickt Lennard auf. »Oh, Mia, sag bloß, du hast ein Herz für hässliche Fettsäcke?«

»Vielleicht steht sie auf Speckbrüste?«, sagt Hannes hämisch lachend.

Wütend funkelt Mia ihn an. »Spinnst du? Lasst ihn endlich in Ruhe! Er hat euch doch gar nichts getan.«

»Verschwinde! Das ist nix für Mädchen. Das ist Jungssache«, blubbert Lennard sie an. Er will sie gerade wegschubsen, als Emma angesprungen kommt und Lennard am Handgelenk packt. Mit einer gekonnten Bewegung verdreht sie ihm den Arm. Den Bruchteil einer Sekunde später liegt Lennard auf dem Boden.

»Was…?« Weiter kommt Lennard nicht, denn Emma stellt ihm selbstbewusst einen Fuß auf die Brust. Verärgert beugt sie sich vor. »Lass deine Finger von Mia! Krümmst du meiner Freundin auch nur ein Haar, mach ich dich fertig. Und ich habe den schwarz-gelben Gürtel.«

»Du hast einen schwarz-gelben Gürtel? Für Pappnasen, oder was?«, witzelt Hannes, doch Emma springt so blitzschnell auf ihn zu, dass er schreiend Reißaus nimmt.

»Du kannst Karate?«, fragt Nils erstaunt.

Emma nickt. »In zwei Monaten lege ich die Prüfung für den schwarz-blauen Gürtel ab. Mein Sensai sagt, ich bin eine seiner besten Schülerinnen.«

»Was ist ein ›Sensai‹?«, fragt Nils.

» Ein Karate-Lehrer«, antwortet Emma.

»Seit wann machst du Karate?«, will Mia wissen.

Emma lächelt. »Ich trainiere seit sechs Jahren zweimal die Woche.«

»Warum hast du das noch nie erzählt?«, fragt Mia, die noch immer überrascht ist.

Emma zuckt mit den Schultern. Dabei wippen ihre zwei rotbraunen Pippi-Langstrumpf-Zöpfe keck auf und ab.

»Ich wollte nicht prahlen.«

»Aber das war eben richtig cool«, lobt Nils sie.

Emma errötet. »Halb so wild. Ich kann noch ganz andere Griffe.«

»Zeigst du sie uns?«, fragt Nils und zwinkert Emma hoffnungsvoll an.

Bevor Emma antworten kann, zischt Lennard: »Bloß nicht! Eine Irre reicht jawohl in der Klasse.«

»Du hast Glück, dass man beim Karate auch lernt, sich zu beherrschen. Sonst würde ich dir gleich noch eine verpassen«, kontert Emma wütend. »Und jetzt verschwindet und lasst Michael in Ruhe!«

Michael rappelt sich vom Fußboden hoch. Viel zu akribisch klopft er sich die Hose ab, dabei ist sie gar nicht so dreckig geworden. »Du musst mir nicht helfen«, stammelt er leise.

Emma rümpft die Nase. »Ist das deine Art, ›Danke‹ zu sagen?«

Michael schnauft.

»Siehst du, Emma, es lohnt sich nicht, die Schwabbelbacke zu verteidigen«, pfeffert Lennard in den Raum. Mit einem galanten Sprung steht er wieder auf zwei Beinen.

»Halt den Mund, Lennard«, sagt Thomas, der soeben den Klassenraum betreten hat.

»Du hast mir gar nichts zu sagen, kleiner Tommy!« Zornig starrt Lennard zu seinem ehemaligen besten Freund.

»Du bist eine blöde Zirkusschwuchtel geworden. Hüpfst neuerdings im ›Tutu‹ durch die Gegend, was? Ich pinsele dir gleich mal dein Popöchen.«

Thomas hebt drohend die Faust. »Halt bloß die Klappe!«

»Was ist ein ›Tutu‹?«, fragt Nils leise.

Emma wirft ihm einen schiefen Blick zu. »Ein Ballettröckchen. Weißt du das nicht?«

Nils zuckt mit den Schultern. »Ich interessiere mich mehr für Fußball als für Ballett.« Er mustert Emma. »Aber Karate könnte mir in Zukunft auch gut gefallen.«

Emma lächelt zurück. »Vielleicht verrate ich dir, wann und wo ich den nächsten Wettkampf habe.«

»Was für ein Wettkampf? Sport? Ich bin dabei«, ruft Herr Knabe voller Elan. Schwungvoll landet seine alte, abgewetzte Ledertasche auf dem Pult. »Guten Morgen! Setzt euch! Ihr seid doch nun schon in der sechsten Klasse. Da kann man sich ruhig schon auf seinen Platz begeben, wenn der heilige Lehrer den Raum betritt.«

»Seit wann sind Sie heilig, Herr Knabe?«, feixt Emma.

»Das verrate ich dir erst, wenn du mir verrätst, um welche Sportart es eben ging«, kontert Herr Knabe.

Emma macht einen Ausfallschritt und boxt mit ihren Händen gekonnt durch die Luft. Dann springt sie über einen Tisch und landet geschickt neben ihrem Stuhl.

»Wow!«, sagt Nils voller Bewunderung.

»Angeberin«, frotzelt Lennard. Doch Emma wirft ihm einen bitterbösen Blick zu und bringt ihn damit zum Schweigen.

»Emma! Du kannst Karate? Wahnsinn!«, ruft Herr Knabe begeistert. »Dann kannst du doch bestimmt ein gutes Wort bei deinem Sensai für uns einwerfen und ihn mal zu uns in den Sportunterricht einladen, oder?«

»Ich frage nach, Herr Knabe«, antwortet Emma, bevor sie sich auf ihren Stuhl setzt.

Auch die übrigen Schüler setzen sich auf ihre Plätze, damit der Unterricht beginnen kann.

***

»Tante Anna!« Mia Maibaum fliegt ihrer Tante um den Hals. Sie ist die Schwester ihres Papas und lebt mit ihrem Mann in Berlin. Sie kommen nur selten zu Besuch, weil sie immer so viel zu tun haben.

»Mia, meine Süße!« Tante Anna stellt einen Kinderautositz mit einem Baby auf den Boden und umarmt ihre Nichte. »Bist du groß geworden!«

Als Mia das Baby bemerkt, stutzt sie. »Seit wann hast du ein Baby?«

Bevor Tante Anna antworten kann, kommt Onkel Toni mit einem kleinen Mädchen, welches ihm am Hosenbein hängt. »Elsa, lass doch bitte mein Bein los!« Mias Onkel bückt sich und hebt das kleine Mädchen mit den langen roten Locken vom Boden auf.

»Seit wann habt ihr Kinder?«, fragt Mia überrascht.

Mias Papa schiebt Mia von der Eingangstür weg. »Mia, lass doch unseren Besuch erst einmal eintreten.«

Mia tritt beiseite und beobachtet die beiden kleinen Kinder.

»Es tut mir leid, Tom, aber wir mussten die beiden mitbringen.

Sie sind uns erst gestern Abend gebracht worden. Wir wollten nicht schon wieder absagen, sonst sehen wir uns erst in zwanzig Jahren wieder«, sagt Tante Anna und Mia versteht nur Bahnhof.

Warum haben Tante Anna und Onkel Toni plötzlich Kinder? Und wieso werden die schon so fix und fertig gebracht? Von wem?

Vom Storch doch wohl kaum.

Mias Papa winkt ab und lotst alle ins Wohnzimmer. »Das ist doch kein Problem. Elsa kann mit Stella spielen.«

Während sich alle in die gemütliche Sofaecke setzen, wird Mia mit Stella, Elsa und dem Baby in die Spielecke geschoben.

»Warum darf ich nicht bei euch sitzen?«, will Mia wissen.

»Weil wir uns über Erwachsenenkram unterhalten wollen.

Du Naseweis kannst mit Stella und Elsa spielen«, antwortet ihr Papa.

Mia rümpft die Nase.

Sophie stellt Schokolade und Gummibärchen auf den Tisch und reicht den Erwachsenen Kaffee.

»Lass gut sein, Tom! Mia, was willst du wissen?«, fragt Tante Anna.

»Das habe ich eben doch schon gefragt«, sagt Mia ungeduldig. »Wieso habt ihr plötzlich Kinder? Sind die nicht normalerweise kleiner, wenn sie geboren werden?«

Tante Anna nickt lächelnd. Dann klopft sie neben sich auf den freien Sofaplatz. »Komm her, meine Süße!«

Mia folgt der Aufforderung und kuschelt sich an ihre Tante.

Tante Anna legt einen Arm um ihre Schultern. »Elsa und Madita sind nur kurz bei uns.«

Mia angelt sich ein paar Gummibärchen. »Warum? Sind ihre Eltern verreist?«

Tante Anna schüttelt den Kopf. »Nein. Sie sind für ein paar Monate im Gefängnis.«

Mia verschluckt sich fürchterlich an ihren Gummibären.

Ihr Papa verdreht die Augen. »Siehst du, Mia, das sind Gesprächsthemen für Erwachsene. Geh doch lieber spielen!«

»Ich finde, Mia ist alt genug, um die Wahrheit zu erfahren«, sagt Tante Anna entschieden.

Sophie nickt. »Das finde ich auch, Tom. Die Welt ist nun einmal nicht immer rosarot. Es gibt viele Menschen, die Probleme haben. Und manchmal haben eben genau diese Menschen Kinder.«

»Warum kommen Eltern ins Gefängnis?«, fragt Mia leise.

Unauffällig schielt sie zu Elsa, aber die hat ein Buch entdeckt und ist abgelenkt.

»Auch Eltern können in Schwierigkeiten geraten«, antwortet Onkel Toni.

»Die Eltern dieser beiden süßen Mädchen sind zum zwanzigsten Mal beim Schwarzfahren erwischt worden.

Und dieses Mal hat der Richter kein Auge mehr zugedrückt. Er hat sie verurteilt, für ein paar Monate ins Gefängnis zu gehen, um darüber nachzudenken, was richtig ist und was falsch«, sagt Tante Anna.

»Was ist ›Schwarzfahren‹?«, fragt Mia neugierig.

»Wenn man mit dem öffentlichen Bus oder der Bahn fahren will, muss man sich eine Fahrkarte kaufen«, erklärt Onkel Toni, »und wenn man mit Bus und Bahn fährt, ohne sich ein Ticket zu kaufen, fährt man ›schwarz‹.«

Mia nickt.

Das versteht sie.

»Das ist ja auch gemein, wenn keiner bezahlt«, wirft sie ein. »Die Busse müssen schließlich auch Benzin tanken und das kostet Geld.«

Tante Anna drückt Mia an sich. »Genau, mein Schatz!

Wenn man sich herumfahren lässt, muss man das auch bezahlen.«

»Und warum sind Elsa und Madita jetzt bei euch?«, bohrt Mia weiter. Sie angelt sich ein Stückchen Schokolade, als es an der Terrassentür klopft. Erschrocken fahren Tante Anna und Onkel Toni zusammen.

»Was ist das?«, ruft Tante Anna entsetzt.

Mia steht lachend auf und geht zur Terrassentür. Sie öffnet sie und zieht das Tischtuch von ihrem Uhu und ihrem Pinguin herunter. »Fritz! Fridolin! Was macht ihr zwei schon wieder für einen Unsinn? Die Tischdecke soll doch auf dem Tisch bleiben.«

»Ihr habt nicht nur Pinguine, sondern auch einen zahmen Uhu?«, ruft Tante Anna überrascht.

Mia nickt grinsend. »Fritz ist genau über unserem Garten abgestürzt. Er hatte sich einen Flügel gebrochen.«

»Aber ihr hättet ihn doch auswildern können«, sagt Onkel Toni verwundert.

Mia schüttelt den Kopf. »Fritz war zu klein. Er hat nicht gelernt zu jagen. Es war schon schwierig, ihm das Fliegen beizubringen.«

»Genau. Und jetzt ist er ein weiteres, teures Familienmitglied«, sagt Mias Papa schmunzelnd.

Elsa ist ganz begeistert von dem Pinguin, aber Fridolin will von ihr nichts wissen und versteckt sich hinter Mia.

Auch Fritz folgt seinem Freund.

Mia hockt sich hin und streichelt ihre beiden Tiere. »Fritz!

Fridolin! Ihr müsst euch nicht verstecken. Das ist Elsa.

Sie ist mit ihrer Schwester Madita zu Besuch.«

»Pingu«, ruft Elsa begeistert, aber das macht Fridolin nur noch mehr Angst.

»Mia, bring deine Tiere bitte nach draußen«, sagt Mias Papa.

Mia nickt und nimmt Fridolin auf den Arm. Sie geht zur Terrassentür. Fritz folgt ihr schuhuhend und breitet seine Flügel aus. Mittlerweile ist er jedoch so groß, dass er mit ausgestreckten Flügeln nicht mehr durch die nur wenig geöffnete Terrassentür passt.

Elsa fängt beim Anblick des großen Vogels an zu weinen.

Das schreckt Madita auf und schon schreien zwei Kinder.

Stella blickt verwundert zwischen den beiden Mädchen hin und her. Ihre Unterlippe fängt an zu zittern, dann kullern auch bei ihr die ersten Tränen.

Stöhnend erheben sich Mias Papa und Tante Anna, um die Kinder zu beruhigen, während Mia die Tiere in den Garten schafft.

Als sie wiederkommt, sitzen Elsa und Madita bei Tante Anna und Onkel Toni. Stella kaut auf Papas Schoß an einem Stück Schokolade herum.

»Wir sind eine Bereitschaftspflegefamilie«, erklärt Tante Anna, als sich Mia zu ihr setzt. »Wir nehmen Kinder für kurze Zeit bei uns zuhause auf, wenn ihre Eltern sich nicht um sie kümmern können.«

Mia denkt darüber nach. »Kommt das oft vor?«

Tante Anna nickt. »Ja. Es gibt leider viel zu wenig Menschen, die sich als Notfallfamilie zur Verfügung stellen.

Die Kinder bleiben ja oft nur ein paar Wochen.«

»Aber was ist, wenn man die Kinder lieb gewinnt? Wie kann man sie dann wieder hergeben?«, platzt Mia heraus.

Ihr Papa grunzt. »Das ist genau das Problem.«

»Ja, das ist wirklich manchmal schwer. Toni und ich dürfen den Kindern nur ein Zuhause geben, aber wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in die Kleinen verlieben.«

Mia mustert ihre Tante. »Das finde ich unmenschlich.

Sieh nur, wie süß Madita ist! Wie soll man da eiskalt bleiben?«

»Madita ist auch erst acht Monate alt. In dem Alter sind viele Kinder ganz besonders süß«, sagt Onkel Toni.

»Warum macht ihr das?«, fragt Mia. Verstohlen wischt sie sich eine Träne aus den Augenwinkeln.

»Wir können keine eigenen Kinder kriegen«, beginnt Tante Anna, wird aber von Mia unterbrochen. »Ihr könnt keine eigenen Kinder kriegen? Warum das denn nicht?«

»Manchmal funktioniert der Körper eben nicht so, wie man es gerne hätte«, sagt Tante Anna traurig. »Und darum haben wir uns entschieden, Kindern zu helfen, die in Not geraten sind.«

»Das verstehe ich«, sagt Mia. »Das ist wirklich sehr lieb von euch. Aber ich glaube, ich könnte das nicht.«

Tante Anna streichelt ihrer Nichte über den Kopf. »Es gibt nur wenige Menschen, die das können. Darum gibt es in Berlin auch mehr Kinder in Not als Bereitschaftspflegeeltern.«

»Fahren dort so viele Menschen schwarz?«, platzt Mia heraus.

Sophie und Tante Anna lachen leise.

»Aber nein, Mia«, sagt Sophie. Sie will noch etwas sagen, aber Tante Anna hebt die Hand. »Mia, meine Mia, du hast ganz viel Glück. Du hast großartige Eltern, die sich richtig toll um dich und Stella kümmern. Sie sind schlau, sie haben einen Job und ihr habt ein wunderschönes Zuhause.

Aber es gibt leider auch viele Menschen, die in Schwierigkeiten geraten, die ihre Kinder schlagen oder die sich nicht einmal um sich selbst kümmern können.«

»Genau«, sagt Onkel Toni, »und diese Menschen können auch Eltern sein mit kleinen oder größeren Kindern. Damit es Kindern in unserem Land aber gut geht, hat der Staat eine Behörde geschaffen, die auf Familien und Kinder aufpasst oder hilft, wenn Hilfe gebraucht wird.«

Unsicher blickt Mia zwischen ihrem Onkel und ihrer Tante hin und her.

»Diese Behörde nennt man ›Jugendamt‹. Dort sitzen Menschen, die sich darum kümmern, dass Kinder, denen es in ihrem Zuhause schlecht geht, ein neues Zuhause bekommen«, erklärt Sophie.

Erschrocken reißt Mia die Augen auf. »Die Leute vom Jugendamt nehmen die Kinder einfach mit?«

Tante Anna seufzt. »Zunächst nicht, Mia. Sie besuchen die Familien und versuchen zu helfen. Aber wenn die Hilfe nicht ausreicht, dann nehmen sie die Kinder auch mit, ja.«

»Habt ihr schon oft Kinder bei euch gehabt?«

»Wir haben aufgehört zu zählen«, gesteht Onkel Toni.

»Das macht es leichter für uns.«

Tante Anna zuckt mit den Schultern. »Wir hatten so etwa 152 Kinder bei uns«, sagt sie kaum hörbar.

Fassungslos blicken Mia und ihre Eltern Tante Anna an.

»So viele? Da muss einem ja das Herz brechen«, platzt Mia schließlich heraus. Sie starrt ihre Tante an, die gleich darauf in Tränen ausbricht. Erschrocken tätschelt Mia ihre Schulter.

»Tante Anna, wein doch nicht! Entschuldige bitte!«

Tante Anna schüttelt den Kopf. »Wir haben auch versucht, über einen längeren Zeitraum Pflegekinder zu bekommen, aber es hat nicht geklappt.«

»Warum hat es nicht geklappt?«, fragt Sophie.

»Die Eltern haben ihre Kinder wieder bei uns abgeholt.

Sie haben sich umentschieden und alle Auflagen erfüllt, die das Jugendamt ihnen gestellt hat. Sie durften ihre Kinder wieder zu sich nehmen.«

»Was sind das für Auflagen?«, will Mias Papa wissen.

»Das ist ganz unterschiedlich«, beginnt Tante Anna zu erklären. Sie nimmt ein Taschentuch und schnaubt sich die Nase. »Manchmal müssen die Eltern sich nur einen Job suchen oder ein festes Zuhause vorweisen.«

Mia steht auf. »Ich würde gerne in mein Zimmer gehen.«

Mias Papa nickt. »Natürlich, mein Schatz.«

Mia versucht, ihre Tante anzulächeln, doch ihre Lippen wollen nicht so richtig gehorchen.

Es ist ein komisches Gefühl zu wissen, dass ihre Tante wildfremde Kinder bei sich aufnimmt und sie nicht einmal lieb haben darf.

»Ich glaube, Mia hat erst einmal eine ganze Menge Stoff zu verdauen«, hört sie ihren Papa sagen, als sie das Wohnzimmer verlässt.

Die fremde Frau

»Schön, dass ihr da seid!«, begrüßt Emma ihre beiden Freundinnen Mia und Amelie.

Mia reicht Emma eine Schachtel mit Muffins. »Ist doch selbstverständlich, dass wir dir bei der Planung deiner Geburtstagsparty helfen.«

Emma linst in die Schachtel. »Schoko-Muffins. Lecker!«

Amelie lacht. »Wir wussten doch, dass du ganz wild nach den Dingern bist. Darum haben wir drei Stück beim Bäcker geholt.«

»Das ist eine hervorragende Idee. Mir graut schon davor, dieses blöde Referat über Pflanzen zu halten«, sagt Emma zähneknirschend.

»Haben meine tauben Ohren da Pflanzen gehört?«, ertönt eine Frauenstimme aus der Küche.

Ein Kopf taucht auf. »Hallo Kinder!«

Mia begrüßt Emmas Großmutter. »Guten Tag, Frau Rosenstein!«

»Oh, ich heiße gar nicht ›Rosenstein‹. Meine Tochter hat einen Emil Rosenstein geheiratet. Ich heiße Kassiopeia Mehrzahl. Aber nennt mich doch einfach ›Oma Kassy‹.

Ich komme mir sonst so alt vor.« Vergnügt zwinkert die alte Damen den Mädchen zu.

»Sie heißen ernsthaft ›Mehrzahl‹ mit Nachnamen?«, fragt Amelie überrascht.

»Ja, aber Oma hieß als Mädchen leider nicht ›Einzahl‹, sonst wäre das ein cooler Doppelname geworden«, witzelt Emma kichernd.

Oma Kassy nickt grinsend. »Stimmt, du freche Rübe!

Mein Mann Erwin hieß wirklich ›Mehrzahl‹, Amelie.«

»Oma, wenn wir dich ›Oma Kassy‹ nennen sollen, klingt das doch auch alt, oder?«, widerspricht Emma.

»Papperlapapp«, winkt Oma Kassy ab. »So, und nun verduftet mal nach oben, bevor mein Schwiegersohn euch zur Gartenarbeit einspannt.«

»Wir müssen etwas für die Schule vorbereiten, Oma. Wir können Papa nicht in der Baumschule helfen. Außerdem müssen wir noch meinen Geburtstag planen.« Emma lotst ihre Freundinnen zur Treppe.

»Geburtstage planen ist phantastisch. Ich bin dabei!«, lacht Oma Kassy.

»Ah, wie ich sehe, hast du Verstärkung mitgebracht!«

Emil Rosenstein zwinkert seiner Tochter zu. »Dann lauft lieber schnell in Sicherheit, bevor…«

»…Finnja uns zur Gartenarbeit einteilt?«, beendet Emma seinen Satz fast schon genervt.

Ihr Vater hebt beide Hände. »Ich wollte nur behilflich sein. Nicht, dass ihr euch hinterher beschwert, weil ihr hier arbeiten musstet.«

»Arbeit?« Eine Frau erscheint im Türrahmen. »Wie ich sehe, haben wir heute fleißige Helfer! Das freut mich aber.«

»Finnja!«, empört sich Emma. »Wir haben keine Zeit, euch in der Baumschule zu helfen.«

Die Baumschulpartnerin ihres Vaters winkt ab und lacht.

»Ich wollte dich nur ärgern, meine Süße! Ich weiß doch, dass ihr etwas für die Schule vorbereiten müsst.« Dann wendet sie sich an Emmas Papa und wirft ihm ein Handtuch an den Kopf. »Und du, mein Lieber, stellst mich nicht wie einen Drachen hin, der jeden zur Arbeit verdonnert, der hier auftaucht.«

Emil Rosenstein duckt sich und läuft lachend davon. »Die Rosen rufen. Ich bin dann mal weg!«

Grinsend gehen die Mädchen die Treppe hinauf in Emmas Zimmer.

»Finnja und dein Papa sind wirklich süß miteinander.

Sind sie auch privat ein Paar?«, fragt Mia.

Emma nickt stolz. »Ja, das finde ich auch. Sie arbeiten schon lange zusammen, aber verliebt haben sie sich erst im letzten Jahr. Ich freue mich für meinen Papa. Er war sehr einsam und traurig, als Mama vor drei Jahren starb.«

»Meine Mütter sind eigentlich auch schwer verliebt ineinander«, sagt Amelie seufzend.

»Was heißt denn hier ›eigentlich‹?«, hakt Mia nach und wirft ihre Schultasche versehentlich etwas zu schwungvoll gegen die Heizung.

Amelie setzt sich auf das kleine Sofa neben dem Fenster.

»Sie haben momentan so viele Aufträge mit ihrer Kunstgalerie, dass sie kaum noch Zeit füreinander haben. Sie geben sich täglich die Klinke die Hand, weil immer einer von beiden bei uns ist.«

»Dann organisiere doch ein Wochenende zu zweit. Ich habe da neulich eine Werbung gesehen. ›Hotel Ruhepol‹ oder so ähnlich hieß die Anlage, wo sich Verliebte vom Alltag erholen können«, schlägt Mia vor. Sie pflanzt sich neben ihre Freundin aufs Sofa und stellt die Schachtel mit dem Kuchen auf den kleinen Beistelltisch. »Du kommst dann das Wochenende zu uns. Und Nils geht einfach zu Lucas.«

»Super Idee! Aber wartet! Ich habe die Getränke vergessen«, ruft Emma und läuft aus dem Zimmer.

»Brauchst du Hilfe?«, ruft Amelie hinterher, doch Emma ist schon verschwunden.

Kurz darauf taucht sie mit einem Tablett auf, auf dem ein paar Teetassen stehen sowie eine Teekanne. »Ich hatte doch extra Tee gekocht für uns.«

»Gute Idee! Obwohl wir August haben, ist es seit Tagen richtig kalt«, beschwert sich Mia.

Emma schenkt ihren Freundinnen etwas Roiboostee ein und setzt sich auf einen Hocker. »Ich würde meinen Geburtstag übernächste Woche trotzdem gerne feiern. Ich dachte mir, wir machen eine Motto-Party.«

»Was für eine Motto-Party?«, fragt Mia neugierig.

Amelie lächelt. »In Berlin sind Nils und ich mit unserem Vater mal auf einer Motto-Party gewesen. Das war cool.«

»Was war denn das Motto?«, will Emma wissen und angelt sich einen Muffin aus der Schachtel.

»Regenbogen«, sagt Amelie fast ein wenig schüchtern.

»Cooles Thema«, sagt Mia.

»Genau. Nix, wofür du dich schämen müsstest. Bunt ist toll«, sagt Emma.

»Du könntest auch eine Pippi-Langstrumpf-Party machen«, schlägt Mia vor.

»Das ist eine tolle Idee«, sagt Emma begeistert. Vorsichtig schenkt sie ihren Freundinnen Tee ein, als es an der Tür klopft.

»Ja, bitte?«, ruft Emma.

Oma Kassys Kopf taucht auf. »Mädels, ich bin wirklich langsam tüddelig. Ich wollte euch doch bei eurem Pflanzenreferat helfen. Außerdem bin ich ganz wild darauf, eure Party mit zu planen.«

Emma lächelt. »Du musst uns nicht helfen, Oma. Ruh dich lieber aus!«

Oma Kassy verdreht die Augen. »Meine liebe Emma, ausruhen kann ich mich, wenn ich tot bin. Ich habe eh schon nix zu tun. Gebt mir Arbeit!«

Mia schluckt. So viel Direktheit ist sie selbst von ihrem Opa nicht gewohnt.

»Oma, Oma, du bist unmöglich! Sieh nur, wie du unsere Gäste verschreckst!« Emma schnalzt mit der Zunge.

Oma Kassy setzt sich ächzend auf den Fußboden. »Entschuldigt, Mädels, wenn man in ein bestimmtes Alter kommt, dann versucht man Witze über den Tod zu reißen.

Vielleicht, um die Angst zu überspielen, die man davor hat.«

»Ich hätte Angst«, sagt Mia.

Oma Kassy tätschelt ihre Hand. »Das verstehe ich, Mia.

Du bist ja auch noch blutjung und hast hoffentlich noch ein langes Leben vor dir.«

»Ich habe keine Angst«, sagt Emma. Sie positioniert sich im Schneidersitz und holt die Unterlagen für das Referat aus ihrem Schulranzen.

»Echt nicht?«, will Amelie wissen. »Ich schon. Mir hat es schon gereicht, dass Frau Cordes im letzten Schuljahr gestorben ist.«

»Das war auch sehr erschreckend«, gibt Oma Kassy zu.

»Aber nun wollen wir uns eurem Referat widmen, schließlich geht es da drin nicht ums Sterben, oder?«

»Nein«, sagt Emma lächelnd. »Photosynthese.«

»Oder wie unsere Pflanzen atmen und essen«, feixt Amelie.

***

»Mama, hast du meine Schuhe gesehen?«, ruft Mia quer durchs Haus.

Sophie lacht laut auf.

Neugierig geht Mia ins Wohnzimmer.

Sophie steht am Fenster und zeigt nach draußen. »Meinst du etwa deine lila Glitzerschuhe? Ich glaube, die hängen im Baum.«

»Im Baum?« Mia flitzt zur Terrassentür und öffnet sie.

»Wie kommen die denn da oben hin?«

Glucksend folgt Sophie ihr in den Garten.

Fritz, der kleine Uhu, der gar nicht mehr so klein ist, flattert vom Baum und fliegt Mia direkt in die Arme. »Fritz, du kleiner Racker! Hast du etwa meine Schuhe da oben aufgehängt?«, ruft Mia prustend.

Fritz antwortet mit einem kräftigen ›Schuhuhu‹.

Mia streichelt dem Uhu über den Kopf. »Du bist noch verrückter als Fridolin. Wo steckt dein Freund überhaupt?« Sie setzt den mittlerweile recht schweren Eulerich ab und schaut sich suchend um. »Fridolin, wo steckst du?«

Der Pinguin trötet leise aus seiner Höhle heraus.