Entwicklung und Bildung im Kindesalter - Hermann Schöler - E-Book

Entwicklung und Bildung im Kindesalter E-Book

Hermann Schöler

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Beschreibung

Die Elementarbildung steht heute im Blickfeld öffentlicher und politischer Aufmerksamkeit: Große Hoffnungen richten sich auf die Wirksamkeit einer Bildung von Anfang an. Auf diesen bildungspolitischen Boom reagierte die Pädagogik mit einer Inflation pädagogischer Konzepte - mit Wirksamkeitsversprechen, eher Wunschdenken entsprungen, aber kaum evidenzbasiert der Wissenschaft verpflichtet. Der Autor wirft ein kritisches Licht auf diese Konzepte und ihre Leitvokabeln: "Selbstbildung", "Ganzheitlichkeit", "wahrnehmendes Beobachten", "Stärkenorientierung" und natürlich "Inklusion". Und er entlarvt sie als das, was sie sind: unreflektierte Modebegriffe. Indem der Autor die Schwachstellen und Ideologeme der Diskussion um die Elementarpädagogik schonungslos aufdeckt, liefert er den überfälligen Anstoß zur stärkeren wissenschaftlichen Fundierung elementarer Bildungsarbeit.

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Der Autor

Dr. Hermann Schöler war Professor für Entwicklungspsychologie und für Psychologie in sonderpädagogischen Handlungsfeldern an der PH Heidelberg

Hermann Schöler

Entwicklung und Bildung im Kindesalter

Eine Kritik pädagogischer Begriffe und Konzepte

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-035367-1

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-035368-8

epub:   ISBN 978-3-17-035369-5

mobi:   ISBN 978-3-17-035370-1

Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers

 

 

 

Die Lehrbuchreihe »Entwicklung und Bildung in der Frühen Kindheit« will Studierenden und Fachkräften das notwendige Grundlagenwissen vermitteln, wie die Bildungsarbeit im Krippen und Elementarbereich gestaltet werden kann. Die Lehrbücher schlagen eine Brücke zwischen dem aktuellen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Forschungen zu diesem Bereich und ihrer Anwendung in der pädagogischen Arbeit mit Kindern.

Die einzelnen Bände legen zum einen ihren Fokus auf einen ausgewählten Bildungsbereich, wie Kinder ihre sozio-emotionalen, sprachlichen, kognitiven, mathematischen oder motorischen Kompetenzen entwickeln. Hierbei ist der Leitgedanke darzustellen, wie die einzelnen Entwicklungsniveaus der Kinder und Bildungsimpulse der pädagogischen Einrichtungen ineinandergreifen und welche Bedeutung dabei den pädagogischen Fachkräften zukommt. Die Reihe enthält zum anderen Bände, die zentrale bereichsübergreifende Probleme der Bildungsarbeit behandeln, deren angemessene Bewältigung maßgeblich zum Gelingen beiträgt.

Dazu zählen Fragen, wie pädagogische Fachkräfte ihre professionelle Responsivität den Kindern gegenüber entwickeln, wie sie Gruppen von Kindern stressfrei managen oder mit Multikulturalität, Integration und Inklusion umgehen können. Die einzelnen Bände bündeln fachübergreifend aktuelle Erkenntnisse aus den Bildungswissenschaften wie der Entwicklungspsychologie, Diagnostik sowie Früh- und Sonderpädagogik und bereiten für den Einsatz in der Aus- und Weiterbildung, aber ebenso für die pädagogische Arbeit vor Ort vor. Die Lehrbuchreihe richtet sich sowohl an Studierende, die sich in ihrem Studium mit der Entwicklung und institutionellen Erziehung von Kindern befassen, als auch an die pädagogischen Fachkräfte des Elementar- und Krippenbereichs.

Der vorliegende Band von Hermann Schöler, einem der Herausgeber dieser Reihe und langjähriger Mitgestalter und kritischer Begleiter der Elementarbildung in Deutschland, fällt etwas aus der Reihe der Lehrbücher. Denn das Buch versteht sich als kritisches und streitbares Resümee der elementarpädagogischen Konzepte, die mit dem bildungspolitischen Boom der Elementarbildung ins Kraut geschossen sind und die pädagogische Diskussion bestimmen. Viele davon stellen eher »eminenzbasierte« Heilsversprechen als evidenzbasierte wissenschaftliche Konzepte dar. Hermann Schöler nimmt sich in seinem provokant geschriebenen Buch dieser boomenden Konzepte an, als da sind: Selbstbildung, Ganzheitlichkeit, Haltung, Förderdiagnostik, wahrnehmendes Beobachten, Stärkenorientierung, Inklusion, qualitative Forschung. Und er entlarvt sie als das, was sie sind: pädagogische Seifenblasen, die einer kritischen wissenschaftlichen Analyse nicht standhalten, aber das pädagogische Gewissen beruhigen, das Beste für die Kinder zu wollen. Das schadet der pädagogischen Arbeit vor Ort!

Dabei bleibt Hermann Schöler nicht einfach bei einer süffisant bis zornig geschriebenen Kritik stehen. Vielmehr präsentiert er unter Rückgriff auf eine sorgfältige und fundierte Analyse der evidenzbasierten Forschung die empirisch validierten Konzepte hinter den Modebegriffen. Er zeigt, welche Konzepte für eine erfolgreiche Elementarbildung tragfähig sind – und welche nicht. Er gibt damit auch denen eine Stimme, die ein Unbehagen an des »Kaisers neuen Kleidern« verspüren und auf der Suche nach diesen tragfähigen Konzepten sind. Ein solches Buch ist längst überfällig in der Diskussion um die Elementarbildung. Wir hoffen sehr, dass es Anstoß gibt, sich stärker auf die wissenschaftliche Fundierung elementarer Bildungsarbeit zu konzentrieren, statt auf wolkige Heilsversprechen.

 

Münster, Freiburg im September 2018Manfred Holodynski und Dorothee Gutknecht

Inhalt

 

 

 

Vorwort: Warum ein solches Buch?

Danksagung

1 Zur Notwendigkeit von Früher Bildung und Erziehung

1.1 Wertigkeit der Frühen Bildung und Gesellschaftssystem

1.2 Frühe Bildung, Chancen- und Bildungsgerechtigkeit

1.3 Sputnik, PISA und die Frühe Bildung

1.4 Demokratie und (Frühe) Bildung

1.5 Was sich eine demokratische Gesellschaft nicht erlauben sollte

1.6 Fazit

2 Hinderliche Überzeugungen

2.1 Kompetenzen, Wissen, Fertigkeiten, Fähigkeiten

2.2 »Lesen durch Schreiben«. Oder: Wie erschwere ich Kindern das Lesen- und Schreibenlernen

2.3 Ist Variation wirklich motivationsfördernd? Übung macht doch den Meister!

2.4 »Das kannst Du besser!« – Anreize statt »leeres Lob«

2.5 »Haltung« oder Professionalität? Genügen Liebe und Begeisterung?

3 »Ganzheitlichkeit«: Unüberlegte Begriffsnutzung oder gezielter Angriff auf wissenschaftliche Analyse?

3.1 »Ganzheitlichkeit« in der Frühen Bildung

3.2 »Ganzheitlichkeit« – Dogma für oder gegen Diagnostik, Lernen, Bildung?

3.3 »Ganzheitlichkeit« und das »gesunde Volksempfinden«

3.4 Fazit

4 »Selbstbildung«? Wer oder was steuert die Entwicklung, Erziehung und Bildung eines Kindes?

4.1 Entwicklung und Erziehung: Notwendige sozialisationsbedingte Begrenzungen

4.2 Bilder vom Kind

4.2.1 Ko-Konstruktion

4.2.2 »Selbstbildung«

4.3 Fazit

5 »Aktiv entdeckendes Lernen«? Was ist eigentlich Lernen?

5.1 Lernen als Prozess

5.2 Bildung und Lernen – Begriffliche Verwirrungen zwischen Lehren und Lernen: Lehren ist nicht Lernen!

5.3 Fazit

5.4 Zur Rolle der Lehrenden für die Lernenden

6 Warum akademische und kognitive Fähigkeiten für die Demokratie wichtig sind!

6.1 Kognitive Fähigkeiten

6.2 Intelligenz und Hochbegabung – beliebige Konstrukte?

6.3 Ist die Förderung hochbegabter Kinder politisch unerwünscht?

6.4 Fazit

7 »Förderdiagnostik«? Von der Notwendigkeit, Diagnostik und Intervention zu differenzieren

7.1 Unterschiede zwischen einer Selektions- und einer Platzierungsdiagnostik

7.2 Beispiele für die Gefährlichkeit einer »Förderdiagnostik«

7.3 Zur »Unnatürlichkeit« einer diagnostischen Situation

7.4 Fazit

8 »Norm oder nicht Norm?« – Das ist keine Frage!

8.1 Arten von Normen

8.2 Normen im Kontext diagnostischer Urteilsbildungen

8.3 Falsche Anwendung von Normen

8.4 Auch ein »inklusionsdiagnostischer Service« setzt einen Vergleich voraus

8.5 Fazit

9 Beobachtung – die schwierigste diagnostische Tätigkeit erfordert hohe Professionalität und Wissen

9.1 Vorbemerkung: Die Wirksamkeit von Wörtern

9.2 Ist eine »ungerichtete Beobachtung« möglich?

9.3 Fazit

10 Kann man ein Loch erkennen, wenn das Loch keine Ränder hat?

10.1 Defizit- »versus« Stärkenorientierung?

10.2 Gleiche Phänomene implizieren nicht notwendig gleiche kognitive Prozesse oder Strukturen

10.3 Fazit

11 »Inklusion« im deutschen Bildungssystem: Ein Bärendienst für alle!

11.1 Was wird unter »Inklusion« verstanden?

Exklusion → Segregation → Integration → »Inklusion« – Eine sachlogische Entwicklung?

11.2 »Chancengleichheit«? »Allen das Gleiche!« oder »Jedem das Seine!«

11.3 »Dass Förderschulen abgeschafft werden, beruht auf Übersetzungs- und Denkfehlern«

11.4 Chancengerechtigkeit für alle Kinder

11.5 Exkurs: Keine Satire: Menschen mit einer geistigen Behinderung als Hochschullehrer

11.6 Fazit

12 »Qualitative Forschung«: Unüberlegtes Attribut oder ein Kampfbegriff?

12.1 Wissenschaft bedeutet immer Reduktion – egal, ob mit qualitativen oder quantitativen Methoden

12.2 Forschung verlangt Methodenkompetenz

12.3 Fazit

13 Früherkennung von Entwicklungsrisiken und frühe Interventionen – Schaden oder Nutzen?

13.1 Legasthenie – eine Erfindung geschäftstüchtiger therapeutischer Praxen?

13.2 Ist jede Transition eine Entwicklungsaufgabe?

13.3 Bietet Zusatzförderung Chancen zur Minderung von Risiken für die Schulbereitschaft?

14 Warum eine ausreichende Kenntnis früherer Erkenntnisse sinnvoll ist

14.1 Die »kognitive Wende« – Wechsel von einem Paradigma zu einem »Paradogma« durch Falschzitieren?

14.2 Wieso wechseln die Bezeichnungen von Phänomenen oder Konstrukten ständig?

14.3 Fazit

15 »Kritisches Nachdenken« über »weiße Schimmel« – nur eine Marginalie

»Kritische Reflexion«

16 Epilog

Literatur

Vorwort: Warum ein solches Buch?

 

 

 

Wer NACHdenkt hat vielleicht nur verpasst, VORher zu denken.Helga Schäferling (2017)

Mit Sorge verfolge ich seit Jahrzehnten die immer wieder neuen pädagogischen Moden und damit einhergehenden Begrifflichkeiten, mit denen Konzepte der Erziehung und Bildung als notwendige Innovationen vorgestellt, Guru-mäßig verbreitet und leider auch umgesetzt werden, deren logischer, meist ideologischer, auf jeden Fall semantischer Unsinn gar nicht mehr wahrgenommen und analysiert werden. Sie sind eher als »eminenzbasiert«, denn als evidenzbasiert zu charakterisieren. Man gewinnt den Eindruck, dass je abstruser die »Theorie« und je lauter sie mit Attributen wie »richtig«, »gut« und »kindgemäß«1 als Idealnormen vertreten werden, desto größer wird die Anhängerschaft – leider insbesondere auch seitens der Politik. Da sich Wirksamkeiten von Bildungsmaßnahmen nicht innerhalb eines so kurzen Zeitraumes wie einer Wahlperiode beobachten und evaluieren lassen, ist Bildung in der Politik eigentlich kein Schwerpunkt der politischen Arbeit. Bildung eignet sich aber als Wahlkampfthema, wenn einfache und vermeintlich innovative, schlagwortartig vorgetragene Positionen zum Besten gegeben werden. Und dafür sind Konzepte, die als »richtig« und vermeintlich »kindgemäß« zum Wohle des Kindes propagiert werden, besser geeignet, als wenn man wissenschaftlich redlich auf die Problematik der verschiedenen zur Verfügung stehenden Maßnahmen eingeht und Empfehlungen differenzierte Analysen erfordern und berücksichtigen müssen, die nicht einfältig sind, sondern meist vielfältige Möglichkeiten eröffnen. Und hier scheint es wichtig, die richtigen Worte zu finden. Dafür stellen dann Vertreter/-innen aktueller pädagogischer Richtungen bzw. Moden, ob bewusst oder zufällig, wohlklingende Wörter und Konzepte zur Verfügung. Allzu oft werden diese leider weder dem Gegenstandsbereich noch den betroffenen zu erziehenden und zu bildenden Kindern gerecht. Es gibt sogar pädagogische Konzepte, die nicht nur wissenschaftlich unhaltbar sind, sondern auch empirisch als schädlich erkannt wurden – sie werden dennoch, sehr zum Schaden der betroffenen Kinder, eingesetzt und lassen sich wohl ob der Wörter und Begrifflichkeiten »gut verkaufen«.

Einige dieser wohlklingenden und allzu häufig verwendeten Wörter sowie damit verbundene Konzepte stehen in diesem Buch auf dem Prüfstand. Meist werden solche Wörter achtlos, also ohne über sie nachgedacht zu haben, verwendet. Bei einigen liegt der Ursprung aber ideologisch begründet – und dies hat allzu oft fatale Auswirkungen – leider nicht für die Erzeuger solch problematischer Wörter und Begriffe, sondern für die Kinder, die von allen immer im Fokus sind: Es geht immer um das Kind – koste es, was es wolle – für das Kind!

Da – wie von vielen proklamiert (Kap. 1) – eine angemessene Erziehung und Bildung der Kinder aber eine notwendige Voraussetzung für sog. demokratische und aufgeklärte Gesellschaften sind und deren Weiterbestehen wesentlich nur durch »mündige Bürger/-innen« gesichert werden kann, sollte man sich neu entstehende Begriffe und Konzepte auf ihre Aussage in Bezug auf diese notwendigen Voraussetzungen genau anschauen: Dienen sie einer angemessenen Bildung der Kinder, oder können sie letztlich dafür sogar Bärendienste leisten? Ein Beispiel möge dies erläutern: Der in der (Früh-)Pädagogik weit verbreitete Begriff der »Ganzheitlichkeit« (Kap. 3) eignet sich m. E. sehr gut, der Beliebigkeit Tür und Tor zu öffnen und konkrete Hilfen für die Kinder zu verhindern, ganz abgesehen von seiner wissenschaftlich und politisch problematischen Vergangenheit (Kap. 3.3).

Oft entspringen solche und andere pädagogische Konzepte »gutem Willen« und Motiven, für die Kinder etwas Gutes zu tun, was leider allzu oft mit naiven Vorstellungen gepaart ist. Des Öfteren sind die Begrifflichkeiten auch Ausdruck von Karrierismus2 oder aber einer gezielten Diffamierung bestehender Erkenntnisse (s. z. B. »Förderdiagnostik«; Kap. 7) oder beidem. Dabei werden empirische Befunde und Erkenntnisse, aus welchen Gründen auch immer, nicht zur Kenntnis genommen. Nicht zuletzt basieren sie schlicht auf unzureichendem Nachdenken (Reflexion). Erinnert sei hier nur an die flächendeckende Einführung der Mengenlehre in der Grundschule3 (Der SPIEGEL, 1974; Kline, 1974) oder die Erstlese- und Erstschreibmethode »Lesen durch Schreiben« (Kap. 2.2) oder beim Fremdsprachenunterricht die Methode der totalen Immersion4, die zwar durchaus sinnvoll und effektiv in den ersten Lebensjahren sein kann5, wenn das Kind kommunikationsorientiert seine Muttersprache(n) lernt (s. z. B. Lamendella, 1978; Schöler, 1981, 1987). Im Jugend- oder Erwachsenenalter wird eine Fremdsprache aber eher kognitionsorientiert gelernt, zum Beispiel wird eine Fremdsprache automatisch mit der Muttersprache verglichen. Daher ist die Immersion in aller Regel und gerade in einem größeren Gruppenkontext, wie einem Klassenverband, allein nicht zielführend. Diese Diskussion kann hier aber ebenso wenig wie die Differenzierung von Deutsch als Fremdsprache (DaF) und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) vertieft werden.6

In diesem Buch wird über eine Reihe solcher, die Entwicklung, Erziehung und Bildung teilweise gefährdende Moden bzw. Ideologien und Begrifflichkeiten diskutiert oder, wie es heute allzu oft heißt, »kritisch reflektiert«. Übrigens ein »weißer Schimmel«, denn kann ein Nachdenken auch unkritisch erfolgen? Oder anders gefragt: Wird durch das Attribut »kritisch« eine besondere Qualität des Nachdenkens nahegelegt? Um ähnliche »weiße Schimmel« geht es am Rande auch in diesem Buch (Kap. 15).

Es geht um Grundsätzliches hinsichtlich der Erziehung und Bildung unserer Kinder7 (z. B. »Selbstbildung«, Kap. 4; oder »Inklusion«, Kap. 11) und um Begriffe, bei deren Erzeugung bzw. bei ihrer Nutzung nicht ausreichend nachgedacht wurde (wie z. B. »Ganzheitlichkeit«, Kap. 3; oder »Haltung«, Kap. 5). Oder wurden sie doch bewusst als neue, vermeintlich wissenschaftliche Begriffe und als politisch korrekt etabliert (z. B. »Förderdiagnostik«, Kap. 7; oder »Qualitative Forschung«, Kap. 12), um sie zur Diskriminierung bestehender Konzepte zu nutzen? Und es geht um eher Randständiges und Konzepte, deren Bezeichnungen und Definitionen Unmögliches von den Beteiligten verlangen und damit mehr Schaden anrichten, als dass sie effektive Hilfen darstellen können (z. B. »Erziehungspartnerschaft«, Textor, 2011; oder »Inklusion«, Kap. 11).

»Inklusion« ist im vorigen Abschnitt zweimal angeführt worden, denn zum einen soll jegliche Erziehung und Bildung »inklusiv« erfolgen, zum anderen ist »Inklusion« ein Konzept, bei dem eigentlich Unmögliches vorausgesetzt wird. Solange sich Menschen unterscheiden und solange gesellschaftliche Systeme Bildungssysteme entwickeln und bereitstellen, wird es nicht umsetzbar sein können. Dies wird Thema eines der Diskussionskapitel sein (Kap. 11).

Dieses Buch ist kein wissenschaftliches Lehrbuch (s. dazu die Lehrbuchreihe »Entwicklung und Bildung in der Frühen Kindheit«, herausgegeben von Manfred Holodynski, Dorothee Gutknecht & Hermann Schöler im Kohlhammer-Verlag). Mit dem Buch möchte ich auf die problematischen Wörter und Begriffe und – wo möglich – bereits empirisch fundierte Erkenntnisse hinweisen, die in bestimmten Bildungsbereichen nicht recht zur Kenntnis genommen werden, sei es aus Unkenntnis oder auch Unverstand. Die Diskussion – so hoffe ich – erfolgt aber unter Beibehaltung wissenschaftlicher Redlichkeit. Zu den angesprochenen Themen gebe ich jeweils wissenschaftliche Literatur zur Vertiefung an.

Viele dieser Themen habe ich bereits im Zusammenhang mit Darstellungen wissenschaftlicher Befunde vorgetragen oder in Form von satirischen Beiträgen auch schon schriftlich verfasst (z. B. Schöler, 2004, 2011b). Die Satire bietet eine hervorragende Möglichkeit, den »Knackpunkt« einer bestimmten Position oder Begrifflichkeit hervorzuheben und damit deren Unhaltbarkeit zu verdeutlichen.8 Die Satireform habe ich hier nicht gewählt, damit meine Ausführungen die Ernsthaftigkeit und meine Sorge um Erziehung und Bildung zum Ausdruck bringen.9 Denn teilweise geht es bei den zur Diskussion stehenden Positionen und Begriffen um Realsatire – und die lässt sich bekanntlich satirisch nicht toppen.

»Was ich schon immer mal sagen wollte«, so hätte ich das Buch auch überschreiben können, »Nachgedacht! Eine ›kritische Reflexion‹ eminenzbasierter Annahmen und Begriffe der Elementar- und Primarbildung zum Schaden der Kinder«, so lautete lange Zeit der Arbeitstitel, der aber für viele mögliche Leserinnen und Leser wohl nicht direkt verständlich gewesen wäre, wie dies die Rückmeldungen nahelegten. Vielleicht wird auch der eine Leser oder die andere Leserin sagen: »Das hat doch schon die oder der bereits ausführlich und wissenschaftlicher argumentierend gesagt, nur H. S. hats noch nicht«. Das ist korrekt, aber es ist doch eine persönliche Zusammenstellung von Themen und Aussagen, über die es sich m. E. lohnt, immer mal wieder nachzudenken. Einige der Themen und Aussagen werden vielleicht als Randbemerkungen eines sprachsophistizierten Hermann Schöler abgetan (wie schon geschehen: »Ach, Herr Schöler!«) – oder sind auch ebensolche, wie die Anmerkungen zu den »weißen Schimmeln« (Kap. 15).

Die folgende meiner »Verdichtungen« (Schöler, 1984) – so hoffe ich – wird die hier diskutierten Themen nicht zutreffend beschreiben.

 

Die Chance

GesagtVertan.

Danksagung

Obwohl mir Hans-Peter Langfeldt dringend von diesem Buch abgeraten hat, habe ich es in Angriff genommen. Durch diese fundamentale Kritik gab er mir aber viele Anregungen, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Die fast tägliche einstündige »Spaziergangsrunde« mit meiner Frau Barbara Methfessel hat dazu geführt, dass ich viele der angesprochenen Probleme mit ihr hin- und herdiskutieren konnte, sie hat auch die Entwürfe der einzelnen Kapitel kritisch gelesen, sodass ich Ergänzungen zur besseren Verständlichkeit einfügen und Modifikationen vornehmen musste.

Dies gilt in besonderem Maße auch für Dorothee Gutknecht, Manfred Holodynski und Anke Treutlein, die mir sehr deutlich durch ihre sehr konstruktive Kritik vor Augen geführt haben, dass so ein Buch nicht allein für Insider, sondern vielleicht auch genau für solche Leserinnen und Leser sinnvoll sein kann, die bei vielen der von mir in Frage gestellten oder in früheren Versionen als nicht sehr sinnvollen (»unsinnig«) bewerteten Begriffe und Positionen ein komisches Bauchgefühl haben und ein solches Buch als Argumentationshilfe nutzen könnten – falls sie nicht bereits beim Titel, den Kapitelüberschriften oder solchen abwertenden Attributen abgeschreckt werden würden. Ihre Kritik hat mich nicht nur das Inhaltsverzeichnis entscheidend ändern lassen, sondern zu einer Ergänzung und Modifikation sehr vieler Textstellen geführt. Durch die Kritik wurde erst ermöglicht, dass dieses Buch, das von mir als ein »Nachdenken«-Buch für die professoralen Kolleginnen und Kollegen geschrieben wurde, nicht nur Lehrenden, sondern auch Studierenden als Diskussionsgrundlage dienen kann. Das hat allen dreien in der Herausgeberschaft eine Reihe von Kompromissen abverlangt.

Sehr dankbar bin ich Herrn Detlef Böhme, dem Initiator der Kinderakademie Heidelberg, die im Februar 2017 ihr zehnjähriges Jubiläum feiern konnte. Er hat eine frühere Version des Manuskripts kritisch gelesen und konnte mir bei der Geschichte der Hector-Kinderakademien wichtige Hinweise geben.

Leider hat sich in den Wissenschaften eine eher Anti-Diskussionskultur entwickelt. Von Beginn meines Studiums an wurde ich erfreulicherweise in einer anderen Diskussionskultur bei Prof. Heinrich Düker und später Prof. Theo Herrmann sozialisiert. Den vielen Kolleginnen und Kollegen, die meine, meist scharfen Diskussionsbeiträge ertragen mussten, danke ich ebenfalls, ohne die Namen aller nennen zu können. Als Politiker wäre ich ungeeignet, er muss vermutlich ständig das Machbare im Auge behalten und Kompromisse schließen. Im Wissenschaftsbetrieb musste ich solche Kompromisse nicht schließen, nur durch gute Argumente und wissenschaftliche Erkenntnisse konnten meine Positionen fallen. Wie meine Frau vermutlich zu Recht kritisiert, konnte ich durch solches Verhalten aber wenig ändern und allzu selten andere Personen von meinen Positionen überzeugen. Hier habe ich Marcus Hasselhorn immer bewundert, der zur Zielerreichung tatsächlich die relevanten Personen meist »dort abholen konnte, wo sie standen«. Die Zusammenarbeit mit ihm und mit Wolfgang Schneider, der mir wichtige Literaturhinweise gegeben hat, im Rahmen des Projektes »Schulreifes Kind« war für mich am Ende meines Berufslebens und darüber hinaus noch ein wichtiges »Highlight«, wie man heute wohl sagen könnte.

Hermann SchölerHeidelberg, im April 2018

Eine Lesehilfe

Abschließend möchte ich noch eine Lese- und Interpretationshilfe geben: Die Farbgestaltung der Kästen ist so gewählt, dass ein blauer Rand und eine blaue Rasterung signalisieren, dass der entsprechende Inhalt von mir mitgetragen wird.

Bei nur blauem Rand und weißem Hintergrund ist Vorsicht geboten, diese Inhalte entsprechen nach meinem Wissen nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis und werden von mir kritisiert.

1     In der Pädagogik wird oft davon gesprochen, die Kinder dort abzuholen, wo sie stehen. Dazu ist allerdings erforderlich, dass man die »Position« des Kindes auch wahrnehmen kann (Kap. 2.2).

2     Will man in der Pädagogik eine Professur besetzen, scheint man »eine neue Sau durchs Dorf treiben« zu müssen (s. dazu Auer & Dölle, 2000).

3     »New Math«, eine Welle aus den USA, die nach dem »Sputnik-Schock« auch die BRD überrollte.

4     Als Immersion (auch Sprachbad) wird das Eintauchen in eine fremdsprachige Umgebung bezeichnet. Der Erwerb der fremden Sprache soll ohne jegliche Instruktion über die fremde Sprache erfolgen.

5     Gerade mittels des sog. OPOL-Prinzips (one person – one language) wird ermöglicht, dass ein Kind gleichzeitig zwei Sprachen leicht lernt: Spricht beispielsweise die Mutter in allen Situationen nur Deutsch, der Vater nur Türkisch mit dem Kind, wird das Kind in aller Regel bilingual werden und sowohl Deutsch als auch Türkisch wie zwei Muttersprachen lernen können. Allerdings müssen auch bei OPOL verschiedene Rahmenbedingungen ausreichend gegeben sein: Ist z. B. der Vater selten zu Hause, wird das Angebot für die Sprache des Vaters möglicherweise unzureichend sein – ein umfassendes Angebot ist aber ein zentraler Gelingensfaktor.

6     Mit Deutsch als Fremdsprache (DaF) und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) werden zwei unterschiedliche Kontexte für das Deutschlernen gekennzeichnet: DaF bezeichnet einen nicht-deutschsprachlichen Kontext (z. B. ein türkisches Kind lernt Deutsch in der Schule in der Türkei), DaZ einen Kontext mit Deutsch als Verkehrssprache (ein Kind mit türkischem Migrationshintergrund lernt Deutsch in Deutschland). Einen Überblick über Lehren und Lernen bei DaZ geben u. a. Kniffka und Siebert-Ott (2012).

7     Ich begrenze den Altersbereich auf das Kindesalter (Geburt bis zur Pubertät), wiewohl klar ist, dass Erziehung und Bildung auch danach und bis ins hohe Alter stattfinden, getreu dem Volksmund »Man wird so alt wie eine Kuh und lernt doch immer noch dazu«. Klein- und Vorschulkinder sind darüber hinaus deutlich aufnahmefähiger und effektiver beim Lernen (s. z. B. Pauen, 2012).

8     Sehr lesenswerte Beispiele bieten die Arbeiten von Gottlob Kleine-Moritz aus dem Institut für Angewandte Zweckforschung (1985, 1992, 2004), von August Gloi-Hänsle (2003, 2008, 2016), das von Theo Herrmann herausgegebene Werk »Dichotomie und Duplizität« (1974) oder das 1990 von Gunthard Weber und Fritz Simon herausgegebene Werk »Carl Auer: Geist oder Ghost: Merkwürdige Begegnungen / Strange Encounters«.

9     »Manchmal, ja manchmal könnte es sogar passieren, dass uns Ironie oder gar Humor zwischen die Zeilen gerät. Seien Sie also gewarnt« (Breitenbach & Stiehler, 2016).

1          Zur Notwendigkeit von Früher Bildung und Erziehung

 

 

Die frühkindliche Bildung ist eine, wenn nicht die wichtigste und beste Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft. Heidelberger Erklärung zur Frühkindlichen und Elementarbildung (2008)

Die Relevanz von Erziehung und Bildung sowohl für die individuelle als auch für die gesellschaftliche Entwicklung ist unstrittig (Kasten 1; s. auch Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e. V. et al., 2014).

Kasten 1: Frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung: Grundpfeiler für den Aufbau besserer und gerechterer Bildungssysteme

In einer Zeit nie dagewesener Herausforderungen ist es von entscheidender Bedeutung, allen unseren Kindern durch die Gewährleistung einer hochwertigen frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) einen guten Start zu ermöglichen. Die umfassenden Vorzüge einer frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung werden zunehmend anerkannt und reichen von wirtschaftlichen Vorteilen für die Gesellschaft insgesamt bis hin zu besseren schulischen Leistungen des Einzelnen. Die Ergebnisse internationaler Schülerleistungsstudien (PISA (OECD) und IGLU (IEA)) belegen, dass Kinder und Jugendliche in den Bereichen Leseverständnis und Mathematik bessere Leistungen erzielen, wenn sie eine FBBE-Einrichtung besucht haben. Die Forschungsarbeiten legen zudem den Schluss nahe, dass das Angebot einer hochwertigen FBBE die öffentlichen Ausgaben des Sozial-, Gesundheits- und auch des Justizsystems verringern kann. Eine hochwertige FBBE bildet ein starkes Fundament für ein erfolgreiches lebenslanges Lernen und kommt daher insbesondere benachteiligten Kindern zugute. Die FBBE bildet somit einen Grundpfeiler für den Aufbau besserer und gerechterer Bildungssysteme. (Europäische Kommission, 2014, S. 3)

Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen Populismus, den damit verbundenen Simplifizierungen und Lügen (dem Zeitalter des »Postfaktischen« bzw. der »alternativen Fakten«) erscheint es dringlicher denn je, »auf die Karte Bildung zu setzen«. Nur viele mündige, d. h. zur Reflexion fähige Bürgerinnen und Bürger können der aktuellen Gefahr einer Abschaffung demokratischer Strukturen am ehesten begegnen – und »wählen nicht ihre eigenen Schlächter«10.

Zu Recht hört man daher seit Jahrzehnten »Kinder sind unsere Zukunft«, insbesondere verstärkt nach dem »PISA-Schock« (s. u.) – und wenn es um den Wirtschaftsstandort Deutschland geht, der auch in Zukunft erhalten bleiben soll. Eine »Investition in die Zukunft« bringt die größte Rendite, wenn diese in der Frühen Bildung geschieht: Ein dort investierter Euro hätte eine Rendite von 1 : 12, ein Euro in den tertiären Bildungsbereich nur von 1 : 3, so Jürgen Kluge11 2008 in Heidelberg12. Unter der Zukunftsperspektive für eine Gesellschaft ist es demnach lohnenswert, sich mit Früher Bildung intensiver zu beschäftigen und sie tatsächlich nicht nur zu einem relevanten Thema, sondern zu einem festen Bestandteil im politischen Handlungsfeld zu machen.

Neben dem quantitativen Ausbau der zur Verfügung stehenden Plätze für Kinder sind allerdings auch qualitativ Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Wert der Frühen Bildung auch für die dort beschäftigten Fachkräfte mit der wohl anspruchsvollsten und komplexesten Bildungsarbeit sichtbar macht. Eine Wertsteigerung könnte dazu beitragen, dass möglichst viele der Besten eines Jahrganges, die sich für einen pädagogischen Beruf entscheiden, die Frühe Bildung wählen (Schöler, 2009).

Für eine bessere Bewertung der Arbeit in der Frühen Bildung wäre eine Akademisierung eine der notwendigen Voraussetzungen – und zwar eine Akademisierung aller pädagogischen Berufe in frühkindlicher Bildung und Erziehung. In nahezu13 allen anderen pädagogischen Lehrberufen (von der Grundschule bis zum Gymnasium) ist in Deutschland eine Hochschulausbildung erforderlich und wird auch bereits am Beginn des 21. Jahrhunderts von der OECD (2004) dringend für Deutschland empfohlen – übrigens ein Standard in anderen europäischen Ländern:

189. Gemessen an europäischen Standards findet die Ausbildung der deutschen Beschäftigten in der FBBE auf niedrigem Niveau statt. Deutschland und Österreich sind die einzigen Länder Westeuropas, in denen keine nennenswerte Präsenz von Beschäftigten in der Kindertagesbetreuung mit einer grundlegenden Hochschulausbildung zu verzeichnen ist. Über die Unangemessenheit der derzeitigen Ausbildung besteht allgemein Einigkeit, was daran ersichtlich ist, dass vermehrt gefordert wird, die Ausbildung auf eine höhere Ausbildungsebene zu verlagern, und dass in mehreren Ländern Reformen beschlossen wurden, die allerdings eine Anhebung der Ausbildungsebene nicht vorsehen.

190. Welchen Kurs man auch einschlägt, eine Erhöhung der Personalkosten könnte langfristig unvermeidlich sein, um einer Höherstufung der Ausbildung Rechnung zu tragen und eine ausreichende Personalbeschaffung zu sichern. Der Einwand, dass eine verbesserte Rekrutierung und Ausbildung zu hohe Kosten nach sich ziehen, ist langfristig nicht haltbar. In anderen OECD-Ländern hat man Kosten-Szenarios entwickelt, die im Wesentlichen ergaben, dass, wenn hohe Qualität gewünscht wird, eine Aufwertung der Beschäftigten erforderlich ist, um verbesserte Entwicklungs- und Lernergebnisse für die Kinder über das ganze System hinweg zu erzielen. (…) Dies hätte weitere Vorteile: es käme einer gleichberechtigten Beziehung zwischen FBBE-Einrichtungen und Schulen zugute; würde die Beschäftigten für weitere Ausbildungen qualifizieren sowie eine akademische Präsenz und Forschungspräsenz für die FBBE im Hochschulsektor sichern. Uns ist klar: Die Verantwortung für die Ausbildung liegt ausschließlich bei den Ländern. Trotzdem ist dies wiederum ein Bereich, der sich als Gegenstand einer vom Bund angeführten Initiative anbietet, wobei verschiedene Modellprojekte gefördert und bewertet werden könnten, um den besten Weg oder die besten Wege in die Zukunft zu finden. (OECD, 2004, S. 72)

Die im letzten Jahrzehnt entwickelten Bachelor-Studiengänge an Fachhochschulen und Universitäten sind zwar eine erste Grundlage, genügen aber nicht, um diese Wertsteigerung tatsächlich erreichen zu können.14 Denn eine Gleichstellung mit anderen pädagogischen Fachkräften im Bildungssystem (z. B. den Gymnasiallehrkräften) kann damit wohl kaum erreicht werden. Eine Akademisierung könnte auch dazu beitragen, dass Wertschätzung für die Frühe Bildung und die in diesem Bereich beschäftigten Lehrkräfte nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt, sondern sich sowohl auf deren Konto als auch in deren Interaktion mit anderen Fachkräften bemerkbar macht, »mit denen dann – wie es so schön heißt – auch eher eine »Kommunikation auf Augenhöhe« gelingt« (Schöler, 2009).15,16

Warum wird in der deutschen Bildungspolitik nun schon so lange darüber diskutiert, ohne aber wirklich nennenswerte Veränderungen in Gang zu setzen? Alleine der für Bildung unvorteilhaften Länderhoheit (Kap. 13.1) kann dies doch nicht alleine angelastet werden.

1.1       Wertigkeit der Frühen Bildung und Gesellschaftssystem

Unterschiedliche Gesellschaftssysteme zeichnen sich dadurch aus, dass der Erziehung und Frühen Bildung sehr unterschiedliche Bedeutung beigemessen wird und diese mehr oder weniger gezielt durch entsprechende staatliche Erziehungs- und Bildungsinstitutionen fördern – oder eben nicht. So hatten Erziehung und Bildung in der DDR einen deutlich höheren Stellenwert.17 Die Frühe Bildung wurde staatlich reguliert, und die Fachwissenschaften waren in die Vorstellungen und Überlegungen zur Erziehung und Bildung eingebunden.18 Die in der DDR erschienenen Entwicklungspsychologie-Lehrbücher waren allerdings – sofern man die Verlautbarungen der SED-Parteitage, die in jedem Buch am Anfang standen, überblätterte – für westdeutsche Studierende nicht nur billiger, sondern durchaus lesens- und bedenkenswert. Nach der Wende haben einige der führenden Vertreterinnen und Vertreter aus Entwicklungspsychologie und Erziehungswissenschaft ein Buch mit dem Titel »Dem Kinde zugewandt – Überlegungen und Vorschläge zur Erneuerung des Bildungswesens« (1991) publiziert, das nach meinen Recherchen kaum wahrgenommen wurde. Durch den Zusammenbruch des Systems versuchten diese Fachvertreter/-innen »ehrlich, offen und glaubwürdig« ihre Rolle in der DDR aufzuarbeiten und zu dokumentieren:

Jeder Beitrag ist ein Stück individueller Aufarbeitung von DDR-Vergangenheit. Denn wir alle waren verstrickt in die komplizierte Dialektik von Mittäterschaft, Mitläufertum und Opferposition – mit individuell unterschiedlichen Gewichten dieser drei Komponenten. Diese Verstrickung ist eine Quelle von Antrieben und Motiven, zur Erneuerung in uns und außerhalb von uns zu gelangen, Schuld und Scham, latenter Groll und abgestreifte Unterdrückung haben das ihrige bewirkt. (Schmidt, Schaarschmidt & Volkhard, 1991, S. V)

Warum erwähne ich dieses Buch an dieser Stelle? Die Fachvertreterinnen und -vertreter der DDR waren gezwungen, inne zu halten und über ihre bisherigen Theorien, über Bildung und Erziehung nachzudenken, denn das Gesellschaftssystem war gescheitert und damit konnte auch die staatlich regulierte Erziehung und Bildung wohl nicht erfolgreich gewesen sein. In der ehemaligen DDR wurde z. B. flächendeckend ein Netz frühkindlicher Institutionen wie Krippen etabliert, um zum einen die Kinder früh im Sinne der gesetzten gesellschaftlichen Werte zu erziehen und zu bilden nach dem Motto »Wem die Kinder gehören, dem gehört die Zukunft«, zum anderen, um die Frauen nach der Geburt eines Kindes wieder schnell in den Arbeitsprozess integrieren zu können.

In der christlich geprägten Bundesrepublik galt ein anderes Familienbild: Dementsprechend stand die Frau »am Herd«, zog die Kinder auf und sorgte dafür, dass es dem Mann wohl ergeht, damit seine Arbeitskraft als Familienernährer erhalten blieb.19 Bis 1977 konnte daher auch der Mann darüber entscheiden, ob seine Frau »arbeiten gehen«20 durfte oder nicht.

Das Bürgerliche Gesetzbuch schrieb es vor: Wollte eine Frau arbeiten, musste das ihr Ehemann erlauben. Erst 1977 wurde das Gesetz geändert. Bis 1. Juli 1958 hatte der Mann, wenn es ihm beliebte, den Anstellungsvertrag der Frau nach eigenem Ermessen und ohne deren Zustimmung fristlos kündigen können. In Bayern mussten Lehrerinnen zölibatär leben wie Priester – heirateten sie, mussten sie ihren Beruf aufgeben. Denn sie sollten entweder voll und ganz für die Erziehung fremder Kinder zur Verfügung stehen. Oder alle Zeit der Welt haben, um den eigenen Nachwuchs zu hegen. (Riedel, 2012)

1.2       Frühe Bildung, Chancen- und Bildungsgerechtigkeit

Die Erziehung und Bildung der Kinder bis zum Schuleintrittsalter war in der BRD also Privatsache, was im Übrigen leider auch dazu führte, dass die Bildungschancen in Abhängigkeit vom Sozialmilieu21 erheblich variierten – übrigens auch heute noch (z. B. Solga & Dombrowski, 2009; Kasten 2 u. 6).22

Bildung ist in unserer Gesellschaft eine wichtige Determinante für individuelle Lebenschancen, Selbstverwirklichung, beruflichen Erfolg sowie soziale, politische und kulturelle Teilhabe. Bildungsarmut verwehrt einem diese Partizipationschancen. Gering Qualifizierte sind besonders häufig von Arbeitslosigkeit betroffen – und wenn sie erwerbstätig sind, dann zumeist in prekären Arbeitsverhältnissen mit geringer Arbeitsplatzsicherheit, niedrigem Lohn, mangelndem Kündigungsschutz und hohen gesundheitlichen Belastungen. Bildung bzw. Bildungs(miss)erfolg ist damit eine der zentralen Determinanten der intragenerationalen Kumulation sozialer Ungleichheiten im Lebensverlauf.

Zugleich wird mit jeder Veröffentlichung von PISA- oder IGLU-Ergebnissen immer wieder gezeigt, dass der Lernerfolg in Deutschland – ausgeprägter als in vielen anderen Ländern – sehr stark von der sozialen Herkunft abhängt. Gering Qualifizierte werden damit bereits früh im Lebensverlauf – d. h. bereits im Bildungssystem – aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt. Als gering qualifizierte Eltern sind sie selbst wiederum Ausgangspunkt (nicht Ursache!) sozialer Benachteiligungen für ihre Kinder. Letzteres stellt die intergenerationale Reproduktion sozialer Ungleichheit dar.

Dieser Teufelskreis von intra- und intergenerationaler Reproduktion von sozialen Ungleichheiten und Bildungsungleichheiten ist in den letzten Jahrzehnten nicht einmal ansatzweise aufgebrochen worden. (Solga & Dombrowski, 2009, S. 7)

Kasten 2: Bildung »un« Gerechtigkeit

Bildung und Gerechtigkeit. Diese beiden Aspekte gehören zu jeder demokratisch-sozialen Gesellschaft. Schiebt sich »un« dazwischen, droht ein Auseinanderbrechen eben dieser Gesellschaft. (Yilmaz, 2016, S. 66)

Das Recht auf Teilhabe an Bildung steht in einem skandalösen Zusammenhang mit dem Milieu, dem kulturellen und finanziellen Kapital der Eltern, mit der Herkunft. Wo bleibt da die Menschenwürde? Wo bleibt das Verfassungsprinzip der Gleichberechtigung? (Yilmaz, 2016, S. 12)

Und dieser Trend bleibt bestehen, wie auch wieder jüngste Daten des Statistischen Bundesamtes (2016a) bestätigen: Danach besuchen z. B. 62,5 % der Kinder von Eltern mit Fachhochschul- oder Hochschulreife ebenfalls ein Gymnasium, aber nur 7,2 % der Kinder von Eltern mit einem Haupt-/Volksschulabschluss (s. auch Geuer, 2017; Statistisches Bundesamt, 2016b).

In ihrer Untersuchung gingen die Statistiker auch der Frage nach, wie gut die Chancen von Generation zu Generation sind, eine bessere Bildung zu erlangen. Das Ergebnis für Deutschland ist ernüchternd: »Bildungsmobilität ist kaum gegeben«, sagt der Präsident der Behörde, Dieter Sarreither. So hatten im Jahr 2011 42 Prozent der 25- bis 59-Jährigen mit niedrigem Bildungsabschluss auch Eltern mit entsprechenden geringen Qualifikationen. Bei den Hochgebildeten kamen nur sechs Prozent aus einem niedrig gebildeten Elternhaus. (Öchsner in Süddeutsche Zeitung vom 29. Juli 2016, S. 6)

Erst ab 1998 gehörte Bildung auch zum Aufgabenbereich einer Kindertageseinrichtung, bis dahin waren lediglich Betreuung und Erziehung Aufgabenfelder im Elementarbereich. Auch heute ist es weiterhin in der BRD, und nun auch in den neuen Bundesländern, Privatsache, ob man sein Kind in einer Kindertageseinrichtung (KiTa) anmeldet oder nicht. Zwar gibt es mittlerweile in allen Bundesländern Curricula (Bildungs- oder Orientierungspläne), aber zum einen sind diese für die Träger nicht verpflichtend, und zum anderen kann jeder eine KiTa aufmachen, der die Erfordernisse für eine Betriebserlaubnis erfüllt (gemäß § 45 SGB VIII). Eine hoheitliche und damit vereinheitlichte Trägerschaft, wie sie ansonsten im Bildungssystem – zumindest für die Mehrzahl der Einrichtungen – besteht, gibt es nicht.23 Bei vielen Trägern müssen sich die Eltern durch Unterschrift verpflichten, nicht nur die Regeln und Werte des jeweiligen Trägers anzuerkennen, sondern auch zulassen, dass ihre Kinder nach diesen Regeln, Werten und Dogmen erzogen und gebildet werden. So unterliegen die KiTas von Religionsgemeinschaften als Tendenzbetriebe24 nicht den üblichen gesellschaftlichen Regularitäten und Auflagen: »Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform« (§ 118 Abs. 2 BetrVG). Ist – wie immer in »Sonntagsreden« behauptet wird – Frühe Bildung ein integraler Bestandteil des Bildungssystems, dann wird diese hoheitliche Aufgabe von unseren zuständigen staatlichen Institutionen nicht angenommen.

Was wäre, wenn … in einem Dorf nur eine islamische KiTa existieren würde?

In dem 2.000-Einwohner-Dorf, in dem ich viele Jahre wohnte, gab es nur eine einzige KiTa. Meine Kinder haben diese katholische Einrichtung besucht und zwar aus verschiedenen Gründen: Unter anderem hätten sie ihre Klassenkameradinnen und -kameraden erst in der Schule kennengelernt, denn das Dorf besaß eine einzügige Grundschule; Stigmatisierungen wären wahrscheinlich gewesen; alleine die Fahrt in einen anderen Ort ohne öffentliche Verkehrsmittel wäre ein täglicher, nicht zu organisierender Aufwand gewesen. Als Elternteil musste ich unterschreiben, dass meine Kinder im katholischen Glauben erzogen werden, und akzeptieren, dass dies auch intensiv versucht wurde.25 Würde eine solche Situation akzeptiert, wenn in einem Dorf nur eine (gar fundamentalistisch orientierte) muslimische KiTa existieren würde?

Zusätzlich zur oben genannten Chancenungerechtigkeit wird damit einer weiteren Bildungsungerechtigkeit sozusagen Tür und Tor geöffnet. Die durch staatliche Institutionen nicht übernommene hoheitliche Aufgabe in der Frühen Bildung führt zu Bildungsungerechtigkeit, da nicht – wie in den anderen Bildungsbereichen – gewährleistet wird, dass das betreffende Curriculum für alle Einrichtungen verpflichtend ist und überprüft wird. Denn ein Curriculum entspricht dem gesellschaftlichen Konsens26 über die Bildungsziele in einem bestimmten Alter: Ein solches Curriculum bestimmt die vom Kind zu erwerbenden Kompetenzen und zu erreichenden Bildungsziele. Besteht keine Verbindlichkeit bzgl. dieser Bildungsziele, kann jeder KiTa-Träger seine Bildungs- und Erziehungsaufgaben so interpretieren, wie er es will.27 Damit ist in keiner Weise ausgeschlossen,28 dass man private Institutionen als »Surplus« (und damit als Alternative) einrichten kann. Dies geschieht auf allen Ebenen unseres Bildungssystems, aber eben als Surplus. Ein gesellschaftlich als notwendig erkanntes und bestimmtes Curriculum muss nämlich auch von einer privaten Einrichtung umgesetzt werden – und wird von staatlicher Seite überprüft. Soll beispielsweise ein Kind über die in staatlichen Institutionen gesetzten Bildungsziele hinausgehend differenziertere Angebote im musisch-ästhetischen Bereich wahrnehmen, können Eltern das Kind in eine private Institution einschulen lassen, in der solche Bildungsinhalte vermutlich intensiver angeboten werden, wie z. B. in einer Waldorfschule. Damit ist aber gleichzeitig gewährleistet, dass auch die staatlich gesetzten Bildungsziele erreicht werden müssen (z. B. beim Hauptschulabschluss oder beim Abitur).

Eine Verbindlichkeit der Bildungs- und Orientierungspläne für alle Einrichtungen im Elementarbereich ist bislang meist gescheitert, so auch in Baden-Württemberg, wo ich diese Diskussion über Jahre in Beratungsgremien mitverfolgen durfte. Bei den Diskussionen um eine verbindliche Umsetzung des Orientierungsplans habe ich einige Male die Vertreter/-innen der vier großen christlichen Kirchen in Baden-Württemberg (ev. und kath. Kirche jeweils in Baden und in Württemberg) dagegen argumentieren hören. Die Position, dass Bildungsgerechtigkeit nur durch Verbindlichkeit eines gesellschaftlich allgemein anerkannten Curriculums erreicht werden könnte und daher die Übernahme der hoheitlichen Aufgabe der Bildung im Interesse der Länder sein müsse, wurde meist simpel mit der Argumentation zurückgewiesen, es bedürfe der Vielfalt der Einrichtungen – wenn dies nicht mal eher einfältig war. Hier überlässt der Staat seine hoheitliche Aufgabe der Bildung und der Herstellung von Bildungsgerechtigkeit ohne Not29 privaten Trägern, wie vor allem den Religionsgemeinschaften.30 Meines Erachtens läuft der Staat dadurch zukünftig Gefahr, bei den immer zahlreicher werdenden Religionsgemeinschaften, die ähnliche Ansprüche stellen könnten, immer mehr die Bildungsziele einer demokratischen Gemeinschaft aufzugeben.31

Kasten 3: Warum ist die frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung (FBBE) in Deutschland meist keine öffentliche Dienstleistung?

Bei der Finanzierung der FBBE bestehen signifikante Unterschiede zwischen den europäischen Bildungssystemen. Viele Länder betrachten die FBBE als wesentliche öffentliche Dienstleistung und stellen staatliche Mittel in beträchtlicher Höhe bereit. Einige Länder überlassen das FBBE-Angebot für jüngere Kinder (unter drei Jahren) dem Privatsektor und erwarten, dass die Eltern sämtliche Kosten für diese Dienstleistungen tragen, während in anderen Ländern unter Umständen bereits sehr kleine Kinder kostenlos eine FBBE-Einrichtung besuchen können. (Europäische Kommission, 2014, S. 11)

Für mehr Bildungs- und Chancengerechtigkeit ist Frühe Bildung notwendig als hoheitliche öffentliche Aufgabe zu etablieren (Kasten 3). Warum wird der tertiäre Bildungsbereich in hohem Maße staatlich subventioniert, der Zugang zu staatlichen Universitäten ist nahezu unentgeltlich, während der Zugang zum unstrittig hochrelevanten und als grundlegend bewerteten Bereich der Frühen Bildung teilweise enorme private Belastungen nach sich zieht? (Kasten 4).

Kasten 4: Kinder sind unsere Zukunft

Kinder sind unsere Zukunft – dieser Satz wird durch die moderne Entwicklungspsychologie, durch Studien von Wirtschaftswissenschaftlern und Hirnforschern klar untermauert. In keiner Phase des Lebens ist der Mensch mehr auf andere Menschen angewiesen als in der frühen Kindheit. Weil frühe Erfahrungen nachhaltige Effekte auf die Gestaltung des weiteren Lebenswegs haben, liegt eine große Verantwortung in unseren Händen. Folglich muss die Politik sich um günstige Rahmenbedingungen für die Gestaltung der ersten Lebensjahre kümmern. Nutzt sie diesen Einfluss in positiver Weise, so kann sie höchst effizient für mehr Chancengleichheit, Produktivität, Gesundheit und sozialen Frieden in der Gesellschaft sorgen. (Pauen, 2012, S. 4)

1.3       Sputnik, PISA und die Frühe Bildung

Ein erstes Umdenken in den sog. westlichen, christlich geprägten Industrieländern (Westeuropa und USA) bzgl. der Relevanz einer Frühen Bildung erfolgte 1957 nach dem »Sputnik-Schock« (Kasten 5). Man konnte es nicht ertragen, dass ein planwirtschaftliches System in der Technologie-Entwicklung überlegen war, anscheinend höhere Intelligenzleistungen hervorbrachte und zuerst einen Satelliten in eine Erdumlaufbahn schicken konnte. In der Folge wurden u. a. Bildungsprogramme fürs Vorschulalter aufgelegt, »Bildungsreserven« sollten besser ausgeschöpft werden. Ein Überbleibsel aus dieser Zeit ist z. B. die TV-Serie »Sesamstraße«, mit der man Bildung für Vorschulkinder auch ins private Wohnzimmer transportieren wollte. Auch in der BRD wurde das Erziehungs- und Bildungssystem massiv kritisiert, Georg Picht (1964) sprach von einer Bildungskatastrophe, durch die mangelhafte Bildung sah Ralf Dahrendorf (1965) sogar die Demokratie gefährdet. Im Rahmen eines von der Stiftung Volkswagenwerk finanzierten Forschungsprogramms CIEL (Curriculum institutionalisierte Elementarerziehung; Bennwitz & Weinert, 1974; Garlichs, Knab & Weinert, 1983) wurden Anfang der 1970er Jahre Vorschulprogramme beispielsweise zur kompensatorischen Sprachförderung, zum Frühlesen und Frühschreiben entwickelt.32

Kasten 5: Folgen des »Sputnik-Schocks«

Einen gravierenden und fast unvermittelten Umbruch in der Grundschuldidaktik gab es im Zuge des sog. Sputnik-Schocks, zunächst in den USA, danach auch in Westeuropa. Und es waren nicht nur positive Entwicklungen, denn – wie allzu oft – wurde »das Kind mit dem Bade ausgeschüttet«. Die alten Bildungskonzepte schienen ungeeignet. Das Bildungssystem musste also von Grund auf verbessert werden, »Bildungsreserven« waren auszuschöpfen. Auch die Frage nach einer Vorverlegung des Schuleintritts um ein Jahr wurde damals diskutiert, wozu das Projekt CIEL (Curriculum der institutionalisierten Elementarerziehung; Bennwitz & Weinert, 1974; Garlichs et al., 1983) durchaus einige Hinweise durch die Entwicklung neuer Bildungs- bzw. Förderprogramme für Fünfjährige beigetragen hatte.

In der Folge kamen neue Konzepte ohne ausreichende Evaluation in die Bildungsinstitutionen. Im Primarbereich war es zunächst die »Mengenlehre« als Ersatz für das bisherige Zählen- und Rechnen-Lernen. Die Kultusministerkonferenz beschloss 1968 die flächendeckende Einführung dieser »Neuen Mathematik« für alle Schulformen ab dem Schuljahr 1972/73. Im Rahmen von CIEL entstand auch der »Spracherfahrungsansatz«, für den Hans Brügelmann anschließend als wichtigster Protagonist sehr bekannt wurde und der zumindest Ähnlichkeiten mit dem Ansatz »Lesen durch Schreiben« aufweist, den Jürgen Reichen in der Schweiz in den 1970er Jahren entwickelt hatte.

Letztlich scheiterten33 alle Reformbemühungen an ideologischen und politischen unüberbrückbaren Positionen. »Die großen Bildungsreformen«, wie Dietlind Fischer (2004, S. 219 f.) dies in einem Abschnitt über »Bildungspolitische Voraussetzungen und Hintergründe Ende der 1970er Jahre« kurz zusammenfasst, waren »an ihr Ende gekommen«. Der Deutsche Bildungsrat war 1975 aufgelöst worden, der die Ziele für viele Bildungsreformen gesetzt hatte (Deutscher Bildungsrat, 1969, 1972). Die Versuche, Schule neu zu strukturieren (z. B. in Gesamtschulen), wurden beendet, heftige politisch-ideologische Dispute (s. z. B. Voland, 1979) führten letztlich dazu, dass der Versuch des Bildungsrates, bundesweit einheitliche Reformen umzusetzen, scheiterte und die Bundesländer ihre jeweils eigenen Wege gingen.34

Da es wirtschaftlich aber immer weiter bergauf ging, verschwand die Diskussion über die Elementarbildung allmählich wieder aus dem politischen und öffentlichen Interesse. In Deutschland schrillten erst wieder Alarmglocken, als die ersten PISA-Befunde publik wurden und die angenommene Überlegenheit des deutschen Bildungssystems in Frage gestellt wurde. In den nachfolgenden Diskussionen geriet dann insbesondere die Frühe Bildung wieder in den Fokus von Wirtschaft und Politik. Allerdings scheint auch hier der erste Elan wieder zu verpuffen, denn es wurden zwar gesetzliche Regelungen getroffen, dass jedes Kind einen Anspruch auf einen KiTa35-Platz hat, die Umsetzung wird allerdings noch einige Zeit benötigen, und sie wird auch nicht nur am nachlassenden politischen Willen scheitern, sondern an der minderen Bewertung der Arbeit in Früher Bildung und der damit einhergehenden mangelhaften Professionalität der pädagogischen Fachkräfte. Ein alleiniger quantitativer Strukturaufbau und -ausbau wird nicht hinreichend sein (Kasten 6).36 Die gesellschaftliche Bewertung von Bildungsaufgaben muss sozusagen vom Kopf auf den Fuß gestellt werden, d. h. Personen, die Kleinkinder erziehen und bilden, müssen gesellschaftlich besser als derzeit bewertet werden, nach meiner Auffassung mindestens auf dem Niveau von Gymnasial- oder Sonderschullehrkräften: Denn diese Aufgabe ist nicht nach dem Motto zu bewerten »Kleine Kinder brauchen kleine Leute«, sondern die Erziehungs- und Bildungsarbeit im Elementarbereich ist eine höchst anspruchsvolle und komplexe Aufgabe, die hohe Professionalität der pädagogischen Fachkräfte erfordert (Schöler, 2012).

Kasten 6: Schlussfolgerungen der EU

Die Bedeutung und Notwendigkeit einer hochwertigen frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung (FBBE) wird in zahlreichen politischen Dokumenten der Europäischen Union nachdrücklich unterstrichen. In den kürzlich angenommenen Schlussfolgerungen des Rates zur frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung wird eine Vielzahl kurz- und langfristiger Vorteile der FBBE sowohl für den Einzelnen als auch für die gesamte Gesellschaft hervorgehoben. In der frühen Kindheit kann die Entwicklung am wirksamsten durch Bildung und Erziehung beeinflusst werden. Daher wird in zunehmendem Maße anerkannt, dass Investitionen in eine hochwertige FBBE die Kosten für die Gesellschaft in Form ungenutzter Talente und öffentlicher Ausgaben des Sozial-, Gesundheits- und auch des Justizsystems langfristig verringern. Eine hochwertige FBBE bildet ein starkes Fundament für ein erfolgreiches lebenslanges Lernen und kommt daher insbesondere benachteiligten Kindern zugute. Sie bildet somit einen Grundpfeiler für den Aufbau gerechterer Bildungssysteme. (Europäische Kommission, 2014, S. 19)

1.4       Demokratie und (Frühe) Bildung

Will man demokratische Gesellschaften entwickeln und aufrechterhalten, benötigt man, wie des Öfteren und zu Recht betont wird, den »mündigen Bürger«, d. h. Menschen, die gebildet, selbstständig und selbstverantwortlich analyse- und entscheidungsfähig sind. Bildung bezieht sich dabei nicht allein auf Wissen, sondern impliziert insbesondere auch die Fähigkeit, Gegebenes nicht als unveränderlich hinzunehmen, sondern es analysieren und reflektieren zu können, um zu einem eigenen Urteil zu kommen. Dafür werden schon recht früh Grundlagen gelegt und Weichen gestellt: Kleinkinder sind mit hervorragenden Möglichkeiten ausgestattet, in relativ kurzen Zeiträumen sehr viel lernen zu können (Pauen, 2012; Kasten 7).

Kasten 7: Weichenstellung in der frühkindlichen Sozialisation

Die Forschung aus Biologie, Psychologie, Soziologie und Ökonomie der letzten 50 Jahre hat gezeigt, dass insbesondere während der frühkindlichen Sozialisation die »Weichen« für den gesamten weiteren Lebensweg gestellt werden. In den ersten Lebensjahren gibt es Zeitfenster, in denen bestimmte Umwelteinflüsse wirksam werden müssen, damit sich Funktionen adäquat herausbilden können. Dies gilt für elementare Wahrnehmungsfunktionen (wie Sehen und Hören), für kognitive Leistungen (z. B. Sprache und Handlungskontrolle) ebenso wie für sozial-emotionale Verhaltenseigenschaften (z. B. die Bewältigung von belastenden Situationen oder die Interaktion mit anderen Menschen). (Rösler & Röder, 2014, S. 4)

Zu beachten ist dabei, dass die zu lernenden Entwicklungsinhalte in aller Regel aufeinander aufbauen. Ein Kind, das im Vorschulalter nicht ausreichend die Verkehrssprache erworben hat, wird beim Lernen akademischer Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Schule benachteiligt sein (Hasselhorn, Ehm, Wagner, Schneider & Schöler, 2015a; Kap. 13). Gleiches gilt für andere Entwicklungsbereiche wie beispielsweise die Denkentwicklung oder die Selbstregulation (Holodynski, Hermann & Kromm, 2013).

Zwar kann man ein Leben lang lernen37, d. h. neue Kompetenzen erwerben und Wissensstrukturen aufbauen, aber die ersten Lebensjahre sind prädestiniert dafür, dass wesentliche Grundlagen für den Erwerb von Kompetenzen, also Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen (Kap. 2.1) gelernt werden können und müssen, um die Lernvoraussetzungen für spätere Anforderungen, z. B. in der Schule, zu erwerben.

Für seine individuelle Entwicklung und seinen Wissenserwerb ist der Mensch zudem auf eine soziale Gemeinschaft angewiesen, sein Verhalten ist nicht – wie im anderen Tierreich – überwiegend instinktgesteuert38. Instinkte, die sein Verhalten prägen, steuern und bahnen, sind beim Menschen wohl nicht vorhanden oder wirksam. Ontogenetisch scheinen insofern aber einige phylogenetische »Reste« übrig geblieben zu sein, da in »sensiblen Phasen«39 (neuronalen Zeitfenstern) grundlegende Informationsangebote für den Erwerb bestimmter Fähigkeiten vorhanden sein sollten. Die Annahme solch sensibler Phasen (Prägung)40,41 ist bezogen auf das Kleinkind nicht unumstritten. Einige Evidenzen sprechen dafür, dass ein Kind aber bis zu einem bestimmten Lebensalter beispielsweise mit sprachlichen Informationen in Kontakt gekommen sein muss, um dann noch eine Sprache angemessen lernen zu können (s. die Diskussion um »Wolfs«- oder »Kaspar Hauser-Kinder« oder die eher traurige Geschichte von »Genie«; Rymer, 1993; zur Kritik sensibler Phasen für den Spracherwerb s. u. a. Klein, 2000).

1.5       Was sich eine demokratische Gesellschaft nicht erlauben sollte

Aus den bisherigen Überlegungen, den wissenschaftlichen Erkenntnissen, den obigen Berichten sowie den historischen und aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen ergibt sich zusammenfassend und zwingend, dass Bildung eine zentrale, wenn nicht sogar die wichtigste, systemerhaltende Funktion für eine demokratische Gesellschaft ist. Eine demokratische Gesellschaft kann sich folglich nicht erlauben, dass sie diese wichtige hoheitliche Aufgabe »ohne Not«42 und ohne Kontrolle privaten Trägern – in der Regel Tendenz geschützten Einrichtungen, wie religiösen Gemeinschaften – in großem Umfang überlässt. Damit besteht für die Curricula in der Frühen Bildung keine Verbindlichkeit, was zu Chancenungerechtigkeiten führen kann.

Eine demokratische Gesellschaft kann sich auch nicht erlauben, einen beträchtlichen Anteil der Kinder und Jugendlichen bildungs- und folgend erwerbsarbeitsmäßig »abzuhängen« (Kasten 8).43

Kasten 8: Zahlen vom 20. März 2017

Etwa 3,7 Millionen Minderjährige in Deutschland sind sozial ausgegrenzt oder von Armut bedroht. Darauf weist Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe hin. Startchancen ins Leben würden nach wie vor vererbt, sagte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Karin Böllert, in Berlin. (dpa Newskanal, z. B. Süddeutsche Zeitung, 2017a)

Betrachtet man die Schlagzeilen der letzten Jahre (Kasten 9), dann scheint dieses Zurücklassen für unsere westlichen, bisher demokratischen Staaten in zunehmender Weise zuzutreffen: Nicht nur zwischen »Arm« und »Reich« wird die Distanz immer größer, sondern auch die Schere zwischen »ausreichend gebildet« und »unzureichend gebildet« scheint nicht geschlossen zu werden.

Kasten 9: Schlagzeilen der letzten Jahre

»Die abgehängte Jugend« (Süddeutsche Zeitung Online Titel vom 14.09. 2010)

»Jugendarbeitslosigkeit: Die Abgehängten«

Fast ein Fünftel aller Jugendlichen findet keine richtige Arbeit. Die neue Bundesregierung muss ihnen helfen, bevor es zu spät ist. (Kowitz, Kunze & Rudzio, 2013)

»Relative Reife – Abiturienten haben Probleme mit der Rechtschreibung«

Deutschlands Geisteswissenschaftler klagen, dass immer weniger Abiturienten wirklich reif für die Uni seien. Demnach haben Studienanfänger große Lücken in der Rechtschreibung, Grammatik und in der Lesekompetenz. (Boldt, 2012)

Zu beobachten ist weiterhin, dass einerseits zwar immer mehr Jugendliche einen Schulabschluss haben und der Anteil der Abiturienten stetig zunimmt (Statistisches Bundesamt, 2017). Andererseits scheint aber das Niveau der Abschlüsse nicht mehr ausreichend zu sein (Kasten 10).44,45 Eine Qualitätsminderung des Abiturs wird durch die Untersuchungen von Klein (2016) sehr eindrücklich bestätigt, wenn z. B. bereits Neuntklässler die Abituraufgaben lösen können.

Bei Berufen, bei denen ein Deutsch-Test bestanden werden muss, scheitern viele Bewerber/-innen, wie die folgenden Schlagzeilen von Presse-Mitteilungen aus den Bundesländern über die Durchfallquoten zeigen:

•  Freie Stellen: BKA-Bewerber scheitern am Deutschtest. Das Bundeskriminalamt kann offene Stellen nicht besetzen, weil zu viele Bewerber am Deutschtest scheitern – trotz Abitur (SPIEGEL Online, 2016)

•  Hessische Polizei: Jeder Sechste fällt durch Sprachtest (FAZ, 10.12.2016, Iskandar, 2016)

•  Polizei-Bewerber schaffen Deutsch-Test nicht (BZ Berlin, 19. April 2015)

•  97 % fallen beim Eignungstest durch. Möchtegern-Polizisten sind dümmer, als die Polizei erlaubt (Hamburger Morgenpost, 4. März 2012, Heinemann & Steinhoff, 2012).

Kasten 10: DIHK-Ausbildungsumfrage 2016

Rund 75 Prozent der Ausbildungsbetriebe haben sich auf leistungsschwächere Jugendliche eingestellt. Um den Folgen der demografischen Entwicklung zu begegnen, haben Unternehmen in den vergangenen Jahren ihre Anforderungen an die Bewerber häufig gesenkt.

Vor zwei Jahren lag dieser Wert noch um neun Prozentpunkte niedriger. Es bleibt aber dabei: Ohne Mindestqualifikationen können Azubis eine anspruchsvolle betriebliche Ausbildung nicht erfolgreich bewältigen. Kunden eines Betriebes erwarten zu Recht guten Service und hohe Qualität von Produkten oder Dienstleistungen. So sind Deutsch- und Mathekenntnisse Grundvoraussetzungen für den erfolgreichen Abschluss einer dualen Ausbildung. Mangelnde Deutschkenntnisse kritisieren 54 Prozent der Unternehmen, ein Anstieg um drei Prozentpunkte. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Mathekenntnissen. Inzwischen bieten 40 Prozent der Betriebe daher eigene Nachhilfe an. Die Herausforderung besteht im Übrigen nicht nur bei Azubis: Mangelnde Lese- und Schreibkenntnisse stellen 31 Prozent der Betriebe auch mit Blick auf ihre gesamte Belegschaft fest. Für 77 Prozent von diesen hat das konkrete negative Auswirkungen auf die betrieblichen Arbeitsabläufe.

Während sich fachliche Mängel durch Nachhilfe im Betrieb oftmals auffangen lassen, sind Defizite bei den Softskills, wie Disziplin, Belastbarkeit und Leistungsbereitschaft kaum auszugleichen. Die Schere zwischen betrieblicher Anforderung und diesen sozialen Kompetenzen geht weiter auseinander. Disziplin (2016: 48 Prozent, 2006: 38 Prozent), Belastbarkeit (2016: 49 Prozent, 2006: 39 Prozent) und Leistungsvermögen (2016: 58 Prozent, 2006: 53 Prozent) wurden von den Betrieben noch nie so kritisch gesehen wie in diesem Jahr. Softskills werden damit zu »hard deficits«.

Trotz des Engagements der Betriebe und der Öffnung für schulschwächere Jugendliche verschärft sich der Fachkräftemangel. (Schweitzer, 2016)

1.6       Fazit

Für alle Stufen in unserem Bildungssystem gilt: Sie sind gesellschaftlich und für das Individuum bedeutsam und benötigen hohe Professionalität auf Seiten der Lehrkräfte. Die Annahme, dass bei jüngeren Kindern die Bildungsarbeit weniger aufwändig ist und daher von weniger gut ausgebildeten Lehrkräften wahrgenommen werden kann (s. die Initiative der »Mikätzchen«46 oder die Diskussion um die »Schlecker-Frauen als Erzieherinnen«; Denkler, 2012), erweist sich nach allen Diskussionen und Analysen als falsch.47

Nach allem scheint sicher, dass die Komplexität der Aufgabenstellungen (s. z. B. die Curricula, die von den Fachkräften in der KiTa umgesetzt werden sollen) hoch qualifizierte und professionalisierte Personen erfordert. Die Qualifikation kann in der Regel nicht durch einen miserablen Realschulabschluss und eine fachlich meist unzureichende Ausbildung an den Fachschulen48 sichergestellt werden. Dies gilt auch für die Bachelor-Studiengänge, die m. E. nicht für eine angemessene Professionalisierung ausreichen und insbesondere auch nicht mit anderen akademischen Abschlüssen gleichwertig sind – vor allem auch dann nicht, wenn der Abschluss an einer Fachschule für Sozialarbeit diesem Bachelor als gleichwertig bewertet wird.