Erben um jeden Preis - Gert Rothberg - E-Book

Erben um jeden Preis E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Denise und Alexander von Schoenecker hatten mit ihrem jüngsten Sohn Henrik Sophienlust für einige Zeit verlassen. Sie waren während der Ferien auf die Insel Amrum gefahren, während die großen Kinder zum Zelten unterwegs waren. Alexander von Schoenecker war der Meinung gewesen, dass es für seine Frau wieder einmal höchste Zeit sei, sich zu erholen und die vielen Pflichten zu vergessen, die sie im Kinderheim Sophienlust hatte. Dass Henrik mit von der Partie sein durfte, freute den Jungen ganz besonders. Er genoss nicht nur, dass er seine Eltern einmal für sich allein hatte, er strolchte auch viel am Strand von Wittdün herum, immer auf der Suche nach Freunden. Obwohl er die bald fand, lief er in seiner Unternehmungslust oft weit über den stark bevölkerten Strand hinaus. Es reizte ihn, an die kleinen, geduckten Fischerhäuser heranzukommen. Dort kam er in eine Welt, die es in Wildmoos nicht gab. Er sah zu, wenn die Kutter aufs Meer hinausfuhren und wenn sie mit dem Fang zurückkamen. Er bewunderte auch die Geschicklichkeit, mit der die Fischer oder ihre Frauen die Netze flickten. Am meisten hatte es Henrik ein etwas abseits stehendes Fischerhaus angetan. Dort lebte ein kleiner Junge, der ihm sehr gut gefiel. Zwar war der friesenblonde, blauäugige Irmo Eckert jünger als er, aber Henrik war ja von Sophienlust her gewohnt, auch mit kleinen Kindern zu spielen. Irmo war ein aufgeweckter vierjähriger Junge. Er freute sich jedes Mal, wenn Henrik ihn besuchte. Auch Irmas junge Mutter Silke Eckert sah den fremden Jungen gern, und deren Vater hatte Henrik versprochen, ihn einmal mit hinaus aufs Meer zu nehmen. Davon schwärmte Henrik, wenn er zu seinen Eltern an den Strand oder ins Hotel zurückkehrte. Denise war wegen dieser Fahrt ein wenig skeptisch und begleitete Henrik deshalb einmal zu den Eckerts. Denise wurde dort sehr freundlich aufgenommen, sah aber auch, wie schwer sich diese Familie tat. Silke Eckert, so blond wie ihr Sohn Irmo, war erst dreiundzwanzig Jahre alt.

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Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Sophienlust Extra – 73 –Erben um jeden Preis

Henriks Abenteuer am Meer ...

Gert Rothberg

Denise und Alexander von Schoenecker hatten mit ihrem jüngsten Sohn Henrik Sophienlust für einige Zeit verlassen. Sie waren während der Ferien auf die Insel Amrum gefahren, während die großen Kinder zum Zelten unterwegs waren. Alexander von Schoenecker war der Meinung gewesen, dass es für seine Frau wieder einmal höchste Zeit sei, sich zu erholen und die vielen Pflichten zu vergessen, die sie im Kinderheim Sophienlust hatte.

Dass Henrik mit von der Partie sein durfte, freute den Jungen ganz besonders. Er genoss nicht nur, dass er seine Eltern einmal für sich allein hatte, er strolchte auch viel am Strand von Wittdün herum, immer auf der Suche nach Freunden. Obwohl er die bald fand, lief er in seiner Unternehmungslust oft weit über den stark bevölkerten Strand hinaus. Es reizte ihn, an die kleinen, geduckten Fischerhäuser heranzukommen. Dort kam er in eine Welt, die es in Wildmoos nicht gab. Er sah zu, wenn die Kutter aufs Meer hinausfuhren und wenn sie mit dem Fang zurückkamen. Er bewunderte auch die Geschicklichkeit, mit der die Fischer oder ihre Frauen die Netze flickten.

Am meisten hatte es Henrik ein etwas abseits stehendes Fischerhaus angetan. Dort lebte ein kleiner Junge, der ihm sehr gut gefiel. Zwar war der friesenblonde, blauäugige Irmo Eckert jünger als er, aber Henrik war ja von Sophienlust her gewohnt, auch mit kleinen Kindern zu spielen.

Irmo war ein aufgeweckter vierjähriger Junge. Er freute sich jedes Mal, wenn Henrik ihn besuchte. Auch Irmas junge Mutter Silke Eckert sah den fremden Jungen gern, und deren Vater hatte Henrik versprochen, ihn einmal mit hinaus aufs Meer zu nehmen.

Davon schwärmte Henrik, wenn er zu seinen Eltern an den Strand oder ins Hotel zurückkehrte. Denise war wegen dieser Fahrt ein wenig skeptisch und begleitete Henrik deshalb einmal zu den Eckerts. Denise wurde dort sehr freundlich aufgenommen, sah aber auch, wie schwer sich diese Familie tat.

Silke Eckert, so blond wie ihr Sohn Irmo, war erst dreiundzwanzig Jahre alt. Sie musste den Haushalt führen und dem Vater oft beim Fischfang helfen. Darüber hinaus brachte sie den frischen Fang auch in die Hotels von Wittdün. Dann war sie jedes Mal mit dem Fahrrad unterwegs.

Obwohl Silke viel Arbeit hatte, nahm sie sich doch die Zeit, mit Denise Kaffee zu trinken, während die beiden Jungen vor dem Haus spielten. Auch für Denise war es eine neue Welt, die sie hier kennenlernte. Die bildhübsche Silke gefiel ihr sehr gut. Man merkte ihr nicht an, wie abgeschieden sie hier lebte. Sie hatte für alles Interesse und ließ sich besonders gern von dem Kinderheim Sophienlust erzählen. »So arm die Kinder dort auch sein mögen«, sagte Silke versonnen, »sie haben doch Spielgefährten. An denen fehlt es meinem Irmo hier. Wir liegen etwas abseits, und die nächsten Nachbarn sind ältere Leute ohne Kinder. Deshalb freut sich Irmo so, dass Henrik ihn immer wieder besucht. Ich bin dafür auch sehr dankbar, Frau von Schoenecker, weil ich mir manchmal um Irmo große Sorgen mache. Zu gut weiß ich, wie es ist, wenn man als Einzelkind und in dieser Abgeschiedenheit aufwächst. Mir ist es nicht anders als meinem Jungen ergangen. Zudem verlor ich noch sehr früh meine Mutter. Leider geht es meinem Vater in letzter Zeit gesundheitlich nicht gut. Es kommen immer wieder Tage, an denen ich für ihn hinausfahren muss. Wir können auf den täglichen Fischfang nicht verzichten, denn von dem Erlös müssen wir leben.«

»Aber das ist doch sehr schwere Arbeit, die Sie da leisten müssen«, meinte Denise und musterte dabei die zarte Silke.

»Ich bin nichts anderes gewöhnt. Dadurch, dass mich mein Vater immer brauchte, konnte ich keinen Beruf erlernen, wie ich es gern getan hätte.« Silke zögerte kurz, ehe sie weitersprach. »Dazu hat mich noch das Unglück getroffen, dass ich keinen Vater für meinen Jungen habe. Sie werden sich schon gedacht haben, dass er ein uneheliches Kind ist.« Ihr schönes Gesicht sah jetzt etwas verbittert aus, ihre blauen Augen blickten traurig drein. Doch dann machte sie sich selbst Mut. »Aber wir werden es schon schaffen, immer wieder durchzukommen. Ich möchte auf Irmo nicht mehr verzichten. Er ist mein einziges Glück.«

»So muss es nicht bleiben«, versuchte Denise zu trösten. »Sie sind noch viel zu jung, um schon zu resignieren. Sicher finden Sie einmal einen Mann, der Sie liebt und der Irmo ein guter Vater ist.«

»Nein, das wird so bald nicht passieren.« Wieder stockte Silke und starrte auf ihre Hände. Als sie den Blick hob, sagte sie: »Ich habe Irmos Vater so sehr geliebt, dass ich wohl nie zu einem anderen Mann hinfinden werde. Obwohl ich noch so jung bin, komme ich mir manchmal schon viel älter vor. Es bedrückt mich, dass ich meinem Vater Sorgen machen muss. Ich weiß, wie sehr ihn die Frage belastet, was einmal aus mir und dem Jungen werden soll, wenn er nicht mehr ist. Aber es hat eben jeder sein Los zu tragen.«

Denise empfand große Sympathie für die junge Frau und besuchte sie nun öfter. Manchmal kam auch ihr Mann mit. Bald neckte er Denise damit, dass sie selbst im Urlaub Leute finde, die ihrer Hilfe bedurften.

»Wie sollte ich Silke Eckert helfen können?«, fragte Denise. »Ich kann ihr nicht einmal anbieten, Irmo für einige Zeit zu uns nach Sophienlust zu geben. Dann wäre er viel zu weit von seiner Mutter entfernt.«

»Weißt du, wer Irmos Vater ist?«, fragte Alexander.

»Nein, das weiß ich nicht. Silke machte vor Kurzem eine Bemerkung, dass das nur sie, der Mann selbst und ihr Vater wissen. Sie hat es wohl sonst niemandem verraten. Eines aber scheint sicher zu sein, dass diese Verbindung nicht mehr besteht. Vielleicht ist das arme Mädchen auf einen Hallodri hereingefallen. Wundern würde mich das nicht, denn Silke ist sicher sehr unerfahren. Ich finde es schlimm, dass sie Irmos Vater noch immer zu lieben scheint. Wäre es anders, täte sie sich vielleicht leichter. Der Abschied von den Eckerts wird nicht nur Henrik schwerfallen, sondern auch mir.«

Alexander von Schoenecker zog seine Frau liebevoll an sich und seufzte. »Weil du nicht helfen kannst, Denise. Ich kenne dich und dein gutes Herz. Solche Verhältnisse, wie du sie bei den Eckerts erlebst, gehen dir wieder wochenlang nicht aus dem Sinn.«

Denise musste ihrem Mann recht geben. Sie spürte, dass sie Silke und den kleinen Irmo ins Herz geschlossen hatte. Der Abschied fiel ihr wirklich schwer. Sie lud Silke ein, einmal nach Sophienlust zu Besuch zu kommen.

»Das wäre schön.« Silkes Augen leuchteten, aber gleich darauf wurde die junge Frau ernst. »Leider sehe ich keine Möglichkeit, das zu tun, Frau von Schoenecker. Vater kann mich ja keinen Tag entbehren und Urlaub ist bei uns ein Fremdwort. Ich kann wohl nur hoffen, dass Sie wieder einmal auf die Insel kommen, Frau von Schoenecker.«

»Das ist durchaus möglich«, meinte Denise, »weil es uns hier sehr gut gefallen hat, aber leider wird Urlaub auch bei mir nicht sehr groß geschrieben. Würde mein Mann nicht immer wieder darauf bestehen, dass ich mich einmal freimache, würde ich wohl ständig in Sophienlust bleiben.« Sie drückte Silkes Hand. »Lassen Sie mich wenigstens ab und zu wissen, wie es Ihnen und Irmo geht. Ich würde mich über jeden Brief sehr freuen.«

Silke versprach, Denise zu schreiben. Dann ging sie mit ihr noch am Strand entlang, um sie bis zu ihrem Hotel zu bringen. Die beiden Jungen liefen voraus. Ihnen schien noch nicht bewusst zu sein, dass sie sich vielleicht nie mehr sehen würden. Erst vor dem Hotel wurde vor allem Irmo traurig. Er flüchtete sich zu seiner Mutter und ging mit ihr schweigend zu dem kleinen Fischerhaus zurück, obwohl er sonst sehr lebhaft war.

Auf Silke wartete zu Hause viel Arbeit. Immer wieder hielt sie dazwischen Ausschau, ob der Vater vom Fang zurückkomme. Als sie seinen Kutter kommen sah, lief sie an den Strand und half, das Boot zu verankern. Dann trug sie die schweren Körbe mit den Fischen vor das Haus, sortierte die Fische und machte sich bald darauf auf den Weg nach Wittdün. Sie hatte dort zwar ihre Abnehmer, war aber immer etwas in Angst, dass man ihr den Preis herunterhandeln könnte. Ihr Vater legte sich nach der anstrengenden Fahrt meistens zwei Stunden hin, und Irmo war dann wieder sich selbst überlassen.

Dadurch hatte Silke es auch an diesem Tag eilig, nach Hause zurückzukommen. Irmo kam ihr schon entgegengelaufen und half ihr später in der Küche. Trotz seiner erst vier Jahre war er ganz und gar nicht ungeschickt. Er sprach immer wieder von Henrik, weil ihm wohl erst jetzt richtig bewusst wurde, dass die schöne Zeit mit diesem Freund vorbei war.

Auch Silke war niedergedrückt. Ihr kam es wie ein Wunder vor, dass sie eine so verständnisvolle Frau wie Denise kennengelernt hatte. Wenn sie daran dachte, wusste sie wieder, wie einsam sie war. Ihr Vater und ihr Junge konnten ihr nicht immer genügen. Diese beiden konnte sie mit ihren Sorgen nicht belasten, aber sie hätte so nötig jemanden gebraucht, bei dem sie sich manchmal hätte aussprechen können.

Als Silke hinausging, um Netze auszubessern, setzte sie sich so, dass sie dem Meer den Rücken zukehrte und hinauf zum Steilufer sah. Dort oben stand ein prächtiges weißes Haus, das ›Möwennest‹. So hatten es seine Bewohner getauft, und das nicht zu Unrecht. Meistens kreiste eine Schar von Möwen über dem reetbezogenen Dach.

Da oben sind sie glücklich, und keiner braucht sich so zu plagen wie ich, dachte Silke verbittert. Sie sah die Bewohner vor sich, den reichen alten Hinrich Jansen, dem die größte Fischfangflotte gehörte, und seinen Sohn Daniel sowie dessen junge Frau Freda. Daniel! durchzitterte es Silke. Sie war plötzlich nicht mehr imstande zu arbeiten. Ihre Hände ruhten im Schoß. Nur mit großer Mühe konnte sie die Tränen zurückhalten. Würde das nie anders werden? Würde sie Daniel immer nachtrauern?

Er war Irmos Vater, und ihn liebte sie noch immer, obwohl er eine andere Frau geheiratet hatte - die wohlhabende Senatorentochter Freda aus Hamburg, eine elegante Frau, der man anmerkte, dass sie aus der großen Gesellschaft kam. Silkes Gedanken gingen wieder einmal zu der Zeit zurück, in der sie und Daniel Pläne für eine gemeinsame Zukunft geschmiedet hatten.

Sie waren sehr verliebt gewesen, und vor Daniel hatte es keinen anderen Mann in Silkes Leben gegeben. Wen hätte sie hier auch kennenlernen sollen? Daniel aber war ihr schon von ihrer Kindheit an vertraut gewesen. Neun Jahre älter als sie war er ihr oft wie ein Beschützer vorgekommen. Schon damals hatte sein Vater es nicht gern gesehen, dass er sich mit der kleinen Fischerstochter abgegeben hatte. Hinrich Jansen war ein herrschsüchtiger Mann, der hier nirgends Sympathien besaß. Durch seinen Reichtum fühlte er sich über alle erhaben, und das war nach dem frühen Tod seiner Frau noch schlimmer geworden. Sein Sohn Daniel hatte keine guten Zeiten bei ihm gehabt.

Um so mehr schloss Daniel sich an mich an, dachte Silke jetzt. Er sehnte sich nach Liebe und wir fanden zueinander. Nur mein Vater hat dieses Geheimnis gekannt und mich immer gewarnt.

Wie recht er hatte! Daniel war nicht stark genug, sich gegen seinen Vater durchzusetzen. Er ließ sich eine Frau aufzwingen und trennte sich von mir. Und das, obwohl er wusste, dass ich ein Kind von ihm erwartete. Er scheint glücklich geworden zu sein, obwohl seine Frau hier keine Freunde hat und viel Zeit in Hamburg verbringt.

Nur gewaltsam konnte sich Silke aus ihren Gedanken losreißen. Wieder einmal wünschte sie sich sehnlichst, diesen Erinnerungen entfliehen zu können. Aber wie sollte das möglich sein, da sie so nahe bei Daniel leben musste? Sie konnte nicht von hier weggehen, obwohl sie es schon damals, als sie schwanger gewesen war, gern getan hätte. Nicht nur, dass sie ihre Heimat hier am Meer liebte, ihr Vater brauchte sie. Auch wäre es für sie schwer gewesen, sich anderswo ihr tägliches Brot zu verdienen und dabei für Irmo zu sorgen. Hier hatte sie wenigstens ein Dach über dem Kopf und immer das Nötigste zum Leben.

Silke sah nun doch zu, dass sie mit ihrer Arbeit fertig wurde. Im Haus gab es auch mehr, als genug zu tun. Mit Irmo war an diesem Tag nicht gut zu sprechen. Er trauerte noch immer Henrik von Schoenecker nach und stellte sich wohl vor, wie allein er in der nächsten Zeit wieder sein würde.

An diesem Abend wollte der Junge von selbst zu Bett gehen. Silke streichelte ihn liebevoll. Sie kannte ja seinen Schmerz und sah ein, dass es wohl keinen Sinn hatte, jetzt darüber zu sprechen. Als Irmo schon die Augen zufallen wollten, sagte er noch: »Henrik hat es gut. Er kann mit so vielen Kindern beisammen sein, und Geschwister hat er auch. Ja, und einen Vater. Der ist ganz lieb. Mutti, warum habe ich keinen Vater?«

Silke erschrak bei dieser Frage. Sie hatte sie schon lange erwartet, aber bisher hatte es den Anschein gehabt, als genüge dem Jungen der Großvater.

»Es gibt viele Kinder, die keinen Vater haben«, wich Silke aus. »Du hast doch mich, Irmo, und wir kommen sehr gut miteinander aus.«

»Schon«, sagte Irmo, »aber es wäre sehr schön, wenn ich auch einen Vater hätte. Ich denke, es wäre für dich auch gut. Dann brauchtest du vielleicht nicht so viel zu arbeiten.«

»Ich bin mit unserem Leben zufrieden, Irmo, und du solltest es auch sein.« Silke hatte nicht bemerkt, dass ihr Vater auf der Schwelle stand. Er verschwand auch gleich wieder und setzte sich in die Wohnstube.

Der achtundsechzigjährige Karsten Eckert war ein früh verbrauchter Mann. Sein Leben lang hatte er schwer arbeiten müssen und wenig Freude gehabt. Schon seit Jahren streikte sein Herz immer wieder, sodass der Arzt ihm mehr Ruhe verordnet hatte. Aber der hatte leicht reden!

Daran dachte Karsten Eckert, als seine Tochter in die Wohnstube kam. Er machte sich Sorgen um sie und um seinen Enkel. Auch fand er, dass Silke wieder einmal sehr abgespannt aussah. Aber konnte er ihr helfen? Der Junge hatte schon recht. Es gehörte ein junger Mann ins Haus. Doch davon wollte Silke nichts wissen. Dabei hätte es sicher auf der Insel Männer gegeben, denen ein so schönes und tüchtiges Mädchen auch mit einem Kind recht gewesen wäre.

Auch Silke machte sich Sorgen. Sie meinte, der ohnehin nicht robuste Vater sehe jetzt noch schmächtiger aus. Tiefe Falten gruben sich in sein Gesicht, das keine gesunde Farbe hatte. »Geht es dir wieder nicht gut, Vater?«, fragte Silke. »Es geht mir wie alle Tage, nur dass mir immer schwerer zumute wird. Ich habe vorhin gehört, was dich der Junge gefragt hat, Silke. Einmal musste er das ja tun. Es kommt mir oft vor, als sei Irmo über seine vier Jahre hinaus reif. Vielleicht, weil er bei uns zu viele Sorgen mitbekommt. Wirst du ihm nie sagen, wer sein Vater ist?«

Silke hatte sich gesetzt. »Wie könnte ich das?«, fragte sie. »Außer dir weiß es niemand.«

»Und ich hätte reden müssen. Es war falsch, von Daniel Jansen keine Alimente für den Jungen zu nehmen. Wir täten uns leichter, wenn …«

Silke unterbrach ihren Vater. »Bitte, sprich nicht wieder davon. Irmo ist allein mein Kind. Also brauche ich auch von niemandem eine Unterstützung.«

»Du wolltest Daniel nur schonen.« Nun brauste Karsten Eckert auf. »Ja, es sollte geheim bleiben, dass er dir ein Kind angehängt hat, dieser Protz. Sein Vater hätte ihm die Hölle heißgemacht, hätte er es erfahren. Immer hast du nur an Daniel gedacht. Dabei hat er das gar nicht verdient. Für ihn warst du nur ein Spielzeug, das er wegwerfen konnte, als eine standesgemäße Frau kam.«

Silke war noch blasser geworden. »Nein, Vater, so war es nicht. Wie oft soll ich dir das noch sagen? Daniel und ich haben uns geliebt, aber er war nicht stark genug, als sein Vater auf der Heirat mit dieser Freda bestand. Niemand in seiner Umgebung wagt es, gegen den reichen Jansen aufzumucken. Also auch nicht sein Sohn. Es gibt eben Väter, die so viel Gewalt über ihre Kinder haben. Aber wozu sprechen wir schon wieder darüber? Jetzt sind es schon fünf Jahre, dass Daniel und ich uns getrennt haben.«

»Aber ich werde über diese Sache nie hinwegkommen, so gern ich Irmo habe. Und wen du ehrlich zu mir wärst, würdest d mir eingestehen, dass du auch noch nicht mit dir ins Reine gekommen bist. Du warst damals viel zu jung. Ich hätte besser auf dich aufpassen müssen. Dir hat eben die Mutter gefehlt.«

»Meine Mutter fehlt uns beiden, Vater.« Silke stand auf und strich ihrem Vater über die Wangen. »Sei wieder friedlich. Es bekommt dir gar nicht, wenn du dich so aufregst. Ich möchte mich auch nicht ärgern, weil ich ein paar schöne Tage hinter mir habe. Die Familie von Schoenecker kam aus einer ganz anderen Welt, aber wir verstanden uns trotzdem gut. Es ist sehr schade, dass sie so weit weg wohnen.«

»Ja, es sind sehr nette Leute, überhaupt nicht eingebildet«, gab Karsten Eckert zu. Er ließ sich nun doch durch ein anderes Thema ablenken, aber Silke wusste, er würde immer wieder rückfällig werden. Mein Vater kann hassen, dachte sie, aber ich bringe das nicht fertig.

*