Erinnerungen eines Dorfkindes in der DDR - Andrea Kilz - E-Book

Erinnerungen eines Dorfkindes in der DDR E-Book

Andrea Kilz

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Beschreibung

Irgendwann kann sich vielleicht niemand mehr vorstellen, wie es einmal war. Als guter 74er Jahrgang haben mich die Trommel, Sternrecorder und Röststulle von der Herdplatte begleitet.Auf des Flämings sanft gewellten Höhen durfte ich in dörflicher Idylle aufwachsen. Weite Felder, Wiesen und Kiefernwald - pure Freiheit. Kartoffeln stoppeln, Konsummarken kleben und mit dem Handwagen zur Eierannahmestelle ziehen - so machte das Leben Spaß. Frische Luft und Ruhe - außer eine Panzerkolonne rollte durchs Dorf. Unsere Kindheit prägt uns bis ins Erwachsensein.

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Ich danke dem Leben, dass ich auf dem Dorf groß (wenn man das bei einem Meter sechzig sagen kann) werden durfte und meinen Eltern, dass sie mir dieses Leben geschenkt haben.

Mein Dank gilt allen Familienmitgliedern; begonnen bei den Großeltern über sämtliche Tanten und Onkels bis zu meinen Cousins, die ich zum Teil wie Brüder empfand.

Ebenso bin ich dankbar für jeden Vogel, der mir zu den unterschiedlichsten Tages- und Jahreszeiten ein Liedchen geträllert hat. Für jedes Hühnchen, dass uns frische Eier geschenkt und sich irgendwann für den Suppen- beziehungsweise Frikassee-Topf hingegeben und mich sogar das Fürchten gelernt hat. Jedes sonnengelbe Schiepchen (Küken) samt Tränke, die ich immer so niedlich fand. Auch Schwein, Katz und Kaninchen, die den Hof mit uns geteilt haben. Und zu guter Letzt meinem Struppi für viele erlebnisreiche Jahre und Kuscheleinheiten.

Ich bin dankbar für jeden Grashalm, bunten Laubbaum, saftige Früchte tragenden Obstbaum und die nadligen „Tannen“. Für all die farbenfrohen Blumen und gesunden Gemüse, Kräuter und Beeren.

Einfach für alles!

Inhaltsverzeichnis

Auf des Flämings sanft gewellten Höhen

Fast täglich ein Dämpfer von Opa

Arme Ritter ohne Ende

Doppelte Lieferung

Das Geheimnis des Nussbaumes

Röststulle von der Herdplatte

Die Schüssel auf dem Schrank

Körbeweise Klemmkuchen

Das rote Büchlein

Mit gefülltem Korb durchs Hintertürchen

Die Treppenstufen voller Milchflaschen

Pappe voll

Der Geschirrspüler unterm Tisch

Gelobte Schulspeisung

Die zwei hochgewachsenen Jungs

Warum ich lange keinen Mann hatte

In Gardine zur Jugendweihe

Als Braut in Sonnengelb

Der Duft des Intershops

Heute Leimer Semmelbrösel im Angebot

Hier wurde so mancher Kampf ausgetragen

Was wir damals so für Spielchen trieben

Der Arbeiterbus

In Reih und Glied zur Gemeindeschwester

Papas Bodyguard und Begleitdame

Mitternachtsschmaus auf dem Tanzsaal

Was für eine Masche

Eine große Tüte voller Plastikblumen

Das selbst designte Papierkorb – Unikat

Sechs Eimer Wasser für die Badewanne

Pykaryl

Mein Opa bei den Olympischen Spielen

Immer einen Gummi in der Tasche

Eine Banane für Andrea

Emmi fütterten wir mit Zeitungspapier

Fröhlich sein und singen

Kirschsaft und Wadenwickel

Zehn Mark für ein Blatt Papier

Ein Kessel Buntes

Auf des Flämings sanft gewellten Höhen

„Auf des Flämings sanft gewellten Höhen, träumt ein Dörfchen still am Waldesrand…“

Mein Heimatdorf… direkt an der Bundesstraße B101 gelegen, doch umgeben von Feldern, Wiesen und Wäldern.

Als ich vor Jahren durch ein sibirisches Dorf lief, erinnerte mich der Anblick eines aufgebockten Autos, an dem herum geschraubt wurde, an die Samstage in meiner Kindheit. Aus dem Radio erklang flotte Musik. Es herrschte vertraute Atmosphäre. An jenem Tag war auch Samstag.

Besonders schön war es im Frühling. Am Vormittag mussten wir samstags noch in die Schule. Wenn wir heim kamen, aßen wir Mittag – das waren am Samstag oft Makkaroni mit Tomatensoße. Danach war Wochenende.

Ich mochte schon als Kind, die Fenster aufzumachen und frische Luft ins Haus zu lassen. Wenn ich den großen Fensterflügel meines Zimmers öffnete, genoss ich den Duft des Frühlings. Überall lag er samt seiner Aufbruchsstimmung in der Luft.

Die Stimmung an einem Samstag auf dem Dorf hatte etwas Besonderes.

Sonnabends war mehr Zeit, um die funkelnden Sonnenstrahlen, das frische belebende Klima, den lichten Himmel, liebliches Vogelgezwitscher und doch gleichzeitig Ruhe zu genießen.

Das alles weckte meine Lebensgeister. So hatte ich Lust (für ein Kind vielleicht ungewöhnlich), in meinem Zimmer Staub zu wischen, zu saugen, für Ordnung zu sorgen und „reine zu machen“.

Durch das offene Fenster hörte ich manchmal entfernt das schneidende Geräusch einer Kreissäge, das Rattern eines Rasenmähers oder brummende Maschinen aus dem nahe gelegenen Kuhstall.

Mein Zimmer befand sich in der oberen Etage. Ich mochte den Blick, den ich von dort oben hatte. (Der Blick gefiel auch dem Jungen, der gegenüber wohnte. Einmal erwischte ich ihn dabei, als er mit dem Fernglas in Richtung meines Zimmers schaute.)

Ich liebte es, drinnen und noch viel lieber draußen mit zu werkeln. Samstags wurde geputzt – im Haus als auch vor dem Haus. Alle wuselten irgendwo – Oma, Opa, meine Eltern und ich. Das war für mich normal, denn so wuchs ich auf (viel später vertrat ich die Meinung, dass so ein freier Samstag zu schade sei zum Putzen).

Auf einem Grundstück gibt es viel zu tun. Zimmer und Stuben sauber halten, war das eine.

Die Treppen zum Haus und zum Hof wischen, das nächste.

Die Blumenrabatte vor dem Haus wurde gepflegt, was hacken, harken und Unkraut zupfen bedeutete. Eventuell war der Rasen zu mähen und das war nicht wenig an Fläche.

Damals lief der Rasenmäher per Stromkabel. Wir nutzten die Steckdose in der Garage und benötigten mehrfach miteinander verbundenes meterlanges Kabel. Es galt acht zu geben, dass nicht dieses, sondern nur der Rasen geschnitten wurde!

Der Trolli-Mäher besaß keinen Auffangkorb. Da lag er dann - der frisch gemähte wohlig duftende Rasen und musste zusammen geharkt werden. Die Grashaufen wurden auf einen Fahrradanhänger geworfen. Den zogen wir per Hand über das holprige Kopfsteinpflaster des Hofes und brachten das Gras in den sich dahinter befindenden Garten zum großen Misthaufen.

Zum Glück hatte Opa irgendwann aus Holz einen Aufsatz für den Wagen gebaut, so dass wir mehr laden konnten und weniger laufen brauchten. Doch das alles hatte auch etwas.

Manchmal mähten Papa oder Opa und eine oder zwei von uns „Mädels“ teilten sich das Harken und Wegschaffen. Zum Schluss wurden alle Rasenkanten fein säuberlich mit der Rasenschere verschnitten.

Alle paar Wochen hatten wir uns um die Fläche am Rosengarten zu kümmern. Ein extra dafür vorhandener Rasenmäher wurde von Nachbar zu Nachbar – immer zu dem, der an der Reihe war – weitergegeben.

Neben dem Rasen befand sich eine schön angelegte Rosenrabatte, die gepflegt werden wollte. Dort half ich ebenso gern und flitzte die Strecke zwischen Rosengarten und unserem drei Häuser entfernt gelegenen Grundstück hin und her. Mal war eine Harke zu holen, mal etwas wegzubringen. Ich war gern in Bewegung.

Nicht weit von diesem Dorfplatz befand sich der Friedhof. Hier gingen wir im Sommer je nach Witterung manchmal täglich gießen. Samstags wurde immer um die Gräber geharkt, die Erde zwischen der Grabbepflanzung gelockert und von Unkraut befreit.

Ich hatte mir irgendwann an einer anderen Grabstelle ein Zickzack - Muster abgeguckt, was ich dann immer in den Sand harkte. Außerdem stellten wir der Jahreszeit entsprechend frische Blumen ans Grab. Die konnten wir im eigenen Garten schneiden.

Zu Höchstzeiten kümmerten wir uns um sieben oder mehr Gräber: die Grabstellen der Eltern meiner Großeltern sowie von Angehörigen weggezogener Leute. Darunter war ein Kindergrab. Das berührte mich als Kind auf eine spezielle Art. Die Einfassung war so klein.

Nach dem ersten Arbeitseinsatz am Samstag wurde bei uns am Nachmittag gegen drei Kaffee getrunken. Für gewöhnlich aßen wir dazu leckeren frischen Hefekuchen. Den hatte Oma bereits am Vortag gebacken.

Er war mit Früchten wie Stachelbeeren, Äpfeln, Kirschen oder Pflaumen aus dem Garten belegt und hatte dazu noch eine Decke aus wunderbaren Streuseln, Eierschecke oder Guss. Ihr Hefekuchen schmeckte ebenso köstlich nur mit Butterstreuseln, die wiederum durch Vanillepudding oder Pflaumenmus darunter einen zusätzlichen Gaumenschmaus bereiten. An dieser Stelle soll auch Omas saftiger Bienenstich nicht unerwähnt bleiben! Für alle unwissenden Leser: Omas Bienenstich tat nicht weh, sondern ist ein Kuchen.

Im Anschluss an die Kaffeepause ging es oft nochmal hinaus, denn im Hof und Garten gab es ebenfalls zu tun. Und vom Garten aus konnten wir auf den Kiefernwald und des Flämings weite Felder blicken.

Das Flämingslied, mit dessen Zeilen ich zu schreiben begann, hat der Lehrer Walter Winkler verfasst, der seinerzeit in meinem Heimatdorf lebte. Es erinnert an die ländliche Schönheit.

Fast täglich ein Dämpfer von Opa

Wie es früher war und teilweise auch heute noch auf dem Dorf üblich ist, hatten wir Hühner, Enten, Kaninchen, Schweine, Katz und später sogar einen Hund.

Auf einem typischen Vierseithof war es tatsächlich so, dass man vom Schlafzimmer bis zum Hühnerstall gehen konnte ohne nach draußen zu müssen.

Bei uns war das folgender Weg: Schlafzimmer-Küche-Korridor-Veranda-Hinterflur-Waschküche-Futterkammer-Stall-Hühnerstall.

Wir – das sind meine Eltern und ich – wohnten mit meinen Großeltern mütterlicherseits zusammen. Oma und Opa bewohnten den unteren Teil des Hauses, wir den oberen.

Küche und Bad befanden sich für alle in der unteren Etage. Oben stand uns vom Schlafzimmer abgehend, ein kleiner Bereich mit Toilette und Waschbecken zur Verfügung.

Also benutzten wir Küche und Bad gemeinsam, wobei es – soweit meine Erinnerung reicht – nie Probleme gab.

Wir nahmen die Mahlzeiten zusammen ein und es gab ein sogenanntes Wirtschaftsportemonnaie, in das Jung und Alt seinen Anteil hinein legten. Davon wurden Lebensmittel und andere notwendige kleine Dinge eingekauft.

Für die Versorgung der Tiere verwendeten wir Kartoffeln, Möhren und Rüben sowie Gras aus dem eigenen Garten. Außerdem bekam jedes LPG-Mitglied ein Deputat an Kartoffeln sowie Schrot. Weizen erhielten wir bei einem festgelegten Gewicht durch die Eierabgabe. Dazu mehr auf Seite 46.

Für die Hühner kauften wir bei unserem dorfeigenen Bäcker sogar Roggenbrot. Dass es lecker war, weiß ich, weil ich daran ohne zu naschen nicht vorbei kam. Das Brot war kastenförmig und sah in seiner Beschaffenheit äußerst verführerisch aus. Ich suchte mir irgendwo an der leckeren Kruste Zugang und pulte beim Vorbeigehen immer wieder ein Häppchen heraus.

Die Kartoffeln warfen wir den Hühnern und Schweinen selbstverständlich nicht roh hin. Statt in einem großen Topf, wurden sie in viel größeren Dämpfern weich gegart. Zwischen dem kleineren und einem größeren Dämpfer befand sich ein Trog, in den wir sie dann heiß hinein schütteten. Bevor sie später eimerweise den Schweinen in den Trog gebracht wurden, zerdrückten wir sie mit einem entsprechend großen Kartoffelstampfer.

Unter die gedämpften Kartoffeln mischten wir Schrot und essbare Küchenabfälle, wie zum Beispiel Apfelschalen. Ich weiß noch, dass ich von einer Feier übrig gebliebene Schlagsahne in den Schweinetrog bringen sollte. Nicht einen Löffel voll wollte ich den Tieren vorenthalten und kratzte eifrig die hauchdünne gute Schale aus. Leider überschätzte ich das zarte Glas. Welch ein Schreck durchfuhr mich, als der Löffel hindurchschaute und die hübsche blaue Glasschale hinüber war.

Um das Versorgen der Tiere und all die Arbeit, die das betraf, kümmerte sich größtenteils Opa. Sicherlich, weil er bereits Rentner war. Es handelte sich um nicht wenige Aufgaben; begonnen beim täglichen Hühner hinaus lassen und den Stall zur rechten Zeit wieder schließen, damit kein hungriger Fuchs sie stahl.

Meine Eltern erzählten mir, dass Opa viel Wert auf seinen Bohnenkaffee legte. Ich erinnerte mich dann auch, dass er sein aufgebrühtes Kännchen Kaffee nebst einer Tasse auf einem kleinen metallenen Tablett mit hinaus nahm und auf dem Tisch in der Waschküche platzierte. So konnte er zwischendurch immer wieder einen Schluck davon trinken.

Meine Mutter nahm ihren restlichen morgendliche Kaffee meist mit ins Bad und trank ihn vermutlich zwischen dem Haare toupieren und etwas schminken aus. Das hab ich mir wohl von den beiden abgeschaut – ich schleppe meinen Kaffee auch gern mit mir umher.

Täglich mussten die gelegten Eier im Stall und Garten eingesammelt werden. Von Zeit zu Zeit suchten sich die Hühner neue Verstecke, die wir zu entdecken hatten.

Opa kam so manches Mal mit blutigem Handrücken zum Abendessen, worauf ich als kleines Kind sagte: „ Hinne pickt“.

Oma holte immer mal nur ein Ei aus dem Stall. Es sollte ein ganz frisches sein, denn als aufbauendes kraftspendendes Elixier quirlte sie dieses Ei mit Traubenzucker und trank es in einem Schluck. Mir schmeckte das auch.

Den Geschmack und die aufgeschlagene Konsistenz nehme ich bei der Erinnerung deutlich auf meiner Zunge wahr. (Und denke gleichzeitig an den Sportler-Flip, den es im Ringberghaus in Oberhof als alkoholfreies Getränk an der Bar gab. Darauf war ich während unseres Aufenthaltes dort ganz scharf. Sicher beeinflussten die sportliche Bezeichnung und das mir von daheim vertraute eingerührte Ei diese Vorliebe.)

Bei den alltäglichen Aufgaben, die es zu bewerkstelligen gab, hatten wir meine ich Freude. Es war eine Selbstverständlichkeit und keine Last. Eins wurde nach dem anderen erledigt. Jedes hatte seine Bedeutsamkeit und gehörte zum Tagesablauf. Dieser war nicht durch ständige Unternehmungen, Fahrten und Termine gestresst. So war das Leben.

Arme Ritter ohne Ende

Andere Länder, andere Sitten. Andere Dörfer, andere Bräuche.

So lernte ich bei meinen Großeltern auch verschiedene Vorlieben beziehungsweise Kreationen von Speisen kennen.

Das, was bei uns daheim zum Frühstück, Mittag, Kaffee und Abendessen auf den Tisch kam, war für mich gewohnt und „normal“. Wenn ich die Ferien bei meiner Tante und den Großeltern im Nachbardorf verbrachte, entdeckte ich neue Möglichkeiten.