Erlebte Geschichten von 1941 bis 2018 - Heinrich Maue - E-Book

Erlebte Geschichten von 1941 bis 2018 E-Book

Heinrich Maue

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Beschreibung

Erlebte Geschichten aus der Zeit von 1941 bis 2018. Einige Erlebnisse aus der Kriegszeit enthalten auch geschichtliche Informationen. Die Zeit von 1950 bis 1967 war geprägt von wirtschaftlichen Aufbau und dem Bestreben den Lebensstandard zu verbessern. Schlitzohrigkeiten im Kollegenkreis und im Geschäftsleben haben mehr zur Schadenfreude als zum Verdruss beigetragen. Insgesamt kann man erfahren, wie seinerzeit die Menschen miteinander ihre Freude an Kleinigkeiten hatten. Kleine Alltagsfreuden mussten bis in die 1960er Jahre das Fernsehen ersetzen.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 263

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Erlebte Geschichten von 1941 bis 2018

TitelseiteNimm es leicht.Jetzt haben wir´sImpressum

Inhaltsverzeichnis I

SeiteThema

13Prolog

16 Schnelle Mutterfüße

23Die Führerscheinprüfung

32 Der Laufkran

40Beschaffungspsychologie

43Das undichte Dach

45Billige Perlonstrümpfe

49Nur eine Unterschrift

53 Dackelfutter

58 Die Urne

61Der Test

66Möchten Sie „Wild“ essen

67Der verschwundene Wellensittich

70 Der Irrtum

76Alex lernt das „Vaterunser“

77 Ein Aufsatz mit Adel

109Märkte und Menschen

139Ein neuer Aktivitätsabschnitt

139Ein Tag wie viele andere

154Städtereisen auf Bückeburger Art

163Wir waren auf Helgoland

169Meine Zähne

175Wer hat nun wen beklaut

183Geschichten um und mit Lea

211Ein Weihnachtsfest wie kein anderes

226Erkenntnisse und Erlebnisse eines Rentners

244Verbesserungsvorschlag an die Stadtverwaltung

249Nach Papenburg

257Oster- und Festbräuche in alten Niedersachsen

259Die Masse ist dumm

260Nackte Mädchen am Ostermorgen

263Nur eine Auster

275Gaunerzinken und andere Geschichten

Inhaltsverzeichnis II

Seite Thema

287Ein starker Kämpfer

295Stopp der Erderwärmung

304Energie sparen, bedeutet Geld sparen

317Methan, die Gefahr aus der Tiefe

327Einkauf mit viel Regen

331Das Fenster

338Es passiert alles zweimal

347Die einsame Margerite

350Lehrer Henze oder/ und Einstein

353Unterhosenkauf in Minden

358Eine stille Lesestunde

361Unbezahlte Wahlhelfer

364 Schlaglöcher erhöhen die Verkehrssicherheit

365Die Sache mit dem Reichtum

368So sind die Schaumburger

370Herr Einstein hat es erkannt

373Menschliche Logik oder nur Dummheit?

379Muskelaufbau im Schlaf

382Epilog

383Weitere Bücher und Aufsätze

Heinrich Maue

Erlebte Geschichte(n)

von 1940 bis 2018

Erzählungen und Erlebnisse

Tempore mutatore et nos eiscum

Das Buch enthält Erzählungen meiner Großmutter, Mutter, eigene Erlebnisse und Beobachtungen aus der Zeit von

1940 bis 2018

Das sind immerhin

78 Jahre

Copyright by H. Maue, 31675 Bückeburg 2018

Heinrich Maue

Nimm es leicht.

Großmutters Weisheit.

Sie hatte ein

erfülltes Leben und

musste es wissen.

Es kommt immer auf die Sichtweise an.

Auch eine halbleere Flasche ist noch halbvoll.

Erlebt, gesammelt und zu Papier gebracht von Heinrich Maue

in den Jahren 2014 bis 2018

Prolog

Es gibt meiner Ansicht nach nur zwei Möglichkeiten mit den Schwierigkeiten des Lebens fertig zu werden:

Entweder:

Man nimmt alles ernst und bekommt

Magengeschwüre,

oder:

Man versucht den unangenehmen

Dingen des Lebens die heitere Seite

abzugewinnen.

Ich habe mich immer bemüht, nach dem weisen Spruch meiner Großmutter zu leben:

"Junge, jede schlechte Sache

hat auch etwas Gutes."

Mit diesem Worten hat sie mich häufig davon überzeugt, dass ein aufgeschlagenes Knie zwar Schmerzen verursacht aber auch gleichzeitig den Vorteil hat, dass man vorübergehend nicht im Schmutz zu spielen braucht und damit der Mutter unnötige Wascharbeit erspart.

Später habe ich festgestellt, dass unter diesem Gesichtspunkt der Ärger mit Behörden, Kollegen und anderen Mitmenschen zu einem Vergnügen werden kann.

Im Falle, dass anderen Menschen unangenehme Dinge passieren, kann das zur eigenen Belustigung beitragen. Denn es gibt Gelegenheit zur Schadenfreude.

Sie hatte eine kleine Geschichte aus dem Jahre 1914, sie war damals 20 Jahre alt.

Ihre erste große Liebe war ein schüchterner Bauernsohn.

Nach vielen Bemühungen hatte sie ihn endlich soweit, dass er mit ihr, an einem Sommerabend bei Vollmond, am kleinen Fluss mit dem Namen „Emmer“, in der Nähe von Bad Pyrmont, spazieren ging.

Auf einem Wiesenweg näherte sie sich ihm immer mehr, was ihn zu der Bemerkung veranlasste: „Nun drängle doch nicht immer so“.

Der zweite Versuch: „Ist das nicht schön am Busen der Natur?“

Seine Antwort: „ Das ist kein Busen, das ist eine Wiese“.

Dritter Versuch: „Sieh doch wie der Mond so lächelt“.

Er: „Lass ihn lächeln“.

Vierter Versuch “Fritz, nun sag mir doch ein süßes Wort.“

Antwort: Honig, Zucker, Sirup, da hast du gleich drei.“

Wie damals üblich, kamen seine Antworten auf Plattdeutsch. Da klingt das noch brutaler.

Oma hat es daraufhin aufgegeben und ihre junge Liebe begraben.

Später hat sie oft gesagt, dass es ihr im Anfang sehr zu Herzen gegangen ist wie er Ihre Liebe verschmähte. Im Endeffekt sei es aber besser so gewesen wie es gekommen ist.

Sie hat meinen Großvater geheiratet.

Ihre erste Liebe hat sich seiner späteren Frau gegenüber nicht als der beste Ehemann entwickelt.

Erklärung 2018

Die, in den Geschichten vorkommenden Personen sind, soweit bekannt, außer dem Verfasser, den Kindern und Enkelkindern, inzwischen verstorben. Mögliche Nachkommen sind nicht bekannt.

Darüber hinaus sind die Personen anonymisiert. Die Geschichten und Erlebnisse sind real.

H. Maue, September 2018

Schnelle Mutterfüße.

Die Freundin meiner Mutter, Alwine T. hat mit ihrem schlimmsten Erlebnis viele Jahre für heiteren Gesprächsstoff gesorgt.

Und das war passiert:

Im Jahre 1943, als im Spätsommer der Weißkohl seinen größten Durchmesser erreicht hatte, beschloss sie, gemeinsam mit einer Nachbarin den Speiseplan der Familie zu bereichern.

Wie bekannt waren die Ehemänner und Väter irgendwo im Westen, Norden, Osten oder Süden Europas als "Vaterlandsverteidiger" tätig.

Auf Hochdeutsch, sie kämpften für Führer, Volk und Vaterland, auch für den Dank des Vaterlandes, der ihnen ja später lange nachschleichen sollte.

So war es auch bei den Ehemännern der beiden betroffenen Ehefrauen und Mütter.

Jeder weiß, dass insbesondere Mütter, wenn es um das Wohlergehen ihrer Kinder geht, auf die abenteuerlichsten Ideen kommen.

Die Ideen sind häufig sehr gut. Sie kommen oft nur zur falschen Zeit oder die Realisierung wird auf den falschen Termin verlegt.

So auch hier. Die beiden fürsorglichen Mütter hatten beschlossen, Kohl zu ernten. Sie hatten das Gemüse zwar nicht gesät, er gehörte den Baronen aus unserem Nachbarort, dafür war es aber sehr schmackhaft und gesund. Hinzu kam, dass er nur zwei Kilometer von unserem Dorf entfernt wuchs.

Die beiden Mütter waren zudem ziemlich bibelfest und schon dort steht, dass auch die Vögel am Himmel weder säen noch ernten und trotzdem ernährt werden.

An einem sonnigen Tage, kurz nach dem kargen Mittagessen, zogen die beiden Mütter, jeweils mit einem Küchenmesser und einem Kartoffelsack ausgerüstet, los, um den Kohl des Barons zu ernten.

Die Zeit kurz nach dem Mittagessen erschien Ihnen günstig weil sie davon ausgingen, dass die Aufsichtsführenden Mitarbeiter des Barons ihren Mittagsschlaf halten.

Vor ihnen hatten schon andere "Erntehelfer" das Kohlfeld besucht, und viele Kohlstrünke zierten das Feld.

Der Verwalter des Gutes hatte zwar sporadisch Personal zur Überwachung eingesetzt. Die "Fangergebnisse" waren jedoch als mäßig einzustufen.

Ausgerechnet an diesem Tag war nun auch der Verwalter des Gutes auf die Idee gekommen, seine Felder selbst zu inspizieren und, wenn möglich, Erntediebe zu fangen.

Er war mit einem sehr schönen, wenn auch nicht mehr ganz jungen Reitpferd unterwegs und einer Reitpeitsche ausgerüstet.

Die beiden Mütter waren, als er über einen kleinen Hügel ritt und seinen Blick über die Felder, selbstverständlich auch über das Kohlfeld, schweifen ließ, eifrig damit beschäftigt, die besten Kohlköpfe zu ernten.

Als die flinkere von beiden hatte Alwine T. inzwischen zwölf schöne große Weißkohlköpfe in ihrem Kartoffelsack. Die Nachbarin dagegen nur acht.

Der Verwalter reagierte, als er die fleißigen Frauen sah, überaus ärgerlich. Mit Gebrüll und auf sein Pferd einschlagend galoppierte er auf die beiden zu.

Alwine warf ihren Kartoffelsack über die Schulter und rannte los. Ihre Nachbarin hingegen, eine etwas korpulente und ausgebombte Rheinländerin, legte sich lang zwischen den Kohl und zog sich den Kartoffelsack über den Kopf. Sie wollte nicht sehen, was anschließend passierte. Für einen derartigen Diebstahl konnte man zu der Zeit durchaus für einige Jahre im Gefängnis landen.

Alwine T. hingegen besann sich darauf, dass sie in ihrer Jungend immer eine gute Läuferin gewesen war. Schlank und drahtig versuchte sie die schützende Wohnung noch vor dem berittenen Verwalter zu erreichen.

Das Handikap, das sie durch den Sack mit zwölf ausgewachsenen Kohlköpfen hatte, wurde durch die Angst erwischt zu werden und den Gedanken an ihre hungrigen Kinder, wieder wettgemacht.

Vor der flüchtenden Frau und ihrem Verfolger lag eine Strecke von etwa 2000 Metern, und das querfeldein.

Alwine T. holte das letzte an Energie aus ihrem Körper und der Verwalter aus seinem Pferd. Trotz der schweren Kohlköpfe schaffte sie es, bis zum zweiten Haus im Dorf zu kommen.

In diesem Haus wohnten wir. Meine Mutter hatte an diesem Tage ihre große Wäsche und ich saß in der Küche bei meinen Schularbeiten.

Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit kam meine Mutter sehr plötzlich und aufgeregt in die Wohnung und tauschte ihre Waschschürze gegen eine Küchenschürze. Dann setzte sie sich neben mich und beschäftigte sich mit meinen Problemen.

Sie konnte mir noch sagen: "Wenn dich jemand fragen sollte, ich bin schon seit einiger Zeit bei dir", dann klopfte es auch schon an die Korridortür. Wir wohnten im ersten Stock.

Vor der Tür schrie ein Mann, wir sollten die Tür aufmachen und, dass er auf der Suche nach einer flüchtigen Frau sei.

Ich kapierte nichts mehr und befürchtete schon, irgendein Nachbar hätte mitbekommen, dass wir nachts den englischen Sender BBC hörten. Dafür wurde man damals garantiert eingesperrt.

Meine Mutter ging sehr ruhig zur Tür, öffnete sie und ein verstaubter Mann mit Reitpeitsche stürmte unsere Wohnung.

Ich kannte ihn, weil er mich auch einmal beim Organisieren von Klee für unsere Kaninchen erwischt und fürchterlich verprügelt hatte.

Dieses Verfahren war damals üblich und jedes Kind unter zwölf Jahren wusste, welches Risiko es einging. Kinder über zwölf Jahre hatten dann noch zusätzlichen Ärger mit dem HJ-Führer.

Der Verwalter suchte aber nicht mich, sondern Alwine T. die er erkannt hatte. In unserer Wohnung war sie nicht und meine Mutter hatte sie natürlich seit dem Vortage nicht gesehen.

Nur unser Hauswirt, ein guter und aufmerksamer Parteigänger, hatte jedoch gesehen, dass Alwine T. in das Haus gelaufen war.

Er suchte nun, gemeinsam mit dem Verwalter, das Haus nach Alwine und dem Kohl ab.

Inzwischen hatte die Ehefrau des Hauswirts unseren Dorfpolizisten benachrichtigt. Er war ein älterer, gemütlicher Herr, der immer froh war, wenn er seine Ruhe hatte.

Alwine hatte er schon gekannt, als sie noch ein kleines Mädchen war. Schon aus diesem Grund ging der Ordnungshüter nach einer besonderen Taktik vor. Er lockte. Auf seinem Gang durch das Haus, allerdings nur durch den Keller und den ersten Stock, auf den Boden durfte er nicht, weil dort der gesetzestreue Hauswirt die großen Reste eines "schwarz" geschlachteten Schweines versteckt hatte, rief er immer wieder: "Alwine, nun mach keinen Unsinn, komm doch aus deinem Versteck." Der Verwalter durfte sich, auf Anweisung des Polizisten, nicht an der Suche beteiligen.

Endlich kam sie schwarz und schmutzig aus einer Kohlenkiste hervorgekrochen. Sie hatte sich während der ganzen Zeit, mit Eierkohlen zugedeckt, in der Kiste versteckt.

Während der Ortspolizist nun unbedingt wissen wollte, was sie nun eigentlich "ausgefressen" habe, redete sich der Verwalter, der inzwischen doch wieder hinzugekommen war, immer mehr in Wut, weil er mit seinem Reitpferd das Rennen verloren hatte.

Man stelle sich vor: Über eine Distanz 2000 Meter hatte er es nicht geschafft, die anfängliche Distanz von etwa 200 Metern merklich zu verringern.

Die Leistung, wie sie zu der Zeit von der flüchtenden Alwine T. erbracht wurde, dürfte auch heute, selbst von Hochleistungssportlern kaum erreicht werden.

Die Frage nach dem verschwundenen Kohl wurde nur am Rande erwähnt, zumal dieser merkwürdigerweise spurlos verschwunden war.

Erst als es dunkel geworden war holte Alwine T. "ihren" Kohl ab.

Er hatte, samt Kartoffelsack, die ganze Zeit im Waschkessel unter der Wäsche im frischen Wasser gelegen.

Das Glück dabei war, dass das Wasser noch kalt war, als Alwine T. in die Waschküche stürmte und meine Mutter noch schnell das Feuer unter dem Kessel, löschen konnte.

Für die beiden Kohldiebinnen ging die ganz Angelegenheit zum Schluss doch noch gut aus.

Wenige Nächte nach diesem Vorfall ließ eine Brandbombe der Amerikaner, sie kamen immer in der Nacht, die Stuhlfabrik in unserem Ort in Flammen aufgehen.

Neben der Feuerwehr mit Handpumpe, sie nützte ohnehin nicht viel, half das ganze Dorf, bewacht von dem Ortspolizisten, beim Retten der Holzvorräte.

Jeder dachte bei der Gelegenheit natürlich zuerst an sich und seine Familie. In der Nacht wurde mehr Holz gestohlen als jemals verbrannt wäre. Auch das Holz vom Lagerplatz verschwand zum größten Teil.

Ausgerechnet Alwine und ihre Nachbarin wurden von dem Ortspolizisten so gut beobachtet, dass ihnen nichts anderes übrigblieb, als tatsächlich Hilfeleistungen zu erbringen.

Der Dank des Vaterlandes zeigte sich schon am nächsten Tag.

Die beiden Frauen wurden vom Ortspolizisten wegen ihres kühnen Rettungseinsatzes belobigt und die Anzeige wegen Kohldiebstahls verschwand im Papierkorb.

Die Geschichte habe ich 70 Jahre später dem Enkel des damaligen Barons übergeben. Sie war ihm aus Erzählungen des Großvaters bekannt.

Die Führerscheinprüfung

Im Oktober 1949 habe ich als fünfzehnjähriger meinen ersten Führerschein erworben.

Es war ein Führerschein der damaligen Klasse 4, mit dem man Motorräder, erweitert, kleine Transporter und ähnliche, damals gebräuchliche Motorfahrzeuge fahren durfte. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um ein Auto mit drei oder vier Rädern oder ein Motorrad handelte.

Ebenso durfte man mit diesem Führerschein Traktoren mit einer Höchstgeschwindigkeit bis zu 25 Stundenkilometern fahren.

Der Erwerb eines derartigen Führerscheins war nach heutigen Maßstäben relativ einfach und billig. Für die damaligen Verhältnisse jedoch ebenso schwer und teuer wie heute.

Die Kosten für ein polizeiliches Führungszeugnis betrugen zu der Zeit drei Mark und der Führerschein kostete beim Straßenverkehrsamt 4,50 Mark.

Nun waren diese 7,50 Mark für einen fünfzehnjährigen Jungen damals ein horrender Betrag, der nur durch eine Anleihe bei den Eltern beschafft werden konnte.

Mein Vater erklärte sich auch nach zermürbenden Verhandlungen bereit, die Summe vorzustrecken. Die Rückzahlung hatte innerhalb von sechs Monaten zu erfolgen.

Nachdem dieser Punkt geklärt war, erzählte ich einem dreißigjährigen Bekannten von meiner Absicht, den Führerschein zu erwerben.

Der gab mir einen guten Rat. Er lautete: "Such' dir jemanden, der auch den Führerschein machen will, dann wird es einfacher. Denn, kommen mehrere zu einer Prüfung, wird jede einzelne Person weniger gefragt, wenn nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht."

Man muss dazu wissen, dass eine mündliche Prüfung vorgenommen wurde. Die Prüfungszeit betrug, unabhängig von der Personenzahl und den Kenntnissen der Prüflinge, maximal eine halbe Stunde.

Eine Prüfungsordnung im heutigen Sinne gab es noch nicht. Es war aber bekannt, dass ein Mitarbeiter des Straßenverkehrsamtes einige Fragen stellen würde.

Einen Führerscheininteressenten fand ich in der Person meines sechszehnjährigen Freundes Helmut. Seine Eltern besaßen eine kleine Landwirtschaft und er wollte mit dem alten Lanz-Bulldog auch gern auf den öffentlichen Straßen fahren.

Wir beide gingen voller Optimismus zum Straßenverkehrsamt und verkündeten Stolz, dass wir uns entschlossen hätten den Führerschein der Klasse 4 zu erwerben.

Der Beamte sah uns, nachdem wir unser Begehren vorgetragen hatten, seltsam an und erkundigte sich vorsichtshalber, ob er sich auch nicht verhört habe. Wir wiederholten also unser Anliegen.

"Wie alt seid ihr denn", fragte er. "Ich werde im September fünfzehn und mein Freund Helmut sechzehn Jahre" verkündete ich und hoffte, dass der Beamte sich ob solch biblischen Alters voller Achtung erheben würde.

Er erhob sich auch, allerdings nur um unsere Größe mit seiner zu vergleichen und um dann zu verkünden, dass wir noch einmal wieder kommen sollten, wenn wir kurz vor dem achtzehnten Lebensjahr ständen.

Das war nun eine Aussage, die mir absolut nicht gefiel, zumal ich schon überall verkündet hatte, daß ich bald einen Führerschein besitzen würde. Der Gedanke an mögliche Stänkereien meiner Freunde, war auch nicht sehr angenehm.

Mein Freund Helmut war schon auf dem Weg zur Tür als mir einfiel, dass es für alle Gesetze und Verordnungen auch Ausnahmeregelungen gibt. Ich hatte derartiges einmal irgendwo gelesen.

Also fragte ich bescheiden und höflich, ob man denn nicht die für derartige Fälle vorgesehene Ausnahmeregelung anwenden könne.

"Was für eine Ausnahmeregelung?" erkundigte sich der Beamte. "Nun, die Nummer weiß ich auch nicht aber es gibt da eine", behauptete ich.

"Und woher weißt du das?" "Von unserem Ortspolizisten", behauptete ich. Der Hintergedanke war, dass man aufgrund der Aussage einer Respektsperson vielleicht eher nachsehen würde als aufgrund der Aussage eines vierzehnjährigen Jungen.

Der Beamte verließ uns, um seinen Chef zu fragen. Vielleicht kannte der die Ausnahmeregelung.

Mein Freund Helmut F. wurde in der Zwischenzeit nervös und wollte abhauen. Er befürchtete Komplikationen. Ich beruhigte ihn mit einer Erkenntnis die mir meine Großmutter vermittelt hatte. "Mehr als rausfliegen können wir nicht. Also, abwarten."

Nach geraumer Zeit kam der Beamte wieder und erklärte uns, dass man die Regelung gefunden habe nach der auch vierzehnjährige einen Führerschein erwerben könnten. Allerdings stammte die noch aus der Zeit des Dritten Reiches und bezog sich wohl im Wesentlichen auf Angehörige bestimmter Jugendorganisationen. Diese Ausnahmeregelung war aber noch nicht widerrufen und somit gültig.

Ich fühlte mich in meiner Haut inzwischen wesentlich wohler als vor dieser Verkündigung.

"Ein Problem besteht jedoch noch", erklärte uns der Beamte, "ihr müsst noch zum Amtsarzt, um euch ein Gutachten über eure physische und psychische Reife zu holen. Bekommt ihr das nicht, gibt es auch keinen Führerschein."

Wir also zum Gesundheitsamt, bekamen einen Termin, wurden untersucht und als fähig befunden.

Die Beschaffung des Gutachtens und des polizeilichen Führungszeugnisses hatte einige Wochen gedauert und inzwischen war ich fünfzehn Jahre alt.

An einem Samstag bekamen wir einen Termin beim Straßenverkehrsamt.

Wir wussten natürlich nicht, welche Fragen auf uns zukamen. Von Verkehrsregeln hatten wir beide etwas gehört, wussten damit jedoch nicht viel anzufangen.

Von meinem Vater hatte ich erfahren, dass alle Fahrzeuge, die von "rechts" kommen, Vorfahrt haben.

Ebenso wesentlich stärkere Fahrzeuge als das eigene, egal aus welcher Richtung diese kommen.

Stärkere Fahrzeuge deshalb, weil sie die schwächeren ohne nennenswerte Probleme überrollen können.

Erst bei der Prüfung wurde mir klar, dass mein Vater mir diese Weisheit aus Sorge um meine Gesundheit vermittelt hatte.

Immerhin habe ich mich bis heute, und mit Erfolg, in Grenzsituationen, an diese Regel gehalten.

In vielen Städten, so in Kairo, gilt die Regel immer noch. Man geht oder fährt, wenn die Gefahr für das eigene Leben am geringsten ist. So erlebt 2001.

Zusätzlich zu den wenigen von meinem Vater vermittelten Grundregeln hatte ich noch Verkehrszeichen und ihre Bedeutung aus einem Fahrtenbuch eines bekannten Mineralölkonzerns aus den Jahren 1937/38 gelernt. Auf die Idee, dass diese Zeichen inzwischen überholt sein könnten, bin ich nicht gekommen.

Der Tag der Prüfung war wie angekündigt ein Samstag, denn damals mussten auch die Beamten noch am Samstag arbeiten. Helmut und ich hatten uns Urlaub genommen.

Mein Freund Helmut und ich waren guter Dinge und sahen uns schon als stolze Führerscheinbesitzer.

Wir waren die einzigen Prüflinge und der Beamte sehr freundlich. Nach einem kurzen Vorgespräch über den Grund des Führerscheinerwerbs, Helmut wollte bekanntlich einen Traktor und ich ein Motorrad fahren, holte der Beamte eine Papptafel hinter dem Schreibtisch hervor, auf der mehrere Straßen, unterschiedliche Fahrzeuge und Verkehrszeichen zu sehen waren.

Der Anblick dieser vergilbten Tafel stürzte Helmut und mich in tiefste Verwirrung. So etwas hatten wir noch nicht gesehen.

Das tollste war, dass an einer gleichberechtigten Kreuzung mehrere Fahrzeuge standen, die alle in eine andere Richtung wollten.

Nachdem Helmut und ich uns verzweifelt angesehen hatten, beschloss ich das Chaos zu entwirren. Dabei hatte ich fest in Erinnerung, dass immer der stärkere Vorfahrt hat.

Die Fahrzeuge wurden von mir nun in der Reihenfolge ihres Volumens über die Kreuzung geschleust.

Nachdem ich das so gut geschafft hatte sah ich beifallsheischend den Beamten an. Der jedoch machte ein äußerst mürrisches und enttäuschtes Gesicht. Er musste jedoch zugeben, dass ich zumindest kreativ und einfallsreich entschieden hatte.

Auf Hochdeutsch: Meine Entscheidungen waren mehr als sehr falsch.

Mein Freund Helmut, ein ohnehin sehr ruhiger Mensch, hielt sich während der Zeit im Hintergrund und hatte vorsichtshalber keine Meinung. Sein Vater hatte ihm von klein auf beigebracht, dass es besser sei keine Meinung zu haben als eine falsche. Hinzu kam noch, dass ein Traktor ohnehin überwiegend auf einem Feld bewegt wird und dort macht man sich seine eigenen Regeln solange eine gerade Furche gepflügt wird. Und das konnte Helmut.

Der Prüfer kam mit der nächsten Frage. Sie bezog sich auf Ampeln, die zu der Zeit noch aus drehenden Scheiben oder ähnlichen Geräten bestanden. Hinzu kamen Verkehrszeichen, von denen wir noch nie etwas gehört hatten.

Das Ergebnis der Prüfung war eine Katastrophe. Der Prüfer war mit uns nun absolut nicht zufrieden. Er gab uns aber eine letzte Chance.

Er wollte nun unbedingt von uns wissen, wie sich Verkehrsteilnehmer, mit gleichen Fahrzeugen, an einer ausgeschilderten Kreuzung zu verhalten hätten.

Hier versagte nun der Ratschlag meines Vaters, immer dem stärkeren die Vorfahrt zu gewähren.

Plötzlich hatte ich eine aus der Verzweiflung geborene Idee. Ich wollte den Prüfer befragen!

Also fing ich vorsichtig an, mich nach seiner Ansicht über die verworrene Verkehrslage zu informieren.

Bereitwillig und geduldig entwirrte er den gordischen Verkehrsknoten. Mein Freund Helmut und ich bewunderten ihn ob seiner Kenntnisse und Souveränität.

Anschließend erklärte er uns auch noch die anderen Bilder und die Bedeutung der Verkehrszeichen.

Inzwischen war es kurz vor 13 Uhr und für ihn Zeit an das Wochenende zu denken. Wir erhielten die vorbereiteten Führerscheine gegen eine Gebühr von 4,50 Mark und den eindringlichen Hinweis, innerhalb des nächsten Jahres keinen Unfall zu verursachen. Im Falle, dass das geschehen würde, ließe er uns den Führerschein sofort wieder abnehmen. Wir hatten einen Führerschein auf Probe.

Anschließend fertigte er noch einen Aktenvermerk über unseren miserablen Wissensstand den wir unterschreiben mussten.

Das war uns völlig egal, Hauptsache war, dass wir das Dokument hatten.

Der Schein wurde in einer eigens dafür besorgten Plastikbrieftasche verstaut und wir zogen stolz ab.

Übrigens: Die Papier/ Plastikbrieftasche besitze ich heute noch. Bis heute hat mir niemand den Führerschein wieder abgenommen. Dafür sind andere hinzugekommen.

Der Laufkran

Meine Lehrzeit absolvierte ich, 1950 bis 1953 bei einem Unternehmen in der Rattenfängerstadt Hameln. Die Firma, damals hieß sie ABG, ist heute weltweit bekannt und hat einige hundert Mitarbeiter.

Anfang der 50er Jahre war dieser Betrieb in seiner Startphase und die Lehrlinge im Alter von vierzehn bis neunzehn Jahren mussten alle vorkommenden Arbeiten erledigen. Besonders die unangenehmen.

Besondere Rücksichten, wie sie heute für Jugendliche festgeschrieben sind, gab es damals noch nicht. Den Begriff "Kinderarbeit", den man heute am liebsten auf einundzwanzigjährige ausdehnen möchte, bezog man zu der Zeit, wenn überhaupt, auf maximal zehnjährige.

Aber dafür durften wir auch erst ab 21 Jahren wählen.

Frauen standen damals noch, bis zum 21. Geburtstag unter der Vormundschaft ihrer Väter oder Ehemänner. Das Erwerben des Führerscheins mussten die Ehemänner noch bis zum 25. Geburtstag genehmigen.

Wir arbeiteten überwiegend unter freien Himmel. Bei Sonnenschein war das schön, bei Regen weniger und im Winter mussten wir am Morgen zuerst den Schnee von den Werkbänken fegen und einen selbstgebauten "Koksofen" anfeuern. Das Ding bestand aus einem alten Benzinfass in das wir Löcher geschlagen hatten und einer entsprechenden Menge "organisierten" Koks. Für die Beschaffung waren die Schlosserlehrlinge, damals „Stifte“ genannt, zuständig. Die Einheimischen kannten die Lagerstätten, fremder Firmen, im Industriegebiet. Da wir pro Arbeitstag und „Ofen“ nur einen Kartoffelsack voll Koks benötigten, fiel das nie auf.

Bei Bedarf wurde dieser Ofen so gestellt, dass der kalte Wind sich am Ofen erwärmte und die warme Luft zu den Mitarbeitern wehte. Daran, dass wir eventuell giftige Stoffe einatmeten haben wir nie gedacht. Wichtig war die Wärme. Vielleicht waren die Gifte, CO2 und dergleichen, damals auch noch nicht so gefährlich, weil kaum jemand von der Existenz wusste.

Bedenkt man dann noch, dass man sich an diesem Ofen nach einem kräftigen Regenschauer auch noch trocknen konnte, hatten wir es schon ziemlich gut.

Zum Trocknen mussten wir den Koksofen häufig benutzen, da die Arbeit auch bei starken Regengüssen, nicht unterbrochen werden durfte. Ostfriesennerze gab es noch nicht, höchstens einen umgestülpten Zuckersack, der den Regen gut ablaufen ließ. Aber so einen Zuckersack hatten nur wenige Kollegen.

Technische Transportmittel, mit denen schwere Lasten bewegt werden konnten wie Portalkräne oder dergleichen, gab es in dem Unternehmen nicht. Lediglich eine alte Sackkarre, zwei sehr schwere eiserne Plattenwagen und ein alter Handwagen waren vorhanden.

Trotzdem hatte die Firma einen gut funktionierenden "Laufkran".

Dieser "Laufkran" bestand überwiegend aus den Lehrlingen und wurde bei Bedarf durch einige kräftige jüngere Gesellen unterstützt.

Altgesellen und Vorarbeiter genossen das Privileg, den „Laufkran“ durch lautes Fluchen und Schimpfen zu steuern.

Um diesen Transportservice leistungsfähig zu erhalten und die Tragfähigkeit bei gleicher Personenzahl weiter auszubauen, mussten sich die tragenden Teile täglich, und zwar möglichst in den Pausen, im Stemmen und Heben schwerer Teile üben.

Das Ziel war mit einer Hand ein 40 Kilogramm schweres Bauteil, aus massiven Eisen, zehnmal hintereinander zu stemmen. Spätestens im zweiten Lehrjahr schafften das, 85 Prozent der Lehrlinge.

Beim Tragen wurden je Person und unabhängig vom Alter oder der Körpergröße über eine Distanz von einhundert Metern, einhundert Kilogramm, als untere Grenze, verlangt.

Nach einer gewissen Übungszeit gab es auch keine Probleme, wenn es über kurze Distanzen ging. Die Probleme tauchten erst ab 150 Metern auf.

Mit eben diesen Problemen hatte nun der betriebliche "Laufkran" zu kämpfen, nachdem sich das Unternehmen einen Lagerplatz für Rohmaterial, sprich Eisenprofile aller Art, in 200 bis 250 Metern Entfernung von dem Fertigungsgelände zugelegt hatte.

Immerhin war das Unternehmen am expandieren und der alte Lagerplatz musste verschwinden, weil dort eine neue Halle gebaut wurde.

Das Problem lag nicht am "Aufnehmen" der Lasten sondern vielmehr darin, dass Lasten die unangenehme Eigenart haben, bei längeren Transportwegen immer schwerer zu werden. Unser Meister hatte uns zwar erklärt, dass das mit dem „Schwerer werden“ pure Einbildung sei und jeder physikalischen Grundlage entbehre, aber es war nun einmal so.

Da nützte auch kein Fluchen oder das Androhen harter Sanktionen. Jeder Jugendliche, der sich über die Lasten beschwerte, wurde als "Faules Schwein" eingestuft. Zusätzliche Empfehlung des Meisters: „Wenn dir das hier zu schwer ist, such dir eine andere Lehrstelle.“ Die waren damals äußerst rar.

Was war nun zu tun. In einer geheimen Lehrlingsversammlung, die wie üblich in einer Schlägerei endete, hatte ich angeboten, das Problem zu lösen.

Besonders interessierte es mich, ob das Gewicht einer Last nur bei den Lehrlingen im Verhältnis zur Wegstrecke zunahm oder auch bei den Gesellen, Vorarbeitern und Meistern.

An einem schönen Sommertag bot sich die Gelegenheit zum Test. Mein Kollege Gerd und ich wurden beauftragt, eine Stange Rundeisen von Knapp drei Metern Länge und 80 Millimetern Durchmesser zu holen.

In den Regalen fanden wir auch ein passendes Stück, legten uns alte Putzlappen auf die Schultern, die schwere Eisenstange darauf und marschierten los.

Immer schön im Gleichschritt. Gerd vorn, ich hinten. Nach etwa 100 Metern Wegstrecke fing das Ding an zu drücken, also luden wir uns die Stange auf die andere Schulter. Von weitem beobachtete uns unser Meister Martin Worch. Ein Thüringer aus Erfurt, der im Flugzeugbau seine Ausbildung gemacht hatte. Für ihn hatte alles nur das Gewicht von Aluminium. Das spezifische Gewicht von Eisen interessierte ihn nicht, nur die Dimensionen der Teile.

Als er uns von weitem unsere erkannte, kam er angelaufen. Sein Spitzname war nicht ohne Grund RASCH-RASCH.

"Na, ihr faulen Schweine, wollt ihr nicht mehr?" erkundigte er sich leutselig, und marschierte neben uns her.

Weil er keine Antwort bekam, erkundigte er sich, ob das Gewicht auf unser Gehirn drücke und wir deshalb seine Frage nicht gehört hätten. Immer noch keine Antwort.

Seine blöden Sprüche reizten uns - aber nicht zu mehr Anstrengung. Wie sich später herausstellte haben wir beide gleichzeitig überlegt, ob wir ihm die Stange auf die Füße werfen sollten.

Als Gerd und ich Anstalten machten, die Stange erneut auf die andere Schulter zu nehmen, wurde Meister RASCH-RASCH böse.

Er schob sich zwischen uns unter die Eisenstange, um uns, wie er lauthals verkündete, einmal zu zeigen, wozu ein ausgewachsener Mensch, der täglich sein Essen bekommt, in der Lage ist.

Seine Hilfe brachte auch eine spürbare Erleichterung. Die seltsame Truppe brachte mich auf eine Idee. Gerd, rund vier Zentimeter kleiner als ich, ging vorn. Meister Martin der ungefähr meine Größe hatte, in der Mitte und ich als der Größte hinten.

Ich brauchte mich nur noch etwas kleiner zu machen und Meister Martin hatte das volle Gewicht zu tragen.

Langsam, um nicht aufzufallen, ging ich etwas gebeugt. Zuerst fiel das unserem Meister nicht auf nur Gerd drehte sich überrascht um. Nach einigen Metern hörte der Meister mit seinem herum stänkern auf und verlangte, dass wir schneller und gerade gehen sollten.

"Das machen wir doch. Besser geht es nicht", verkündeten wir.

Meister Martin trug nun schon seit etwa fünfzig Metern den größten Anteil der schweren Last allein und zeigte deutliche Anzeichen von Kraftverfall. Er war sehr ruhig geworden und das Wasser lief ihn vom Kopf. Ich hatte auf dem hinteren Platz den besten Überblick und freute mich ob meiner guten Idee.

Endlich waren wir an der Säge, dort sollte das Eisen hin, angekommen. Meister Martin ging zur Seite und Gerd und ich legten behutsam das Eisen auf den Sägetisch.

Unser starker Meister, der nach eigenen Angaben „alles Mögliche an der Uhrkette wegtragen konnte, wo andere Leute einen Lastwagen für benötigten“, hatte sich auf einen Haufen Steine gesetzt und starrte vor sich hin. Er war so erschöpft, dass er sich eine geschlagene Stunde von niemand mehr ansprechen ließ.

Immerhin hatte er aus dieser Aktion eine Lehre gezogen. Es dauerte nicht lange und es wurden gummibereifte Transportwagen angeschafft, um das schwere Material zu befördern. Von einem Gabelstapler hatte man damals noch keine Ahnung.

Meister Martin hat auch nie wieder verkündet, dass es nur eine Einbildung sei, dass das Gewicht proportional zur Wegstrecke zunehme. Er hatte das Gegenteil soeben erfahren müssen.

Beschaffungspsychiologie

Nach dem Abschluss meines Studiums hatte ein Konzern 1962 den Mut mich auf einen Posten in den Bereichen Kalkulation, Statistik und Planung zu setzen.

Der Direktor hatte mir schon bei der Einstellung erklärt, dass in seinem Unternehmen viel Eigeninitiative, Kreativität und eine angemessen dosierte Durchsetzungskraft erwünscht seien.

Es handelte sich um einen neuen Posten in einem neuen Werk des Konzerns. In die Gebäude und in die Produktion wurde viel Geld investiert, um auf dem neuesten Stand der Technik zu sein und wirtschaftlich produzieren zu können.

Auch die Büros waren mit neuen Schreibtischen und Drehstühlen mit Holzsitz aber ohne Rollen ausgestattet. Die Stühle waren in der vorhandenen Art ein unerhörter Luxus. Der normale Büromensch saß damals noch auf einem Küchenstuhl.

Problematischer wurde es jedoch bei den Büromaschinen und Bleistiften. Die Bleistifte mussten immer, unter Vorlage des verbrauchten, bei dem Oberbuchhalter bezogen werden.

Die dafür aufzuwendende Zeit war sicherlich teurer als zehn Bleistifte, aber das war nicht wichtig.

Von einer eigenen Saldiermaschine konnte ich nur träumen und Taschenrechner gab es damals noch nicht.

Ich musste mir eine Saldiermaschine mit der Lohnabrechnung und den Werkstattschreiberinnen teilen.

Die Benutzungszeiten waren genau festgelegt, lediglich, wenn man freiwillige Überstunden leistete, konnte man frei über die einzige Saldiermaschine verfügen.

Alle Berechnungen mussten, mangels Maschine, mit Kopf und Hand ausgeführt werden. Die älteren Leser wissen es sicherlich noch wie schwierig es war, stunden- und tagelang große Zahlenkolonnen ohne Hilfsmittel zu addieren bzw. zu subtrahieren.

Meine wiederholten Anträge auf die Beschaffung einer zweiten Rechenmaschine wurden mit dem Hinweis auf die hohen Kosten abgewiesen. (Damals waren Saldiermaschinen der reinste Luxus. Teuer und schwer)

Was sollte ich nun unternehmen?

Eines Tages, ich hatte mich kräftig über die Zeitverschwendung geärgert, kam mir der rettende Gedanke. Zu Hause hatte ich noch eine Kugelrechenmaschine aus meinen Kindertagen liegen, sie war geeignet als Druckmittel herzuhalten.

Nun muss man wissen, dass mein Büro ein Fenster zum Innenhof hatte und die Direktion immer mit Kunden oder sonstigen Besuchern an meinem Fenster vorbei musste, wenn das Werk besichtigt werden sollte.

Am nächsten Tag brachte ich nun meine Kugelrechenmaschine mit in das Büro und platzierte sie gut sichtbar auf dem Fensterbrett.

Im Normalfall wurde sie nicht benutzt, waren jedoch Besucher auf dem Wege in die Fertigung, schob ich die Kugeln eifrig hin und her.

Außer den Besuchern warf auch mein Direktor erstaunte und manchmal sehr merkwürdige Blicke zuerst auf das Rechengerät und dann auf mich.

Nach einigen Tagen riss der Direktor meine Bürotür auf und erkundigte sich in einem undefinierbaren, aber keineswegs freundlichen Ton, was das Ding für einen Sinn habe.

Von mir wurde er freundlich darüber aufgeklärt, dass es sich um eine Rechenmaschine älteren Typs handele, der zwar schon von den alten Chinesen benutzt wurde aber auch heute noch seine Pflicht erfülle solange man nichts besseres habe.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ er das Büro. Im Verlauf der nächsten Monate fragte er mich gelegentlich, wann ich die Maschine denn nun wieder mit nach Hause nehmen würde.

Meine Antwort war immer gleich: Ich versicherte ihm, dass es damit keine Eile habe und ich mein Privateigentum gerne dem Unternehmen zur Verfügung stelle.

Weiter erklärte ich ihm, dass er bei Vertragsabschluss Eigeninitiative und Kreativität vorausgesetzt habe und die wolle ich auch bei so einfachen Dingen demonstrieren.

Nach vier Monaten wurde an einem schönen Morgen die Bürotür sehr forsch geöffnet und mein Direktor stand mit einer, damals modernen, elektrischen Rechenmaschine vormir. (Er ist 2016 verstorben)

Mit den Worten "Hier haben sie ihren Willen aber nehmen sie sofort das Mistding dort vom Fensterbrett", knallte er mir die Maschine auf den Schreibtisch und verschwand.

Das undichte Dach

In dem gleichen Unternehmen waren die Dachdecker schon seit einigen Monaten damit beschäftigt, eine undichte Stelle in der Flachdachabdeckung zu finden.

Jeder, der es einmal miterlebt hat, weiß, dass Regenwasser nur manchmal auch dort wieder herauskommt, wo es hineingeflossen ist.

Auch im vorliegenden Fall war das Suchen äußerst mühselig, da sich das Regenwasser ständig neue Wege bahnte und deshalb immer wieder anderen Mitarbeiterinnen auf den Kopf lief.

Eines Tages tropfte es genau über einen Prüfplatz mit empfindlichen Messgeräten.

Der zuständige Meister Lange wusste sich zu helfen und spannte eine Kunststoffplane über den Prüfstand und die angrenzenden Arbeitsplätze.

Das Ganze war asymmetrisch zum Prüfstand aufgebaut und der Meister hatte den Frauen versprochen, kurz bevor die Plane wegen einer zu großen Wassermenge und dem damit verbundenen Gewicht reiße, ein Loch in die Plane zu stechen und das Wasser in einem Eimer aufzufangen.

Die gesamte Konstruktion bot in der modernen Fertigungshalle einen durchaus malerischen Anblick und vermittelte einen Hauch von Picknick am Strand.

Die in dem Bereich tätigen Frauen hatten kein allzu großes Vertrauen in die Konstruktion und weigerten sich, in dem Bereich der zu erwartenden Flutkatastrophe weiterzuarbeiten.

Der Meister versuchte nun zwischendurch das angesammelte Wasser abzuschöpfen. Mit wenig Erfolg. Seine Arme waren zu kurz, um die Mitte, sie lag etwa eineinhalb Meter vom Rand entfernt, zu erreichen.

Gerade als er versuchte, das Wasser mit einem Schlauch abzusaugen, erschien der Technische Direktor.

Der Direktor war für sein ausgeglichenes Wesen bekannt. Er sah sich die Konstruktion von allen Seiten an und nickte beifällig. Dann gab er dem Meister Lange auch noch gute Ratschläge. Danach fragte er arglos: "Läuft hier das Wasser immer durch?"

"Nein, antwortete Meister Lange, "nur, wenn es regnet."

Der Direktor war kurze Zeit von der sachlich richtigen und präzisen Antwort, so überrascht, dass er eine "Gedenkminute" einlegte.

Die folgenden zehn Minuten waren mit einem hallenfüllenden Monolog von der Seite des Direktors ausgefüllt.

Dieser Monolog wurde mit der Frage eröffnet: "Wollen sie mich auf den Arm nehmen Herr Lange?"..........

"Billige Perlonstrümpfe"

Kollege Lothar konnte zeitweise ein sehr unangenehmer Zeitgenosse sein.

Zu bestimmten Zeiten kehrte er den Oberleutnant der ehemaligen deutschen Wehrmacht heraus und versuchte mit scharfen Kommandos seine Umgebung in Schwung zu halten.

Gelegentlich hatte er auch mir auf, wie ich meine, vernünftige Fragen, reichlich unsinnige Antworten gegeben. Das ist genau das, was ich noch nie sonderlich geliebt habe und deshalb beschloss ich, meinen Kollegen Lothar etwas zurechtzustutzen. Am besten ging das, wenn er sich vor allen Leuten blamierte oder zum Tagesgespräch wurde.

Mir kam der Gedanke im Betrieb das Gerücht zu verbreiten, dass es bei Lothar billige Nylon- und Perlonstrümpfe zu kaufen gebe.

Die Geschichte war nicht besonders abwegig da Lothar gelegentlich mit allen möglichen Sachen handelte. Bei ihm konnte man Schlafsäcke, Schuhe aus amerikanischen Heeresbeständen und vieles mehr bekommen. Er besorgte beinahe alles und das auch noch sehr günstig.

Für die jüngeren Leser wird das nicht verständlich sein. Die älteren wissen sicherlich noch, dass man im Jahre 1955, als diese Geschichte passierte, für jedes günstige Angebot dankbar war.

Ich verbreitete also gezielt, und unter dem Siegel größter Verschwiegenheit, das Gerücht, dass Lothar einen größeren Posten Nylon- und Perlonstrümpfe zu einem Sonderpreis an gute Freunde und Bekannte verkaufen wolle.

Der Verkauf der Strümpfe solle angeblich in der Zeit von 11 bis 12 Uhr in Lothars Büro stattfinden.

Meine Information verbreitete sich unter den etwa zweitausend weiblichen Mitarbeitern des Unternehmens wie ein Lauffeuer. Das Gute daran war, dass schon nach kurzer Zeit niemand wusste wer als erster wer als erster über den Strumpfverkauf berichtet hatte.

Pünktlich um 11 Uhr erschienen die ersten Frauen in Lothars Büro und wollten Strümpfe kaufen.