Erwählt - P.C. Cast - E-Book

Erwählt E-Book

P.C. Cast

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Beschreibung

House of Night Erwählt Der 3. Band der großen Vampyr-Serie. Dunkle Mächte sind im House of Night am Werk und Zoeys Erlebnisse im Internat nehmen eine rätselhafte Wendung. Zoeys beste Freundin Stevie Rae ist untot und versucht mit aller Macht, ihre Menschlichkeit nicht vollends zu verlieren. Und Zoey hat keine Ahnung, wie sie ihr dabei helfen kann, aber sie spürt, dass alles, was sie und Stevie Rae herausfinden vor den anderen im House of Night geheim gehalten werden muss. Denn plötzlich scheint es keinen mehr zu geben, dem sie wirklich vertrauen können. Als es kaum noch schlimmer kommen kann, werden Leichen gefunden: ermordete Vampyre! Aber Zoey findet heraus, dass nichts so ist wie es scheint… Erwählt ist der dritte Band der House of Night- Serie, in der Zoey als Jungvampyrin auf die bislang härteste Probe gestellt wird.

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Seitenzahl: 425

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P. C. Cast | Kristin Cast

Erwählt

Roman

Aus dem Amerikanischen von Christine Blum

FISCHER E-Books

Inhalt

Dieser Band ist für [...]DanksagungEinsZweiDreiVierFünfSechsSiebenAchtNeunZehnElfZwölfDreizehnVierzehnFünfzehnSechzehnSiebzehnAchtzehnNeunzehnZwanzigEinundzwanzigZweiundzwanzigDreiundzwanzigVierundzwanzigFünfundzwanzigSechsundzwanzigSiebenundzwanzigEinsZwei

Dieser Band ist für all diejenigen, die uns angemailt haben, weil sie es kaum erwarten können, mehr von Zoey und ihren Leuten zu lesen. Wir lieben euch!

Danksagung

Danke an unsere großartige Agentin Meredith Bernstein, von der die Idee für das Vampyrinternat stammt.

Und ein Riesendankeschön an das Team von St. Martin’s Press: Jennifer Weis, Stefanie Lindskog, Katy Hershberger, Carly Wilkins und die unübertroffenen Genies aus der Marketing- und Coverabteilung.

 

Von P. C.: Vielen Dank an all meine Schüler, die mich ständig bedrängen, sie in den Büchern auftauchen zu lassen und dort umzubringen. Es macht wahnsinnigen Spaß, euch zu verheizen!

Eins

»Jep, mein Geburtstag ist einfach total ätzend«, erklärte ich meiner Katze Nala. (Okay, eigentlich ist sie weniger meine Katze als ich ihre Person. Man weiß ja, wie das ist – Katzen haben keine Besitzer, sondern Personal … Aber das verdränge ich meistens.)

Also, jedenfalls textete ich meine Katze weiter zu, als würde sie mir gespannt an den Lippen hängen, was so überhaupt nicht stimmte. »Aber das hier ist schon das siebzehnte Mal. Jeden verdammten vierundzwanzigsten Dezember. So langsam hab ich mich daran gewöhnt. Macht mir gar nichts mehr aus.« Mir war klar, dass ich das hauptsächlich sagte, um mich selber zu überzeugen. Nalas einziger Kommentar war ein gelangweiltes, grantiges »Mi-ie-ef-au«, dann streckte sie ein Bein in die Höhe und leckte sich den Intimbereich. Ziemlich eindeutig also, was sie von meinem Geschwafel hielt.

»Es ist nämlich so«, fuhr ich fort, während ich dezent Kajal auftrug. (Und damit meine ich dezent – dieser Schaut-mich-an-ich-wär-so-gern-ein-Waschbär-Look ist nicht mein Stil. Oder vielmehr gar kein Stil.) »Ich werde tausend gut gemeinte Geschenke kriegen – aber kein einziges Geburtstagsgeschenk. Sondern irgendwelchen Weihnachtskram, weil die Leute meinen Geburtstag immer mit Weihnachten in einen Topf schmeißen wollen, aber das klappt nun mal leider überhaupt nicht.« Im Spiegel trafen sich meine Augen mit Nalas. »Aber wir machen eben gute Miene zum bösen Spiel und tun so, als fänden wir die blöden Weihnachtsgeschenke toll, weil die Leute einfach nicht kapieren, dass man einen Geburtstag und Weihnachten nicht einfach so zusammenlegen kann. Jedenfalls nicht erfolgreich.«

Nala nieste.

»Genau meine Meinung. Aber wir sind fein still, denn wenn wir was sagen, machen wir’s nur noch schlimmer. Dann haben wir nicht nur doofe Geschenke, sondern auch noch lauter beleidigte Leute, und die Stimmung ist völlig im Eimer.«

Nala sah nicht überzeugt aus. Also wandte ich meine gesamte Aufmerksamkeit meinem Spiegelbild zu. Eine Sekunde lang dachte ich, ich hätte es doch übertrieben mit dem Kajal, aber als ich genauer hinsah, merkte ich, dass es nicht an so etwas Banalem wie dem Kajal lag, dass meine Augen so groß und dunkel wirkten. Auch wenn es schon zwei Monate her war, dass ich Gezeichnet worden war und meine Wandlung zum Vampyr begonnen hatte, verblüfften mich das saphirblaue Mondsichel-Tattoo zwischen meinen Augenbrauen und das filigrane Band verschnörkelter Ornamente, das sich um mein Gesicht zog, immer wieder. Ich fuhr mit der Fingerspitze eine der tiefblauen verschlungenen Spirallinien nach. Ohne nachzudenken zog ich den schon ziemlich weiten Ausschnitt meines schwarzen Pullovers noch weiter hinunter, so dass meine linke Schulter frei lag. Mit einem raschen Kopfschwung warf ich mein langes dunkles Haar zurück, um das außergewöhnliche Muster zu begutachten, das an meinem Halsansatz begann und sich über beide Schultern und die Wirbelsäule bis hinunter zum Kreuz erstreckte. Wie jedes Mal durchzuckte mich beim Anblick der Tattoos fast ein elektrischer Strom teils vor Staunen, teils vor Furcht.

»Du bist nicht wie alle anderen«, flüsterte ich meinem Spiegelbild zu. Dann räusperte ich mich und fügte übertrieben forsch hinzu: »Und hey, es ist total okay, nicht wie alle anderen zu sein.« Sofort verdrehte ich die Augen über mein Theater. »Ach, was soll’s.« Ich schaute nach oben und war fast überrascht, dass sie nicht zu sehen war. Denn spüren konnte ich sie ganz deutlich, die fette schwarze Wolke, die schon einen Monat lang über meinem Kopf schwebte. »Himmel, ein Wunder, dass es nicht pausenlos auf mich runterregnet. Wär doch fantastisch für meine Haare!«, erklärte ich meinem Spiegelbild sarkastisch. Dann nahm ich seufzend den Umschlag, den ich auf meinen Schreibtisch gelegt hatte. FAMILIE HEFFER stand in Golddruck als Absenderadresse auf der Rückseite. »Wenn wir schon bei deprimierenden Sachen sind …«, murmelte ich.

Nala nieste noch einmal.

»Hast recht. Am besten bring ich’s hinter mich.« Widerstrebend öffnete ich den Umschlag und zog die Karte heraus. »Oh Mann. Noch schlimmer, als ich dachte.« Die Vorderseite der Karte zeigte ein großes Holzkreuz. Mitten in das Kreuz war (mit einem blutigen Nagel) ein Zettel geschlagen, der schriftrollenmäßig alt aussah. Darauf standen (natürlich mit Blut geschrieben) die Worte: Die frohe Zeit erwächst aus SEINEM Leid. In der Karte stand (in Rot gedruckt): FROHE WEIHNACHTEN. Und darunter in der Handschrift meiner Mutter: Ich hoffe, dass du in dieser gesegneten Zeit manchmal an Deine Familie zurückdenkst. Herzlichen Glückwunsch und alles Liebe, Mom und Dad.

»Das ist so typisch«, sagte ich zu Nala. Ich hatte Magenschmerzen. »Und mein Dad ist er auch nicht.« Ich riss die Karte in der Mitte durch und warf sie in den Papierkorb. Ich sah auf die Fetzen runter. »Wenn sie mich nicht total ignorieren, tun sie mir weh. Da ist mir das Ignorieren lieber.«

In diesem Moment klopfte es. Ich zuckte zusammen.

Durch die Tür drang deutlich Damiens erhobene Stimme. »Zoey, alle fragen schon nach dir.«

»Augenblick. Bin gleich fertig«, rief ich und gab mir einen Ruck. Mit einem letzten Blick auf mein Spiegelbild entschloss ich mich, durchaus mit gewissem Trotz, die Schulter frei zu lassen. »Meine Male sind nun mal anders. Sollen die Leute ruhig was haben, worüber sie sich den Mund zerreißen können.«

Dann seufzte ich. Normalerweise bin ich nicht so muffelig. Aber dieser blöde Geburtstag, meine blöden Eltern …

Nein. Es hatte keinen Zweck, sich was vorzumachen.

»Ich wollte, Stevie Rae wäre hier«, flüsterte ich.

Das war es nämlich. Der Grund, weshalb ich mich seit einem Monat von meinen Freunden (und meinen Freunden – und zwar beiden!) zurückgezogen hatte und mich in eine große, eklig nasskalte Regenwolke verwandelt hatte. Ich vermisste meine beste Freundin und Zimmergenossin, die vor einem Monat vor aller Augen gestorben war. Nur war sie (das wusste ich leider ganz genau) überhaupt nicht tot, sondern irgendwie in ein untotes Geschöpf der Nacht verwandelt worden. Egal wie melodramatisch und B-Movie-mäßig sich das anhörte – es war die bittere Wahrheit. Statt jetzt unten herumzuwirbeln und sich in die letzten Vorbereitungen für meinen dummen Geburtstag reinzusteigern, lungerte sie irgendwo in den alten Tunneln unter Tulsa herum, in schönster Eintracht mit noch mehr widerwärtigen untoten Geschöpfen, die so scheußlich drauf waren wie sie rochen.

»Äh, Z? Alles klar bei dir?« Damiens Stimme unterbrach meinen Gedankenschwall. Ich nahm die vorwurfsvoll miauende Nala auf den Arm, wandte mich von der grausigen Weihnachts-Geburtstags-Karte meiner sogenannten Familie ab und eilte zur Tür hinaus. Dabei rannte ich beinahe den besorgt blickenden Damien über den Haufen.

»Sorry. Sorry«, murmelte ich.

Er schloss zu mir auf und warf mir ein paar rasche Seitenblicke zu. Dann sagte er: »Ich glaube, ich kenne niemanden, der so wenig begeistert von seinem Geburtstag ist wie du.«

Ich ließ Nala runter, weil sie sich in meinen Armen wand. Mit einem Achselzucken versuchte ich ungezwungen zu lächeln. »Ich übe nur schon mal für später, wenn ich alt und grau bin – dreißig oder so – und wegen meines Alters schwindeln muss.«

Damien hielt an und betrachtete mich genau. »Hmmmmm«, sagte er gedehnt. »Wie wir alle wissen, sehen Vampyre mit dreißig immer noch aus wie knapp zwanzigjährige Supermodels. Ach was, selbst mit hundertdreißig sehen sie noch aus wie knapp zwanzigjährige Supermodels. Das heißt, diese Ich-muss-wegen-meines-Alters-schwindeln-Ausrede ist extrem fragwürdig. Was ist wirklich los mit dir, Zoey?«

Während ich noch zögerte und mich fragte, was ich ihm sagen wollte oder konnte, hob er eine akkurat gezupfte Augenbraue und sagte in seinem besten Schulmeisterton: »Du weißt doch, wie sensibel unsereins für Stimmungen ist. Also gib’s besser gleich auf und sag die Wahrheit.«

Ich seufzte wieder. »Schwule sind immer so furchtbar feinfühlig.«

»Tja – einfühlsam sei der Homo, hilfreich und gut.«

»Homo? Ist das nicht ein Schimpfwort?«

»Nicht, wenn ein Homo es gebraucht. Außerdem ist ›homo‹ in diesem Fall die völlig korrekte Übersetzung von ›Mensch‹ … Aber du lenkst vom Thema ab. Leider vergeblich.« Er stemmte tatsächlich die Hände in die Seiten und tippte demonstrativ ein paar Mal mit der Fußspitze auf.

Ich lächelte, merkte aber, dass das Lächeln meine Augen nicht erreichte. Und mit einer Intensität, die mich selbst überraschte, wurde mir plötzlich klar, dass ich Damien die Wahrheit sagen wollte.

»Ich vermisse Stevie Rae«, war es heraus, ehe ich einen Rückzieher machen konnte.

Er war überhaupt nicht überrascht oder verwirrt. »Ich weiß«, sagte er. Seine Augen schimmerten verdächtig feucht.

Da brach eine Art Damm in mir. Die Worte sprudelten nur so heraus. »Ich wollte, sie wäre hier! Sie würde wie eine Irre Geburtstagsdeko aufhängen und wahrscheinlich sogar selber einen Kuchen backen.«

»Einen scheußlichen Kuchen«, sagte Damien und schniefte leise.

»Ja, aber es wär ’n Lieblingsrezept von meiner Maaama«, sagte ich im breitesten Okie-Singsang, um Stevie Raes süßen Provinztonfall nachzuahmen. Unter Tränen musste ich lächeln. Und seltsam: jetzt, wo ich Damien hatte wissen lassen, wie mies es mir wirklich ging – und warum – lächelten meine Augen mit.

»Und die Zwillinge und ich müssten Qualen leiden, weil sie darauf bestanden hätte, dass wir so fürchterliche spitze Geburtstagshüte tragen, bei denen der Gummi einem in die Haut schneidet.« Er schüttelte sich vor nicht nur gespielter Abscheu. »Gott, die sind so hässlich.«

Ich lachte und spürte dabei, wie sich der Druck in meiner Brust etwas zu lösen begann. »Stevie Rae hat einfach was an sich, was mich total fröhlich macht.« Ich merkte erst, dass ich im Präsens gesprochen hatte, als Damiens tränenfeuchtes Lächeln verblasste.

»Ja, sie war so richtig klasse«, sagte er mit extra starker Betonung auf dem war und sah mich so an, als mache er sich Sorgen um meine geistige Gesundheit.

Wenn er nur die Wahrheit wüsste. Wenn ich sie ihm nur verraten könnte.

Aber das ging nicht. Sonst würden entweder Stevie Rae oder ich oder wir beide sterben. Und diesmal ohne Wiederauferstehung.

Also nahm ich meinen überbesorgten Freund stattdessen am Arm und zog ihn zur Treppe, die hinunter in den Aufenthaltsbereich und zu meinen anderen wartenden Freunden (und ihren blöden Geschenken) führte. »Komm. Ich hab plötzlich den unwiderstehlichen Drang, Geschenke auszupacken«, behauptete ich enthusiastisch.

»Oh Himmel! Ich kann’s kaum erwarten, was du zu meinem sagst. Ich war Ewigkeiten dafür in der Stadt!« Und er startete einen ausführlichen Bericht über seine Odyssee, das perfekte Geschenk zu finden, den ich mit gebührendem Nicken und Lächeln quittierte. Normalerweise benimmt sich Damien nicht so offensichtlich schwul. Nicht, dass der fabelhafte Damien Maslin nicht schwul wäre – das ist er total. Aber andererseits ist er auch ein superattraktiver Kerl – groß, mit braunen Haaren und großen braunen Augen – bei dem man es sich echt super vorstellen könnte, mit ihm zusammen zu sein. (Wenn man ein Junge ist …) Er ist eigentlich überhaupt nicht tuntig, aber wenn’s ums Shoppen geht, kommen doch ein paar weibliche Tendenzen durch. Aber ich mag das an ihm. Ich finde ihn süß, wenn er sich lang und breit darüber auslässt, wie wichtig es ist, coole Schuhe zu kaufen. Und gerade jetzt war sein Gelaber ungemein beruhigend. Es half mir, mich auf die schrecklichen Geschenke einzustellen, die (leider) auf mich warteten.

Schade, dass es mir nicht dabei helfen konnte, den Dingen ins Auge zu sehen, die mich wirklich bedrückten.

Noch immer in seine Shoppingdetails vertieft, führte er mich durch den Gemeinschaftsraum des Mädchentrakts. Ich winkte den verschiedenen Mädchen zu, die sich in Gruppen um die Flachbildfernseher versammelt hatten. Dann hatten wir die Tür zu dem kleinen Raum erreicht, der als Bücherei und Computerraum diente. Kaum hatte Damien die Tür geöffnet, als meine Freunde schon ›Happy Birthday‹ anstimmten – laut, enthusiastisch und vollkommen schief. Nala fauchte, und ich sah aus den Augenwinkeln, wie sie vor der Schwelle zurückwich, sich umdrehte und den Gang hinunterhuschte. Feiges Stück, dachte ich und wünschte mir insgeheim, ich könnte mich ihr anschließen.

Kaum war (zum Glück) das Lied vorbei, da umringten sie mich auch schon. »Alles Gute!«, riefen die Zwillinge im Chor. Na gut, eigentlich sind sie alles andere als Zwillinge. Erin Bates ist ein sehr weißes Mädchen aus Tulsa und Shaunee Cole eine sehr schön karamellfarbene Jamaica-Amerikanerin aus Connecticut. Aber die zwei sind sich so unwahrscheinlich ähnlich, dass Hautfarbe und geographische Herkunft überhaupt keine Rolle spielen. Es gibt eben auch Seelenzwillinge, da ist so was wie Biologie überhaupt nicht nötig.

»Herzlichen Glückwunsch, Z«, sagte eine tiefe, samtene Stimme, die ich sehr, sehr gut kannte. Ich löste mich aus dem Zwillings-Sandwich und ließ mich von meinem Freund Erik umarmen. Hm, genau genommen ist er nur der eine meiner beiden Freunde, aber der andere ist Heath, der Typ, mit dem ich zusammen war, bevor ich Gezeichnet wurde, und eigentlich sollte ich überhaupt nichts mehr mit ihm zu tun haben, weil er ein Mensch ist, aber ich hab so mehr oder weniger aus Versehen ein bisschen Blut von ihm getrunken, und jetzt haben wir eine Prägung, also ist er sozusagen zwangsweise mein Freund. Ja, das ist verwirrend, und ja, Erik findet es beschissen. Und ja, ich hab schon länger Angst, dass er deshalb jeden Augenblick Schluss mit mir machen könnte.

»Danke«, sagte ich leise und sah zu ihm auf. Sofort schlugen mich seine unglaublichen Augen in den Bann. Erik ist groß und verdammt gut aussehend, mit dunklem Superman-Haar und traumhaft blauen Augen. Ich schmiegte mich in seine Umarmung, eine Wohltat, die ich mir die letzten vier Wochen kaum gegönnt hatte, und genoss für kurze Zeit seinen Duft und das Gefühl der Sicherheit, das mich in seiner Nähe immer überkam. Er erwiderte meinen Blick, und wie im Film war es für einen Moment so, als gebe es niemanden mehr auf der Welt außer uns beiden. Als ich mich nicht sofort aus seinen Armen befreite, wurde sein Lächeln sonderbar wehmütig und leicht überrascht, was mir im Herzen weh tat. Ich machte es dem armen Jungen aber auch extrem schwer – und er verstand nicht mal so richtig, warum. Impulsiv stellte ich mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn – was sehr zur allgemeinen Erheiterung beitrug.

»Hey, Erik, ich will auch ’n bisschen was zum Naschen abkriegen!«, rief Shaunee meinem grinsenden Freund zu und wackelte anzüglich mit den Augenbrauen.

»Oh yeah, Süßer!«, schloss sich Erin an – mit genau dem gleichen Augenbrauenwackeln, so richtig zwillingstypisch. »Wie wär’s mit ’nem kleinen Geburtstagskuss für mich?«

Ich verdrehte gespielt vorwurfsvoll die Augen. »Es ist doch nicht sein Geburtstag. Küssen darf man nur das Geburtstagskind.«

»Mist«, sagte Shaunee. »Ich find dich schon toll, Z, aber küssen muss ich dich nicht unbedingt.«

»Nee, mit gleichgeschlechtlichem Sex hab ich’s auch nicht so.« Erin grinste Damien an (der Erik sehnsüchtig anhimmelte). »Den überlasse ich Damien.«

»Was?«, fragte Damien, der von Erik so gefesselt gewesen war, dass er die Zwillinge überhaupt nicht beachtet hatte.

»Wie oft müssen wir’s dir noch sagen –«, begann Shaunee.

»… Nicht dein Team!«, ergänzte Erin.

Erik lachte gutmütig und knuffte Damien sehr männlich in die Schulter. »He, falls ich jemals die Seiten wechseln sollte, bist du der Erste, der’s erfährt.« (Noch etwas, wofür ich ihn einfach liebe: so mega-cool und perfekt er auch ist, er akzeptiert jeden so, wie er ist, und versucht nie jemandem seine Ansichten aufzudrücken.)

»Äh«, sagte ich, »ich wär schon gern die Allererste, die’s erfährt, wenn du die Seiten wechselst.«

Erik brach in Gelächter aus und zog mich noch einmal an sich. »Mach dir da mal keine Gedanken«, flüsterte er mir zu.

Ich überlegte gerade, ob ich Erik noch einen Kuss abluchsen sollte, da platzte wie ein Mini-Wirbelwind Damiens Freund Jack Twist in den Raum. »Ja! Sie hat noch nicht mit dem Auspacken angefangen! Herzlichen Glückwunsch, Zoey!« Und er zog uns in die Arme (Damien und mich) und drückte uns fest.

»Ich hab doch gesagt: beeil dich«, sagte Damien, als wir uns wieder entwirrt hatten.

»Ich weiß, aber ich musste es doch genau richtig verpacken.« Mit einer schwungvollen Bewegung, wie sie nur schwule Jungs hinkriegen, griff er in seine Männerhandtasche und zog eine kleine rot verpackte Schachtel heraus, auf der eine so gigantische glitzernd-grüne Schleife klebte, dass die Schachtel praktisch darunter verschwand. »Die Schleife hab ich selbst gemacht.«

»Im Basteln ist Jack wirklich toll«, sagte Erik. »Im Hinterher-Aufräumen nicht ganz so gut.«

»Sorry«, sagte Jack niedlich reuevoll. »Ich räum gleich nach der Party auf, versprochen.«

Erik und Jack teilen sich ein Zimmer, was nur noch mehr für Erik spricht. Er ist in der Unterprima (in anderen Worten: in der Zwölften) und wahrscheinlich der beliebteste Junge der Schule. Jack ist in der Untersekunda (der Zehnten), ganz frisch hier angekommen, süß, aber ein bisschen uncool, und sehr schwul. Erik hätte einen Riesenaufstand machen können, dass man es wagte, ihm eine Tunte ins Zimmer zu stecken, er hätte sich erfolgreich dagegen wehren und Jack das Leben im House of Night komplett zur Hölle machen können. Stattdessen hatte er ihn total unter seine Fittiche genommen und behandelte ihn wie einen kleinen Bruder, was sich inzwischen auch auf Damien erstreckte, der am heutigen Tag seit exakt zweieinhalb Wochen offiziell mit Jack zusammen war. (Das wussten wir alle, weil Damien es mit der Romantik ein bisschen übertrieb und bisher alle wöchentlichen und halbwöchentlichen Jubiläen gefeiert hatte. Oh ja, wir anderen stöhnten schon darüber. Aber das war nicht böse gemeint.)

»Hey! Apropos Geschenke!«, sagte Shaunee.

»Ja, stell diese Megaschleife rüber auf den Geburtstagstisch und lasst Zoey endlich anfangen auszupacken!«, sagte Erin.

Ich hörte Jack Damien zuflüstern: »Megaschleife?« und fing einen hilfesuchenden Blick von Damien auf, während er Jack beschwichtigte: »Nein, nein, das ist doch genau richtig!«

»Ich trag’s rüber und mach’s gleich als Erstes auf«, sagte ich, nahm Jack das Päckchen ab, trat an den Tisch, auf dem die Geschenke aufgebaut waren, und begann vorsichtig die grüne Schleife von dem roten Geschenkpapier zu lösen. »Ich denke, die hebe ich auf, weil sie einfach wahnsinnig cool ist.«

Damien zwinkerte mir dankbar zu. Ich hörte Shaunee und Erin leise kichern und gab einer von ihnen einen leichten Tritt vors Schienbein, was sie beide verstummen ließ. Dann legte ich die Schleife weg und befreite die kleine Schachtel aus dem Geschenkpapier. Drinnen war …

Oh je.

»Oh, eine Schneekugel«, sagte ich so fröhlich ich konnte. »Mit einem Schneemann drin.« Also, eine Schneekugel mit Schneemann ist kein Geburtstagsgeschenk. Sondern eine Weihnachtsdekoration. Noch dazu eine kitschige.

»Ja! Ja! Und hör dir mal an, was sie spielen kann!« Jack hüpfte vor Eifer fast auf und ab, als er mir die Kugel aus der Hand nahm und einen Knopf auf der Unterseite drückte. Grausig verstimmt ertönte eine dünne Version von »Frosty the Snowman«.

»Danke, Jack. Echt schön«, brachte ich heraus.

»Danke«, sagte Jack. »Ist eine Art Geburtstagsthema.« Er sah zu Erik und Damien hinüber. Die drei grinsten sich an wie eine Bande kleiner Lausbuben.

Ich setzte ein Lächeln auf. »Oh. Schön. Dann mach ich wohl mal das Nächste auf.«

»Meins!«, rief Damien und reichte mir ein längliches weiches Päckchen.

Verbissen lächelnd machte ich mich daran, das Päckchen zu öffnen, während ich mir mit aller Macht wünschte, ich könnte mich in eine Katze verwandeln, fauchen und dem Raum den Rücken kehren.

Zwei

»Oooh, wie schön!« Ich streichelte den zusammengefalteten Schal und konnte es kaum fassen, dass ich wahrhaftig mal ein hübsches Geschenk bekommen hatte.

»Kaschmir«, sagte Damien selbstzufrieden.

Ich war einfach nur begeistert, dass der Schal seidig cremefarben war und nicht rot oder grün wie die Geschenke, die ich üblicherweise bekam. Aber kaum hatte ich ihn aufgefaltet, als ich erstarrte. Ich hatte mich zu früh gefreut.

»Siehst du die kleinen Schneemänner am Saum?«, fragte Damien. »Sind sie nicht niedlich?«

»Oh. Ja, sehr niedlich«, sagte ich. Ja! Für Weihnachten! Für ein Geburtstagsgeschenk nur begrenzt.

»Okay, als Nächste sind wir dran.« Shaunee drückte mir ein großes Päckchen in die Hand, das in Weihnachtsbaum-Geschenkpapier gewickelt war.

»Aber wir wussten nichts von dem Schneemann-Thema«, sagte Erin und warf Damien einen finsteren Blick zu.

Auch Shaunee blickte finster. »Ja, uns hat keiner was davon gesagt.«

»Das macht doch nichts!«, sagte ich ein bisschen zu schnell und enthusiastisch und machte mich über das Päckchen her. Darin lag ein Paar Stilettostiefel aus schwarzem Leder, die so richtig chic und cool gewesen wären – wäre nicht der Weihnachtsbaum gewesen, der umrahmt von knallroten und goldenen Ornamenten die Außenseite jedes Stiefels schmückte. So was kann man Nur. Zu. Weihnachten. Tragen. Es ist auf keinen Fall ein Geburtstagsgeschenk!

»Oh, danke.« Mit Mühe schaffte ich es, fröhlich zu klingen. »Die sind echt süß.«

»Was glaubst du, wie lange wir gebraucht haben, um die zu finden!«, sagte Erin.

»Ja, wir konnten doch unserem Christkind keine langweiligen normalen Stiefel schenken«, bekräftigte Shaunee.

»Nee, so langweilige schwarze Stiefel, das wär ja nicht gegangen«, sagte ich. Ich hätte heulen können.

»Hey, ein Geschenk hast du noch.« Eriks Stimme holte mich aus dem Schwarzen Loch, in dem ich zu versinken drohte.

»Oh, noch was?« Ich hoffte, es klang nicht wie »Oh, die Folter geht noch weiter?«

»Ja, noch ein bisschen was.« Fast verschämt hielt er mir ein sehr kleines rechteckiges Päckchen hin. »Ich hoffe wirklich, es gefällt dir.«

Ich warf einen Blick darauf, ehe ich es nahm – und hätte fast vor freudiger Überraschung aufgequiekt. Die stilvoll silber-goldene Verpackung zierte ein Aufkleber von Moody’s Fine Jewelery. (Im Ernst, bei mir im Kopf fing schon der Halleluja-Chor an zu jubeln.) »Das ist ja von Moody’s!« Ich konnte nicht verhindern, dass ich atemlos klang.

»Ich hoffe, es gefällt dir«, wiederholte Erik und reichte mir das Geschenk vorsichtig wie eine kleine goldene Schatzkiste.

Ich riss die Verpackung auf. Zum Vorschein kam ein mit schwarzem Samt bezogenes Kästchen. Schwarzer Samt, ungelogen! Ich biss mir auf die Lippe, um nicht unkontrolliert loszukichern. Mit angehaltenem Atem öffnete ich es.

Das Erste, was ich sah, war die glänzende Platinkette. Sprachlos vor Freude folgte ich mit den Augen der Kette bis zu den wunderschönen Perlen, die in dem dicken Samtpolster lagen. Samt! Platin! Perlen! Ich wollte schon Luft holen und so etwas wie Meingotterikdubistdertollstefreundderwelt heraussprudeln, als ich bemerkte, dass die Perlen eine seltsame Form hatten. Waren sie etwa fehlerhaft? Hatte dieser unsäglich elegante, unverschämt teure Laden etwa meinen Freund abgezockt? Aber da begriff ich, was ich sah.

Die Perlen waren zu einem Schneemann zusammengesetzt.

»Und?«, fragte Erik. »Als ich es entdeckt hab, hat es ›Zoeys Geburtstag‹ geschrien. Da musste ich es einfach kaufen.«

»Ja, es ist echt wunderschön. Einzigartig«, gelang es mir zu sagen.

»Daher kam erst das Schneemann-Thema!«, rief Jack ausgelassen.

»Na ja, es war nicht wirklich ein Thema«, sagte Erik. Seine Wangen färbten sich leicht rosa. »Ich dachte einfach, es ist mal was anderes, nicht so ein typisches Herz, wie es jeder jedem schenkt.«

»Stimmt, so ein Herz ist viel zu geburtstäglich«, sagte ich. »Wer will schon so was?«

»Darf ich sie dir anlegen?«

Ich konnte nicht anders, als mein Haar aus dem Weg zu heben und mich umzudrehen, damit Erik mir die schmale Kette um den Hals legen konnte. Ich spürte, wie der Schneemann sich mir schwer und widerwärtig weihnachtlich aufs Dekolleté legte.

»Süß!«, kommentierte Shaunee.

»Und echt nobel«, bemerkte Erin. Beide nickten anerkennend.

»Passt perfekt zu dem Schal«, sagte Damien.

»Und zu der Schneekugel!«, setzte Jack hinzu.

»Jedenfalls zieht sich das Weihnachtsthema konsequent durch«, sagte Erik und schenkte den Zwillingen einen entschuldigenden Blick. Diese dankten es ihm mit einem großmütigen Grinsen.

»Ja, ist alles so richtig weihnachtlich«, sagte ich und betastete den Perlenschneemann. Dann bedachte ich jeden Einzelnen mit einem sehr strahlenden, sehr aufgesetzten Lächeln. »Tausend Dank, Leute. Ich find’s wahnsinnig toll, wie viel Zeit und Mühe ihr in die Geschenke gesteckt habt. Echt.« Und das meinte ich ehrlich. Dass ich die Geschenke selber grausig fand, änderte nichts an der Absicht, die dahinterstand.

Da stürmten meine vollkommen ahnungslosen Freunde auf mich zu, und wir alle versanken ungeschickt in einer gigantischen Gruppenumarmung und bekamen einen kollektiven Lachanfall. Genau in dem Moment öffnete sich die Tür, und im Licht, das aus dem Gang hereinfiel, konnte ich einen sehr blonden, sehr hochfrisierten Haarschopf erkennen.

»Hier!«

Ein Glück, dass meine Reflexe schon in Richtung Vampyr getunt waren, sonst hätte ich das Päckchen wohl nicht gefangen, das sie mir zugeworfen hatte. »Kam mit der Post, als du schon mit deiner Streberclique hier hinten hingst«, erklärte Aphrodite abfällig.

»Hau ab, du Hexe«, sagte Shaunee.

»Bevor wir dich mit Wasser begießen und du dich auflöst, Zuckerpuppe«, fügte Erin hinzu.

»Leckt mich doch«, sagte Aphrodite und wollte sich schon abwenden. Doch dann drehte sie sich noch einmal um und bemerkte mit unschuldigem Lächeln: »Netter Schneemann, den du da trägst, Zoey.« Als unsere Blicke sich trafen, hätte ich schwören können, dass sie mir zuzwinkerte. Dann warf sie ihr Haar zurück und rauschte davon. Ihr Lachen wirbelte wie Nebelschwaden hinter ihr her.

»So ein Miststück«, sagte Damien.

»Man hätte meinen sollen, sie hätte was daraus gelernt, dass du ihr die Töchter der Dunkelheit und Nyx ihr die Gabe genommen hat«, sagte Erik. »Aber die Frau ändert sich wohl nie.«

Ich sah ihn scharf an. Und das sagt Erik Night, ihr Exfreund. Ich brauchte es nicht laut auszusprechen. An der Art, wie Erik eilig den Blick senkte, erkannte ich, dass es problemlos in meinen Augen zu lesen war.

»Lass dir von ihr nicht deinen Geburtstag vermiesen, Z«, sagte Shaunee.

»Ignorier sie einfach, so wie’s alle tun«, meinte Erin.

Erin übertrieb nicht. Seit Aphrodite wegen ihres selbstherrlichen Verhaltens öffentlich ihres Amtes als Anführerin der Töchter der Dunkelheit – der exklusivsten Schülervereinigung unserer Schule – enthoben worden war (und ich diese Position geerbt hatte, gemeinsam mit der damit verbundenen Ausbildung zur Hohepriesterin!), hatte sie ihre Stellung als beliebteste und mächtigste Jungvampyrin hier verloren. Unsere Hohepriesterin Neferet, die zudem meine Mentorin war, hatte die ganze Schule wissen lassen, dass unsere Göttin Nyx Aphrodite ihre Gunst entzogen hatte. Im Großen und Ganzen wurde Aphrodite jetzt wie Luft behandelt, vor allem von denjenigen, die sie früher auf einen Sockel gestellt und angebetet hatten.

Leider hatte ich zu dieser Geschichte ein paar hochbrisante Insider-Infos, die alles in ein ganz anderes Licht rückten. Aphrodite hatte dank ihrer Visionen, die Nyx ihr ganz eindeutig nicht genommen hatte, entscheidend dazu beigetragen, meiner Grandma und meinem menschlichen Freund Heath das Leben zu retten. Okay, dabei hatte sie sich ziemlich egoistisch und zickig aufgeführt, aber trotzdem. Heath und Grandma waren am Leben, und zu einem großen Teil war das Aphrodites Verdienst.

Außerdem hatte ich vor kurzem herausgefunden, dass Neferet – meine Mentorin, unsere Hohepriesterin, die angesehenste Vampyrin der Schule – ebenfalls nicht das war, was sie nach außen zu sein schien. Im Grunde befürchtete ich inzwischen, dass sie mindestens ebenso böse wie mächtig war. Die Dunkelheit und das Böse sind nicht immer gleichzusetzen, ebenso wie das Licht nicht immer Gutes verheißt, flogen mir die Worte durch den Kopf, die Nyx an dem Tag zu mir gesprochen hatte, als ich Gezeichnet worden war. Sie beschrieben mein Problem mit Neferet nur zu gut.

Zu allem Unglück konnte ich nicht mal jemandem etwas davon erzählen – oder wenigstens niemandem, der am Leben war (womit lediglich meine untote beste Freundin übrig blieb, zu der ich seit einem Monat keinen Kontakt mehr gehabt hatte). Zu meiner Erleichterung hatte ich auch mit Neferet den ganzen Monat lang nichts mehr zu tun gehabt. Sie verbrachte ihren Winterurlaub in Europa und es hieß, sie werde erst zu Neujahr wieder zurück sein. Ich hatte beschlossen, mir bis zu ihrer Rückkehr einen Plan auszudenken, was ich ihretwegen unternehmen wollte. Und das war bisher der ganze Plan: mir einen Plan auszudenken. Tja. Also nicht viel besser als gar kein Plan.

»Und, was ist da drin?« Jacks Frage riss mich aus meinem mentalen Albtraum zurück in den akuten.

Wir starrten kollektiv das braune Postpaket an.

»Keine Ahnung«, sagte ich.

»Das ist bestimmt noch ein Geburtstagsgeschenk!«, rief Jack. »Mach’s auf!«

»Ach ja …«, seufzte ich. Als ich merkte, dass mir alle verwunderte Blicke zuwarfen, machte ich mich schnell daran, es auszupacken. Unter dem braunen Packpapier kam ein in wunderschönes lavendelfarbenes Papier gehülltes Päckchen zum Vorschein.

»Wusst’ ich’s doch!«, quiekte Jack.

»Von wem das wohl sein mag?«, fragte Damien.

Ich fragte mich das Gleiche. Das Papier erinnerte mich an Grandma, die eine herrliche Lavendelfarm hatte. Aber warum sollte sie mir ein Geschenk schicken, wo ich doch heute Abend noch mit ihr verabredet war?

Im Päckchen verbarg sich eine glatte weiße Pappschachtel, die ich ebenfalls öffnete. Darin lag, weich zwischen zusammengeknülltes lavendelfarbenes Seidenpapier gebettet, eine noch viel kleinere weiße Schachtel. Die Neugier brachte mich fast um. Ich hob die Schachtel aus ihrem Lavendelnest. Mehrere Stücke Seidenpapier blieben elektrostatisch daran hängen. Ich schüttelte sie ab und öffnete die Schachtel. Während die Seidenpapierfetzen langsam zu Boden segelten, verschlug es mir vor Begeisterung den Atem. Auf einem Bett aus weißer Watte lag das schönste silberne Armband, das ich je gesehen hatte. Es bestand aus vielen kleinen klimpernden Anhängern – Seesterne, Muscheln, Seepferdchen, und dazwischen aufgereiht jeweils mehrere winzige Silberherzen.

Als ich es herausnahm, entfuhren mir einige Ohs und Ahs. »Ach Gott, ist das schön!«, hauchte ich und legte es mir um. »Wer kann mir das bloß geschickt haben?« Lachend drehte ich mein Handgelenk hin und her, so dass das Licht der Gaslampen, das so schonend für unsere empfindlichen Jungvampyr-Augen war, sich glitzernd auf dem polierten Silber brach wie auf den Facetten von Juwelen. »Wahrscheinlich von Grandma, aber das ist komisch, weil wir uns doch nachher …« Da merkte ich, dass um mich vollkommene, absolute, unbehagliche Stille herrschte.

Ich sah meine Freunde an. In ihren Gesichtern spiegelten sich Schock (Damien), Ärger (die Zwillinge) und Wut (Erik).

»Was ist?«

»Hier«, sagte Erik und reichte mir eine Karte, die mit dem Seidenpapier aus der Schachtel gefallen sein musste.

»Oh.« Ich erkannte die ungelenke Handschrift sofort. Mist! Sie war von Heath – besser bekannt als Freund Nummer 2. Als ich den kurzen Gruß las, fühlte ich mein Gesicht immer heißer werden und wusste genau, dass ich extrem unattraktiv rot anlief.

Zo! ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG! Ich weiß, wie sehr du diese blöden Weihnachtsgeschenke hasst, also kommt hier was, was du hoffentlich magst. Hey! Keine Sterne außer Seesterne! Puh, hier ist es total öde. Muss man sich mal vorstellen – Karibik mit den Eltern! Ich zähle schon die Tage, bis wir uns wiedersehen. Am 26. ist es so weit! I ♥ You!

Heath

»Oh«, wiederholte ich wie der letzte Trottel. »Es ist, äh, von Heath.« Ich wäre gern im Boden versunken.

»Also bitte. Also echt. Warum hast du keinem von uns gesagt, dass du keine Geschenke magst, die was mit Weihnachten zu tun haben?«, verlangte Shaunee, direkt wie immer, zu wissen.

»Ja. Hättest bloß was zu sagen brauchen«, unterstützte Erin sie.

»Öh«, sagte ich wieder sehr geistreich.

»Wir dachten, das Schneemann-Thema sei witzig, aber wenn du Weihnachtssachen hasst, liegen wir damit ja völlig daneben«, sagte Damien.

»Es ist nicht so, dass ich Weihnachtssachen hasse«, brachte ich endlich heraus.

»Ich mag Schneekugeln«, sagte Jack leise. Er sah aus, als würde er gleich anfangen zu weinen. »Vor allem den Schnee darin.«

»Scheint, als wüsste Heath besser, was du magst, als wir.« Eriks Stimme klang nüchtern und ausdruckslos, aber man sah die Kränkung in seinen dunklen Augen. Mein Magen verkrampfte sich.

»Nein, Erik, das ist es nicht«, sagte ich schnell und trat einen Schritt auf ihn zu.

Er wich zurück, als hätte ich irgendeine ansteckende Krankheit. Da wurde ich langsam auch wütend. Es war nicht meine Schuld, dass Heath mich seit der dritten Klasse kannte und schon vor Jahren kapiert hatte, was für ein Problem ich mit meinem Geburtstag hatte. Ja, klar, er wusste vieles über mich, was hier niemand wusste. Aber das war kein Wunder! Der Junge war seit sieben Jahren Teil meines Lebens. Erik, Damien, die Zwillinge und Jack seit zwei Monaten. Oder sogar noch kürzer. Konnte ich vielleicht etwas dafür?

Demonstrativ sah ich auf meine Armbanduhr. »Ich bin in einer Viertelstunde im Starbucks mit meiner Grandma verabredet. Da sollte ich nicht zu spät kommen.« Als ich schon an der Tür war, hielt ich noch einmal inne und drehte mich um. »Ich wollte niemanden verletzen. Sorry, wenn ihr euch wegen Heath’ Karte jetzt schlecht fühlt. Aber dafür kann ich nichts. Und ich hatte tatsächlich jemandem gesagt, dass ich diesen Weihnachts-Geburtstags-Mix hasse. Nämlich Stevie Rae.«

Drei

Das Starbucks am Utica Square, dem coolen Gewirr von Ladenpassagen nicht weit vom House of Night entfernt, war viel voller, als ich erwartet hätte. Ich meine, natürlich war es ein ungewöhnlich warmer Dezemberabend, aber es war der Vierundzwanzigste und schon fast neun Uhr. Man hätte doch denken sollen, die Leute würden sich zu Hause vor den warmen Kamin kuscheln und sich ins Winterwunderland träumen, statt sich noch einen späten Koffein-Kick zu geben.

Nein, ermahnte ich mich streng, jetzt reicht’s mit der schlechten Laune. Ich sehe Grandma viel zu selten, da will ich uns nicht das bisschen Zeit vermiesen, das wir zusammen haben. Außerdem war Grandma über den Unterschied zwischen Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken voll im Bilde. Sie fand immer etwas für mich, was genauso wundervoll und einzigartig war wie sie selbst.

»Zoey! Hier bin ich!«

Am anderen Ende der Tischreihe auf dem breiten Fußweg vor dem Starbucks sah ich Grandmas Arme, die mir über die Menge hinweg zuwinkten. Diesmal musste ich mir kein falsches Lächeln ins Gesicht modellieren. Die Woge der Freude, die mich immer überkam, wenn ich Grandma sah, erfasste mich auch jetzt, und schnell schlängelte ich mich zwischen den Passanten hindurch zu ihr.

»Oh, Zoeybird! Ich habe dich so vermisst, u-we-tsi a-ge-hu-tsa!« Zusammen mit Grandmas Umarmung und dem süßen, tröstlichen Geruch nach Lavendel und Heimat legte sich das Cherokee-Wort für Tochter um mich wie ein warmer Mantel. Ich klammerte mich an Grandma und all die Liebe und Geborgenheit, die sie ausströmte.

»Ich hab dich auch vermisst, Grandma.«

Sie drückte mich noch einmal und hielt mich dann auf Armeslänge von sich weg. »Lass dich anschauen. Oh ja, man sieht, dass du jetzt siebzehn bist. Du siehst viel reifer aus, und ich glaube, du bist seit dem letzten Mal sogar ein bisschen gewachsen.«

Ich grinste. »Ach Grandma, du weißt genau, dass ich kein bisschen anders aussehe.«

»Natürlich siehst du anders aus. Es gibt einen bestimmten Frauentyp, der mit den Jahren immer schöner und stärker wird. Du gehörst dazu.«

»Du auch, Grandma. Du siehst toll aus!« Und das sagte ich nicht einfach so. Grandma war steinalt – mindestens Mitte fünfzig – aber für mich war sie alterslos. Okay, nicht alterslos wie die Vampyr-Frauen, die mit Mitte fünfzig (oder Mitte hundertfünfzig) immer noch aussehen wie Mitte zwanzig. Grandma war herrlich menschlich-alterslos mit ihrem dichten Silberhaar und ihren gütigen braunen Augen.

»Ich wünschte, du müsstest deine wunderschönen Tattoos nicht verbergen, wenn wir uns hier treffen.« Sie ließ ihre Hand kurz an meiner Wange ruhen, auf die ich mir hastig sehr viel von der Abdeckcreme gekleistert hatte, die alle Jungvampyre auftragen mussten, wenn sie das Gelände des House of Night verließen. Oh, nicht dass die Menschen nicht wussten, dass Vampyre existierten – die erwachsenen Vampyre versteckten sich nicht. Aber für Jungvampyre galten andere Regeln. Ich denke, sie waren schon sinnvoll – nicht alle Teenager können gut mit Konflikten umgehen, und die menschliche Gesellschaft neigte durchaus dazu, den Konflikt mit den Vampyren zu suchen.

Ich zuckte mit den Schultern. »So ist es nun mal, Grandma. Gesetz ist Gesetz.«

»Aber die herrlichen Tattoos auf deinem Hals und den Schultern hast du nicht überschminkt, oder?«

»Nein. Deshalb hab ich ja die Jacke an.« Ich sah mich um, ob auch niemand uns beobachtete, dann nahm ich meine Haare beiseite und schob meine Jacke auf einer Seite ein bisschen nach unten, so dass das filigrane Saphirmuster auf meinem Schulterblatt sichtbar wurde.

»Oh Zoey, das ist so zauberhaft«, sagte Grandma leise. »Ich bin so stolz darauf, dass die Göttin dich als etwas Besonderes Erwählt und auf so unvergleichliche Weise Gezeichnet hat.«

Sie umarmte mich noch einmal, und ich hielt mich an ihr fest, unendlich glücklich, dass ich sie hatte. Sie akzeptierte mich so, wie ich war. Ihr war egal, ob ich mich in einen Vampyr verwandelte. Ihr war egal, dass ich schon mit der Blutlust zu kämpfen oder die Macht hatte, alle fünf Elemente heraufzubeschwören: Luft, Feuer, Wasser, Erde und Geist. Für Grandma war ich einfach nur ihre wahre u-we-tsi a-ge-hu-tsa, die Tochter ihres Herzens, und alles, was sonst mit mir los war, war zweitrangig. Es war seltsam und wunderbar, dass sie und ich uns so gut verstanden und uns so ähnlich waren, während ihre reale Tochter, meine Mutter, so komplett anders war.

»Da seid ihr ja. Der Verkehr war einfach grauenhaft. Ich hätte gut und gerne darauf verzichten können, mich im Feiertagstrubel von Broken Arrow nach Tulsa durchzuschlagen.«

Als hätten meine Gedanken die unglückselige Macht besessen, sie herbeizurufen, stand sie vor uns, eine rechteckige Kuchenschachtel und ein verpacktes Geschenk in der Hand. Ihre frostige Stimme goss förmlich eisiges Wasser auf meine Fröhlichkeit. Grandma und ich ließen einander los.

»Mom?«

»Linda?«

Wir sagten es genau gleichzeitig. Es überraschte mich nicht, dass Grandma über ihr Auftauchen nicht weniger geschockt aussah als ich. Sie hätte meine Mom niemals eingeladen, ohne es mir vorher zu sagen. Was Mom betraf, waren Grandma und ich uns völlig einig: a) Sie machte uns traurig. b) Wir wünschten uns, sie würde sich ändern. c) Uns war klar, dass sie das wohl nicht tun würde.

»Schaut nicht so verdattert. Dachtet ihr etwa, ich wollte nicht zur Geburtstagsfeier meiner eigenen Tochter kommen?«

»Aber Linda, als wir letzte Woche telefoniert haben, meintest du noch, du würdest Zoey ihr Geschenk per Post schicken.« Grandma sah genauso verärgert aus, wie ich mich fühlte.

»Das war, bevor du sagtest, dass du dich hier mit ihr treffen würdest.« Mom wandte sich zu mir um und runzelte die Stirn. »Nicht, dass Zoey mich etwa eingeladen hätte. Aber ich bin es ja gewohnt, eine gedankenlose Tochter zu haben.«

»Mom, du hast seit einem Monat nicht mit mir geredet. Wie hätte ich dich da irgendwohin einladen können?« Ich versuchte meinen Ton neutral zu halten, weil ich wirklich nicht wollte, dass aus meinem Treffen mit Grandma ein riesiges Familiendrama wurde, aber meine Mom hatte noch keine zehn Sätze gesagt, und ich war schon wieder total wütend. Außer der bescheuerten Weihnachts-Geburtstagskarte, die sie mir geschickt hatte, hatte sich unser Kontakt, seit ich im House of Night lebte, auf den Elternbesuchsabend vor einem Monat beschränkt. Es war der reinste Albtraum gewesen. Sie war gemeinsam mit ihrem Mann, meinem Stiefpenner, angerückt, der Kirchenältester der Gottesfürchtigen war. Er hatte mit seiner üblichen engstirnigen, bigotten, voreingenommenen Art geglänzt und war schließlich mehr oder weniger rausgeschmissen worden und hatte Hausverbot gekriegt. Wie immer war meine Mom brav hinter ihm hergedackelt, wie eine fromme kleine demütige Ehefrau das eben tat.

»Hast du denn meine Karte nicht bekommen?« Unter meinem unverwandten Blick begann der schneidende Ton meiner Mom zu bröckeln.

»Doch, Mom.«

»Schau, ich habe an dich gedacht.«

»Ja, Mom.«

»Weißt du, du könntest mich auch ab und zu mal anrufen«, sagte sie mit leicht tränenerstickter Stimme.

Ich seufzte. »Sorry, Mom. Es war gerade so stressig in der Schule, mit den Halbjahresklausuren und so.«

»Ich hoffe, du hast gute Noten.«

»Hab ich, Mom.« Sie brachte es jedes Mal fertig, dass ich mich traurig und einsam und wütend zugleich fühlte.

»Schön.« Sie wischte sich die Augen und begann geschäftig mit ihren beiden Mitbringseln herumzuhantieren. Mit merklich gezwungen fröhlicher Stimme fügte sie hinzu: »Kommt, setzen wir uns doch hin. Zoey, du kannst gleich reingehen und uns etwas zu trinken holen. Nur gut, dass deine Grandma mich eingeladen hat. Wie üblich hat außer mir niemand an einen Geburtstagskuchen gedacht.«

Wir setzten uns, und Mom zupfte das Klebeband von der Kuchenschachtel. Währenddessen sahen Grandma und ich uns in vollkommenem Einverständnis an. Ich wusste, dass sie Mom nicht eingeladen hatte, und sie wusste, dass ich gekaufte Geburtstagskuchen auf den Tod nicht ausstehen konnte. Vor allem diese billigen, hoffnungslos überzuckerten Dinger, die meine Mom immer besorgte.

Mit der Faszination des Grauens, mit der man normalerweise Autounfälle begafft, sah ich zu, wie Mom die Schachtel aufklappte und ein mickriger, rechteckiger weißer Kuchen zum Vorschein kam, auf dem mit roter Schrift – passend zu den kleinen Zucker-Weihnachtssternen in jeder Ecke – Happy Birthday stand. Umrahmt wurde das Ganze von einem grünen Zuckerrand.

»Ist er nicht süß? So richtig weihnachtlich«, sagte Mom und versuchte hastig den Sonderpreis-Aufkleber vom Deckel zu kratzen.

Dann erstarrte sie und sah mich mit riesigen Augen an. »Aber du feierst Weihnachten ja gar nicht mehr, nicht wahr?«

Ich fand mein falsches Lächeln von vorhin wieder und setzte es von neuem auf. »Wir feiern Jul, das ist die Wintersonnenwende. Das war vor zwei Tagen.«

Grandma legte ihre Hand auf meine. »Ich wette, der Campus ist wunderschön geschmückt.«

»Warum soll der Campus geschmückt sein?« Moms eisiger Tonfall war wieder da. »Wozu sollte man Weihnachtsbäume aufstellen, wenn man Weihnachten nicht feiert?«

Grandma kam mir mit der Erklärung zuvor. »Linda, Jul wurde lange vor Weihnachten gefeiert. Bei vielen vorchristlichen Völkern wurden schon seit Jahrtausenden Weihnachtsbäume«, sie legte einen Hauch Sarkasmus in das Wort, »geschmückt. Die Christen haben diese Tradition von den sogenannten Heiden übernommen, nicht anders herum. Tatsächlich hat die Kirche sich den fünfundzwanzigsten Dezember als Tag für die Geburt Jesu ausgesucht, damit er mit den Julfeiern zusammenfällt. Falls du dich noch daran erinnerst – in deiner Kindheit haben wir jedes Jahr draußen einen Baum mit Äpfeln, Beeren, Popcorn und in Erdnussbutter gerollten Tannenzapfen geschmückt, den ich unseren Julbaum genannt habe, während drinnen unser Weihnachtsbaum stand.« Sie schenkte ihrer Tochter ein Lächeln, das ein bisschen traurig und ratlos wirkte. Dann wandte sie sich an mich. »Also, habt ihr Julbäume auf dem Schulgelände?«

Ich nickte. »Ja. Sie sehen toll aus, und die Vögel und Eichhörnchen sind total wild darauf.«

»Nun, willst du nicht langsam deine Geschenke aufmachen, und dann trinken wir Kaffee und essen Kuchen?«, fragte meine Mom. Als hätten Grandma und ich überhaupt nichts gesagt.

Grandmas Miene hellte sich auf. »Ja. Ich freue mich schon seit einem Monat darauf, dir das hier zu geben.« Sie bückte sich und holte zwei Päckchen unter dem Tisch hervor. Bei dem ersten, größeren war das bunte (kein bisschen weihnachtliche!) Geschenkpapier oben zusammengerafft wie bei einem Blumenstrauß. Das zweite war etwas kleiner, hatte die Form eines Buches und war in cremefarbenes Seidenpapier gehüllt, wie man es in schicken Boutiquen bekommt. Grandma schob mir das große Geschenk zu. »Das hier zuerst.«

Voller Vorfreude packte ich es auf und sah mich dem Zauber meiner Kindheit gegenüber. »Oh Grandma! Tausend, tausend Dank!« Ich beugte mich über die in voller Blüte stehende Lavendelpflanze, die sie in einen zartlila Blumentopf gesetzt hatte, und atmete tief ein. Der herrlich würzige Duft brachte die Erinnerung an unzählige träge Sommertage und Picknicks mit Grandma zurück. »Einfach genial!«

»Ich habe sie im Gewächshaus gezogen, damit sie pünktlich für dich blüht. Oh, das hier solltest du auch mitnehmen.« Sie reichte mir eine Plastiktüte. »Das ist eine Pflanzenlampe mit Halterung, damit der Lavendel in deinem Zimmer genug Licht bekommt, ohne dass du die Vorhänge aufziehen und deine Augen strapazieren musst.«

Ich grinste sie an. »Du denkst auch an alles.« Dann fiel mein Blick auf meine Mom. Sie hatte diese ausdruckslose Miene aufgesetzt, die ein Zeichen dafür war, dass sie am liebsten woanders wäre. Ich wollte sie schon fragen, warum sie sich überhaupt die Mühe gemacht hatte zu kommen, aber ganz überraschend wurde mir die Kehle eng und rau. Eigentlich hatte ich gedacht, ich sei langsam alt genug, mich nicht mehr von ihr enttäuschen zu lassen. Anscheinend war siebzehn doch nicht so alt, wie ich geglaubt hatte.

»Hier, Zoeybird. Das habe ich auch noch für dich.« Grandma reichte mir das cremefarbene Geschenk. Mir war klar, dass ihr Moms eisiges Schweigen nicht entgangen war, und wie immer versuchte sie wettzumachen, dass ihre Tochter eine miese Mutter war.

Ich schluckte den Kloß in meiner Kehle hinunter und packte das Geschenk aus. Es war ein ledergebundenes Buch, das verdammt alt sein musste. Dann fiel mir der Titel ins Auge. Ich keuchte auf. »Dracula! Du hast mir eine alte Dracula-Ausgabe gekauft!«

Grandmas Augen funkelten übermütig. »Schau mal ins Impressum, Liebes.«

Ich blätterte die ersten Seiten um und traute meinen Augen nicht. »Himmel! Die Erstausgabe!«

Grandma lachte glücklich. »Blättere mal ein Stück weiter.«

Das tat ich. Unten auf der Titelseite stand ein gekritzelter Schriftzug. Bram Stoker, Januar 1899.

»Eine signierte Erstausgabe! Die muss doch Millionen gekostet haben!« Ich schlang die Arme um Grandma und drückte sie an mich.

»Tatsächlich hab ich sie beim Räumungsverkauf in einem völlig verlotterten Antiquariat gefunden. Ein Wahnsinnsschnäppchen. Und außerdem ist es nur die amerikanische Erstausgabe.«

»Ist doch egal, Grandma! Das ist unglaublich cool! Tausend Dank!«

»Nun, ich weiß ja, wie du diese alte Gruselgeschichte liebst, und im Licht der letzten Ereignisse dachte ich mir, du fändest es sicher witzig, eine signierte Ausgabe zu haben.«

»Wusstest du, dass Stoker das Buch geschrieben hat, weil er eine Prägung mit einer Vampyrin hatte?«, sprudelte ich hervor, während ich sorgsam die dicken Seiten umblätterte und die Illustrationen betrachtete, die in der Tat gruselig waren.

»Nein, das hätte ich nicht gedacht, dass er eine Beziehung mit einer Vampyrin hatte.«

»Ich würde es auch nicht Beziehung nennen, von einem Vampyr gebissen zu werden und ihm dann hörig zu sein«, sagte meine Mom.

Grandma und ich sahen sie an. Ich seufzte. »Mom, es ist für einen Menschen sehr gut möglich, eine Beziehung mit einem Vampyr zu haben. Genau das und nichts anderes ist doch die Prägung.« Okay, Prägungen hatten – wie ich aus eigener Erfahrung mit Heath wusste – auch noch was mit Blutlust und überhaupt wahnsinniger Lust und einer manchmal ziemlich beunruhigenden psychischen Verbindung zu tun. Aber das wollte ich meiner Mutter nicht auf die Nase binden.

Sie schüttelte sich, als sei ihr gerade etwas Ekliges den Rücken heruntergelaufen. »Für mich hört sich das einfach abscheulich an.«

»Mutter. Ist dir eigentlich klar, dass es für meine Zukunft genau zwei Wahlmöglichkeiten gibt? Entweder ich werde zu genau so einem Wesen, das du als abscheulich bezeichnest. Oder ich sterbe irgendwann innerhalb der nächsten vier Jahre.« Ich hatte mich eigentlich gar nicht auf dieses Thema einlassen wollen, aber sie machte mich so fürchterlich wütend. »Also, hättest du es lieber, dass ich sterbe, oder dass ich zum Vampyr werde?«

»Natürlich keines von beiden«, sagte sie.

»Linda.« Unter dem Tisch legte Grandma mir die Hand auf den Oberschenkel und drückte ihn kurz. »Was Zoey damit sagen will, ist, dass du sie und ihr neues Leben akzeptieren musst und dass deine Einstellung sie verletzt.«

»Meine Einstellung!« Ich dachte schon, Mom würde jetzt eine ihrer ›Warum schikanierst du mich eigentlich immer‹-Tiraden vom Stapel lassen, aber zu meinem Erstaunen holte sie tief Luft und sah mir fest in die Augen. »Ich wollte dich nicht verletzen, Zoey.«

Einen Augenblick lang sah sie aus wie die Mom von früher, die Mom, die sie gewesen war, bevor sie John Heffer geheiratet und sich in die perfekte Kirchenversion einer Frau von Stepford verwandelt hatte. Mein Herz zog sich zusammen. »Das tust du aber, Mom«, hörte ich mich sagen.

»Tut mir leid«, sagte sie. Dann streckte sie mir die Hand hin. »Wie wär’s, versuchen wir es noch mal mit deinem Geburtstag?«

Ich nahm ihre Hand. Vorsichtige Hoffnung keimte in mir auf. Vielleicht war doch noch ein Rest meiner alten Mom in ihr. Ich meine, immerhin war sie allein gekommen, ohne den Stiefpenner, was schon schwer an ein Wunder grenzte. Mit einem Lächeln drückte ich ihr die Hand. »Hört sich gut an.«

»Nun, dann mach doch dein Geschenk auf und lass uns Kuchen essen.« Sie schob mir das Päckchen, das neben dem noch unangerührten Kuchen lag, hin.

»Okay!« Ich gab mir Mühe, begeistert zu klingen, auch wenn das Geschenkpapier mit einer düsteren Krippenszene bedruckt war. Mein Lächeln erlosch, als ich den weißen Ledereinband und die Goldrandseiten des Buches sah. Als ich es richtig herum drehte, rutschte mir das Herz in den Magen. Die Heilige Schrift. Ausgabe der Gottesfürchtigen, stand in teuren Blattgoldlettern in Kursivschrift auf dem Einband. Und ganz unten auf der Seite glitzerte noch mehr verschwenderisches Gold: Familie Heffer. Zwischen den ersten Seiten lag ein Lesezeichen aus rotem Samt mit goldener Quaste. Um etwas Zeit zu gewinnen, damit mir etwas anderes zu sagen einfiel als ›was für ein absolut grausiges Geschenk‹, schlug ich die markierte Seite auf. Und blinzelte heftig, weil ich meinen Augen nicht traute. Aber nein. Es war keine Sinnestäuschung.

In die Bibel war ein Familienstammbaum geschrieben worden. Ich erkannte sofort die eigentümlich nach hinten geneigte Linkshänderschrift des Stiefpenners. LINDA HEFFER, stand da, und daneben, durch einen Strich verbunden, JOHN HEFFER. Rechts davon war das Hochzeitsdatum vermerkt. Unter den beiden Namen waren – wie aus dieser Ehe entstanden – die Namen meiner Schwester, meines Bruders und mein eigener eingetragen.

Okay – Paul Montgomery, mein biologischer Dad, hatte uns verlassen, als ich noch klein war, und war seither wie vom Erdboden verschluckt. Ab und zu trudelte noch ein lächerlich kleiner Unterhaltsscheck ohne Absender von ihm ein, aber abgesehen von diesen seltenen Gelegenheiten war er seit über zehn Jahren nicht mehr Teil meines Lebens. Sicher, er war ein mieser Vater. Aber er war mein Vater. Nicht John Heffer, der mich auf den Tod nicht leiden konnte.

Ich hob die Augen von dem gefälschten Familienstammbaum und heftete den Blick auf meine Mom. Obwohl in mir Gefühlschaos herrschte, war meine Stimme erstaunlich beherrscht. Fast ruhig. »Was habt ihr euch dabei gedacht, mir das hier zum Geburtstag zu schenken?«

Die Frage schien meine Mom zu ärgern. »Wir dachten uns, dass es dich sicher freuen würde zu wissen, dass du noch Teil dieser Familie bist.«

»Aber das bin ich nicht. Das war ich auch lange nicht mehr, schon bevor ich Gezeichnet wurde. Das weißt du genau. Und ich weiß es auch, und John auch.«

»Dein Vater ist ganz bestimmt nicht der Ansicht –«

Ich hielt die Hand hoch. »Nein! John Heffer ist nicht mein Vater. Er ist dein Mann, das ist alles. Du hast ihn dir ausgesucht. Ich hab damit nichts zu tun. Fertig.« Die Wunde, die mich schmerzte, seit meine Mutter aufgetaucht war, brach jetzt ganz auf und ließ heiße Wut durch mich hindurchströmen. »Die Sache ist, Mom, du hättest mir lieber ein Geschenk aussuchen sollen, von dem du wissen konntest, dass es mir gefallen würde, und nicht etwas, was dein Mann mir unbedingt eintrichtern will.«

»Du weißt ja überhaupt nicht, was du da redest, junge Dame«, sagte meine Mutter. Dann warf sie Grandma einen bösen Blick zu. »Das hat sie von dir.«

Grandma hob eine silberne Augenbraue. »Danke, Linda. Das war vielleicht das schönste Kompliment, das du mir je gemacht hast.«

»Wo ist er?«, fragte ich meine Mom.

»Wer?«

»John. Wo ist er? Du bist doch nicht meinetwegen hergekommen. Du bist gekommen, weil er wollte, dass ich mich schlecht fühle, und das wird er bestimmt nicht verpassen wollen. Also, wo ist er?«

»Ich weiß nicht, was du meinst.« Aber ihr Blick huschte schuldbewusst umher, und ich wusste, dass ich richtig lag.