Es gibt kein Verzeihen - Ernst Meder - E-Book

Es gibt kein Verzeihen E-Book

Ernst Meder

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Beschreibung

Es gibt kein Verzeihen Leichenteile scheinbar wahllos über Berlin verteilt geben der Polizei Rätsel auf, ob der Täter ein Ziel verfolgt oder ob die Morde aus purer Mordlust verübt werden. Die Suche nach der Verbindung zwischen den Toten entwickelt sich zu einem Rätsel, für das es keine Lösung zu geben scheint. Ein Junge erlebt, wie nach dem Tod seines Bruders seine Familie zerbricht. Die Trennung seiner Eltern sowie die Zerstörung der wirtschaftlichen Grundlage lassen viele Frage offen. Der fünfundzwanzigste Todestag seines Bruders sowie ein Zusammentreffen mit der Vergangenheit holen ein vor langer Zeit verschüttetes Versprechen zum Vorschein.

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Seitenzahl: 343

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Es gibt kein Verzeihen

Für Svenja Tabea

Man sollte seinen Feinden verzeihen, aber nicht, bevor sie am Galgen hängen.

(Heinrich Heine)

Es gibt kein Verzeihen

Ein Roman

von

 

 

 

  

 

Es gibt kein Verzeihen Ernst Meder published by: epubli GmbH, Berlin,www.epubli.de Copyright © 2013 Ernst Meder ISBN: 978-3-8442-8570-3    

 

Alle Rechte vorbehalten.

1. Kapitel

Es war noch nicht einmal neun Uhr und das an einem Sonntag. Immer am Sonntag begann dieser blöde Köter bereits vor neun Uhr mit seinem Gekratze und Gekläffe, um anzuzeigen, ich muss jetzt raus. Nicht in einer halben Stunde, sondern jetzt sofort, ist es äußerst dringend. Ein Stoß in seine Rippen ließ ihn endgültig wach werden, halb verschlafen klang eine weibliche Stimme Waldemar muss raus, kannst Du bitte gehen, ich mach auch Frühstück für uns.

Seit drei Jahren durchlebte er jeden Sonntag den gleichen Film, hatte, wie Bill Murray in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. In seinem Fall hatte er zwar nicht mit täglichen, aber doch wöchentlichen Wiederholungen zu kämpfen. In einem Anfall von Wagemut wollte er, nachdem sie ihre gemeinsame Wohnung bezogen, Waldemar untersuchen, ob dieser auch tatsächlich ein Hund und kein Murmeltier ist. Aber da hatte Elke, seit mehr als drei Jahren seine Lebensgefährtin, der dieses hässliche Ungeheuer auf vier Beinen gehört, einen Schuh nach ihm geworfen.

Mühsam quälte er sich aus dem Bett, als sie sich noch mal umdrehte, laut pupste, um wieder leise Schnarchtöne von sich zu geben. Sie hatte es gut, sie konnte weiterschlafen während er, bei Wind, Sturm, Schnee, Regen oder sogar bei einem Taifun, wegen dem Hund die häusliche Wärme verlassen musste.

Waldemar, der seine Aktivitäten nicht nur wahrgenommen, sondern sogar erwartet zu haben schien, stand schwanzwedelnd vor ihm. Woher wusste dieser verdammte Köter eigentlich, dass heute Sonntag war, überlegte er noch, während bei Waldemar die Zunge schief aus seinem Mund hing. Die Lautstärke, mit der er dabei hechelte, war ihm bis heute ein Rätsel bei seiner Größe. Dessen ungeachtet schluckte er, um erneut weiter zu hecheln. Waldemar, der sich am Ziel seiner Wünsche sah, setzte sich vor ihn, wobei er aufgeregt mit seinem Schwanz wedelte. Unabhängig davon, was um ihn herum geschehen würde, er würde ihn genau beobachten, wie er sich mühsam in seine Hose zwängte.

Brauchte er Socken oder war das Wetter so gut, dass er darauf verzichten konnte. Langsam stand er auf, ging zum Fenster um die Wetterlage zu prüfen, ob er auf Socken verzichten oder auf Regenschirm wechseln sollte. Wenigstens die Sonne schien, heute musste sein Glückstag sein. Schnell zog er ein T-Shirt über, stieg in seine Turnschuhe, während der Hund verrückt geworden zu sein schien, so führte er sich auf. Er rannte von einer Ecke der Wohnung zur nächsten, ohne groß abzubremsen. Dies geschah in der Regel rutschend an der Wand oder der Tür, als wollte er ihm zu zeigen, dass er unbedingt loswollte.

Schnell griff er nach der Leine, öffnete die Tür, da war der Hund auch schon auf dem Weg die Treppe nach unten. Wo er bestimmt wieder jaulend vor der verschlossenen Haustür warten würde. Langsam lief er die Treppe nach unten, wunderte sich über die Stille im Hausflur, als er auch schon die Leere im Flur wahrnahm. Waldemar stand bereits draußen, vor der Linde am Straßenrand auf drei Beinen wobei zu überlegen schien, ob er zuerst sein Geschäft verrichten oder doch lieber seine Schnüffelgewohnheiten nachgehen sollte.

Schnell trat er an den Baum, legte Waldemar schnell das Halsband um und legte ihn an die Leine. Dieser hatte ihn schon des Öfteren genarrt wenn er wieder einmal Lust verspürte einer Katze oder einer Taube hinterher zu jagen. Nun konnte nichts mehr schief gehen, mit noch müden halb geschlossenen Augen ließ er sich von dem Hund den üblichen sonntäglichen Weg ziehen. Dabei ließ er diesem die Zeit, überall da zu schnüffeln oder zu markieren, wo immer dieser es wollte.

Sie waren bereits mehr als eine viertel Stunde unterwegs, als er spürte, wie sich unvermittelt die Leine spannte. Waldemar hatte bestimmt wieder eine Katze gerochen oder eine Taube oder einen anderen Vogel erspäht. Inzwischen war er wach, blickte erstaunt auf den Hund, der mit aller Kraft, die in diesem kleinen Körper steckte, an der Leine zerrte. Sein ausgeprägter Geruchssinn kannte nur ein Ziel, die Bushaltestelle. Mit einer bisher ungekannten Heftigkeit versuchte er, ihn zu der Haltestelle zu ziehen, wo seine Nase etwas besonders Faszinierendes gerochen haben musste.

Erst auf den zweiten Blick konnte er das Objekt der Anstrengungen von Waldemar sehen. Unter der Bank, ganz nach hinten in die Ecke geschoben, befand sich eine blaue Mülltüte, aus der dieser Geruch kommen musste, die zu der Reaktion von Waldemar geführt hatte. Wahrscheinlich hatte wieder so ein Irrer oder Hundehasser vergiftete Köder ausgelegt, um sich an dem Leiden der Kreatur zu erfreuen. Vielleicht stand dieser Verrückte sogar noch mit einem Fernglas hinter einem der Fenster, um zu beobachten, wie erfolgreich er mit seinem Köder war.

Waldemar zog immer noch mit seiner ganzen Kraft, die er trotz des frühen Morgens entwickelte, um zu seinem Objekt der Begierde zu kommen. Hier half nichts, egal wie sehr er versuchte, ihn zurückzuhalten oder auf ihn einzureden. Nein, sitz, platz, bei Fuß, nichts funktionierte, die Befehlskette schien durch den Inhalt der Tüte aufgehoben. Er musste unbedingt verhindern, dass dieser blöde Hund einen vergifteten Köder fraß. Sollte dem Hund etwas Geschehen dann, da war er sicher, würde er heute noch sein Leben aushauchen.

Elke hatte ihm erzählt, wie sie zu ihrem Waldemar gekommen war, weshalb sie darauf bestand diesen Mischling, der sich bestimmt aus vierundzwanzig unterschiedlichen Rassen zusammensetzte, zu behalten.

Es war an einem Samstag, etwa vier Monate, bevor sie sich kennengelernt hatten, sie kam etwas beschwipst von einer Party, als ihr auf dem Weg nach Hause plötzlich übel wurde. Vielleicht war es auch ein bisschen mehr als nur etwas beschwipst, wie sie im Nachhinein zugab, als ihr Magen gegen die Menge an Alkohol rebellierte. Da sie, trotz ihres Zustandes feststellte, dass sie den Weg zu ihrer damaligen Wohnung nicht mehr bewältigen konnte, beschloss sie, den unmittelbar vor ihr liegenden Park aufzusuchen.

Ich hab mir meine Seele aus dem Leib gekotzt, so ihre drastische Ausdrucksweise, als sie ihm erklärte, weshalb sie gezwungenermaßen eine Rast einlegen musste. Danach war ich so müde, dass ich in der Nähe an einem Baum eingeschlafen bin. Als ich am Morgen durch die Sonne geweckt wurde, saß dieser kleine Tiger neben mir und verteidigte mich mit gefletschten Zähnen. Gottseidank oder leider, wie immer man es sehen mochte, war es im Sommer, weshalb der Park mit einer Vielzahl von irgendwelchen Joggern und Spaziergängern bevölkert war. Immer wenn mir jemand zu nahe kommen wollte, zeigte er diesem seine großen spitzen Zähne, knurrte und bellte, um ihn zu vertreiben.

Ich habe ihn in den Arm genommen, habe ihn geküsst, vielleicht hatte ich gehofft es sei ein verwunschener Prinz, was sich ziemlich schnell als Irrtum herausstellte. Danach habe ich mich mühsam aufgerichtet und bin mit immer noch weichen Beinen nach Hause gewankt. Wie selbstverständlich hat er sich mir angeschlossen, lief hinter mir her, achtete darauf, dass mir niemand zu nahe kam. Als wir bei mir zu Hause angekommen sind, ist er mir wie selbstverständlich in meine Wohnung gefolgt. Seit jenem Tag ist mein Retter bei mir, wer weiß, vielleicht würde ich ohne ihn nicht mehr leben. Er hat mich, unter Missachtung seines eigenen Lebens, verteidigt und beschützt, wie könnte ich ihn je wieder weggeben.

Dem war nichts hinzuzufügen, deshalb war mein Augenmerk auch darauf gerichtet, dass der Knoten, den ich an der Laterne anbrachte, um Waldemar anzubinden, auch tatsächlich seiner Kraft entsprach. Langsam ging ich auf die Haltestelle zu, betrachtete dabei die Umgebung. Sollte der Idiot ruhig sehen, dass sein Plan soeben zunichtegemacht wurde, als ich in das Wartehäuschen trat, um die Tüte zu betrachten. Eigentlich eine ganz normale blaue Mülltüte, wie man sie in fast jedem Laden kaufen konnte.

Wenn ich mich auf die Bank kniete, konnte ich von da aus, ohne groß etwas zu verändern, in die Tüte blicken, um zu sehen, was sich darin befand. Ganz langsam öffnete ich die Mülltüte so weit, bis ich hineinsehen konnte. Erschrocken machte ich sie wieder zu, ich konnte nicht glauben, was ich da gesehen hatte. Das konnte nicht sein, hier hatte sich jemand einen üblen Scherz erlaubt. Entweder war dieses Teil aus Schaumstoff oder aus sonst einem anderen Kunststoff.

Unvermittelt fiel mir das Verhalten von Waldemar ein, dieser hätte nicht so extrem reagiert, wenn hier etwas aus Kunststoff liegen würde. Vorsichtig öffnete ich noch einmal die Tüte, dieses Mal wollte ich es genauer betrachten. So leicht konnte man mich nicht erneut hinters Licht führen. Ich spürte, wie mein Magen zu rebellieren begann, schnell wandte ich mich ab, um die Grünfläche am nächsten Baum zu erreichen. Kaum angekommen, ergoss sich bereits der Mageninhalt des gestrigen Abends über das spärliche Grün.

Immer wieder tauchte dieses Bild vor meinem Auge auf, verursachte damit aufs Neue einen Brechreiz, sodass sich auch noch der letzte Rest meines Magens nach außen begab. Inzwischen war alles nur noch Galle, die einen üblen Geschmack in meinem Mund hinterließ.

Es waren bereits mehr als zehn Minuten verstrichen, mehrere Personen waren schimpfend an mir vorbei gegangen, keiner hatte sich die Mühe gemacht mich zu fragen, ob er mir helfen kann.

Gerade ging eine alte Dame im Kostüm und Hut vorbei, als ich sie sagen hörte, schon am Sonntagmorgen betrunken, aber nicht in die Kirche gehen. Na schön, jetzt wusste ich zwar, wohin sie ging, eine große Hilfe für mich war dies aber auch nicht.

Leicht taumelnd versuchte ich, nachdem ich mir mit einem Taschentuch die Reste meiner Entleerung aus dem Gesicht gewischt hatte, wieder Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen. Ein Griff in meine Hosentasche überzeugte mich, dass dies kurzfristig nur mit größerer Anstrengung und einigen Problemen möglich sein würde.

Nach Hilfe suchend blickte ich mich um, versuchte einen Passanten oder Radfahrer anzusprechen, um diesen zu bitten, bei der Polizei anzurufen, damit diese vorbeikommt. Jetzt, wo man jemand brauchte, jemand, der nicht nur dumme Kommentare von sich gab, war niemand zu sehen. Einzig Waldemar hatte es inzwischen aufgegeben an seiner Leine zu ziehen, da er die Sinnlosigkeit seines Tuns eingesehen hatte. Dabei betrachtete er mich mit schräg geneigtem Kopf, so als wollte er sehen, ob ich seinen Fund auch entsprechend seiner Wichtigkeit würdigte.

Eigentlich konnte nur er zufrieden sein, sein üblicherweise langweiliger Sonntagsspaziergang hatte sich heute als ereignisreiches Event erwiesen. Es schien als zwinkere er mir zu, dazu ließ er seine Zunge heraushängen. Entweder streckte er mir die Zunge raus, wahrscheinlicher war jedoch, um noch lauter hecheln zu können.

Hallo, hallo, der Fahrradfahrer auf der gegenüberliegenden Straßenseite fühlte sich angegriffen, denn anders war es nicht zu erklären, dass er verstärkt in die Pedale trat, um von mir wegzukommen.

Die nächste Gelegenheit, die Haustür schräg hinter der Haltestelle öffnete sich, heraus kam ein Mann um die vierzig, der sich vorsichtig umsah. Nach was eigentlich, ob ihm ein Windstoß die Perücke vom Kopf pusten würde, oder hatte er Probleme mit der Mafia.

Entschuldigen Sie, haben sie ein Telefon dabei.

Verwirrt starrte dieser ihn an.

Was wollen Sie von mir, ängstlich wollte er sich abwenden, um bei Gefahr für Leib und Leben im Haus verschwinden zu können. Erschrocken stellte er fest, dass diese bereits ins Schloss gefallen war, ein erneutes Öffnen hätte seines Schlüssels bedurft. Außerdem blickte dieser so komisch auf eine bestimmte Stelle, als hätte er etwas entdeckt, was seine Aufmerksamkeit darauf zu lenken schien.

Irritiert blickte ich an mir hinab, um festzustellen, dass ich, wenn auch in geringer Menge, einen Teil meiner Entleerung mit abbekommen hatte.

Ich bin nicht betrunken, vielleicht half dies als Erklärung, um ihm die Angst zu nehmen, Sie müssen dringend die Polizei anrufen, in dem Wartehäuschen liegt ein menschliches Bein.

Sein Blick zuckte von mir zu dem Wartehäuschen, dann weiter den Gehweg entlang, so als hoffte er, dass jemand kommen würde, der ihn von diesem Verrückten befreite.

Ich, er stockte, ich will damit nichts zu tun haben, lassen sie mich in Ruhe, dabei versuchte er nach seinem Schlüssel zu angeln, um schnellstmöglich im Haus verschwinden zu können.

Energisch fuhr ich ihn an, es ist mir egal, ob Sie etwas damit zu tun haben wollen, ich werde der Polizei sagen, dass Sie darin verwickelt sind. Dann können Sie der in den nächsten Wochen erklären, ob Sie für die fragliche Zeit ein Alibi haben. Er schien kurz zu überlegen, dann griff er resigniert in die Innentasche seines Jacketts, um ein Mobiltelefon hervorzuziehen.

Rufen Sie an, ich kann das nicht, ich kann nicht mit der Polizei telefonieren.

Irritiert blickte ich auf das Gerät, welches er so plötzlich in Händen hielt. Gab es so etwas tatsächlich noch, das hatte er doch bestimmt schon zu seiner Konfirmation erhalten. Allerdings konnte ich ein Freizeichen hören, als ich den Notruf der Polizei wählte. Schnell schilderte ich der Beamtin die Situation sowie die Anschrift von dem Gebäude, vor dem ich stand. Zugleich sicherte ich meiner weiblichen Telefonstimme zu, auf die Streife zu warten, die sie gleich losschicken wollte.

Versonnen blickte ich auf das Telefon in meiner Hand, dem Begriff „Mobil“ kam in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu.

Kann ich noch schnell bei mir zu Hause anrufen, meine Freundin macht sich sonst Sorgen. Seit dem Telefonat mit der Polizei hatte dieser nichts mehr gesagt, so als hätte er seine Stimmbänder verschluckt, auch jetzt nickte er nur zustimmend.

Elke, ich bin‘s, bei mir wird es etwas später, ich muss warten, bis die Polizei kommt. Nein mit Waldemar ist nichts, er sitzt hier und wartet mit mir. Ich erzähle es Dir später, ich muss als Zeuge hier bleiben. Nein es ist nicht mein Telefon, mit dem ich telefoniere, es gehört einem Passanten. Ich wollte nur Bescheid sagen, damit Du Dir keine Sorgen machst. Ja, ich beeile mich, Du kannst ruhig schon mit dem Frühstück anfangen, ich glaub, ich habe heute keinen Hunger. Ja, tschüss bis nachher.

Nachdenklich reichte er das Telefon zurück, komisch immer, wenn man keine Zeit oder Lust auf ein Telefonat hatte, fanden Frauen kein Ende. Immer wenn man gerade auflegen wollte, kam unvermeidlich die nächste Frage.

Nun sah er sich sein Gegenüber genauer an. Was er vorher fälschlicherweise für eine Perücke gehalten hatte, war nur eine dieser ungewöhnlichen Frisuren, mit der Männer versuchen, ihre Glatze zu verdecken. Er hatte den Rest seiner Haare auf der linken Seite so lange wachsen lassen, bis diese den gesamten Kopf bedecken. Er hatte sein Haupthaar von der linken Seite nach rechts gelegt, dabei auf geheimnisvolle Weise befestigt, damit sich nichts bewegte.

Wolfgang, ich streckte ihm die Hand hin, ich heiße Wolfgang, wenn wir schon gemeinsam warten müssen, dann können wir uns auch vorstellen. Zögernd griff er nach meiner Hand, wahrscheinlich hielt er mich immer noch für verrückt.

Gotthilf, mein Name ist Gotthilf. Dann fragte er zögernd, stimmt es wirklich, dass Sie ein Leichenteil gefunden haben.

Eigentlich war es Waldemar, jetzt fiel ihm der Hund wieder ein, der die ganze Zeit ohne einen Ton von sich zu geben neben der Laterne lag. Dieser hatte sich von ihm abgewandt, blickte nur auf das Objekt, welches ihn hierher gelockt hatte, er schien es regelrecht zu bewachen.

Ein Streifenwagen mit Blaulicht hielt mit knirschenden Reifen am Straßenrand, das Martinshorn hatten sie bestimmt deshalb nicht benutzt, da die Fluchtgefahr eines Beins nicht sehr wahrscheinlich war. Zwei Beamte stiegen aus dem Auto, wobei sich der Beifahrer seine Mütze auf den Kopf setzte, während der Fahrer diese unter seinen linken Arm klemmte.

Haben Sie uns angerufen, der Beamte kam direkt auf uns zu, beobachtete uns beide sehr genau, wollte wohl wissen, wer sich zu dem Anruf bekannte.

Ich habe angerufen, Wolfgang ging auf den Beamten zu, ich bzw. mein Hund hat das da gefunden, dabei zeigte er in Richtung der Haltestelle. Da in dieser Gegend häufiger vergiftete Köder ausgelegt werden, habe ich ihn erst mal an der Laterne festgemacht, um selbst nachzusehen, was das Paket so anziehend für ihn macht. Dabei habe ich die grausige Entdeckung gemacht.

Wann war das, der Polizist, bereit alles zu notieren was an Äußerungen von mir kam, wartete, während der Fahrer sich umsah, ob er etwas sehen konnte. Die Mülltüte liegt in der Haltestelle rief ich diesem nach, während ich sagte, vor etwa einer viertel Stunde.

Der Beamte zog die Augenbrauen hoch, weshalb hat es lange gedauert mit der Meldung.

Na, weil ich zuerst gekotzt habe, dabei zeigte ich auf die noch sichtbaren Spuren meiner unfreiwilligen Ausgabe.

Inzwischen hatte Waldemar mitbekommen, dass sich eine fremde Person an seine Beute heranwagte. Nun begann er zu zeigen, dass der Fund ausschließlich ihm gehörte, ein fremder Dritter nichts da zu suchen hatte. Die Lautstärke seines Protests hatte inzwischen so zugenommen, dass der Polizist meinte, wollen Sie nicht zuerst ihren Hund beruhigen.

Waldemar aus, der Befehl musste mehrfach auf den Hund einprasseln bis dieser ihn beleidigt ansah, sich dann wieder hinlegte, wobei er ihm das Hinterteil zuwandte.

Das Bellen des Hundes aber auch das sich immer noch drehende Blaulicht hatte die Neugierde einiger Anwohner geweckt, die sich das Schauspiel inzwischen vom Balkon oder versteckt hinter Vorhängen ansahen. Auf Fragen der Anwohner, was denn da los sei, reagierten die Beamten nicht, während Wolfgang dem Beamten in Kürze den gesamten Vorfall schilderte.

Zwischenzeitlich hatte der zweite Beamte die Haltestelle erreicht, wo er die Tüte erblickte, die leicht geöffnet hinter der Bank lag. Genauso wie Wolfgang kniete er sich auf die Bank, beugte sich nach vorne um einen Blick in die Tüte werfen zu können. Kurz darauf kam er bleich aus dem Wartehäuschen, hielt kurz inne, um zu erfassen, was er soeben gesehen hatte. Dann kam er auf sie zu, wobei er sich die Hand an den Magen drückte.

Gepresst sagte er zu seinem Kollegen, das ist etwas für die Mordkommission, ich werde anrufen und Bescheid sagen, damit die einen Wagen schicken. Also rebellierte nicht nur bei mir der Magen oder reagierte empfindlich, wenn er etwas Derartiges zu sehen bekam.

Eigentlich kann ich doch nach Hause gehen, oder, meine Adresse haben Sie, wenn Sie noch Fragen haben, wissen Sie, wo ich zu erreichen bin.

Ja, bleiben Sie aber zu Hause, es könnte sein, dass sich die Mordkommission noch heute bei Ihnen meldet.

Bevor dieser es sich anders überlegen konnte, winkte ich noch schnell Gotthilf zu, der sich immer weiter in den Eingang zurückgezogen hatte. Umgehend holte ich Waldemar, der es sich inzwischen wieder überlegt hatte, jetzt war er gerade nicht mehr beleidigt.

Zu Hause angekommen stürzte sich Elke natürlich zuerst auf Waldemar. Sie drückte und herzte ihn, küsste ihn ab, dazu rief sie mit ekstatischer Stimme, dass du wieder da bist, ich bin ja so froh. Ehe er noch überlegen konnte, ob er besser das Weite suchen sollte, wandte sie sich doch an ihn. Wo warst Du so lange, kannst Du dir nicht denken, dass ich mir Sorgen um Waldemar mache. Als sie sein entgeistertes Gesicht bemerkte, drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange, komm mit und erzähle.

2. Kapitel

Seine miese Laune war in seinem Gesicht ablesbar, trotzdem stieg er langsam aus dem Auto. Mit einem Blick, dem man ansah, dass er in seinem beruflichen Leben schon einige schreckliche Dinge gesehen hatte, blickte er sich um. Es dauerte nur einen Augenblick der Orientierung, bis er wusste, wo sich das Fundstück befinden musste. Er trottete auf den uniformierten Beamten zu, dann blickte er zu dem Fahrzeug der KTU, welches allein und verlassen etwa zwanzig Meter von der Bushaltestelle am Straßenrand parkte. Bevor er noch seine Frage an den Beamten richten konnte, klang es in seinem Rücken, wenn Du das entlaufene Bein suchst, das befindet sich hier.

Die Stimme kannte er, hätte sie aus tausend anderen herausgehört, sie gehörte zu einem der wenigen guten Bekannten, die er kannte, dem Aufschneider. Gerald knurrte er, während er sich umdrehte, hat man Dir auch einen Sonntagsdienst aufgebrummt. Er sah zu dem Pathologen Dr. Gerald Nagel, der seinen Kopf gerade aus dem Häuschen der Haltestelle herausstreckte, um ihm zu zeigen, wohin er kommen sollte.

Als er dort ankam, sah er den Fotografen der KTU, der Bilder von allem machte, was sich nicht bewegte. Dabei wurde er von einer weiteren Beamtin unterstützt, die in ihrem weißen Einweganzug und den Handschuhen wie ein Marsmännchen aussah. Sie hielt gerade die Mülltüte so weit geöffnet, dass der Fotograf seine Bilder machen konnte, ohne die Stellung des Beins zu verändern.

Während der Fotograf ihn ignorierte, wahrscheinlich fühlte er sich als Künstler, nickte sie ihm stumm zu. Angestrengt versuchte sie, gerade so weit zurückzuweichen, damit sie nicht aus Versehen mit auf dem Bild verewigt wurde. Während er seine Kameraausrüstung einpackte, sprach sie, mehr ins Leere als zu ihm, die Fingerabdrücke können wir uns sparen, hier sind vielleicht mehrere Hundert Abdrücke, die sowieso keinen interessieren.

In der Zwischenzeit begrüßten sich Dr. Gerald Nagel, der sein bisheriges Leben in der Gerichtsmedizin verbracht hatte und Gerhard Melzer, Hauptkommissar der Mordkommission, in die er nach dem Fall der Mauer gewechselt war. Es war seine persönliche Wende, die er vollzogen hatte, nachdem die Mauer gefallen war. Seine bisherige Tätigkeit in der Mordkommission im ehemaligen Ostberlin hatte ihn nicht mehr befriedigt. Noch fühlte er sich jung genug um den Wechsel zu wagen, jung genug um sich auf die Veränderung zu freuen.

In der Hauptsache beruhte sein Wunsch nach Versetzung auf persönlichen Gründen die ihn bewogen hatten sich in die Dienststelle der LKA1 in die Keithstraße versetzen zu lassen. Inzwischen war sie für beide Teile der Stadt zuständig, obwohl das Zusammenwachsen in vielen Bereichen weniger reibungslos verlief. Als er damals seinen Entschluss seinem Vorgesetzten mitteilte, sorgte dies für Unruhe nicht nur in der damaligen Dienststelle, sondern auch in der künftigen.

Das Gejammer der alten Sturköpfe, die den alten Zeiten nachweinten, wo ausschließlich der Parteisekretär über Beförderung und Karriere bestimmte, während die persönliche Qualifikation bereits im Vorraum des Parteibüros verkümmerte. Aber auch in der neuen Dienststelle, wo man ihn mit Skepsis empfing, wurde er als Ossi nur bedingt als Ermittler wahrgenommen. Meist betrachtete man ihn offen als Anfänger, dem die Grundlagen der Polizeiarbeit erst noch vermittelt werden mussten.

Seinem damaligen Vorgesetzten hatte er es zu verdanken, dass seine Arbeit endlich so wahrgenommen wurde, wie sie tatsächlich ablief. Während er als Mitläufer von unfähigen Plattfüßen der Lösung des Falls oft sehr nahe war, begannen diese endlich, die entscheidenden Fragen zu stellen.

Diesem Vorgesetzten hatte er es auch zu verdanken, dass er endlich als leitender Ermittler arbeiten konnte. Die Bestätigung seiner mutigen Entscheidung, gegen Widerstände lang gedienter Beamter, sollte sich in den nächsten Jahren an der außergewöhnlich hohen Aufklärungsquote ablesen lassen.

Trotzdem hatte er, unabhängig seiner nachweisbaren Erfolge, mit den Vorurteilen der alten Wessis zu kämpfen, die nicht verstehen konnten, dass auch andere Polizisten strukturiert arbeiten konnten. Seine Erfolge brachten seine Kritiker zwar zum Verstummen, erhöhte jedoch die Zahl der Personen, die mussmutig jeden seiner gelösten Fälle sezierten, um ihm Fehler nachzuweisen.

Viele Freunde hatte er im Laufe der Jahre nicht gewonnen, den Respekt von neuen Kollegen jedoch mühsam erkämpft. Der Wechsel der Kollegen, die Alten verabschiedeten sich nach und nach in den Ruhestand, während neue Kollegen aus den unterschiedlichsten Abteilungen in das LKA1 wechselten. Mit weniger Vorurteilen belastet, waren diese vorurteilsfreier bei der Zusammenarbeit und sich das Verhalten untereinander änderte sich.

Trotzdem war es ihm in all den Jahren nicht gelungen Freundschaften zu schließen außer mit ihm, dem Aufschneider, mit dem er sich irgendwie zusammengerauft hatte. Seit ein paar Jahren trafen sie sich sporadisch in seiner Stammkneipe, um, wie seine Frau immer behauptete, sich volllaufen zu lassen.

Eigentlich ist es völlig unsinnig dass ich hierher kommen musste, meinte dieser gerade mürrisch, eigentlich hätte es doch gereicht, wenn man mir den Müllsack gebracht hätte. Zynisch fuhr er fort, oder soll ich jetzt schon an Gliedmaßen eine Obduktion vornehmen.

Beruhigend fragte Melzer, einer muss mir doch sagen ob dieses Teil von einem Mann oder von einer Frau.

Hier unterbrach Nagel ihn, als er trocken ergänzte, das hättest Du selbst sehen können, so behaart kann das Bein nur zu einem Mann oder zu einem Reh gehören.

Sieh es Dir trotzdem an, was mich stört, ist, dass nirgends ein Blutfleck zu sehen ist, zudem wäre das Alter des Beins hilfreich.

Wenn Du jemanden hier in der Gegend triffst, dem das rechte Bein fehlt, frag ihn einfach. Nachdenklich meinte er, dass mit dem Blut hat mich allerdings auch irritiert, es war kein Tropfen in der Tüte sichtbar, als hätte man das Bein vorher ausbluten lassen. Etwas ruhiger fuhr er fort, ich werde es trotzdem untersuchen, ob ich etwas herausfinden kann, was Dir hilft.

Melzer blickte sich um dann fragte er in die Runde ohne jemand bestimmten anzusprechen, wo ist eigentlich der Finder unseres Körperteils.

Bevor auch nur einer der umstehenden Personen etwas sagen konnte, fragte Nagel ihn, wieso, hast Du die Absicht ihm einen Finderlohn geben.

Kopfschüttelnd ließ er ihn erst einmal stehen, der war heute bestimmt mit dem falschen Fuß aufgestanden, eigentlich kannte er ihn sonst eher als ruhig und zurückhaltend.

Ein junger Beamter wartete sichtlich nervös, bis er endlich zu dem Beamten der Mordkommission treten konnte, um das loszuwerden, was ihn bedrückte.

Ich habe die Adresse der Person, die das Objekt gefunden hat, er wartet zu Hause auf Sie, um ihre Fragen zu beantworten Herr Hauptkommissar. Er hat uns bereits gesagt, dass er den Müllsack angefasst hat und seine Fingerabdrücke sich darauf befinden müssten.

Melzer nahm den Zettel aus der Hand des Beamten, danke haben Sie ausgezeichnet gemacht, aber jetzt sollten Sie sich um ihren Kollegen kümmern, der sieht etwas mitgenommen aus. Dabei zeigte er auf den zweiten Beamten, der immer noch blass auf dem Beifahrersitz des offenen Funkwagens saß. Mit stolz geschwellter Brust, das Lob schien ihn um Zentimeter größer werden zu lassen, verabschiedete er sich zackig, um zu seinem Kollegen zu gehen.

Ein Blick auf die Adresse zeigt ihm, dass der Zeuge fußläufig in gut fünf Minuten erreichbar war. Dann überlegte er es sich, der Rückweg würde ja noch dazukommen, da war es schon besser, sich am Sonntag nicht zu viel zuzumuten. Langsam ging er wieder zu der Wartehalle, wo gerade ein Bus anhielt, die Türen sich mit einem schmatzenden Geräusch öffneten und ein älteres Ehepaar ausstieg. Neugierig traten sie an die Absperrung, während am Busfenster einige platt gedrückte Nasen interessiert auf die komisch aussehenden Personen blickten.

War es die Sehschwäche oder der Befehlston seiner Frau die den alten Herrn veranlasste die Absperrung hochzuheben, als Melzer ihm in scharfem Ton Halt, bleiben Sie da weg zurief.

Empört wandte sich die alte Dame an ihn, was fällt Ihnen ein, meinen Mann so anzuschreien. Wir wollen uns nur auf die Bank setzen, um uns auszuruhen, dabei nickte sie ihrem Mann, der stehen geblieben war, aufmunternd zu weiter zu gehen.

Melzer wollte schon den Kopf schütteln über so viel Unverfrorenheit, dann meinte er süffisant, wenn Sie unbedingt neben einer Leiche sitzen wollen, nur zu.

Aber das hätten Sie doch gleich sagen können erschrocken blickte ihn die alte Frau an. Energisch griff sie ihren Mann am Ärmel seines Jacketts, komm lass uns gehen, das hätte er aber auch gleich sagen können, wobei sie verständnislos mit ihrem Kopf wackelte.

Während Melzer leicht lächelnd dem alten Paar nachblickte, kam Nagel aus der Wartehalle, dabei den Müllsack mit behandschuhten Händen vor sich hertragend.

Den Müllsack schicke ich gleich ins Labor, da können sie ihn auf weitere Spuren untersuchen, wegen des Inhalts, ruf mich morgen an, dann kann ich Dir alle Fragen beantworten.

Damit wandte er sich zu seinem Auto, wo er den Sack in einem noch größeren Sack verschwinden ließ, um ihn dann in den Kofferraum zu legen. Ohne sich weiter umzusehen, fuhr er von seinem Parkplatz, wobei er einem wüst hupenden BMW die Vorfahrt nahm.

Der läuft heute aber erheblich neben der Spur murmelte er vor sich hin, dabei drehte er sich zu der Mitarbeiterin der KTU, die unerwartet direkt vor ihm stand. Erschrocken wich er etwas zurück, als diese bereits leise stimmt, sagte.

Nach einem kurzen Zögern sagte er, ich brauche sie noch, Sie müssen bei dem Finder noch die Fingerabdrücke abnehmen. Suchend blickte er sich um, wo ist Ihr Fotograf, hat der sich bereits verabschiedet.

Der ist bereits ins Labor vorgefahren, er wollte Ihnen die Bilder direkt auf Ihren Computer überspielen, damit Sie heute Nachmittag bereits darüber verfügen können.

Fahren Sie am besten hinter mir her, dann können Sie im Anschluss daran direkt zur KTU fahren, während ich mir mal anhöre, was unser Finder so zu erzählen hat. Sie stand bereits neben ihrem Auto, als er noch seinen PKW in die Lücke rangierte, um den fließenden Verkehr nicht zu behindern.

Verwundert starrte er sie an, wie konnte sie so schnell in diese kleine Parklücke gefahren sein, die er beim Vorbeifahren wegen ihrer Größe missachtet hatte.

Der Türöffner der Haustür summte unmittelbar nach dem Druck auf die Klingel, sodass er vermutete, es müsse jemand an dem Türöffner darauf gewartet haben. Suchend blickte er sich nach einem Aufzug um, während die junge Kollegin bereits auf der Treppe nach oben verschwunden war.

Seufzend folgte er ihr, nachdem er festgestellt hatte, dass kein Aufzug im Hausflur vorhanden war. Jetzt hoffte er nur, dass sich die Wohnung nicht auch noch in der vierten Etage befand, dazu fehlte ihm am heutigen Sonntag die Motivation. Als er über sich die Stimme der Beamtin hörte, wusste er, dass er noch einiges vor sich hatte, denn diese schien tatsächlich von ganz oben zu kommen.

Als er endlich das Podest vor der vierten Etage erreicht hatte, kurz stehen blieb um sehnsuchtsvoll nach oben zu blicken starrte er auf ein knurrendes Untier, welches ihm den Zugang verwehren wollte.

Waldemar klang aus der Wohnung eine helle Frauenstimme, die das Verhalten des Hundes sofort änderte. Kurz schien er zu überlegen, welchem Instinkt er folgen solle, zurückkehren zu der Person, die ihn gerufen hatte oder Verteidigung seines Terrains vor dem Eindringling. Nach einem nochmaligen Knurren entschied er sich jedoch zur Aufgabe des Terrains und zur Rückkehr zu seiner Herrin, wo vielleicht eine Belohnung auf ihn wartete.

Lächelnd kam ihm die Beamtin entgegen, ich bin fertig, alle warten nur noch auf Ihren Besuch, leise fügte sie hinzu, sie sind schon sehr aufgeregt. Damit ließ sie ihn stehen, rief noch ein Tschüss in die Wohnung und ging leicht federnd die Treppe nach unten.

Kopfschüttelnd drehte sich Melzer zu der Wohnungstür, wobei sich schwach die Erinnerung auf seinem Gesicht zeigte. Versonnen dachte er an die Zeit zurück, als er ebenso leicht und federnd den Aufstieg von Treppen bewältigt hatte.

Die Ernüchterung holte ihn wieder zurück in die Gegenwart, als er auf das noch jüngere Paar blickte, das ihn erwartungsvoll aber auch mit Argwohn anblickte. Schnell wischte er sich mit dem linken Handrücken die Schweißperlen, die der Aufstieg in die vierte Etage hervorgerufen hatte, von der Stirn, dabei schloss er leise die Wohnungstür.

Bitte entschuldigen sie mein etwas mitgenommenes Aussehen aber vier Etagen bei der Hitze an einem Sonntag sind auch für mich nicht so einfach zu bewältigen. Mein Name ist Melzer, dabei reichte er der jungen Frau seine rechte Hand, während er verstohlen den jungen Mann betrachtete.

Nachdem die Prozedur des Vorstellens beendet war, ergriff Elke Habermann energisch die Initiative. Wollen wir uns nicht in die Küche setzen und ich gebe Ihnen einen Kaffee. Erleichtert stimmte er dem Vorschlag zu, um der jungen Frau in die Küche zu folgen.

Wolfgang Heller, der immer noch mit einem Tuch versuchte, die Spuren des Fingerabdruckpulvers zu beseitigen, folgte ihnen, allerdings gestört durch den Hund. Dieser hatte es sich anders überlegt wollte unbedingt vor ihnen in der Küche sein. Melzer ließ sich auf den ersten Stuhl, der am nächsten zur Tür stand, fallen, um etwas theatralisch aufzustöhnen.

Wie sie jeden Tag diese Treppen laufen können, bleibt mir ein Rätsel versuchte er anerkennend bei Beiden zu punkten, um bei dem folgenden Gespräch eine lockere Atmosphäre zu erzeugen.

Dies hinderte die Gastgeberin jedoch nicht, ihm ihre Sicht der Vorkommnisse darzulegen. Ohne eine Pause zu machen versuchte sie zu erklären, wie ihr Lebensgefährte im Zusammenspiel mit ihrem Hund Waldemar das Bein gefunden hatte.

Melzer unterbrach den Wortschwall, eine Erzählung aus zweiter Hand würde ihm hier nicht weiter helfen. Deshalb wandte er sich an den jungen Mann.

Herr Heller Sie haben doch das Bein gefunden, ich würde gerne Ihre Version der Geschichte hören.

Während dieser alles in aller Ausführlichkeit erzählte, dabei auch auf die fehlende Unterstützung sonntäglicher Kirchgänger hinwies, starrte seine Lebensgefährtin etwas beleidigt auf den Kommissar, der sie unterbrochen hatte.

Das hast Du mir gar nicht erzählt wandte sie sich empört an ihren Freund als dieser die Episode von dem Radfahrer sowie der Kirchgängerin erzählte.

Was können Sie mir über diesen Gotthilf Weber sagen, glauben Sie, dass er mehr darüber weiß, fragte Melzer Wolfgang Heller, der ihn verwundert anstarrte.

Weber, der Name sagte ihm nichts, bis er sich erinnerte. Oh Sie meinen Gotthilf, nein ich glaube nicht, dass der etwas darüber weiß, der hat sich schon fast in die Hose gemacht, als ich ihn angesprochen habe. Entschuldigen Sie den Ausdruck, aber ich glaube nicht, dass der sich überhaupt um etwas kümmert, was ihn nicht direkt betrifft.

Elke Habermann war immer noch verstimmt als Melzer sich verabschiedete.

Vielleicht habe ich zu einem späteren Zeitpunkt noch Fragen, dann werde ich mich noch mal bei Ihnen melden sagte er zu Heller. Im Anschluss daran verabschiedete er sich ausgesprochen höflich von der Dame des Hauses. Inzwischen konnte nicht mehr genau festgestellt werden, wer mehr zu ihrer Verstimmung beigetragen hatte, er oder ihr Freund, der ihr nicht alles erzählt hatte.

Beim langsamen Hinabsteigen überlegte er kurz, ob er sich noch einen Besuch bei Gotthilf Weber antun sollte oder ob er besser darauf verzichtete. Nach den Erzählungen des jungen Polizisten sowie den Aussagen von Heller über diesen Weber würde die Befragung keineswegs zu einer Verbesserung seiner Stimmung führen. Darum sollte sich besser seine Kollegin kümmern, die deshalb nicht mitgekommen war, weil sie sich gestern wahrscheinlich eine Lebensmittelvergiftung zugezogen hatte.

Seit ihrem Eintreffen im Büro am frühen Morgen war sie nicht mehr von der Toilette gekommen. Auf dem Flur war nur ihr Würgen mit darauf folgendem Übergeben zu hören gewesen, sodass er sich entschlossen hatte, allein zu dem Tatort zu fahren. Es war ja auch nicht zu erwarten, dass für ein Bein gleich zwei Beamte der Mordkommission erforderlich werden. Außerdem war es mehr als unwahrscheinlich, dass dieses Bein sich an genau diesem Ort von dem Rest des anderen Körpers verabschiedet hatte.

Sie saß immer noch, wie eine noch lebende Kalkleiste an ihrem Schreibtisch, als er das Büro betrat.

Katharina Du siehst ja immer noch immer so schlimm aus, warum bist Du nicht nach Hause gegangen, knurrte er sie an, als er sie so dasitzen sah. Sein Knurren sollte die Sorgen übertönen, die er sich machte, am liebsten wäre es ihm, wenn sie ein Krankenhaus aufgesucht hätte, in dem man sie untersuchte.

Du siehst zum Kotzen aus, fuhr er sie an, wenn Du nicht nach Hause gehen willst, dann gehst Du ins Krankenhaus. Als sie sich gegen seinen Vorschlag auflehnen wollte, setzte er nach, oder ich bringe Dich zu Nagel, der untersucht Dich dann auf einem seiner Edelstahltische. Boshaft fügte er an, vielleicht sogar zusammen mit dem Bein.

Nachdem sich Katharina Nolde entschlossen hatte, dass es doch besser war, wenn sie den heutigen Tag im Bett verbringen würde, setzte er sich nachdenklich an seinen Schreibtisch.

Was sollte dieses Deponieren eines Beins an einer Bushaltestelle, war der Täter ein Feind des öffentlichen Straßenverkehrs und weshalb genau an dieser Haltestelle. Er kannte dieses Rätseln zum Beginn eines neuen Falls, diese Fragen die, wenn überhaupt, erst zu einem späteren Zeitpunkt beantwortet werden konnten. Er wusste aber auch, dass diese Fragen wichtig für ihn waren, waren sie doch meist das erste Eindringen in die Gefühlswelt des Täters, brachten ihn, wenn auch noch nicht bewusst, in dessen Nähe.

Was wollte der damit bezwecken, fast immer wurden die Gründe, weshalb etwas getan wurde, zu einem späteren Zeitpunkt klarer. Um sich das zu fragen, weshalb man nicht schon am Beginn der Ermittlungen daran gedacht hatte. Hier waren die Gründe, weshalb jemand ein Bein an einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Er stockte, sollte der Faktor Zeit hier eine Rolle spielen und wie war dieser Faktor einzuschätzen.

Seufzend lehnte er sich zurück, alle Fragen waren zum jetzigen Stadium zu früh, als Erstes sollten sie die Person finden, der dieses Bein abhandengekommen war. Wahrscheinlich war auch, dass sich diese Person nicht freiwillig von so einem wichtigen Körperteil getrennt hatte. Dann stellte sich allerdings die Frage, wenn es nicht freiwillig war, ob er denn noch lebte.

Etwas Merkwürdiges war ihm an der Wartehalle aufgefallen, es war kein Blut in der Umgebung der Wartehalle noch in der Mülltüte, in der das Bein offensichtlich transportiert wurde, festzustellen. Auf einem Notizzettel vermerkte er sich die Fragen, die ihm nach und nach eingefallen waren und die er Nagel stellen wollte, vielleicht würden ihm die Antworten weiterhelfen.

Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er die Geräusche aus seinem Magen nur ruhigstellen konnte, wenn er ihm endlich das lang erwartete Mittagessen zuteilwerden lassen würde.

Mit einem leichten Stöhnen erhob er sich aus seinem Stuhl, als er durch das schrille Klingeln des Telefons auf seinem Schreibtisch zurückgehalten wurde. Seufzend starrte er darauf, zuckte mit den Achseln dann griff er nach dem Hörer. Melzer knurrte er in den Hörer, kann man denn nicht mal zum Mittagessen, ohne gestört zu werden.

Dann hörte er auf das, was der Anrufer ihm erzählte, nahm einen Notizzettel schrieb die angegebene Adresse auf dann bellte er in den Hörer, ich fahre hin. Wieder ein Tag der ihn, wie seine Frau meinte, seinem Idealgewicht näher brachte indem er, wenn auch unfreiwillig, auf sein Mittagessen verzichtete. Erneut war die KTU vor ihm an dem Tatort, als er sein Auto abstellte, um zur Fundstelle zu gehen.

Mit einem leichten Grinsen ging er zu den bekannten Gesichtern, während er meinte, wer hätte gedacht, dass wir uns so kurz hintereinander sehen würden. Während der Fotograf ihm nur kurz zunickte, die Beamtin der KTU ihn fröhlich anlächelte, blaffte Nagel nur, mir bleibt aber auch nichts erspart, zweimal am Tag ist zu viel.

Was haben wir denn gefunden fragte er, wobei er Nagel ansah, der wohl am ehesten sagen konnte, was da vor ihnen in einer Mülltüte lag.

Ein rechter Arm, ob er allerdings zu der gleichen Person gehört die ihr Bein verloren hat, vermag ich allerdings noch nicht zu sagen. Ich kann jedoch schon jetzt sagen, dass er zu einer männlichen Person gehört.

Kannst Du feststellen, ob beides zu der gleichen Person gehört, fragte er vorsichtig bei Nagel an, als der schon unterbrach, im Labor aber nicht mehr heute.

Ist er genau so blutleer wie das Bein wollte er wissen als Nagel nickte, fragte er nach, weißt Du auch, wer ihn gefunden hat. Nagel zeigte auf eine Gruppe von etwa zehn Personen, bei der zwei ältere uniformierte Polizisten standen. Diese versuchten mühsam den Fragen, die auf sie einprasselten, gerecht zu werden.

Ein nochmaliger Blick ließ ihn die Augenbrauen hochziehen, ihm blieb aber auch nichts erspart. Der eine Teil japanischer Touristen redete ohne Pause auf die Beamten ein, während der andere Teil der Reisegruppe alles fotografierte, was aus ihrer Sicht unbedingt festgehalten werden musste. Wenn seine kurze Beobachtung repräsentativ für die vergangenen zehn Minuten war, dann hatte man ihn bestimmt mehr als fünfzig Mal auf irgendeinem Speichermedium festgehalten, wahrscheinlich sogar noch häufiger.

Nun bedauerte er, dass er in der Schule Russisch hatte lernen müssen, Japanisch hätte ihm in der jetzigen Situation sehr viel besser weiter geholfen. Mit all der gebotenen Vorsicht, mit der man einer japanischen Reisegruppe während ihrer Hauptbeschäftigung, des Fotografierens, begegnen konnte, ging er auf die Ansammlung zu. Voll Mitleid sah er zu den uniformierten Beamten, die hilflos mit den Achseln zuckten, ihren Kopf schüttelten oder ihre Augen verdrehten.

Das Verhalten der beiden Polizisten veränderte sich, als sie den ranghöheren Beamten auf sich zukommen sahen, zugleich schöpften sie die Hoffnung, von der asiatischen Übermacht befreit zu werden. Die Veränderung der Beamten war auch der Reisegruppe nicht entgangen. Endlich glaubten sie die Antworten auf ihre Fragen zu erhalten, die sie bisher vergeblich an diese beiden Langnasen gestellt hatten.

Bevor sich die Gruppe auf ihn stürzen konnte, fragte er noch schnell an die beiden Beamten gerichtet, wer hat das Teil gefunden.

Achselzuckend meinte einer der Polizisten, es war uns nicht möglich, auch nur eine Frage sinnvoll zu stellen Herr Kommissar, wir wissen es nicht.

Neugierig und höflich warteten die Teilnehmer der Reisegruppe ab, wie es nun weitergehen würde, nachdem endlich ein im Rang angemessener Beamter auf der Bildfläche erschienen war.

Langsam löste sich ein junger Japaner aus der Gruppe und kam näher, verneigte sich leicht dann sprach er in deutlich erkennbarem Deutsch.

Guten Tag Herr Kommissar, mein Name ist Herr Mizuki, ich bin der Reiseleiter und kann Ihnen bestimmt weiterhelfen. Dann trat er leicht lächelnd einen Schritt zurück, blickte wie nach Beifall heischend zu seiner Gruppe, um auf die Fragen zu warten, die unweigerlich folgen würden.

Die beiden Polizisten blickten verblüfft zu dem Reiseleiter, der sich während der Zeit, die sie wartend zugebracht hatten, nicht ein Wort in Deutsch an sie gerichtet hatte.

Herr Mizuki, die Nennung des Namens kam etwas zögernd über seine Lippen, können Sie mir sagen, wer den Müllbeutel gefunden bzw. den Arm gefunden hat.