Geplant ins Chaos - Ernst Meder - E-Book

Geplant ins Chaos E-Book

Ernst Meder

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Beschreibung

Jahrelang hatte ich nach Gründen gesucht und gefunden die Fahrradtour zu verschieben, die sich seit langem in meinem Unterbewusstsein festgesetzt hatte. Je näher der nächste Termin kam, desto fieberhafter begann ich, wie jedes Jahr, die Suche nach einer Ausrede. Da die Zeit nicht nur an meinem Fahrrad, sondern auch an mir nagte, war abzusehen, dass es von Jahr zu Jahr schwieriger werden würde, wenn ich es weiter vor mir herschieben sollte. Als langsam die Ausreden zur Neige gingen, musste ich mich entscheiden, wollte ich den lang gehegten Wunsch umsetzen oder sollte ich so ehrlich sein und das Vorhaben endgültig einstellen. Die Gewissheit, eine endgültige Entscheidung treffen zu müssen führte dazu, nach wie auch immer gearteten Lösungen zu suchen. Ich wollte meinen Traum verwirklichen, würde die Fahrradtour nicht so einfach aufgeben.

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Seitenzahl: 173

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Impressum Verlag: epubli GmbH, Berlin,www.epubli.de Copyright © 2017 Ernst Meder ISBN: 978-3-7418-9652-1

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Buch darf nicht – auch nicht auszugsweise – ohne schriftliche Genehmigung kopiert werden.

Geplant ins Chaos

Imaginäres Tagebuch einer

realen Fahrradtour

von

Ernst Meder

Für Svenja Tabea

»Das Fahrrad wird niemals das Pferd ersetzen,

andererseits wird das Pferd auch niemals das Fahrrad ersetzen,

weil es nichts Schöneres gibt, als ein Pferd auf einem Fahrrad«.

(Groucho Marx, US-amerikanischer Komiker und Schauspieler, 1890 – 1977)

1. Kapitel

Die Vorbereitung

Es war der erste Sommertag in diesem Jahr. Ein paar weiße Kumuluswolken zogen langsam über den Himmel und je länger man ihnen zusah, desto häufiger verwandelten sie sich in Tierfiguren, die sich träge bewegten. Die Sonne schien, als habe man ihr verschwiegen, dass der Monat April Teil des Frühlings ist und die Temperaturen eigentlich erst zum Sommer erwartet werden.

Als wären sie dem Aufruf eines Radiosenders gefolgt so erschienen wie von Zauberhand die Berliner in sommerlicher Kleidung auf den Straßen und nahmen – wie selbstverständlich – die Straßenkaffees in Besitz. Dabei war es unerheblich, wie alt sie waren oder zu welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlten, sie wirkten alle gelöster. Unbefangener, das Lächeln fröhlicher und die ursprünglich verkniffenen Züge befreiter, erschien es wie ein Wunder, das sich Jahr für Jahr wiederholte und trotzdem nie langweilig wurde.

Beobachtete man die vielen Spaziergänger und Passanten, dann fragte man sich unwillkürlich, wo waren sie in den vergangenen fünf bis sechs Monaten. Hatten sie sich in ihrer Wohnung eingeschlossen um das Ende der Tristesse abzuwarten, waren sie verreist oder hatten sie sich einfach nur verkleidet.

Die Wirkung die so ein paar Sonnenstrahlen nach langer Zeit der Dunkelheit hervorrufen, lässt sich nicht mit einfachen Worten beschreiben. Es ist das Leuchten in den Augen, die Sehnsucht nach der Sonne und die Hoffnung auf den baldigen Sommer. Dabei ist es unerheblich, wie alt man ist oder sich fühlt, mit der ersten Sonne schmelzen die eingefrorenen Gesichtszüge und der Umgang miteinander ist, als würde man mit einem Mal zurück versetzt in den Sommer wie man ihn bereits ein Jahr zuvor erlebte.

Jeder nutzte diesen unerwarteten Temperaturanstieg auf seine Weise, Fußwege und naheliegende Parks waren überfüllt wie seit langem nicht mehr und die Straßenkaffees platzen aus ihren Nähten. Junge Mütter schoben stolz erhobenen Hauptes und mit einem verklärten Lächeln im Gesicht ihren Transporter mit dem gerade geschlüpften Nachwuchs. Um von anderen Passanten wahrgenommen zu werden, blieben sie nach ein paar Metern stehen, beugten sich über den Wagen zupften an der Decke und vergewisserten sich, ob die Ursache des Lächelns noch vorhanden ist.

Keiner wollte an so einem Tag an die Unberechenbarkeit des Monats April denken, alle wollten diesen Tag nur genießen.

Ich hatte bereits einige Tage vorher meinen betagten Lastesel aus dem Winterschlaf geweckt, auch wenn dies von Jahr zu Jahr schwieriger wurde. Da meine handwerklichen Fähigkeiten begrenzt sind, dauerte es auch von Jahr zu Jahr immer länger ihn aus dem Winterschlaf zu wecken, um ihn fahrtauglich zu machen.

Trotzdem konnte ich nie vermeiden, dass meine anschließenden Fahrten mit diesem Fahrrad immer wieder einiges an Überraschungen zum Vorschein brachten. Ob es der Ausfall der Beleuchtungsanlage in der abendlichen Dämmerung war oder der Überraschungsmoment bei den Schaltvorgängen der nicht besonders präzisen Sachs Huret Schaltung, vor unerwarteten Ereignissen war man bei diesem Fahrrad nie gefeit.

In diesen Tagen meldete sich wieder ein Gedanke, der sich in meinem Unterbewusstsein eingegraben hatte und den ich längst in meinem weiteren gedanklichen Unrat vergraben glaubte. Eine Fahrt mit dem Fahrrad von Berlin bis an die Ostsee. Diese Eingebung aus grauer Vorzeit, es lag bestimmt zwei oder drei Jahre zurück, wagte sich in den Vordergrund, begann sich erneut in meinem Unterbewusstsein festzusetzen und zu verselbstständigen.

Ein Blick zu meinem Drahtesel machte mir die Vermessenheit dieses Gedankens bewusst, als ich mir das Unvorstellbare vorzustellen versuchte. Ein weiterer Gedanke erfolgte unmittelbar, wollte ich mir die zu erwartenden Strapazen wirklich zufügen oder war es der »jugendliche« Leichtsinn, der mich vor zwei Jahren dazu verführt hatte.

Nein, es war eine sehr gute Freundin, die spontan eine Radtour unternommen hatte, und später davon schwärmte. Ihre anfängliche Begeisterung konnte auch der häufige Regen nicht schmälern, sondern sie betrachtete es als besonderes Vergnügen, wenn dieser ausblieb.

Es war das Besondere an der Fahrt, sich ausschließlich mit sich selbst und der Natur auseinanderzusetzen und die alltäglichen Widrigkeiten auszublenden. Vielleicht war es eine besondere Form der Entschleunigung, denn der Alltagsstress schob sich immer mehr in den Hintergrund so ihre damalige Aussage. Die Vorstellung Urlaub in der Ruhe eines Klosters zu finden kam diesem Gefühl sehr nahe.

Sie klang begeistert, wenn sie davon erzählte, von den erfreulichen Begegnungen bei ungeplanten Übernachtungen die ihre Fahrt ohne Ziel mit sich brachte. Es war die Besonderheit, die Fahrt ohne ein bestimmtes Ziel begonnen zu haben und – vielleicht gerade deshalb – jedes der Ziele genossen zu haben, sich ohne Vorbehalt darauf eingelassen zu haben. Es muss an dieser Begeisterung gelegen haben, die in mir dieses Begehren ausgelöst hatte.

Nachdenklich betrachtete ich das vor mir stehende Zweirad, die Beulen, Kratzer und Rostflecken, für die größtenteils ich mit verantwortlich war, die erhebliche Zahl von Schäden die ich fast alle kannte. Dazu kam, dass sich der Zustand meiner Körperteile in einem ähnlich desolaten Zustand wie die Teile meines Fahrrades befanden.

Wir hatten sozusagen gemeinsam unsere beste Zeit hinter uns gelassen, Physis und Fahrradteile an ihre Grenzen geführt und warteten eher auf eine Abwrackprämie, als auf neue Höhenflüge. Ich wollte mir nichts vormachen, eher würde Moses wieder einen brennenden Dornbusch sehen, als dass ich mit diesem Vehikel bis an die Ostsee kommen würde.

Trotz der nicht besonders günstigen Voraussetzungen begann sich langsam ein Gedanke, ohne mein Zutun, in den Vordergrund zu schieben. Dabei wurden meine inneren Bedenken ignoriert, so als würde ein anderer den weiteren Fortgang bestimmen. Diese widerstreitenden Gefühle konnten nur eins bedeuten, ein bösartiges Subjekt hatte sich meiner Gedankengänge bemächtigt und ignorierte meine nicht unerheblichen Einwände.

Dieses Subjekt begann bereits mit den ersten Schritten einer fiktiven Planung, dessen Ziel sich noch im Nirgendwo befand. Obwohl ich versuchte dieser Planung Einhalt zu gebieten, schien dies niemand wirklich zu interessieren. Einwände wurden abgeschmettert Bedenken ignoriert oder man provozierte mich, indem man auf Vorschlägen beharrte, die ich für nicht durchführbar hielt.

Mein Hinweis auf meine langjährige Karriere als aktiver Nichtsportler ließ man abprallen, dann wäre es ja endlich Zeit mit sportlichen Aktivitäten zu beginnen. Lange genug hätte ich auf der faulen Haut gelegen. Mein Einwand, dass ich miese Laune verbreiten würde, wenn ich mit müden Beinen und einem grauenvollen Muskelkater zu Hause einträfe, schien kein Hindernis.

Spätestens, wenn ich den Anstieg der Endorphine bemerkte, würde ich mich ohne weiteren Antrieb auf das Fahrrad schwingen, um es zu wiederholen. Das wäre dann der Punkt, an dem ich den inneren Widerstand überwunden und die Veränderung genießen würde.

Sollte dieses eigenwillige Subjekt der sogenannte innere Schweinehund sein, vor dem man mich immer gewarnt hatte. Wenn es mir nicht gelang, diesen abzuwehren dann blieb mir keine Wahl. Ich musste diesen so schnell als möglich überwinden erst danach würde alles wie von selbst gehen. Es waren fast drei Tage - vor allem schlaflose Nächte - bis mein innerer Widerstand die weiße Fahne als Zeichen der Kapitulation schwenkte.

Eine der ersten Maßnahmen nach der Kapitulation bestand darin, das Internet nach Erfahrungsberichten zu durchsuchen. Wenn ich mich schon auf ein solches Abenteuer einließ, so wollte ich wenigstens vor den schlimmsten Überraschungen gefeit sein. Ich wollte mich nicht sehenden Auges auf ein Experiment einlassen, dessen Ende nicht vorhersehbar war.

Da waren Berichte über Touren, deren Wahrheitsgehalt ich bereits nach Lesen der ersten Zeile in Frage stellte. Manche Blogeinträge wurden wahrscheinlich mit dem Schweiß der Tour geschrieben, denn nach wenigen Worten war die Transpiration der Blogger zu sehen ja sogar zu fühlen. Wer genau hinsah, der konnte sich einem Kribbeln in der Nase nicht entziehen denn bereits beim Lesen stieg einem der Geruch der verschwitzten Kleidung in die Nase.

Als Krönung des Ganzen wurden die Verhältnisse der Radwege diskutiert, die von Asphalt über grobes Pflaster zu Betonplatten und Waldwegen mit sandigem Untergrund führten. An vereinzelten Stellen wurde man darauf hingewiesen, dass das Fahrrad getragen werden muss. Die Auseinandersetzung über die Steilheit der Anstiege in Brandenburg ließ vermuten, dass sich die Teilnehmer der Tour in den Alpen oder Pyrenäen befinden.

Damit wurde mir bereits beim Lesen bewusst, dass mehrere Annahmen von mir sich nach und nach in Luft auflösten. Weder hatte ich es mit mehr oder weniger plattem Land noch mit einem zweckmäßig ausgebauten Radwegfernwegesystem zu tun. Bei den weiteren Recherchen stellte ich sehr bald fest, dass die unterschiedlichsten Typen von Radfahrern die nach ihrer Ansicht allein seligmachende d. h. die von ihnen vertretene Sicht die einzig Richtige über die Nutzung des Fahrrades sei.

Ähnlich dem Typus Autofahrer, der sinnvollerweise in der Stadt einen kleinen PKW nutzt und der sich mit den unterschiedlichsten Größen von Fahrzeugen wie der Golf-Klasse bis zu einem panzerähnlichen Gefährt wie einem SUV auseinandersetzen muss. Zusätzlich waren erschwerend schnelle Sportwagen der unterschiedlichsten Marken unterwegs, die meist von Fahrern, die nach dem Motto »je älter der Fahrer desto schneller das Fahrzeug« gelenkt wurden.

Auch bei Radfahrern konnte man diese unterschiedlichsten Typen an ihrem Verhalten bzw. an ihrer Fahrweise festmachen. Da gibt es die »Schnellfahrer«, die während der Woche tief über Rennradlenker gebeugt, den Rucksack mit Bürokleidung vollgestopft ins Büro fahren. Am Wochenende werden dann die professionellen enganliegenden Trikots und die kurzen Radhosen dem Vorratsschrank entnommen, um sich mit Gleichgesinnten auf bekannten Fahrradstrecken zu privaten Radrennen zu verabreden.

Eine Untergruppe davon sind die nur an Wochenenden auf Landstraßen anzutreffenden Rennfahrer, die auf ihren Liegelenkern unterwegs sind und man sofort den Eindruck gewinnt, dass diese Fahrer, die symbiotisch mit ihren Zweirädern verschmelzen, sich bereits vor Längerem von ihrem Bett oder ihrer Liegestatt getrennt haben, um ausschließlich ihrer Leidenschaft zu frönen.

Nicht zu vergessen die Liege-Radfahrer, die nicht mitbekommen haben, dass die Entwicklung ihrer Fortbewegung mit der Kindheit nicht beendet ist. Wahrscheinlich gewaltsam von übereifrigen Vätern noch als Kleinkinder von ihren Bobby-Cars gerissen, um endlich das Fahrradfahren zu lernen. Dies führte offensichtlich dazu, dass es zu einer frühkindlichen emotionalen Störung mit Trennungsangst kam, und die nun im Erwachsenenalter durch diesen Bobby-Car-Ersatz kompensiert wird.

Eine weitere Kategorie in der Summe der Radsportler sind Mountainbiker oder solche, die sich dafür halten. Kein noch so kleiner Hügel oder Freitreppe wird ungenutzt gelassen, auch wenn dafür ein nicht vertretbarer Umweg hingenommen werden muss.

Dies zeigte man großspurig anderen Radfahrern, indem man Abkürzungen wählt, die diesen verschlossen sind, auch wenn dafür die eigentlich für die Stadt unbequemen grobstolligen Reifen in Kauf genommen werden müssen. Nur die wenigsten Biker sind tatsächlich darauf angewiesen diese Abkürzungen über Stock und Stein aus Zeitgründen zu wählen, außer man akzeptiert als Ausnahme Radkuriere, die in der Regel ebenfalls mit MTB’s unterwegs sind.

Eine Sonderform der Mountainbiker sind die sogenannten Kamikaze-Biker, die man an ihrer starren Haltung an dem extrem fokussierten Blick erkennt. Straßenverkehrsordnung oder Ampelanlagen sind aus deren Wortschatz gestrichen, es geht sogar so weit, dass diese Begriffe unbekannt in ihrem täglichen Alltag sind. Häufig anzutreffen sind Kamikaze-Biker an verkehrsreichen Kreuzungen, dort sieht man sie mit starrem Blick ohne nach rechts oder links sehend die Kreuzung überqueren dabei alle Ampelschaltungen ignorierend.

Vielleicht liegt deren Verhalten darin begründet, dass diese Spezies auch im Winter bei Temperaturen unterwegs sind, wie sie in polaren Gefilden erreicht werden. Eine der glaubwürdigeren Aussagen versuchte zu erklären, weshalb Ampelanlagen prinzipiell ignoriert werden. »Wenn ich bei extremen Minustemperaturen an der Ampel stehen bleibe, friere ich genau in dieser Stellung fest. Und wer möchte schon auf den Frühling warten, bis er wieder weiter fahren kann«. Da Menschen bekanntermaßen Gewohnheitstiere sind, erklärt sich das Verhalten in den Sommermonaten von selbst.

Eine besondere Spezies sind Trekking-Biker in der Stadt, deren Gepäckträger immer mit mindestens zwei meist jedoch mit mehr prall gefüllten Fahrradtaschen bestückt sind. Dabei erwecken sie den Eindruck sie befänden sich auf der Flucht oder würden mit ihrer gesamten Habe einen Umzug mit dem Fahrrad durchführen.

Bisher ist es mir noch nicht gelungen festzustellen, ob meine Annahmen tatsächlich zutreffen oder ob nur der tägliche Einkauf für die mehrköpfige Familie verrichtet wurde. Ein besonders böser Kommentar kam von einem Bekannten, der behauptete, diese Pseudo-Trekkingfahrer würden ihre Taschen nur mit federleichtem Füllmaterial ausstaffieren um den Eindruck zu erwecken sie würden große Lasten von A nach B bewegen.

Zu guter Letzt sind da noch die Alltagsradfahrer, die mit den unterschiedlichsten Fahrrädern unterwegs sind und man beim Betrachten dieser den Eindruck gewinnt, diese hätten bei der Auswahl ihres Drahtesels keine besondere Auswahl getroffen, sondern unter dem Aspekt des gerade verfügbaren gewählt.

Da alle Gewichts- und Altersklassen in dieser Kategorie vertreten sind, werden diese Fahrräder in der Regel selten mit mehr als zehn Kilometern Tagespensum belastet. Auch ich, als Angehöriger dieser letzten Kategorie, habe einen unterdurchschnittlichen Trainingsstand und greife bei Strecken jenseits dieser ominösen Entfernungsgrenze lieber auf ein motorgetriebenes Vehikel. Zudem kann ich Behauptungen, dass ich ausschließlich ein Schönwetter-Radfahrer wäre, nie widerlegen, da es schlichtweg der Wahrheit entspricht.

Trotz aller Hemmnisse, die sich vor mir aufzutürmen drohten, begann ich nach Lösungen zu suchen, um das perspektivisch angedachte Vorhaben doch noch ausführen zu können. Neben den umfangreichen Recherchen über eventuelle Strecken, Tagesetappen oder Ausweichrouten begann ich mit meiner Arbeit an der, wie ich inzwischen aus zahlreichen Tweets gelernt hatte, Grundfitness zu arbeiten.

Wie nicht anders zu erwarten, waren es die natürlichen Feinde, die sich meinen körperlichen Anstrengungen widersetzten, indem sie nach einem sonnigen Wochenende mit Wetterkapriolen meine Fitness zu verhindern suchten. Der Temperatursturz von dreiundzwanzig Grad bis nahe an die Frostgrenze von zehn Grad ließ nicht nur meine untrainierten Gelenke in eine Starre fallen, auch die nicht minder angerosteten Bauteile meines Fahrrades fielen ob der Kälte in einen Schockzustand.

Da die Temperaturen sich unterhalb meiner Radfahrwohlfühltemperatur von mindestens achtzehn Grad festzusetzen schienen, befasste ich mich mit dem aus meiner Sicht erforderlichen Equipment für ein derart strapaziöses Vorhaben.

Außerdem sah ich mir zur Einstimmung zahllose Videos über vergleichbare Radtouren an. Als besonders verstörend empfand ich, dass Protagonisten dieser Videos das Wetter selten thematisierten und wenn, dann nur als Nebenaspekt. Eines der Videos beeindruckte mich nachhaltig, da der Hauptakteur bei Schnee und Eis sowie einer Temperatur um den Gefrierpunkt seine mehrtägige Trekkingtour begann, für die zwischenzeitlichen Übernachtungen hatte er ein Zelt vorgesehen.

Diesen Aspekt der Tour hatte ich bisher gänzlich vernachlässigt, wo und wie wollte ich übernachten, in einem Zelt auf einem Zeltplatz oder einem Wohnwagen, es bedurfte keiner längeren Überlegung, ich würde auf beides verzichten. Nach einem mehr oder weniger anstrengenden Tour-Tag stellte ich mir eine warme Dusche mit anschließender weicher Matratze in einem Hotel oder Pension vor. Auch auf die in dem Video gezeigte Nahrungsaufnahme - Fertiggericht aus der Dose - wollte ich gerne verzichten.

Damit kam das nächste Problem auf mich zu, weder wusste ich, welche Entfernungen ich jeden Tag zurücklegen konnte oder wollte noch hatte ich ein bestimmtes Ziel. Bisher wusste ich nur die Himmelsrichtung - Norden - und ein entferntes Ziel - Ostsee - wenn ich diesen nicht enden wollenden Weg tatsächlich bewältigte.

Nun befasste ich mich seit annähernd drei Wochen mit der Vorbereitung einer fiktiven Fahrradtour, von der ich nur eins mit Sicherheit wusste, der Zeitpunkt für die Tour war unbestimmt. Die Frage, ob sie in diesem Jahr überhaupt stattfinden konnte, stellte sich immer drängender denn ich hatte während des gesamten Zeitraums keine fünf Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt.

Wenn es so weiter ging, hatte ich die Fahrradtour Berlin-Kopenhagen mehrfach zurückgelegt, ohne meinen Schreibtischstuhl je verlassen zu haben. Aber ich fand schnell einen Schuldigen, dazu genügte ein Blick aus dem Fenster und auf das Außenthermometer, welches immer noch Temperaturen im unerquicklichen Bereich anzeigte.

Der Monatswechsel stand unmittelbar bevor und die Auguren des Wetterdienstes hatten in ihren Vorhersagen darauf hingewiesen, dass endlich wieder mit dem Überschreiten meiner Grenztemperatur von achtzehn Grad zu rechnen sei.

Obwohl mir bewusst war, dass ich die »große Tour« nicht mit meinem derzeitigen Fahrrad bewältigen konnte, musste ich wohl oder übel mit meinem alten Vehikel wenigstens mit dem Training beginnen. Also suchte ich am Computer eine leichte aber definierte Strecke um meinen derzeitigen Leistungsstand einschätzen zu können.

Das Fiasko konnte ich am Abend im Badezimmerspiegel sehen, wo mich ein mir unbekanntes erschöpftes Gesicht mit blutunterlaufenen Augen anstarrte. Dazu kamen Beine mit einer Konsistenz zwischen Pudding und Gelee sowie ein schmerzendes Hinterteil, welches ich an diesem Abend nicht mehr belasten wollte.

Wenn ich das Ergebnis meines ersten Trainingstages mit den zurückgelegten Kilometern ins Verhältnis setzte, war eine Tour die ernsthaft diesen Begriff verdiente erst in zwei Jahren möglich. Die zurückliegenden dreiundzwanzig Kilometer hatte mein Fahrrad zwar unbeschadet überstanden, den Preis dieser Tortur hatte ausschließlich ich zu zahlen.

Jede aber auch wirklich jede Personengruppe unabhängig von Alter, Geschlecht und Gewicht hatte mir Grenzen aufgezeigt, wo ich diese nie vermutet hatte. Dabei war es vollkommen unerheblich, ob ein Anstieg oder eine Abfahrt zu bewältigen war, meist blieb ich zweiter Sieger.

Mit einer Ausnahme, eine Familie mit zwei kleinen Kindern, die ebenfalls auf ihren Fahrrädern unterwegs waren, konnten meiner geballten Vehemenz nicht widerstehen, sodass ich mit einer Überheblichkeit überholte, die die vorherigen Niederlagen wettmachte.

Die Verdrängung funktionierte nur noch an diesem Tag, die Realität holte mich bereits am nächsten Tag ein und brachte die Ernüchterung, die ich vorher so erfolgreich ausgeblendet hatte. Und ich war so ehrlich, dass ich mein Experiment als vorerst gescheitert betrachtete.

Wie hatte ich nur so verwegen sein können und mir ein derart illusorisches Ziel vorzunehmen. Sollte ich das gesamte Vorhaben einfach aufgeben? Nein, ich hatte es bereits zu vielen Bekannten erzählt, wollte mir nicht die Blöße geben, bereits im Vorfeld gescheitert zu sein.

Mit schmerzenden Gliedern und einem Muskelkater an diversen Stellen, auch an solchen, an denen ich nie Muskeln vermutet hatte, begann ich nach alternativen Lösungen zu suchen. Eine Maßnahme verwarf ich sofort, noch ehe sie die Möglichkeit fand sich in meinen Gedanken festzusetzen, die Tour auf einem Tandem mit einem tretfreudigen Mitreisenden, schließlich hatte ich keine Gruppenreise geplant.

Vielleicht sollte ich mich doch mit der Alternative beschäftigen, die ich bisher als indiskutabel abgelehnt hatte, da Kosten und Nutzen nicht zumutbar für ein einmaliges Unterfangen waren. Nachdem ich diese innere Sperre überwunden hatte, begann ich mit erneut erwachtem Elan mich mit den Fahrrädern auseinanderzusetzen, über die ich bisher verächtlich die Nase gerümpft hatte, den sogenannten E-Bikes.

Ich bemerkte sehr schnell, dass das von mir präferierte E-Bike in der Realität Pedelec genannt wurde. Wegen der unterschiedlichen Termini lieferte meine Suche so eigenwillige Ergebnisse, dass ich mich zunächst damit auseinandersetzte, was für ein Produkt ich tatsächlich suchte. Nach kurzer Zeit hatte ich das Pedelec - nicht S-Pedelec - als das Fahrrad mit Motorunterstützung identifiziert das meinen Vorstellungen entsprach.

Natürlich war ich mir bewusst, dass es bei einem Preisgefüge von achthundert Euro bis zehntausend Euro qualitative Unterschiede geben musste, beide Extreme hielt ich für mein Vorhaben indiskutabel.

Das Pedelec, das ich suchte, hatten andere bereits in unterschiedlichen Kategorien als eierlegende Wollmilchsau bezeichnet und zu deren Leidwesen nie gefunden. Nun begab ich mich auf die Suche nach einem derartigen Wunder auf zwei Rädern, welches günstig mit maximaler Unterstützung eine große Reichweite erzielt und dabei mein Hinterteil pfleglich behandelt.

Die Erhellung auf dem Weg zu meinem Wunder auf zwei Rädern erhoffte ich in den verschiedensten Erfahrungsberichten und Blogs zu finden, dabei wurde bei mehr als fünfzig Prozent der Aussagen darauf hingewiesen, dass man die Entfernungsangaben der Hersteller skeptisch zur Kenntnis nehmen sollte, da die Angaben häufig durch zu viele Faktoren beeinflusst würden.

Meist wurde bei normaler Nutzung gerade mal der untere Wert der Reichweite für Kilometerangaben erreicht. Natürlich lag die Diskrepanz zwischen Prospekt und Realität nie an den Herstellern, unzählige Erklärungsversuche auf häufig herrschende Umwelteinflüsse wie Straßenbelag, Steigung sowie die Windverhältnisse zeigten, bei wem die Fehler lagen, dem Fahrer. Dieser besaß die Unverfrorenheit die prospektierten Angaben tatsächlich zu erwarten und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, gab er die Schuld den Herstellern.

Der einzige Faktor, der bisher noch keine negativen Einflüsse auf die Entfernung zu haben schien, war die Erdrotation, was nur an der Einfallslosigkeit des Vertriebs gelegen haben mochte. Auch der Hinweis, dass der obere Wert der Reichweite nur dann erzielt werden kann, wenn man auf die elektrische Hilfe verzichtet oder bei geringer motorischer Hilfe mit ausgleichender Muskelkraft kompensiert, fehlte in der Regel.

Einhellig wurde in allen Berichten auf ein wichtiges Bauteil Bezug genommen, wenn über Maximierung von Entfernungen diskutiert wurde, dem Akku. Also konzentrierte ich meine Suche auf maximale Leistung bei einem noch vertretbaren Preis für ein Pedelec, den ich für mich bei maximal zweitausend Euro festmachte.

Mit den Kriterien Trekkingrad mit einem Akku von mindestens fünfhundert Wh sowie einem Preis unter zweitausend Euro begann ich meine Suche. Mit der Quintessenz meiner Suche begann ich Vergleiche anzustellen, um das Pedelec zu finden, welches meinen Vorstellungen am Nächsten kam.

Mit dem Gedanken die Fahrradtour mit einem Pedelec durchzuführen eröffneten sich plötzlich neue Horizonte, eine Beschränkung der täglichen Strecke als auch die Länge der Gesamtstrecke, wie bisher angenommen war plötzlich verschwunden. Mit neu erwachtem Elan begann ich parallel zur Suche nach einem passenden Pedelec mit der Planung erweiterter Touren.