Es muss wohl an dir liegen - Mhairi McFarlane - E-Book
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Es muss wohl an dir liegen E-Book

Mhairi McFarlane

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Beschreibung

Nach "Wir in drei Worten" und "Vielleicht mag ich dich morgen" kommt endlich der neue Liebes-Roman der Spiegel-Bestsellerautorin Mhairi McFarlane - romantisch, witzig und unterhaltsam. Wie viele Schmetterlinge passen in einen Bauch? Mit ihren tizianroten Haaren und ihren Kurven ist Delia vielleicht nicht ganz der Model-Typ, aber dass Paul sie nach zehn Jahren gemeinsamen Glücks mit einer Studentin betrügt, trifft sie ziemlich unvorbereitet. Am Anfang glaubt sie, alles sei ihre Schuld. Doch dann erkennt Delia, dass die zerplatzten Seifenblasen von gestern die Chance auf das Glück von morgen bedeuten: Denn nun kann sie selbst entscheiden, wie sie die bunten Puzzleteile ihres Lebens neu zusammensetzt. Kurzerhand zieht sie zu ihrer besten Freundin Emma nach London und sucht sich einen neuen Job. Alles könnte gut werden. Wäre da nicht Adam, ein Skandalreporter und der härteste Konkurrent ihres neuen Arbeitgebers - denn er bringt die Schmetterlinge in Delias Bauch plötzlich kräftig in Wallung. Und zu allem Übel setzt Paul wieder alle Hebel in Bewegung, um Delia zurückzugewinnen. »Originell, scharfsinnig und witzig - ein moderner Liebesroman in höchster Vollendung.« Heat »Unterhaltsam und einfach nur entzückend.« OK!

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Seitenzahl: 647

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Mhairi McFarlane

Es muss wohl an dir liegen

Roman

Aus dem Englischen von Katharina Volk

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Mit ihren roten Locken und den paar Pfunden zu viel ist Delia nicht ganz der Modell-Typ, aber dass Paul sie nach zehn Jahren gemeinsamen Glücks mit einer Studentin betrügt, trifft sie trotzdem ziemlich unvorbereitet. Zu allem Übel findet Delia das auch noch genau an dem Abend heraus, an dem sie Paul einen Heiratsantrag gemacht hat. Sie dachte, sie würden zusammen alt werden! Und sie dachte, dass Paul das auch will. Kurzerhand packt Delia ihre Sachen und flüchtet nach London. Dort lernt sie den gar nicht mal unattraktiven Adam kennen. Alles könnte seinen Gang gehen. Wäre da nicht Paul, der auf einmal alle Hebel in Bewegung setzt, um Delia zurückzugewinnen.

Inhaltsübersicht

Widmung

[Zwischenblatt]

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

[Zwischenblatt]

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

[Zwischenblatt]

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

[Zwischenblatt]

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

[Zwischenblatt]

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

[Zwischenblatt]

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

68. Kapitel

69. Kapitel

70. Kapitel

[Zwischenblatt]

71. Kapitel

72. Kapitel

73. Kapitel

74. Kapitel

75. Kapitel

[Zwischenblatt]

Dank

Leseprobe »Du hast mir gerade noch gefehlt«

 

 

 

 

Für Tara

Eine der heldenhaftesten Frauen, die ich kenne

1

Ann stapfte in ihren King-Kong-Puschen mit einem Joghurt, einem Löffel und ärgerlich verzogenem Gesicht herüber.

»Das Zeug in dem Tupperbehälter mit dem blauen Deckel, ist das deins?«

Delia blinzelte.

»Im Kühlschrank?«, half Ann nach.

»Ja.«

»Es stinkt ganz furchtbar. Was ist das?«

»Chili-Garnelen. Ein marokkanisches Rezept. Reste von gestern Abend.«

»Tja, der Gestank ist bis in meinen Müller-Knusperjoghurt gekrochen. Könntest du bitte nicht so aggressives Essen mit ins Büro nehmen?«

»Oh, ich dachte, die wären nur sehr selbstbewusst.«

»Das ist wie Eiersandwiches im Zug. Das macht man einfach nicht. Oder Burger im Bus.«

»Nicht?«

Delia kam es ein wenig bizarr vor, wegen ihres Snacks beschämt zu werden von einer Frau, die zu einem Siebtel als Monsteraffe herumlief. Ann trug diese Puschen, weil sie extreme Ballenzehen hatte. Ihre Füße sahen aus, als könnten sie sich auf den Tod nicht ausstehen.

»Nein. Und Roger will dich sprechen«, schloss Ann.

Sie kehrte an ihren Platz zurück, stellte den kontaminierten Joghurt beiseite und stach mit steifen Zeigefingern energisch auf ihre Tastatur ein. So energisch, dass ihr violettschwarz gefärbter Haarschopf wackelte. Delia nannte diesen Farbton insgeheim »Matschige Aubergine«.

Anns polizeistaatliche Kontrolle des Bürokühlschranks war beängstigend. Obwohl sie jenseits der Wechseljahre angekommen war, füllte sie ihre fettarme Milch immer in einen Plastikbehälter um, den sie mit »Muttermilch« beschriftete, um Diebe abzuschrecken.

Sie war eine dieser Frauen, die ein Übermaß an Empfindlichkeit mit rücksichtsloser Brutalität verbinden. Auf ihrem Schreibtisch stand eine gerahmte Stickerei mit einem Bibelzitat über die Liebe, direkt neben der Liste, wer der Kaffeekasse wie viel schuldete, auf den Cent genau. Bei der weihnachtlichen Wichtelrunde hatte sie Delia einen Personenalarm geschenkt, der Vergewaltiger abschrecken sollte.

Delia stand auf und ging zu Rogers Schreibtisch hinüber. Als Pressesprecherin der Stadtverwaltung von Newcastle kam man nicht in den Genuss eines sonderlich inspirierenden Ambientes. Die in der Theorie durchaus nette Aussicht versperrten rauhe Lamellenvorhänge in einem Haferbrei-Farbton, der alles schmutzig aussehen ließ, schon bevor es schmutzig war – das sparte Reinigungskosten. Ein paar Grünlilien mit braunen Spitzen wie Spinnenbeine schienen beim Versuch, von den Regalen zu krabbeln, verendet zu sein. Die grellen gelben Lampen, die in die Styropor-Deckenplatten eingelassen waren, tauchten alles in 1972.

Delia verstand sich recht gut mit den übrigen Angestellten, die meisten ziemlich still und ziemlich über vierzig. Doch geographisch war sie hinter der Klagemauer von Kollegin Ann gefangen, die sämtliche über sie hinweg geführten Gespräche unweigerlich an sich riss.

Delia erreichte Rogers Schreibtisch am anderen Ende des Raums.

»Ah, Delia! Unsere Expertin für die sozialen Medien und Büro-Schnüfflerin. Ich habe hier ein kleines Katz-und-Maus-Spiel für Sie«, sagte er und schob ihr mehrere DIN-A4-Seiten hin.

Sie gleich als »Büro-Schnüfflerin« zu bezeichnen, weil sie diejenige gewesen war, die den Ursprung des hartnäckigen Gestanks in der Damentoilette entdeckt hatte … Das große Geschäft eines unzufriedenen Praktikanten in einem der Spülkästen mochte ein dummer Streich oder ein frauenfeindlicher Akt gewesen sein. Jedenfalls hätte Delia auf diese Entdeckung gut verzichten können.

Roger führte die Fingerspitzen zusammen und holte theatralisch tief Luft. »Anscheinend haben wir einen Kobold.«

Delia zögerte. »Meinen Sie einen Maulwurf?«

»Wie nennt man denn einen Menschen, der ins Internet geht und absichtlich Leute ärgert?«

»Ein Arschloch?«, schlug Delia vor.

Roger verzog das Gesicht. Er mochte keine Kraftausdrücke.

»Nein, ich meine konzertierte Irritationen im Cyborg-Space.«

»Einen Raumfahrt-Roboter?«, fragte Delia verunsichert.

»Nein! Was habe ich denn gesagt? Ich meinte Cyberspace.«

»Jemand, der online Leute ärgert … ein Troll?«

»Troll! Ja, genau!«

Delia überflog die ausgedruckten Seiten – Berichte aus dem Lokalteil über Dinge, mit denen sich der Stadtrat befasst hatte. Nichts Aufsehenerregendes, aber was erwartete man auch von der Lokalpolitik.

»Dieses Individuum löst unter dem anonymen Alias ›Peshwari Naan‹ Konflikte in den Kommentaren zu den Online-Artikeln des Chronicle aus«, erklärte Roger.

Delia überflog den Ausdruck noch einmal. »Können wir das nicht ignorieren? Ich meine, Trolle gibt es haufenweise.«

»Normalerweise schon«, antwortete Roger und hielt seinen Kugelschreiber waagrecht vor sich wie Mycroft Holmes beim Briefing des MI6.

Er nahm seinen Job todernst. Oder vielmehr nahm Roger nichts im Leben leicht. »Doch diese Kommentare sind besonders schikanös. Er legt Mitgliedern des Stadtrats fiktive Zitate in den Mund. Damit macht er sie zum Gespött und schädigt ihren Ruf. Ganze Debatten entgleisen durch seine irreführenden Behauptungen. Nichtsahnende Bürger werden vom Tornado seiner Unwahrheiten fortgerissen. Sehen Sie sich beispielsweise das hier an.«

Er tippte auf ein Blatt Papier auf seinem Schreibtisch – einen kürzlich erschienenen Artikel aus der Online-Ausgabe des Newcastle Chronicle.

»Stadtrat signalisiert grünes Licht für Lapdance-Club«, las Delia die Schlagzeile laut vor.

Roger griff nach dem Ausdruck. »Nun sehen Sie sich die Kommentare darunter an. Unser Freund, die wandelnde indische Beilage, behauptet …« Er setzte seine Brille auf. »Diese Entwicklung wundert mich nicht, immerhin hat Stadtrat John Grocock bei der Planungssitzung im vergangenen November verkündet: ›Ich werde als Erster in der Schlange stehen, um diese dicken Titten in meine Wurstfinger zu bekommen.‹«

Delia blieb der Mund offen stehen. »Das hat Stadtrat Grocock gesagt?«

»Nein!«, erwiderte Roger gereizt und setzte seine Brille ab. »Aber unter dieser falschen Prämisse gab es viel törichtes Geschwätz über seine Neigungen, wie Sie gleich sehen werden. Zudem eignet sich sein Name auf unglückliche Weise für juvenile Witzchen … Stadtrat Grocock war ganz und gar nicht glücklich, als er das gesehen hat.«

Delia verbiss sich ein Lachen und scheiterte damit endgültig, als Roger zum offenbar schwerwiegendsten Punkt kam: »Seine Gattin ist immerhin Mitglied des Rotary-Clubs.«

Ihre Schultern zuckten hilflos, was ihr einen finster-enttäuschten Blick von Roger eintrug.

»Ihre Mission besteht also darin, diesen kleinen Fabelschmied aufzuspüren und ihm überzeugend nahezulegen, dass er diese Umtriebe zu unterlassen hat.«

Delia rang um Fassung. »Haben wir nicht mehr Informationen als seine Kommentare auf der Website des Chronicle? Sind wir überhaupt sicher, dass es ein Er ist?«

»Ich erkenne infantilen Schuljungen-Humor, wenn ich ihn sehe.«

Delia war nicht sicher, ob Roger Humor von einem Schuh unterscheiden konnte. Oder einer Gurke oder einem Lufterfrischer, wenn sie es recht bedachte.

»Nutzen Sie alle Ihre Kontakte, ziehen Sie ein paar Strippen«, fügte Roger hinzu. »Bedienen Sie sich sämtlicher ehrlicher wie unehrlicher Mittel. Wir müssen ihm das Handwerk legen.«

»Haben wir denn das Recht, ihm das Handwerk zu legen?«

»Drohen Sie ihm mit einer Verleumdungsklage. Nein, ich meinte, appellieren Sie zunächst an seine Vernunft. Das Wichtigste ist jetzt, mit ihm in den Dialog zu treten.«

Delia fasste das als Nein, keine rechtliche Handhabe auf, gab ein paar höfliche Laute von sich und kehrte zu ihrem Platz zurück.

Eine Trolljagd war immerhin eine interessantere Aufgabe als die Presseerklärung zu dem neuen Wasserspiel-Dings neben der U-Bahn-Station Haymarket. Delia blätterte sich durch weitere Kostproben von Peshwari Naans Werk. Mr. Fladenbrot schien sich im Stadtrat sehr gut auszukennen und einigermaßen besessen von seinem Thema zu sein.

Sie spielte mit dem Telefonhörer. Sie könnte es bei Stephen Treadaway versuchen. Stephen war Reporter beim Chronicle und Mitte zwanzig. In seinen ausgebeulten Anzügen sah er eher aus wie zwölf, und Delia nahm an, dass er seinen ulkigen, irgendwie altmodischen Sexismus von seinem Vater übernommen hatte.

»Delia, mein Dummerchen! Was kann ich für Sie tun?«, begrüßte er sie, nachdem sie zu ihm durchgestellt worden war.

»Ich hatte gehofft, ich dürfte Sie um einen Gefallen bitten«, sagte Delia mit ihrer lieblichsten Stimme. Bäh – die Arbeit in einer Pressestelle war manchmal eine Zumutung für die persönliche Würde.

»Einen Gefallen. Soso. Kommt darauf an, was Sie im Gegenzug für mich tun können?«

Stephen Treadaway war eindeutig im buchstäblichen Sinne ein Bürohengst. Womöglich sogar das, was Roger als einen »rechten Filou« bezeichnet hätte.

»Ha ha«, erwiderte Delia in neutralem Ton. »Also, wir haben ein Problem mit einem User namens Peshwari Naan in Ihren Internetforen.«

»Tja, ich bedauere, für die Äußerungen der User sind wir nicht verantwortlich.«

»Oh doch. Sie sind der Betreiber.«

Pause.

»Diese Person postet auf Ihrer Plattform einen Haufen Lügen über den Stadtrat. Mit Ihnen haben wir ja gar kein Problem. Wir brauchen nur die E-Mail-Adresse des Mitglieds, damit wir mal Tacheles mit ihm reden können.«

»Tja, da kann ich Ihnen leider nicht helfen. Das sind vertrauliche Informationen.«

»Können Sie mir nicht einfach sagen, mit welcher E-Mail-Adresse er sich registriert hat? Das ist wahrscheinlich sowieso Pita at Hotmail Com, irgendetwas Anonymes.«

»Tut mir wirklich leid, Delia-Darling. Datenschutz und so weiter.«

»Zücken die Leute nicht normalerweise Ihnen gegenüber diese Karte?«

»Ha ha! Zehn Punkte für Gryffindor! Aus Ihnen machen wir doch noch eine Journalistin.«

Delia biss die Zähne zusammen, gab noch ein paar Höflichkeiten von sich und legte auf. Er hatte ja recht, die durften solche Daten nicht herausgeben. Sie hatte nur sehr ungern unrecht, wenn es um eine Auseinandersetzung mit Stephen Treadaway ging.

Probehalber googelte sie »PeshwariNaan« zusammengeschrieben, bekam aber nur seitenweise Rezepte. Sie versuchte es mit diversen unterschiedlichen Varianten von Peshwari Naan und Stadtrat Newcastle, doch auch das brachte nichts weiter als miese TripAdvisor-Bewertungen und ein merkwürdiges, unverständliches Blog.

Sie hatte sich über die Herausforderung gefreut, und schon wurde der Auftrag zur Mission Impossible? Natürlich konnte sie auch einfach in einer seiner Diskussionen posten, er möge sich bitte mit ihr in Verbindung setzen, aber unauffälliges Krisenmanagement sah anders aus.

War der überhaupt eine Krise? Peshwari war recht aktiv, aber eigentlich nicht bösartig. Wenn man sich so durch die Kommentare zu den Meldungen des Chronicle scrollte, war deutlich zu erkennen, dass die meisten User seine Beiträge als scherzhaft auffassten und ebenso albern beantworteten.

Unter einem Bericht mit der Überschrift Wieder Ärger mit der Müllabfuhr: »Haben hier schon Ratten!« behauptete Peshwari etwa, Stadtrat Benton habe in der Ausschuss-Sitzung Rat in Mi Kitchen von UB40 angestimmt.

Delia kicherte.

»Was amüsiert dich denn so?«, fragte Ann argwöhnisch.

»Ein Troll, der auf der Website des Chronicle Ärger macht. Roger hat mich gebeten, der Sache nachzugehen.«

»Neues Kleid?«, fügte Ann hinzu, ohne auf Delias Antwort einzugehen. Missbilligend musterte sie Delias modisches Kleidchen mit Libellen-Druck.

Ann fand Delias Kleidungsstil offenbar unprofessionell fröhlich. Abgesehen von medizinisch notwendigem Plüschtier-Schuhwerk glaubte sie fest an schlicht und nüchtern. Delia trug farbenfrohe Kleider, schwingende Röcke, gemusterte Strumpfhosen und Ballerinas und in dieser Saison einen himbeerrosa Kurzmantel. Ann bevorzugte Basic-Teile in gedeckten Farben. Und Gorilla-Puschen.

Delia hörte oft, sie hätte einen einmaligen, sehr weiblichen Stil. Das freute und überraschte sie, denn sie zog sich hauptsächlich deshalb so an, weil es kaum anders ging. Jeans und androgyne Klamotten standen ihrer kurvenreichen Figur gar nicht gut.

Schon Jahre vor der Pubertät war Delia klargeworden, dass ihr mit ihrem roten Haar wohl nichts anderes übrigblieb, als aufzufallen. Es war nicht zart rotblond, sondern flammend rostrot. Sie trug es lang und meistens hochgesteckt, mit einem kräftigen Pony, und betonte ihre perlmuttweiße Haut mit schwungvollem schwarzem Eyeliner.

Mit ihren großen Augen und mädchenhaften Outfits wurde Delia oft für eine Studentin von der nahen Universität gehalten. Vor allem, wenn sie auf dem roten Fahrrad zur Arbeit radelte. Mit dreiunddreißig fand sie diesen Irrtum recht schmeichelhaft.

Delia trommelte mit den Fingerspitzen auf den Schreibtisch. Sie hatte den starken Eindruck, dass Peshwari männlich, gelangweilt und um die dreißig war.

Er spielte auf Songs und Fernsehsendungen an, die sie auch kannte. Hm. Wo sonst mochte er sich online herumtreiben? Ihrer Erfahrung nach hatten solche Leute irgendwo anders geübt, ehe sie in den Forenkrieg zogen. Twitter? Sie tippte den Namen ein. Oh. Oha!

Jawohl – da hatte sie einen Peshwari samt Fladenbrot-Profilbild. Und er kam aus Newcastle (Hauptstadt des One-Night-Stands). Sie klickte die Standort-Angabe bei einigen Beiträgen an und betete zu irgendeinem wohlwollenden Gott. Und tatsächlich, die Tweets waren über das Webinterface gepostet, mit Ortsmarke, und nicht nur das – TSCHAKKA! –, Standort war immer wieder ein Café in der Innenstadt namens Brewz and Beanz. Ein geradezu verstörender Name für Anhänger von Rechtschreibung und gutem Stil, fand Delia. Sie kannte das Café – ihr Freund Paul nannte es immer »zu den Brünstigen Bonzen«.

Sie scrollte sich durch Naans Timeline und stellte fest, dass er hauptsächlich während der Mittagszeit und am Wochenende twitterte. Also jemand, der hinter einer Firmen-Firewall im Büro saß, genervt und gelangweilt. Das konnte sie ihm nachfühlen. Mission Fladenbrot beschäftigte sie die nächsten zwei Stunden, bis der Startschuss fürs Wochenende fiel. In diesem Büro waren die Freitagnachmittage nicht gerade von heroischer Produktivität geprägt.

Immerhin stand hiermit fest, wo sie am Montag ihre Mittagspause verbringen würde. Mögliche Verdächtige observieren, das war doch mal eine spannende Abwechslung. Roger würde sie aber noch nichts davon erzählen – nicht, dass sie jetzt große Töne spuckte und ihr Verdächtiger sich dann als ganz anderes Cyber-Fladenbrot entpuppte.

Delia ging zur Damentoilette, um sich für den Abend umzuziehen. Heute hatte sie extra das Fahrrad zu Hause gelassen und war mit dem Bus zur Arbeit gefahren. Sie schlüpfte in Schuhe mit zierlichem Absatz und einen 50er-Jahre-Petticoat, den sie in einer Plastiktüte ins Büro mitgenommen hatte. Sie schüttelte ihn aus und wand sich unter ihrem Kleid in das Rock-’n’-Roll-Teil.

Der üppig gerüschte Taft in mattem Dunkelviolett lugte zwei Fingerbreit unter dem Saum ihres Kleides hervor und passte wunderbar zur Farbe des Musters. Etwas verlegen hastete sie an den Kollegen vorbei, um so schnell wie möglich an ihren Mantel zu kommen.

Aber nicht schnell genug, um Anns messerscharfem Blick zu entgehen.

»Was hast du denn da an?«, gackerte sie.

»Der ist von Attica – diesem Vintage-Laden«, antwortete Delia, deren Wangen heiß wurden.

»Du siehst aus wie ein Lampenschirm in einem spanischen Bordell«, verkündete Ann.

Delia seufzte, verzog das Gesicht und brummte oh, vielen Dank. Na ja, heute war nichts, was sich bei der Arbeit abspielte, wirklich wichtig.

Heute zählte nur der bevorstehende Abend: ein Moment, in dem das Leben an einer dieser kleinen Weggabelungen eine neue Richtung einschlagen würde, hin zu einer breiten, prächtigen neuen Straße.

2

Wenn der Geschichten über den Stadtrat schreibt, die tatsächlich jemand lesen will, dann sollten sie ihn bezahlen, statt ihn zu bestrafen«, sagte Paul und wischte sich die vom Paratha-Brot fettigen Finger an einer Papierserviette ab.

»Ja«, nuschelte Delia, den Mund voll scharf gewürzter Kartoffeln. »Aber wenn sich ein Stadtrat über so etwas aufregt, müssen wir zumindest den Eindruck erwecken, dass wir etwas dagegen unternehmen. Viele ältere Ratsmitglieder verstehen das Internet auch einfach nicht. Einer von denen hat zu uns mal gesagt: ›Dann löschen Sie das eben. Wischen Sie es weg!‹, und wir mussten ihm erklären, dass das Internet keine riesige Tafel ist.«

»Ich bin fünfunddreißig und verstehe das Internet auch nicht. Griz hat mir neulich auf seinem Handy Tinder gezeigt. Du weißt schon, diese Dating-App? Man wischt nach links oder rechts und sagt ja oder nein zum Foto eines Mitglieds. Das ist alles. Ein einziges Foto. ›Und raus bist du.‹ Ja, nein, Abschuss. Ganz schön brutal.«

»Ein Glück, dass wir das auf die altmodische Art gemacht haben«, sagte Delia. »Bei ein paar Cocktails.«

Sie lächelten. Alte Geschichte, schöne Erinnerung … Sie waren sich zum ersten Mal begegnet, als Delia in einer Wolke von Calvin Kleins Eternity und mit einer Schar Freundinnen in Pauls Bar gerauscht kam und einen Cherry Amaretto Sour bestellt hatte. Paul hatte nicht gewusst, wie der geht. Sie hatte sich erboten, hinter die Bar zu kommen und es ihm zu zeigen.

Sie erinnerte sich an seine verblüffte, aber belustigte Miene, als sie auf die Bar gehopst war und die Beine darüber geschwungen hatte. »Schöne Schuhe«, hatte Paul mit Blick auf ihre Superman-roten Mary-Janes mit Keilabsatz bemerkt. Er hatte ihr einen Job angeboten. Auf ihre Ablehnung hin hatte er sie stattdessen um ein Date gebeten.

»Im jetzigen Klima wären wir Randgruppen-Freaks. Eine Subkultur mit eigener Internet-Plattform für Rothaarige. Erdbeermützen Com.«

Delia lachte. »Sprich bitte nur für dich selbst.«

»Wenn es auf Erdbeermützen Com keine weiblichen Angehörigen meiner Subkultur gibt, mit wem soll ich dann ausgehen? Mit Miss Piggy vielleicht?«

»Du möchtest wohl ganz dringend ein Kompliment hören«, erwiderte Delia. »Zieh deine Angel wieder ein, Paul Rafferty, es gibt keines.« Sie kicherte und trank einen Schluck Bier.

Paul hatte dunkelrotes Haar, nicht ganz so flammend tizianrot wie Delias. Sein Look war lässig, als hätte er in diesen Klamotten die letzte Nacht am Pokertisch durchgemacht, die Frisur trendig verstrubbelt. Er hatte einen Bartschatten, und der Saum seiner abgetragenen Jeans streifte den bierfeuchten Kneipenboden. Es gab keinen Witz über Rothaarige und sie als rothaariges Pärchen, den sie noch nicht gehört hätten – am schlimmsten war es, wenn jemand sie für Geschwister hielt.

Paul nickte dem Kellner zu. »Wir hätten gern noch zwei Kingfisher, bitte. Bei Gelegenheit. Danke.«

Pauls Manieren gegenüber Gastronomiepersonal aller Art waren vorbildlich, und er gab immer reichlich Trinkgeld. Natürlich hauptsächlich, weil er selbst eine Bar führte. Einen Pub, korrigierte Paul sie immer. »Bar klingt nach Trainee-Trinkern, die noch feucht hinter den Ohren sind.«

Delia fand, dass Pauls Etablissement genau an der Grenze zwischen Pub und Bar lag. Es hatte stylische Ziegelmauerwände, übergroße Pendelleuchten und hausgemachtes Sauerteigbrot auf der Speisekarte. Es gab aber auch traditionelle Biersorten, Arschlöcher wurden nicht geduldet, und die Musik wurde nur so weit aufgedreht, dass man noch sein eigenes Wort verstehen konnte. Es stand unter den Pfeilern der Tyne Bridge und im Good Pub Guide und war Pauls ganzer Stolz.

»Für mich ist hier Schluss«, bemerkte Delia mit Blick auf das Dosa-Wrack auf ihrem Teller.

»Ich kann noch. Ich bin eine Maschine. Mit Curry-Antrieb«, entgegnete Paul und spießte seine Gabel in einen Pfannkuchenrest auf Delias Teller.

Sie hatten für ihr Zehnjähriges über teure Restaurants mit edlen Tischdecken nachgedacht und sich dann eingestanden, dass sie doch ihr südindisches Lieblingsrestaurant Rasa vorzogen. Es war schon etwas ganz Besonderes, an einem Freitagabend mit Paul auszugehen.

Das mochte albern sein, aber Delia bekam immer noch ein Kribbeln im Bauch, wenn sie Paul in seinem Element hinter der Bar sah, wie er mit dem Geschirrtuch über der Schulter die Reihenfolge der Bestellungen so selbstverständlich gelassen regelte wie ein Polizist den Verkehr, während er selbst herumwirbelte, Kühlschranktüren mit einem Fußtritt schloss und drei Flaschen in jeder Hand balancierte.

Wenn er Delia entdeckte, begrüßte er sie mit einem lässigen Zwei-Finger-Salut, bedeutete ihr mit einer Geste »bringe dir gleich was, wenn ich die Gäste bedient habe«, und genau dann spürte sie dieses vertraute Kribbeln.

»Was macht Griz’ Suche nach der wahren Liebe?«

Paul hatte ein beinahe väterliches Verhältnis zu seinen Angestellten – Delia hatte ihr Gästezimmer schon des Öfteren als Ausnüchterungszelle für betrunkene junge Aushilfen zur Verfügung gestellt.

»Hm. Ich glaube nicht, dass es Liebe ist. Und wenn er doch verliebt ist, dann greift er nach den falschen Äpfeln. Im Ernst, Dee«, fuhr Paul fort, »da wachsen ein paar sehr merkwürdige Generationen nach uns heran. Mädchen und Jungs, die sich das Schamhaar rasieren und keine Musik mehr hören.«

Delia grinste. Solche Reden war sie von ihm gewohnt. Paul hatte ein besonderes Talent dafür, sich älter zu geben, als er war.

Noch im ersten Rausch der Leidenschaft hatte Delia von Pauls Vergangenheit erfahren: Er und sein Bruder Michael hatten als Teenager beide Eltern verloren. Ein Lkw-Fahrer war auf der Autobahn am Steuer eingeschlafen und in das Auto ihrer Eltern gerast. Die beiden Brüder hatten sehr unterschiedlich auf diese Tragödie reagiert, und auf die Erbschaft. Michael verschwand noch vor seinem zwanzigsten Geburtstag nach Neuseeland und kehrte nie zurück. Paul schlug nach Kräften Wurzeln in Newcastle – er kaufte ein Haus in Heaton, später die Bar. Er wollte Beständigkeit.

Delia, zartfühlend, wie sie war, hätte gerührter nicht sein können. Als er ihr das erzählt hatte, war sie schon ein wenig in ihn verliebt gewesen, aber nach dieser Geschichte war sie rettungslos verloren. Er hatte so etwas Schreckliches durchgemacht? Und war so liebenswert, so fröhlich? Ihr war auf der Stelle klar, dass sie ihr Leben der Aufgabe widmen wollte, seinen Kummer zu lindern und Paul die Familie zu sein, die er verloren hatte.

»Ja, das war eine beschissene Zeit, keine Frage«, sagte Paul stets, wenn das Thema zur Sprache kam, rieb sich die Augen und schaute zu Boden – zum Teil aus Verlegenheit, weil Delia ihn dann so mit Liebe überschüttete, doch zum Teil spielte er auch den verwundeten, tapferen Helden.

»Ich meine, hat irgendwer in den letzten zehn Jahren einen Songtext wie Love Will Tear Us Apart von Joy Division geschrieben?«, fuhr Paul fort, noch immer beim Thema Die Musik heutzutage. »Wie heißt der Song noch mal, mit ›that’s not my name‹? Na na na, ›They call me DYE-ANNE, that’s not my name …‹?« Paul machte ein trauriges Gesicht und bedeutete dem Kellner, dass er zahlen wolle.

»Du spielst einfach gern den alten Griesgram, dabei bist du das größte Kind, das ich kenne«, sagte Delia.

Paul verdrehte die Augen und tätschelte über den Tisch hinweg ihre Hand. Kinder. Sie stellte sich Paul als Vater vor, und ihr Herz machte einen kleinen Satz.

Sie zahlten und traten hinaus in die kühle Luft des Frühsommerabends.

»Absacker?«, fragte Paul und bot ihr seinen Arm.

»Können wir erst ein Stück spazieren gehen?«, entgegnete Delia und hakte sich bei ihm unter.

»Spazieren gehen?«, wiederholte Paul. »Wir sind hier doch nicht in einem dieser Filme, die du so magst – du weißt schon, Frauen mit Sonnenschirmen und Gestocher in Kaminfeuern. Wir gehen zu Fuß zum Pub.«

»Komm schon! Heute ist unser zehnter Jahrestag. Nur bis zur Brücke und zurück, ja?«

»Och nein, bitte … Es ist schon so spät. Ein andermal.«

»Dauert auch nicht lange«, sagte Delia und zog Paul energisch vorwärts, während er schnaufend ausatmete.

Schweigend marschierten sie los. Delia wurde immer nervöser und fragte sich, ob ihre Überraschung vielleicht doch keine so gute Idee war.

3

Was sollen wir da überhaupt?«, fragte Paul gleichermaßen belustigt und genervt.

»Einen besonderen Augenblick gemeinsam erleben.«

»Ein Augenblick in einem warmen Pub mit einem schönen Bierchen in der Hand gilt nicht?«

Paul war nicht der Typ für romantische Gesten oder Liebesbekundungen. (Delia hatte ihn fragen müssen, ob er sie liebte, als sie schon monatelang zusammen waren. Er hatte geantwortet: »Warum sonst hätte ich dich fragen sollen, ob du bei mir einziehen möchtest?« Weil der Mietvertrag für meine alte Wohnung ausgelaufen ist?, hatte Delia gedacht.)

Schlichte, offenkundige, unkomplizierte Zuneigung war normalerweise alles, was Delia brauchte. Pauls Verlässlichkeit und Kameradschaft waren ihr viel wichtiger als Blumensträuße oder Schmuck. Paul war ihr bester Freund – das war ja wohl romantischer als alles andere.

Und sie liebte diese Stadt mit ihren schönen Straßen, gesäumt von Sandsteingebäuden, den tiefhängenden Himmel, die kräftigen Stimmen und die offene Art. Während sie auf Pauls Arm gestützt die steile Straße zur Quayside hinuntertrippelte, sog sie die frische Luft ein, die vom Fluss her kam, und wusste, dass sie am richtigen Ort war, mit dem richtigen Menschen.

Sie erreichten den Bogen der Millennium Bridge. Die orangeroten und gelben Straßenlaternen der Stadt malten ein Tigermuster auf das pechschwarze Wasser des Tyne. Der schmale Bogen der Brücke, der seine Farbe ständig wechselte, glühte tiefrot.

Das kam ihr vor wie ein Zeichen. Rote Schuhe, rotes Haar, rotes Fahrrad … Aus irgendeinem Grund schoss ihr die Wendung »Rendezvous mit dem Schicksal« durch den Kopf. Klang wie ein Krimi von Agatha Christie. Es waren nicht viele Leute unterwegs, aber allein waren sie nicht. Ups – warum hatte Delia das nicht bedacht? Ein paar beharrlich herumhängende Gaffer, und ihr Plan ginge den Tyne runter. Allerdings war das Herumlungern auf Brücken gegen neun Uhr abends bei solchen Temperaturen kein allzu beliebter Zeitvertreib.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie sich der Mitte der Fußgängerbrücke näherten. Gleich war es so weit.

»Müssen wir bis ganz rüber gehen, oder reicht dir das?«, fragte Paul.

»Das reicht«, sagte Delia und ließ seinen Arm los. »Ist die Stadt von hier aus nicht wunderschön?«

Paul ließ den Blick schweifen und lächelte.

»Wie betrunken bist du genau? Moment mal, du hast doch nicht deine Tage? Wirst du wieder wegen dieser bettelnden einbeinigen, einäugigen Möwe in Tränen ausbrechen? Ich habe dir doch gesagt, dass alle Möwen betteln.«

Delia lachte.

»Außerdem simuliert sie vermutlich.« Paul kniff ein Auge zu, zog ein Bein an und krächzte mit Fistelstimme: »Eide kleide Spedde für eide behidderte Böwe, beide Dabe. Eid paar Pobbes für eided id Dot gerateded Vogel.«

Delia lachte noch lauter. »Was für eine Stimme war das?«

»Eine Trickbetrüger-Möwenstimme.«

»Eine tuntige Trickbetrüger-Möwe?«

»Spießerin.«

Nun lachten sie beide. Okay, er war nicht mehr verstimmt. Tief durchatmen. Tu es. Es war albern von ihr, so nervös zu sein. Delia und Paul hatten doch schon über die Zukunft gesprochen. Sie lebten seit neun Jahren zusammen. Es war doch nicht so, als stünde sie nach einer kurzen, wilden Affäre mit einem Bindungsphobiker ganz oben auf dem Eiffelturm, Herrgott.

Paul begann, etwas von »Arsch abfrieren« zu brummeln, und Delia unterbrach ihn: »Paul«, sagte sie und wandte sich ihm frontal zu. »Heute sind wir seit zehn Jahren zusammen.«

»Ja …?«, entgegnete Paul, dem erst jetzt auffiel, dass sie auf etwas Bestimmtes hinauswollte.

»Ich liebe dich. Und du liebst mich, hoffe ich jedenfalls. Wir sind ein tolles Team …«

»Und …?« Jetzt schaute er geradezu argwöhnisch drein.

»Wir haben davon gesprochen, dass wir den Rest unseres Lebens zusammen verbringen möchten. Also … Willst du mich heiraten?«

Stille.

Paul stand mit beiden Händen in den Taschen vor ihr und beäugte sie über den Kragen seiner Jacke hinweg. »Soll das ein Scherz sein?«

Falsche Antwort.

»Nein. Ich, Delia Moss, frage dich, Paul Rafferty, ob du mich heiraten willst. Mit Trauschein und allem Drum und Dran.«

Paul wirkte … betreten. Das war die einzig passende Beschreibung.

»Sollte es nicht eigentlich so sein, dass ich dir den Antrag mache?«

»Traditionellerweise ja. Aber wir sind nicht sonderlich traditionell und leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Wir sind gleichberechtigt. Wer hat diese Regel aufgestellt? Warum kann ich nicht dir einen Antrag machen?«

»Solltest du dann nicht einen Ring für mich haben?«

Delia sah über Pauls Schulter hinweg eine Gruppe Männer näher kommen – offenbar ein Junggesellenabschied, alle in orangefarbenen Overalls im Guantánamo-Look. Sie und Paul würden nicht mehr lange ungestört sein.

»Ich weiß, dass du nicht gern Ringe trägst, also wollte ich dich in diesem Punkt verschonen. Aber ich will auf jeden Fall einen. Vielleicht habe ich mich sogar schon beinahe für einen entschieden. Wir können von mir aus so modern sein, dass ich ihn mir selbst kaufe!«

Das kurze Schweigen sagte Delia jetzt schon, dass dies nicht so laufen würde, wie sie es sich erhofft und gewünscht hatte.

Paul starrte auf den Fluss hinaus. »Das ist natürlich eine sehr liebe Geste von dir. Nur … na ja …« Er zuckte mit den Schultern.

»Was denn?«

»Ich dachte eben, ich würde um deine Hand anhalten.«

Hm. Dass er plötzlich einen auf altmodischen Kavalier machte, fand Delia verdächtig. Wahrscheinlich wollte er in Wahrheit nur nicht überrumpelt werden.

Sie kämpfte gegen den Drang an, ihm zu sagen: Es tut mir leid, falls es für dich zu früh ist. Aber im Urlaub und ein bisschen angetrunken reden wir schon seit fünf Jahren davon, dass wirvielleicht nächstes Jahr heiraten. Ich bin dreiunddreißig. Wir sollten also auch möglichst bald eine Familie gründen – am besten gleich in den Flitterwochen. Heute ist unser Zehnjähriges. Worauf hast du denn gewartet? Auf wann hast du gewartet?

Sie schluckte den Ärger hinunter. Die Stimmung zwischen ihnen war ohnehin schon angespannt, und wenn sie ihm jetzt Vorwürfe machte oder sich beklagte, würde alles nur schlimmer werden.

»Du hast mir noch gar nicht geantwortet«, sagte sie und bemühte sich um einen spielerischen Tonfall.

»Ach ja. Ja. Natürlich will ich dich heiraten«, antwortete Paul. »Entschuldige, ich habe nur überhaupt nicht mit so etwas gerechnet.«

»Wir werden also heiraten?«, vergewisserte Delia sich lächelnd.

»Sieht fast so aus …« Paul verdrehte die Augen gen Himmel und erwiderte ihr Lächeln ein wenig bemüht.

Delia zog ihn an sich, sie küssten sich – ein fester, schneller Kuss der Vertrautheit –, und sie versuchte, ganz stillzuhalten und sich diesen Augenblick einzuprägen.

Als sie sich voneinander lösten, sagte sie: »Ich habe auch etwas zum Anstoßen!« Sie kniete sich hin und kramte in ihrer schweren Beuteltasche nach der Flasche und den Plastik-Kelchen.

»Hier?«, fragte Paul.

»Ja!«, antwortete Delia und blickte auf. Ihre Wangen glühten vor Freude, Bier und Kälte.

»Oh nein, bitte … Wir würden aussehen wie zwei Penner, die sich auf der Straße besaufen.«

»Oder wie zwei Menschen, die sich gerade verlobt haben.«

Ein seltsamer Ausdruck huschte über Pauls Gesicht, und Delia spannte die Bauchmuskeln an, damit ihre Enttäuschung daran abprallte.

Vielleicht bemerkte er es, denn er zog sie zu sich hoch, küsste sie auf den Kopf und murmelte in ihr Haar: »Wir könnten irgendwo hingehen, wo es Champagner und eine Heizung gibt. Wenn ich diesen Antrag stellen darf.«

Delia hielt inne. Du kannst nicht alles allein bestimmen. Lass ihm auch seinen Willen. Sie nahm seine Hand und folgte ihm zurück ans Ufer. Dort hakte sie sich wieder bei ihm unter, und sie gingen flotter. In ihrem Kopf schwirrte es. Verlobt.

Als sie einmal vom Tod seiner Eltern gesprochen hatten, hatte Paul zu ihr gesagt, dass man sich immer noch selbst dafür entscheiden könne, unglücklich zu sein oder eben nicht. Und dass es für ihn allmählich wieder aufwärtsgegangen sei, nachdem er das erkannt hatte.

»Aber was, wenn einem so viele schlimme Dinge zustoßen, dass man unglücklich ist und gar nichts dafür kann?«, fragte sie.

Paul erwiderte: »Wie viele Menschen kennst du, bei denen das der Fall ist? Sie haben sich dafür entschieden, trübselig zu sein, weiter nichts. Wir haben die Wahl, jeden Tag aufs Neue.«

Dieses Gespräch hatte Delia zwei Dinge klargemacht. Erstens, dass sie Paul auch wegen seiner positiven Einstellung liebte. Und zweitens, dass man Trübsalwähler erkennen konnte. Bei ihr im Büro gab es ein, zwei davon.

Heute Abend, dachte Delia nun, konnte sie also entweder darüber nachgrübeln, dass er ihr keinen Antrag gemacht und, schlimmer noch, eher widerstrebend auf ihren Antrag reagiert hatte. Dass Paul ihr nie tief in die Augen schauen und etwas wie »mein Sonnenschein, mein Lebenselixier« flüstern würde – er gehörte einfach nicht zu der Sorte Mann.

Oder sie konnte sich darauf konzentrieren, dass sie Arm in Arm mit ihrem taufrischen Verlobten auf dem Weg zu einem gemütlichen Pub in ihrer wunderbaren Heimatstadt war, um dort Champagner zu trinken und Hochzeitspläne zu schmieden, den Bauch voll köstlichem Kokoscurry.

Sie entschied sich dafür, glücklich zu sein.

4

Champagner gibt’s hier nur flaschenweise«, sagte Paul, als die Wärme des Crown Posada sie empfing.

Paul besuchte grundsätzlich keine Bars ohne Auszeichnung von CAMRA, der Kampagne für traditionell gebrautes Bier und Pubkultur. Delia rieb sich die Hände, und gemeinsam studierten sie die laminierte Getränkekarte, als säßen sie im Ritz-Carlton.

»Lassen wir es dann lieber sein? Alkohol ist Alkohol«, fügte Paul hinzu.

Delia wurde immer deutlicher, dass der Abend nicht so verlief, wie sie sich das vorgestellt hatte. Trotzdem – du darfst nichts erzwingen, ermahnte sie sich. Für alles Weitere gab es ja die Hochzeitsplanung. (Hochzeitsplanung! Rein theoretisch war es denkbar, dass Delia eine geheime Pinterest-Pinnwand pflegte mit langärmeligen Spitzenkleidern und witzigen Locations im Raum Newcastle und Brautsträußen aus Pfingstrosen, Narzissen und Rosen in Pastelltönen … Nun, zumindest durfte die jetzt offiziell werden.)

Sie stimmte fröhlich zu, und Paul fuhr die Ellbogen aus, um sich zur Bar durchzudrängen und ihnen das Übliche zu holen: ein Brooklyn Lager für sich selbst und ein Himbeerbier von Liefmans für Delia. Manchmal äußerte Paul die Sorge, dass sie in Wahrheit alternde Hipster seien.

Er bedeutete Delia, ihnen einen Tisch zu besetzen, und sie beobachtete von der anderen Seite des Raums aus, wie er an der Bar darauf wartete, bedient zu werden. Zwischendrin fummelte er an seinem Handy herum. Nat King Coles These Foolish Things (Remind Me of You) drang knisternd aus dem uralten Grammophon des Posada und vermischte sich mit den lebhaften Unterhaltungen einer Bar voll angetrunkener Menschen.

Pauls leicht zerzauster Charme kam durch den Kontrast mit einem schickeren Kleidungsstück noch besser zur Geltung, befand sie – wie etwa dem Dufflecoat, den er heute Abend trug. Ihr schwebte für die Hochzeit ein Anzug von Paul Smith vor, mit Krawatte natürlich, und dazu klassische Budapester (auf der Pinnwand war ganz schön was los). Aber darauf würde sie ihn ganz vorsichtig ansprechen müssen, um Pauls männlichen Stolz nicht zu verletzen. Sie würde Paul in die Planung mit einbeziehen, und sie wusste auch schon, wie sie ihn dazu kriegen konnte – sie brauchte nur sein Interesse an der Getränkeauswahl, der Musik und schließlich des Hochzeitsmenüs zu wecken. Stell es dir einfach als ein Abendessen bei uns vor, nur ein bisschen größer, würde sie sagen.

Paul und Delia luden sehr gern Leute zum Abendessen ein. Als Delia in sein Haus in Heaton eingezogen war, hatte sie ihrem Nestbautrieb freien Lauf lassen können. Paul hatte das Haus gekauft wie eine leere Leinwand, ohne irgendwelche Vorstellungen zur Gestaltung. Er überließ ihr gern das Einrichten und Dekorieren, das sie ebenso gern übernahm, und alle waren glücklich.

Was andere Leute in ihrem Alter für Klamotten, Clubs und Drogen ausgaben, sparte Delia, um davon etwa eine antike Obstpflückerleiter zu kaufen und sie dann in strahlendem Mittelmeerblau zu streichen, oder Auktionen und Flohmärkte nach alten Spiegelschränken abzugrasen, die Schlüssel mit Troddeln hatten. Ihr war bewusst, dass das spießig war und zu einer viel älteren Frau gepasst hätte, aber wenn man glücklich ist, kümmert einen so etwas nicht.

Delia war außerdem eine leidenschaftliche Köchin, und Paul brachte immer großgebindeweise Alkoholisches aus der Bar mit. So kam es, dass sie im Freundeskreis die Ersten waren, die ein einladendes, richtig erwachsenes Haus vorzuweisen hatten. So mancher Samstagabend endete damit, dass Paul den DJ spielte und Delia mit ihren besten Freunden Aled und Gina lauthals und dafür umso falscher die Songs mitsang.

Delia hatte sogar über eine Verlobungsparty nachgedacht. Erst neulich hatte sie ein paar Kochbücher ersteigert, Originale aus den siebziger Jahren, und seitdem erfreute sie sich an Retro-Essen: Krabben mit Sauce Tartare, Schwarzwälder Kirschtorte, Toast Hawaii. Sie malte sich schon ein kitschiges »Siebziger Jahre Revival Büfett« aus.

Sollte die Familie zu dieser Party kommen? Delia würde ihre Eltern erst morgen anrufen. Sie hätte es ihnen zu gern jetzt sofort erzählt, damit es noch realer wurde. Aber der Gedanke, dass es für Paul keinen solchen Anruf geben würde, tat ihr weh. Wegen der Zeitverschiebung konnte er nicht einmal seinen Bruder anrufen.

Ihr Handy vibrierte – eine SMS. Von Paul. Überrascht blickte sie auf. Er tat ganz cool, steckte sein Handy wieder ein und bestellte ihre Drinks.

Delia grinste von einem Ohr zum anderen, fast schwindelig vor Freude. O ihr Kleingläubigen … Sie würde ihren besonderen Augenblick doch noch bekommen. Er hatte nur Zeit gebraucht, sich an den Gedanken zu gewöhnen, weiter nichts. Es steckte doch ein Romantiker in ihm. Sie wischte über den Touchscreen, gab ihren Code ein (ihr Geburtstag, Pauls Geburtstag) und las die Nachricht.

 

C., es ist was mit D. passiert, und ich will nicht, dass du es von jemand anderem erfährst. Sie hat mir einen Antrag gemacht. Weiß nicht, was ich tun soll. Sehen wir uns morgen? P. Xx

 

Delia saß stocksteif da, das Handy lag schwer in ihrer Hand. Auf einmal verstand sie gar nichts mehr. Diese Information war in ihrem Gehirn nirgends einzuordnen. Sie musste sie Zeile für Zeile durcharbeiten, während ihr Magen nicht mehr wusste, wo er sich festhalten sollte.

»Weiß nicht, was ich tun soll« traf sie am härtesten.

Und dann die Küsse am Ende. Paul verschickte keine Telekommunikationsküsschen. Delia genoss das Privileg, ein kleines »x« von ihm zu bekommen. Und sie stand ihm so nah wie niemand sonst.

Aber am meisten Angst machte ihr der vertrauliche Tonfall dieser Nachricht. Darin klang eine Stimme an, die sich nicht nach Paul anhörte – zumindest nicht nach dem Paul, den sie kannte.

Streng ermahnte sie sich: Delia. Hör auf, dich dumm zu stellen. Zähl zwei und zwei zusammen. Diese Nachricht ist offensichtlich für eine andere Frau bestimmt. Die andere.

»Ich will nicht, dass du es von jemand anderem erfährst.« Irgendeine gesichtslose, namenlose, wildfremde Person hatte ein derart berechtigtes Interesse an ihrem und Pauls Leben? Delia glaubte, sich übergeben zu müssen.

Paul stellte zwei Gläser auf den Tisch und rückte sich den Stuhl ihr gegenüber zurecht.

»Ich mag das Bier hier, aber die müssen wirklich am Service arbeiten. Ganz schön lahm.« Paul verstummte, als Delia ihn nur anstarrte. »Alles in Ordnung?«

Sie wollte etwas Scharfsinniges sagen, prägnant und verletzend. Etwas, das die Luft zwischen ihnen zerschneiden würde, so wie Pauls SMS soeben ihr Leben in ein Davor und Danach zerhackt hatte.

Stattdessen blickte sie auf ihr Handy hinab und fragte: »Wer ist C.?«

Paul sah auf sein Handy und dann wieder zu Delia. Er wurde rot und kalkweiß zugleich, wie Delias Sitznachbar damals im Fernbus, der mitten im Peak District einen Herzinfarkt erlitten hatte.

Da sie offenbar als Einzige unter den Mitreisenden einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht hatte, kniete sie schließlich am Straßenrand im Matsch und versuchte, den Mann wiederzubeleben, ohne vom schalen Biergeschmack in seinem Mund zu würgen.

Paul würde ganz sicher keine Mund-zu-Mund-Beatmung von ihr bekommen.

»Delia«, sagte er mit gequälter Miene. Der Satz fing an und hörte einfach wieder auf. Ihr Name und seine Stimme klangen nicht wie sonst. Von jetzt an würde alles anders sein.

5

Die Kunst bereitete einen nicht auf die kleineren Augenblicke zwischen den großen Augenblicken vor, dachte Delia. Das Leben hatte keinen Schneideraum, in dem es zu einer fließenden Story geformt werden konnte.

Hätte Paul diese Nachricht in einem Film an Delia geschickt, dann hätte das so ausgesehen: Nahaufnahme von Delias entsetztem Gesicht, Schnitt zu Delia, die auf einer nächtlichen Straße davonrennt und auf ihren Absätzen dramatisch taumelt (Romantische Komödie), oder in der Küche Geschirr zerschmeißt (Soap), zornig einen ramponierten Vintage-Koffer packt (Musikvideo) oder auf den windgepeitschten Tyne hinausstarrt (Avantgarde).

Doch was stattdessen als Nächstes geschah, unterhöhlte den bedeutungsschweren Schrecken dieses Moments mit Banalitäten.

In wenigen Worten gestand Paul, dass er die Nachricht versehentlich an die Person geschickt hatte, um die es darin ging, statt an die Person, für die sie gedacht war. Ein Fehler, der einem leicht mal passieren konnte und normalerweise keine so dramatischen Folgen hatte. Einige surreale Augenblicke lang stammelte Paul mit weit aufgerissenen Augen, dass er die Nachricht wohl erst beim zweiten Versuch an Delia geschickt hätte, weil sie beim ersten vermeintlich nicht rausgegangen sei. Oder so ähnlich. Als würde es das besser oder gleich ganz ungeschehen machen.

Die Angelegenheit warf jedenfalls eine Menge weiterer Fragen auf, doch ein lauter Pub war kein geeigneter Ort, um sie zu vertiefen.

Delia schluckte den Würgereiz herunter. Dann wollte sie nur noch nach Hause.

Sie dachte daran, Paul einfach mit zwei vollen Biergläsern und Blick auf die hinter ihr zufallende Tür sitzenzulassen, aber er würde ihr nachlaufen. Falls sie es trotzdem schaffen sollte, allein in ein Taxi zu hechten, würde sie ja doch nur zu Hause auf ihn warten. Mit dieser trotzigen Geste würde sie nichts erreichen, außer dass sie zwei Taxis bezahlen mussten.

Also ertrug sie eine schweigende, quälend lange gemeinsame Fahrt. Sie rückte so weit wie möglich von Paul ab, drückte sich an die Tür, starrte durch die schmuddeligen Scheiben und begegnete ab und zu dem neugierigen Blick des Fahrers im Rückspiegel.

Als sie den Schlüssel ins Schloss der Haustür steckte, war dahinter das vertraute leise Poltern, Trappeln und Schnüffeln ihres Hundes Parsnip zu hören. Paul war offensichtlich froh über die Ablenkung. Er redete beruhigend auf ihn ein und streichelte ihn, und Delia hätte schreien mögen: Sei nicht nett zu dem Hund, du beschissener Heuchler.

Parsnip war ein zerfledderter, inkontinenter alter Labrador-Spaniel-Mix, den sie vor sieben Jahren aus einem Tierheim geholt hatten.

»Für diesen finden wir einfach niemanden, weil er überall hinpinkelt«, hatte der Mann vom Tierheim ihnen erzählt, während sie beide den traurigen Parsnip mit seinen großen Augen und den schief und krumm stehenden Zähnen streichelten.

»Könnte das vielleicht daran liegen, dass Sie den Leuten gleich erzählen, was er macht?«, fragte Paul.

»Müssen wir«, erwiderte der Mann. »Sonst bringen sie ihn ja doch gleich wieder zurück. Er sollte Boomerang heißen, nicht Parsnip.«

»Keine Kontrolle über seine Blasenfunktion und nach einem unbeliebten Wurzelgemüse benannt. Armer Kerl«, sagte Paul seufzend und sah Delia an. »Ich denke, den nehmen wir mit nach Hause, oder?«

Und genau das war der Grund, weshalb Delia sich in Paul verliebt hatte. Der witzige, herzensgute Paul, der sich mitfühlend eines Underdogs annahm – und mit einer anderen Frau schlief.

Delia ließ ihre leise klappernde Tasche mit den Plastik-Kelchen von der Schulter gleiten und sank auf die Ledercouch. Um dieses bordeauxrote Chesterfield-Prachtstück zu ergattern, war sie einen ganzen Tag lang an der eBay-Auktion drangeblieben. Ihr fehlte die Willenskraft, den Mantel auszuziehen. Paul ließ seinen Dufflecoat auf die Armlehne des Sofas fallen.

Er fragte sie mit gedämpfter Stimme, ob sie etwas trinken wolle, und wieder kam es ihr so vor, als wäre sie die Einzige, die keine Kopie des Drehbuchs bekommen hatte.

Sollte sie jetzt gleich anfangen zu schreien? Oder später? War es unverschämt von ihm, ihr einen Drink anzubieten? Sollte sie ihm untersagen, etwas zu trinken? Sie schüttelte nur den Kopf und hörte das leise Quietschen von Schranktüren, das dezente Klappern von Glas auf der Arbeitsfläche, das Klirren einer Flasche am Glas. Es gluckerte leise … Whisky? Sie wusste genau, dass Paul sich schon einen kräftigen Schluck genehmigt hatte, ehe er wieder ins Wohnzimmer kam.

Schwer ließ er sich auf dem ausgefransten gelben Samtsofa nieder, das im rechten Winkel zu ihr stand.

»Bitte sag was, Dee.« Immerhin klang seine Stimme erfreulich zittrig.

»Was soll ich denn sagen? Und nenn mich nicht Dee.«

Schweigen. Nur Parsnips zu lange nicht mehr gekürzte Krallen klapperten auf den Fliesen, als er Paul aus der Küche folgte und zu seinem Körbchen im Hausflur lief.

Erwartete man von ihr, dass sie dieses Gespräch eröffnete?

»Wie hat das angefangen?«

Paul starrte in den leeren Kamin. »Sie war eines Abends bei mir im Pub.«

Genau wie bei mir, dachte Delia.

»Wann?«

»Vor etwa drei Monaten.«

»Und?«

»Wir sind ins Gespräch gekommen.«

Eine Pause entstand. Pauls Gesicht nahm wieder diese Herzstillstand-Farbe an. Offenbar war es für ihn genauso grässlich, ihr all das erzählen zu müssen, wie ertappt worden zu sein. Gut.

»Ihr kommt ins Gespräch, und ehe du dichs versiehst, steckt dein Penis in ihr?«

»Ich wollte nicht, dass das passiert, Dee … Delia. Es ist wie der Alptraum von einer Parallelwelt. Ich kann es selbst nicht fassen.«

»Wie ist es dazu gekommen, dass du sie gevögelt hast?«, kreischte Delia, und Paul fuhr vor Schreck beinahe zusammen. In den Kulissen gab Parsnip ein erschrockenes Jaulen von sich. Paul stellte sein Glas mit hörbarem Poltern ab und legte beide Hände in den Schoß.

»Sie ist immer öfter in den Pub gekommen. Wir haben geflirtet. Dann, eines Freitagabends, habe ich mit ein paar Stammgästen nach der Sperrstunde noch ein bisschen gefeiert. Sie und ihre Freundinnen waren auch dabei, und sie ist zu mir gekommen, als ich schon ziemlich betrunken war. Ich wusste ja, dass sie mich mag, aber … ich war total geschockt.«

»Und hast es mit ihr in der Vorratskammer getrieben?«

»Nein!«

»Doch, hast du. Gib es zu.«

»Nein, wirklich nicht«, beteuerte Paul nicht ganz überzeugend und schüttelte den Kopf. Delia kannte die Antwort, die er nicht aussprechen wollte: kein richtiger Sex. Aber mehr als ein Kuss. Das, was Ann als »schmutzige Fummelei« bezeichnete.

»Wie heißt sie?«

»Celine.«

Ein cooler Name. Sexy. »Celine« beschwor Visionen von einer Gitanes rauchenden Rive-Gauche-Schönheit mit trendigem Pixie Cut und hautenger schwarzer 7/8-Hose herauf.

Oh Gott, tat das weh. Jedes Mal eine neue Wunde, als würde sie von jemandem ausgepeitscht, der genau wusste, wie lange er den letzten Hieb brennen lassen musste, ehe er erneut zuschlug.

»Sie ist Französin?«

»Nein …« Er begegnete ihrem Blick. »Ihre Mum steht auf Celine Dion.«

Wenn Paul glaubte, er könne irgendeinen Anflug von »du würdest sie mögen, sie ist wirklich nett, ihr könntet Freundinnen sein« riskieren, indem er Sachen über Celine einstreute, die sie ihm im Bett erzählt hatte … Delia fürchtete, dann könnte sie gewalttätig werden.

»Wie alt ist sie?«

Paul ließ den Blick wieder sinken. »Vierundzwanzig.«

»Vierundzwanzig?! Das ist ja lächerlich.« Delia hatte sich nie alt gefühlt, aber jetzt brodelte die Unsicherheit in ihr hoch, weil vierundzwanzig nun mal … seidenglatte vierundzwanzig war im Vergleich zu ihren wollenen dreiunddreißig. Sie hatte sich nie Sorgen gemacht bei dem Gedanken, dass sich so viele Männer jüngere Frauen suchten, aber hier waren sie nun – ein wandelndes Klischee.

Vierundzwanzig. Ein Jahr älter, als Delia gewesen war, als sie Paul kennengelernt hatte. Er hatte sie ausgetauscht. Zehnjähriges Jubiläum – Zeit, sich eine zehn Jahre jüngere Frau zu suchen.

»Wie oft hast du mit ihr geschlafen?«

Manche Leute wollen in so einer Situation gar nichts wissen, andere alles. Delia hatte sich nie gefragt, zu welcher Sorte sie gehörte. Sie war der Alles-Typ, wie sich gerade herausstellte.

»Ich weiß es nicht.«

»So oft, dass du es nicht mehr zusammenbekommst?«

»Ich habe nicht mitgezählt.«

»Das ist ja wohl dasselbe.«

Eine Pause entstand. So oft, dass Paul nicht mehr mitgezählt hatte. Delia hätte ihm nach kurzem Nachdenken wahrscheinlich sagen können, wie oft sie beide in diesem Jahr miteinander geschlafen hatten.

»Wo hast du mit ihr geschlafen?«

»Bei ihr zu Hause. In Jesmond. Sie studiert noch.«

Delia sah es förmlich vor sich – sie hatte als Studentin auch dort gewohnt. Nackte Glühbirne mit so einer Draht-Girlande umwickelt, die wie eine Wolke silbriger Schmetterlinge wirkte. Rote Lichterkette in Form kleiner Chili-Schoten über das Kopfteil drapiert. Ikea-Bettwäsche. Nackte Körper darunter, die kicherten. Stöhnten. Ihr wurde wieder schlecht.

»Wie hast du das geheim gehalten? Ich meine, was dachte ich, wo du bist?«

Dass sie nichts geahnt hatte, war wirklich verblüffend. Sie war immer so stolz auf das große Vertrauen zwischen ihnen gewesen. »Er hat jede Menge Gelegenheiten, machst du dir da gar keine Gedanken?«, fragten manche Frauen sie. Und sie hatte immer nur gelacht. Kein bisschen. Paul und sie betrogen einander doch nicht.

»Manchmal habe ich abends früher Schluss gemacht. Delia, bitte, können wir …« Paul barg das Gesicht in den Händen. Hände, die an Stellen gewesen waren, auf die sie nie im Leben gekommen wäre.

Sie blickte auf ihr eigens für diesen Tag gekauftes Kleid mit den Libellen hinab. Sie und Paul hatten ein gemeinsames Zuhause, eine Wellenlänge, ein Haustier, eine Vergangenheit. Sie waren immer ehrlich zueinander – hatte sie zumindest geglaubt. Fand einer von ihnen mal jemand anderen interessant, dann witzelten sie gemeinsam darüber. Sie konnten einander so etwas eingestehen in der Gewissheit, dass kein ernstes Risiko bestand. Zwischen ihnen gab es genug Freiraum, Vertrauen, lange Leine … Paul und Delia. Delia und Paul. Viele Leute wünschten sich sehnlichst das, was sie hatten.

»Wie ist sie im Bett?«, fragte Delia.

»Müssen wir denn …?«

»Müssen wir denn dieses ach so unangenehme Gespräch darüber führen, wie oft du mich betrogen hast? Das war deine Entscheidung, nicht meine, oder?«

Es fühlte sich an, als hätte Paul einen Eindringling in ihr Leben gelassen, eine dritte Person in ihr Bett geholt. Der totale, unfassbare, völlig sinnlose Verrat des einen Menschen in ihrem Leben, auf den sie sich ganz und gar verlassen hatte. Warum? Sie wollte sich nicht selbst hinterfragen – Paul war derjenige, der hier ins Kreuzverhör genommen wurde –, aber sie konnte nicht anders.

Wäre es anders gekommen, wenn ich anders gewesen wäre? Dir nicht so ein Gefühl der Sicherheit gegeben hätte? Zehn Kilo abgenommen, öfter oben sein wollen, mehr allein unternommen hätte?

»Anfangs war es wie eine außerkörperliche Wahrnehmung«, erklärte Paul. Delia öffnete den Mund, um zu erwidern, dass die Erfahrung ja wohl eher sehr körperlich gewesen sein dürfte, und Paul fuhr hastig fort: »Als stünde ich neben mir. Ich konnte selbst nicht glauben, was ich da tat und dass ich dazu überhaupt fähig war. Ich habe das nicht gewollt, das schwöre ich. Unsere Beziehung ist so stabil …«

»War sie«, verbesserte Delia ihn, und Paul machte ein klägliches Gesicht.

»Und … also, ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte. Es war, als hätte ich eine Grenze überschritten und könnte nicht mehr zurück. Ich habe mich dafür verabscheut, aber ich konnte nicht aufhören.«

Ja, darauf würden sie später noch zu sprechen kommen – auf das Aufhören, dachte Delia.

»Wie ist sie im Bett?«, wiederholte sie.

Paul wand sich. »Ich habe nie Vergleiche angestellt.«

»Dann fang jetzt damit an.«

»Ich weiß nicht.«

»War sie wie ich?«

»Nein!«

»Also anders.«

»Ich weiß nicht.«

»Besser?«

»Nein.«

»Würdest du es mir sagen, wenn sie besser im Bett wäre als ich?«

»Ich … weiß nicht. Ist sie aber nicht.«

»Hattest du dir so etwas schon länger gewünscht? Einen Seitensprung?«

»Nein! Himmel, nein. Es ist einfach passiert.«

»So etwas passiert nicht. Du hast dich dafür entschieden, das zu tun, und dafür gibt es einen Grund. Ich meine, es müssen dich schon andere Frauen angemacht haben, und du hast nein gesagt. Hast du mir jedenfalls erzählt.«

»Habe ich, immer. Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte.«

»Sie war so attraktiv, dass du unmöglich widerstehen konntest?«

Paul schüttelte den Kopf. »Ich nehme an, ich habe überhaupt nicht mit so etwas gerechnet, und als ich dann zu viel getrunken hatte, ist es eben passiert.«

»Was wolltest du ihr morgen sagen?«

Paul blickte zur Abwechslung verständnislos drein.

Delia zitierte: »Sie hat mir einen Antrag gemacht. Weiß nicht, was ich tun soll. Sehen wir uns morgen?«

Paul senkte den Blick.

Wie aufs Stichwort erklang ein verräterisches Ping aus Pauls Mantel auf der Sofalehne. Sie wussten beide, was das war: Celines Antwort.

6

Lies sie«, sagte Delia, doch Paul schüttelte den Kopf.

Delia fühlte geradezu giftige Entschlossenheit durch ihre Adern fließen. »Lies sie vor«, forderte sie.

Paul holte das Handy aus seiner Manteltasche. Sie beobachtete ihn, um an seiner Miene zu erkennen, ob die Nachricht vielleicht doch von jemand anderem war. Aber sein gramerfülltes Stirnrunzeln zeigte ihr, dass sie von Celine war.

»Ich lese das jetzt nicht.«

»Wenn du willst, dass je wieder so etwas wie Vertrauen zwischen uns entstehen kann, dann liest du mir jetzt diese SMS vor.«

Mit grimmig zusammengebissenen Zähnen wischte Paul über den Touchscreen. Als er endlich sprach, klang seine Stimme erstickt. Delia wusste in diesem Moment, dass sie nie vergessen würde, wie absurd es war, die Worte der Geliebten in der Stimme ihres Verlobten zu hören. Sie sah ihm an, dass er verzweifelt versuchte, die Nachricht für sie zu beschönigen, doch er hatte nicht genug Zeit, es so hinzubekommen, dass die Worte natürlich klangen.

»Wenn ich glaube, dass du irgendetwas auslässt, werde ich sie mir ansehen«, warnte sie ihn und erkannte ihre eigene Stimme nicht wieder. Die verschmähte Frau war keine Rolle, in der sie sich je gesehen hätte.

»Oh Gott, du heiratest sie? Was bedeutet das für uns? Kannst du …« Paul blickte beschämt und flehentlich zugleich auf, als habe er die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass Delia in Tränen ausbrechen und ihm den Rest ersparen würde. Sie schüttelte den Kopf und zwang sich zu warten. Mit leiser Grabesstimme fuhr er fort: »Kannst du heute Nacht noch irgendwie weg und mich anrufen? Sehen uns morgen. Ich liebe dich. C.«

Liebe.

»Wie viele Küsse?«

»Drei.«

Delia schnappte nach Luft und spürte, wie ihr nun doch die Tränen kamen. Warme Tropfen rannen ihr die Wangen hinab, und Paul verschwand hinter einem Schleier. Auch Delias Nase begann zu laufen – das volle Programm. Paul stand auf, um sie zu trösten, und sie schrie ihn an, er solle bloß wegbleiben. Delia würde ihm nicht erlauben, sie zu umarmen, damit er sich besser fühlte. Als könnte ausgerechnet er sie in diesem Moment aufheitern.

Sie rieb sich die Augen, und als sie wieder klar sehen konnte, merkte sie, dass auch Paul weinte, wenngleich weniger sturzbachartig. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.

»Ich mache Schluss mit ihr. Es ist vorbei. Das war ein gigantischer, furchtbarer Fehler …«

»Was wolltest du ihr morgen sagen?«, unterbrach Delia ihn halb schluchzend.

Paul schüttelte den Kopf und schien sich allmählich selbst leidzutun, weil er lauter so schwierige Fragen beantworten sollte.

»Sag mir die Wahrheit, sonst hat es keinen Zweck. Wenn du mich weiter belügst, ist das alles sinnlos.«

»Ich wollte ihr sagen, dass wir beide heiraten werden und mit ihr Schluss ist.«

»Nein, das stimmt nicht. Du hast ihr geschrieben, du wüsstest nicht, was du tun sollst.«

»Ich wollte nur nicht per SMS Schluss machen, sondern es ihr ein bisschen schonend beibringen.«

Delia räusperte sich mehrmals und trocknete ihr Gesicht, so gut es mit bloßen Händen ging.

»Ich glaube dir nicht. Du hattest dich noch gar nicht entschieden, was du ihr sagen würdest. Und du willst nicht heiraten.«

Paul brummte: »Du hast mich damit ganz schön überrascht, das gebe ich zu.«

»Ich kann mir vorstellen, dass du nicht ans Heiraten gedacht hast. Du warst schließlich damit beschäftigt, es mit einer anderen zu treiben.«

Paul sah sie mit geröteten Augen an.

»Wie wäre dir zumute, wenn ich so etwas getan hätte?«

»Ich wäre am Boden zerstört«, antwortete Paul, ohne zu zögern. »Völlig am Ende. Was ich getan habe, war entsetzlich unfair, falsch und dumm. Ich hasse mich dafür.«

Trotzdem – bildete Delia sich das nur ein, oder klang er schon nicht mehr ganz so geknickt? Etwas von Pauls typischer Selbstsicherheit hatte sich wieder in seine Stimme geschlichen. Für ihn war das Schlimmste schon geschehen – Delia hatte es herausgefunden. Nun war er dabei, sich von dem Schock zu erholen, während Delias Leben noch in Scherben lag.

Parsnip kam hereingewatschelt. Zum ersten Mal, seit sie den Hund zu sich geholt hatten, ärgerte Delia sich über ihn. Sie hatte im Laufe der Zeit jede Menge Pisse aufgewischt. Paul streichelte den Hund, um sein Unbehagen zu lindern und die Spannung im Raum zu zerstreuen.

»Ich weiß, es wird viel Mühe und Zeit brauchen, um darüber hinwegzukommen, aber bitte sag mir, dass wir das schaffen können«, sagte Paul.

Er wollte sie nicht um Celines willen verlassen? Bisher hatte sie es nicht so direkt formuliert, aber das war wohl die eigentliche Frage, oder? Dann dämmerte ihr, was er in Wahrheit wissen wollte. Wenn ich mit Celine Schluss mache, versprichst du mir dann, dass du bei mir bleibst? Hauptsache, er blieb nachher nicht ohne eine von beiden zurück.

Sie war noch nicht einmal ansatzweise so weit, sich über ihre Gefühle klarzuwerden. Vor allem deshalb, weil sie nicht glaubte, dass er vorgehabt hatte, mit Celine Schluss zu machen. Seine SMS drückte Unsicherheit aus – sag mir, was ich tun soll. Dasselbe fragte er jetzt sie.

Das Licht spiegelte sich auf einem der Sektgläser in ihrer offenen Handtasche. Sie hatten sie gar nicht benutzt.

Zehn Jahre ein Paar, von Gewissensbissen geplagt, und dennoch war er nicht einmal auf ihren Wunsch eingegangen, mit dem Sekt anzustoßen. Na ja, vielleicht war sein schlechtes Gewissen der Grund dafür, dass er keinen Rummel um ihre Verlobung hatte machen wollen. Das war Delia allerdings auch kein Trost.

»Ich weiß nicht, ob wir das können«, antwortete Delia und stand auf. Ihr steifer Tüllrock raschelte. Sie kam sich vor wie eine zu bunt bemalte Marionette. »Ich gehe jetzt schlafen. Im Gästezimmer.«

»Das musst du nicht, ich kann da schlafen.«

»Ich will nicht in unserem Bett liegen. Morgen gehe ich zu meinen Eltern. Dann kannst du Celine treffen und ihr sagen, was immer du willst.«

»Wir können das doch nicht einfach so stehenlassen«, protestierte Paul.

Erwartete er im Ernst irgendein Versprechen von ihr? Delia fragte sich, was das über Paul aussagte. Und über sie selbst.

»Ich kenne den Mann nicht mehr, mit dem ich zusammen bin. Woher soll ich also wissen, ob ich mit ihm zusammenbleiben will?«

»Ich bin immer noch derselbe Mensch, ich habe nur etwas absolut Arschiges getan.«

»Nein, du bist nicht derselbe. Du bist jemand, der mich betrogen hat und dem ich nicht vertraue.«

Delia ließ Paul mit Parsnip zurück, trampelte die Treppe hinauf, zog ihr Kleid aus und ging so, wie sie war – dick geschminkt und in nagelneuen Dessous –, ins Bett. Sie weinte nicht mehr. Sie war wie betäubt, schien nur noch halb lebendig. Es fühlte sich an, als hätte eine der Herzkammern einfach aufgehört, Blut durch ihren Körper zu pumpen. Love Will Tear us Apart von Joy Division dudelte ihr in Endlosschleife durch den Kopf.

Womöglich hatte Paul es nicht deshalb so lange vermieden, Nägel mit Köpfen zu machen und zu heiraten, weil er auf etwas wartete. Sondern auf jemanden.

7

Ralph öffnete Delia die Tür in einem T-Shirt mit der Aufschrift Colorado Surf Club ’83 und mit einer durchhängenden, butterglänzenden Scheibe ungetoastetem Toast in der Hand.

»Na?«, begrüßte er sie grinsend. Dann fiel ihm wieder ein, warum seine große Schwester mit einem Koffer und verquollenen Augen vor der Tür stand. »Äh. Geht’s dir … gut?«

Delia musste wider Willen lächeln. Ralph hatte die Feinheiten zwischenmenschlicher Kommunikation nie ganz verstanden. Liberale, wohlmeinende Lehrer an ihrer Schule hatten versucht, ihm diese oder jene Diagnose zuzuordnen, damit man das Ganze mit einem Etikett versehen und sich besser fühlen konnte. Aber es war ihnen nie gelungen. Ralph litt an chronischer … Ralphheit. Delias Ansicht nach eine gutartige Geschichte.

»Ging mir schon besser«, antwortete sie lächelnd, trat ein und streckte die Arme nach ihm aus. Ralph neigte auf verlegene, rührende Art den Kopf und schlang die Arme um sie, als ahme er eine Geste nach, die er mal in einem Ratgeber mit dem Titel Menschen – Haltung und Umgang gelesen hatte.

Ralph war ein Berg von einem Mann mit demselben karottenroten Haar wie Delia, das in planlosen Büscheln vom Kopf abstand.

Ein fieser Beobachter hätte vielleicht angemerkt, dass es nicht nur der frappierende Mangel an Küsten in Colorado war, der Ralph als Mitglied des Surf Club ausschloss. Sein Gewicht machte auch Delia Sorgen, aber er arbeitete in einem Imbiss, und es war noch kein Junk-Food erfunden worden, das Ralph nicht mochte. Der Kampf war also vergeblich.

»Mum ist im Schrebergarten, und Dad ist hinten. Willst du auch Toast?«

Delia schüttelte den Kopf. Sie hatte seit dem Curry vom Abend zuvor nichts mehr gegessen – bloß gut, dass die Portion so riesig gewesen war. Ihr Magen glich inzwischen dem Knoten in einem Luftballon, der sich noch fester zusammenzog, wann immer sie länger als eine Minute zum Nachdenken kam.

»Ich bringe erst mal den Koffer in mein Zimmer«, erklärte Delia so fröhlich, wie sie eben konnte. Sie zerrte mühsam den rumpelnden Trolley die Treppe hinauf und war dankbar dafür, dass ihren Eltern dieser jämmerliche Anblick erspart blieb. Die dreiunddreißigjährige Streunerin war wieder zu Hause.

Dabei hatte sie ihnen heute ihren Verlobungsring zeigen wollen.

»Wie geht’s Parsnip?«, fragte Ralph ihren Rücken.