Es war zweimal - Jan Philipp Zymny - E-Book

Es war zweimal E-Book

Jan Philipp Zymny

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Beschreibung

Es war zweimal … so fängt keine ordentliche Geschichte an, doch dieses Buch beinhaltet auch keine ordentlichen Geschichten. Tatsächlich sind die hier versammelten Texte höchst unordentlich. Grade so, als ob jemand wert darauf gelegt hätte, die konfusesten, verwirrendsten und absurdesten Gedanken zusammenzutragen, sie in Geschichten und Gedichte zu pressen und damit eine Weltanschauung zu präsentieren, welche die Realität als solche nicht nur ablehnt, sondern sie verspottet, indem es ganz eigene Antworten auf die großen Fragen des Lebens erfindet. Ein Buch für alle fortgeschrittenen Freunde der surrealen Literatur und des absurden Humors, das nicht nur einen neuen Schwung der bekannten und beliebten Bühnentexte von Jan Philipp Zymny enthält, sondern diese mit der Technik des begleiteten Lesens präsentiert, bei der der Rezipient „behutsam" in jedes Werk hinein und wieder heraus geführt, oder auch zwischen durch mal nach seiner allgemeinen Befindlichkeit gefragt wird. Schauen Sie, das klingt jetzt alles sehr verwirrend … weil es das ist … aber schlagen Sie doch einfach irgendeine Seite auf, picken sich willkürlich einen Satz heraus, lesen ihn zur Hälfte und bilden sich dann auf Basis dessen ein Urteil.

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Prosa bei Lektora

Bd. 49

Jan Philipp Zymny

Es war Zweimal …

Eine schriftliche Meditation über den Sinn unddie Geheimnisse des Lebens

Lektora, Paderborn

ERSTE AUFLAGE 2015

Alle Rechte vorbehalten Copyright 2015 by

LEKTORA GMBH Karlstraße 56 33098 Paderborn Tel.: 05251 6886809 Fax: 05251 6886815www.lektora-verlag.de

Cover: Artur Fast Lektorat: Lektora GmbH Satz: Lektora GmbH

eISBN: 978-3-95461-065-5

INHALT

VORWORT

MENSCHEN REDEN ÜBER KISTEN

Deutsche Sprache, schwierige Sprache

Warum ist der Drops gelutscht?

Das Geheimnis der güldenen Winkekatze – Ein uraltes Märchen aus dem antiken China

BEZIEHUNGSKISTEN

Tiere – und wie man sie zubereitet:Eine Bauanleitung für Nahrung aus Lebewesen

Dialektik im Primatengehege

Rennen und Brüllen

Erster Monolog der Lady Cuddlefish aus der Daily Soap: „Explodierende Herzen“

Seid gewarnt!

Ich bin müde

IN DER KISTE

Beschimpfung an den Vollmond

Ritter Flüsch ersticht die Sonne

Physik ist schön. Niemand braucht Physik

AUSSERHALB DER KISTE

Konklave 3000

Der Pfad zur Erleuchtung

UND JETZT?

Ein Nachwort

Das Wunder der Geburt

„I reject your reality and substitue my own.“– Adam Savage

VORWORT

Das Vorwort

„Es war zweimal ...“ Viele Leute denken, wenn sie das lesen, sofort: „Aha! Das ist ja noch früher als ‚Es war einmal …‘, denn die Anfänge von Geschichten funktionieren ja wie ein Countdown.“

„Es war dreimal ...“ spielt in der Steinzeit, dann kommt die Antike mit „Es war zweimal ...“, gefolgt von „Es war einmal ...“ für das Mittelalter – man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Märchenzeitalter – und heute sagen wir „Es ist nullmal ...“, doch da irgendwas mal null immer null ergibt, kann man das kürzen, weshalb wir nur „Es ist ...“ sagen. Das nennt man erste historische Kürzung. Völlig klar.

Viele Leute denken da ziemlich falsch. Allerdings muss ich gestehen, dass auch ich selbst dies oft so behauptet habe auf Bühnen und in den Literaturwissenschaftsvorlesungen, die ich an einer Universität in meiner Fantasie halte.

Hallo,

mein Name ist Jan Philipp Zymny, und Sie lesen das Vorwort. Doch es gibt noch mehr Offensichtliches zu berichten, denn die obenstehende Hypothese stimmt natürlich vorne und hinten nicht.

Bekanntermaßen ist die Steinzeit prähistorisch, sprich: vorgeschichtlich. Da gab es also noch gar keine Geschichten. Folglich ist auch nicht eine einzige aus jener Epoche überliefert.

An dieser Stelle höre ich bereits die ersten Klugscheißer aus der Ferne rufen: „Aber was ist mit Höhlenmalereien?!“ Und ich rufe zurück: „Schweigt still, Klugscheißer! Höhlenmalereien sind keine Geschichten!“

Hier ist ein Bild von uns, wie wir Speere auf ein Mammut werfen.

Das ist keine Geschichte! Das ist Facebook. (Allgemein sind Parallelen zwischen Facebook und bemalten Höhlenwänden aus der Steinzeit überwältigend! Doch darum soll es an dieser Stelle nicht gehen.)

Wir haben Hunger. Wir werfen Speere auf ein Mammut. Das Mammut ist tot. Wir bringen das Mammut in unsere Höhle. Wir essen das Mammut. Das Mammut schmeckt lecker.

Das ist eine Geschichte. Keine besonders gute zugegeben, aber sie hat eine nachvollziehbare Handlung: Problem, Aktion, Lösung – die allereinfachste Form der Erzählung.

Nicht mal das haben die hingekriegt. Dumme Höhlenmenschblödköpfe, ey! Könnt ich mich aufregen! Mach ich jetzt auch, denn das ist ja ein Bestcase-Szenario. Im Regelfall wird es eher so abgelaufen sein:

Wir haben Hunger. Wir werfen Speere auf ein Mammut. Das Mammut ist wütend. Wir sind tot. Das Mammut bringt uns in seine Höhle. Wir schmecken lecker.

Aber dann ist halt niemand mehr da, der das Geschehene auf CaveWall posten kann. Genau wie heute in Onlineprofilen oder über dem Kamin wurden auch damals nur die erfolgreichsten Augenblicke verewigt. Natürlich! Es gibt keine Höhlenmalereien, die so aussehen ...

Wir haben Hunger. Wir werfen Speere auf ein Mammut. Leider haben wir nicht getroffen. Das Mammut ist trotzdem wütend. Wir laufen davon. Wieder daheim essen wir Beeren, die eine alte Frau vor der Höhle im Gebüsch gefunden hat. Ist aber auch lecker.

… und genauso gibt es dieser Tage keine Arztpraxis mit gerahmten Kunstfehlerklagen an der Wand.

Verdammt, jetzt hab ich mich dermaßen über Höhlenmenschen ereifert, dass ich den Faden verloren habe. Wo war ich? Ach ja! Es war dreimal … In der Steinzeit fällt also das „Es war dreimal ...“ weg und folglich müssten die Antikos mit „Es war zweimal ...“ angefangen haben, damit die Märchen im Mittelalter bei „Es war einmal …“ rauskommen. Das funktioniert jedoch nicht, denn kein vernünftiger Countdown beginnt mit 2. Traditionell beginnt ein Countdown mit 3, 5 oder 10.

Hinzu kommt: Was sollen denn die Menschen in der Zukunft sagen? Es war minuseinmal? Das sieht doch nicht aus! Was sollen die Nachbarn sagen? Die Nachbarn der Zukunft! In den anderen Dimensionen. Die werden dann dastehen mit Bügeleisen anstatt Händen, ihren Augen aus Diamanten und uns auslachen für unsere seltsamen Erzählanfänge!

Das ist alles ziemlich großer Blödsinn, doch in diesem Buch geht es nicht um Blödsinn. Es geht um Unsinn. Da besteht ein wichtiger Unterschied!

Wir sehen: „Es war zweimal ...“ kann nicht irgendeinem erzählhistorischen Countdown entstammen, sondern ist einfach nur ziemlich genau Eins mehr als „Es war einmal …“ Was aber bedeutet das?

„Es war einmal …“ leitet klassischerweise ein Märchen ein. Ziel des Märchens ist die Moral, eine Antwort auf die Frage, wie man sich in einer bestimmten alltäglichen Situation verhalten muss, um nicht den gleichen Gefahren ausgesetzt zu sein wie die Protagonisten. Es gibt da einige anschauliche Beispiele:

a) Rotkäppchen: Geh nicht alleine in den Wald und wenn deine Großmutter wie ein Wolf aussieht, ist sie vermutlich auch einer. Da besteht kein Bedarf, dumme Fragen zu stellen.

b) Schneewittchen: Wenn du hübsch bist, kann es sein, dass du in einer WG mit sieben Typen endest, trotzdem ist es keine gute Idee, Obst von Fremden anzunehmen.

c) Aschenputtel: Wenn dein Gesicht so wenig markant ist, dass dein Tanzpartner es sich nicht merken kann, tust du gut daran, die einzige Person im Königreich mit deiner Schuhgröße zu sein.

d) Rapunzel: Schneid dir die Haare, sonst benutzen sie andere als Ausrüstung zum Bergsteigen.

Die Liste ließe sich endlos fortführen, doch ich denke, das Prinzip ist klar.

Was macht nun Geschichten, die mit „Es war zweimal ...“ anfangen, um Eins mehr als Märchen?

Alle Geschichten, Gedichte und sonstigen Erzählformen in diesem Buch finden mindestens zwei Antworten für die großen Fragen der Menschheit in bestimmteren überalltäglichen Situationen. Es werden also anhand sehr spezieller, surrealer Ereignisse die größten Rätsel behandelt, um dann am Ende mit einer Vielzahl an Lösungen dazustehen.

Moment, werden Sie jetzt vielleicht denken, wie kann es für eine Frage mehrere Antworten geben? Das ist der Punkt, wo der Unsinn ins Spiel kommt, denn es gibt zwei Möglichkeiten, die Antwort auf eine Frage zu finden. Lassen Sie mich dies durch ein Gleichnis verdeutlichen – Jesusstyle.

Angenommen, die Frage ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, dabei ist die Nadel die Antwort und das Heu repräsentiert als Nichtnadelmenge all die „falschen/unsinnigen“ Antworten. Wie kommt man an die Nadel?

Entweder: Sie suchen die Nadel direkt, was sehr schwierig, langwierig und frustrierend ist, da Sie ja nach einer Nadel suchen, doch überall nur Heu finden. So machen es Denker seit tausenden von Jahren. Warum sollten wir das also noch mal machen?

Oder: Sie sortieren aus dem Heunadelgemisch alles heraus, was Heu (sprich Nichtnadel) ist, und legen es beiseite. Das dauert genauso seine Zeit, doch was am Ende auf dem Boden liegt, ist definitiv die Nadel. Auf diese Weise ist man auch nicht so schnell frustriert, schließlich erwartet man Heu und findet reichlich davon.

Oh, wie ich die Klugscheißer wieder rufen höre von ihren billigen Plätzen. Warum sollte man dann dieses Buch überhaupt lesen? Das ist ja alles eh nur Heu!

Schweigt erneut und schweigt noch mehr, ihr Defäkatoren der Intelligenz!

Sie können natürlich diejenigen lesen, die Ihnen Heu als Nadel verkaufen (mit bestem Wissen und Gewissen zugegeben), und dann nach ein paar Jahren verkünden, man wüsste es nun besser, um Ihnen ein anderes Stück Heu vor die Nase zu halten, das ein bisschen mehr wie eine Nadel aussieht als das erste. Sie können aber auch mir Ihre Aufmerksamkeit schenken. Ich habe nur Heu. Ich sage Ihnen ausdrücklich, dass es Heu ist, doch erwarte ich nicht, dass Sie es als Nadel akzeptieren.

Ich lade Sie nur ein, gemeinsam mit mir über das Heu als solches zu lachen. Doch wer weiß? Vielleicht schauen Sie am Ende auf den Boden und entdecken dort eine Nadel. Das liegt bei Ihnen. Bücken müssen Sie sich schon alleine, immerhin sortiere ich für Sie den Haufen!

Jetzt musste ich gerade beim Schreiben ein bisschen schmunzeln. Ich habe mich wohl ziemlich in dieser Nadel-im–Heuhaufen-Metapher verloren. Der Punkt ist aber der:

In einem Universum, das keinen Sinn ergibt, ist die Lüge genauso wertvoll wie die Wahrheit. Wobei die Lüge oder auch der Unsinn ihre ganz eigene Schönheit besitzen. Eine Schönheit, die uns manchmal verwirrt, manchmal abaliniert, ja manchmal sogar verletzt. Doch die, wenn man es richtig macht, oft auch zum Lachen bringt.

Dieses Buch ist folglich mein dritter Schritt auf dem Weg, all die Sachen zu schreiben und zu sagen, die wahrhaftig keinen Sinn ergeben, und mich dieser seltsamen Schönheit zu widmen. Ich hoffe, dass Sie, werte(r) LeserIn, genauso Spaß daran finden werden und nicht nur die Ästhetik des Unsinns, sondern auch die Ästhetik meiner Komposition erkennen können.

Mögen Ihre Pommes stets recht gesalzen sein!

Jan Philipp Zymny

MENSCHEN REDEN ÜBER KISTEN

Wir sind Menschen.

Lassen Sie uns hier beginnen auf unserer gemeinsamen Jagd nach den großen – den überalltäglichen – Fragen des Lebens. Dieser scheinbar einfache Satz impliziert grundlegend drei Umstände.

Erstens: Wir – das sind Sie, werte Leserschaft, und ich. Schauen Sie auf sich. Schauen Sie auf mich. Und schauen Sie wieder auf sich selbst. Was fällt auf? Wir sind mindestens zwei unterschiedliche Bewusstseins … Bewusstseine? Bewusstseinii? Wie möchten Sie den Plural bilden? Hier geht es ja auch schon los! Die Sprache pfuscht in unseren herrlich absurden Gedanken herum, doch dazu in wenigen Augenblicken mehr.

Wir sind also mehr als ein Bewusstsein – mindestens zwei an der Zahl. Wenn dem nicht so wäre, müsste ich dieses Buch nicht schreiben und Sie es schon gar nicht lesen, dann wüssten Sie das nämlich schon alles. Sofort. Sie lachen. Ich lache. Fertig. Da das so nicht geschehen ist, schrieb ich und Sie lesen. Zack! Beweis erbracht.

Zweitens: sind – oder anders: Wir existieren. An diesem Punkt wird es bereits etwas kniffliger. Stellen wir das erst mal hinten an … Na, stellen wir es lieber in die zweite Hälfte des Buches („In der Kiste“ & „Außerhalb der Kiste“), denn wir haben ja noch die Sache mit der Sprache offen und viel zu tun.

Drittens: Menschen – das Menschensein bedeutet für mich hauptsächlich zu denken (besonders in Form von Sprache) und mit anderen Angehörigen unserer Spezies zu interagieren. Denken ist sehr kompliziert. Machen Sie es wie ich, erlernen Sie die uralte Kunst zu reden, bevor Sie denken. Wenn Sie das gemeistert haben, können Sie nicht nur während Sie reden an ganz andere Sachen denken, sondern vielleicht sogar equulent werden. Equulenz setzt sich aus Equus (lat.: Pferd) und Eloquenz (Redegewandtheit) zusammen und beschreibt damit die Macht, den Leuten kunstvoll einen vom Pferd zu erzählen. (Finden Sie es nicht auch wundervoll ironisch, dass man sehr eloquent sein muss, um das Wort Eloquenz zu kennen? Doch das nur recht nebenbei.)

Darum soll es im ersten Überkapitel („Menschen reden über Kisten“) gehen. Die Interaktion und das Verhältnis unter Menschen kriegen wir dann im nächsten („Beziehungskisten“). Immer schön der Reihe nach, sonst verirren wir uns noch auf dem Pfad zur Erleuchtung.

Wenden wir uns als erstes der Sprache zu, speziell der deutschen, da dieses Buch sich ihrer bedient und wir uns erst klar machen müssen, wie unser Unsinn hier kommuniziert wird, damit wir ihn näher untersuchen können. Ich persönlich bin jedenfalls ein großer Freund der deutschen Sprache. Warum, erklärt mein erstes Essay.

Deutsche Sprache, schwierige Sprache

Die deutsche Sprache ist ein wundervolles, kleines Ding. Sie hat weniger Worte, als sie braucht, weshalb sie es dem Nutzer sehr leicht macht, die unterschiedlichsten Worte zu einem neuen zusammenzuschweißen. Das nennt man dann Kompositum und funktioniert so: Tisch und Bein wird zu Tischbein, Eier und Uhr werden zu Eieruhr, Apfelmus und Doktorarbeit werden zu Apfelmusdoktorarbeit – ein Doktor in Apfelmusologie!

Gleichzeitig hat die deutsche Sprache auch mehr Worte, als sie braucht. Andere Sprachen haben viel weniger Worte. Das Englische for example hat nur etwa 200 Worte und die Hälfte davon kann durch „get“ oder „make“ ersetzt werden. Die andere Hälfte sind Worte für Rap-Musik oder betreffen das Internet. (Dadurch, dass Englisch keine Umlaute hat, können viele überflüssige Worte gar nicht erst gebildet werden.)

Hier zeichnet sich sofort einer der Grundaspekte der deutschen Sprache ab. Sie ist hochgradig ambivalent in der Form, dass sie faul und kompliziert zugleich ist.

Ihre Komplexität zeigt sich nicht nur in den vielen unterschiedlichen Fällen und Artikeln und Ausnahmen von den Regeln, sondern auch in so scheinbar einfachen Sätzen wie: „Was geschehen ist, ist geschehen.“ Man kann diesen Satz auf drei unterschiedliche Arten schreiben:

Was geschehen ist, ist geschehen.

Was Geschehen ist, ist Geschehen.

Was Geschehen ist, ist geschehen./Was geschehen ist, ist Geschehen.