Eselsohr auf Seite 19 - Kai Rohlinger - E-Book

Eselsohr auf Seite 19 E-Book

Kai Rohlinger

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Beschreibung

In einer Stadtbibliothek geht alles mit rechten Dingen zu ... sollte man zumindest meinen. Doch Miriam Katzschke weiß es besser, denn sie ist Bibliothekarin, und ihre Arbeit hält so manche Überraschung für sie bereit. Acht Geschichten erzählen, mal humorvoll, mal spannend, vom alltäglichen Wahnsinn oder von nichtalltäglichen Begebenheiten im Reich der Bücherregale.

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Seitenzahl: 48

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Der Stadtbibliothek Mannheim zum 125-jährigen Jubiläum

Inhalt

Anfangszauber

Kaka du

Herr der Finsternis

Der Nussknacker

Fauler Zauber

Die Stimmen-Doppelgängerin

Love in Cornwell

Bis zum Sonnenaufgang

Anfangszauber

Es war ein schöner blauer Morgen im September, doch wenn Gerüche eine Farbe hätten, wäre dieser Morgen eher dunkelbraun gewesen. Denn in den Straßen hing der bittersüße Duft der Schokinag, der den Einheimischen schon so vertraut war, dass sie ihn gar nicht mehr wahrnahmen; Fremde dagegen erkannte man daran, dass sie immer wieder stehen blieben und erstaunt die Nase in den Wind hielten.

Miriam Katzschke gehörte weder zu der einen noch zu der anderen Gruppe. Sie wohnte zwar schon lange genug in der Quadratestadt, um sich dort heimisch zu fühlen; dennoch schenkte sie dem Schokoladenaroma an diesem Morgen ihre volle Aufmerksamkeit: Sie schloss für einen Moment die Augen, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein. Dann lächelte sie, wandte sich nach links und lief mit großen Schritten in Richtung Haltestelle.

Obwohl sie diesen Weg schon oft gegangen war, kam er ihr heute irgendwie anders vor als sonst. Das lag aber nicht daran, dass der quietschgelbe Opel mit den hundert Beulen und den lustigen Stickern ausnahmsweise einmal ordentlich geparkt war; auch nicht daran, dass der schmierige Imbiss an der Ecke einem hübschen kleinen Bistro mit veganen Gerichten gewichen war. Nein, was den Weg an diesem Morgen für Miriam so anders machte, war einzig die Tatsache, dass es von nun an der Weg zu ihrer neuen Arbeit war. Jedem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne, und diesen Anfangszauber wollte Miriam auskosten, so gut es ging.

Im Übrigen handelte es sich nicht um irgendeine neue Stelle, sondern um genau das, worauf sie schon lange gewartet hatte: Endlich, nach einer ganzen Reihe von öden Gelegenheitsjobs konnte sie nun in dem Beruf arbeiten, den sie studiert hatte (auch wenn den meisten Menschen gar nicht bewusst war, dass es dafür eines Studiums bedarf): nämlich als Bibliothekarin. Insofern kam ihr die Stelle bei der Mannheimer Stadtbibliothek nicht nur wie ein Glücksfall vor, sondern geradezu wie der legendäre Sechser im Lotto. Und tatsächlich hing das Ganze auch mit einem Sechser im Lotto zusammen, nur dass es nicht Miriams Spielschein gewesen war, sondern der von einer gewissen Despina Petrovic. Diese hatte neunzehn Jahre lang eine Zweigstelle der Stadtbibliothek geleitet und ebenso lange unverdrossen immer dieselben Zahlen angekreuzt, bis eines Samstagabends endlich diese Zahlen gezogen wurden. Und zwar alle sechs.

Nachdem Despina Petrovic sich vergewissert hatte, dass sie nicht träumte, hatte sie der Arbeit Lebewohl gesagt, ihre Koffer gepackt und war auf Weltreise gegangen. Und zwar für mindestens ein Jahr. Denn so sehr sie die Geschichten von Jules Vernes auch schätzte – in 80 Tagen um Welt, das schien ihr viel zu schnell. Und so kam es, dass die ehemalige Bibliothekarin in einem rotweißen Liegestuhl dösend das Kap der Guten Hoffnung umrundete, während ihre Nachfolgerin sich leise fluchend in die völlig überfüllte Mannheimer Straßenbahn quetschte. Trotzdem war Miriam nicht neidisch auf Despina Petrovic (und wenn, dann höchstens ein ganz kleines bisschen), denn für sie gab es nichts Schöneres, als den ganzen Tag von Büchern umgeben zu sein. Schon als Kind war es ihr schwer gefallen, eine spannende Geschichte beiseite zu legen, und im Hause Katzschke gab es regelmäßig den Satz zu hören: »Nun leg’ doch einmal den Schmöker beiseite, wir essen jetzt!«

Vielleicht lag es am vielen Lesen, dass Miriam im Alter von vierzehn Jahren eine Brille brauchte, was freilich nicht ohne Tränen ablief. Denn ein paar Trottel in ihrer Klasse fanden Gefallen daran, sie fortan in der Pause als Brillenschlange zu bezeichnen; und die ersten Gestelle, die auf Miriams Nase landeten, waren nicht dazu geeignet, diesem Spott ein Ende zu setzen. Doch seit sie entdeckt hatte, dass Brillen nicht nur ein notwendiges Übel, sondern auch ein schickes Accessoire sein können, hatte sie Frieden mit ihrer Kurzsichtigkeit geschlossen. Und dank des kessen, rotgerahmten Exemplars, das sie neuerdings trug, bekam sie sogar Komplimente – nur leider nicht von dem Richtigen.

Eben diese rotgerahmte Brille nahm Miriam nun ab, um die Gläser noch einmal zu putzen, ehe sie tief Atem holte und dann beherzt an die Tür der Zweigstelle klopfte, an welcher sie mittlerweile angekommen war. Von einer nahen Kirche schlug es eben acht.

Geöffnet wurde die Tür von einer kleinen Frau mit kurzen, grauen Haaren und Krähenfüßen in den Augenwinkeln. Lächelnd streckte sie Miriam die Hand entgegen und meinte: »Ah, guten Morgen, Frau Kratzer! Wie schön, dass Sie da sind! Herzlich willkommen!«

Das »Herzlich willkommen« schien keine leere Floskel zu sein, denn es duftete nach frisch gebrühtem Kaffee, und auf dem Tisch stand neben einer Thermoskanne und zwei Tassen auch ein Körbchen mit Croissants. Miriam war begeistert; dennoch sah sie sich genötigt, die Panne mit dem Namen gleich zu korrigieren: »Katzschke, nicht Kratzer«, sagte sie lächelnd. »Aber das passiert mir nicht zum ersten Mal.«

»Ach, natürlich, wie dumm von mir!«, erwiderte die Frau verlegen und stellte sich als Marlene Wassermann vor. »Marlene wie die Dietrich, und Wassermann wie der hier.« Bei diesem Worten zeigte auf ein kleines Amulett an ihrem Hals, das einen bärtigen Mann mit einem Fischschwanz darstellte.

»Mein Name passt zu meinem Sternzeichen, ist das nicht witzig?«, meinte sie lachend. Dann bot sie Miriam in einem Atemzug Kaffee, Croissants und das Du an, und als sie getrunken hatten, meinte sie fröhlich: »Na, dann will ich dich mal in die Geheimnisse der Bibliothek einweihen.«

Bei diesen Worten machte Miriams Herz einen freudigen Hüpfer. Geheimnisse der Bibliothek – das klang nach verborgenen Türen, verschollenen Texten, nach alten Folianten, verblassender Tinte und rätselhaften Zeichen, das klang nach wunderbaren Abenteuern wie bei Bastian Balthasar Bux in der Unendlichen Geschichte oder ...

»Hallo? Ist alles in Ordnung?«