Meine Oma, die Ganoven und ich - Kai Rohlinger - E-Book

Meine Oma, die Ganoven und ich E-Book

Kai Rohlinger

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

»Meine Oma wird sterben. Das behauptet sie jedenfalls. Und zwar vor Langeweile.« Annegret Kosminsky ist achtundsiebzig Jahre alt und hat eine Leidenschaft für Krimis. Um sich die Zeit als Rentnerin zu vertreiben, geht sie mit Vorliebe auf Verbrecherjagd. Denn sie glaubt fest daran, dass auch im wahren Leben hinter jeder Ecke ein Ganove lauert. Eines Nachts beobachtet die schrullige alte Dame, wie im Garten der Nachbarn eine Leiche vergraben wird. Sofort ruft sie ihren Enkel Victor an, der ihr helfen soll, Beweise für den Mord zu finden. Im Schutz der Dunkelheit schleichen die beiden auf das Nachbargrundstück. Dort machen sie eine erstaunliche Entdeckung, und der Fall entwickelt sich ganz anders, als Oma Kosminsky es aus ihren Krimis kennt.

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Meine Oma, die Ganoven und ich

Der Autor

Kai Rohlinger, geboren 1977, ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Latein. Er wohnt und arbeitet in Mannheim. Als Autor fühlt er sich in verschiedenen Genres heimisch, v.a. History, Phantastik und Humor. Seit 2016 verfasst er regelmäßig Kurzgeschichten für die Miniaturen-Reihe der Phantastischen Bibliothek Wetzlar. Mit »Mord ist kein Hobby« gab er 2018 sein Debüt im Bereich des Cosy Crime.

Das Buch

»Meine Oma wird sterben. Das behauptet sie jedenfalls. Und zwar vor Langeweile.«

Annegret Kosminsky ist achtundsiebzig Jahre alt und hat eine Leidenschaft für Krimis. Um sich die Zeit als Rentnerin zu vertreiben, geht sie mit Vorliebe auf Verbrecherjagd. Denn sie glaubt fest daran, dass auch im wahren Leben hinter jeder Ecke ein Ganove lauert.Eines Nachts beobachtet die schrullige alte Dame, wie im Garten der Nachbarn eine Leiche vergraben wird. Sofort ruft sie ihren Enkel Victor an, der ihr helfen soll, Beweise für den Mord zu finden. Im Schutz der Dunkelheit schleichen die beiden auf das Nachbargrundstück. Dort machen sie eine erstaunliche Entdeckung, und der Fall entwickelt sich ganz anders, als Oma Kosminsky es aus ihren Krimis kennt.

Kai Rohlinger

Meine Oma, die Ganoven und ich

Kriminalroman

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Originalausgabe bei MidnightMidnight ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinApril2021 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95819-306-2

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

1. Die Kiste im Garten

2. Der Teufel steckt im Detail

3. Ruhen Sie sanft

4. Rache ist süßsauer

5. Die Bande vom Dohlenweg

6. Italienisches Intermezzo

7. Im Wald, da sind die Räuber

8. Wie alles begann

9. Um elf am Engelsbrunnen

10. Das schönste Stück der Sammlung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1. Die Kiste im Garten

1. Die Kiste im Garten

Meine Oma ist achtundsiebzig und färbt sich die Haare rot; sie mag die Lieder von Helene Fischer, liebt Schwarzwälder Kirschtorte und spielt leidenschaftlich gerne Canasta. So weit ist also alles im Rahmen für eine Achtundsiebzigjährige von heute, nur mit einer Sache übertreibt sie es regelmäßig, und das sind Krimis. Meine Oma besitzt Autogrammkarten von fast allen Tatort-Kommissaren, sie hat ein geradezu enzyklopädisches Wissen über Leben und Werk von Agatha Christie, und sie kennt die StGB-Paragrafen über alle Arten von Tötungsdelikten auswendig. In ihrem Wohnzimmer befindet sich ein riesiges Regal, das bis oben hin mit Büchern gefüllt ist; darunter gibt es wahrscheinlich kein einziges, in dem nicht ein brutaler Mord begangen oder zumindest ein raffinierter Kunstraub verübt wird.

Und so, wie Don Quijote einst nach der Lektüre von zu vielen Ritterromanen auf Abenteuer auszog und gegen Windmühlen kämpfte, die er für Riesen hielt, geht meine Oma heute regelmäßig auf »Verbrecherjagd«; sie ist nämlich der festen Überzeugung, dass hinter jeder Ecke ein Ganove lauert. Würde sie in einem der weniger guten Viertel in der Großstadt wohnen, wäre diese Annahme wohl nicht ganz von der Hand zu weisen; aber in ihrem verschlafenen Nest mit der historischen Altstadt – es gibt dort bunte Fachwerkhäuser aus dem sechzehnten Jahrhundert, krumme Gassen mit Kopfsteinpflaster und ein ehrenamtlich geführtes Zuckerdosen-Museum –, was soll da schon groß passieren?

Früher habe ich meine Oma häufig besucht; aber seit ich studiere, komme ich nur noch selten zu ihr. Doch dank (oder undank) des Telefons sind wir fast ständig in Kontakt. Wenn meine Oma anruft, ertönt auf meinem Handy die Titelmusik der alten Miss-Marple-Filme: »Da-da-da-dab-daaa, daaa-dab-daaa!« Das war der passendste Klingelton, den ich finden konnte.

Manchmal habe ich Glück, und es ist nur ein verstopfter Abfluss oder ein tropfender Wasserhahn, der repariert werden muss. In der Regel aber ist der Grund für den Anruf ein dreistes oder schreckliches Verbrechen, dem meine Oma auf der Spur ist. Die Kernaussage ihrer Anrufe lässt sich dann in einem Satz zusammenfassen: »Junge, du musst unbedingt kommen!«

Meine Oma nennt mich immer nur »Junge«, aber niemals Victor. Vielleicht ist sie der Meinung, dass ich diesen Namen nicht verdiene, denn Victor heißt bekanntlich »Sieger«. Mir ist auch schleierhaft, warum sie immer nur mich anruft und niemals einen anderen aus der Familie. Das heißt, im Grunde kann ich es mir durchaus denken: Mein älterer Bruder, auf den sie große Stücke hält, ist vor ein paar Jahren nach Kanada ausgewandert; meine Eltern sind Ornithologen und sitzen die meiste Zeit in irgendeinem Naturschutzgebiet mitten im Funkloch; mit Onkel Hubert hat sie sich an ihrem fünfundsiebzigsten Geburtstag hoffnungslos zerstritten; und Tante Gisela, die nur drei Ecken weiter wohnt, ist meiner Oma zufolge so mutig wie ein Angora-Kaninchen und damit völlig ungeeignet für kriminalistische Abenteuer. Also bin ich der Einzige in der Familie, der nicht nur immer erreichbar, sondern auch halbwegs zu etwas zu gebrauchen ist.

So ist es auch dieses Mal. Ich habe bis nach Mitternacht gekellnert und bin müde wie ein Hund ins Bett gefallen, ohne die Schuhe vorher auszuziehen. Nun liege ich selig mit der Nase im Kissen, schnarche vermutlich wie ein Bär und träume von einem Affen, der mit Orangen jongliert.

Es ist also alles in bester Ordnung.

»Da-da-da-dab-daaa, daaa-dab-daaa!«, macht es plötzlich auf meinem Nachttisch. Meine Hand tastet nach dem elenden Ding und nimmt den Anruf entgegen, ohne dass ich dabei richtig wach werde. Das ist ein Reflex des modernen Menschen. Der Neandertaler konnte vermutlich, wenn ein Säbelzahntiger in die Höhle geschlichen kam, im Halbschlaf zum Speer greifen und ihn in Richtung des knurrenden Raubtiers werfen; der Homo sapiens im einundzwanzigsten Jahrhundert geht eben automatisch ans Handy, wenn es klingelt.

»Junge«, sagt meine Oma, »du musst unbedingt kommen!«

Ich schaffe es kaum, die Augen zu öffnen.

»Oma, weißt du eigentlich, wie spät es ist?«

»Natürlich. Ein Uhr siebenunddreißig«, tönt es munter aus dem Hörer. »Warum fragst du? Hast du keine Uhr?«

Ich stöhne. In meinem Kopf beginnt ein Specht, eine Höhle zu bauen. Jedenfalls pocht und hämmert es ungefähr so in meinem Schädel. Dennoch frage ich: »Was ist denn los, dass du um diese Zeit …?«

Weiter komme ich nicht. Meine Oma fällt mir ins Wort: »Hier ist ein Mord geschehen!«

»Ein Mord? Ach, Oma, du hast bestimmt nur wieder einen Krimi geschaut und schlecht geträumt.«

»Das war im September, mein Junge! Der Tatort war ja auch wirklich furchtbar. Dass so etwas um Viertel nach acht im Fernsehen läuft! Aber dieses Mal ist es ein echtes Verbrechen. Du musst unbedingt kommen!«

Ich stöhne abermals. »Um diese Zeit? Kann denn die Sache nicht bis morgen warten?«

Für einen Moment ist es still; das bedeutet nichts Gutes. Ich weiß, was gleich geschehen wird.

»Na gut«, sagt meine Oma mit weinerlicher Stimme, »dann komm halt morgen früh … oder am Abend … oder nächste Woche. Wenn es dir dann besser passt. Falls ich nicht öffne, wenn du klingelst, dann war es wohl ein Serienkiller. Ich mag übrigens keine Begonien. Ich meine: auf meinem Grab.«

Bei diesen Worten fasse ich mir an den Kopf. Sie schafft es doch immer wieder, mir ein schlechtes Gewissen einzureden, selbst mit der abstrusesten Logik.

»Warum rufst du eigentlich erst jetzt an?«, frage ich sie. »Es ist doch mitten in der Nacht.«

»Ich habe es mehrfach probiert«, erklärt sie spitz. »Du bist ja nicht rangegangen.«

Zuerst will ich protestieren, aber dann fällt mir ein, dass ich tatsächlich in der Frühe mein Handy zu Hause vergessen habe. Und als ich heimkam, war ich viel zu müde, um die Anrufliste zu checken.

Während ich noch überlege, was ich sagen soll, lamentiert meine Oma weiter: »Das ist mal wieder typisch: Ständig schaut ihr jungen Leute auf das Handy, wahrscheinlich sogar, wenn ihr aufs Klo geht – aber wenn es wirklich einmal ernst ist und man euch braucht, dann seid ihr nie zu erreichen.«

Das »nie« ist reichlich übertrieben, aber es hat keinen Sinn, mit meiner Oma zu diskutieren, schon gar nicht, wenn sie das Krimi-Fieber gepackt hat. Ich gebe mich also geschlagen.

»Schon gut, schon gut, ich komme ja.«

»Na endlich! Und nimm deine Pistole mit!«

»Ich habe keine Pistole.«

»Doch, die Wasserspritzpistole.«

»Und was soll die mir nützen?«

»Das kann man nie wissen. Ich habe da mal einen Film gesehen …«

Ich lasse sie noch eine Weile reden, dann lege ich auf. Da ich noch immer angezogen bin, sitze ich bald im Wagen. An der nächsten offenen Tankstelle halte ich an, um einen Kaffee zu trinken. Ohne Koffein in meinen Adern werde ich die Nacht nicht überstehen.

Die Frau an der Kasse hat eine Brille wie aus Panzerglas. Sie sitzt über ein Buch gebeugt und liest. Meine Bestellung scheint ihr lästig zu sein. Während sie an der Maschine herumdrückt, legt sie das Buch nicht aus der Hand. Ich schiele nach dem Cover: Darauf ist ein Mann mit einem Messer abgebildet, darüber steht etwas mit »Mord« in großen roten Buchstaben.

Mit Mühe und Not schafft es die Frau, den Kaffee vor mich hinzustellen, ohne den Blick von der Seite zu heben.

»Muss ja wirklich spannend sein, Ihr Buch!«, brumme ich ärgerlich.

Mehr als ein »Mhh« bekomme ich nicht zur Antwort. Das Krimi-Fieber ist eine tückische Sache, und es ist längst zur Volkskrankheit geworden.

Ich schüttle den Kopf, bezahle und gehe nach draußen an die frische Luft, sofern man das bei einer Tankstelle sagen kann. So rasch es eben geht, schlürfe ich das heiße Getränk in mich hinein. Dann klemme ich mich wieder hinters Steuer.

Nach einer halben Stunde bin ich am Ziel. Wenn die Straßen frei sind, geht es ziemlich flott. Zum Glück weiß ich mittlerweile, wo die Blitzer stehen.

Bei meiner Oma brennt kein Licht. Das lässt mich hoffen: Vielleicht ist sie schon wieder eingeschlafen, und alles hat sich in Wohlgefallen aufgelöst.

Trotzdem drücke ich auf die Klingel, und wenige Sekunden später öffnet sich die Tür. Meine Oma scheint im Flur gewartet zu haben. Mit einer mächtigen Taschenlampe leuchtet sie mir ins Gesicht.

»Da bist du ja endlich!«, nörgelt sie zur Begrüßung. »Komm rein, und sei gefälligst leise!«

Ich lächle gequält. »Was ist denn los? Und warum machst du kein Licht an?«

»Na, du wärst ja ein großartiger Fahnder! Soll denn der Täter gleich merken, dass wir ihm auf der Spur sind?«

»Welcher Täter denn? Und was ist überhaupt geschehen?«

»Ein Mord ist geschehen, ein Mord an einem süßen, kleinen, unschuldigen Mädchen.«

»Was? An wem?«

»Annette Wackenrodt.«

»Annette Wackenrodt? Das Mädel von gegenüber? Die ist ermordet worden?«

»Genau! Seit Tagen habe ich sie nicht mehr gesehen. In ihrem Zimmer brennt auch abends kein Licht. Ihr Fahrrad steht nie vor dem Haus. Und heute früh bei Tagesanbruch hat ihr Vater eine Kiste im Garten vergraben.«

»Eine Kiste? Du meinst doch nicht etwa einen Sarg?«

»So etwas in der Art. Zumindest war der Kasten groß genug für einen Kinderkörper. Und notfalls kriegt man eine Leiche ja auch klein. Herr Wackenrodt hat eine Motorsäge, weißt du …«

»Oma, ich bitte dich! Du willst mir doch nicht weismachen, dass dein Nachbar seine eigene Tochter ermordet, mit der Kettensäge zerstückelt und in seinem Garten vergraben hat?«

»Vielleicht war es ja Totschlag im Affekt. Das wäre kein Wunder, bei den Kindern von heute!«

»Eben war es noch ein süßes, kleines, unschuldiges Mädchen!«

»Das ist sie auch die meiste Zeit … gewesen.«

»Hm. Und hast du schon die Polizei gerufen?«

»Nein. Ich habe dich gerufen.«

»Na wunderbar. Und was soll ich jetzt deiner Ansicht nach machen? In Wackenrodts Garten klettern und den Kasten aus der Erde buddeln?«

»Ganz genau! Da sieht man doch gleich, dass du mein Enkel bist.«

»Aber Oma! Das geht doch nicht! Das wäre nun wirklich ein Grund, die Polizei zu rufen. Und glaube mir, die würden sogar kommen, aber nicht, um Wackenrodt mitzunehmen. – Doch nun mal langsam und von vorne: Es kann doch für alles eine ganz normale Erklärung geben.«

»Zum Beispiel?«

»Das Mädchen könnte doch bei einer Freundin übernachten.«

»Ach, fünf Nächte lang? Das glaubst du doch wohl selbst nicht! Außerdem habe ich das überprüft. Die kleine Annette ist mit einer gewissen Nina befreundet. Und die wohnt im gleichen Haus wie Gertrude aus meiner Canasta-Runde.«

»Ja und?«

»Gertrude hat mir bestätigt, dass Annette nicht bei Nina ist. Wenn die beiden Gören zusammen sind, dann hört man nämlich das Gekicher durch die Wände. Aber in den letzten Tagen war es still. Verdächtig still!«

»Na schön, dann ist sie eben nicht bei dieser Nina. Aber das beweist noch lange nicht, dass sie ermordet unter der Erde liegt, nicht wahr?«

»Genau! Bislang haben wir nichts als Indizien. Die Beweise müssen wir erst noch beschaffen.«

Mir leuchtet zwar noch immer nicht ein, wieso das unsere Aufgabe sein soll; aber wenn sich meine Oma etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist sie schwer vom Gegenteil zu überzeugen. Um Zeit zu gewinnen, erwidere ich: »Von mir aus. Aber können wir damit nicht bis morgen warten? Wenn du recht hast, dann läuft uns die Leiche ja nicht weg. Du hast ja auch den ganzen Tag gewartet, bis du mich gerufen hast.«

»Ich habe nicht gewartet, sondern recherchiert. Die Sache mit Nina, zum Beispiel. Und dann warst du ja nicht erreichbar.«

»Es tut mir leid. Aber trotzdem sollten wir nichts überstürzen.«

»Na wunderbar! Wir können auch gerne warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Im wahrsten Sinne des Wortes! – Junge, hast du denn gar keinen Mumm? Und keinen Sinn für Abenteuer?«

»Ich musste jahrelang mit der Bahn zur Schule fahren; das hat meinen Sinn für Abenteuer auf lange Sicht befriedigt.«

»Pah! Dein Bruder wäre nicht so träge. Warum musste er bloß nach Kanada auswandern?«

Dazu hätte ich zwar eine Theorie, doch die behalte ich lieber für mich. Ansonsten weiß ich nicht mehr weiter. Meine Oma muss in einem früheren Leben ein Maultier gewesen sein – anders kann ich mir nicht erklären, warum sie so störrisch ist. Und ich bin noch in diesem Leben ein Esel – denn nur so lässt sich erklären, warum ich schließlich nachgebe.

»Also gut. Wir können ja mal hinübergehen und mit der Taschenlampe über den Zaun leuchten.«

»Endlich wirst du vernünftig!«

Das bezweifle ich zwar, doch sage ich nichts mehr. Schweigend stapfen wir über die Straße und stehen kurz darauf an dem kleinen Holzzaun, der das Anwesen der Wackenrodts umgibt. Sie haben einen großen, sehr gepflegten Garten mit etlichen Blumenbeeten und einer kleinen Laube. Ich lasse den Schein der Taschenlampe über den Rasen wandern, entdecke aber nichts Besonderes.

»Da hinten war es, hinter der Laube.«

Meine Oma zeigt mit dem Finger in das Dunkel. Ich folge mit dem Lichtstrahl, kann aber nichts erkennen außer dem weiß lackierten Holz des Häuschens, das ziemlich malerisch von Rosen umrankt wird.

»Wie willst du denn dort etwas gesehen haben?«, frage ich skeptisch.

»Vom Fenster im ersten Stock aus, da sieht man alles ganz prächtig. Und mit Opas Feldstecher entgeht einem gar nichts.«

»Aha.«

»Nun mach schon, steig über den Zaun!«

»Das werde ich nicht tun. Wenn Wackenrodts uns erwischen?«

»Das werden sie nicht. Sie sind doch gar nicht zu Hause.«

»Und woher willst du das nun wieder wissen?«

»Ich habe beobachtet, wie sie weggefahren sind. Was meinst du, was ich den ganzen Abend getan habe?«

»Dann hättest du vorhin doch auch Licht machen können.«

»Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!«

»Und dieser Grundsatz gilt jetzt plötzlich nicht mehr?«

»Ich sage dir, sie sind nicht da. Wahrscheinlich sind sie bereits flüchtig. – Nun mach schon, Junge!«

Eigentlich möchte ich umkehren. Eigentlich möchte ich einfach nach Hause fahren, mich ins Bett legen und schlafen und träumen – von dem Affen mit der Orange, zum Beispiel. Aber irgendetwas hindert mich daran, und es ist nicht der bohrende Blick meiner Oma, auch wenn der schon eine Menge ausmacht. Die Sache lässt auch mir jetzt keine Ruhe. Denn immerhin besteht ja der Hauch einer Möglichkeit, dass meine Oma tatsächlich, so unwahrscheinlich es auch klingt, nicht völlig unrecht hat. Es gibt so schreckliche Dinge ja wirklich, auch in kleinen Orten. Oder gerade dort. Hinter Blümchengardinen und Rosenranken spielen sich vielleicht die schlimmsten Dramen ab.

Der Zaun ist zum Glück nicht hoch; trotzdem bleibe ich hängen und ritze mir die Hose auf. Das fängt ja gut an.

»Sei vorsichtig!«, raunt meine Oma mir zu und reicht mir den Spaten.

Wenn ich vorsichtig wäre, dann würde ich das hier nicht machen, denke ich mir. Aber jetzt stehe ich bereits im Garten. Langsam tappe ich hinüber zu der Laube, die im Mondlicht wie Elfenbein schimmert. Die Taschenlampe lasse ich vorsichtshalber ausgeschaltet. Falls jemand vorbeikommt oder aus dem Fenster schaut, wird er mich im Dunkeln nicht sofort bemerken.

Erst als ich hinter der Laube stehe, mache ich Licht. Zuerst entdecke ich gar nichts – außer Gras. Dann gehe ich in die Hocke und leuchte alles gründlich ab.

Die Sache ist gut gemacht: Jemand hat sorgsam die Grassoden abgestochen und später wieder zurückgelegt. Zumindest bei Nacht fällt es nicht auf – und im Hellen wahrscheinlich ebenso wenig, wenn man nicht gezielt danach sucht. In wenigen Tagen oder Wochen wird man gar nichts mehr erkennen können.

Ich beiße mir auf die Lippen. Oma hat also recht! Der Wackenrodt hat hier tatsächlich etwas vergraben, und Tulpenzwiebeln sind es wohl nicht. Vielleicht ein totes Haustier? Oder doch die kleine Annette?

Jetzt ist es so weit. Jetzt hat auch mich das Krimi-Fieber gepackt!

Vorsichtig hebe ich die Rasenstücke an; darunter ist natürlich Erde. Ich lege ein kleines Viereck frei und beginne zu graben. Plötzlich ertönt ein lautes Knirschen. Erschrocken zucke ich zusammen, ducke mich hinter die Laube und schalte die Lampe aus. Ich wage kaum zu atmen.

Ich bleibe in Deckung und lausche.

In den Büschen raschelt und scharrt ein Tier, vielleicht ein Igel oder eine Maus.

Ansonsten ist alles still.

Nach einer Weile knipse ich die Lampe wieder an und leuchte in das Loch. Tatsächlich, da ist ein Brett, der Deckel einer hölzernen Kiste. Ich bin mit dem Spaten dagegengestoßen, das hat den Lärm verursacht.

Ich mache weiter.

Bald habe ich den ganzen Deckel freigelegt. Für einen Sarg ist der Kasten zu klein. Aber wer weiß – der Wackenrodt hat eine Motorsäge.

Gerade bin ich dabei, den Kasten aus dem Loch zu holen, da biegt ein Auto in die Straße ein. Das grelle Licht der Scheinwerfer streift durch den Garten und huscht an mir vorüber. Ich werfe mich schnell auf den Boden, die Nase ins Gras, so wie es die Soldaten in den Filmen machen. Dabei war ich doch gar nicht beim Bund.

Der Wagen parkt, der Motor wird abgestellt. Die Türen öffnen sich.

Verdammte Scheiße, denke ich mir. Jetzt sitze ich in der Falle.

»Ach, Frau Kosminsky«, sagt plötzlich eine helle Stimme. »Was machen Sie denn hier um diese Uhrzeit?«

Kosminsky ist der Name meiner Oma. Sie steht ja immer noch Schmiere. Na wunderbar!

»Guten Abend, Frau Wackenrodt!« Meine Oma spricht viel lauter als sonst, sie schreit beinahe, wahrscheinlich um mich zu warnen. »Was meinen Sie? Warum so spät?«

»Na, es ist doch mitten in der Nacht! Fast schon halb drei!«

»Das kann doch gar nicht sein!« Auf einmal klingt die Stimme meiner Oma ziemlich kläglich. Ich kenne diesen Tonfall gut und weiß, dass sie sich bloß verstellt. Die Alte ist wirklich ein Fuchs.

»Geht’s Ihnen nicht gut, Frau Kosminsky?« Das ist Herr Wackenrodt, er hat eine markante, irgendwie blecherne Stimme. »Wollen Sie sich eine Weile setzen? – Emma, sei doch so gut und mach schon mal die Tür auf.«

»Nein, ich möchte nach Hause«, sagt meine Oma rasch. »Bringen Sie mich bitte nach Hause. Nach Hause. Bitte!«

»Wie Sie wollen, Frau Kosminsky! – Emma, hilfst du mir mal?«

Ich kann nicht sehen, was geschieht, doch ich vermute, dass die beiden meine Oma über die Straße geleiten. Sie sagen noch mehr, aber ich verstehe die Worte nicht. Allmählich entfernen sich die Stimmen.

Ich habe etwas Zeit gewonnen. Für einen Moment bin ich unschlüssig, was ich jetzt tun soll: noch rasch den Kasten öffnen oder lieber gleich verschwinden? Denn immerhin ist meine Oma jetzt allein mit diesen Leuten, die eine Kiste in ihrem Garten vergraben haben. Andererseits wird sie mir böse sein, wenn ich mit leeren Händen zurückkomme. Aber das Problem löst sich von selbst: Am Deckel hängt ein dickes Schloss, das ohne Schlüssel oder passendes Werkzeug nicht zu öffnen ist.

Schnell schaufle ich das Loch wieder zu und lege die Soden darüber. Und hoffe, dass keinem etwas auffällt. Dann mache ich mich aus dem Staub. Ich finde eine Stelle, wo ich über den Zaun steigen kann, ohne von der Straße aus gesehen zu werden. Dann schleiche ich im Schutz der Dunkelheit in Richtung der drei Gestalten.

Meine Oma steht vor ihrem Haus und klimpert mit den Schlüsseln. Sie braucht eine Ewigkeit, bis sie den richtigen findet. Frau Wackenrodt wird bereits ungeduldig.

»Nun hilf ihr doch, Schatz. Sonst dauert das ja ewig.«

Endlich ist die Tür geöffnet, das Licht im Flur wird angeschaltet.

Meine Oma dreht sich um und schreit: »Haben Sie vielen Dank, Herr Wackenrodt!«

»Ist wirklich alles in Ordnung, Frau Kosminsky?«

»Jaja, es geht schon. Ich gehe jetzt gleich ins Bett. Morgen kommt mein Enkel, dann wird alles gut.«