Eversea - Und die Welt bleibt stehen - Natasha Boyd - E-Book

Eversea - Und die Welt bleibt stehen E-Book

Natasha Boyd

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Beschreibung

Keri Anns Leben hat sich in dem Moment verändert, als Jack Eversea zum ersten Mal vor ihr stand. Sie hatte sich in ihn verliebt, Hals über Kopf, und fest daran geglaubt, den wahren Jack zu kennen, nicht den unnahbaren Superstar. Doch nun weiß sie: Jack hat sie betrogen und ihre Liebe verraten. Als er plötzlich wieder einen Platz in ihrem Leben beansprucht, muss Keri Ann entscheiden, ob sie ihm jemals wieder vertrauen kann...

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Seitenzahl: 430

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Prolog Jack

Keri Ann

1

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Jack

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Keri Ann

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Epilog Jack

Die Autorin

Die Romane von Natasha Boyd bei LYX

Impressum

NATASHA BOYD

Eversea

Und die Welt bleibt stehen

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Henriette Zeltner

Zu diesem Buch

Keri Ann ist fassungslos, als Jack plötzlich wieder in Butler Cove auftaucht. Fünf Monate sind vergangen, seit er aus dem kleinen Küstenörtchen verschwand und in sein altes Leben nach Hollywood zurückkehrte. Fünf Monate, seit Keri Ann erkennen musste, dass hinter der unnahbaren Superstar-Fassade kein ehrlicher Mann steckte, sondern Jack tatsächlich nur mit ihr gespielt und ihre Liebe verraten hatte. Fünf Monate, in denen Keri Ann kein Lebenszeichen von ihm erhielt außer den schmutzigen Details, die die Klatschpresse über sein Liebesleben im Internet veröffentlichte. Fünf Monate, in denen Keri Ann mit aller Macht versuchte, ihre erste große Liebe ein für alle Mal aus ihren Gedanken und ihrem Herzen zu verbannen. Doch dann, als sie endlich bereit ist, ein neues Kapitel aufzuschlagen, steht Jack plötzlich wieder vor ihr. Ein einziger Moment genügt, und die Gefühle, die Keri Ann so sorgfältig im hintersten Teil ihres Herzens vergraben hat, sind wieder da, mit voller Wucht und genauso stark und schmerzhaft wie damals. Jack lässt keinen Zweifel daran, was er in Butler Cove will: Keri Ann zurückgewinnen und zwar für immer. Und obwohl ihr Verstand sie davor warnt, den gleichen Fehler ein zweites Mal zu begehen, fällt es ihr mit jedem Tag schwerer, sich von Jack fernzuhalten …

PROLOG JACK

Das Geräusch der Haustür, die Andy hinter sich zuknallt, scheint alle in Bewegung zu versetzen. Nur mich nicht. Mein Herz schlägt heftig, meine verletzte Hand pocht und mein Magen rotiert, aber ich rühre mich nicht.

»Oh Gott«, sagt Devon. Er kommt auf mich zu und stellt sich neben mich, offenbar der einzige Freund, den ich noch habe. »Wir müssen Sheila ans Telefon bekommen, am besten schon gestern. Jetzt ist Schadensbegrenzung angesagt. Ich habe diesem kleinen Arschloch ja nie vertraut.« Devon deutet mit seinem Kopf in die Richtung, in die mein Agent, den ich soeben gefeuert habe, gerade verschwunden ist.

Vor meinem inneren Auge läuft noch einmal die Szene von vorhin ab. Andys selbstgefälliger Gesichtsausdruck, als er sich selbst dazu gratuliert, mich bei der Stange gehalten zu haben, indem er eine Schwangerschaft meiner Freundin fakte. Freundin? Audrey ist vielleicht vertraglich meine Freundin, aber unsere Beziehung hat gerade ihren Todeskampf hinter sich.

Die Erwähnung von Sheila, meiner Pressesprecherin, lässt mich aufblicken, und ich schaue Audrey direkt in die Augen. Sie steht wie erstarrt da, und ich denke, sie weiß nicht, was sie tun soll, nachdem ich so ausgerastet bin. Ihre braunen Augen sind weit aufgerissen und tränenfeucht. Ein Anblick, auf den ich bisher immer reingefallen bin. »Oder weiß Sheila schon Bescheid, Audrey? Hat sie mitgemacht bei diesem Schwangerschafts-Fake? War sie Teil eures Führungsteams für den armen, so verdammt naiven Jack Eversea?« Meine Stimme ist so rau, als hätte ich mich gerade heiser gebrüllt. Ich wünschte, ich hätte es wirklich getan.

Audrey schüttelt heftig den Kopf, eine Träne läuft über ihre Wange.

Ich beiße die Zähne zusammen, damit ich nicht meinem instinktiven Drang nachgebe, sie zu trösten und zu beschützen, wie ich es sonst immer getan habe. Seit unsere Romanze vor ein paar Jahren arrangiert wurde, eingefädelt von einer Filmfirma, um die Fans mit unserer Lovestory bei der Stange zu halten. Sie war eine Freundin und manchmal auch ein bisschen mehr. Eine Partnerin. Oder wenigstens dachte ich das.

Devon tippt irgendwas in sein Handy.

Trotz alldem fällt es mir immer noch schwer zu glauben, dass Audrey mich derart belogen hat. Mit so was wie dem hier.

»Nein, Jack. Es war nicht meine Idee, es war alles Andy«, versucht sie zu erklären.

»Oh, bitte, Audrey, sei doch wenigstens jetzt ehrlich.«

»Ich schwöre –«

Ich schnaube verächtlich.

»Warte, Jack«, fleht sie. »Ich gebe zu, ich habe mitgemacht, aber es war alles seine Idee. Ich habe mich ihm anvertraut, als ich … überfällig war.«

Ich hole tief Luft. Oh mein Gott. Sie war überfällig. Natürlich war sie das. Ich bin schuldig im Sinne der Anklage. Das ist der Grund, warum ich ihr so bereitwillig geglaubt habe. Deshalb habe ich Butler Cove verlassen. Mir meiner Beteiligung an der Angelegenheit bewusst zu werden, lindert meine Wut, zieht aber ein furchtbar schlechtes Gewissen nach sich. Gefolgt von genauso großer Panik. »Also …«, beginne ich mit möglichst fester Stimme. »Also, bist du immer noch … überfällig?« Ich kann das Wort »schwanger« nicht mehr aussprechen. Als Andy sagte, sie sei es nicht, hatte ich es einfach angenommen, aber …

Audrey stößt einen Schluchzer aus, ich mache automatisch einen Schritt auf sie zu, kann mich aber gerade noch rechtzeitig zurückhalten. Ich nutze den Moment, um sie genau zu betrachten, und sehe echten Kummer. Obwohl ihr Gesicht vom Weinen rot und aufgequollen ist, sieht sie wunderschön aus in dem weißen Kleid und mit ihrem langen, dunklen, kastanienbraunen Haar, das in weichen Wellen auf die Schulter fällt. Sie verlässt sich darauf, das ist mir klar. Sie baut auf die Tatsache, dass sie wunderschön ist und wir … eine gemeinsame Geschichte haben. Aber ich sehe auch ihre Trauer.

Mir kommt in den Sinn, dass Audrey sich, neben den vertraglichen Pflichten unserer Vereinbarung als Freunde-mit-gewissen-Vorzügen, vielleicht wirklich in mich verliebt hat.

Manche ihrer Bemerkungen bekommen plötzlich eine andere Bedeutung. Darüber, wie gut wir zueinander passen, oder dass wir es echt allen zeigen würden, wenn wir schließlich doch eines Tages miteinander verheiratet wären und eine Familie hätten, und dass wir ein Team geprägt von Respekt und Freundschaft wären.

Abgesehen davon, dass Andy die Nachricht zu ihrem Vorteil benutzt hat, schnürt mir die Vorstellung, dass Audrey tatsächlich immer noch schwanger sein könnte, die Kehle zu. Nein, ist sie nicht. Es wäre nicht so schiefgegangen, wenn sie es wäre. Ich fühle mich, als wäre ich in einem bizarren Traum gefangen, in dem das Rettungsfloß zwar nah, aber trotzdem unerreichbar ist.

Ich atme tief aus, stemme meine unverletzte Faust in die Seite und zucke vor Schmerz zusammen bei dem Versuch, dies auch mit meiner verletzten Hand zu tun.

Audrey lässt den Kopf hängen. »Ich habe es verloren. Ich habe das Baby verloren«, flüstert sie mit brechender Stimme.

Meine Eingeweide rotieren gewaltig. Übelkeit, verursacht durch eine widerlich süße Erleichterung, gepaart mit einem heftigen Schuldgefühl, überkommt mich. Ich ziehe meine Lippen zwischen die Zähne und beiße fest darauf, um mich zusammenzureißen. »Wann? Bist du … bist du okay?« Ich komme aus der Nummer raus. Endlich. Undeutlich nehme ich wahr, dass wir die einzigen Menschen im Raum sind, die anderen haben ihn glücklicherweise verlassen.

Audrey schlägt ihre Augen nieder und zögert. »Als wir in London waren.«

Für einen Moment glaube ich ihr nicht, aber dann fällt mir ein, wie sie damals im Badezimmer des Lanesborough Hotel geweint hat. An diesem Tag war ich ihr und allen anderen um mich herum gegenüber ein richtiger Arsch. Ich ärgerte mich über mich selbst und weil ich meine Mutter nicht angerufen hatte, obwohl sie keine zwei Stunden von London entfernt lebt und wusste, dass ich in der Stadt war. Es herrschte ein absoluter Medientrubel, und ich war der im Käfig eingesperrte Tiger. Zum Glück waren wir nur zwei Nächte dort, bevor es nach Paris weiterging.

»Es tut mir leid. Ich hätte es bemerken sollen.« Mit der unverletzten Hand fahre ich mir durch die Haare und lasse mein Kinn auf die Brust sinken. Ich sehe ein paar Tropfen Blut auf meinem weißen Button-down-Hemd.

Audrey schluchzt erneut auf und macht zögernd zwei Schritte auf mich zu.

Ich halte sie nicht auf oder weiche ihr aus, und sie kommt näher, bis ich meine Arme öffne und sie um ihren hochgewachsenen, schlanken Körper lege. Und immer noch, selbst nach all den Monaten, und mitten in diesem ganzen Mist, wünsche ich mir, dass ich meine Arme um ein kleineres Mädchen schlinge, ein Mädchen, das mich tief innen vor Freude zum Ausflippen bringt, allein wenn ich es nur ansehe, und das ich wohl nie wieder so im Arm halten werde. Ich presse meine Augen fest zu.

Audreys Schultern zucken, weil sie weint. Sie schnieft: »Ich liebe dich, Jack.«

Zärtlich hebe ich ihren Kopf von meiner Schulter, um ihr in die Augen zu sehen. Sofort bin ich alarmiert. Sie mag jetzt gerade gekränkt sein, aber Audrey muss man immer mit Vorsicht behandeln. Ich habe bereits mitbekommen, wie sie mit vermeintlichen Gefahren für ihre Karriere umgeht. Und im Moment bin ich eine vermeintliche Gefahr. Ich will auf freundschaftlicher Ebene für sie da sein, aber die Art, wie sie mich ansieht, zeigt mir, dass sie nicht auf meiner Seite ist.

»Lass dir Zeit, Jack. Es wird wieder wie damals werden, als du in mich verliebt warst und bevor ich dich verletzt habe.«

Mein Herz hämmert. Mein Gott, sie kennt mich überhaupt nicht. »Audrey«, sage ich so sanft wie möglich, denn ich weiß, es gibt keine gute Art und Weise, das zu sagen. »Ich hatte dich gern, ich habe dich gern, und ich war in dich verliebt, ehrlich. Aber ich habe dich niemals geliebt.«

Ihre Augen werden größer.

Ich weiß, ich vermassle es, aber ich kann mich nicht bremsen. Es ist wie ein Sprint ins Ziel. »Es war eher mein Ego, das verletzt war, mein Stolz war gekränkt, aber gar nicht so sehr meine echten Gefühle.«

Ihr Schlag auf meine linke Wange kommt schnell und ist schmerzhaft.

Diese Reaktion bei Frauen heraufzubeschwören gelingt mir anscheinend immer besser. Ich rühre mich nicht, aber Audrey ist noch nicht fertig. Ihr Gesicht verfinstert sich, und bevor ich es wirklich realisiere, halte ich ihre auf mich zuschwingende Faust mit meiner unverletzten Hand fest.

»Scheißkerl«, knurrt sie und versucht, mich mit ihrer anderen Faust zu erwischen.

Ich ducke mich weg. »Reg dich verdammt noch mal ab, Audrey!«

»Nein, ich werde mich verdammt noch mal nicht abregen«, kreischt sie. Aus ihrem Blick ist der warme, rehäugige Ausdruck, der dazu gedacht ist, Mitgefühl zu wecken, verschwunden. Ihre Augen sind jetzt wütende, schmale Schlitze, und Audrey windet sich aus meinem Griff. »Das tust du mir nicht an!«

»Was denn, Audrey? Mir mein Leben zurückholen? Einen dummen Vertrag missachten? Die Filme sind zu Ende.« Ich beiße die Zähne zusammen und mache Schluss. »Wir sind am Ende. Wir sind es schon lange. Ich weiß nicht genau, was eine funktionierende Beziehung ausmacht, aber ich kann dir versichern, wir beide haben keine.«

»Nein! Das tust du mir nicht an! Nicht mit ihr.«

»Wage es verdammt noch mal nicht, sie hier reinzuziehen«, meine Stimme dröhnt wie ein Donner, und Audrey macht einen Satz zur Seite.

Ihre Wangen sind rot und fleckig, aber während sie die Arme vor der Brust verschränkt, erholt sie sich schnell von dem Schrecken. »Ich kann zur Hölle alles tun, was ich will. Aber du nicht. Meinst du, Andy wird es einfach so hinnehmen, dass du ihn gefeuert hast? Oder meinst du, ich lasse dich gehen? Wir sind ein Team, Jack. Wir sind gemeinsam viel mächtiger als allein. Du brauchst mich. Du magst es vielleicht nicht glauben, aber so ist es. Und weißt du, warum? Weil ich dafür sorgen werde, dass du nicht mal eine Karriere hattest, wenn du jetzt gehst. Hast du schon mal darüber nachgedacht, was aus deinem kleinen, süßen Country-Girl wird, wenn Paparazzi sie auf Schritt und Tritt verfolgen? Ich wollte bisher nicht die Aufmerksamkeit auf sie lenken und denen einen Tipp geben, aber vielleicht, wenn die Geschichte richtig aufgezogen wird …« Audreys Stimme wird leiser, während sie sich nachdenklich mit einem Fingernagel an ihr Kinn klopft.

Ich höre zu, sprachlos, und beobachte, wie ihr Gesicht mit jedem Wort, das sie sagt, hässlicher wird. Mein Kiefer verkrampft sich, während ich mich davon abzuhalten versuche, zu explodieren. Ich schüttle nur den Kopf.

Sie wendet sich an eine imaginäre Person, die neben ihr steht. »Ich war gezwungen, in die Arme eines anderen Mannes zu flüchten, weil Jack Eversea so kalt und herzlos ist«, ahmt sie eine jammernde und gekränkte Stimme nach. »Ich fühlte mich emotional ausgenutzt, die ganze Zeit.« Sie schnieft Effekt heischend und wendet ihren Kopf für einen Moment ab. Als sie wieder herschaut, sind ihre Augen feucht und eine einzige Träne rinnt ihr über die Wange. »Und das Schrecklichste von allem, erst hat er mich geschwängert, und dann, als ich sein Baby verlor, war er so gemein und sogar erleichtert. Er lachte und erklärte, er habe mich niemals geliebt. Er lachte!«

Sie stieß einen weiteren Schluchzer aus. »Die ganze Zeit über, als ich dachte, wir wären zusammen, schlief er mit nuttigen Kellnerinnen, die er irgendwo aufgabelte. Und dann gab es da dieses eine Mädchen …«, sie unterbricht sich und blickt mich an. »Na ja, du weißt ja, wie ich an dieser Stelle weitermachen kann.«

Sie wischt sich vorsichtig über ihre Augen und bricht dann in schrilles Gelächter aus. »Dein Gesichtsausdruck ist unbezahlbar, Jack.«

Ich weiche einen Schritt zurück, lasse mich in einen Sessel fallen und bin dankbar, in ihm zu versinken. Ich brauche ein paar Augenblicke, um einen klaren Gedanken zu fassen. Meine Hand schmerzt höllisch, aber im Moment fürchte ich mich zu Tode vor Audrey, die wie eine entsicherte Handgranate wirkt.

Ich bin mir nicht sicher, wie sie und Andy meine Karriere ruinieren können, was sie androht, ist schlimm genug, aber ziemlich sicher hat Audrey lange und intensiv darüber nachgedacht und noch ein paar Asse im Ärmel.

Ich erinnere mich an die erste Zeit – das dämliche Partymachen und Drogennehmen. Wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass Peak Entertainment glaubt, ich wäre immer noch so drauf, schmeißen die mich schneller raus, als ich in eine Flasche für den Drogentest pinkeln kann. Ihre Versicherung würde da nicht haften, und es war Teil der ganz klaren Vereinbarungen für den Vertragsabschluss der Erath-Filme, genauso wie für die kommenden Filme, für die ich unter Vertrag stehe.

Wenn Peak mich rauswirft, gibt es keine verdammte Chance, dass mich selbst kleinere Fische des Business für eine Rolle aussuchen. Klatsch ist der König in dieser Stadt. Aber noch schlimmer ist, sie können mich sogar verklagen, sodass ich ihnen all meine Einnahmen bis heute zurückzahlen muss, und Audrey weiß das natürlich.

In diesem Augenblick wird mir bewusst, Audrey wird alles Mögliche sagen und jede erdenkliche Geschichte erfinden, damit ich nach ihrer Pfeife tanze. Ich habe gewusst, dass ein Streit immer riskant sein würde, aber ich habe ehrlich gesagt nie daran gedacht, dass Audrey dabei mein Feind sein könnte. Dass sie es ist, die den letzten Nagel in meinen Sarg schlägt. Ich habe gedacht, sie würde vielleicht genauso sehr wie ich aus diesem Knebelvertrag rauswollen und dass wir gemeinsam einen Weg finden würden.

Wie konnte ich bei so vielen Dingen nur so naiv sein? Und jetzt droht sie auch noch Keri Ann, und so wie ich Audrey kenne, wird es keine leere Drohung bleiben, und es wird auch nicht bloß ein kleiner Schaden entstehen. Keri Ann wird in Stücke gerissen.

Ich greife mir an den Kopf und atme tief, um mich zu beruhigen. Mit einer Faust durch die Wand, das ist genug für heute. Ich habe keine Ahnung, wie ich Audrey bitten soll, mir das nicht anzutun. Ich will auf das Angebot, zu dem sie mich zwingt, nicht eingehen. Aber ich werde es doch tun. Und ich werde das alles hier hinter mir lassen. Ich habe es ja schon einmal fast geschafft. Aber dann war da ja das Baby. Das Baby, das verdammt noch mal gar nicht existiert.

Es wird eine Weile dauern, bis die Leute den Skandal vergessen haben, genug Zeit, um aus mir einen Sack Fischfutter für den Indischen Ozean zu machen. Allenfalls. Und wohin verschwinde ich während dieser Zeit? Wie lange dauert es, bis den Leuten die Geschichte egal ist? Bis dahin werde ich meine Karriere und mein Mädchen verloren haben. Natürlich, ich habe sie wahrscheinlich sowieso schon verloren.

»Bitte, Audrey –«

»Um was genau bittest du mich, Jack?« Ihr überheblicher Ton verrät nichts von den verletzten Gefühlen, die ich ihr noch vor ein paar Minuten so stark angemerkt habe.

Ich hebe den Kopf und sehe ihr direkt in die Augen. »Ich bitte um den Rest meines Lebens.«

KERI ANN

1

Fünf Monate später

Ich schloss die Seitenfenster des Pick-ups und schaute nervös hinauf zu den grauen Wolken über mir. Das war gerade noch rechtzeitig. Der erste dicke Regentropfen spritzte auf die Windschutzscheibe und ihm folgte ein wahrer Wolkenbruch.

Ich schaltete die Scheibenwischer ein und starrte nach vorn auf den strahlenden Sonnenschein, der auf der Straße zu sehen war, und schüttelte meinen Kopf. Nana sagte dann immer, jetzt feiert der Teufel Hochzeit. Ich habe nie ganz begriffen, was das bedeutet, und tue es immer noch nicht, aber in ein paar Minuten würde ein Regenbogen zu sehen sein. Ich musste nur danach Ausschau halten. In diesem Jahr schienen die April-Schauer gar nicht aufhören zu wollen.

Schrilles Telefonläuten übertönte das laute Tosen der schweren Regentropfen, die auf den Wagen knallten, und ich griff blind auf den Beifahrersitz, ohne meine Augen von der rutschigen Straße zu nehmen.

»Hallo.«

»Hey, Süße! Bist du schon da?« Coltons tiefe Stimme beruhigte mich.

Ich klemmte mir das Handy zwischen Kinn und Schulter, sodass ich beide Hände am Lenkrad lassen konnte, denn es wurde immer schwieriger, auf der Straße zurechtzukommen. »Ja. Fast. Ich hasse es, bei Regen zu fahren. Bist du gut durchgekommen?«

»Gerade angekommen. Ich wünschte, du hättest mir erlaubt, dich zu fahren.«

»Ich weiß, Colt. Aber du hast sicher was anderes zu tun, als auf die kleine Schwester deines besten Freundes aufzupassen, nur weil der ach so beschäftigt ist und nicht nach Hause kommen kann.«

Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen.

»Colt?«

»Ja.« Er räusperte sich. »Ich bin hier. Ich hab am Personaleingang geparkt. Wenn du vor dem Westin bist, bieg nach links ab, um das Gebäude herum.« Die Verbindung brach zusammen.

Ich ließ das Handy in meinen Schoß fallen und spitzte die Lippen, während ich durch die wasserverhangene Aussicht blinzelte. Es war dumm von mir gewesen, ihm schon wieder mit dieser Kleine-Schwester-Tour zu kommen. Joey hätte mir eigentlich helfen sollen, die Sachen für die Ausstellung anzuliefern. Und dann war er es gewesen, der Colt angerufen hatte, um zu sagen, er würde es doch nicht schaffen. Damit brachte er mich wieder mal in Schwierigkeiten.

»Mist«, raunte ich. Ich hätte nicht mit Colt ausgehen sollen, als ich mit dem Herzen nicht dabei war. Er war so ein netter Typ. Na gut, es gab bestimmt einige Mädchen in Savannah, die da vielleicht nicht zustimmen würden, aber zu mir war er immer nett. Zu nett. Ich machte ihm was vor, und das war mir bewusst. Auch wenn ich es ihm bereits erklärt hatte, mehrfach sogar, dass ich für eine ernsthafte Beziehung mit ihm nicht bereit war.

Aber vor einem Monat kapitulierte ich. Also, ich willigte ein, mit ihm abends essen zu gehen. Wie ein Date. Ein Abendessen. Das allerdings führte zu einer Reihe von anderen abendlichen Einladungen und Mittagessen, nachdem ich etwas zur Einschreibung am SCAD bringen musste, Kinobesuche, Kajakfahrten an Samstagmorgen und, na ja … wir waren praktisch zusammen. Oder, wie es Mrs Weaton, meine betagte Mieterin des Nachbarhäuschens, ausdrückte, wir waren speziell befreundet. Ich schnaubte und rollte mit den Augen. Ich fühlte mich schlecht. Das genau war der Grund, weshalb ich nicht ihn gebeten hatte, mir heute zu helfen.

Der Regen ließ nach, als ich auf den William Hilton Parkway in Richtung Port Royal Plantation abbog und unter einem Dach aus knorrigen Virginia-Eichen weiterfuhr, die die Straße säumten.

»War es das jetzt?«, fragte Colt, als ich das letzte Stück, den Sockel einer Skulptur, die ich angefertigt hatte, hereintrug. Sein dunkles Haar war kurz rasiert, und er sah aus wie ein Soldat.

Ich nickte. »Ich muss nur noch ein paar Dinge arrangieren. Das hier zum Beispiel«, antwortete ich und hievte ein Teil hoch. »Danke, dass du mir so viel geholfen hast. Ich weiß, dass du jetzt wahrscheinlich losmusst.«

Er schaukelte auf seinen Fersen und schob lässig die Finger in die Vordertaschen seiner alten Khaki-Jeans. »Ich würde gern bleiben und zusehen, wenn es für dich okay ist.« Er schaute mich fragend an.

»Äh, ja, sicher.«

»Danach könnte ich dich zu einem frühen Abendessen ins View 32 einladen.« Er schwieg kurz und bemühte sich, beiläufig zu klingen. »Nachdem wir doch schon mal hier sind und so.«

Ich schüttelte den Kopf, setzte das Teil ab, das ich gerade hielt, und lächelte. Er gab anscheinend nie auf. »Du brauchst mich nicht einzuladen, aber was zu essen wäre gut.«

Er grinste zufrieden und kam näher, legte eine Hand in meinen Nacken und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Und ich schwöre, ich schwöre, er atmete dabei nur ein ganz kleines bisschen tiefer ein.

Ich machte mich los und knuffte ihn mit dem Ellenbogen freundschaftlich in die Rippen.

Ich arbeitete schnell weiter und besprach alles mit Allison, die den Event koordinierte, bevor ich mich wieder auf die Suche nach Colt machte. Allison hatte ich im Dezember bei meiner Vernissage in der Galerie »Picture This« kennengelernt. Sie lud mich ein, an dieser Ausstellung hier teilzunehmen. Schon bald würde ich wieder hier auf Hilton Head Island und bei einer Cocktailparty mit Abendgarderobe sein – und zwar als einer der Stargäste. Das kam mir völlig surreal vor. Und alle meine lieben Freunde in Butler Cove mussten zu Hochzeitsausstattern, um sich schicke Klamotten dafür zu leihen. Was sollte ich bloß anziehen? Ich bekam Panikanfälle, wenn ich nur daran dachte, darum versuchte ich, es zu verdrängen. Inzwischen stand die Party praktisch vor der Tür, und ich war immer noch ohne Kleid.

Colt war nicht da, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte, also ging ich den Flur entlang, schaute zum Poolbereich und ins Restaurant. Ich fand ihn, wie er auf seine Ellenbogen gestützt zum Strand und aufs Meer blickte.

»Hey«, sagte ich, ging auf ihn zu und stützte meine Arme neben seine.

»Hey, du«, gab er zärtlich zurück und berührte meine Schulter.

Wir schauten beide schweigend aufs Meer hinaus, während die Sonne langsam unterging. Weiße Bänder flatterten in der Meeresbrise, angebunden an ein paar Holzstühle am Strand, offenbar die Überbleibsel einer Hochzeitsfeier.

Als Erwachsene war ich noch nie auf einer Hochzeit gewesen. Aber ich konnte mich erinnern, im Alter von neun Jahren einmal mit meinen Eltern bei einer Hochzeit in West Virginia gewesen zu sein. Die beste Highschool-Freundin meiner Mutter hatte damals geheiratet. Während der gesamten Autofahrt dorthin hatten meine Eltern über etwas gestritten, das ich mir, so klein wie ich war, nicht gemerkt hatte. Und auf der Rückfahrt waren sie eiskalt zueinander und sprachen kein Wort. Ich freute mich darauf, dass in den kommenden Jahren einige meiner Freunde in sicher glücklicherer Stimmung den Bund fürs Leben eingehen würden.

Colt holte geräuschvoll tief Luft und mich damit zurück in die Gegenwart. »Das ist eine Riesensache, Keri Ann. Ich will nicht altväterlich klingen, aber ich bin so stolz auf dich und auf das, was du geschafft hast.« Er wandte seinen Kopf zu mir.

Ich lächelte verlegen. »Danke. Das ist ziemlich cool, nicht wahr? Ich kann es selbst noch gar nicht fassen. Ich meine, ich weiß schon, das hier ist bloß ein Hotel und keine Galerie in New York, aber auf diese Insel kommen jedes Jahr mehr als zwei Millionen Gäste, und ich glaube, die vom Hotel werden den ganzen Sommer über wie verrückt Werbung machen für die Ausstellung.« Ich zuckte die Schultern und spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg.

Colt grinste. »Komm, lass uns was zu essen für dich finden.«

Ich sah ihm hinterher, wie er auf den Eingang des Restaurants zuging. »Colt?«

Er drehte sich um, und die Brauen über seinen strahlend hellblauen Augen zogen sich zusammen.

»Ja?«

»Ich danke dir.« Nervös verschränkte ich die Finger und schaute Colt nicht an, während ich weiterredete. »Es war gut, einen Freund hier bei mir zu haben. Dich hier zu haben«, verbesserte ich mich schnell und sah doch zu ihm hoch. »Als Unterstützung. Heute war schon ein ziemlich großer Tag für mich.«

Colt setzte an, einen Schritt auf mich zu zu machen, hielt dann aber inne, als würde er sich selbst ganz bewusst stoppen. Er schüttelte nur den Kopf und atmete tief aus. »Keine Ursache.«

Als wir auf dem Heimweg waren, öffnete der Himmel wieder alle Schleusen, aber diesmal mit heftigen Windböen. Als sich die Sicht von schlecht zu miserabel veränderte, fuhr ich langsamer und schaute immer wieder in den Rückspiegel.

Colts dunkler BMW folgte mir, genauso wie ein paar andere Autos. Es schien, als führe er bewusst hinter mir. Ich war dafür sehr dankbar, fragte mich aber, ob ich ihn zu mir einladen sollte oder ob er mich nur bis nach Hause begleiten wollte. Zum Teufel! Dieses Spezielle-Freunde-Rumgetue machte mich noch wahnsinnig. Ich hatte keine Ahnung, was von mir erwartet wurde, ach Mann, streichen wir das … was er von mir erwartete. Sollte ich ihn küssen und ihn danach denken lassen, dass dies aus so einer Art verdrehtem Pflichtgefühl heraus geschah? Nein. Das würde ich nicht tun. Allerdings hatte ich durch die Zeit, die ich mit Colt verbrachte, einen völlig neuen Überblick über die allgemeinen Dating-Gepflogenheiten. Das war wie ein Meer voller unausgesprochener Erwartungen und Missverständnisse. Und Druck. Manchmal echter, manchmal nur eingebildeter.

Zweifellos musste man eine Menge Frösche küssen, bevor man seinen Prinzen traf. Also, nicht dass Colt ein Frosch war …

Nein, er war Colton Graves, der beste Freund meines Bruders und ein Freund von mir. Und ich hatte mit meinen endlosen Bemerkungen über unsere Freundschaft ausdrücklich und definitiv klargemacht, dass ich für eine ernsthafte Beziehung nicht bereit war. Doch dann hatte ich wieder zugestimmt, mit ihm auszugehen. Mehrmals.

Ich schaute erneut nervös in den Rückspiegel, gerade rechtzeitig, um zu sehen, dass sich die blaue Plane, mit der meine Kunstwerke auf der Hinfahrt abgedeckt gewesen waren, an einer Seite gelöst hatte und wild über den Rand der Ladefläche flatterte.

Verdammt!

Ich fuhr langsamer und blinkte, um rechts ranzufahren. Ich hasste es, auf dem Seitenstreifen der Autobahn anzuhalten, aber wenn ich so weiterfuhr, riskierte ich einen Unfall, weil sich die Plane in den Rädern verfangen konnte. In dem Moment, als der Wagen ausrollte, spürte ich, wie genau das passierte. Hinter mir hörte ich ein Reißen, und der Pick-up ruckte.

Ich riss die Tür auf und sprang in den warmen, strömenden Regen, der mich innerhalb von Nanosekunden bis auf die Haut durchnässte. Ich bückte mich, um den Reifen zu checken, da hörte ich Coltons Autotür zuschlagen. Als er näher kam, blickte ich auf. Er hielt eine dunkle Regenjacke über seinen Kopf und breitete sie so aus, dass sie auch mich schützte.

»Die hat sich rumgewickelt und festgefressen. Verdammt«, schrie ich gegen die Windböen und den Lärm der vorbeifahrenden Autos an und trat mit meinem nassen Turnschuh gegen den Reifen.

»Wir müssen ihn wahrscheinlich abmontieren, um die Plane freizukriegen.«

Ich nickte zustimmend auf seine geschriene Bemerkung, weil es genau das war, was ich auch dachte. »Ich habe einen Wagenheber auf der Ladefläche.«

Ich stand auf, um ihn zu holen, während Colt tat, was er konnte, um die Plane vom Rad wegzuzerren. Da sah ich, wie ein silberfarbener Jeep Wrangler langsamer wurde und vor uns auf dem Seitenstreifen hielt. Dann kam er im Rückwärtsgang näher. Ich war froh, nicht allein zu sein. Erst einmal stieg niemand aus. Ich fing Colts Blick auf, und wir zuckten beide fragend mit den Schultern.

Ich war komplett durchnässt und wegen des Windes wurde mir von Sekunde zu Sekunde kälter. Ich griff mir den Wagenheber und den Radmutternschlüssel, ging um den Pick-up herum zurück zu Colt und sah, wie sich die Tür des Jeeps öffnete. Ein langes Bein in dunklen Jeans, das in einem schwarzen Biker-Boot endete, kam zum Vorschein. Es war genau so ein Stiefel, wie er sich mir ins Gedächtnis geprägt hatte, wahrscheinlich für immer. Der Fuß landete in demselben Moment auf dem Asphalt wie mein Magen. Und, nach dem lauten Scheppern zu schließen, im selben wie der Montageschlüssel aus meiner Hand auch.

Das passierte jetzt nicht.

Meine Augen wanderten über ein khakifarbenes Button-down-Hemd, das vom Regen nicht nur rasend schnell dunkelgrün wurde, sondern sich auch an den Körper darin schmiegte. Dann schaute ich auf zu einem vertrauten unrasierten Kinn und zu den im Schatten einer Baseballcap liegenden Augen, die ich nicht recht erkennen, aber spüren konnte. Das sollte ich wohl auch.

»Verdammt, du willst mich wohl verarschen?!«, hörte ich Colt neben mir sagen.

Meine Augen wanderten hinunter zu den Boots, und ich sah, dass sie auf uns zu kamen. Ich wünschte mir, mein Gehirn würde arbeiten. Hatte ich mir dieses Szenario nicht tausend Mal ausgemalt? Okay, vielleicht nicht auf dem Seitenstreifen eines Highways, aber hatte ich nicht wieder und wieder geübt, was ich sehr pathetisch sagen würde?

Aber, nichts.

Mir fiel einfach nichts ein, und die Boots kamen immer näher. Ich erinnerte mich, dass diese Boots nach einem Regenguss wie diesem vor meinem Kamin gestanden hatten. Und während die Regentropfen auf mich niederprasselten und das Wasser in Rinnsalen an mir herunterlief, konnte ich nicht aufsehen. Ich stand einfach nur da.

2

Ein Teil von mir wollte aufschauen und sich am Anblick dieses Gesichts ergötzen, von dem ich nicht gedacht hatte, es noch einmal mit eigenen Augen und leibhaftig zu sehen. Aber natürlich sagte der andere Teil von mir die ganze Zeit: Tu es nicht! So stand ich einfach nur da. Im Regen auf dem Seitenstreifen.

In den vergangenen fünf Monaten hatte ich ihn zwar manchmal gesehen, aber natürlich nur online oder auf den Titelseiten von Klatschmagazinen. Und ja, in einem Anfall von Selbstzerfleischung hatte ich der Versuchung nachgegeben, jede verdammte Kleinigkeit über ihn zu lesen, weil ich glaubte, wenn ich alle schmutzigen Details kannte, würde es mir über das hinweghelfen, was er getan hatte, oder mir zumindest helfen zu verstehen. Tat es aber nicht.

Geschichten über Geschichten, und alle Fotos saugte ich förmlich in mich auf. Darüber, wie er durch die Welt flirtete, meistens in London, immer in Begleitung irgendeiner billigen Blondine. Ich meine, im Ernst? Er steht auf Blondinen? Wer hätte das gedacht? Bestimmt weder ich noch Audrey, die Frau, die ihm wichtig genug war, um mich zu verlassen, und mit der er jetzt nicht mehr zusammen war. Um nur einen der Splitter unter dem Fingernagel meines Selbstvertrauens zu nennen.

Vor fünf Monaten hatten Audrey und Jack so eine Art öffentliche Trennung vollzogen. Das hörte ich von seinem Freund Devon, dem Schauspieler und Produzenten, der angeblich in allen Dingen, die Jack betrafen, gut informiert war. Devon erzählte mir die Neuigkeit, weil er dachte, ich hätte Jack eigentlich etwas bedeutet. Und er sagte auch, dass er zurückkommen würde. Zu mir. Bloß dass er … nie … erschien.

Ich erschauerte bei der peinlichen Erinnerung und wandte mich von der Person vor mir ab und meinem Pick-up zu. Ich brauchte einen Moment. Mist, was ich brauchte, war ein ganzes Leben von Momenten. Aber nein, hier war ich, die Gebadete-Maus-Version eines Landeis, mit dem er mal rumgemacht hatte. Ich hielt mein Gesicht in den Regen. Das Schweigen wurde unangenehm.

»Colton.«

Aaargh. Seine Stimme. Tief, vertraut und wohlklingend spürte ich sie auf meiner frierenden Haut.

»Jack.« Coltons Stimme hatte einen speziellen Unterton.

»Ich dachte mir, den Pick-up kenne ich doch. Ist alles okay?«

»Du hättest weiterfahren sollen«, antwortete Colt.

Wieder Schweigen. Ich weigerte mich, mein Gesicht von dem strömenden Regen abzuwenden und hinzusehen. Zu einem von ihnen. Ich konnte buchstäblich die Schwere von Jacks Blick auf mir fühlen. Eine Regenjacke wurde mir um die Schultern gelegt, eine Aufmerksamkeit von Colt. Ob es eine Beschützergeste von ihm war oder daran lag, dass ich in einem weißen T-Shirt im strömenden Regen stand – ich wusste es nicht. Ich nahm sie jedenfalls dankbar an.

Der Regen ließ ein bisschen nach.

»Vielleicht«, gab Jack zurück.

Auf einmal war das Geräusch eines schnellen Schrittes zu hören, und ich schaute gerade rechtzeitig hin, um zu sehen, wie Colts Faust genau auf Jacks Kiefer landete. »Du hast vielleicht Nerven, Jackass«, schrie Colt. Ein vorbeifahrendes Auto hupte laut und spritzte Wasser auf uns.

Ich schnappte nach Luft und machte instinktiv einen Schritt auf Jack zu, bremste mich aber gerade noch rechtzeitig, als er sich ans Kinn fasste und seinen Kopf aufrichtete.

»Scheiße!« Er stampfte kräftig mit einem Fuß auf und atmete heftig aus. »Scheiße!«, schrie er noch einmal, reckte sich und stürzte vorwärts.

Wir beide, Colt und ich, wichen zurück. Als Jack Colt anstarrte, sah ich ihm zum ersten Mal wieder in die Augen – sie waren hart, wütend und atemberaubend. Er hielt inne und sein Ausdruck entspannte sich etwas. »Ich glaube, jetzt sind wir quitt«, sagte Jack und bezog sich auf die letzte Begegnung der beiden. Da hatte er Colt einen unerwarteten Schlag versetzt und ihn damit in einem Club in Savannah zu Boden gebracht, weil er gesehen hatte, wie Colt und ich uns küssten.

Nachdem er mich wegen Audrey verlassen hatte.

»Verschwinde in dein Auto, Arschloch!«

»Colt!«, rief ich, bevor ich mich kontrollieren konnte.

Colt drehte seinen Kopf zu mir.

Jack ebenso.

Unsere Blicke trafen sich, und ich fühlte mich für einen Moment erschöpft. Sein Haar war länger geworden, wilder, es quoll unter seiner Cap hervor, die er sich tief in die Augen gezogen hatte und die sein kantiges Gesicht verschattete. Er wirkte … älter. Und niedergeschlagen. Und immer noch vernichtend auf meine Seele.

»Du willst mich wohl verarschen!« Colts Stimme explodierte in der Stille. Ich wandte meinen Blick von Jack ab und sah Colts ungläubigen Gesichtsausdruck. »Er benutzt dich, vögelt dich, verlässt dich, und ich darf deine Ehre nicht verteidigen? Du verteidigst nicht einmal selbst deine Ehre? Wie bitte? Willst du das alles noch einmal durchmachen?«

Ich schwieg und stand nur da, wurde immer nasser, am Rand eines Highways in South Carolina mit einem liegengebliebenen Pick-up und zwei Männern, die sich um mich zankten. Mir fehlten die Worte! Endlich kam ich zur Besinnung. »Warum geht ihr nicht beide mal aus dem Weg? Ich muss das hier reparieren.«

Ich griff nach dem Wagenheber und dem Montageschlüssel und schlug Colts Hand weg, als er sich vorbeugte, um mir zu helfen.

Beide standen da und beobachteten höchstwahrscheinlich, wie ich meinen Pick-up aufbockte, die Radmuttern entfernte, das Rad herunterzog, die verhedderte Plane abwickelte und alles wieder an seinen Platz brachte. Ich faltete die Plane zusammen und knallte sie auf die Ladefläche des Pick-ups. Dann warf ich das Werkzeug obendrauf und wischte die schwarze Ölschmiere an meiner Jeans ab. Verdammt, das war auch noch meine beste Jeans. Die ganze Angelegenheit hatte keine zehn Minuten gedauert.

Ich sah nicht mal zu einem von beiden hin, als ich um den Wagen zur Fahrerseite ging. Auf halbem Weg dorthin fiel mir plötzlich wieder die Regenjacke ein, die Colt mir gegeben hatte. Also blieb ich stehen, riss sie herunter, und zum Vorschein kam mein nasses, an meinem Körper klebendes, weißes T-Shirt. Ich warf die Jacke in Colts Richtung und kümmerte mich nicht weiter darum, wohin Jacks oder Colts Augen starrten. Ich konnte es mir schon denken.

Ich stieg in den Pick-up, knallte die Tür zu und startete den Motor. Zum Glück war der Verkehr nicht sehr dicht, sodass ich meine Abfahrt noch ein bisschen eindrucksvoller gestalten konnte, indem ich mit laut quietschenden Reifen zurück auf den Highway bog.

Mein Herz schlug heftig.

Ich riskierte einen Blick in den Rückspiegel und sah Colt finster dreinschauen und Jack breitbeinig dastehen, mit verschränkten Armen und einem gigantischen Grinsen im Gesicht. Und, na toll, zu sehen war auch ein verdammter riesiger Regenbogen, der sich über die gesamte Sichtbreite erstreckte. Uaaaah!

»Jazz. Ich bin’s. Mal wieder. Ruf mich verdammt noch mal zurück! Es handelt sich wirklich um einen Notfall!« Ich drückte auf »Beenden« und warf das Handy hinter mich aufs Bett.

Jazz vergnügte sich am Strand von Florida mit »Brandon mit den Schoko-Augen«, für den sie sich nun endlich entschieden hatte, nachdem Joey seinen Hintern nicht hochbekommen hatte.

Mein Handy fiepte, ich schnappte es mir und schnaufte enttäuscht, als ich sah, dass es Joey war. »Hi.«

»Ja, freut mich auch, mit dir zu sprechen. Colt hat gerade angerufen und erzählt, dass Mister Jack Arsch-ersea wieder da ist.«

Ich unterdrückte ein freudloses Lachen, holte tief Luft und ließ mich rückwärts auf die Bettdecke fallen, sodass meine Beine über der Bettkante baumelten. »Ich bin mir nicht sicher, ob er ›zurück‹ ist. Er ist nur zufällig hier im Lowcountry. Wir waren auf der Heimfahrt von Hilton Head. Er hätte auch nach Savannah unterwegs sein können, schätze ich.« Wow, ich wirkte so ruhig. Aber natürlich war ich seit drei Stunden besessen von der Frage, warum er hier gewesen war und wohin es ihn wohl gezogen hatte. Ich fragte mich das schon, seit ich ihn und Colt auf dem Seitenstreifen hatte stehenlassen. Aber ich würde es Joey gegenüber nicht zugeben.

Wo zum Teufel war Jazz bloß, wenn ich sie brauchte? Ich atmete tief ein und hielt die Luft an.

»Tja, ist er aber. Er hat Colt gesagt, dass er zurück ist.« Joey seufzte. »Auf unbestimmte Zeit.«

Mir drehte sich der Magen um, und ich bedeckte meine Augen mit einer Hand. Das war ein Albtraum. Ich hatte gedacht, ich sei über ihn hinweg. Aber wenn ich so reagierte und wenn der totale Schock, den ich da vorhin neben dem Highway erlitten hatte, einen Schluss zuließen, dann den, dass ich wohl doch nicht über ihn hinweg war. Nicht ganz. Verdammt noch mal! Nicht im Geringsten. Wie war es nur möglich, sich selbst über Monate hinweg etwas vorzumachen?

Auf unbestimmte Zeit. Was sollte das heißen? Und noch wichtiger, er war hier, in Butler Cove, genau jetzt. Um nicht ohnmächtig zu werden, stieß ich endlich die Luft wieder aus, die ich bei Joeys Information angehalten hatte.

»Keri Ann?«

»Yep«, krächzte ich bei dem erfolglosen Versuch, locker zu wirken.

»Du machst gerade so viele Dinge. Du hast so viel erreicht. Du beginnst diesen Herbst am SCAD. Bitte, lass dich nicht wieder mit ihm ein. Bitte. Tu es für mich.«

»Alles klar, Boss Joey. Ich kann dir versprechen, dass ich nicht die Absicht habe, etwas in der Art zu tun.«

Am anderen Ende der Leitung gab es eine lange Pause. »Ich denke mal, mehr kann ich nicht erwarten.« Er seufzte. »Versprichst du es mir?«

»Joey. Ich kann feierlich geloben, dass ich nicht die Absicht habe, mit ihm wieder was anzufangen oder auch nur zu sprechen. Beruhigt dich das?«

»Nee.«

»Ja, mich auch nicht.«

»Großartig«, erwiderte Joey in einem Ton, der alles und nichts sagte. »Ich werde pünktlich zu deinem Event zu Hause sein. Schaffst du es, dich bis dahin von Problemen fernzuhalten?«

»Ich versuch’s. Hab dich lieb, großer Bruder.«

»Hab dich auch lieb, Kleines.«

Ich legte auf und starrte auf mein Handy. Dann blickte ich aus dem Fenster und in die Dunkelheit dahinter. Jack Eversea war da draußen. Ich ging davon aus, in Devons Strandhaus. Also … weniger als eine Meile von hier entfernt. Ich kämpfte gegen den Drang an, dorthin zu gehen, an seine Tür zu hämmern und Schimpfwörter in sein Gesicht zu schreien.

Er war zurück.

Und er musste wissen, dass mich das verletzte.

Verletzen? Ich schnaubte zornig.

Ich dachte an das Grinsen, das ich im Rückspiegel gesehen hatte. Was hatte das zu bedeuten? Er hätte nicht so geheimnisvoll lächeln brauchen, oder? Ich meine, wer tat denn so was? Entweder war er zurück, um Salz in meine Wunden zu streuen, oder weil er dachte, ich könnte mal wieder gut für eine angenehme Zwischenlandung sein. Wie nett, dass er in seinem Drehkalender eine Lücke gefunden hat, um herzukommen und eine kleine Verwüstung anzurichten. Ich kannte meine Stärken und würde eher damit fertigwerden, wenn er sich als Dreckskerl erwies, anstatt wirklich eine Wiederholung seines letzten Besuchs zu versuchen.

Ich erinnerte mich daran, ihm damals, noch bevor wir uns geküsst hatten, gesagt zu haben, dass ich über null Erfahrung verfügte und für so etwas nicht geschaffen war. Nicht dafür, dass er zurück in sein Hollywood-Leben zurückkehrt, wenn er genug von mir hat. Ich wünschte, ich hätte damals mehr Widerstand geleistet und mich selbst besser beschützt. Keine Ahnung, warum er zurück war, aber wenn es meinetwegen war, dann würde ich diesmal härter kämpfen. Auf keinen Fall würde ich den gleichen Fehler ein zweites Mal machen.

Und was war überhaupt aus Audrey und Jack geworden und dem Baby, von dem sie behauptet hatte, es zu erwarten? Ich ging davon aus, dass das reine Erfindung war, weil es keine Nachrichten über eine Schwangerschaft mehr gab. Und ich hätte davon erfahren. Zu meiner Schande musste ich gestehen, an einem besonders kalten und regnerischen Tag im Winter sieben Stunden am Stück das Internet durchforstet zu haben, ohne auch nur zur Toilette zu gehen oder irgendwas zu essen. Jazz griff letztlich ein, indem sie das Kabel für den WLAN-Router aus der Wand riss und, kein Scherz, den Stecker an dessen Ende abschnitt.

Alles, was ich herausgefunden hatte, war, dass er in England einen Film über einen Bergmann drehte, der zu einem Künstler aufgestiegen war, und dass er ungefähr jeden Abend mit einem anderen Mädchen ausging. Im echt britischen Paparazzi-Stil war das Ganze als ein reißerisches Spektakel, eine Orgie der Ausschweifung und permanenter Eskapaden dargestellt worden. Das sah dem Jack, den ich dachte zu kennen, so gar nicht ähnlich. Es wirkte, als wollte er absichtlich so viele Fotos wie möglich von sich mit nuttig wirkenden Frauen machen lassen.

Auf einem Bild war er in irgendeiner Bar, vielleicht war es auch ein Nachtclub, und eine Frau in einem kurzen pinkfarbenen Kleid mit Plateauschuhen, wie sie Stripperinnen tragen, lehnte an seinem Rücken. Gleichzeitig stand eine andere vor ihm, hielt sein Gesicht in den Händen und stopfte ihm ihre Zunge ins Ohr. Und er lächelte – dieses vernichtende Lächeln, mit Grübchen und allem Drum und Dran – direkt in die Kamera. Er musste wissen, dass die Leute es sehen würden. Dass ich es wahrscheinlich sehen würde.

Ich starrte dieses Foto für gut eine von den sieben Stunden an, mit einem Stein in meinem Bauch, und ich konnte mich nicht entscheiden, was schlimmer war – wenn er das tat, um mich absichtlich zu kränken, oder wenn ihm gar nicht in den Sinn kam, dass es mich verletzte, ihn so zu sehen. Als Jazz ihren dramatischen Auftritt hinlegte, war ich sowieso schon nicht mehr in der Lage, noch mehr von dieser Quälerei zu ertragen.

Zurück in der Gegenwart putzte ich mir die Zähne, zog meine Schlaf-Shorts und ein Top an. Hellwach lag ich in meinem Bett, sah die Schatten der sich im Wind wiegenden Äste an der Wand, hörte das Knarren meines zweihundert Jahre alten Hauses und flehte um Schlaf.

Irgendwann musste ich eingedöst sein, denn um drei Uhr morgens schreckte ich vom Zwitschern meines Handys hoch und war sofort hellwach.

3

Als mein Handy fiepte, war ich in einer Art Dämmerzustand gewesen, sodass ich zuerst unsicher war, ob ich vielleicht nur träumte. Aber im Ernst, wie hätte ich schlafen können? Als mir also klar wurde, dass ich das Geräusch wirklich gehört hatte, griff ich im Dunkeln nach dem Handy, das wegen einer eingegangenen Nachricht aufleuchtete.

Jazz: Hey, K.! Hoffe, wecke dich nicht, aber musste mein Handy aufladen, gerade erst zurück von epischer Beachparty. Ruf dich morgen früh an. Hoffe, alles ok.

Jazz. Perfekt. Ich schrieb schnell zurück.

Ich: Nein, nichts ist ok. Kannst du sprechen?

Ich sprang aus dem Bett und setzte mich in meine kleine Fensternische, die ich mir aus einer alten Bank und jeder Menge Kissen gebaut hatte. Ich starrte auf den hell erleuchteten Bildschirm meines Handys. Weniger als zehn Sekunden später kam der Anruf.

»Danke, dass du anrufst«, begrüßte ich Jazz.

Ihre Stimme klang belegt, leise und beunruhigt. »Sag schon, was ist los? Bist du okay? Ist Joey …?«

»Gut, es geht ihm gut. Sorry, wenn ich dich erschreckt habe. Mir geht es auch gut, ich bin bloß … Oh Gott, Jazz. Jack ist zurück in Butler Cove.«

»Oh mein Gott! Ernsthaft? Hast du ihn gesehen oder von ihm gehört? Warte, fang ganz von vorne an.«

»Ich habe ihn gesehen.« Beim Blick aus dem Fenster konnte ich die silbrigen Umrisse der riesigen Bäume in meinem Vorgarten sehen, als die Mondsichel sich durch die Wolkendecke schob. Der Regen schien endlich aufgehört zu haben. Ich seufzte und erzählte Jazz die ganze Geschichte.

Als ich fertig war, kicherte sie. »Verdammt, Mädel. Die meisten von uns können sich so einen Abgang doch nur wünschen. Wie unglaublich toll!«

»Es war nicht toll, Jazz. Es war ein Albtraum. Und er stand nur da. Grinsend«, fügte ich verächtlich hinzu.

Sie lachte erneut, schadenfroh und wohl mit ein paar Cocktails intus. »Oh, das ist unbezahlbar! Nur für den Fall, dass er vergessen haben sollte, wer Keri Ann Butler ist, hast du es ganz sicher geschafft, ihn daran zu erinnern! Wie mit einem Riesenzaunpfahl direkt vor seinem Kopf. Und dazu noch mit dem nassen T-Shirt.« Sie kicherte, und es gab ein dumpfes Geräusch. Sie flüsterte vom Telefon weg: »Entschuldige, geh wieder schlafen.«

»Ist das Brandon? Sorry, dass du mich mitten in der Nacht anrufen musst.«

»Schon okay. Das weißt du doch. Ich hätte dich früher angerufen, wenn ich mein Handy bei mir gehabt hätte. Ja, die großen Schoko-Augen haben hier seit heute Nachmittag am Pool ziemlich bei den Drinks zugeschlagen. Der ist durch und fertig. Ich mache jetzt besser auch ein Nickerchen, sonst ist morgen nichts mit mir anzufangen. Glaubst du, du kannst schlafen?«

Ich seufzte und schaute wieder aus dem Fenster. Ich hätte schwören können, jemand lehnte da am Stamm der Virginia-Eiche neben der Einfahrt. Ich brauchte Schlaf, die Dunkelheit und die Schatten fingen an, mir Angst zu machen.

»Ja, ich schlafe jetzt auch. Ich fühle mich bereits besser, weil ich dir davon erzählen konnte. Das gibt mir das Gefühl, schon irgendwie damit klarzukommen. Bin zwar überhaupt nicht sicher, was morgen sein wird, aber ich glaube, darüber mache ich mir erst dann Sorgen.«

»Schau mal, du hast schon genug gewartet und dir Fragen gestellt«, warnte Jazz. »Das Letzte, was du brauchst, ist zu wissen, dass er in der Nähe ist, und darauf zu warten, dass er jeden Moment aufkreuzt. Du musst das in die Hand nehmen, nicht er. Du musst ihn aufsuchen und fragen, was er will, und dann mit deinem Leben weitermachen.«

Der Gedanke, dass ich diejenige sein sollte, die auf ihn zugeht, überraschte mich für einen Augenblick. Aber Jazz hatte absolut recht.

Ich erinnerte mich an die Woche, nachdem Devon bei meinem Geburtstag aufgetaucht war und erklärte, dass er glaubte, Jack würde zurückkehren. Und ich erinnerte mich an das Mitleid in den Gesichtern aller Leute, als die Tage vergingen – und von Jack keine Spur. Nicht dass ich jemand von dem Gespräch erzählt hatte, aber sie nahmen es einfach an. Genau wie ich. Und ich hatte mal wieder bewiesen, was für ein kleines, naives Mädchen ich doch war. Ich glaubte, dass er zurückkommen und sich dafür, wie er fortgegangen war, entschuldigen würde. Ich erschauerte bei der Erinnerung an diese Zeit. Es war wichtig, ihm jetzt entgegenzutreten, um die Sache so bald wie möglich endgültig zu klären und nicht mit ihm in der Nähe herumzusitzen wie eine tickende Zeitbombe.

»Stimmt doch, oder?«

»Ja«, antwortete ich entschieden. »Stimmt genau. Ruf mich an, wenn du wach bist. Ich möchte wissen, wie es mit den ›Schoko-Augen‹ läuft. Es geht dir gut, oder?«

»Ja, Miss Butler, alles schön. Und wir werden zur Eröffnung deiner Kunstausstellung im Hotel pünktlich zurück sein. Oder noch früher. Hast du schon ein Kleid gefunden?«

»Äh. Nein.« Ich schnitt eine Grimasse. Um etwas frische Nachtluft hereinzulassen, entschied ich, das Schiebefenster zu öffnen. Knarzend ließ es sich aufschieben.

»Morgen gehe ich wahrscheinlich mit Colt mittagessen, und ich hoffe, es wird mir gelingen, dann auch irgendwo ein Cocktailkleid zu finden.«

Im selben Moment fiel mir wieder eine Bewegung draußen ins Auge. Da war definitiv jemand unter … Mein Magen sackte ab, und das Herz schlug mir bis zum Hals. Jack trat ins Mondlicht.

»Oh, Jazz. Ich muss Schluss machen. Wir sprechen uns morgen.« Ich ließ die Hand mit dem Handy sinken und hoffte, mit dem Daumen noch auf »Beenden« gedrückt zu haben. Ich starrte aus dem Fenster auf die einsame Gestalt. Er stand dort mit den Händen in den Hosentaschen und schaute zu mir hinauf.

Ich saß für ein paar Minuten nur so da, mein Puls jagte, und ich versuchte, mit dieser neuen Entwicklung klarzukommen. Die milde Nachtbrise wehte über meine nackten Arme, und der Duft von frisch erblühtem Jasmin zog herein.

Er trug seine Baseballcap nicht, und der Wind zerzauste sein dunkleres, längeres Haar.

Es schien mir jetzt lachhaft, bis morgen früh warten zu wollen. Ich warf meinen Kopf zurück. »Du weißt schon, dass das echt ganz schön gruselig rüberkommt?«

Mir war, als hätte ich gesehen, wie einer seiner Mundwinkel nach oben ging.

»Ich konnte nicht schlafen und dachte, spazieren gehen würde helfen. Und na ja, dann bin ich hier gelandet.« Jack zuckte mit den Schultern, seine Hände waren immer noch in den Hosentaschen vergraben. Seine weiche, tiefe Stimme, die ich so gut kannte, die die ganze Welt so gut kannte, war wie eine sanfte Melodie im Gegensatz zu den abgehackten Tönen der Zikaden. »Ich konnte doch nicht ahnen, dass du noch wach bist.«

Du bist gerade wieder in meinem Leben aufgetaucht, wie soll ich denn da schlafen können? Ich biss mir auf die Zunge, um ihn nicht zu mir ins Haus einzuladen. »Warum konntest du nicht schlafen?«, fragte ich schließlich.

»Warum du nicht?«, gab er zurück.

Mein Gesicht wurde heiß. »Ich habe geschlafen.« Kaum. Ich stellte mir seine Augen ganz nah vor. »Aber Jazz hat mir eine Nachricht geschickt und mich aufgeweckt«, fügte ich hinzu. Strenggenommen keine Lüge.

Jack nickte, spitzte die Lippen und schaukelte nach hinten auf seine Fersen. Ich konnte nun noch mehr Details erkennen, da sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und der Himmel klar war, denn die Wolken hatten sich verzogen. Jack trug dunkle Jeans und ein eng anliegendes dunkles T-Shirt. Er ließ mich nicht aus den Augen. Ich griff an mein Haar und glättete es, schob eine Strähne zurück in meinen zerzausten Zopf und fragte mich, wie um Himmels willen ich wohl aussah, nachdem ich mich stundenlang im Bett hin und her gewälzt hatte.

»Stopp!«

Ich hielt inne.

»Du bist wunderschön.«

War das nicht einfach großartig? Mein Blutdruck stieg. Mein Kiefer verkrampfte sich erneut. Meine gute Erziehung hätte fast dafür gesorgt, mich bei ihm zu bedanken, aber eine Welle von Wut, nein … eher dieses pure und äußerste Angepisstsein nahm mir fast den Atem. »Du kannst mich noch nicht mal richtig sehen«, schnaubte ich. »Netter Versuch. Was willst du eigentlich hier?«

»Ich muss dich nicht sehen, um zu wissen, dass du wunderschön bist.«

Also echt, haut das nicht eine Auster aus ihrer Schale? Was für ein Spiel spielte er? »Im Ernst, was willst du, Jack? Brauchst du jemand, der Lebensmittel oder so was für dich einkauft?« Mein ätzender Ton ließ keinen Zweifel daran, in welcher Stimmung ich war.

Seine Schultern bewegten sich fast unmerklich, und ich überlegte, ob er nun einen langen Seufzer ausstoßen – oder ob er einfach nichts darauf zu sagen wusste und deshalb aufgeben, sich umdrehen und gehen würde. »Kann ich reinkommen?«, fragte er so leise, dass ich ihn beinahe nicht gehört hätte. »Ich möchte gern mit dir sprechen.«

Es lag mir schon auf der Zunge zu sagen, dass er sich verziehen solle. Aber vor unangenehmen Situationen lief ich neuerdings ja nicht mehr davon. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich heute Nacht sowieso nicht mehr schlafen konnte und mir Gedanken über das bevorstehende nötige Gespräch mit ihm machen würde. Wir konnten es ebenso gut gleich hinter uns bringen. Ich zuckte so lässig wie möglich mit den Schultern und seufzte. »Klar.« Ich stand auf, schloss das Fenster und hoffte, er konnte von dort, wo er war, das Zittern meiner Hände nicht sehen.