Everything I Want With You - Sarah Saxx - E-Book

Everything I Want With You E-Book

Sarah Saxx

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Beschreibung

GÜNSTIGER EINFÜHRUNGSPREIS. NUR FÜR KURZE ZEIT! Das prickelnde Finale der Rockstar-Romance-Serie Spencer, der Drummer der Mighty Bastards, liebt sein Leben als Rockstar so, wie es ist. Als er dem Sohn ihrer Managerin unbeabsichtigt anvertraut, dass er schwul ist, fürchtet er, dass sich alles verändern könnte. Doch Oliver ist bi und zwischen den beiden entstehen Gefühle, mit denen sie nicht gerechnet haben. Bis ein Stalker auftaucht, der nicht nur Spencers Geheimnis, sondern auch die Zukunft der Band gefährden könnte … »Rockstar-Romance at its best: Vom ersten Aufeinandertreffen bis zur allerletzten Szene –die Geschichte von Spencer und Oliver ist packend, wendungsreich ... und verdammt heiß!« Dominik Gaida, Autor der Brynmor University

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2025

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Textbaby Medienagentur, www.textbaby.de.

Redaktion: Jil Aimée Bayer

Korrektorat: Manfred Sommer

Songtexte im Buch © Jil Aimée Bayer

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Content Note

Widmung

Playlist

1 – Spencer

2 – Spencer

3 – Oliver

4 – Spencer

5 – Oliver

6 – Spencer

7 – Oliver

8 – Spencer

9 – Oliver

10 – Spencer

11 – Oliver

12 – Spencer

13 – Oliver

14 – Spencer

15 – Oliver

16 – Spencer

17 – Oliver

18 – Spencer

19 – Oliver

20 – Spencer

21 – Oliver

22 – Spencer

23 – Oliver

24 – Spencer

25 – Oliver

26 – Spencer

27 – Oliver

28 – Spencer

29 – Oliver

30 – Spencer

31 – Oliver

32 – Spencer

33 – Oliver

34 – Spencer

35 – Oliver

36 – Spencer

37 – Oliver

38 – Spencer

39 – Oliver

40 – Spencer

41 – Oliver

42 – Spencer

43 – Epilog – Nora

Danksagung

Content Notes

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Content Note

Dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Am Ende des Textes findet sich eine Aufzählung, die jedoch den Verlauf der Geschichte spoilern kann.

Widmung

Für Laura – weil dir immer ein Teilmeines Herzens gehören wird.

Für Dominik.

Und für alle queeren Menschen da draußen, die nicht immer sie selbst sein können, weil die Gesellschaft selbst in der heutigen Zeit immer noch intolerant sein kann – hört nicht auf, für eure Rechte zu kämpfen. Und vergesst nicht,ihr seid nicht allein. ❤

Playlist

They Don’t Want What We Want (And They Don’t Care) –Asking Alexandria

Die A Little – YUNGBLUD

Hurricane – I Prevail

1x1 – Bring Me The Horizon, Nova Twins

jump – Against the Current

Paranoid – I Prevail

Loner – YUNGBLUD

Infinite – Silverstein, Aaron Gillespie

Pretty Venom (Interlude) – All Time Low

Comatose – jxdn

I Think I’m Okay – Machine Gun Kelly, YUNGBLUD, Travis Barker

Monsters – All Time Low, Blackbear

Mind Is A Prison – Alec Benjamin

Rose – Telltale

Misfits – Magnolia Park, Taylor Acorn

The Shower Scene – Ice Nine Kills

Stabbing In The Dark – Ice Nine Kills

Like A Villain – Bad Omens

Rainy Day – Ice Nine Kills

Carry On – Falling in Reverse

Resentment – A Day to Remember

Both Ways (Acoustic) – The Script

Found You First – Alec Benjamin

Stay With Me – You Me at Six

Rocks Off – The Rolling Stones

Diese Playlist findest du auch auf Spotify unter

Everything I Want With You – by Sarah Saxx

Viel Spaß beim Hören und gute Unterhaltung!

1 – Spencer

»Ihr habt euch mit eurem Album Feet on the Ground die erste Platin-Schallplatte verdient. Herzlichen Glückwunsch!« Johnny Mayhem, der Moderator der Livemusik-Show Rock with Johnny, grinste uns an, während gleichzeitig ein Regen aus silbernen und goldenen Schnipseln auf uns niederging.

Genau wie meine Bandkollegen schaute ich verblüfft auf die eingerahmte Schallplatte, über der deutlich zu lesen war, dass wirklich wir Mighty Bastards sie bekommen hatten. Der offensichtliche Beweis dafür, dass wir die Grenze von dreihunderttausend verkauften Alben überschritten hatten, was einfach nur krass war.

Nora, unsere Managerin, hatte uns schon vor Wochen dazu geraten, nicht ständig über die Zahlen nachzudenken, weil es uns nur verrückt machen und dafür sorgen würde, dass wir den Fokus verloren. Vielleicht hatte sie es uns aber auch nur gesagt, um uns jetzt auf diese Weise überraschen zu können. Auf jeden Fall hatte garantiert keiner von uns damit gerechnet. Denn ich war aufgesprungen, genau wie Lex, Theo und Richie, und hatte die drei umarmt. »Wie absolut krass«, murmelte ich fassungslos, bis Richie, unser Bassist, wie ein Flummi vor Freude zu hüpfen begann und uns alle mit seiner Euphorie mitriss.

Das Publikum im Fernsehstudio jubelte und freute sich mit uns, während von irgendwoher Fanfaren ertönten. Es war einfach verrückt.

Völlig geplättet sank ich wieder in meinen Ledersessel zurück und Lex ließ es sich nicht nehmen, den Bilderrahmen mit der Auszeichnung ein letztes Mal liebevoll zu umarmen.

»Richtig schön, diesen emotionalen Augenblick mit euch mitzuerleben.« Johnny strahlte übers ganze Gesicht und enthüllte dabei eine Reihe perfekt weißer Zähne.

Theo nickte und hob sein Mikrofon zum Mund. »Ja, wir sind überwältigt und unglaublich dankbar. Es ist mit Abstand eines der größten Geschenke, das unsere Fans uns machen konnten. Danke Leute, für euren Support und … einfach für alles.«

Zustimmend applaudierte ich.

»Das klingt wirklich sehr bewegend, und ich bin mir sicher, dass sich die Fans mit euch freuen«, sagte Johnny, bevor er sich Richie und Lex zuwandte. »Bei euch beiden läuft auch privat alles erste Sahne. Eure Freundinnen sind mit im Studio, und wie ich gesehen habe, seid ihr verliebt wie am ersten Tag.«

Während Richie darauf reagierte, kniff ich die Augen zusammen, um durch das grelle Scheinwerferlicht etwas erkennen zu können, und entdeckte Hayden und Tessa in der vordersten Reihe neben Alicia und Nora im Publikum.

»Großes Drama gab es jedoch bei dir, Theo. Du warst mit der Schauspielerin Alicia Atkinson liiert, dann kam es zur Trennung.« Mit dieser Aussage sorgte Johnny dafür, dass es mit einem Schlag wieder mucksmäuschenstill im Studio wurde.

Gefühlt alle Augen waren auf unseren Gitarristen gerichtet. Ich wusste, wie schnell er nervös wurde, sobald er im Mittelpunkt stand, heute war davon jedoch nichts zu merken. Er antwortete souverän, dass sie erst versucht hatten, getrennte Wege zu gehen, um sich jeder auf seine Weise auf die Arbeit konzentrieren zu können. Dass sie aber mit der Trennung nicht klargekommen waren und sie ihre Gefühle nicht länger hatten leugnen wollen – und jetzt glücklich und verliebt wieder ein Paar waren.

Ein bewegtes »Awww!« erklang im Publikum, was mich amüsierte.

»So soll es sein«, meinte Johnny und grinste. »Allerdings, was des einen Freud ist, ist des anderen Leid. Immerhin gibt es eine Menge Fans, die nicht gerade happy sind, dass in so kurzer Zeit drei ihrer Mighty Bastards ihr Herz vergeben haben. Wie geht ihr damit um?«

Lex runzelte die Stirn. »Wir finden es, ehrlich gesagt, schade, dass einige ›Fans‹ …« Er malte Gänsefüßchen in die Luft. »… sich von uns abwenden, uns beschimpfen oder sogar Kommentare unter der Gürtellinie über unsere Freundinnen posten. Das tut uns weh und Tessa, Hayden und Alicia ebenfalls. Was diese Leute nämlich außerdem vergessen: Unsere Freundinnen beflügeln uns, inspirieren uns zu unserer Musik, die da draußen so gefeiert wird.«

Richie und Theo murmelten etwas Zustimmendes und ich nickte ebenfalls. Was die drei Paare im letzten Jahr hatten durchmachen müssen, welche Beschimpfungen sie mitunter noch immer wegstecken mussten, war zum Teil echt heftig.

Sicher, Nora und Evie, ihre Assistentin, hatten versucht, so viel wie möglich schon im Vorfeld abzufangen und zu löschen, aber natürlich konnten sie nicht rund um die Uhr auf unseren Social-Media-Profilen abhängen. Mal davon abgesehen, dass sie nicht nur die offiziellen Seiten der Band verwalteten, sondern es hatte jeder von uns vier Mitgliedern auch einen eigenen Account. Zusätzlich hatten sie Zugriff auf jene von Tessa, Hayden und Alicia, um dort ebenfalls interagieren zu können, falls erforderlich.

»Da hast du recht. Und im Grunde sollte es die Fans ja freuen, dass zumindest einer von euch noch Single ist. Spencer, wie geht es dir damit, als Einziger keine Freundin zu haben? Bedeutet es nicht eine Menge Druck für dich? Immerhin stehen jetzt bestimmt auch alle Frauen bei dir Schlange. Oder gibt es vielleicht sogar schon eine, die dein Interesse geweckt hat und mit der du dir dein Leben teilst? Von der bisher niemand weiß?«

Ich stockte, wusste nicht, was ich sagen sollte. Denn diese Fragen waren im Vorfeld nicht abgesprochen gewesen. Sicher, es lag nahe, dahin zu lenken, aber Nora hatte nicht aus einer Laune heraus vorab den Fragenkatalog verlangt. Wir wollten uns darauf vorbereiten und sichergehen, dass uns nicht etwas erwartete, mit dem wir nicht gerechnet hatten oder was uns in eine unangenehme Lage bringen würde. Wie mich gerade eben.

Ich versteifte mich und ballte die Hände zu Fäusten, während Wut und Hilflosigkeit in mir hochstiegen. Gleichzeitig hasste ich es, ständig in eine Schublade gesteckt zu werden. In eine, in der ich mich wohlfühlen sollte, weil es die war, in die ich mich zu meinem eigenen Schutz und zum Wohl der Band selbst viel zu oft setzte. Dennoch fühlte es sich einfach falsch an. »Ganz ehrlich, Johnny, unser Privatleben geht niemanden was an. Ich verstehe auch nicht, warum ständig auf dem Thema herumgeritten werden muss. Wir sind Musiker. Alles, was zählen sollte, ist unsere Musik, schließlich sind wir genau deswegen heute hier. Also können wir uns bitte ausschließlich darauf konzentrieren?« Und als wären die Worte nicht schon schlimm genug, hatte ich sie wütend hervorgepresst und war dabei lauter geworden.

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so still war es für einen Wimpernschlag, nachdem mein letztes Wort verklungen war.

Ich musste mich nicht zu meinen Bandkollegen umdrehen, um zu wissen, dass ich mit der Antwort gerade völlig übers Ziel hinausgeschossen war. Und was Nora darüber dachte, wollte ich mir erst gar nicht ausmalen – das würde ich nachher sicher noch zu hören bekommen.

Jetzt war ich bestimmt der frustrierte Single und hatte meine Lage nur verschlimmert.

Fuck, wo war der Button, mit dem ich die letzte Minute zurückspulen konnte?

Johnny blinzelte kurz, dann lachte er peinlich berührt auf. »Da sagst du was, Spencer. Und was für eine Überleitung, denn wie ich gehört habe, werdet ihr gleich einen Song für uns spielen.«

»Das ist richtig. Wir freuen uns schon darauf.« Unser Leadsänger grinste und stand auf, genau wie der Rest von uns. Als Lex dem Publikum schließlich den Rücken zudrehte, kniff er die Augenbrauen zusammen und formte What the fuck? mit den Lippen, doch ich ignorierte ihn und setzte mich direkt ans Schlagzeug.

Dass ich Scheiße gebaut hatte, wusste ich selbst, da brauchte ich seinen Kommentar nicht.

Vielleicht hatte ich ja Glück, und meine Aussage wurde damit begründet, dass ich ein böser Rockstar war. Wenn ich jedoch ehrlich war, gab es nichts, das das entschuldigen konnte. Ich wollte es mir gegenüber nicht schönreden. Denn so war ich nicht. Ich war der freundliche, ruhige Drummer, der über allem stand.

Gott, garantiert hatte mein Dad es auch gesehen. Meine Mum sicher nicht, sie meinte, sie wolle sich morgen die Wiederholung anschauen. Heute jedoch war sie mit Freundinnen aus. Aber bestimmt waren beide enttäuscht von mir. Ich konnte Mums Stimme schon hören, wie sie mir sagte, dass sie mich nicht so erzogen hatte …

Nachdem auch Richie und Theo auf ihren Plätzen waren und wir uns kurze Blicke zugeworfen hatten, um uns zu vergewissern, dass wir alle bereit waren, begann Theo mit seinem Einsatz an der Gitarre. Schon bei den ersten Klängen flippte das Publikum aus, denn – natürlich – spielten wir unseren größten Hit Broken. Richie stieg mit dem Bass ein, dann kamen die Drums dazu. Schließlich setzte Lex mit den Zeilen ein, die Tessa, seine Freundin, vor Jahren geschrieben hatte, ohne zu wissen, dass sie die Lyrics eines weltweit bekannten Songs werden würden.

Das Jubeln des Publikums half mir leider nicht, auch nur ansatzweise zu vergessen, was eben passiert war. Selbst, dass ich meine ganze Frustration an den Drums ausließ und alles gab, brachte nichts.

Zum Glück war Broken schon das Ende unseres Auftritts in der Show. Nach dem Fade out von Theos Gitarre kamen wir noch einmal vorne an der kleinen Bühne zusammen, um dem Publikum zu winken. Dann schloss sich der Vorhang, und ich schleuderte die Drumsticks in eine Ecke.

»Hey!«, zischte Lex, doch ich war nicht in der Verfassung, mich seinem Urteil zu stellen. Oder irgendwem sonst, der mit mir darüber reden wollte, was passiert war.

Ich eilte hinter die Bühne, vorbei an Leuten mit Klemmbrettern, über Kabel hinweg in Richtung der Garderoben. Doch ich betrat unsere nicht, sondern hastete weiter zu den Toiletten, wo ich mich schließlich in eine Kabine einschloss.

»Fuck!«, schrie ich lautlos und boxte in die Luft.

Das Klicken einer Tür verriet mir, dass ich nicht mehr allein war, genau wie die Schritte auf dem Fliesenboden, die von den Wänden widerhallten. Sohlen rutschten anhaltend, dann war es kurz still, bevor ein Klopfen an der Kabinentür erklang. »Komm schon, ich weiß, dass du da drin bist.« Es war Richie und er wirkte weder genervt noch so, als würde er mir gleich erzählen, was für einen Mist ich mir geleistet hatte. »Mach auf!«

Mir lag eine Erwiderung auf den Lippen, die jedoch lächerlicher klang, als ich mich fühlte, weshalb ich schließlich den Riegel zurückschob und aus der Kabine trat.

Mein Kumpel stand mit gerunzelter Stirn vor mir. »Alles okay?«

Statt etwas darauf zu erwidern, schnaubte ich nur.

»Ach, komm, so schlimm war es nicht.«

»Nicht? Ich habe mich nur gerade im Live-Fernsehen lächerlich gemacht. Ich bin der frustrierte, bemitleidenswerte Single, der euch euer Liebesglück nicht gönnt – oder was auch immer die Medien jetzt über mich sagen werden.«

Dass Richie die Lippen aufeinanderpresste, war Beweis genug, dass ich mit meiner Vermutung nicht so falschliegen konnte. »Schwamm drüber. Nächste Woche kann sich niemand mehr daran erinnern. Abgesehen davon, wärst du kein echter Rockstar, wenn du nicht auch mit negativen Schlagzeilen von dir reden machen würdest.« Er grinste und klopfte mir auf die Schulter.

Doch mir war nicht nach irgendwelchen Späßen. Mir ging es gar nicht so sehr darum, was ich gesagt hatte und dass mich vermutlich die ganze Nation und alle, die die Show online verfolgten, für einen Idioten hielten. Es ging um so viel mehr. Um die Zerrissenheit in mir, die ich schon zu lange mit mir herumtrug und die ich für immer in mir eingeschlossen halten musste. Jetzt, wo wir erfolgreich waren und in der Öffentlichkeit standen, noch mehr als zuvor. Denn ich stand mit den Mighty Bastards ununterbrochen im metaphorischen Scheinwerferlicht und konnte nicht wie früher unter dem Radar bleiben, musste bei jedem einzelnen Schritt aufpassen, dass nicht jemand hinter mein Geheimnis kam.

»Du kannst es nicht verstehen, Richie. Niemand von euch kann das, und das weißt du.« Ich sah ihm frustriert in die Augen, in denen ich die Erkenntnis einrasten sah. Dann wandte ich mich von ihm ab und stürmte nach draußen, zurück in unsere Garderobe, in der ich Geldbörse und Handy aus meinem Regal nahm.

Theo und Lex, die beide schon hier waren, redeten auf mich ein, doch ich ignorierte sie. Als Theo seine Hand beruhigend auf meinen Unterarm legte, rastete ich komplett aus. »Hört auf!«, donnerte ich los. »Und lasst mich in Ruhe! Keiner von euch kann ansatzweise nachvollziehen, wie es mir im Moment geht. Nach dem.« Ich deutete in die ungefähre Richtung, in der das Studio lag.

Ihr Schweigen verriet mir, dass sie begriffen. Oder keine Argumente mehr hatten.

»Also bitte … habt Verständnis dafür, wenn eure bestimmt gut gemeinten Worte gerade an mir abprallen.« Mein Puls raste wie irre und ich hatte das Gefühl, dass die stinkende Luft der Garderobe knapp wurde. »Ich muss hier raus«, murmelte ich, wandte mich um und wäre fast in Richie hineingerannt, der irgendwann im Laufe meines Ausrasters nachgekommen sein musste.

Ich eilte den Flur entlang weiter zu den Treppen, die ein Stockwerk hinab- und auf die Straße führten.

Hinter mir hörte ich Schritte – vermutlich erneut einer der Jungs, doch ich würde nicht stoppen. Gerade brauchte ich Zeit für mich. Brauchte Raum … einen Moment, um durchzuatmen und vielleicht auch um mich selbst zu bemitleiden.

Als ich allerdings in die warme abendliche Mailuft trat und sie tief in die Lungen saugen wollte, klappte es nicht. Etwas in mir blockierte, sorgte dafür, dass es in der Kehle eng wurde und in meinen Augen brannte.

Fuck!

Ohne groß zu überlegen, wo ich hinkonnte, lief ich die Straße hinauf, weg von diesem Ort, der mir einmal mehr aufgezeigt hatte, dass ich nun mal nicht wie die anderen war. Dass ich, so sehr ich es mir wünschen würde, nie ihr Leben haben konnte. Nicht auf diese Art.

Ich bog an der nächsten Ecke ab, hetzte durch die Londoner Straßen von White City, vorbei am Wormholt Park, bis ich irgendwann die Orientierung verloren hatte.

Welche Ironie – genauso lost, wie ich war, fühlte ich mich. Und das schon viel zu lange, verdammt.

2 – Spencer

»Kannst du mir erklären, was das eben war?« Noras Stimme drang durchs Telefon an mein Ohr, als ich gerade den Whisky serviert bekam. Ich saß in der erstbesten Kneipe, die ich auf meiner ziellosen Flucht entdeckt hatte.

»Ich weiß nicht, was du hören willst«, grummelte ich, warf dem Barkeeper, einem Mann von vielleicht Mitte vierzig mit einem komplett tätowierten Arm und Baskenmütze, einen Schein auf den Tresen. Anschließend nahm ich das Glas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit an mich und hielt es mir an die Lippen. »Wieso konfrontierst du damit nicht Johnny mit seiner im Vorfeld nicht abgesprochenen, übergriffigen Frage?«

»Komm schon, Spencer, sag mir einfach, wo du bist, und wir reden in Ruhe darüber, was eben passiert ist.« Ihre Stimme war nun versöhnlicher, dennoch brodelte es weiter in mir.

»Bitte sei mir nicht böse, aber ich will gerade allein sein.«

Einige Atemzüge lang herrschte Schweigen. »Okay, ich kann verstehen, dass dich die Frage nach deinem Privatleben ärgert. Wirklich. Allerdings stehst du nun mal in der Öffentlichkeit. Und obwohl es grundsätzlich keinen was angeht, wollen die Leute dennoch am liebsten alles über dich erfahren. Du kennst das Biz: Egal, wie sehr wir es versuchen, nicht alle halten sich an Absprachen. Aber da musst du drüberstehen, immerhin geht es nicht nur um dich. In Zukunft erwarte ich mehr Professionalität von dir, Spencer. Also finde dich verdammt noch mal damit ab, dass die Zeiten, in denen sich niemand für dich interessiert hat, vorbei sind. Und komm mir nicht mit der Ausrede, du hättest das vorher nicht gewusst, denn das ist absoluter Bullshit.«

»Ich wusste, dass es so sein wird. Deshalb darf ich trotzdem angepisst sein, oder nicht?«

Nora seufzte schwer. »Wir hatten mehr als ein Pressetraining und darüber gesprochen, nicht ausfallend zu werden, auch wenn manche Fragen vielleicht nerven. Ich muss sagen, ich bin echt enttäuscht, dass gerade du als der Ruhigste, ja, Vernünftigste von allen so eine Show abziehst.«

Autsch, das saß. Immerhin ging es bei dieser Show um mein verfluchtes Privatleben. Verbissen trank ich einen Schluck, und der Whisky brannte im Hals.

»Nun gut, ich lasse dich heute in Ruhe, aber ich will, dass wir spätestens morgen noch einmal darüber reden, haben wir uns verstanden? Ich reiße mir hier nämlich nicht den Arsch auf, um für euren guten Ruf zu sorgen, nur damit du ihn innerhalb von drei Sätzen in den Dreck ziehen kannst.« Daraufhin hatte sie einfach aufgelegt.

Puh … Und in mir stieg noch mehr Wut hoch. So hatte Nora bisher nie mit einem von uns gesprochen. Okay, vielleicht lag das daran, dass sich bislang keiner der Mighty Bastards etwas in dieser Art geleistet hatte und vor einem – vermutlich – Millionenpublikum so ausgerastet war. Aber ich hasste das verdammte Schubladendenken der heteronormativen Welt.

Mein Handy vibrierte mehrfach – Lex rief an, Theo und Richie schrieben mir, genau wie Tessa. Und wahrscheinlich hielten sich Hayden und Alicia nur deshalb zurück, weil sie mich nicht ebenfalls bedrängen wollten. Doch ich hatte keine Lust, mit einem von ihnen zu reden. Lex drückte ich weg und antwortete in unseren Gruppenchat, dass ich gerade einfach meine Ruhe brauchte und sie das akzeptieren sollten. Wenigstens einmal.

Sie würden mich nicht verstehen. Wie auch? Für sie war die Welt in Ordnung, ein Safe Space, der für mich in der Art nicht existierte.

Tief holte ich Luft. Okay, vielleicht war das etwas zu melodramatisch.

Ich kippte den restlichen Whisky in mich und hob die Hand, um einen weiteren zu bestellen. Der Alkohol sorgte für eine angenehme Wärme in mir. Eine, die mich von innen umarmte und tröstete. Eine, die mich verstand.

Morgen würde ich vermutlich einsehen, dass ich überreagiert hatte, gerade war mir jedoch nicht danach.

Allerdings gab es einen Menschen auf dieser Welt, dem ich sofort Rechenschaft schuldig war. Okay, genau genommen zwei, aber einer der beiden war gerade nicht erreichbar. Also griff ich nach meinem Telefon und navigierte mich zu den Kontakten.

»Ich hab mich schon gefragt, wann du mich anrufst«, drang Dads ruhige Stimme an mein Ohr.

Geräuschvoll atmete ich aus und merkte, dass allein mit der Tatsache, ihn zu hören, ein Großteil des Frustes von mir abfiel. »Du hast es gesehen«, sagte ich feststellend.

»Jap.«

Wie nicht anders zu erwarten, schwieg er danach.

»Sag was, bitte«, flehte ich ihn an, als ich die Stille zwischen uns nicht länger aushielt. Sie traf mich weit heftiger als Noras Tirade vorhin.

»Ich bin nicht enttäuscht von dir, wenn du das fürchtest, Spence. Natürlich nicht, du bist mein Sohn. Wie könnte ich, wenn es um deine Gefühle geht?«, begann er langsam. »Allerdings kennst du meine Einstellung dazu. Man kann so was immer in anderen Worten sagen. Mal davon abgesehen, dass der Ton die Musik macht. Und dass es halt im Fernsehen nicht gerade optimal ist, dem Moderator die Meinung zu geigen. Wenn, dann mach es das nächste Mal hinter der Kamera.« Aus seinen letzten Worten konnte ich ein Lächeln hören, doch mir war nicht danach, es zu erwidern.

»Ich hab’s verkackt«, sagte ich niedergeschlagen und stützte die Stirn in die Hand.

»Vermutlich. Aber auch darüber wird Gras wachsen, du wirst sehen.«

»Keine Ahnung, was ich Mum sagen soll … Sie will sich die Wiederholung morgen ansehen.« Ich merkte, wie mir Hitze ins Gesicht stieg, wenn ich mir vorstellte, wie meine Mutter reagieren würde.

»Mach dir wegen deiner Mutter keine Gedanken, Junge. Sie liebt dich genau wie ich und wie ich sie kenne, steht sie ebenfalls bedingungslos hinter dir. Das war schon immer so, egal, welchen Blödsinn du angestellt hast.«

Ich brummte zustimmend. Denn ja, im Grunde hatte ich mich noch immer auf den Rückhalt meiner Eltern verlassen können. Keine Ahnung, warum ich bis gerade eben daran gezweifelt hatte.

»Wo bist du gerade? Sind die Jungs bei dir?«

Der Barkeeper schenkte mir nach und ich bezahlte. »Nein, ich bin hier in …« Zum ersten Mal sah ich mich genauer um, doch nirgendwo an den Wänden stand geschrieben, wie die Bar hieß. Bis ich die Getränkekarte eine Armlänge neben mir erblickte. »The Askew Public House, das ist eine Kneipe vielleicht eine halbe Stunde Fußmarsch vom Fernsehstudio entfernt. Ich musste weg von den anderen, um einen freien Kopf zu kriegen.«

»In einer Bar?« Dad klang belustigt.

»Na ja … Eventuell will ich mich auch einfach nur betrinken.«

Nun lachte er lauthals. »Alles klar. Übertreib es halt nicht. Und vermutlich möchtest du es gerade heute nicht hören, doch du bist eine Person des öffentlichen Lebens. Und nach dem, was vorhin passiert ist, wäre es eher ungünstig, wenn du stockbesoffen auffällst.«

»Werde ich nicht«, versprach ich, zweifelte jedoch im selben Moment meine eigenen Worte an.

»Gut. Dann … viel Spaß oder so. Und melde dich, falls ich was für dich tun kann. Ruf die Jungs an, wenn du jemanden brauchst, der dich sicher nach Hause begleitet.« Seine Stimme war ernster geworden.

Etwas in meiner Brust zog sich bei seinen sorgenvollen Worten zusammen. »Klar, das werde ich. Mach dir keine Gedanken, mir passiert schon nichts.« Mal davon abgesehen, dass sich niemand mit mir anlegen würde. Dafür hatte ich in den letzten Jahren zu viele Muskeln aufgebaut.

Dad seufzte. »Na gut. Vielleicht schickst du mir eine kurze Nachricht, sobald du gut zu Hause angekommen bist, hm? Damit ich mir keine Sorgen machen muss.«

Ich brummte ein Versprechen ins Telefon, dann legte ich auf.

Seufzend starrte ich einen Moment auf mein Smartphone, bevor ich es in die Hosentasche schob. Zum einen, weil ich nun wirklich mit niemandem mehr reden wollte. Zum anderen, weil ich schon einmal mein Handy im Suff verloren hatte und es nicht gebrauchen konnte, dass mir das erneut passierte. Auf dem Teil hatte ich mein halbes Leben gespeichert. Nicht nur, dass unsere ganzen Termine im Kalender hinterlegt waren, ich hatte außerdem alle Telefonnummern ausschließlich darauf gespeichert. Die der Jungs von Amplified Angles, bei denen ich gespielt hatte, bevor mich Lex gefragt hatte, ob ich nicht Lust hätte, ihr Schlagzeuger zu sein. Da diese Band sowieso kurz vor ihrem Ende gestanden hatte, war mir die Entscheidung nicht schwergefallen und die vier restlichen Angels hatten volles Verständnis für meinen Wechsel gezeigt. Dann noch die einer Handvoll ehemaliger Schulkollegen, die Nummer meiner Tante und die von Judah, meinem damaligen Boss im Colours, wo ich als Barkeeper gejobbt hatte, bevor wir mit den Mighty Bastards durchgestartet waren.

Ein Lächeln schob sich auf meine Lippen, als ich an die wilde Zeit hinter dem Bartresen zurückdachte. Wie viel wir gefeiert und manchmal auch getrunken hatten, wenn unser Dienst zu Ende gewesen war. Wie unbeschwert mir damals das Flirten gefallen und in welchem Zustand ich jetzt gelandet war.

Frustriert schnaubte ich auf und trank einen großen Schluck.

»Na, schlechten Tag gehabt?«, fragte der Barkeeper und runzelte die Stirn, als ich zu ihm aufsah.

»Kann man wohl sagen«, murmelte ich und hoffte, er würde mich nicht erkennen.

»Privat oder beruflich?«, erkundigte er sich weiter und erinnerte mich damit erneut zurück an meine Zeit als Barkeeper, als ich manchen Gästen bei Bedarf ein offenes Ohr geboten hatte.

»Beruflich.« Erneut trank ich. »Und irgendwie auch privat.«

»Fuck. Ist ’ne miese Kombi.« Er klang mitfühlend und hob fragend die Whiskyflasche in die Höhe.

Kurz zögerte ich. Ich wollte mich nicht völlig aus dem Leben schießen. Das wäre, wie Dad angemerkt hatte, viel zu riskant. Einer mehr würde mich jedoch schon nicht vom Barhocker hauen, beschloss ich, also nickte ich.

Großzügig schenkte er mir nach. »Mein Kumpel Bernie hat auch gerade ziemlichen Mist im Büro am Laufen, während seine Frau die Scheidung eingereicht hat.« Er griff nach einem Glas im Spülkorb, trocknete es ab und stellte es zurück zu den anderen ins Regal. »Was ich damit sagen will, ist, dass ich ein guter Zuhörer bin. Bringt der Job mit sich.«

Schnaubend schüttelte ich den Kopf. »Danke, aber … gerade muss ich das alles mit mir selbst ausmachen.«

Verständnisvoll nickte er und nahm das nächste Glas aus dem Korb. »Das Leben ist manchmal verdammt hart. Es fickt uns in genau den Momenten, in denen wir es am wenigsten brauchen können.«

Dem konnte ich nur zustimmen. Schweigend trank ich und sah mich im Laden um. Der Holztresen sowie die Tische und mit Leder überzogenen Bänke und ein paar runde Stehtische machten es hier richtig gemütlich. Die Säulen, um die Lichterketten gewickelt waren, und ein Teil der Decke bestanden ebenfalls aus Holz. An der Wand hingen einige alte Fotografien und Gemälde, und als der Barkeeper mit einem Tablett an mir vorbeimarschierte, stellte ich fest, dass sie hier offenbar auch echt leckeres Essen anboten. Sofort lief mir beim Anblick der Burger und Fritten das Wasser im Mund zusammen.

Das wäre tatsächlich eine Kneipe, die ich mal gemeinsam mit den Jungs besuchen könnte. Vor allem, da hier zu meinem Glück niemand Notiz von mir nahm. Das Publikum – in erster Linie Männer über fünfzig – war wohl nicht unsere Zielgruppe.

Vermutlich konnte ich hier wirklich eine Weile bleiben und in Selbstmitleid baden, bis ich mich insoweit gefangen hatte, mich wieder der Realität zu stellen. Den Berichten der Presse zu meinem Ausraster, den Kommentaren auf Social Media und Nora, die mir garantiert erneut die Leviten lesen würde.

»Noch einen.« Ich musste mich an der Kante des Tresens festhalten, um nicht vom Hocker zu rutschen, als ich das Glas in die Höhe hielt. Doch Corbin, der Barkeeper, schüttelte den Kopf. Oder beide Köpfe …

»Du hast genug. Trink dein Wasser.« Mit diesen Worten schob er das große Wasserglas näher an mich heran.

»Du bist wie Nora. Die ist auch so streng.« Okay, nun merkte ich selbst, wie sehr ich lallte. Vielleicht hatte Corbin recht und ich sollte versuchen, nüchtern zu werden.

Zwar beachtete mich nach wie vor niemand – zumindest hatte ich nicht das Gefühl, beobachtet zu werden –, aber unauffällig zu bleiben, war die Devise. Unauffällig, wie ich es vorhin im Fernsehstudio nicht geschafft hatte. Argh, so viel dazu, es zumindest für eine Weile vergessen zu können.

Frustriert schnaubte ich auf und hasste es, dass sich meine Gedanken wie festgefahren wieder und wieder um diesen kurzen Ausraster drehten. Allerdings hatte sich inzwischen auch Wut auf Nora dazugesellt. Sie hätte Verständnis zeigen sollen. Immerhin standen wir unter Stress. Und sie kannte meine Situation. Sie wusste – hoffentlich –, warum ich so reagiert hatte. Gerade von ihr als unsere Managerin hätte ich mir Unterstützung erhofft. Oder zumindest Beistand.

Mir war klar, dass ich ihr das sagen musste.

Immer alles sofort ansprechen, hatte sie uns mehr als einmal erklärt. Also tastete ich meine Hosentaschen auf der Suche nach meinem Smartphone ab. Aber … da war nichts.

Fuck, hatte ich es doch …? Panik schoss durch mich hindurch und jagte mir einen heißkalten Schauer die Wirbelsäule hinab. Sofort fühlte ich mich minimal nüchterner.

Ich schnaubte, als ich es direkt vor mir auf dem Bartresen liegen sah. Offenbar war ich deutlich mehr bedient als gedacht. Egal, ich hatte eine Mission.

Ein Auge zugekniffen, um besser sehen zu können, navigierte ich mich zu ihrem Kontakt und drückte darauf. Das Freizeichen ertönte und ich machte mich bereit, ihr zu sagen, wie verletzend das Telefonat mit ihr gewesen war – als eine männliche Stimme »Hallo?« in mein Ohr sagte.

»Äh … hi? Hier ist Spencer.« Nun war ich verunsichert. »Und wer bist du?« Hatte ich einen falschen Namen angetippt?

Aber nein, mein einäugiger Blick auf das Display versicherte mir, dass ich Nora angerufen hatte.

War das etwa ihr Freund? Hatte sie ihr Telefon verloren? War sie von der Presse gekidnappt worden, um … Stopp, jetzt merkte ich schon selbst, wie mein Hirn Blödsinn fabrizierte.

»Ich bin Oliver, Noras Sohn.«

Oh. »Noras Sohn …«, wiederholte ich, weil ich von der Neuigkeit völlig überfordert war.

»Ja, sie war vorhin bei mir zu Besuch und hat ihr Handy bei mir vergessen. Sie ist jedoch gerade mit einer Freundin unterwegs, also kann ich es ihr nicht vorbeibringen. Kann ich in der Zwischenzeit was für dich tun?«

Ein verzweifeltes Schnauben stieg in mir auf. »Wenn du nicht die Zeit zurückdrehen kannst, vermutlich nicht, nein.«

Dass Oliver am anderen Ende lachte, irritierte mich. Mehr noch, dass ich das Geräusch erneut hören wollte, weil es … irgendwie guttat. Und das war so ziemlich das Falscheste, das ich in meinem betrunkenen Zustand denken konnte.

3 – Oliver

»Nein, Zeitreisen kann ich leider nicht anbieten«, erklärte ich amüsiert und versuchte mir Spencer vorzustellen, wie er gerade in irgendeiner Bar hockte. Denn der Lärm aus dem Hintergrund – Gemurmel, Musik und Gelächter – deutete in Kombination mit seiner schwerfälligen Zunge ganz klar darauf hin.

Vermutlich war es ein Fehler, den Anruf auf Mums Telefon angenommen zu haben. Gut, es war schlechtes Timing, dass sie es gerade heute bei mir vergessen hatte, als sie nach dem Termin im Fernsehstudio zu mir gefahren war. Aber sie war außer sich gewesen – vor Ungewissheit und Angst, welche Auswirkungen das Ganze für ihren Schützling haben könnte.

Wir standen uns sehr nahe, Mum und ich. In der Vergangenheit hatte es einen Moment gegeben, in dem wir uns versprochen hatten, ab sofort immer offen über alles zu reden. Dass es deshalb hin und wieder vorkam, dass wir uns unsere Sorgen anvertrauten, die nicht zwingend mit uns beiden zu tun hatten, war der Beweis für unser ausgeglichenes, ja, großartiges Mutter-Sohn-Verhältnis.

Dennoch war das hier ihr Klient. Und dadurch, dass ich den Anruf angenommen hatte, hatte ich eine deutliche Grenze überschritten. Denn seit damals vor acht Jahren hatte ich alles dafür getan, Mums Berufsleben so weit wie möglich von mir fernzuhalten beziehungsweise nur so tief in es einzudringen, wie sie mich aktiv ließ.

Warum ich Spencer trotzdem nicht einfach sagte, dass sie sich melden würde, sobald sie ihr Handy zurückhatte, und dann auflegte, wusste ich nicht.

Nein, falsch.

Ich wusste es schon. Denn ich hatte den Live-Auftritt der Band im Fernsehen verfolgt. Hatte gesehen, wie er reagiert hatte … und verdammt, er tat mir leid. Sein Privatleben so in der Öffentlichkeit kommentiert zu sehen, musste die absolute Hölle sein.

»Wo steckst du? Soll ich dich abholen?«, bot ich schneller an, als mein Hirn reagieren konnte.

»Wer sagt mir denn, dass du nicht irgendein Psychopath bist oder ein irrer Fan, der Nora das Telefon geklaut hat und sich nun als ihr Sohn ausgibt?«

Bitte was?

Kurz musste ich blinzeln, war mir nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte. Nicht nur, weil er betrunken war, auch der Lärm hinter ihm stieg an. Doch nein, ich war mir sicher, ich hatte richtig gehört.

Amüsiert stand ich von der Couch auf, nachdem ich ein Lesezeichen in mein aktuelles Buch gelegt hatte. »Gutes Argument. Frag mich etwas über meine Mum, ich kann vermutlich alles beantworten.«

Spencer grunzte. »Ihre Augenfarbe … nein, warte, falls du sie umgebracht hast, um an ihr Telefon zu kommen, weißt du das.«

Der Kerl hatte Fantasie, das musste ich ihm lassen. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen schüttelte ich den Kopf. »Klingt, als hättest du zu viel True Crime geschaut und gehört.«

»Könnte sein«, murmelte er. »Wann hat sie Geburtstag?«

»Sie ist am 30. November 1977 geboren.« Daraufhin erntete ich Schweigen. »Hallo?«

»Ja, ich … überlege gerade, ob ich überhaupt wusste, wie alt sie ist. Und ich rechne die Jahreszahl nach.« Erneut war es ruhig am anderen Ende, dann kam bloß: »Krass, sie ist echt schon achtundvierzig? Das sieht man ihr gar nicht an.«

»Siebenundvierzig«, erklärte ich belustigt und schob mit dem Zeigefinger die Brille nach oben. »Wir haben immerhin erst Mai. Du hast den Monat nicht mitbedacht.«

»Ah, stimmt. Vermutlich sollte ich doch noch ein Glas Wasser trinken.«

Tief holte ich Luft. »Ich bin wirklich Noras Sohn, Spencer. Ich weiß, dass ihr, wenn ich mich nicht irre, am Dienstag nächste Woche mit den Aufnahmen des neuen Albums beginnt.«

»Das könntest du in Noras Kalender gesehen haben«, antwortete er äußerst schlagfertig für seinen Zustand.

»Und dass es insgesamt fünfzehn Tracks werden«, fügte ich an.

Spencer grummelte. »Okay, schon gut, ich glaube dir ja.«

Erleichtert atmete ich durch und nahm mir dann eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. »Also … soll ich dich jetzt abholen und nach Hause fahren? Meine Mum würde mir vermutlich die Leviten lesen, wenn ich ihr sage, dass ich dich einfach dir selbst überlassen habe, nachdem du etwas zu tief ins Glas geschaut hast.«

Nun gluckste er. »Das klingt wirklich nach ihr. Okay, ich bin hier im … The Askew Public House.« Es klang irgendwie angestrengt, als würde er den Namen von einem Schild oder so ablesen.

Schnell gab ich die Kneipe in das Navigationssystem meines Handys ein. »Laut Navi bin ich in etwas über einer halben Stunde bei dir. Versprichst du mir, dass du bis dahin keinen Alkohol mehr trinkst und dich nicht vom Fleck bewegst?«

»Ja, Pa!«, brummte er.

Ich rollte mit den Augen.

Es wäre das Schlauste, wenn ich einen der Bandkollegen zu erreichen versuchte und ihn zu Spencer schickte. Aber jetzt fühlte ich mich für ihn verantwortlich, und das auf jemand anderen abzuwälzen, war nicht mein Ding.

»Okay, ich mach mich schon auf den Weg«, sagte ich schnell, dann legte ich auf.

Tief sog ich Sauerstoff in meine Lungen, bevor ich eine weitere Flasche Wasser aus dem Kühlschrank holte und mit ins Auto nahm. Genau wie eine Plastiktüte – nur für alle Fälle. Eine Innenreinigung wollte ich nämlich wenn möglich vermeiden.

Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen über den Horizont, als ich die Kneipe erreichte. Mein Auto hatte ich zwei Querstraßen entfernt geparkt und hoffte, dass Spencer inzwischen so nüchtern war, dass er den Weg dorthin allein schaffen würde. Ungern wollte ich ihn stützen müssen und riskieren, dass ihn jemand in dem Zustand fotografierte. Denn dann würde mir Mum garantiert den Arsch aufreißen.

Als ich durch die Tür trat, empfing mich der typische Geruch nach Bier und Frittiertem. Bon Jovi drang aus den Boxen und ich sah mich um, entdeckte Spencer jedoch gleich am Bartresen. Vor ihm stand ein Glas – halb voll mit einem dunklen Getränk, das entweder ein London Porter oder eine Cola sein konnte. Und selbst die musste nicht zwangsweise alkoholfrei sein. Beim Näherkommen konnte ich zumindest das Bier ausschließen, da eine Menge Eiswürfel im Glas schwammen.

»Hi, Spencer«, sagte ich vorsichtig und wartete, bis er den Kopf drehte, um mich anzuschauen.

Seine leicht glasigen Augen weiteten sich für einen Augenblick.

»Ich bin Oliver, wir haben telefoniert.«

Kurz blinzelte er, dann räusperte er sich. »Stimmt.« Nun lächelte er. »Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du so schnell da bist.«

Ich warf einen Blick auf die Uhr. »Eine halbe Stunde plus fünf Minuten vom Parkplatz hierher.«

»Echt?« Spencer runzelte die Stirn. »Fuck, und ich hab mir eben was zu essen bestellt. Hast du noch Zeit?«

»Bis morgen früh um neun«, sagte ich und zwinkerte.

Spencers Mund klappte auf, und in dem Moment wurde mir klar, was er in meine Aussage hineininterpretieren konnte.

»Ab da müsste ich ein Parkticket kaufen«, erklärte ich schnell und setzte mich auf den freien Hocker neben ihm.

»Ah, klar. So lange wird mich Corbin hoffentlich nicht hängen lassen.«

»Corbin?«

»Der Barkeeper.« Spencer deutete mit dem Kopf zu dem tätowierten Mann mit Baskenmütze hinter dem Tresen, der gerade zwei Frauen ihre Getränke servierte. »Er meinte, der Angus Beef Burger würde gleich fertig sein. Hast du auch Hunger?«

Zwar war ich nicht hergekommen, um etwas zu essen, es roch jedoch verdammt gut aus der angrenzenden Küche, und mein Magen knurrte wie zur Bestätigung.

Spencer hielt mir die Speisekarte hin, und kaum dass ich sie aufgeschlagen hatte, lief mir das Wasser im Mund zusammen.

»Hi, was darf ich dir bringen?« Der Barkeeper – Corbin – stand vor mir, ein Geschirrtuch über seiner Schulter, beide Hände auf den Tresen gestützt, und schaute mich abwartend an.

»Äh … Ich nehme einen Eistee und den Chicken Burger.«

Corbin nickte und machte sich an die Arbeit.

Als ich den Kopf zu Spencer drehte, merkte ich, dass er mich von der Seite musterte, jedoch ertappt wegsah.

»Wie geht es dir? Baut die Leber den Alkohol schon ab?«

Er schnaubte und trank einen Schluck. »Sie ist dabei. Aber nach der Coke brauche ich wieder ein Wasser. Das hilft mehr, hab ich das Gefühl.«

»Mit dem Essen wird es sicher auch besser.« Ich nickte zu dem Teller, den Corbin vor Spencer abstellte, nachdem er mir meinen Eistee serviert hatte. »Lass es dir schmecken. Cheers!« Ich hob das Glas an und trank einen Schluck.

Spencer betrachtete mich einen Augenblick von der Seite, bevor er den Burger mit beiden Händen hochnahm und abbiss. Herzhaft stöhnend schloss er die Augen und leckte sich über die Lippen, während er kaute und nickte, als wäre dieses Essen die Antwort auf eine Menge Fragen.

Amüsiert sah ich ihm zu, wie er Pommes und Zwiebelringe hinterherschob, bevor er sein Glas ansetzte, um einen großen Schluck zu trinken.

Seufzend wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund, hielt in der Bewegung inne und wandte schließlich den Blick in meine Richtung. »Sag nicht, du hast mich die ganze Zeit beobachtet.«

Ich konnte nicht verhindern, dass ich breit grinste. »Sorry, ich wollte dich nicht beim Essen stören«, sagte ich und hob abwehrend die Hände, bevor ich von meinem Eistee trank und mit mir kämpfte, nicht laut zu lachen.

»’tschuldige, normalerweise habe ich Tischmanieren.« Verlegen kratzte er sich übers glatte Kinn und lenkte meine Aufmerksamkeit auf sein Grübchen, auf dem mein Blick vielleicht etwas zu lang verweilte.

»Kein Ding, ich kann das voll und ganz verstehen.« Räuspernd nahm ich erneut die Speisekarte zur Hand und tat so, als würde ich darin lesen.

»Dann erzähl mal was von dir. Ich wusste zwar, dass Nora einen Sohn hat, aber für mich war er schätzungsweise zehn oder so.«

Ich gluckste. »Das war ich vor fünfzehn Jahren.« Ich richtete die Brille auf meiner Nase und legte die Karte beiseite. »Damals hab ich noch mit Bausteinen gespielt, heute bin ich Bibliothekar.«

Spencer schaute mich mit gerunzelter Stirn an, bevor er nickte. »Das passt.«

Nun wandte ich mich ihm amüsiert zu und stützte einen Ellbogen auf den Tresen, den anderen auf die kleine Lehne des Barhockers. »Das musst du mir erklären.«

»Na ja«, begann er kauend und ließ seinen Blick einmal über mich gleiten. »Die Brille, das Hemd, die Chino … deutet alles auf einen verstaubten Beruf hin.«

Überrumpelt schaute ich ihn an. »Verstaubt? Entschuldige mal!«

Spencers Augen weiteten sich. »Hab ich verstaubt gesagt? Ich meinte vernünftig.« Schnell schob er sich ein paar Pommes in den Mund und kaute.

Vermutlich hätte ich verärgert sein sollen, dass er mich aufgrund meines Äußeren in eine Schublade steckte. Bei ihm klang es allerdings irgendwie … niedlich. »Wenn es danach geht, siehst du auch nicht aus wie der Drummer einer Rockband.«

Spencers Kopf wirbelte zu mir herum, und er machte ein fragendes Geräusch.

Mist, da hatte ich mich jetzt in was hineingeritten.

Räuspernd fuhr ich mir mit einer Hand durch die Haare. »Also … die meisten sind zwar sehnig, aber nicht so … muskulös wie du.« Fuck, ich merkte, wie mir Hitze in den Kopf stieg, als ich auf seinen Bizeps starrte.

Mein zweites Argument, dass Drummer selten so gut aussahen wie er, verkniff ich mir. Es war jetzt schon peinlich genug für mich.

Spencers Mundwinkel zuckten und er wirkte sichtlich zufrieden mit meiner Aussage. »Jep. Da hast du recht. Allerdings ist das bei mir beabsichtigt«, fügte er leiser an.

»Was meinst du?«

»Hm?« Spencer beugte sich kaum merklich näher, mir entging es dennoch nicht.

»Was ist beabsichtigt?«, fragte ich nach, hatte jedoch ein ungutes Gefühl dabei. Als wäre ihm der letzte Satz nur so herausgerutscht und wir steckten nun in einer unangenehm peinlichen Situation fest. »Vergiss es, du musst es mir nicht sagen«, fügte ich deshalb schnell an.

Spencer nickte, trank einen Schluck und ich bekam den Burger serviert – eine willkommene Pause, die uns hoffentlich aus dieser Zwickmühle manövrierte.

Auch meine Portion war groß und roch lecker. Und als ich abbiss, entwich mir ebenfalls ein genüssliches Stöhnen.

»Verdammt gut, oder?«

»Mhmm«, machte ich und kaute.

»Dann bist du also voll der Bücherwurm?«, fragte Spencer schließlich und ich war erleichtert, dass sich die seltsame Anspannung verflüchtigt hatte.

»Ich lese gern und habe auch zu Hause eine Menge Bücher – wenn es das ist, was du darunter verstehst.« Ich schmunzelte, als Spencer sichtlich interessiert nickte. »Wobei mein Job vermutlich romantischer klingt, als er ist. Meine hauptsächliche Arbeit besteht darin, Neue Medien zu beschaffen und diese sowie bestehende zu katalogisieren, um sie den Nutzern leichter zugänglich zu machen. Und ich muss den Bibliotheksbestand verwalten, die retournierten Materialien auf Mängel überprüfen und bei uns im Haus zur Reparatur geben. Außerdem bin ich seit Anfang des Jahres für das Budget und die finanziellen Ressourcen verantwortlich, nachdem die Kollegin, in deren Aufgabenbereich das bisher fiel, in Rente gegangen ist. Also alles sehr trockene Themen, genau wie der Großteil der Inhalte.«

»Ich sagte ja, Bibliotheksarbeit ist sehr verstaubt …« Er räusperte sich hüstelnd. »Ich meine vernünftig.«

Belustigt stieß ich ihm mit dem Zeigefinger gegen den beeindruckenden Bizeps – das konnte ich mir einfach nicht verkneifen. »Dafür friedlich. Aber ja, ich gebs zu, hin und wieder auch ein kleines bisschen trocken-akademisch.«

Spencer hielt mit dem letzten Stück Burger vor seinem Mund inne und runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«

»Ich arbeite in der Bibliothek des Imperial College London.«

Nun schossen seine Augenbrauen nach oben und er atmete geräuschvoll aus. »Wow! Das ist …«, begann er mit entrüstetem, ja fast abwertendem Ton, sprach jedoch nicht weiter. Und gab mir damit das Gefühl, mich für die Wahl meines Arbeitgebers rechtfertigen zu müssen.

4 – Spencer

 

Keine Ahnung, woran es lag, dass Olivers Antwort mich so klein fühlen ließ. Vielleicht daran, dass ich mich zurück in die Schulzeit versetzt fühlte, als ich der dumme, schmächtige Junge gewesen war. Jener, der von den Größeren, Stärkeren gemobbt wurde, die noch dazu zu den Klassenbesten zählten. Weshalb sie auch einen Großteil der Lehrkräfte auf ihrer Seite gehabt hatten. Denn so schlaue Jungs kamen schließlich nicht auf die unvernünftige Idee, einen ihnen unterlegenen Klassenkameraden zu drangsalieren und zu verprügeln. Was meine Noten beeinflusst hatte – hello Teufelskreis.

Ich hatte mich in die Musik geflüchtet, begonnen, Schlagzeug zu spielen und dadurch endlich meine eigene Welt entdeckt, meine eigene Ausdrucksmöglichkeit, während ich gleichzeitig den Wunsch, Medizin zu studieren, begraben hatte. Schon deshalb, weil Owen, einer der Jungs, die es auf mich abgesehen hatten, der Sohn eines Arztes war und in dessen Fußstapfen treten wollte. Auf gar keinen Fall hatte ich vorgehabt, auch nur ansatzweise eine Ähnlichkeit mit ihm zu haben, und wenn es nur die Berufswahl war.

Rückblickend gesehen, war das alles eine Aneinanderreihung von schicksalhaften Ereignissen und Entscheidungen, die dazu geführt hatten, dass ich meine wahre Bestimmung, meinen tatsächlichen Lebenstraum für mich entdeckt hatte: Nämlich, Musik zu machen und Menschen damit zu berühren und zu bewegen. Jetzt wusste ich, dass ich damit viel glücklicher war, als ich es als Arzt je hätte werden können, und dass ich mit dem heutigen Wissen jederzeit wieder diesen Weg einschlagen würde.

Olivers Räuspern lenkte meine Aufmerksamkeit zurück auf ihn.

Ich schaute in seine Richtung und versank in seinen schokobraunen Augen, die beinahe die gleiche Farbe hatten wie seine Locken am Oberkopf. Sein Dreitagebart hingegen war so dunkel wie seine Augenbrauen – fast schwarz. Und obwohl ich immer noch betrunken genug war, um eine niedrige Hemmschwelle zu haben, merkte ich, dass ich es mit meiner Reaktion peinlich gemacht hatte. Schon wieder. »Sorry, das war nicht abwertend gemeint«, sagte ich und trank die Coke leer, bevor ich Glas und Teller ein Stück weit von mir schob. »Ich habe nur gerade gemerkt, wie groß der Unterschied zwischen uns beiden ist.« Ich verkniff mir ein Stöhnen, denn meine Worte machten die Situation nicht besser.

»Ich verstehe nicht …« Oliver runzelte die Stirn.

»Vergiss es. Ich hab wohl zu viel Whisky intus, um mich auf eine ausreichende Gehirnfunktion verlassen zu können.«

Oliver musterte mich einen Augenblick, bevor er schließlich zu meiner Erleichterung nickte und wieder von seinem Burger abbiss.

Dabei beobachtete ich ihn ungeniert – immerhin hat er das vorhin auch bei mir getan. Gleiches Recht für alle und so. Er war wirklich gut aussehend und jetzt, wo ich ihn genauer ansah, fielen mir Ähnlichkeiten zu Nora auf. Wie die schmale, gerade Nase oder der geschwungene Mund, dessen Winkel nach oben zeigten – und das beide so aussehen ließ, als würden sie immer ein leichtes Lächeln auf den Lippen tragen –, was mich unwillkürlich Grinsen ließ.

»Hab ich was im Gesicht?«, fragte er und wischte sich mit der Serviette über den Bart.

»Nein, ich hab nur eben nach Beweisen gesucht, dass du wirklich Noras Sohn bist. Und ich muss zugeben, eine gewisse Ähnlichkeit ist vorhanden.«

Oliver lachte losgelöst, bevor er sein Telefon aus der Hosentasche zog, es entsperrte und darauf herumwischte, bis er mir schließlich sein geöffnetes Fotoalbum entgegenhielt.

Auf der Aufnahme waren er und Nora zu sehen. Beide saßen auf einer Hollywoodschaukel, die Köpfe einander zugewandt, als würden sie sich gerade unterhalten.

»Das beweist gar nichts«, sagte ich mehr zum Spaß, weil ich es irgendwie witzig fand, ihn dazu zu bewegen, mir demonstrieren zu wollen, dass er ihr Sohn war.

Seufzend verdrehte er die Augen – ein Geräusch, das in meinem Bauch prickelte, oder war das nur der Alkohol? Jedenfalls scrollte er weiter im Album und hielt mir schließlich eine Aufnahme hin, die einen sicher zehn Jahre jüngeren Oliver zeigte. Er trug einen schicken Anzug, der an dem schlaksigen Teenager aussah, als wären die Ärmel zu kurz und die Schultern zu breit geschnitten. Nora stand neben ihm, ein stolzes Lächeln auf den Lippen. Den Kopf hatte sie dabei leicht in den Nacken gelegt, um zu ihm aufsehen zu können. Das Tattoo an ihrem Oberarm, das dank des ärmellosen beerenfarbigen Kleides zu sehen war, war noch nicht so umfangreich wie jetzt, das an ihrem Dekolleté fehlte noch gänzlich und …

»Ist das da ein Hut auf ihrem Kopf?«, fragte ich irritiert.

»Jap. Verrate ihr bloß nicht, dass ich dir das Foto gezeigt habe. Sie wird mich vermutlich dafür killen.«

Ich lachte auf. »Keine Sorge, ich werde es nicht wagen. Was ich inzwischen gelernt habe, ist, dass man Nora nicht verärgern sollte.«

Oliver nickte schmunzelnd, bevor er den Blick wieder auf das Bild richtete. »Das war die Hochzeit eines Freundes der Familie. Ich glaube, an dem Tag ist ihr so richtig bewusst geworden, dass ich nicht mehr ihr kleiner Junge bin.« Dabei zog er die Nase kraus, was dafür sorgte, dass die Brille verrutschte, die er gleich darauf mit dem Zeigefinger nach oben schob.

Mein Blick verharrte kurz auf dem silbernen Ring, den er dort trug, und ich musste schlucken.

»Darf ich euch noch was bringen?« Corbin stand vor uns, seine Hände um meinen Tellerrand und das leere Colaglas gelegt, und schaute mich abwartend an.

»Danke, vorerst nicht.«

Er nickte und ließ uns allein.

»Kein Wasser mehr?«

Geräuschvoll atmete ich aus. »Stimmt, das habe ich komplett vergessen.« Weil ich zu sehr von dir abgelenkt bin, dachte ich. »Aber ich sollte vermutlich besser einfach ins Bett. Also falls dein Angebot noch steht und du mich nach Hause fährst.« Verflucht, warum klang das schon wieder so, als würde ich ihn anmachen?

Doch Oliver ging nicht darauf ein, oder er hatte gar nicht dieselben Schlüsse gezogen wie ich. Wahrscheinlich eher Letzteres … Denn er kaute und schluckte, bevor er nickte. »Sicher, ich esse nur schnell auf. Oder auch nicht, das ist echt eine große Portion.« Tief sog er Luft in seine Lungen.

»Ich kann dir gern helfen, wenn du willst«, bot ich an, ignorierend, dass man meine Aussage schon wieder zweideutig auffassen könnte – zumindest, falls man so underfucked war wie ich.

»Klar, tu dir keinen Zwang an.« Mit diesen Worten schob er seinen Teller ein klein wenig in meine Richtung, und ich griff sofort nach den Pommes.

Oliver beobachtete mich amüsiert, bevor er schnaufend den Rest seines Burgers ablegte und sich Hände und Mund mit der Serviette abwischte. Anschließend schob er sein Essen noch näher an mich heran.

»Du bist satt?«

»Ja, die Burger hier sind echt zu groß für mich.«

»Darf ich …?« Ich zeigte auf das letzte Drittel seines Chicken Burgers.

»Sicher.« Stirnrunzelnd schaute Oliver mir zu, als könne er nicht glauben, dass ich nach wie vor Appetit hatte.

Mir lief das Wasser im Mund zusammen, als ich davon abbiss. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass Oliver seine Lippen an diesem Bun gehabt hatte. Was dafür sorgte, dass mir kurzfristig heiß wurde – und das lag nicht ausschließlich an der scharfen Soße.

»Isst du immer so viel?«, durchbrach er mein Schmatzen.

»Jep. Also mehr als der Durchschnitt, denke ich.«

Sein Mund klappte auf, als wollte er etwas sagen, doch es kam kein Wort heraus. Er blinzelte kurz, bevor er schließlich auf meinen Oberkörper zeigte. »Und dann siehst du so aus?«

Meine Mundwinkel zuckten amüsiert, denn diese Aussage hörte ich nicht zum ersten Mal. »Schon mal Schlagzeug gespielt?«

Oliver schüttelte den Kopf.

Ich nickte. »Dacht ichs mir.« Mit den letzten Pommes nahm ich den Rest Soße auf, die auf dem Teller war, und schob sie mir schließlich in den Mund. »Dabei verbrennt man eine Menge. Gerade dann, wenn man intensiv übt oder sich für einen Liveauftritt vorbereitet. Die Show selbst nicht zu vergessen. Das Adrenalin, die Hitze der Scheinwerfer … Da ist ein ordentliches Work-out ein Witz dagegen. Und nachdem ich nicht nur täglich Schlagzeug spiele, sondern auch Krafttraining mache, brauche ich eine hohe Summe an Kalorien, um das alles auszugleichen.«

Oliver wirkte nach wie vor ungläubig. »Aber das hier ist heute eine Ausnahme, oder?« Er zeigte auf den Teller, von dem ich mir gerade die letzten beiden Zwiebelringe nahm.

»Nope. Ich gönne mir regelmäßig Burger, Pizza und so Zeug. Allerdings weiß ich auch, dass ich die Kalorien garantiert wieder verbrenne. Davon abgesehen, dass ich mich den restlichen Tag über sehr gesund und proteinreich ernähre.«

Beeindruckt verzog er sein Gesicht. »Ich mache wohl irgendwas falsch.«

»Wieso, du siehst doch gut aus«, sagte ich schneller, als ich es mir hätte verkneifen können.

Oliver lachte auf. »Danke.«

»Und mit deinen Büchern verheizt du immerhin nicht so viele Kalorien wie ich.«

»Da ist was Wahres dran.«

»Möchtest du noch was trinken? Oder ein Dessert?«