Fake the Crush (Play it Fake 1) - Elizabeth S. Sawyer - E-Book
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Fake the Crush (Play it Fake 1) E-Book

Elizabeth S. Sawyer

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  • Herausgeber: Carlsen
  • Sprache: Deutsch
Beschreibung

NIEDRIGER AKTIONSPREIS NUR FÜR KURZE ZEIT! Eine leidenschaftliche Geschichte über eine Profi-Snowboarderin und ihren überheblichen Rivalen, die eine Fake-Beziehung eingehen, um ihren Traumsponsor zu gewinnen.  Profi-Snowboarderin Hannah steht vor einer ungewöhnlichen Herausforderung: Sie erhält das Angebot, eine vorgetäuschte Beziehung mit Espen Torgersen einzugehen – dem ihrer Meinung nach arrogantesten Snowboarder überhaupt. Beide streben den begehrten Platz im Team des angesehenen Sponsors BlizzardB an, der nur selten neue Athleten aufnimmt. Und ausgerechnet der sucht gerade Paare für eine neue Kampagne. Um ihren Traum zu verwirklichen, willigt Hannah ein. Doch je überzeugender Hannah und Espen ihre Rollen spielen, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen Schein und Wirklichkeit. Emotionale Tiefe und ein authentisches Setting in Tirol. Perfekt für Fans von Sport und Romantik.  //»Fake the Crush« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

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Elizabeth S. Sawyer

Fake the Crush

Eine leidenschaftliche Geschichte über eine Profi-Snowboarderin und ihren überheblichen Rivalen, die eine Fake-Beziehung eingehen, um ihren Traumsponsor zu gewinnen.

Profi-Snowboarderin Hannah steht vor einer ungewöhnlichen Herausforderung: Sie erhält das Angebot, eine vorgetäuschte Beziehung mit Espen Torgersen einzugehen – dem ihrer Meinung nach arrogantesten Snowboarder überhaupt. Beide streben den begehrten Platz im Team des angesehenen Sponsors BlizzardB an, der nur selten neue Athleten aufnimmt. Und ausgerechnet der sucht gerade Paare für eine neue Kampagne. Um ihren Traum zu verwirklichen, willigt Hannah ein. Doch je überzeugender Hannah und Espen ihre Rollen spielen, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen Schein und Wirklichkeit.

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Vita

Playlist

Danksagung

© privat

Elizabeth S. Sawyer, geboren im Mai 1999, lebt im malerischen Tirol in Österreich und teilt ihr Zuhause mit ihrer Familie und drei Katzen. Trotz vieler Interessen kehrt sie immer wieder zum Schreiben zurück, da sie nichts so sehr erfüllt. Neben ihrer Liebe zur Welt der Worte ist Elizabeth eine leidenschaftliche Entdeckerin in der realen Welt. Sie schätzt das Reisen und das Erkunden neuer Orte.

Für diejenigen, die von ihren Selbstzweifeln und Versagensängsten wie von einer Lawine begraben werden, aber dennoch die Kraft finden, sich herauszukämpfen und weiterzugehen.

Playlist

mirrorball – Taylor Swift

You’re On Your Own, Kid – Taylor Swift

The Archer – Taylor Swift

Getaway Car – Taylor Swift

Used To Be Young – Miley Cyrus

Too Sweet – Hozier

Cinnamon Girl – Lana Del Rey

New Year’s Day – Taylor Swift

teenage dream – Olivia Rodrigo

Dress – Taylor Swift

Vertigo – Edwin Rosen

I Can Do It With a Broken Heart – Taylor Swift

We can’t be friends (wait for your love) – Ariana Grande

Mess It Up – Gracie Abrams

Supercut – Lorde

Out Of The Woods (Taylor’s Version) – Taylor Swift

Down Bad – Taylor Swift

Bei Dir – KUMMER

Prolog

Hannah

Neun Jahre zuvor

Wirklich jeder wünscht sich, sein Idol zu treffen. Sei es Tante Marianne, mein Nachbar Thomas oder meine Cousine Julie. Auch ich … Nur hat mir niemand gesagt, dass es manchmal besser ist, sein Idol nie persönlich kennenzulernen.

Es fing schon damit an, dass ich vollkommen überrascht von seiner Anwesenheit war. Okay, zugegeben, ganz so überraschend war sie dann doch nicht, immerhin ist das hier ein Snowboardcamp in Fjellheim, Norwegen – seiner Heimat. Und eventuell habe ich auch Gerüchte darüber gelesen, dass er dieses Jahr hier sein würde. So wie jedes Jahr. Aber ich bin natürlich nicht nur für ihn hierher geflogen. Nein. Hauptsächlich geht es mir ums Snowboarden, darum, noch besser zu werden und irgendwann bei den Olympischen Winterspielen anzutreten. Hohe Ziele, ich weiß, aber meine Oma sagt immer, Ziele können gar nicht zu hoch sein, nur zu niedrig. Jeder sollte immer die höchsten Ansprüche an sich selbst stellen. Dass ich also eine Zusage für das Fjellheim Alpine Youth Academy Camp bekommen habe, bestätigt mir, die richtigen Ansprüche an mich selbst gestellt zu haben.

Als ich Espen Torgersen entdecke, einen der vielversprechendsten Nachwuchssnowboarder, gehe ich auf ihn zu, um mich vorzustellen. Mit aufgeregtem Kribbeln im Bauch und Herzklopfen. Mein junges Herz pocht und pocht und pocht. Hört gar nicht mehr damit auf.

»Hallo, ich bin Hannah.« Meine Stimme klingt fest und ich bin unglaublich stolz, immerhin ist es für mich nichts Alltägliches, meinem Idol gegenüberzustehen. Ich reiche ihm die Hand, die er nur beäugt, als sei sie etwas Abscheuliches, weswegen ich sie sinken lasse. »Es ist mein erstes Mal hier.«

Er mustert mich von oben bis unten und sagt: »Ja, das sehe ich.«

Dann rauscht er davon. Verschwindet einfach und mein Herz hört mit einem Mal auf, aufgeregt zu pochen. Dafür gibt es ja auch keinen Grund mehr.

Hitze steigt mir in die Wangen, doch zum Glück scheint niemand unsere kurze Konversation mitbekommen zu haben. Das wären keine guten Aussichten für die nächsten zwei Wochen mit all den anderen Kindern. Nach diesem Zusammentreffen ist mir eine Sache unwiderruflich bewusst: Das Poster von Espen Torgersen werde ich von meiner Zimmerwand reißen, sobald ich nach Hause komme.

***

Fünf Jahre zuvor

Es war mein Lieblingsboard, doch dieser arrogante Arsch hat es zerstört. Ich sah gerade aus dem Fenster, als ich erkannte, wie er es sich betrunken anschnallte und damit gegen einen Baum fuhr. Er hatte es einfach aus dem Aufbewahrungsraum gestohlen. Ich hoffte sogar, dass er sich etwas gebrochen hatte – verdient hätte er es allemal. Er ist viel zu jung für Alkohol, denn er ist nur ein Jahr älter als ich, also gerade mal fünfzehn. Doch das hat ihn nicht davon abgehalten, eine Flasche ins Camp zu schmuggeln.

Nachdem ich mich schnell angezogen und auf den Weg nach draußen gemacht habe, stürme ich auf ihn und mein Board zu. Er liegt auf dem Rücken und starrt in den Nachthimmel, als würde er dort oben die Antwort auf all seine Fragen finden. Doch als ich hinaufblicke, verdecken Wolken die Sterne und nichts ist zu sehen.

»Du hast mein Board zerstört!«, konfrontiere ich ihn und beuge mich über sein Gesicht. Meine Oma hat es mir geschenkt und ich habe viele neue Tricks damit gelernt.

»Du versperrst mir die Sicht, Pippi Langstrumpf«, lallt er.

Pippi Langstrumpf? Der hat wohl nicht alle Tassen im Schrank! Diese Beleidigung ist so was von unkreativ, denn außer den zwei Zöpfen habe ich nichts mit Pippi gemein.

Als Nächstes rollt er sich zur Seite, um dann auf meine Schuhe zu kotzen. Mit angewidertem Gesichtsausdruck schnappe ich mir mein kaputtes Board und lasse ihn liegen.

Hoffentlich holen ihn die Wölfe – falls es die hier gibt.

1

Keine Zweifel

Hannah

»Bitte, jemand möge mich endlich von diesem Schrott erlösen!« Benji legt den Kopf in den Nacken und faltet die Hände zusammen, als würde er zu jemand Bestimmtem beten. Sein dunkelbraunes Haar steht in alle Richtungen ab, weil er sie sich so oft gerauft hat.

»Ich liebe dich, Elena. Und ich werde dich immer lieben.« Er stöhnt auf. »Wie klischeehaft willst du sein? Diese Serie: Ja.«

Ich verdrehe die Augen. »Dann geh halt in dein Zimmer, niemand zwingt dich hierzu.« Jeder darf seine eigene Meinung haben, auch Benji, aber das heißt nicht, dass sie mir gefallen muss, besonders wenn es um Dinge geht, die ich liebe.

»Niemand zwingt mich?«Er lacht übertrieben auf. »Deine komplett durchgeknallte Cousine zwingt mich!«

Julie kneift ihm in die Seite und verengt die Augen. »Du hast mich gezwungen, alle Herr der Ringe Filme und das komplette Star Wars Universum anzusehen, also was willst du eigentlich von mir?«

Die Filme haben uns ungefähr dreiunddreißig Stunden unseres Lebens geraubt, die wir nie wieder zurückbekommen. Dass er jetzt Vampire Diaries mit uns ansieht, ist das Mindeste und mehr als gerecht.

Zwei Brüder, die sich beide in dieselbe Frau verlieben – ja, ich weiß, wirklich klischeehaft. Und trotzdem verfalle ich diesen Serien und Filmen, in denen die Protagonistin von mehreren begehrt wird. Ich weiß auch warum: Es wird immer einen geben, der dich verletzt, und wenn du dann noch jemand anderen hast, der dich will und denkt, er liebt dich, lenkt dich das von deinem Schmerz ab. Außerdem hat man Angst, nach einer Trennung für immer allein zu bleiben – also zögert man eine Trennung hinaus, obwohl die Beziehung voller blinkender roter Warnlichter ist. Red Flags im ganzen Raum und darüber hinaus, doch man malt sie einfach grün an. Wenn ein Sturm in der Beziehung aufzieht und es zu regnen beginnt, läuft die grüne Farbe herunter und dahinter kommen rote Flecken zum Vorschein. Aber man kann ja einfach wieder drüber malen.

»Das waren Filme auf höchstem Niveau, aber das hier«, Benji deutet energisch auf unseren Fernseher, »befindet sich irgendwo im Erdkern, so tief unten ist es.«

Ich schmeiße ihm das Frozen-Kissen auf den Kopf. »Halt den Mund, oder willst du ersticken?«

Er fängt es mühelos auf und schließt seine Arme um Elsa und Anna. Julie und ich haben letztes Jahr beide eins von Benji zu Weihnachten bekommen, weil wir den Film Frozen lieben. Außerdem ist das eine Anekdote, die man versteht, wenn man unsere Namen googelt und die Schlagzeilen liest.

»Ihr wollt mich mindestens drei Mal in der Woche umbringen, eure Drohungen sind wirkungslos.«

Ich schmunzle. »Drei Mal, von denen du weißt.«

Julie nickt, während sie theatralisch einen Finger an ihre Lippen legt. »Unzählige Male, von denen du nichts weißt.«

Sie taucht einen ihrer Karottensticks in meinen selbstgemachten Joghurtdip.

»Manchmal frage ich mich, ob ich eigentlich lebensmüde bin mit euch zusammenzuwohnen«, sagt Benji.

Wie aus einem Mund antworten Julie und ich: »Definitiv lebensmüde.«

»Aber ich weiß ja, dass ihr eure Leben nicht wegen eines Mordes an mir versauen würdet, deshalb kann ich beruhigt schlafen.«

Würden wir wirklich nie, dafür haben wir beide zu viel vor. Zwei Leben, gefüllt mit Plänen, aber zu wenig Zeit, sie alle umzusetzen.

Julie blickt Benji an und fuchtelt dabei mit dem Karottenstick herum. »Und du denkst, wir hätten uns nicht bereits informiert, wie wir dich verschwinden lassen können, ohne dass uns etwas nachgewiesen werden kann?« Sie verzieht ihre Lippe zu einem schiefen Grinsen. »Du sprichst hier mit einer Romanov, Benji. So was hat mir mein Vater als Gutenachtgeschichte vorgelesen.«

Eine glatte Lüge. Mik hat uns jegliches Kinder buchvorgelesen, das er in die Hände bekommen hat. Schauergeschichten waren da keine dabei – die haben Julie und ich uns selbst erzählt.

Benji verdreht die braunen Augen. »Deine Mein-Vater-ist-ein-russischer-Mafioso-Nummer hat schon beim zehnten Mal nicht mehr gefruchtet.«

Ein Klischee, das Julie immer ausnutzt, um Benji zu ärgern. Mein Onkel Mik hat irgendetwas mit IT studiert und kann von überall aus arbeiten. Außerdem ist er mein Notfallkontakt, wenn es um Technik geht – wie für unsere ganze Familie.

»Ich sage Luisa, dass du schon wieder lügst«, ziehe ich ihn auf. Luisa ist seine Mutter. »Denn als es vor einem Jahr darum ging, in eine WG zu ziehen, hattest du Bedenken, dass dich Mik verschwinden lässt.«

Er verengt die Augen zu Schlitzen und wirft das Kissen zurück, das mich mit voller Wucht im Gesicht trifft.

»Arschloch!«, fluche ich.

»Lügen darf man nicht sagen«, ahmt er das Kind nach, das mit dem Spruch viral gegangen ist.

Ich greife nach der kleinen Schüssel mit den Kartoffelchips. Auch die habe ich selbstgemacht.

»Lügen darf man nicht sagen«, äffe ich ihn nach und stopfe mir eine Handvoll in den Mund.

Wir sind keine Healthy-Lifestyle-WG, die ihr Leben total unter Kontrolle hat. Wir sind eher die Fake-it-till-you-make-it-WG. Die Lass-alle-glauben-dass-du-dein-Leben-unter-Kontrolle-hast-WG. Auch sich selbst, wenn es sein muss.

Ein bisschen unter Kontrolle haben wir unsere Leben aber schon, vor allem vor Wettkämpfen. Julie gehört sowieso zur Fraktion Healthy Lifestyle. Wir drei sind Sportler, aber jeder hat dabei seine eigene Lebensweise. Benjis und meine ähnelt sich sehr, Julies hingegen nicht so, wie man unschwer an den Karottensticks erkennt.

Mein Handy vibriert am Couchtisch und unterbricht unsere Unterhaltung. Das Gesicht unserer Trainerin Maya taucht auf dem Display auf, begleitet von einem unüberhörbaren Stöhnen von Benji.

Wir haben zwei feste Trainer, wobei wir auch noch mit anderen zusammenarbeiten, die im Trainingszentrum von Ski Elite Austria, unserem Team, arbeiten. Maya wurde auf Benji aufmerksam, weil wir beste Freunde sind. Sie brachte ihren älteren Bruder ins Spiel und seitdem werden wir von beiden trainiert, was unser Training optimiert. Mich entdeckte Maya durch die Olympischen Winterspiele vor zwei Jahren und versprach mir, wenn wir hart genug arbeiten, kann ich es schaffen, mich erneut zu qualifizieren und dieses Mal Gold zu holen. Das ist alles, was ich will. Niemand interessiert sich dafür, wenn du nicht auf diesem Podest stehst, und seien wir ehrlich: Nicht einmal der zweite und dritte Platz werden wirklich genug für das gewürdigt, was sie Großartiges geleistet haben. Vielleicht für diesen Moment auf der Siegertreppe, doch danach fühlt man sich nicht mehr als Sieger. Einen Moment Ruhm, eine Ewigkeit Bitterkeit.

Allerdings geht es mir im Prinzip nicht um die Medaille selbst, sondern um die Bestätigung gut genug zu sein.

Ich befeuchte meine Lippen. »Es kann nichts Gutes bedeuten, wenn sie um acht Uhr abends anruft.«

In meinem Kopf spielen sich bereits unendlich viele Szenarien ab, was sie zu mir sagen könnte.

»Hannah, hör zu, es tut uns leid, aber wir können dich nicht mehr trainieren. Du bist einfach zu schlecht.«

Oder: »Hannah, es tut mir leid, du wurdest aus dem Team geschmissen.«

Julie verzieht das Gesicht. »Vielleicht solltest du einfach sagen, dass du schon geschlafen hast.«

Ja, vielleicht … Nein, das kommt nicht infrage. Julie würde das nie tun, aber manchmal glaube ich, dass meine Cousine sowieso viel stärker ist. Sie hat einen Panzer, der undurchdringlich scheint, so wie das Eis, auf dem sie läuft.

Ich nehme mein iPhone in die Hand und als ich den FaceTime-Anruf akzeptiere, erscheint Mayas schönes Gesicht auf dem Bildschirm, das mich immer ein bisschen an Yara Shahidi erinnert. Ihre schwarzen Haare hat sie zu zwei Zöpfen gebunden und ihre braune Haut hat einen warmen Ton. Ein kleines bisschen Last fällt von meinem Herzen, denn es würde sie nicht kalt lassen, mir schlechte Nachrichten zu überbringen.

»Hannah, ist Benji bei dir?« Maya hält nichts von Small Talk und ist immer sehr direkt, was ich begrüße. Das ist besser als Menschen, die dir in den Arsch kriechen und rosaroten Glitzer verkaufen, aber am Ende ist es lediglich Asche, die sie pink besprüht haben. Wer zum Teufel will schon pinke Asche?

Ich richte mein Handy auf meinen besten Freund, bevor ich es wieder zu mir drehe. Maya nickt zufrieden, vermutlich nur, weil sie den halb leeren Keksteller vor ihm nicht bemerkt hat.

»Ich habe den Flug umgebucht, wir fliegen morgen«, sagt sie. »Die Wetterberichte kündigen schlechtes Wetter an und ich möchte nicht riskieren, dass wir vor dem Wettbewerb keine Zeit zum Trainieren haben oder erst gar nicht rechtzeitig ankommen.«

Vor jeder Competition haben wir die Gelegenheit, auf der Strecke zu trainieren. Meistens haben wir dafür zwei Tage vor der Qualifikation.

Es ist der Fjellheim-Cup, der meistens Ende Oktober oder Anfang November stattfindet, und er gehört zu den beliebtesten Snowboard-Wettbewerben. Zeitgleich markiert er den Saisonstart und zur Krönung gibt es einen Mixed-Teams-Wettbewerb, den ich mit Benji bestreiten werde.

»Alles klar. Danke, Maya«, erwidere ich.

»Bleibt nicht zu lange wach und vergesst nicht alles einzupacken. Ich schicke euch gleich noch die Packliste.« Damit beendet sie das Gespräch und ich lege mein Handy neben mir ab.

Benji schiebt den Keksteller weiter in die Tischmitte und beäugt ihn, als würden ihn die Kekse jeden Moment anspringen.

Er legt eine Hand auf seinen Bauch. »Es wäre wohl besser gewesen, ich hätte dein Angebot von selbstgemachten Chips angenommen.«

Ich zucke mit den Schultern, ganz nach dem Motto: Was will man machen?

»Packliste?«, fragt Julie mit gerunzelter Stirn und hält einen Karottenstick vor Benjis Nase. »Ich dachte, die habt ihr schon.«

Er verzieht das Gesicht, weiß offenbar nicht, was er mit dem angebotenen Snack anfangen soll. Julie ignoriert das und schiebt ihm den orangenen Stick einfach in den Mund, als würde das etwas an den mindestens zwanzig gegessenen Keksen ändern. Wer kennt es nicht?Die Karottenmafia im Magen, die gnadenlos alle ungesunden Lebensmittel ausschaltet.

»Maya schickt uns für jeden Wettbewerb und jede Reise in dieser Saison eine neue Packliste. Das macht sie so lange, bis wir nichts mehr vergessen«, beantworte ich ihre Frage.

Das hat Anfang Oktober begonnen, als wir im Trainingslager in Saas-Fee, der Schweiz, mit anderen aus dem Team von Ski Elite Austria waren. Ski Elite Austria gehört zum Österreichischen Skiverband und umfasst verschiedene Sportarten, darunter Snowboarden, Freestyle, Langlauf, Ski Alpin und Skispringen.

Benji seufzt schwer. »Sie versucht es immer wieder ohne Liste, aber dann ist sie nicht zufrieden mit dem, was wir eingepackt haben. Schwer zufriedenzustellende Frau.«

Ich schnaube. »Mit dem, was du einpackst.«

Denn ich war nicht diejenige, die zum Saisonende den halben Koffer mit Schokolade gefüllt hat. Benji behauptet noch immer, dass er nicht weiß, wie sie in seinen Koffer gekommen ist.

»Das muss unser WG-Geist gewesen sein«, hat er gesagt. Seitdem ziehen Nolan, unser Trainer, und ich ihn immer mit dem Schokoladen-Geist auf. Es kann vorkommen, dass er in seinem Koffer oder unter seinem Kopfkissen eine Tafel Milka-Schokolade vorfindet …

Wir pausieren die Serie und gehen in unsere Zimmer, um zu packen. Die Tür zu meinem Zimmer quietscht leise, als ich sie öffne. Benjis, direkt gegenüber, macht es meiner gleich. Es dauert keine fünf Sekunden, da dröhnt schon Musik aus seinem Zimmer. Seine berüchtigte Ich-muss-für-einen-Wettbewerb-packen-Playlist. Imagine Dragons’ Whatever It Takes lässt die Wände vibrieren. Benji ist ein lauter Mensch, doch das ist gut so. Seine Lautstärke bringt Leben und Energie in jede Situation. Ein leiser Benji wäre zwar noch immer Benji, aber eben nur ein halber.

»Ich bin froh, dass er Schlager genauso wenig leiden kann wie wir. Stell dir vor, wir müssten uns so was reinziehen …« Julie verzieht das Gesicht, als hätte sie ein Center Shock im Mund.

»Kein Musik-Shaming, das haben wir uns vorgenommen.« Weil wir es verdammt dumm finden, wenn andere uns für unseren Musikstil kritisieren, als hätten wir sie danach gefragt. Also wollen wir besser sein.

Sie rümpft die Nase. »Bessere Menschen werden und sowas, ich weiß, ich erinnere mich.«

Nicht, dass wir jemals schlechte Menschen waren, aber es gibt nicht nur klare Gegensätze, sondern viele Schattierungen dazwischen. Manchmal sind wir ein bisschen gemein, manchmal so zuckersüß, dass es wehtut. Okay, das mit dem zuckersüß ist übertrieben.

Mein Blick fällt auf meine Snowboardsammlung, akkurat an die Wand gelehnt, darüber meine Wandhalterung mit Vinylplatten. Wenn man mich finden will, muss man lediglich der Snowboardausrüstung folgen wie Hänsel und Gretel den Brotkrumen. Ich habe Boards vor unserer Haustür, im Keller und natürlich in meinem Zimmer. Eventuell auch auf dem Balkon … Sie haben sich über die Jahre angesammelt und ich kann mich nur schwer von einem trennen.

Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um den Koffer von meinem Schrank herunterzuholen. Er ist voll mit Aufklebern von Wettbewerben, an denen ich teilgenommen habe, sowie Sponsorenaufklebern. Sie sollen mich daran erinnern, wie viel ich schon erreicht habe. Nur leider hilft das nicht immer. Meine größten Feinde nennen sich Selbstzweifel. Früher hatte ich die nie. Aber das änderte sich nach meiner Teilnahme bei den Olympischen Winterspielen vor fast zwei Jahren.

Sei dankbar, dass du dich überhaupt mit siebzehn qualifiziert hast. Sei verdammt noch mal dankbar, Hannah. Aber wie soll ich dankbar sein, wenn ich nur daran denken kann, dass ich es total verkackt habe? Meine ganze Karriere lief mehr als nur gut – sonst hätte ich mich gar nicht erst qualifiziert und wäre auch nicht im Nationalteam. Trotzdem habe ich es in dem Moment verkackt, als es darauf ankam.

»Bereit für die neue Saison?«Julie nimmt mir den Koffer ab und stellt ihn auf den Boden.

»Natürlich.« Ich fange an Kleidung aus dem Schrank hineinzulegen. »Ich bin immer bereit.« Zumindest versuche ich es zu sein.

»Vielleicht triffst du einen charmanten norwegischen Kerl.«

Ich drehe mich um und ziehe die Augenbrauen hoch. »Du kennst meine Meinung dazu.«

Außerdem habe ich kaum Zeit, überhaupt jemanden kennenzulernen. Die einzigen Leute, mit denen ich viel zu tun habe, sind andere Sportler, Sponsoren oder Trainer.

Sie seufzt, während sie mir den Stapel Pullover in meiner Hand abnimmt. »Ja, ich weiß, du willst dich auf deine Karriere konzentrieren, und das will ich auch. Ich rede von keiner Beziehung, ich rede einfach nur von …«

»Von Sex, ich weiß. Aber auch dafür habe ich keine Zeit.«

Keine Zeit. Keine Nerven. Keine Lust.

Vielsagend blickt mich Julie an. »Was für ein Blödsinn. Wir leben in Glitz, hier sind im Winter so viele Touristen, da brauchst du nicht einmal wirklich Zeit, um jemanden abzuschleppen.«

Wahr, aber jede verschwendete Minute an irgendeinen Typen, der es am Ende nicht einmal schafft, sich an mich zu erinnern, weil ich nur irgendein unbedeutender Urlaubsfick war, ist es nicht wert. Wir leben nur ein paar Minuten von Ischgl entfernt und zusammen mit Glitz ist es der Hotspot schlechthin, zumindest im Winter. Viele nennen unsere Gegend hier auch den Ballermann der Alpen oder Ibiza der Alpen.

»Nein, danke.«

Außerdem sind die meisten dauerbetrunken, was eklig ist – noch unattraktiver geht es nicht. Geruch nach Bier, Wein und Schnaps. Zigarettenrauch, der an den Männern haftet. Verschwitzte Körper, weil sich die Typen nicht die Mühe gemacht haben, nach einem Wintersporttag duschen zu gehen, sondern lieber gleich zum Après-Ski übergegangen sind. Und dann wollen sie, dass du ihnen in der Toilette einen bläst, während sie an deinen Haaren ziehen, als wärst du nur zu ihrem Vergnügen hier.

Diese Diskussion haben Julie und ich schon oft geführt. Ich bin einfach nicht wie sie, die sich auf One-Night-Stands einlässt – einlassen kann –, trotz ihrer Eiskunstlaufkarriere. Sie strebt ebenso danach, sich für die nächsten Olympischen Winterspiele zu qualifizieren, und ihre Chancen dazu stehen gut. Mehr als gut. Wenn man mich fragt, ist sie die Beste. Es hängt jedoch nicht allein von ihr ab, sondern auch von ihrem Eiskunstlaufpartner.

Sie hebt eine meiner Snowboardjacken hoch, die an der Zimmertür hängen. »Die hier? Oder die blaue?«

»Die blaue.« Ich habe sie zusammen mit Oma ausgesucht und hoffe, sie bringt mir Glück.

Nachdem wir alles gepackt haben und ich startklar für morgen bin, rufe ich meine Eltern an, damit sie Bescheid wissen. Beide wünschen mir Glück, sagen, dass sie an mich glauben und wissen, dass die Saison ein Erfolg wird. Ich wäre gern noch bei ihnen vorbeigefahren, um mich persönlich zu verabschieden, doch es ist elf Uhr abends und ich muss morgen um vier aufstehen. Sie kennen das, ab Herbst bin ich voll eingespannt.

Danach rufe ich Oma an. Ich brauche mir keine Sorgen zu machen, dass sie schon schläft, sie schaut immer bis mindestens zwölf ihre Serien oder Filme.

»Ja, hallo?«

»Hallo Oma. Ich bin’s, Hannah«, sage ich und setze mich im Schneidersitz aufs Bett.

»Das musst du mir nicht extra sagen, glaubst du, ich kann nicht mehr lesen?«

Ich lache auf. »Ich wollte dir nur sagen, dass wir schon morgen nach Norwegen fliegen. Anscheinend herrscht dort schlechtes Wetter und Maya will nicht riskieren, dass wir nicht genügend Vorbereitungszeit haben oder erst gar nicht rechtzeitig ankommen.«

»Ja, das ergibt Sinn. Maya ist eindeutig die richtige Trainerin für dich.«

»Und Nolan«, erinnere ich sie.

Ich habe bildlich vor mir, wie sie abwinkt. »Jaja, der auch.«

Maya und Nolan sind manchmal zu unseren Sonntagsessen eingeladen, daher kennt Oma die beiden relativ gut. Jeden Sonntag – vorausgesetzt wir sind da – veranstaltet unsere WG ein Essen für unsere Eltern und Großeltern. Es ist unser Dankeschön dafür, dass sie uns in unseren Träumen unterstützt haben. Manchmal braucht es keine riesigen Gesten, um sich zu bedanken. Auch kleine Aktionen können die Welt bedeuten.

»Ich wünsche euch alles Gute«, sagt Oma. »Du wirst ihnen allen zeigen, warum du es erneut schaffen wirst, dich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Und sag Benji, er soll vor seinem Start keinen Kaugummi in den Mund nehmen, das sieht jedes Mal furchtbar aus.«

***

Mein Handywecker reißt mich aus dem Schlaf. Draußen ist es noch dunkel, nur das orangefarbene Licht der Laternen beleuchtet die Straßen. Schneeflocken fallen hinab und der Weg ist noch nicht geräumt. Ende Oktober ist Schnee bei uns keine Seltenheit. Im Gegensatz zu Julie lasse ich die Rollos nie runter, weil ich es schön finde, wie das Mondlicht mein Zimmer erhellt, während ich im Bett liege, aus dem Fenster schaue und den Regen oder Schnee beobachte.

Mit einer kalten Dusche bekomme ich mich hellwach, danach stelle ich das Wasser auf lauwarm, weil ich keiner dieser Menschen bin, die so etwas gern machen. Ich tue es, weil es notwendig ist, ansonsten würde ich ewig brauchen, um wach zu werden.

Benji begrüßt mich an unserem Küchentisch, einen Kaffee in den Händen, seine Augen ganz klein und die braunen Haare vom Schlaf zerzaust. Zwei weitere Tassen und Teller, jeweils mit unserem Frühstück, stehen auf dem Tisch. Ich setze mich auf den Stuhl zum zweiten Kaffee, in der anderen Tasse befindet sich grüner Tee – Julies Wachmachergetränk, mit dem ich absolut nichts anfangen kann. Benji und ich wechseln uns mit dem Frühstückmachen ab, wie mit dem Kochen. Manchmal machen wir es auch zusammen, während sich meine Cousine nie daran beteiligt.

Für uns gibt es Haferflocken mit Früchten und Nüssen, für Julie Joghurt mit Granola und Chiasamen. Während wir essen, kommt sie energiegeladen in die Küche, als wäre es genau die richtige Zeit, um aufzustehen. Null müde aussehend, mit strahlender Haut aufgrund ihrer täglichen Pflegeroutine und ihre blonden Haare zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden, den ich nie im Leben so makellos hinbekommen würde. Sie trägt dunkelblaue Sportleggins mit dicken Socken und darüber einen Pulli. Wir alle haben einen strengen Tagesplan, an den wir uns halten müssen, und Julies sieht es vor, immer zwischen vier und fünf aufzustehen. Ihre Trainerin kennt sowieso keinen Spaß. Ich glaube, das ist im Eiskunstlauf generell so. Die sind alle immer viel ernster und strenger. Nicht, dass ich das nicht auch bin, aber ich lache dann doch ab und zu beim Training …

Nachdem wir gefrühstückt haben, sind wir bereit aufzubrechen und Julie umarmt uns zum Abschied. »Ich drücke dir die Daumen, Han Hang.« So nennt sie mich, seit ich vierzehn bin, wenn wir uns verabschieden. Weil mich irgendein Blödmann in unserer Klasse Hannah Hangtime nannte – aufgrund der Zeit, die ich durch die Sprünge in der Luft verbrachte. Sehr kreativ, ich weiß.

»Danke, Jumpster.« Nach all der Zeit verziehen wir nicht einmal mehr das Gesicht bei diesen schrecklichen Spitznamen. Es ist eben unsere Routine, die die Verabschiedungen früher ein Stück leichter machte. Benji hingegen zieht eine Grimasse, sagt jedoch schon lange nichts mehr dazu, weil er Angst hat, dass er ebenfalls einen albernen Namen verpasst bekommt.

***

Die schneebedeckten Straßen von Glitz sind ruhig, als wir vollbepackt vom ersten Stock des Wohnhauses die Treppe im Freien hinuntergehen. Es ist nicht das typische Wohngebäude, das sich jeder vorstellt, wenn er an Wohnungen denkt. Es ist ein Einfamilienhaus mit einem dunklen Holzbalkon, das irgendwann abgeteilt und umgebaut wurde, sodass es jetzt drei separate Wohnungen mit eigenem Eingang sind. Die Umgebung ist friedlich und unsere Nachbarn sind es auch.

Der Schnee glitzert im schwachen Licht der Straßenlaternen und die klirrende Kälte lässt mich tief durchatmen. Wir müssen nicht auf Maya und Nolan warten, der Kleinbus fährt bereits in die Einfahrt. Meistens sind sie entweder zu früh oder genau rechtzeitig – Verspätungen gibt es keine. Wir verstauen alles im Kofferraum und setzen uns nach hinten. Jetzt müssen wir erst mal nach München fahren, denn natürlich gibt es keine Direktflüge von Innsbruck nach Norwegen, wäre ja auch zu schön.

Maya schaut über ihre Schulter, während Nolan losfährt und uns einen schnellen Blick über den Rückspiegel zuwirft.

»Alles klar?«, fragt er.

»Alles klar«, antworten Benji und ich gleichzeitig.

Alles ist gut. Ich bin überhaupt nicht nervös. Noch nicht. Ich habe keine Zweifel an mir. Gerade nicht.

2

Giftiger Nebel infiltriert deinen Kopf

Espen

Etwas hämmert gegen meine Stirn. Es hämmert und hämmert und hört nicht auf. Stöhnend ziehe ich das Kissen über den Kopf, bete, dass das Hämmern vergeht. Bitte!

Plötzlich klingelt auch noch mein Handy. Warum zum Teufel habe ich es nicht auf lautlos gestellt? Ich muss echt betrunken gewesen sein. Als ich versuche, mich an gestern zu erinnern, ist da nichts. Jap. Total betrunken.

Ich höre, wie meine Zimmertür aufgestoßen wird, und mir fällt auf, dass das Hämmern aufgehört hat. Das Kissen wird mir vom Gesicht gerissen und meine zwei Jahre ältere Schwester Amelia blickt mich mit zusammengepressten Lippen an.

»Ich habe geklingelt, ich habe geklopft und dann bin ich reingegangen. Dann habe ich noch mal fünf Minuten an deine Zimmertür geklopft, bis ich mir gedacht habe, du bist bestimmt tot. Aber sieh dich an, du lebst.« Sie rümpft die Nase. »Na ja, zumindest mehr oder weniger.«

»Was willst du?« Ich will einfach nur weiterschlafen, irgendwann duschen und etwas essen.

Erwartungsvoll blickt sie mich an. »Heute ist Sonntag.«

»Ja, und?«

»Unser wöchentliches Familienessen? Klingelt da was bei dir?«

Das erklärt ihren Aufzug, als wäre sie auf dem Weg ins norwegische Königshaus. Ein makelloser weißer Hosenanzug, ihre braunen Haare kunstvoll hochgesteckt und goldene Ohrringe mit Diamanten, die bestimmt mehr kosten als manches Auto. Auf diese Weise kleidet sie sich nur, wenn sie nach Hause fährt. Trifft man sie in ihrem Studienort Oslo, ungefähr drei Stunden von hier, findet man sie im Supermarkt in Pullover und Leggins vor.

»Nein, sorry, da klingelt nichts«, sage ich.

»Du hast dich einen Monat nicht mehr blicken lassen, Papa ist sauer und Mama traurig.«

Soll das etwa eine Neuigkeit sein? Unser Vater ist seit dem Moment, als ihm klar wurde, dass ich nicht sein Klon bin, sauer auf mich. Aus vielen verschiedenen Gründen – es ist jedes Mal etwas anderes, das er an mir zu bemängeln findet, aber eigentlich geht es nur um eine Sache: das Snowboarden.

»Mama weiß, wo ich wohne.«

Meine Schwester dreht sich um und geht in meinen begehbaren Kleiderschrank, der eigentlich so was von unnötig und übertrieben ist. Aber mein vier Jahre älterer Bruder Magnus hat darauf bestanden, als er mir ein Haus gesucht hat, weil das seiner Meinung nach zur Grundausstattung gehören sollte. Kein Wunder bei seiner übertrieben großen Kleidersammlung. Wäre er ein anderer Bruder, hätte er vielleicht vorgeschlagen, dass ich zu ihm ziehen könnte. Eine Brüder-WG, wäre doch nett gewesen. Aber Magnus ist eben nicht Lars, mein jüngerer Bruder, und ich bin nicht wie unser Vater. Dementsprechend keine Brüder-WG, sondern ein Anwesen, das einem Torgersen gerecht wird und das ich mir mit einem kleinen Teil des Erbes meines Opas geleistet habe.

Amelia wühlt in meiner Kleidung herum, denn das Klappern von Kleiderbügeln und ab und zu ein unterdrücktes Seufzen durchdringen die Stille.

»Was machst du da?«, frage ich.

Keine Antwort. Soll mir recht sein. Ich schließe die Augen und hoffe einfach, dass sie wieder verschwunden ist, wenn ich sie das nächste Mal öffne. Doch natürlich ist sie das nicht. Stattdessen höre ich das leise Rascheln von Stoff, gefolgt von etwas, das auf meinem Kopf landet.

»Was soll die Scheiße?«, beschwere ich mich und werfe die Sachen auf die freie Betthälfte, die Augen noch geschlossen.

»Was soll die Scheiße?«, wiederholt sie fast im selben Moment und klingt dabei derart angeekelt, dass ich nun doch die Augen öffne.

Sie schaut auf etwas am Boden, das sich außerhalb meines Sichtfelds befindet. Stöhnend richte ich mich auf und mein Blick fällt auf die rote Spitzenunterwäsche, die auf meinem dunklen Boden liegt wie teure Dekoration.

Schwarze Haare, italienische Schönheit, ich erinnere mich vage daran, dass ich sie mit zu mir genommen habe. Entweder sie ist also noch irgendwo in meinem Haus, oder sie ist ohne Unterwäsche nach Hause gefahren. Mir auch egal.

»Es ist Unterwäsche«, sage ich unbekümmert.

»Ja, Unterwäsche.« So wie meine Schwester es ausspricht, klingt es wie nuklearer Abfall.

»Schau einfach woanders hin«, meine ich und mache eine abwehrende Handbewegung.

»Ich dachte, diese Phase hättest du hinter dir.« Sie muss nicht aussprechen, was sie meint, ich weiß es auch so: Betrunken spätnachts mit Frauen nach Hause kommen und bis mindestens Mittag schlafen. Ihre Augen lasten schwer auf mir, so schwer, als würde sie mit ihren Händen meinen Hals umklammern und die Luftröhre abdrücken. Lieber wäre mir, sie würde noch immer auf die Unterwäsche starren.

»Ich weiß nicht, was du meinst.« Natürlich weiß ich, was sie meint, ich bin ja nicht blöd. Aber Blödstellen war schon immer mein Ding.

»In Ordnung, Espen.«

Sie klingt wie Mama, wenn sie meinen Namen so ausspricht. Mit diesem Ton, der verrät, dass sie ganz genau weiß, dass ich mich absichtlich dumm stelle.

Ein lautes Stöhnen lässt uns beide zur Tür blicken. Ein zweites ist zu hören und ich verziehe das Gesicht. Arvid. Jetzt weiß ich also, wo die Frau von gestern Nacht abgeblieben ist. Im Gästezimmer bei meinem besten Freund.

Meine Schwester starrt mich mit großen Augen an. »Bitte, bitte, bitte, sag mir nicht, dass …«

»O Arvid, ja, genau so«, unterbricht eine weibliche Stimme, was auch immer sie sagen wollte.

Amelia schlägt sich die Hand vor den Mund und bricht ein paar Sekunden später in Gelächter aus. Ich kann nicht anders und stimme mit ein.

***

Frisch geduscht und herausgeputzt, gekleidet in ein Hemd, ganz so, wie mein Vater es wünscht, steige ich zu meiner Schwester ins Auto. Es duftet nach ihrem Chanel Parfüm und Kaffee, Letzteres ist wohl dem Becher in der Mittelkonsole zu verdanken.

»Also, Arvid und du …« Sie führt den Satz nicht zu Ende.

»Wir haben uns schon oft Frauen geteilt«, erwidere ich gleichgültig.

Sie verzieht das Gesicht und ich weiß, was sie jetzt denkt.

»Nicht auf diese Art. Aber wenn mir jemand auch gefallen hat und sie nichts dagegen hatte, haben wir uns eben auch noch vergnügt. Umgekehrt genauso.«

Meine Schwester schüttelt entsetzt den Kopf. »Danke, jetzt werde ich dieses Bild nie wieder aus dem Kopf bekommen.«

»Einmal, als ich Magnus besucht habe, hat er gerade am Küchentisch seine Nachbarin von hinten genommen.« Meine Stimme klingt völlig neutral, während ich es ausspreche.

Sie schreit auf. »Waaaaaaaaarum erzählst du mir das?«

Meine Mundwinkel zucken, doch ich versuche mich an einem unschuldigen Blick. »Du wolltest das Bild aus dem Kopf bekommen.«

»Ja, aber bestimmt nicht durch meinen anderen Bruder ersetzen! Du bist ein Monster, ich hoffe, das weißt du.«

»Weiß ich.«

Als wir in die lange Einfahrt zu unserem Elternhaus einbiegen, zieht sich mein Magen zusammen. Mein Herz schlägt unregelmäßig und ich höre das Pochen in meinen Ohren. Dummes Herz. Dummer Körper. Du kennst das hier. Du hast das schon tausende Male durchgestanden. Du wirst es auch jetzt durchstehen.

Amelia parkt neben Magnus’ teurem Sportwagen und stellt den Motor ab. Sie mustert mich und ich will dem entgehen. Es ist, als würde ihr Medizinstudium sie zu einem Detektor für menschliche Gefühlszustände machen. Sie hat schon früher immer genau gewusst, wenn etwas nicht stimmte, aber mittlerweile ist diese Fähigkeit fast übermenschlich. Das ist der Grund, warum ich auf keinen Fall mit ihr zusammenziehen wollte. Denn Amelia wäre voll für eine Schwester-Bruder-WG gewesen, in der sie vermutlich jeden meiner Gemütszustände analysiert hätte, als wäre sie mit einem Mikroskop auf der Suche nach Veränderungen in meiner Stimmung.

»Ist alles gut bei dir?«, fragt sie mit dieser einfühlsamen Scheißstimme, die ich überhaupt nicht verdient habe.

Ich setze mein Lächeln auf, so wie sonst, wenn mein Vater eine Bemerkung macht, nur um ihm nicht zu zeigen, wie sehr er mich damit verletzt. »Es ist alles bestens, Amelia.«

Damit öffne ich die Autotür und steige aus. Weil alles bestens ist. Alles wie immer.

Mama öffnet die Tür, noch bevor wir überhaupt geklingelt haben. In einer weiß-silbernen Jacke mit dicken Knöpfen, dazu passendem Rock, perfekt geföhnten blonden Haaren und funkelndem Schmuck sieht sie aus wie aus einem Modemagazin für Ü40.

Sie schließt mich in die Arme und drückt so fest zu, dass mir die Luft aus der Lunge weicht. »Mein süßer kleiner Junge.« Bin ich schon lange nicht mehr, aber für sie werde ich es immer sein und deswegen hasse ich mich noch mehr. Weil ich das nicht verdient habe.

»Schön dich zu sehen«, sage ich ehrlich.

»Schön mich zu sehen«, sagt sie schnaubend, löst sich von mir, um mir schließlich auf den Oberarm zu schlagen. »Du hast Glück, dass du dich heute entschieden hast aufzutauchen, ansonsten wäre ich persönlich bei dir aufgekreuzt und hätte dich an den Ohren nach Hause gezogen.«

Amelia wird nicht sagen, dass ich nur ihretwegen hier bin, und ich auch nicht. Ich will ihr die Illusion lassen und sie nicht unnötig verletzen.

Wir folgen Mama ins Esszimmer. Der längliche Tisch ist mit einer Tischdecke bedeckt, das Geschirr und die Gläser funkeln im Licht der Kronleuchter. Vater und Magnus sitzen bereits da, vertieft in ein Gespräch über das Business. Ihren gebügelten Hemden nach zu urteilen könnte man glauben, das wäre ein Geschäftsessen, kein Familienessen. Dass wir kommen, nehmen sie nicht einmal wahr. Auch nicht, dass wir uns setzen. Alles beim Alten also.

Lars kommt mit lauten Schritten ins Esszimmer und ich strecke die Hand aus, um mit ihm einzuschlagen.

»Hey, alles klar?«, frage ich.

Seine hellen Haare sind durcheinander, wie meine, nur dass ich braune habe, seine Jogginghose ist zu weit und sein Pullover hat einen Fleck, der vermutlich vom Essen im Bett stammt. Nur ist das bei Lars nicht tragisch, weil er nach seinem Abschluss ins Familienunternehmen einsteigt. Da bekommt er von unserem Vater quasi einen Freifahrtschein für fast alles, während jeder meiner Schritte kommentiert und mit enttäuschten Blicken verfolgt wird. Versteht sich von selbst, oder?

»Logisch, und bei dir?«, fragt mein Bruder.

Ich nicke und lasse seine Hand los. »Alles bestens.«

Er lässt sich neben mir nieder und lehnt sich im Stuhl zurück. »Nächstes Wochenende ist der Fjellheim-Cup. Du wirst sie alle plattmachen, oder?«

Ich grinse. »Aber so was von.«

»Hab auf Instagram gesehen, dass du jetzt den Backside 1440 Triple Cork beherrschst. Sieht megageil aus.«

Ja, megageil. Aber auch megaschwierig. Der Trick hat mich meine letzten Nerven gekostet, aber vor drei Wochen habe ich ihn endlich gestanden. Jeder Boarder hat sein eigenes Repertoire an Tricks und wir versuchen immer neue hinzuzufügen.

»Das sieht schwierig aus«, sagt Amelia und runzelt die Stirn, während sie das gepostete Video von dem Trick auf meinem Instagram-Profil anschaut.

»Es sieht nicht nur so aus«, erwidere ich schmunzelnd. »Du brauchst die richtige Balance und Kontrolle, um die vier Umdrehungen in der Luft zu schaffen, und auch die Landung muss perfekt sein. Es ist wie eine Mischung aus Kunst und Wahnsinn, aber genau das macht ihn so aufregend und befriedigend, wenn du ihn …«

»Hallo Espen. Hallo Amelia«, unterbricht mich Vater schneidend. »Espen, wie schön, dass du bei all den Tricks endlich die Zeit gefunden hast, deine Familie zu besuchen.« Ein Hieb, den er nicht versteckt, sondern offen zur Schau stellt.

Ich balle meine Hände unter dem Tisch zu Fäusten und atme tief durch, um meine Mauer wieder aufzubauen. Keine Sekunde hätte ich sie herunterlassen dürfen, denn Arne Torgersen ist wie eine Abrissbirne: Er findet jeden noch so kleinen Riss in meiner Mauer, um sie ganz niederzureißen und mich dann in Brand zu setzen. Und ich will nicht brennen. Ich will nicht, dass er mir die Freude an etwas nimmt, woran ich lange gearbeitet und so stolz war, als ich es das erste Mal geschafft habe.

»Ja, natürlich«, erwidere ich, ganz ohne Sarkasmus, denn den würde er sofort heraushören. Mein Vater ist vieles, aber kein Dummkopf.

Bevor unser Gespräch weitergeht, wird das Essen von unserem Haushälter Einar serviert. Er hat schon immer das beste Timing gehabt.

»Lachssteaks mit Zitronen-Dill-Butter und gegrilltem Gemüse.« Er stellt es auf den Tisch und verschwindet wieder.

Beim Essen selbst ist es still. Ich genieße diese Stille, in der nur das Klirren von Besteck zu hören ist. Denn sobald sie von Stimmen übertönt wird, kehrt dieser innere Druck zurück, weil sich Vaters Stimme jeden Moment gegen mich richten könnte.

Es dauert nicht lange und ich höre die gedämpfte Konversation zwischen meinem Vater und Magnus. Die Worte »Expansion« und »Fjellheim Resorts« fliegen durch die Luft. Entweder Vater will wieder irgendwo investieren oder sie sprechen über jemand anderen. Unserer Familie gehört die Modemarke Fjell Couture, die vor über hundert Jahren von meiner Uroma gegründet wurde. Seitdem sind wir die Modemarke aus Norwegen. Jeder will unsere Kleidung tragen, jeder will sie haben. Nur ich nicht. Schande über mich.

»Espen, du kommst doch?«, fragt mein Vater mit strengem Blick.

Was? Fuck. Ich war in Gedanken und habe nicht damit gerechnet, angesprochen zu werden, nicht während des Essens, das passiert meistens erst danach.

»Ich glaube, Espen wird nach den vier Tagen Fjellheim-Cup erledigt sein. Einen Tag später zu einer Gala-Veranstaltung zu gehen, wird bestimmt nicht drin sein«, sagt Amelia seufzend und setzt ein betrübtes Gesicht auf.

Sie hat mich gerettet. Wie immer.

Ich nicke. »Tut mir leid, ich kann leider nicht versprechen, dass ich es schaffe.«

Mein Vater neigt leicht seinen Kopf und ich sehe, wie sich Wut in seinem Inneren zusammenbraut. Zu einem hässlichen Sturm, der direkt auf mich zukommt. Er legt das Besteck beiseite und tupft sich den Mund mit der Serviette ab. Mein Brustkorb drückt, als würde jemand darauf sitzen. Seine hellen Augen bohren sich in meine, bohren sich in mein Herz, und es setzt kurz aus, bevor es panisch weiterschlägt. Reiß dich verdammt noch mal zusammen, Espen. Was auch immer jetzt kommt: Du kennst das. Du schaffst das. Du bist zwanzig. Nicht vierzehn.

»So wie du nie etwas versprechen kannst«, sagt mein Vater.

Es ist nur ein Satz und doch tut er weh.

»Ja«, ist alles, was ich erwidere, denn ich kann es nicht abstreiten. Ich war noch nie gut darin, mich an meine Versprechen zu halten. Versprechen zu brechen, ist so einfach. So, so verdammt leicht. Zu leicht, wenn man mich fragt.

Die Augenbrauen meines Vaters wandern in die Höhe. »Ja? Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?«

Mein Herz schlägt heftig – bummbummbumm. Ich höre es überdeutlich in meinen Ohren und es ist lächerlich, denn mein Vater spricht nur. Er hat nie die Hand gegen einen von uns erhoben, würde er nie, weil er uns liebt. Ich bin nicht mal sicher, ob er weiß, dass sich seine Worte wie unendlich viele Nadelstiche auf meiner Haut anfühlen.

»Ja«, sage ich erneut und bei Gott, ich weiß ganz genau, dass ich ihn damit auf die Palme bringe. Das kann ich gut, aber es ist gerade nicht einmal meine Absicht.

Sein Augenlid zuckt, was ein schlechtes Zeichen ist.

»Ja«, wiederholt er mit aufgeblähten Nasenflügeln. »Espen, du befindest dich auf sehr dünnem Eis.«

Ich tanze förmlich darauf.

»Deine Mutter hat einen Monat lang darauf gewartet, dass du kommst, und wurde immer wieder enttäuscht«, fährt mein Vater fort. »Du hast uns nicht einmal angerufen. Ist das wirklich zu viel verlangt?«

Ja, ist es, weil die Saison startet und meine Gedanken nicht von Negativität erfüllt sein dürfen. Ich muss völlig klar sein. Da ist kein Platz für giftigen Nebel in meinem Kopf.

»Ich konnte nicht, es war viel los«, rechtfertige ich mich.

Mein Vater lacht fast schon höhnisch auf – ein unechtes, fieses Lachen. »Es ist die eine Sache, dass du lieber Snowboarden gehst, anstatt ins Familienunternehmen einzusteigen oder etwas anderes Sinnvolles zu machen. Aber dass du uns dann auch noch völlig vernachlässigst … Ich bin enttäuscht von dir.«

Ich. Bin. Enttäuscht. Von. Dir. Ja, das sagst du mir seit meinem vierzehnten Geburtstag, seit dir klar geworden ist, dass das mit dem Snowboarden keine Phase ist.

Ich schnaube und das Blut rauscht gefährlich in meinen Ohren. »Ich gehe nicht nur snowboarden.« Ich schlage mit meiner Hand auf den Tisch und jeder außer meinem Vater zuckt zusammen. »Das ist mein Job. Ich bin Profi-Snowboarder. Ein ziemlich guter sogar. Ich habe bei meiner ersten Teilnahme an den Olympischen Winterspielen Bronze geholt und werde mich erneut qualifizieren. Lies mal etwas über mich! Ich gehöre zu den Spitzensportlern der Szene!«

Ruckartig stehe ich auf und der Stuhl schabt anklagend über den Boden.

»Espen«, sagt mein Vater beinahe bekümmert.

»Nein.« Nichts Espen. Es reicht. Genau deswegen komme ich selten nach Hause. Weil ich es mir verdammt noch mal nicht bieten lassen muss, mir anzuhören, dass ich etwas Sinnvolles machen soll und er deshalb enttäuscht von mir ist.

Ich stürme aus dem Esszimmer, höre aber noch, wie jemand anderes aufsteht. Ich rechne mit Mama, aber es ist nicht sie, die mich im Hausflur an der Schulter packt und umdreht.

Magnus’ blaue Augen, ähnlich denen unseres Vaters, blicken mich an. Wir beide haben das Blau geerbt und ich frage mich immer wieder, ob ich dadurch auch so kalt aussehe.

»Jetzt komm schon, lauf nicht immer wie ein Dramaking davon«, sagt mein Bruder.

Ich schnaube. »Du musst dir die Scheiße ja nicht jedes Mal geben.«

Er nickt. »Da hast du recht, muss ich nicht. Aber du hast dich für diesen Weg entschieden, also steh endlich für dich ein und hör auf, dich wie ein Baby zu verhalten.«

Ich verenge die Augen zu Schlitzen. »Ich stehe für mich ein, indem ich mir das erst gar nicht mehr antue.«

Wenn etwas schmerzt, dann lasse ich es nicht weiterschmerzen, sondern halte verdammt noch mal Abstand. Ich renne nicht mehr ins Feuer, außer ich will den Schmerz, will verbrennen. Ich will keines von beidem.

»Das ist das Gegenteil von für sich einstehen. Du läufst schon immer vor deinen Problemen davon und genau deswegen werden sie sich nie lösen.« Er seufzt. »Wenn du nur einmal ein richtiges Gespräch mit Papa führen würdest, könnte das längst alles vorbei sein. Ihr könntet einfach wieder das Vater-Sohn-Dreamteam sein und dem ein Ende setzen.«

Früher waren wir wirklich unzertrennlich. Mein Vater war der Größte für mich. Ich habe unsere Schiffe-Versenken-Nachmittage geliebt. Habe es geliebt, dass er mich jeden Abend ins Bett brachte, selbst wenn er total gestresst war. Aber irgendwann verlor unsere bunte Beziehung ihre Farbe, wurde trist und grau.

»Du und er seid das Vater-Sohn-Dreamteam«, sage ich und es klingt fast schon verbittert. »Wir werden das nie wieder sein, weil er mich nicht akzeptiert.«

Magnus steht in seinem makellosen weißen Hemd und der perfekt sitzenden Anzughose vor mir, will mir sagen, wie ich meine Probleme zu handhaben habe, aber dazu hat er kein Recht. Er hat meinen Platz eingenommen und keine Ahnung, wie es sich anfühlt, das Arschloch der Familie zu sein. Denn nichts anderes bin ich. Derjenige, der jede Familienzusammenkunft versauen kann. Derjenige, der den Namen Torgersen mit seinen Eskapaden in den Dreck zog. Derjenige, der zu Weihnachten besoffen auf den Esstisch kotzte. Wenn man einmal von ganz oben in die Tiefe stürzt, tut das mehr weh, als unten gewesen zu sein und nach oben zu steigen. Das klingt hart, aber es ist die bittere Wahrheit, die ich selbst durchgemacht habe.

»Natürlich akzeptiert er dich«, widerspricht mein Bruder. »Er akzeptiert nur nicht jede Entscheidung, die du getroffen hast. Das ist ein großer Unterschied.«

Ja, sollte es sein, aber für mich fühlt es sich genau gleich an. Also drehe ich mich um und gehe.

»Espen, bitte.«Magnus kann bitte sagen, er ist nicht so stolz, wie ich es bin.

Ich atme tief durch und bleibe stehen. »Danke, dass ich dir nicht egal bin, aber ich kann das gerade nicht.«

»Natürlich bist du mir nicht egal, warum bedankst du dich für so etwas?« Er neigt den Kopf leicht zur Seite, versteht offenbar nicht, wie viel es mir bedeutet, dass er, Amelia und Lars mich unterstützen, immer. Klar haben wir manchmal Meinungsverschiedenheiten, klar streiten wir hin und wieder, aber wenn es darauf ankommt, sind wir füreinander da.

»Tschüss.«

3

Meine Art, zu heilen

Espen

Ich steige in Arvids Wagen und ziehe die Tür hinter mir zu. Den Beifahrersitz muss er vorher abgeräumt haben, denn normalerweise ist dieser genauso zugemüllt wie die Rückbank. Leere Flaschen, Snowboardausrüstung, Pullover und Jacken befinden sich meist dort. Die Getränkehalter in der Mitte der Konsole sind mit Parktickets gefüllt und jedes Mal, wenn ich ihn frage, was er mit denen vorhat, sagt er, vielleicht braucht er sie noch einmal. Ganz viele Fragezeichen ploppen bei der Antwort in meinem Kopf auf.

»Danke fürs Abholen«, sage ich und schnalle mich an.

»Kein Ding, wolltest wohl noch eine Runde spazieren, was?« Arvid weiß, wie meine Familienessen in der Regel verlaufen. Er weiß, dass ich nicht nur spazieren war, sondern mein Vater und ich wieder einmal aneinandergeraten sind.

»Jap, Verdauungsspaziergang.«

»Alles klar.«

»Ist sie schon weg?«

Er runzelt die Stirn. »Francesca?«

Normalerweise merke ich mir die Namen von den Frauen, mit denen ich geschlafen habe, aber gestern war dann wohl doch ein Shot zu viel. Es kommt nicht mehr oft vor, dass ich mich derart abschieße, dass ich überhaupt Alkohol trinke. Aber Henrik, unser bester Freund, hatte Geburtstag. Ausnahmen sind kein Weltuntergang. Zumindest nicht für mich, aber ich weiß, dass viele Sportler das anders sehen.

»Ja, Francesca.«

»Wir haben noch zusammen gefrühstückt, dann hat sie sich auf den Weg gemacht.«

Meine Lippen verziehen sich zu einem schiefen Lächeln. »Frühstücken nennst du das also? Na dann, ich hoffe, es hat geschmeckt.«

Er grinst, sagt aber nichts dazu.

Wir fahren zu mir und kurz darauf kommt Henrik vorbei. Den restlichen Tag verbringen wir mit Videospielen, was das Mittagessen fast wieder wettmacht.

»Du schummelst«, wirft Henrik mir vor und springt auf.

»So ein Blödsinn, du kannst nur einfach nicht verlieren.«

Konnte er noch nie. Arvid und ich hingegen mussten schon früh lernen, mit Niederlagen umzugehen, da wir beide angefangen haben, an Snowboardwettbewerben teilzunehmen und eine professionelle Karriere zu starten. Wenn man nicht jedes Mal einen Heartbreak erleiden will, muss man mit dem Verlieren klarkommen. Natürlich ist es ärgerlich und es tut manchmal besonders weh, vor allem, wenn man einen schlampigen Fehler gemacht hat, aber es sollte einem nicht das Herz aus der Brust reißen. Das würde einen irgendwann ausbremsen. Und für meine Karriere wäre das der Tod. So ist es auch beim Snowboarden: Fährt man auf einen Kicker zu – eine Schanze –, darf man nicht bremsen, man muss die Geschwindigkeit beibehalten.

Seufzend lässt sich Henrik wieder auf die Couch fallen. »Ja, ich weiß. Deswegen betreibe ich auch keinen professionellen Sport.«

Arvid lacht auf. »Deswegen und weil du das Durchhaltevermögen von Schneeflocken im Sommer hast.«

Henrik hat echt alles probiert. Verschiedene Sportarten, Malen, einmal sogar das Schreiben. Am Ende hat es ihn jedoch immer wieder zur Fotografie zurückgezogen. Sportfotografie, um genau zu sein, was vermutlich daran liegt, dass sein Zwillingsbruder Eiskunstläufer ist. Paarläufer. Henrik stand schon als Kind auf dem Eis, um ihn zu filmen und zu fotografieren, damit ihm nicht langweilig wurde. Denn sein Vater schleppte ihn immer mit und nannte es Familienzeit.

»Halt den Mund, es kann nicht jeder sofort wissen, was das Richtige für ihn ist.« Er streckt Arvid seinen Mittelfinger entgegen und dieser streckt seinen zurück.

»Hört auf mit eurem Schwertkampf«, mische ich mich schmunzelnd ein.

Arvid grinst schelmisch. »Wenn das hier ein echter Schwertkampf wäre, würde eindeutig ich gewinnen.«

»Du bist so anstrengend, weißt du eigentlich, wie scheißegal es mir ist, ob dein Schwanz drei Zentimeter größer ist?«, erwidert Henrik genervt.

»Du gibst es also zu, ha!«

»Ich gebe hier gar nichts zu, es geht einfach darum, dass das total lächerlich ist. Du bist mehr als dein Schwanz, Arvid, was willst du damit immer beweisen?«

Ich lache los und Arvid stimmt mit ein.

»Sorry, aber ›Du bist mehr als dein Schwanz, Arvid‹?«, bringe ich hervor.