Fake the Love (Play it Fake 2) - Elizabeth S. Sawyer - E-Book

Fake the Love (Play it Fake 2) E-Book

Elizabeth S. Sawyer

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Julie und Narvik verbindet seit Jahren nur eines: ihre erbitterte Rivalität. Er ist kühl, fokussiert und unerbittlich. Kurz gesagt, ein eingebildeter Arsch. Und nach Jahren der Konkurrenz Julies neuer Eislaufpartner. Es bleibt ihr keine Wahl, ohne ihn kann sie ihre Karriere vergessen. Während Julie vergeblich versucht, professionelle Distanz zu wahren, entwickelt sich zwischen beiden ein Tanz voller Emotionen und Geheimnisse.  Und es wird schnell noch komplizierter. Denn nicht nur auf dem Eis, sondern auch in der Öffentlichkeit sollen sie das perfekte Traumpaar mimen. Dabei riskiert Narvik das Kostbarste, was sie beide auf dem Eis haben: Julies Vertrauen.   "Unsere Körper sprechen dieselbe Sprache, eine, die niemand außer uns versteht."  #ForcedProximity #FakeRelationship #RivalstoLovers #HiddenSecrets​   Textauszug: "Ich setze die Kufe aufs Eis und die Welt wird leiser. Ein paar Runden gleite ich allein. Mein Atem, mein Tempo, mein Herzschlag, der sich langsam beruhigt. Dann höre ich ihn. Das Schaben seiner Kufen, eine Bewegung in meinem Augenwinkel. Er fährt neben mich und plötzlich verändert sich etwas. Die Luft wird dichter, schwerer, als hätte jemand die Halle enger gezogen. Seine Präsenz ist spürbar, ohne dass er mich auch nur ansatzweise berührt. Das ist neu. Sein Tempo ist kraftvoller, sein Stil dominanter. Er nimmt Raum ein, ohne es zu versuchen."  //Dies ist Band zwei der Sports-Romance-Reihe »Play it Fake«. Alle Bände der Reihe: -- »Fake the Crush« -- »Fake the Love« Jeder Band der Reihe ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Romanen der Buchserie gelesen werden.// 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

Jetzt anmelden!

Jetzt Fan werden!

Elizabeth S. Sawyer

Fake the Love (Play it Fake 2)

Julie und Narvik verbindet seit Jahren nur eines: ihre erbitterte Rivalität. Er ist kühl, fokussiert und unerbittlich. Kurz gesagt, ein eingebildeter Arsch. Und nach Jahren der Konkurrenz Julies neuer Eislaufpartner. Es bleibt ihr keine Wahl, ohne ihn kann sie ihre Karriere vergessen. Während Julie vergeblich versucht, professionelle Distanz zu wahren, entwickelt sich zwischen beiden ein Tanz voller Emotionen und Geheimnisse. Und es wird schnell noch komplizierter. Denn nicht nur auf dem Eis, sondern auch in der Öffentlichkeit sollen sie das perfekte Traumpaar mimen. Dabei riskiert Narvik das Kostbarste, was sie beide auf dem Eis haben: Julies Vertrauen.

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Playlist

Vita

Danksagung

© privat

Elizabeth S. Sawyer, geboren im Mai 1999, lebt im malerischen Tirol in Österreich und teilt ihr Zuhause mit ihrer Familie und drei Katzen. Trotz vieler Interessen kehrt sie immer wieder zum Schreiben zurück, da sie nichts so sehr erfüllt. Neben ihrer Liebe zur Welt der Worte ist Elizabeth eine leidenschaftliche Entdeckerin in der realen Welt. Sie schätzt das Reisen und das Erkunden neuer Orte.

Für dich, wenn du dachtest, dass du erst etwas leisten musst, um geliebt zu werden.Du bist kein Ergebnis.Du bist ein Mensch.Und das war immer genug.

Playlist

Enchanted (Taylor’s Version) – Taylor Swift

thanK you aIMee – Taylor Swift

My Boy Only Breaks His Favorite Toys – Taylor Swift

Anti-Hero – Taylor Swift

NIGHTS LIKE THIS – The Kid LAROI

Perfect Places – Lorde

The Smallest Man Who Ever Lived – Taylor Swift

cardigan – Taylor Swift

The First Time – Damiano David

We Hug Now – Sydney Rose

Daylight – Taylor Swift

Die Sterne – Edwin Rosen

I Wanna Be Yours – Arctic Monkeys

my tears ricochet – Taylor Swift

The Great War – Taylor Swift

How Does It Feel To Be Forgotten – Selena Gomez, benny blanco

Karma – Taylor Swift

Prolog

Narvik – Sieben Jahre zuvor

Frustriert lehne ich die Stirn gegen die kalte Fliesenwand. Mein Glücksbringer, das kleine Filzherz, das Oma vor Jahren für mich gemacht hat, ist weg.

Meine Sporttasche und deren Inhalt liegen ausgekippt auf dem Boden. Das Kostüm, ein Handtuch, eine volle Trinkflasche, Ersatzschnürsenkel, Tape, Notfallriegel, Handschuhe, ein Notizblock mit eigenen Aufzeichnungen zu Sprüngen, Landungen und Kombinationen – Kritzeleien, die nur ich verstehe.

Aber keine Spur von dem Filzherz, als hätte es sich in Luft aufgelöst.

Vielleicht habe ich es zu Hause vergessen … Mein Magen zieht sich zusammen, denn ich weiß es besser. Nach fünf beinahe zwanghaften Kontrollen, bei denen ich es jedes Mal in der Tasche vorgefunden habe, ist es unwahrscheinlich, dass es plötzlich wie von Geisterhand verschwunden ist. Es steckt immer in der Seitentasche. Immer. Es ist kein Aberglaube, sondern einfach etwas, das mich beruhigt. Okay … und möglicherweise glaube ich wirklich, dass Oma ihr eigenes Glück hineingearbeitet hat und mir das Filzherz deshalb Glück bei meinen Wettkämpfen bringt.

Aber jetzt ist es weg. Ich könnte Oma einfach darum bitten, mir ein neues zu machen, wenn ich sie in Slowenien besuche, doch das wäre nicht dasselbe. Vermutlich würde sie enttäuscht sein, denn wer verliert schon Dinge, die einem wichtig sind?

Im Flur nähern sich Schritte. Die Tür zur Umkleide ist offen, da außer mir keiner da ist. Die Luft hier drinnen war so stickig, dass ich durchgelüftet und zusätzlich das Fenster aufgerissen habe. Meine Partnerin möchte immer überpünktlich sein und um sie nicht zu verärgern, komme ich ihrem Wunsch nach. Niemand will Aurora verärgern. Ich am allerwenigsten, obwohl es mir viel zu oft passiert.

Die Schritte wandern an der Umkleide vorbei, dann verstummen sie, bis sie sich wieder nähern. Ich brauche nicht nachzuschauen, um zu wissen, dass eine Person im Türrahmen steht und mich beobachtet.

»Ist alles in Ordnung?«, fragt jemand mit sanfter Stimme.

»Ja, alles bestens«, brumme ich unhöflich. Mama würde mich strafend ansehen, sie sagt immer, Freundlichkeit sollte die Standardausstattung eines Menschen sein.

»Danach sieht es aber nicht aus.«

Ruckartig drehe ich mich um, genervt von diesem Mädchen, das nicht begreift, dass sie verschwinden soll. Ich will allein sein, ich will niemanden hier haben, der mich anstarrt und mich mit Fragen löchert. Das tun sie alle genug, und ich habe es satt. Es ist nicht so, dass ich das Rampenlicht hasse … Wobei … doch. Genauso ist es. Ich liebe den Sport, will hoch hinaus, ich glaube, es kann nie hoch genug sein. Nur außerhalb der Eisfläche will ich keine Blicke auf mir, keine Leute, die mir Fragen stellen oder etwas von mir wollen.

Ich halte inne. Das Mädchen mit den offenen, blonden Haaren sieht jünger aus als ich, aber nicht viel.

»Ich finde meinen Glücksbringer nicht«, höre ich mich sagen, was untypisch für mich ist. Trotzdem, sie kann nichts dafür und Mama hat recht: Freundlichkeit sollte selbstverständlich sein.

Ein mitleidiger Ausdruck legt sich auf ihr Gesicht. Schlagartig hellt es sich jedoch wieder auf. Sie legt ihren pinken viel zu großen Glitzerrucksack auf den Boden, hockt sich hin, öffnet ihn und wühlt darin herum. Sekunden später hält sie triumphierend einen kleinen Stoffpinguin in die Höhe. Ich starre sie nur an.

Sie steht auf, kommt auf mich zu und drückt ihn mir in die Hand. »Du kannst meinen Glücksbringer haben.«

»Brauchst du den nicht selbst?«, frage ich verwirrt. Warum sollte sie so etwas Nettes für jemanden tun, den sie nicht kennt? Vielleicht hat ihre Mutter auch gesagt, sie soll allen Freundlichkeit entgegenbringen. Aber das geht über Freundlichkeit hinaus, das ist diese Art von Güte, die leise ist, kein Aufsehen erregt und trotzdem lange nachhallt.

Lächelnd blickt sie mich an. »Nein.« Das ist alles, was sie sagt, bevor sie sich umdreht, ihren Rucksack schultert und verschwindet, als wäre sie nie da gewesen. Sie lässt mich mit ihrem Pinguin in der Umkleide zurück und ich atme tief durch.

Ich blicke auf das Stofftier und meine Mundwinkel heben sich. Vielleicht hat sie etwas von ihrem Glück hineingesteckt.

***

Die ersten Töne von The Phantom of the Opera erklingen in der Halle, ein dunkles, dramatisches Crescendo, das die Luft auflädt. Mein Blick wandert zur Eisfläche, die Scheinwerfer beleuchten ein Paar. Ich weiß nicht, wer sie sind – ich habe nicht aufgepasst.

Doch bei genauerem Hinsehen erkenne ich sie. Das Pinguinmädchen. Sie gleitet über das Eis, als würde sie nicht einmal den Boden berühren. Ihr Partner hebt sie an, keine große Hebung, aber sie streckt sich in die Höhe, die Arme erhoben. Die Lichter in der Halle spiegeln sich in ihren Augen. Er dreht sich mit ihr, setzt sie ab und sie gleitet direkt weiter. Unglaubliches Talent – das ist das Erste, was mir durch den Kopf schießt. Das Zweite: Wer ist sie?

Für einen Moment stolpert mein Herz. Nicht viele schaffen es, mich mit ihrem Lauf zu erreichen. Sie wird es weit bringen, mit oder ohne ihren Partner.

Ein unsanfter Stoß in die Seite reißt mich aus meiner Trance. Aurora. Sie funkelt mich mit ihren hellen Augen an, als hätte ich etwas verbrochen. Das mache ich ständig, wenn es nach ihr geht. Ich konzentriere mich nicht, ich hebe sie nicht hoch genug, ich bin nicht schnell genug, ich schenke ihr nicht genug Aufmerksamkeit, ich benehme mich, als wäre sie mir egal. Sie findet immer, wirklich IMMER, etwas, das ich nicht richtig mache oder das ihr nicht passt. Ich frage mich, ob ich einfach generell ein Fehler bin.

Ein einziges Mal habe ich sie gefragt, warum sie sich nicht einen anderen Partner sucht. Ihre Antwort?

»Du bist nicht perfekt, aber du bist formbar und die beste Option.«

Die beste Option. Richtig herzerwärmend.

1Gefriertruhe vermeiden

Julie – Jetzt

Eis unter meinen Kufen, Look What You Made Me Do von Taylor Swift zum Aufwärmen, weil Taylor einfach immer geht.

Die Augen meiner Trainerin liegen auf mir, ich spüre sie wie zwei heiße Stücke Kohle auf der Haut. Ihre Blicke tun das ständig. Mich verbrennen, obwohl sie eigentlich eiskalt sind.

Eine sanfte Berührung auf meinem Oberarm, ich hebe den Kopf nur, um in Lorenz’ warme braune Augen zu schauen. Ein paar Strähnen seiner schwarzen Haare hängen ihm in die Stirn, die Röte seiner Wangen kontrastiert mit der Blässe seiner Haut.

Ich ziehe einen Kopfhörer heraus und er lächelt mich breit an. In letzter Zeit taucht er manchmal später auf oder sagt sogar ganz ab. Eigentlich passt das nicht zu ihm. Seit über sieben Jahren sind wir Partner und in all der Zeit war er der verlässlichste Mensch überhaupt, wenn es um unsere Karriere ging. Privat ist das noch mal etwas anderes. Da gehört er zu denen, die grundsätzlich eine Stunde zu spät kommen, weshalb ich ihm sowieso eine frühere Uhrzeit nenne, um nicht ewig auf ihn zu warten.

Vielleicht ist Tatiana deshalb noch angespannter. Sie begleitet mich, seit ich acht bin. Als ich elf war, wurde sie zu meiner Haupttrainerin – in dem Jahr, in dem ich beschlossen habe, vom Einzellauf in den Paarlauf zu wechseln. In ihren Augen darf nie auch nur ein Training ausfallen, sonst geht die Welt unter. Oder schlimmer: Wir versagen. Und wenn ich ehrlich bin, verstehe ich sie. Wir haben gute Chancen, die österreichische Meisterschaft erneut zu gewinnen, und das ist nur ein Teil des großen Ganzen. Wir peilen die Weltmeisterschaft an, den wichtigsten Wettkampf vor Olympia. Dort geht es um die Quotenplätze für die Spiele in Mailand. Die Plätze gehen an das Land, nicht automatisch an uns. Um nominiert zu werden, müssen wir beweisen, dass wir die Besten sind. Und bisher waren wir das. Aber im Spitzensport zählt nicht, was war, sondern was man als Nächstes zeigt. Kein Ergebnis von gestern schützt dich davor, morgen aussortiert zu werden. Wir müssen es uns jeden Tag neu verdienen.

In den vergangenen Jahren haben wir uns Schritt für Schritt nach oben gearbeitet: Der erste Sieg bei den Junioren-Weltmeisterschaften, das EM-Podium, zuletzt unser Grand-Prix-Finale.

Jetzt mit 19 und 20 Jahren, stehen wir an einem entscheidenden Punkt. Die neue Saison hat offiziell im Juli begonnen, aber das war vor allem Vorbereitungszeit. Richtig los geht es im Herbst, mit den ersten wichtigen Wettkämpfen. Jede Platzierung zählt und fließt in die Entscheidungen des Verbands ein. Wer früh überzeugt, verschafft sich Spielraum und Planungssicherheit. Genau das ist unser Ziel.

»Tut mir leid, ich hab noch mit meiner Mama gefacetimed«, sagt Lorenz entschuldigend. »Sie ist wieder krank.«

Ich mustere ihn besorgt. »Vielleicht sollte sie sich mal durchchecken lassen.« In den letzten Monaten kam das oft vor.

Er verdreht die Augen. »Wem sagst du das. Aber sie meint, sie hat keine Zeit dafür, sie ist einfach eine sture Frau.«

»Immerhin wissen wir, von wem du deine Sturheit hast«, erwidere ich sarkastisch. Lorenz muss immer mit dem Kopf durch die Wand. Wir hören seine Musik im Auto. Essen in Restaurants, die er aussucht. Bei den Kostümen zählt, dass sie ihm gefallen – und natürlich Tatiana. Solange wir nicht in einem Kartoffelsack auftreten, ist mir egal, was wir tragen.

Lorenz grinst schelmisch. »Tatiana hat gesagt, wenn ich noch einmal auch nur eine Minute zu spät komme, steckt sie mich in ihre Gefriertruhe und ehrlich, ich glaube ihr aufs Wort.«

Ich lache leise und weiß im selben Moment, es war ein Fehler.

Regel Nummer eins: Kein Gequatsche auf dem Eis.

Regel Nummer zwei: Kein Lachen auf dem Eis.

»Wenn ihr Zeit zum Gackern und Quasseln habt, habt ihr auch Zeit für fünf saubere Dreifach-Toeloops, nacheinander, ohne Ausrede!«, schallt Tatianas Stimme über das Eis. »Und danach kommt ihr zu mir!«

Lorenz und ich werfen uns einen vielsagenden Blick zu, bevor wir wortlos umdrehen. Ich stoße mich ab und gleite zur langen Seite der Eisfläche, wo wir Sprünge üben.

Der erste Toeloop sitzt, auch wenn meine Hüfte beim Ausdrehen leicht nach außen zieht. Der zweite ist enger, präziser. Mein Blick bleibt konzentriert nach vorn gerichtet, mein Oberkörper hält die Linie. Beim dritten Absprung, Spannung, Rotation. Alles greift ineinander. Ich lande weich, mein Knie federt minimal. Nummer vier kommt etwas flach, ich verliere ein wenig Höhe, doch ziehe die Landung sauber durch. Noch einmal tief durchatmen. Der letzte. Alles ausblenden. Kante setzen, Druck aufbauen, abstoßen, drehen. Ich komme tief und ruhig auf, gleite aus, lasse die Arme sinken und richte mich auf. Meine Oberschenkel brennen wie Feuer, aber ich halte die Schultern aufrecht, als wäre es nichts. Atmen wird überbewertet.

Lorenz kommt neben mir zum Stehen und hebt die Augenbrauen. »Ich hätte schwören können, du stolperst.«

»Dein Vertrauen in mich ist wirklich bewegend«, sage ich trocken.

Er grinst. Tatiana räuspert sich bedeutungsvoll am Rand der Eisfläche.

Ich werfe ihm einen Seitenblick zu, tue so, als würde ich mich an der Nase kratzen, damit sie die Lippenbewegungen nicht sieht. »Sag mal, wie groß ist ihre Gefriertruhe eigentlich?«

»Groß genug«, murmelt er. »Falls sie mich hineinsteckt, sag meiner Familie, ich habe sie geliebt.«

An der Bande bleiben wir stehen. Tatianas Augen richten sich erst auf mich, anschließend auf meinen Partner.

»Bist du sicher, dass du hier bist, um zu trainieren?«, fragt sie ihn schneidend. »Oder hast du dich doch entschieden, eine Karriere als Geschichtenerzähler einzuschlagen?«

»Sorry, Tatiana.«

»Wenn ich heute auch nur eine Unkonzentriertheit sehe, bleibt ihr länger. Wir steigen gleich ins Kurzprogramm ein – komplett, mit Musik. Danach wiederholen wir die Hebung aus der zweiten Hälfte.«

Lorenz und ich nicken brav, das ist uns in Fleisch und Blut übergegangen, wie zwei folgsame Soldaten. Sobald wir uns von unserer Trainerin wegdrehen und übers Eis gleiten, schnaubt er leise. Er war immer rebellischer als ich.

»Falls ich jemals ein Buch schreibe, ist sie die Inspiration für die Bösewichtin«, brummt er. Ich presse die Lippen zusammen, um ein Lachen zu unterdrücken. »Ich schwöre, sie hat Adleraugen. Sie sieht aus zehn Metern Entfernung, ob dein linker Fuß genau im richtigen Winkel ist.«

Meine Mundwinkel heben sich, sofort schüttle ich den Kopf. Fokus. Training überleben, nicht über die Kühltruhe nachdenken.

***

Frisch geduscht trete ich mit der Sporttasche über der Schulter aus dem Trainingszentrum in Glitz. Kühle Klimaluft weicht der heißen Augustluft und die Sonne brennt auf mich hinunter. Aufgewachsen bin ich in Ischgl, eine Ortschaft weiter. Vor fast zwei Jahren bin ich gemeinsam mit meiner Cousine und ihrem besten Freund in eine WG nach Glitz gezogen, das ebenfalls ein Tourimagnet ist – vor allem im Winter.

Ich schiebe mir die Sonnenbrille auf die Nase. Neben dem Eingang dringt das Summen von Gesprächen aus dem Café zu mir, die Tische draußen sind gut besetzt. Am liebsten würde ich mir kalten Eistee holen.

»Julie!«, ruft Lorenz hinter mir und ich drehe mich um.

Grinsend kommt er näher und zieht mich mit einem Arm an sich. »Hast du Lust auf einen Abstecher zum See?«

Ich überlege eine halbe Sekunde, dann zucke ich mit den Schultern. »Nur wenn du dich nicht wieder auf mich stürzt. Schließlich wäre ich fast ertrunken.« Ich bin nicht fast ertrunken, aber das Wasser kam mir aus der Nase, und das war supereklig.

Lorenz lacht und lässt mich los. »Okay, okay. Ich verspreche hoch und heilig, dich nicht zu ertränken.«

»Ich gebe den anderen Bescheid und sie sollen Eistee mitnehmen. Willst du auch was?« Ich ziehe das Handy aus der Tasche und schreibe in die WG-Gruppe.

»Oder wir holen uns schnell einen? Ich meine, Prioritäten und so?«

Mit zwei eisgekühlten Eistees in der Hand brechen wir zum See auf. Schon bei dem Gedanken an das kühle Blau vor uns werden meine Schritte leichter. Unsere Badesachen stecken bereits in den Sporttaschen, denn im Sommer landen wir nach dem Training oft im Wasser. Es bringt uns ein kleines Stück Normalität zurück.

2Eine Unendlichkeit entfernt

Julie

Nach der heutigen Einheit bin ich umso glücklicher, dass ich nicht kochen muss. Tatiana hat mich die letzten drei Tage leiden lassen, weil Lorenz das Training abgesagt hat, als wäre ich dafür verantwortlich. Als hätte ich ihn gefesselt, in meine Wohnung gekettet und davon abgehalten, auf dem Eis zu erscheinen.

Ich habe ihr erklärt, dass er zu seiner Mutter gefahren ist, die drei Stunden mit dem Zug entfernt lebt. Er hat es unserer Trainerin sogar über WhatsApp selbst geschrieben, aber natürlich hat das nichts geändert. Ihre anschuldigenden Blicke haben mich verfolgt, und die Härte ihrer Worte noch mehr. Ihre Stimme hallt mir weiterhin in den Ohren, während ich meinen Wohnungsschlüssel in die Tonschale der Garderobe lege.

»Spannung, Kontrolle, Körperspannung!« Die Worte könnten eins zu eins in irgendeinen Pop-Techno-Remix geschnitten werden. »Noch mal! Nein, noch mal! Du kannst das besser, also zeig es mir!«

Meine Beine brennen, die Arme fühlen sich an wie Wackelpudding. Mein ganzer Körper, um ehrlich zu sein.

Ein köstlicher Duft schlägt mir entgegen und Unendlichkeit von Cro erklingt aus der Küche. Benji steht am Herd und rührt in einem Topf. Hannah und er sind unsere unangefochtenen WG-Köche – ein Titel, um den ich mich nie beworben habe, da ich nicht gerade für meine Kochkünste bekannt bin. Es war mir immer zu hart, es überhaupt zu versuchen. Beim Training wird schon genug von mir verlangt, da brauche ich nicht noch einen zweiten Bereich, der meinen Kopf zum Qualmen bringt und im schlimmsten Fall die Wohnung gleich mit. Hätte ich mich mehr damit beschäftigt, würde ich vielleicht zumindest essbare Spaghetti mit Tomatensauce hinbekommen. Ich bin zwar die ehrgeizigste Person, die es gibt (laut Papa), aber beim Kochen verabschiedet sich mein Ehrgeiz schneller als mein Handy-Akku bei drei Prozent. Superman hat Kryptonit, ich das Kochen.

»Hey!«, rufe ich und schlüpfe aus den Turnschuhen.

Benji dreht sich mit einem breiten Grinsen um, das in Rekordgeschwindigkeit verschwindet, stattdessen runzelt er die Stirn. »Was ist denn mit dir passiert?«

»Äh … warum?« Ich sehe an mir hinab. Nichts Auffälliges, alles sieht normal aus. Shorts, so gut wie gar keine gebräunte Sommerhaut, weil ich die meiste Zeit im Trainingszentrum verbringe, und ein Crop-Top.

Er lässt seinen heiligen Herd allein, legt die Hand an meinen Arm und tippt leicht mit dem Finger auf die Schulter. »Das sieht echt übel aus.«

Ich verdrehe die Augen und schiebe seinen Zeigefinger von den blauen Flecken. »Du verbesserst dich nicht, wenn du nicht fällst. Solltest du am besten wissen.« Immerhin ist er selbst Profisportler. Snowboarder, wie meine Cousine Hannah. Manche Dinge gelten sportartenübergreifend.

Ohne auf eine weitere Bemerkung zu warten, gehe ich in mein Zimmer, lege die Sporttasche auf den Schreibtischstuhl und lasse mich aufs Bett fallen, umgeben von Kuscheltieren. Mein Blick schweift zum Regal neben dem Schreibtisch, wo Medaillen und Trophäen glänzen. Auf der anderen Seite hängt die Pinnwand, übersät mit ausgedruckten Konzerttickets. Erinnerungen an Musik, Adrenalin und Heiserkeit am nächsten Morgen, weil ich zu den Personen gehöre, die Songtexte laut mitsingen. Fast alle davon habe ich mit Hannah besucht. Nur einmal hat es nicht geklappt, da einer ihrer Wettbewerbe auf denselben Tag fiel. Stattdessen war ich mit meiner Mama dort.

Ich könnte ewig in diesen Momenten leben. In der Euphorie, wenn ich es schaffe, Tickets zu ergattern. Im endlosen Brainstorming, was wir anziehen, wie wir uns schminken, welche Frisuren wir ausprobieren. Pinterest-Wände voller Inspiration. Abende, an denen wir Friendship-Bracelets basteln oder Songtexte auswendig lernen, als ginge es um eine wichtige Prüfung.

Es ist in Ordnung, dass mein Herz nicht nur aus Eiskunstlauf besteht, auch wenn es mir manchmal nicht so vorkommt. In solchen Momenten fühle ich mich wieder wie die schlechteste Eiskunstläuferin aller Zeiten, weil Tatiana behauptet, wahre Athletinnen hätten nichts anderes im Kopf als ihren Sport. Kein Platz für Ablenkungen, keine Zeit für Nebensächlichkeiten wie Freundschaftsarmbänder oder Konzertoutfits.

»Du musst essen, schlafen und atmen wie eine Gewinnerin, sonst wirst du nie eine sein.« Ihr Standardsatz, seit ich dreizehn bin. Einer, den sie mit eiskalter Präzision in meinen Kopf gehämmert hat.

Ich seufze und ziehe mir einen Kuschelhasen an die Brust. Ich liebe den Eiskunstlauf. Wirklich. Es ist mein Leben und daran besteht kein Zweifel. Ich liebe das Gefühl, wenn eine Kür perfekt aufgeht, wenn die Musik durch meine Bewegungen lebendig wird.

Aber Tatiana hat es immer klingen lassen, als könnte Eiskunstlauf nur ohne andere Leidenschaften existieren. Ich bin der Beweis, dass das nicht stimmt, auch wenn sie davon nichts hält. Es gibt wenig … okay, eigentlich so gut wie nichts, bei dem ich mich ihr widersetzt habe. Nur bei dieser einen Sache: Ich habe meine Freizeit so weit wie möglich selbst in der Hand. Sie ist zwar meine Trainerin, aber wie ich meine freien Tage verbringe, entscheide ich allein.

Benji ruft zum Essen und als ich die Tür hinter mir schließe, kommen Hannah und Espen aus ihrem Zimmer.

»Seit wann ist er denn da?«, frage ich und betrachte ihn skeptisch, weil er irgendwie immer auftaucht, als gäbe es in dem Zimmer meine Cousine ein Portal, das ihn direkt hierher befördert. Ich wechsle absichtlich ins Englische, damit er mich versteht, er kommt schließlich aus Norwegen. Espen lernt Deutsch und wir helfen ihm dabei, aber dank Benji bestehen seine bisherigen Sprachkenntnisse hauptsächlich aus Schimpfwörtern und völlig unnützem Quatsch.

»Er hat seine wunderschöne Freundin überrascht«, erwidert Espen grinsend und versucht nicht mal, zu verbergen, wie stolz er auf sich ist. Ich finde es süß, doch das würde ich nie im Leben laut zugeben.

Genervt schnaube ich. »Musst du eigentlich in jedem Satz erwähnen, wie schön Hannah ist?«

Sie lacht auf. »Ja, muss er. Ich will das den ganzen Tag lang hören.« Streng funkelt sie mich an. »Mach mir das nicht kaputt.«

»Sie zwingt mich«, flüstert Espen hinter ihrem Rücken, absichtlich so laut, dass es sogar Benji in der Küche hört, die wir in diesem Moment betreten.

Das Fenster steht sperrangelweit offen, warme Sommerluft strömt hinein, und es duftet nach … Basilikum? Rosmarin? Oregano? Vielleicht auch nach etwas ganz anderem, keine Ahnung, ich erkenne so was nur, wenn es auf der Packung steht.

Ich werfe Espen einen vielsagenden Blick zu. »Als könnte man dich zu etwas zwingen.«

»Hannah schon.« Er lächelt sie an.

Ich lasse mich auf einen Stuhl sinken und kann nicht anders, als zu lächeln. So sehr ich die beiden – vor allem Espen – auch aufziehe, bin ich glücklich, wenn Hannah es ist. Weder Benji noch ich hätten je damit gerechnet, dass sie ein Paar werden, nachdem sie eine Fake-Beziehung eingegangen sind und meine Cousine ihn für den arrogantesten Snowboarder überhaupt gehalten hat. Irgendwie hat das Leben immer andere Pläne als wir. Und in wen wir uns verlieben, können wir uns schon dreimal nicht aussuchen.

»Ich finde ja, es gibt Schlimmeres, als ständig zu hören, dass man schön ist«, sagt Benji grinsend.

»Natürlich, wer hört das nicht gern.« Ich deute auf Espen. »Aber der hier ist quasi eine wandelnde Hannah-Werbung. Fehlt nur noch ein Ich-liebe-Hannah-Shirt.«

Espen zuckt mit den Schultern und holt sich eine gekühlte Limonade aus dem Kühlschrank. »Das wäre die Wahrheit.«

Benji schüttelt den Kopf und schaltet den Herd ab. »Schon witzig. Früher hätten wir gewettet, Hannah schubst ihn vom Berg runter und jetzt steht er hier und redet von ihr, als würde er sie in Stein meißeln lassen.«

Espen lächelt und küsst Hannah mitten in unserer Küche. Ich wende mich ab und Benji verteilt das Essen auf die Teller.

Es gibt Penne all’Arrabbiata und in diesem Moment wünschte ich, ich wäre wirklich in Italien. Weit weg von Tatiana, von dem Druck, der gerade zwar noch nicht ganz präsent ist, aber sich schon leicht auf mein Herz gelegt hat. Einfach nur ich, ein Glas Wein, das laut Tatiana meine Karriere zerstört, und der Sonnenuntergang. Doch dann denke ich an meine Ziele und schiebe den Gedanken schnell fort. So, als würde er sich sonst in meinen Geist einpflanzen und mich vergiften. Jetzt ist nicht die Zeit für Urlaub. Laut ihr ist nie Zeit für Urlaub.

Es gab eine Phase, da habe ich Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge geliebt, unendlich geliebt. Ich wollte jeden Morgen sehen, wie der Tag beginnt, und jeden Abend dabei sein, wenn er sich hinter den Bergen verabschiedet. Irgendwann habe ich damit aufgehört, weil alles zu schnell wurde und mir kaum Zeit blieb. Ein Tag ist grundsätzlich immer zu kurz, manche haben gefühlt nicht mal vierundzwanzig Stunden.

Gerade als ich mir eine Penne in den Mund schiebe, vibriert mein Handy in der Hosentasche. Ich ziehe es halb heraus. Lorenz hat mir geschrieben, dass er unten vor dem Haus wartet.

Ich runzle die Stirn. Warum klingelt er nicht einfach? Lorenz klingelt immer. Er hat in all den Jahren nie geschrieben, dass er vor dem Haus wartet, egal, wie spontan der Besuch war oder wie spät er kam. Einmal hat er um halb vier morgens geklingelt, weil er eine Choreo-Idee hatte, die seiner Meinung nach auf keinen Fall bis zum Frühstück warten konnte.

»Alles okay?«, fragt Hannah und mustert mich von der Seite.

»Ja, aber ich muss kurz runter, Lorenz hat mir geschrieben, dass er da ist.«

Eine Falte bildet sich auf ihrer Stirn, sie fragt sich bestimmt auch, warum er nicht einfach hochkommt. Drei Augenpaare folgen mir, als ich die Küche verlasse. Im Hausflur öffne ich die Tür, die direkt ins Freie führt.

Unten an der Treppe wartet Lorenz. Seine schwarzen Haare sind grundsätzlich immer durcheinander, doch gerade sehen sie aus, als hätte er sich einmal zu oft mit der Hand hindurchgefahren. Er dreht den Kopf und lächelt, aber irgendwie wirkt es gezwungen.

Mit einem komischen Bauchgefühl laufe ich in Socken hinunter. »Wolltest du nicht erst morgen zurückkommen?«

»Ja, eigentlich schon.« Nervös fährt er sich durchs Haar, was meine Annahme bestätigt, und ich weiß sofort, dass etwas nicht stimmt.

Ein kalter Schauder läuft mir über den Rücken, wie eine dunkle Vorahnung, um die ich nicht gebeten habe. Ich kenne ihn mindestens genauso gut wie mich selbst und das gilt auch umgekehrt. Wir spüren, wenn es dem anderen nicht gut geht, wissen, was der andere braucht. Wir sind so gut aufeinander abgestimmt, wie es nur geht. Ich habe miterlebt, wie er sich das erste Mal verliebt hat, er hat miterlebt, wie ich mich das erste Mal verliebt habe. Ich habe seinen ersten Liebeskummer mitbekommen, und er hat mich getröstet, als mein vierzehnjähriges Ich von Marco das Herz gebrochen bekam, weil er mir sagte, dass er jetzt mit Stefanie zusammen ist. Allein schon, dass er mir nur einen Zettel mit Wmmg (Willst du mit mir gehen) zugesteckt hat, hätte mir zeigen müssen, dass er nicht meine große Liebe ist. Lorenz hat Marco daraufhin sein Rad gestohlen und es erst ein Monat später zurückgestellt, auch wenn er bis heute behauptet, er wisse nichts davon.

Lorenz hat mich eingeschlossen in der Toilettenkabine gefunden, weil ich mitten im Training zum ersten Mal meine Periode bekommen habe. Er hat es nicht behandelt wie einige der Jungs in meiner Klasse, die sich über eine Mitschülerin lustig gemacht haben, weil ihre Hose rot war. Stattdessen hat er nur gesagt: »Warte, ich bin gleich wieder da.« Und das war er. Er hat an die Tür geklopft, meinen Namen geflüstert und mir Binden gereicht, die er von einer der älteren Läuferinnen hatte.

Ich war für ihn da, als er seine restliche Familie vermisste, weil er zusammen mit seiner Mama für unsere Partnerschaft hierhergezogen ist. Ich habe ihm geholfen, sich einzuleben, habe ihn zu meinen Eltern zum Abendessen mitgenommen, ihm meine Lieblingsorte gezeigt und manchmal einfach still neben ihm gesessen, wenn er Heimweh hatte.

Deshalb weiß ich auch, dass etwas ganz und gar nicht stimmt.

»Was ist los?« Pure, unverfälschte Angst kriecht durch meine Adern. Vielleicht ist seiner Mutter etwas zugestoßen. Aber er würde nicht hier vor mir stehen, wenn das so wäre. Er hätte mich angerufen oder mir eine Nachricht geschickt.

»Meine Mama ist im Krankenhaus …« Mein Herz setzt aus, es geht doch um seine Mutter. »Sie hatte vorgestern einen Autounfall«, sagt er leise und sofort ziehe ich ihn in eine Umarmung. »Verursacht durch einen Schlaganfall.«

»O Gott, das tut mir so leid.«

Lorenz drückt mich so fest, als würde ihm das Kraft schenken und ich möchte glauben, dass es das tut. »Sie ist noch nicht wieder aufgewacht, Julie.« Seine Stimme bricht fast. »Die Ärzte können nichts Genaues sagen. Sie hoffen, aber … es ist unklar.«

Scheiße. Scheiße. Scheiße. Mehr kann ich nicht denken.

»Kann ich irgendetwas tun? Was brauchst du?«

Er holt tief Luft. »Ich kann sie nicht allein lassen, ich muss bei ihr sein.«

Ich versteife mich, obwohl ich es nicht will.

»Es tut mir so leid, Julie.« Seine Hände umfassen sanft mein Gesicht. »Es geht nicht. Ich muss zu meiner Familie. Mama war immer für mich da, hat mich überallhin begleitet, hat so vieles möglich gemacht. Jetzt muss ich dasselbe für sie tun.«

»Natürlich musst du das. Bitte mach dir keine Sorgen um mich. Allein schon, dass du heute extra gekommen bist …«

Er legt die Hände auf meine Schultern, schafft eine Armlänge Abstand und schüttelt den Kopf. »Natürlich. So etwas schreibt man nicht in einer Nachricht. Das ist keine Kleinigkeit.« Nein, das würde er nie. Lorenz ist einer der korrektesten Menschen, die ich kenne. »Ich weiß nicht, wie lange ich ausfallen werde.«

»Das ist egal«, höre ich mich sagen, obwohl mein Herz sich schmerzhaft zusammenzieht und mir die Wörter im Hals brennen. »Deine Mama ist wichtiger.«

Er presst die Lippen aufeinander. »Das bringt unsere ganzen Pläne durcheinander.«

»Ich verstehe das.« Wenn es um meine Mama ginge, würde ich keine Sekunde zögern.

»Ich hasse es, dich im Stich zu lassen«, murmelt Lorenz zerknirscht. Seine Augen glänzen verdächtig. »Aber ich glaube, das Beste für dich ist, wenn du dir einen neuen Partner suchst. Ich weiß nicht, wann Mama wieder aufwacht. Und wenn sie es tut … vielleicht braucht sie dann noch mehr Hilfe als jetzt.«

Das Beste für dich ist, wenn du dir einen neuen Partner suchst. Zwölf Wörter, die sich in mein Herz, meine Seele und alles, was ich bin, bohren. Sie sorgen dafür, dass meine Welt sich in Höchstgeschwindigkeit dreht und wieder abrupt zum Stillstand kommt.

»Ja. Ja. Natürlich. Dann bin ich da«, sage ich wie in Trance. Es ist, als wäre ich da, aber gleichzeitig auch weit weg. Als wäre ich eine Außenstehende, die das alles betrachtet. Ich bin nicht Julie, Lorenz ist nicht mein Partner und meine Welt fällt gerade nicht auseinander. Ganz und gar nicht.

Er drückt meine Schultern und sieht mich eindringlich an. »Hass mich bitte nicht.« Wie könnte ich ihn hassen? Hassen dafür, dass er für seine Mutter da ist? Das beweist wieder, was für ein unglaublich guter Mensch er ist.

»Niemals.« Ich lächle ihn an, obwohl sich nichts in mir nach Lächeln anfühlt. Ich muss das für ihn so angenehm wie möglich machen. Ich will, dass er sich nicht noch zusätzlich belastet fühlt, schon gar nicht meinetwegen. »Möchtest du, dass ich es Tatiana mit dir zusammen sage?«

Ich kann zwar nicht verhindern, dass sie ihn zusammenschreit, aber ihm beistehen und dazwischengehen, bevor sie ihm wortwörtlich den Kopf abreißt.

Lorenz hebt abwehrend die Hand. »Nein, sonst lässt sie es nur an dir aus und ich bin nicht mehr da, um die Hälfte ihres Zorns abzubekommen.«

Vielsagend blicken wir uns an. Wir haben Tatiana nur gemeinsam überlebt. Allein hätte keiner von uns ihrem Druck standgehalten. Sie ist eine der besten Trainerinnen, aber sie ist der Inbegriff von Strenge und Disziplin.

Nachdem wir uns verabschiedet haben, mit dem Versprechen, ihn auf dem Laufenden zu halten und dass er mir Bescheid gibt, sobald es Neuigkeiten über seine Mama gibt, stehe ich da.

Ich stehe da und starre in den Himmel. Meine Augen brennen und heiße Tränen laufen mir die Wangen hinunter. Langsam lasse ich mich auf die unterste Treppenstufe sinken. Alles in mir zieht sich zusammen, wie fest zugeschnürt. Vor Lorenz wollte ich nicht zusammenbrechen. Ich wollte es ihm nicht noch schwerer machen, als es ohnehin ist. Ich bin so egoistisch. Wie kann ich überhaupt weinen, während Lorenz nicht weiß, ob seine Mutter es schafft?

Du bist so egoistisch.

EGOISTIN.

Dieses Wort sollte mir auf die Stirn tätowiert werden, in fetten Buchstaben, sodass jeder Bescheid weiß, was für eine Art Mensch ich bin. Wenn Tatiana mich so sehen könnte … Sie würde mich anschreien, dass ich aufhören soll zu weinen, weil Weinen einen noch nie weitergebracht hat. Ich habe mir abgewöhnt, vor ihr in Tränen auszubrechen. Nicht einmal Freudentränen habe ich mir erlaubt.

Wenn ich allein bin, strömt alles aus mir heraus, wie ein Staudamm, der zwar lange standgehalten hat, aber irgendwann Risse bekommt und bricht. Und ich bin nur so von Rissen durchzogen. All die Pflaster, die ich darüber klebe, bringen rein gar nichts.

Die Wohnungstür fällt ins Schloss. Schritte auf der Treppe nähern sich.

Hannah setzt sich neben mich und mustert mich. »Was ist los?«

Noch bevor ich antworten kann, zieht sie mich an sich. Ich lasse mich seitlich in ihre Arme sinken und weine auf ihre Schulter. Sie sagt kein Wort, streicht mir einfach beruhigend über den Rücken. Das bin nicht ich. Dieser Zusammenbruch bin nicht ich. Ich versuche, solche Dinge in meinem Bett zu tun, ohne Zeugen. Als würde irgendjemand sofort zu Tatiana rennen und ihr von meiner Fehlbarkeit berichten. Bei Hannah lasse ich Schwächen zu. Weil sie immer da war und mich nie verurteilt hat – außer einmal, als ich aus purer Verzweiflung eine Schüssel Haferflocken mit Wasser statt Milch gegessen habe. Sie hat mich mit großen Augen angestarrt, als hätte ich das Fundament der Menschheit erschüttert.

»Julie, ernsthaft? Das ist einfach nur Getreide-Suppe.«

Ich schniefe und es klingt erbärmlich. Meine Würde ist zusammen mit Lorenz verschwunden, hoffentlich taucht sie bis morgen zum Training wieder auf.

»Lorenz und ich … Er hört auf«, kommt es mir über die Lippen und Hannah erstarrt.

»Was soll das heißen, er hört auf?« Ihr Entsetzen strömt aus jeder Pore. Sie ist bereit, für mich zu kämpfen, aber das muss sie nicht, das kann sie nicht.

Ich kämpfe immer.

Ich habe bereits gekämpft, als ich ein Kind war. Gekämpft, um Eislaufen zu können. Ich war erst drei und bin jedes Mal vor dem Fernseher ausgerastet, wenn Eiskunstlauf übertragen wurde, habe auf Socken Pirouetten im Wohnzimmer gedreht, bis mir schwindelig wurde – das weiß ich nur durch Erzählungen. Mit sechs habe ich darum gekämpft, länger auf dem Eis bleiben zu dürfen. Immer nur eine Stunde? Viel zu wenig! Manche Kinder haben geweint, weil sie nach dem Training müde waren, ich habe geweint, weil ich nicht bleiben durfte. Mit acht habe ich darum gekämpft, meinen ersten Axel zu stehen. Elf blaue Flecken, unzählige Stürze und ich wollte trotzdem nicht aufhören. Mit zehn habe ich gekämpft, um ernst genommen zu werden. Mit zwölf habe ich darum gekämpft, mich durchzusetzen. Habe gelernt, die Zähne zusammenzubeißen, zu trainieren, auch wenn alles schmerzte. Ich habe mir eingeredet, dass Tatiana recht hat. Dass Tränen nichts bringen, dass Schwäche nur bedeutet, dass jemand anderes stärker ist. Mit vierzehn habe ich gegen meine eigenen Zweifel gekämpft. Habe mich gefragt, ob ich gut genug bin. Mit sechzehn habe ich gegen jede Enttäuschung gekämpft. Niederlagen hingen an mir wie Schatten, aber ich bin immer weiter gesprungen, immer weiter gefallen und wieder aufgestanden. Mit siebzehn habe ich für meinen Platz an der Spitze gekämpft.

Ich habe nicht nur im Eiskunstlauf gekämpft. Ich habe gegen absurde Schönheitsstandards gekämpft, vor allem in meiner Jugend. Darum, mein Lieblingsessen zu genießen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, nur weil es sehr viele Kalorien hat. Gegen den Blick in den Spiegel, weil ich grundsätzlich immer etwas gefunden habe, das nicht schön genug war. Um meine Stimme, weil ich gemerkt habe, dass Jungs im Unterricht einfach lauter sein durften, ohne dass sie jemand für zickig oder anstrengend hielt. Und gegen das unangenehme Gefühl, wenn ich auf der Straße angehupt oder angestarrt wurde, während andere sagten: »Das ist ja ein Kompliment.«

Ich weiß, ich bin nicht allein. Viele kämpfen. Auf ihre Weise, mit ihren eigenen Hindernissen. Manche tragen schwerer, manche leichter doch wir alle kämpfen.

Aber Hannah kann jetzt genauso wenig für mich kämpfen wie ich, weil es nichts zu kämpfen gibt. Es gibt absolut nichts, das wir dagegen tun können. Und ich glaube, nein, ich weiß, diese Erkenntnis schmerzt zusätzlich.

»Es ist nicht Lorenz’ Schuld«, verteidige ich ihn sofort. »Seine Mama hatte einen Autounfall, verursacht durch einen Schlaganfall. Sie ist noch nicht wieder wach und sie können ihm bisher nicht wirklich viel sagen. Er zieht zurück zu seiner Familie, was vollkommen verständlich ist. Und er weiß nicht, wie lange er ausfällt.« Der letzte Satz verlässt meinen Mund leise, als würde es dadurch weniger wahr sein.

»Scheiße.« Das trifft es auf den Punkt. »Das muss so schlimm für ihn sein. Ich will mir gar nicht vorstellen …«

»Ja, ich mir auch nicht.« Hannah und ich haben beide ein gutes Verhältnis zu unseren Müttern. Sie zu verlieren, oder auch nur der Gedanke daran, dreht mir den Magen um.

Eine Weile sitzen wir einfach da und Hannah hält mich, so wie sie es immer tut, wenn ich es zulasse.

»Was jetzt? Also, wie geht es für dich weiter?«, durchbricht sie die Stille.

Ich schüttle den Kopf und setze mich aufrecht hin. »Ehrlich? Gerade habe ich keine Ahnung. Es ist Anfang August. Spätestens nächstes Jahr im Herbst ist die letzte Chance, sich zu qualifizieren. Und selbst wenn Österreich einen Startplatz bekommt – ich habe keinen Partner. Wenn ich, nur mal so ganz theoretisch, einen finden würde, hätten wir gerade mal ein gutes Jahr Zeit, um uns zu beweisen. Sonst schicken sie ein anderes Paar zu den Olympischen Winterspielen. Es dauert in der Regel mehrere Jahre, bis man wirklich perfekt aufeinander abgestimmt ist, bis man auf dem Niveau der anderen mithalten kann. Es ist also so, dass mein Olympiatraum gerade geplatzt ist.« Ich atme tief durch.

Tatiana, Lorenz und ich, wir hatten einen Plan. Einen Plan, der bisher bestens aufgegangen ist. Auf dem die Olympischen Winterspiele 2026 standen.

»Aber es sollte sich nicht so schmerzhaft anfühlen. Schließlich ist Lorenz derjenige, den es richtig hart getroffen hat.« Der Gedanke, dass ich so empfinde, während er gerade so viel Schlimmeres durchmacht, fühlt sich falsch an. Wie Verrat.

Hannah schüttelt den Kopf und schaut mich eindringlich an. »Natürlich tut das weh, Julie. Lorenz und du, ihr seid … ihr wart die Olympiahoffnung im Paarlauf für Österreich. Ihr seid eines der besten Duos überhaupt. Weltklasseniveau. Du hast dir den Arsch aufgerissen, noch bevor andere wussten, wo sie hinwollen. Genau für das hier. Aber ich weiß, dass du wieder einen tollen Partner finden wirst, und dann seid ihr bei den Winterspielen 2030 dabei.«

2030. Ich möchte kotzen. 2030. Eigentlich ist es eine Zahl, die ja nicht ewig weg ist, aber für mich fühlt es sich so an. Ewig. Weit. Weg. Eine Unendlichkeit entfernt, obwohl es nur fünf Jahre sind.

2

0

3

0

Mein Herz zieht sich zusammen. Die Zahl blinkt in einem aggressiven Rot vor meinem inneren Auge, wird zu meinem persönlichen Albtraum.

3Zwischen Menschen. Leider

Narvik

Ich bringe mein Motorrad zum Stehen, schalte den Motor aus und lasse den Helm am Lenker baumeln. Meine Schwester steht in der Einfahrt und lächelt mich breit an. Sie ist sechzehn, also fünf Jahre jünger als mein Zwillingsbruder und ich.

Nayabs dunkelbraune Locken fallen über ihre Schultern, der rote Lippenstift setzt sich leuchtend von ihrer warmen Haut ab. Ihr Shirt mit der Aufschrift Smash the Patriarchy könnte nicht typischer für sie sein.

»Narvik!« Sie ruft meinen Namen mit der Energie eines Freudenfeuers und sprintet los.

Kaum steige ich ab, schlingt sie ihre Arme um mich. Ich bin kein Umarmungsmensch, aber bei bestimmten Leuten schon. Meine Schwester gehört dazu.

»Wie lief’s?«, fragt sie und wir lösen uns voneinander.

»Na ja, sie hat mich nicht umgebracht, ich würde sagen, das ist ein Erfolg.«

Ihr Lächeln verblasst, prüfend mustert sie mich. »So schlimm?«

Ich hole tief Luft. »Es war wie zu erwarten. Aurora ist alles andere als begeistert, was ich verstehe. Es ist ein Arschloch-Move, aber ich kann das echt nicht mehr.« Ich muss auf mein Herz hören. Auf meinen Verstand. Hätte ich das schon vor Jahren getan, wäre ich gar nicht erst in dieser Scheißsituation. Ich hätte längst eine andere Partnerin, eine, die nicht ständig versucht, mich herunterzuziehen. Aurora war meine zweite Partnerin und da wir in etwa gleichzeitig gewachsen sind, passten wir immer noch. Zumindest physisch. Andere wechselten ihre Partner, wir blieben ein Team und eigentlich war ich froh darüber, niemand Neues kennenlernen zu müssen. Dass wir eine Konstante waren. Aber eben nur eigentlich. Und eigentlich ist niemals genug.

Sanft schaut Nayab mich an, ihre bernsteinfarbenen Augen liegen auf meinem Gesicht. »Es ist kein Arschloch-Move, Narvik. Aurora ist toxisch. Sie hatte immer etwas an dir auszusetzen, und wenn ihr nicht auf dem obersten Podest standet, war es allein deine Schuld. Außerdem hat sie deinen Glücksbringer geklaut, wer macht so was?« Gute Frage. Es ist zwar sieben Jahre her, aber das Filzherz von Oma war mein Glücksbringer und ich dachte, ich hätte es verloren. Stattdessen hat Aurora ihn aus meiner Tasche geklaut und erst zwei Jahre später habe ich es in ihrem Spind gefunden. Ihre Erklärung lautete ungefähr so: Glücksbringer sind kindisch, ich will nicht, dass die Leute sich über uns lustig machen.

Es fühlt sich trotzdem wie ein Arschloch-Move an, auch wenn Nayab recht hat. Aurora hat mich korrigiert, kritisiert, verbessert, aber nie unterstützt. Wenn wir nicht gewonnen haben, war es meine Schuld. Wenn wir Erste wurden, lag es an ihr.

»Außerdem ist sie die ganze Saison raus und wer weiß, wie lange sie braucht, bis sie wieder fit ist. Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um auszusteigen.« Nayab legt eine Hand auf meinen Unterarm. Wenn Aurora sich nicht verletzt hätte – und das nicht einmal auf dem Eis, sondern bei einem Fahrradunfall, bei dem sie sich das Kreuzband gerissen hat –, hätte ich unsere Partnerschaft nicht beendet. Nur noch eineinhalb Jahre bis zu den Olympischen Winterspielen und wir hätten gute Chancen gehabt, einen Startplatz für Norwegen zu ergattern. Auf dem Eis haben wir gut funktioniert. Aber halt eben nur auf dem Eis. Und das reicht mir verdammt noch mal nicht mehr.

Ich erwarte nicht, mit meiner Partnerin befreundet zu sein, doch ich will mich nicht wie der unzulänglichste Mensch überhaupt fühlen, wie ein Klotz am Bein. Als würde sie mir einen Gefallen tun, weil mich sonst niemand als Partner wollen würde.

»Jeder findet dich gruselig, sei froh, dass du mich hast.« Manchmal war ich mir sicher, Aurora hasst mich.

»Komm, lass uns reingehen«, sage ich und setze mich in Bewegung, weil ich nicht länger über sie nachdenken will. Nicht über ihren Ausdruck, als ich ihr gesagt habe, dass ich aussteige. Nicht über ihre hasserfüllten Worte. Nicht über den Blumenstrauß, den sie mir an den Kopf geworfen hat – den hat vermutlich eine ihrer Freundinnen mitgebracht, nicht ich. Und schon gar nicht über die Blicke des Teams auf der Station, als ich ihr Zimmer verlassen habe. Sie haben mich angestarrt, als wäre ich der Unmensch hier, das größte Arschloch überhaupt. Aber so hat es vermutlich auch ausgesehen.

Nayab schiebt die Hände in die Jackentaschen und mustert mich skeptisch. »Du willst freiwillig da rein? Ganz was Neues.«

»Je schneller ich es hinter mich bringe, desto schneller kann ich wieder abhauen.« Ist das falsch? Dass ich immer schon beim Ankommen wieder ans Heimgehen denke?

Nayab grinst. »Du bist echt so unsozial.«

»Ich habe niemals etwas anderes behauptet.« Mit diesen Worten drücke ich auf die Klingel des modernen Hauses, das aussieht, als würde mindestens eine ganze Familie darin wohnen. Doch es ist nur eine Person.

Keine Sekunde später öffnet Arvid. Er ist einer der besten Freunde meines Bruders und Profi-Snowboarder, genau wie sein anderer bester Freund Espen. Sie beide strahlen diese nervige Energie aus, bei der ich am liebsten sofort umdrehen und weglaufen würde.

»Narvik, was für eine Überraschung«, begrüßt mich Arvid mit einem Grinsen und tritt zur Seite, um uns hereinzulassen. »Nayab? Wow, ich erkenne dich gar nicht wieder, bist du im letzten Monat irgendwie gewachsen?«

Sie verdreht die Augen. »Hahaha. Du bist jedes Mal so witzig. Nicht.« Arvid ist zwar viel größer als sie, aber ich überrage ihn um einiges.

Der offene Wohnraum ist voll mit Menschen, weil mein Bruder im Gegensatz zu mir beliebt ist und zu jeder Person so scheißefreundlich ist, dass er selbst mitten in einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt neue Freundschaften schließt. Für mich war das immer schon die Pest. In Wartezimmern habe ich demonstrativ in Zeitschriften geblättert oder aufs Handy gestarrt, damit mich ja niemand anspricht. Mittlerweile braucht es das nicht mehr. Nicht, weil ich gern Smalltalk mit Wildfremden führe, sondern weil ich anscheinend eine Energie ausstrahle, die die meisten Leute auf Abstand hält. Und mein stoischer Gesichtsausdruck trägt bestimmt auch seinen Teil bei.

Da steht er. Laut lachend mit Espen – dessen Haus das hier ist – und irgendeiner Snowboarderin, ich glaube, sie heißt Helga. Mein Bruder selbst lebt in einer Wohnung, die nicht ausreichen würde, um all die Leute unterzubringen. Aber warum sollte ihn das kümmern, wenn er einfach die Häuser anderer mit Menschen vollstopfen kann?

Kaum haben wir unsere Schuhe ausgezogen, stürmt Nayab los, direkt auf Henrik zu. Ich gehe hinter ihr her, weit weniger enthusiastisch. Arvid verdrückt sich zu irgendeiner Gruppe von Leuten, die seine Anwesenheit offensichtlich mehr genießen als ich. Es ist nicht so, dass ich ihn nicht mag, aber wir sind keine wirklichen Freunde. Waren wir nie. Genau wie Espen war er der Freund meines Bruders und ich war halt einfach da. Das Anhängsel von Henrik. Der Zwillingsbruder. Wer hätte auch jemals mit mir befreundet sein wollen, wenn mein Bruder danebensteht, strahlend wie die Sonne, während ich den Gesichtsausdruck eines aufziehenden Gewitters verkörpere?

Nayab schlingt ihre Arme um Henrik und er hebt sie hoch, was sie quietschen lässt. »Gratuliere!« Henrik hat eine Nominierung für irgendeinen Fotografiepreis erhalten, weshalb dieser ganze Zirkus heute stattfindet. Natürlich bin ich stolz auf ihn, auf die Feier könnte ich trotzdem gut verzichten.

»Noch habe ich nicht gewonnen.« Grinsend lässt er Nayab wieder auf den Boden.

Sie hebt einen Finger und bohrt ihm damit in die Brust. »Das wirst du aber. Außerdem ist allein die Nominierung ein Megaerfolg.« Unsere Schwester ist von allem überzeugt, was wir tun. Für sie bin ich der beste Paarläufer der Welt und Henrik der talentierteste Sportfotograf, den dieser Planet je gesehen hat. Nicht, dass ich mich über diesen grenzenlosen Glauben beschweren würde. Jedes Mal, wenn sie so über uns spricht, breitet sich in mir eine Wärme aus, wie ich sie sonst selten spüre.

Ich stelle mich neben Nayab und sie legt einen Arm um mich, den anderen um Henrik. »Ihr habt all das Talent geerbt, also nutzt es, sonst bin ich böse.«

»Hör auf«, erwidert er kopfschüttelnd. »Du bist viel talentierter als wir beide zusammen. Du wirst mal irgendeinen Preis für eine weltbewegende Forschung oder so was gewinnen, während wir nicht mal verstehen, worum es geht.«

Nayab könnte alles machen und werden, was sie will. Sie ist unglaublich intelligent, das wurde mir schon klar, als sie mit ihren acht Jahren komplexe Matheaufgaben gelöst hat, die mich mit Kopfschmerzen zurückgelassen haben.

Sie verdreht die Augen. »Ich würde euch natürlich alles mit einer PowerPoint-Präsentation erklären.«

»Bist du immer noch so auf PowerPoints fixiert?«, fragt Espen belustigt.

Nayab sieht ihn an, als hätte er gefragt, ob Wasser nass ist. »Natürlich?« Sie hat schon als Kind über wirklich alles eine PowerPoint-Präsentation gemacht. Es ist ihre Art, die Welt zu erklären: Warum wir einen Hund brauchen, welches Eis das beste ist, die Vor- und Nachteile von Legosteinen gegenüber Playmobil. Unsere gesamte Familie wurde regelmäßig ins Wohnzimmer beordert, um zuzuhören. Erst wenn sie fertig war, durften (mussten) wir Fragen stellen.

»Erinnert ihr euch noch an die Präsentation, warum wir genau zur Hälfte des Films eine Pause machen sollten?«, fragt Henrik und schaut dabei von Espen zu mir, weil er damals bei uns zu Hause war.

Espen lacht auf. »Wie könnte ich das vergessen? Es war richtig professionell, mit Statistiken und Diagrammen.« Er schaut Nayab an. »Wenn du dich um meine Präsentationen in der Schule gekümmert hättest, wäre ich bestimmt Klassenbester geworden.«

Helga verzieht das Gesicht. »Zur Hälfte des Films eine Pause? Klingt furchtbar, ich hätte wahrscheinlich keine Lust mehr weiterzuschauen.«

»Du brichst sowieso jeden Film nach der Hälfte ab«, erwidert Henrik augenverdrehend.

»Weil alle langweilig sind. Was kann ich dafür?«

Nayabs Mundwinkel zucken, sie ist nicht fertig mit diesem Thema. »Es gibt Studien, die zeigen, dass die Aufmerksamkeit nach der Hälfte nachlässt. Ich wollte euch nur helfen.« Sie visiert Helga mit einem unschuldigen Lächeln an. »Vielleicht solltest du das mal ausprobieren.«

»Ja, Hedda, sonst schaut irgendwann keiner mehr einen Film mit dir«, sinniert Henrik und Hedda schlägt ihm auf die Schulter – offensichtlich heißt sie nicht Helga. Obwohl ich gar nicht so falschlag.

Während sie sich unterhalten, nutze ich die Gelegenheit und schleiche mich davon, mit der Ausrede, etwas zu trinken zu holen. Nayab wirft mir diesen typischen Ich-weiß-was-du-da-gerade-tust-Blick zu.

Ich schnappe mir eine kleine Glasflasche Mineralwasser, drehe den Verschluss ab und lasse meine Augen über den Raum wandern. Alle Sitzplätze sind belegt, also bleibe ich in der Küche stehen, weit genug vom Trubel entfernt, aber nah genug, um nicht komplett unhöflich zu wirken. Ich mochte es noch nie, mich ins Getümmel zu stürzen. Schon als Kind stand ich lieber am Rand, während die anderen in einer vollen Hüpfburg auf einem Fest herumgesprungen sind. Henrik kam mit einer blutenden Nase aus dem Ding und grinste, als wäre es das absolut wert gewesen. Manchmal habe ich mir gewünscht, mehr wie er zu sein. Weniger ernst. Weniger sozial unbeholfen.

Mein Handy vibriert in der Hosentasche. Ich ziehe es heraus und entsperre den Bildschirm. Mein Trainer Steffen hat mir geschrieben.

Steffen: Wie lief es mit Aurora?Ich: War ok.

Ich bin kein Mann der vielen Worte, wenn es ums Nachrichtenschreiben geht. Bevor ich Aurora meine Entscheidung mitgeteilt habe, habe ich alles mit Steffen besprochen. Er hat mir zugehört, genickt und mir seine ehrliche Meinung gesagt, was ich sehr an ihm schätze. Da Aurora für mindestens eine Saison ausfällt, hat er meinen Entschluss verstanden und hilft, alles Weitere in die Wege zu leiten.

Nach einer Zeit der gefühlt ewigen Langeweile schaue ich auf meine Uhr. Ich war eine volle Stunde hier, das muss reichen. Zufrieden stelle ich die leere Flasche auf die Theke und scanne den Raum nach meinem Bruder ab. Er würde mir wieder angepisste Nachrichten schicken, dass ich mich gefälligst verabschieden und nicht einfach davonschleichen soll wie ein Einbrecher.

Allerdings finde ich nur Nayab, die sich mit Hedda und einer anderen Snowboarderin unterhält. Ihr Name fängt mit A an, zumindest da bin ich mir sicher. Namen und ich sind eine Katastrophe, vor allem bei Menschen, die ich nicht oft sehe oder mit denen ich nichts zu tun habe. Es ist echt erschreckend, wie viele Leute ich durch Henrik kenne. Vielleicht sind wir deswegen Zwillinge. Nicht, weil er mich jemals gebraucht hat, sondern weil er mich ausgleicht. Weil er dafür sorgt, dass ich nicht komplett sozial verkümmere, irgendwo in einer abgelegenen Waldhütte lande und meine Lebensmittel ausschließlich online bestelle. Nur theoretisch natürlich, mit dem Eiskunstlaufen wäre das eh nicht machbar. Ohne den Sport hätte Henrik mich vielleicht wirklich in so einer Hütte aufspüren müssen. Mit ein paar Hunden. Und Katzen.

Ich gehe zu der Gruppe und Nayab schaut zu mir auf.

»Wo ist Henrik? Ich muss jetzt gleich los und will nur noch schnell Tschüss sagen.«

»Du musst?«, fragt sie belustigt.

»Sirius braucht seinen Auslauf. Er hatte heute noch viel zu wenig.« Das ist nicht gelogen, nur dass ich das absichtlich so eingeteilt habe, damit ich mich nicht völlig schlecht dabei fühle. Mein Dobermann ist meine beste Ausrede, obwohl es so gesehen nicht einmal eine Ausrede ist.

Seufzend deutet Nayab auf die Treppe. »Er ist mit seinen Freunden nach oben gegangen.«

4Eiswasser auf warme Worte

Julie

Ich habe die Nacht kein Auge zugetan. Stattdessen lag ich im Bett und habe versucht, mich auf Never Have I Ever zu konzentrieren. Ich habe die Serie schon mindestens fünfmal komplett durchgeschaut und sie gehört zu meinen Comfort-Serien.

Meine Hoffnung war, einfach einzuschlafen. Irgendwann so müde zu werden, dass mein Körper nachgibt und ich wenigstens ein paar Stunden Schlaf bekomme.

Normalerweise bringt nichts meinen Ablauf durcheinander. Ich mache mich bettfertig, ziehe meine Skin-Care-Routine durch und liege spätestens um zehn im Bett, damit ich am nächsten Tag voll leistungsfähig bin. Aber mein Kopf hat andere Pläne und spielt mir durchgehend die Unterhaltung mit Lorenz vor.

Die Realität hält mich vom Schlafen ab. Die Realität, dass wir kein Eiskunstlaufpaar mehr sind. Lorenz war meine Stütze. Immer. Er war derjenige, der den Druck mit mir getragen hat, der all das mit mir durchgestanden hat. Wir waren ein Team. Und jetzt bin ich allein und alles drückt. Meine Brust schnürt sich zu, die Gedanken kreisen schneller. Am liebsten würde ich einfach loslaufen. Rennen, bis meine Beine brennen. Den Druck aus mir herauslaufen. Oder gleich aufs Eis, bis all das, was in mir tobt, leiser wird.

Stattdessen bleibe ich liegen, starre auf den Bildschirm meines Laptops. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, loszulaufen und in die Eishalle zu gehen, denn geschlafen habe ich so oder so nicht.

Als mein Handy um vier Uhr morgens klingelt, runzle ich die Stirn. Mein erster Gedanke: Das kann nur ein Versehen sein. Mein zweiter: Tatiana.

Ich taste nach dem Handy auf dem Beistelltisch. Die Helligkeit des Displays trifft mich und ich kneife die Augen zusammen. Der Name meiner Trainerin leuchtet auf. Ignorieren ist keine Option. Tatiana erwartet, dass wir jederzeit erreichbar sind, und würde ich nicht rangehen, wären mir Extra-Trainingsstunden gesichert. Darauf kann ich wirklich verzichten.

Kaum habe ich das Handy am Ohr, legt sie los: »Komm heute eine Stunde früher, wir müssen etwas besprechen.«

Keine Begrüßung, kein Kontext. Nur der Befehl und der kurze hohe Ton, der mir sagt: Sie hat aufgelegt. Wie immer hatte sie diesen Tonfall drauf, der keinen Widerspruch zulässt, und das hat sie erfolgreich unterstrichen, indem sie einfach aufgelegt hat, bevor ich überhaupt zu Wort gekommen bin.

Ich schnaube. Diese Frau ist unglaublich. Eigentlich wäre unser Training heute für 5:30 Uhr angesetzt, aber es ist nicht das erste Mal, dass sie mich spontan früher einbestellt. Und es wird auch nicht das letzte Mal sein.