Familienpoker - Sunil Mann - E-Book

Familienpoker E-Book

Sunil Mann

4,8

Beschreibung

»Finde mich!« Noemis Auftrag ist so absurd, dass Privatdetektiv Vijay Kumar ihn ablehnt. Stattdessen springt er im Cateringservice seiner Freundin Manju ein, als diese einen indisch aussehenden Kellner benötigt. Unverhofft trifft er auf der Party Noemi wieder. Erst jetzt versteht er das Problem des Mädchens: Es will unbedingt wissen, wer seine leiblichen Eltern sind. Was als einfacher Rechercheauftrag beginnt, entwickelt sich zu einer gefährlichen Jagd von Madrid bis ins Berner Oberland - immer auf der Suche nach einem mysteriösen Doktor Grüninger …

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Sunil Mann

Familienpoker

Kriminalroman

© 2013 by GRAFIT Verlag GmbH Chemnitzer Str. 31, 44139 Dortmund Internet: http://www.grafit.de E-Mail: [email protected] Alle Rechte vorbehalten. Umschlagfoto: T.O.P.F. / photocase.com eBook-Produktion: CPI – Clausen & Bosse, Leck eISBN 978-3-89425-976-1

Der Autor

Sunil Mann wurde als Sohn indischer Einwanderer im Berner Oberland geboren. Er ist als Flugbegleiter tätig, ein Job, der ihm genügend Zeit zum Schreiben lässt. Viele seiner Kurzgeschichten wurden ausgezeichnet. Mit seinem Romandebüt Fangschuss, dem ersten Krimi mit Vijay Kumar, gewann er den Zürcher Krimipreis 2010. Seitdem sind mit Lichterfest und Uferwechsel zwei weitere humorvoll-spannende Fälle für den indisch-stämmigen Privatdetektiv erschienen.

www.sunilmann.ch

Für meine Mütter

Prolog

»Wach auf!«, flüsterte ich und richtete mich geräuschlos auf. Ein leises Plätschern hatte mich geweckt, doch als ich jetzt angestrengt in die Dunkelheit der Scheune starrte, war außer dem sanften Rauschen der Tannen kein Laut zu vernehmen. In der Ferne schrie zweimal ein Käuzchen, ansonsten herrschte eine absolute Stille, wie sie nur hier in den Bergen vorkam.

Im Gegensatz zum Vorabend, als der Vollmond die Alp beschienen und der Wind sporadisch das friedliche Bimmeln der Kuhglocken vom Stall herübergeweht hatte, schien die Atmosphäre jetzt mit etwas Bedrohlichem geladen, mit einem geradezu greifbaren Unheil – als Privatdetektiv hatte ich das im Gespür.

Ich startete einen erneuten Weckversuch, als sich aber der Lockenschopf neben mir immer noch nicht regte, öffnete ich den Reißverschluss meines Schlafsacks, streckte den Arm nach Mirandas Schulter aus und rüttelte sie kräftig.

»He! Aufwachen!«, zischte ich eindringlich, worauf sich meine transsexuelle Freundin nur unwillig knurrend in die Wolldecken schmiegte, die sie wie ein Nest um und über sich drapiert hatte, und wenig damenhaft weiterschnarchte.

Wie gewohnt hatte Miranda gestern Abend beim Nachschenken alle Warnungen ignoriert und sich mit selbst gebranntem Enzianschnaps systematisch in ein Koma befördert, aus dem sie aufzuwecken mir wohl nicht ohne Weiteres gelingen würde.

Ich schlüpfte aus dem olivgrünen Militärschlafsack und stellte angewidert fest, dass sein muffiger Geruch, der an verschwitzte Wandersocken und feuchte Kellergewölbe erinnerte, nun an mir klebte. Der Mief der Schweizer Armee.

Wankend erhob ich mich und versank schon beim ersten Schritt bis zu den Waden im Heuhaufen, auf dem wir behelfsmäßig unser Nachtlager errichtet hatten. Ich stapfte um Miranda herum und erkannte im Dunkeln schemenhaft den Schlafsack neben ihr – er war aufgeschlagen und leer. Mein ungutes Gefühl verstärkte sich.

Am Rand des Heustocks schwang ich mich auf die angelehnte Leiter und stieg leise die Sprossen hinunter. Das Scheunentor stand etwas offen, hell schimmernd beschien ein schmaler Streifen Mondlicht die aufeinandergestapelten Strohballen an der Wand. Ich war mir absolut sicher, dass ich das Tor vor dem Zubettgehen geschlossen und den Riegel von innen vorgeschoben hatte.

Jetzt bereute ich, nicht in Jeans und Schuhe geschlüpft zu sein, barfuß und nur mit Boxershorts bekleidet, fühlte ich mich ungeschützt und verwundbar. Ich machte mich daran, die Leiter wieder hochzuklettern, als ich ein Flüstern vernahm. Mit angehaltenem Atem horchte ich genauer hin: Von draußen waren gepresste Stimmen zu hören, knappe Sätze, in verschwörerischem Befehlston geraunt. Instinktiv duckte ich mich, schlich zur Scheunenwand und spähte durch einen Spalt in der Holzwand ins Freie.

Was ich dort sah, versetzte mich in Panik. Das hatte also das Plätschern verursacht, das mich geweckt hatte. Im nächsten Moment stach mir ein durchdringender Geruch in die Nase. Erschrocken wich ich zurück und streifte dabei mit einem Arm die Heugabel, die an der Wand neben mir lehnte. Ich fuhr herum und versuchte, sie festzuhalten – zu spät. Wie gelähmt sah ich das Werkzeug fallen und zog unwillkürlich den Kopf ein, als der Gabelstiel auf den festgetretenen Erdboden knallte.

Draußen verstummten die Stimmen abrupt.

»Hast du das gehört?«, wisperte jemand nach einer Schrecksekunde.

Die Antwort bestand aus einem gleichgültigen Brummen.

»Das ist einer von denen!«

»Und wenn schon«, gab der andere grimmig zurück. »In wenigen Augenblicken spielt das eh keine Rolle mehr.«

Er lachte auf und ein metallisches Klicken ertönte. Auf der Stelle rannte ich los, doch kurz bevor ich die Leiter erreichte, rutschte ich auf einem Büschel Stroh aus und fiel hin. Ein greller Schmerz durchzuckte mein Knie, aber wenn ich soeben wirklich ein Feuerzeug gehört hatte, blieb mir nicht einmal Zeit zu fluchen. Ich biss die Zähne zusammen, rappelte mich auf und hetzte die Sprossen hoch.

»Wach auf!«, schrie ich Miranda ins Ohr und schüttelte sie. »Verdammt, wach auf!«

Schlaftrunken öffnete sie die Lider und setzte zu einer empörten Tirade an, als ein flackernder Schein ihre Gesichtszüge erhellte. Zeitgleich setzte in meinem Rücken ein rasch anschwellendes Prasseln ein.

Mein Blick flog zum Scheunentor. Es brannte bereits lichterloh, auch an der Frontseite des Holzverschlags züngelten Flammen hoch. Gleich würden die ersten Funken auf die gestapelten Strohballen hinter dem Tor hüpfen, von da war es nicht mehr weit bis zum Heuboden.

»Miranda! Schnell!« Ich riss sie am Arm hoch. Das Feuer breitete sich mit rasender Geschwindigkeit aus, das mürbe Holz der alten Scheune wirkte wie Zunder.

Irgendwo splitterte eine Glasscheibe und draußen grölten Männerstimmen. Die sengende Hitze verschlug mir den Atem.

Taumelnd tat meine offenbar immer noch mittelschwer beschwipste Freundin ein paar Schritte, um im nächsten Moment, als sie das Inferno um uns herum erfasst hatte, schrill aufzuschreien.

»Halt bloß die Klappe, deine Enzianfahne jagt hier sonst noch alles in die Luft!«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während ich ohne Rücksicht auf das zerschundene Knie in meine Jeans schlüpfte. Dann zerrte ich Miranda, die wie paralysiert stehen geblieben war, hinter mir her zur Leiter.

»Vijay, wir müssen raus hier! Sofort!«, wimmerte sie.

»Ach, wirklich? Ich wollte zur Feier des Tages gerade ein Barbecue vorschlagen!«

Unsere Widersacher hatten ganze Arbeit geleistet und die Scheune von allen Seiten mit Benzin besprengt. Dunkle Rauchschwaden erschwerten die Sicht und trieben uns Tränen in die Augen.

Nach kurzem Zögern zog ich mein eben übergestreiftes T-Shirt wieder aus, zerriss es und bedeutete Miranda, sich den Stoff vor Mund und Nase zu pressen.

»Du benutzt immer noch Blue Water von Davidoff?«, rief sie fassungslos, doch ich ging nicht darauf ein. Gemeinsam stolperten wir bis zum Rand des Heubodens. Als ich mich nach Miranda umwandte, sah ich sie entsetzt nach Luft schnappen. Was wohl weniger mit meinem Eau de Toilette als mit der undurchdringlichen Feuerwand zu tun hatte, die sich ringsum erhob. Das offene Tor war unsere einzige Fluchtmöglichkeit.

»Komm!«

»Nicht ohne meine Handtasche!« Meinen ungehaltenen Einwand ignorierend, machte sie kehrt.

Fiebrig wartete ich auf Mirandas Rückkehr und schickte sie dann die Leiter hinunter.

Als ich ihr folgte und meinen Fuß auf die erste Sprosse stellte, war von oben ein widerwärtiges Knacken zu vernehmen. Ich blickte zum Dach hoch, das mittlerweile ebenfalls in Flammen stand, und registrierte eine Bewegung im Gebälk. Wie in Zeitlupe verschob sich ein dunkler Umriss hinter dem brodelnden Qualm, begleitet von einem abgrundtiefen, alles durchdringenden Ächzen.

»Pass auf!«, schrie ich Miranda hinterher, doch sie reagierte nicht. Hastig stieg ich ein Stück die Leiter hinab und sprang von der Mitte aus runter. Den gleißenden Schmerz in meinem Knie missachtend, humpelte ich meiner Freundin nach, die auf das Scheunentor zugehastet war. Ich erwischte sie am Handgelenk und riss sie so heftig zurück, dass wir beide zu Boden stürzten. Einen Wimpernschlag später krachte der Dachbalken funkensprühend in die Tiefe und zerbarst genau an der Stelle, wo Miranda eben noch gestanden hatte.

»Kopf runter!«

Massive Holzteile schleuderten durch die Scheune und eine glühende Hitzewelle jagte über uns hinweg. Die Luft war plötzlich erfüllt von einem heulenden Ton.

Wir warteten ab, bis das Getöse etwas abgeflaut war, bevor wir uns vorsichtig aufrichteten. Miranda ergriff sofort meinen Arm und klammerte sich hustend an mich, während ich bestürzt zum Scheunentor starrte: Ein Balkenstück, aus dem Flammen schlugen, blockierte den Ausgang. An ein Durchkommen war nicht zu denken.

Benommen sah ich mich um. Die Scheune hatte sich in null Komma nichts in eine tödliche Feuerhölle verwandelt, und ich wusste nur zu gut, dass es keinen anderen Fluchtweg gab.

Wir saßen in der Falle.

Mittwoch

»Zählen Sie bitte einige Ihrer Stärken auf!«

»Trinkfest, sarkastisch, zeitweise findig.«

»Äh… und Ihre Schwächen?«

»Amrut.«

»Wie bitte?«

»Mein indischer Lieblingswhisky.«

»Oh! Das kommt jetzt etwas… überraschend. Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?«

»Vermutlich wortreich. Und kaum zusammenhängend.«

»Herr Kumar…«

»Nennen Sie mich Vijay.«

»Herr Kumar, weshalb haben Sie sich gerade für eine Stelle in unserer Firma entschieden?«

»Das war Kismat, Schicksal.«

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, nachdem ich meinen beruflichen Werdegang eingegeben hatte, spuckte die Suchmaschine der Internetstellenbörse als einziges Resultat den Namen Ihres Ladens aus.«

»Tatsächlich? Wie bedauerlich.«

»Für mich war das ein Zeichen. Unter uns gesagt: Die geforderten Vorkenntnisse und Fähigkeiten in allen anderen Anzeigen schienen mir doch ziemlich unrealistisch.«

»Weshalb?«

»Weil Leute, die so perfekt ausgebildet und gleichzeitig einsatzfreudig, flexibel, belastbar, kostenbewusst, kommunikativ, zielorientiert und motiviert sind und darüber hinaus auch noch über Durchsetzungsvermögen und Teamfähigkeit verfügen, gar nicht existieren. Und wenn doch, sind sie meiner Erfahrung nach Arschlöcher.«

»…«

»Schwierig im Umgang, wollte ich sagen.«

»Was haben Sie in den letzten fünf Jahren gemacht?«

»Ein Detektivbüro eröffnet und ein paar Fälle gelöst. Davor ein wenig studiert, gereist und im indischen Lebensmittelgeschäft meiner Mutter ausgeholfen.«

»In einer leitenden Position?«

»Sie kennen meine Mutter nicht.«

»Wo sehen Sie sich in Zukunft?«

»Wenn es nach ihr ginge: im Kreis einer kinderreichen Familie.«

»Wieso sollten wir Ihnen die Stelle geben?«

»Ich bin jung und brauche das Geld. Dringend.«

»Haben Sie noch Fragen zum Betrieb oder Ihren Aufgaben?«

»Wann wird der Entscheid denn gefällt? Ich könnte Sie im Verlauf des Nachmittags telefonisch…«

»Bitte nicht! Wir werden uns zu gegebener Zeit bei Ihnen melden.«

Als ich wenig später in die Dienerstrasse einbog, hatte ich das Gefühl, mein erstes Bewerbungsgespräch seit Jahren sei ganz passabel verlaufen.

Ich wünschte einzig, das spontane Besäufnis am Vorabend hätte mein Gehirn nicht zu klebrigem Schlick verwandelt. Wahrscheinlich hätte ich dann die impertinenten Fragen der Personalchefin nicht so sanftmütig pariert. Denn heutzutage waren Kampfroboter auf dem Arbeitsmarkt gefragt– so viel war mir immerhin klar geworden–, keine einfühlsamen Philanthropen.

Ich parkte meinen hellblauen Käfer am Straßenrand und steuerte auf die Eingangstür des schäbigen Wohnblocks zu, in dem sich mein Apartment befand. In genialer Doppelnutzung war in denselben Räumlichkeiten auch mein Detektivbüro untergebracht, was wohl manchen nicht so gesetzestreuen Staatsbürger zu steuertechnischen Spitzfindigkeiten verleitet hätte. Mich leider nicht, denn ich hatte schlicht keine Ahnung, wie so etwas zu bewerkstelligen gewesen wäre.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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