Fantastische Aussichten: Fantasy & Science Fiction bei Knaur #5 - Markus Heitz - kostenlos E-Book

Fantastische Aussichten: Fantasy & Science Fiction bei Knaur #5 E-Book

Markus Heitz

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Beschreibung

Sind Sie bereit, in fremde und fantastische Welten einzutauchen? Auf Sie wartet neuer Mystery-Horror von Markus Heitz, in dem die Heilerin Geneve Cornelius mit einer uralten Familienfehde und unheimlichen Vorfällen in ihrer Heimatstadt Leipzig zu kämpfen hat. Oder reisen Sie mit der Diebin Esta durch die Zeit: In Lisa Maxwells Fortsetzung zu »Der letzte Magier von Manhattan« muss Esta die dunkle Magie eines übermächtigen Magiers brechen und New York vor dem Chaos bewahren. Oder finden Sie heraus, was Leigh Bardugo in ihrem neuen Roman, einer Geschichte über Macht, Privilegien, dunkler Magie und einem Mord abseits des GrishaVerse, für uns bereithält. Diese und weitere fantastische Geschichten finden Sie in der Leseproben-Sammlung zu den Fantasy-Titeln des Knaur-Verlages. Das kostenlose eBook enthält Leseproben zu: - Markus Heitz, »Die Meisterin« - Lisa Maxwell, »Die Diebin des Teufels« - Leigh Bardugo, »Das neunte Haus« - Boris Koch, »Dornenthron« - Katharina V. Haderer, »Der Herrscher des Waldes« - Michael J. Sullivan, »Heldenblut« - Anna Smith Spark, »Der Turm des wiederkehrenden Todes«

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Seitenzahl: 297

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Markus Heitz / Lisa Maxwell / Leigh Bardugo / Boris Koch / Katharina V. Haderer / Michael J. Sullivan / Anna Smith Spark

Fantastische Aussichten: Fantasy & Science Fiction bei Knaur

Ausgewählte Leseproben von Markus Heitz, Lisa Maxwell, Leigh Bardugo u. v. m.

Übersetzung: Heide Franck, Michelle Gyo, Carina Schnell, Kerstin Fricke

Knaur e-books

Über dieses Buch

Sind Sie bereit, in fremde und fantastische Welten einzutauchen? Auf Sie wartet neuer Mystery-Horror von Markus Heitz, in dem die Heilerin Geneve Cornelius mit einer uralten Familienfehde und unheimlichen Vorfällen in ihrer Heimatstadt Leipzig zu kämpfen hat. Oder reisen Sie mit der Diebin Esta durch die Zeit: In Lisa Maxwells Fortsetzung zu »Der letzte Magier von Manhattan« muss Esta die dunkle Magie eines übermächtigen Magiers brechen und New York vor dem Chaos bewahren. Oder finden Sie heraus, was Leigh Bardugo in ihrem neuen Roman, einer Geschichte über Macht, Privilegien, dunkle Magie und einen Mord abseits des GrishaVerse, für uns bereithält.

Inhaltsübersicht

VorwortMarkus HeitzDie MeisterinLisa MaxwellDie Diebin des TeufelsLeigh BardugoDas neunte HausBoris KochDornenthronKatharina V. HadererDer Herrscher des WaldesMichael J. SullivanHeldenblutAnna Smith SparkDer Turm des wiederkehrenden Todes
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Vorwort

»Alles, was an Großem in der Welt geschah, vollzog sich zuerst in der Phantasie des Menschen.«– Astrid Lindgren

 

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

 

wo wären wir heute ohne Fantasie? Ohne Fantasyromane, die uns sicher durch die Dunkelheit bringen? Ohne Science Fiction-Geschichten, die uns zeigen, was alles möglich ist? Wir freuen uns sehr, euch immer wieder neue mitreißende Bücher präsentieren zu können. Auf den folgenden Seiten erhaltet ihr einen ersten exklusiven Einblick in einige unserer Neuerscheinungen. Aber bevor ihr zwischen den Zeilen verschwindet, möchten wir gerne noch einige Zeilen zu jedem Titel verlieren:

Nach dem grandiosen Erfolg von Leigh Bardugo seid ihr sicher schon gespannt auf »Das Neunte Haus«, und es ist nicht zu viel versprochen, wenn wir sagen, dass ihr euch auf ein einmaliges Erlebnis voller Magie gefasst machen könnt.

Magisch wird es auch in »Die Diebin des Teufels«, der lang ersehnten Fortsetzung zu »Der letzte Magier von Manhattan« von Lisa Maxwell. Hier sprechen wir allerdings eine Spoilerwarnung aus: Falls ihr Teil eins noch nicht gelesen habt, solltet ihr die Leseprobe zu Teil zwei lieber erst einmal überspringen.

Ganz spoilerfrei und extrem spannend ist die Leseprobe zum neuen Meisterwerk von Markus Heitz: »Die Meisterin« entführt euch nach London und Leipzig und erzählt die ungewöhnliche Geschichte der Henkerstochter Geneve.

Habt ihr euch schon einmal gefragt, was eigentlich mit dem Königreich passiert, während Dornröschen schläft? Boris Koch erschafft in »Dornenthron« eine düstere Märchenwelt, in die sich nur die Mutigsten trauen sollten.

Ebenso düster schreibt Katharina V. Haderer. Mit »Der Herrscher des Waldes« endet ihre Black-Alchemy-Reihe, und wir versprechen euch, dass Zejn und Mirage ein würdiger Abschluss erwartet.

Da Herbst und Winter sich hervorragend eignen, um in dunkle Geschichten abzutauchen, setzen wir sogar noch zwei obendrauf. Sowohl Michael Sullivans »Heldenblut« als auch Anna Smith Sparks »Der Turm des wiederkehrenden Todes« entführen euch in tiefe Finsternis – aber keine Sorge: Ihr werdet heil zurückkehren. Hoffentlich.

Wenn ihr auf der Suche nach Humor seid, empfehlen wir euch uneingeschränkt »Der Palast im Himmel« von Diana Wynne Jones. Die britische Autorin ist eine Meisterin des Wortwitzes und begeisterte bereits Hunderttausende Menschen mit Klassikern wie »Das wandelnde Schloss«.

Natürlich darf auch in diesem Programm die Science-Fiction nicht fehlen. Die preisgekrönte Autorin N. K. Jemisin setzt mit »Steinerner Himmel« die Geschichte aus »Zerrissene Erde« fort, und Madeleine Puljic stellt in »Zweite Heimat – Die Reise der Celeste« die spannendste Frage der Menschheit: Was passiert, wenn wir nicht alleine sind?

Wir wünschen euch viel Freude beim Entdecken, Staunen und Erleben.

 

Euer Knaur-Fantasy-Team

 

Besucht uns gerne auch auf:

Facebook: facebook.com/KnaurFantasy

Instagram: @knaurfantasy

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Markus Heitz

Die Meisterin

Roman

Das Hörspiel zu »Die Meisterin« ist bei Audible erschienen.

 

Seit Jahrhunderten bemüht sich die Heilerin Geneve Cornelius um Neutralität in der ewigen Fehde ihrer Familie mit der Scharfrichter-Dynastie der Bugattis. Doch dann wird ihr Bruder im Hinterhof eines Londoner Pubs brutal enthauptet. Ein Racheakt, der den uralten Zwist zwischen den Scharfrichter-Familien Bugatti und Cornelius anfachen soll – so scheint es zumindest.

Denn zur gleichen Zeit häufen sich in Geneves Heimatstadt Leipzig unheimliche Vorfälle. Die Anderswelt mit ihren mystischen Kreaturen ist in Aufruhr. Die unsterbliche Heilerin ahnt, dass ihr eine Entscheidung bevorsteht: Behält sie ihre Neutralität bei, oder nimmt sie gegen all ihre Überzeugungen den Kampf gegen die unbekannte Bedrohung auf und findet dabei vielleicht den Tod?

Kapitel I

Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen.

Eine Geschichte, die Sie so noch nicht hörten.

Sollten Sie bislang keine Angst vor der Dunkelheit haben, die mehr ist als Schwärze in der Nacht oder das bloße Fehlen von Licht, wird sich das ändern.

Und wenn Sie glaubten, Sie seien schreckhaft, wird Ihre Furcht eine Steigerung erfahren.

Denn sämtliche Wesen, die Sie aus Horrorfilmen, alten Büchern und Märchen kennen, existieren.

Diese und noch viel mehr Kreaturen.

Sowohl die guten als auch die schlechten.

Verborgen und doch vor Ihren Augen.

Manche wenige Auserwählte kennen und erkennen sie, aber die meisten Menschen in der Moderne sind ahnungslos …

 

Wer ich bin, das erfahren Sie früh genug oder werden es sich ab einem gewissen Punkt der Erzählung denken können.

 

Meine Geschichte beginnt in Deutschland, in der Stadt Leipzig, und noch genauer in Schleußig, einem Stadtteil, in den man als Tourist eher seltener gerät.

Die meisten besuchen das Zentrum mit seinen Gässchen und Höfen, schauen sich Museen und oftmals das Völkerschlachtdenkmal an, lassen weder Auerbachs Keller noch den Steilen Zahn aus, wie das große Hochhaus in der Mitte genannt wird, und erkunden den Zoo.

Dabei ist Leipzig so viel mehr, würde meine Tochter jetzt sagen.

Gut, mir gefällt die Stadt nicht. Aber das liegt daran, dass ich keine guten Erinnerungen an sie habe. Aber das ist eine andere Geschichte.

Nehmen Sie sich ein gutes Getränk Ihrer Wahl, suchen Sie sich einen gemütlichen Platz, mit dem Rücken zur Wand und den Blick auf Türen und Fenster, und folgen Sie meinen Worten.

Sie bringen die Erkenntnis, dass … nein, ich verrate lieber nicht mehr.

Aber achten Sie auf die Schatten in Ihrer Umgebung!

 

Geneve Cornelius blätterte die vollgeschriebene Seite des Notizblocks um, der auf dem antiken Schreibtisch lag, hinter dem sie saß, und warf einen Blick durch das aufgeräumte Behandlungszimmer. Eine Patientin wartete noch, zehn hatte sie bereits an diesem wunderschönen Frühlingstag verarztet.

Es sah anders aus, als man es von einer Expertin für Naturheilkunde erwarten würde. Die Liege für ihre Kunden, die Schränke mit den Milchglasfenstern, in denen die verschiedenen Tinkturen, Salben, Einreibemittel und Arzneien lagerten, die gesamte Einrichtung erinnerte an ein Museum oder schicke Gastwirtschaften, die auf alt getrimmt waren.

Die moderne Wandgestaltung sowie die indirekte Beleuchtung durch seitliche Wandspots wiederum entsprachen den angesagten Trends und brachen das gepflegte Altertümliche und erschufen einen spannenden Kontrast; neben dem Notizblock stand ein Laptop der neusten Generation.

Geneve, eine brünette Frau mit dem Äußeren einer Dreißigjährigen, erhob sich und öffnete die bodentiefen Fenster, um frische Luft hereinzulassen.

Sofort drang das niemals endende Geräusch von fließendem Wasser herein. Die Weiße Elster zog unmittelbar am Haus vorbei, in dem Geneve lebte und ihre Praxis betrieb. Kinderlachen tönte vom benachbarten Spielplatz herüber, Kanus zogen über den träge gleitenden Fluss, die Ruderer folgten den lauten Anweisungen ihrer Trainer. Hunde bellten, es wurde laut gerufen und gelacht.

Geneve lächelte in die Sonnenstrahlen und atmete tief ein. Sie richtete ihre Kleidung, die eine Nummer zu groß und damit sehr bequem war, dann wandte sie sich um, ging zur Tür und drückte die Klinke hinab.

Sie streckte mit freundlichem Gesicht den Kopf hinaus ins Wartezimmer, in dem eine ältere Dame saß und strickte. Ein Babyschühchen. »Was machen die Schmerzen, liebe Frau Tirinack? Haben sie wie versprochen nachgelassen?«

Die Frau, gekleidet in Rentnerbeige mit einem bunten Schal als Accessoire, erhob sich und verstaute dabei Nadeln sowie Wolle in der großen Handtasche. »Ich weiß ja, Sie haben mir das alles erklärt, was in meiner Salbe drin ist. Verstanden habe ich es nicht, aber schauen Sie mal.« Sie streckte die Arme nach vorne aus, ging langsam in die Knie und wieder hoch, runter und hoch, runter und hoch.

Geneve lachte fröhlich und applaudierte. »Das ist ganz großartig, liebe Frau Tirinack!«

»Meine Gelenke tun nicht mehr weh. Keine Spur von Rheuma.« Sie kam auf Geneve zu und kramte aus der Handtasche eine Schachtel Pralinen. »Sie junges Ding essen das bestimmt nicht, weil Sie auf Ihre gute Linie achten. Wollte Ihnen aber unbedingt was mitbringen.«

Geneve nahm das Geschenk entgegen und gab die Tür frei. »Das ist so lieb von Ihnen. Und ich esse alles auf. Versprochen. Das trainiere ich wieder runter. Dauerlauf ist zum Glück eine anstrengende Sache.«

»Waren Sie nicht mehr die Schwimmerin?«

»Das haben Sie sich gut gemerkt. Ich versuche mich jetzt im Halbmarathon. Es muss was Neues her.«

»Dann wünsche ich Ihnen … gute Puste?« Die Frau lachte. »Die Salbe ist so gut wie aufgebraucht. Wenn Sie noch ein Döschen hätten?«

»Ich fülle Ihnen gleich einen Tiegel ab.«

»Tiegel. Du meine Güte! Dass jemand Junges wie Sie so ein Wort überhaupt kennt.« Tirinack betrat das Behandlungszimmer und setzte sich gleich auf die Liege. »Leider habe ich noch etwas, das mein Hausarzt einfach nicht behandelt bekommt.« Sie streifte sich den rechten, flachen Schuh ab, dessen Sohle abgelaufen war. »Der Leberfleck. Der entzündet sich immer.«

»Ich schaue es mir gerne an.« Geneve schloss die Tür und kniete sich vor die alte Dame, zog den hellgrauen Nylonstrumpf behutsam herab.

Darunter kam ein centkleiner Fleck zum Vorschein, der obendrauf verkrustet war. Die seitlichen Ränder waren ausgefranst und unregelmäßig.

»Frau Tirinack. Was soll denn das?« Geneve hob den Blick und richtete das braune und das grüne Auge auf die Patientin, die versuchte, unschuldig zu tun.

»Was meinen Sie denn damit, Frau Cornelius?«

»Jeder Erstsemestler in Medizin erkennt das als möglichen Hautkrebs. Ihr Hausarzt erst recht. Der ist ein guter.« Geneve wandte sich um und zog eine Schublade auf, um ein Pflaster herauszuholen.

»Sie … Sie haben ja recht«, gab Tirinack ihr schlechtes Schauspiel auf und seufzte. »Ich dachte, wenn Sie was gegen Rheuma machen können, dann auch gegen das Geschwür.«

»Wenn ich Krebs heilen könnte, liebe Frau Tirinack, hätte ich den Nobelpreis der Medizin schon lange bekommen.« Geneve nahm das Pflaster und kehrte in die Hocke zurück, klebte es behutsam auf. »Jetzt scheuert es nicht mehr. Und morgen gehen Sie bitte zum Hausarzt und lassen sich eine Überweisung geben. Das sollen sich die Experten anschauen.«

»Die Überweisung habe ich schon«, gab sie zerknirscht zu. »Aber Sie waren meine Hoffnung, Frau Cornelius.«

»Naturheilkunde und altes Wissen vermögen vieles. Aber das«, Geneve deutete auf die Stelle am Fuß, »müssen die Kolleginnen und Kollegen von der konservativen Medizin lösen. Sobald Sie eine weitere Diagnose haben, zaubere ich Ihnen ein Mittel, das unterstützend wirkt.«

»Danke.« Tirinack klang enttäuscht.

»Ich kann leider keine Wunder vollbringen.« Geneve schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. »Sie werden Oma?« Die Frage diente dazu, die alte Dame abzulenken. Mit etwas Schönem.

»Ja. Mein vierter Enkel. Ich freue mich so!«

»Oh, wie schön! Das Leben ist nicht aufzuhalten.« Geneve öffnete einen der Aufbewahrungsschränke und gab in rascher Folge Zutaten in den Mörser, zerstieß sie zu Pulver und rührte es in die neutrale Trägercreme, welche die Haut pflegen würde. »Wie soll er denn heißen?«

»Augustus.«

»Oha. Das ist ein seltener Name.« Geneve füllte die Creme mit einem breiten Spatel in die Plastikschraubdose. »Der Tiegel für Sie, liebe Frau Tirinack. Das sollte für sechs bis acht Wochen reichen. Einmal morgens dünn einreiben, und Sie kommen schmerzfrei durch den Tag. Nachts brauchen Sie sie nicht mehr.«

Die alte Dame legte einen Fünfziger auf den Tisch.

»Nein, lassen Sie mal«, wehrte Geneve ab. »Das schenke ich Ihrem Enkel.«

»Das ist sehr nett!« Sie strahlte mit aufrichtiger Freude über ihr Omagesicht. »Sie sind eigentlich viel zu nett. So verdienen Sie doch nichts. Wenn Sie wegen mir Ihre Praxis schließen müssten, dann …« Sie machte Anstalten, den Fünfziger liegen zu lassen.

»Unterstehen Sie sich! Das geben Sie dem kleinen Augustus von mir.« Geneve schloss den Schrank. »Ich bringe Sie noch zur Tür, Frau Tirinack.«

Die Rentnerin schlüpfte in ihren Schuh. »Dass es solche aufmerksamen jungen Leute wie Sie noch gibt«, sagte sie leise. »Wann haben Sie das alles geschafft, Sie tüchtige Frau?«

»Wie meinen Sie das?«

»Na, die Ausbildung zur Naturheilkunde-Expertin, das Apothekenstudium … sagt man das so?«

»Ähnlich, Frau Tirinack. Ähnlich.«

»Die ganzen Zulassungen«, führte Tirinack die Aufzählung zu Ende und deutete auf die Urkunden an der Wand. »Sie armes Kind haben kein bisschen Spaß gehabt, glaube ich.«

Geneve lachte und legte ihr eine Hand auf den Rücken. »Den hatte ich. Ich war dabei nur sehr zielstrebig.«

Gemeinsam verließen sie das Behandlungszimmer der alten Villa, gingen plaudernd durch den Flur und erreichten die Haustür.

»Nicht wieder versuchen zu schummeln, Frau Tirinack«, schärfte ihr Geneve ein und öffnete den Eingang. Eine Rampe ermöglichte Menschen mit Beeinträchtigungen das einfache Betreten des kleinen Anwesens. »Ab zum Hautarzt mit Ihnen. Morgen!« Sie drückte die Dame leicht zum Abschied. »Sie werden sehen: Das ist im Handumdrehen verschwunden und geheilt.«

»Sehen wir uns bei der Obdachlosenhilfe? Wissen Sie, die Tippelbrüder vertrauen Ihnen.«

»Natürlich. Ich bin gerne dabei.«

Tirinack erwiderte ihr Lächeln. »Sie sind ein echtes Phänomen, Frau Cornelius. Ich weiß gar nicht, wie ich das anders sagen soll.« Sie ging die Rampe hinab. »Schönen Tag!«

»Ihnen auch.« Geneve winkte ihr nach.

Sobald ihre Patientin hinter dem zugewucherten Schmiedeeisenzaun verschwunden war, zog sie das Smartphone aus der Tasche. Das Vibrieren zwischendurch hatte sie deutlich bemerkt, aber solange sie sich in einer Behandlung befand, war das Nutzen des Telefons tabu.

Eine verschlüsselte Nachricht hatte sie über ihre Website erreicht, von einem Ehepaar. Ein Eric und eine Sia fragten nach einer alternativen Behandlungsmethode für eine pubertierende Jugendliche mit auffälligen Wachstumsstörungen.

Der Zahlencode in der Nachricht verdeutlichte, dass es sich nicht um eine herkömmliche Anfrage handelte, sondern nach mehr verlangte. Nach speziellem Wissen.

Geneve kehrte ins Haus zurück und schloss den Eingang. Die restlichen Zeilen des Ehepaars las sie nicht. Für heute hatte sie genug gearbeitet, die Beantwortung der Anfrage müsste warten.

Sie nahm im Vorbeigehen die abgelegte Post vom Vormittag von der Anrichte, stieg die Treppe hinauf bis zur Dachterrasse und betrat ihr Gärtchen, das sie mit viel Liebe auf den fünf mal sechs Metern zwischen den Schmuckgiebeln der alten Villa eingerichtet hatte.

Kleine Obststräucher, bekannte und seltene Kräuter, eine Choreografie von Blumen und Gräsern, sogar Bäume hatte sie in großen Kübeln zum Wachsen und Gedeihen gebracht. Naturheilkunde zum Anfassen, und vor allem entstand ein Teil ihres Nachschubs an diesem Ort. Auch das medizinische Cannabis spross. Ihre eigene Züchtung.

Geneve sah die Spatzen, die in ihrem selbst gebauten Spatzen-Spa, wie sie es nannte, herumhüpften. »Na, ihr Kleinen?«

Tschilpend und flatternd hüpften die Vögel in den Schalen mit Sand herum und nahmen ein ausgiebiges Bad, andere planschten im flachen Wasserbecken.

»Schön, dass ihr Spaß habt. Und keine Katzen.« Geneve setzte sich aufs Geländer und ließ sich die untergehende Sonne ins Gesicht scheinen, klemmte die Post unter ihren Po, damit die Briefe nicht davonflogen, und schloss die Augen. Mit einer Hand öffnete sie den Pferdeschwanz.

Der Wind spielte mit den dunklen, schulterlangen Haaren und trug ihr die Geräusche der quirligen Stadt zu. Am meisten liebte sie davon das Platschen und Gluckern, das Schwappen und Rauschen des Flusses. Wasser bedeutete Leben, und davon hatte Leipzig jede Menge zu bieten.

Das Marathon-Training stand abends an, zusammen mit Trainingsfreundin Peggy. Geneve mochte das Laufen durch die Parks der Stadt und wollte nicht ohne. Wasser war tatsächlich mehr ihr Element, aber das Laufen blieb unkomplizierter.

Auf den unzähligen Runden bekam sie den Kopf frei, und das konnte sie gut gebrauchen. Die Trennung von ihrem langjährigen Freund beschäftigte sie immer noch. Das Malen half kaum, der Sport hingegen schon.

Peggy wusste das und hatte sie dazu verdonnert, sie danach zu begleiten. Karaoke. Es war ein Wettbewerb für die beste Darbietung ausgelobt, das Publikum stimmte mit Applaus darüber ab. Sollte sie gewinnen, gab es noch ein paar Drinks kostenlos. Alkoholfrei für sie.

Ihr Smartphone läutete. Der Klingelton verriet, dass es ihr Bruder war.

Der Wind drehte auf Norden und wurde kühler, die Sonne war so gut wie hinter den größeren Gebäuden versunken.

Geneve öffnete fröstelnd die unterschiedlich farbigen Augen und zog das Telefon heraus. Sie blickte trotzdem auf das Display, auf dem sein Bild erschien.

Äußerlich war er um die fünfzig und damit zwanzig Jahre älter als sie, was bei Geschwistern einen recht großen Abstand bedeutete. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit wirkten sie eher wie Vater und Tochter, die halblangen, blond gefärbten Haare verfehlten ihre verjüngende Wirkung und machten ihn noch älter.

Geneve nahm den Anruf entgegen, ließ die Kamera ausgeschaltet. Sie war sich sicher, dass ihr Bruder wie stets ein modernes Outfit trug, um sich jugendlicher zu geben und mehr Erfolg bei Frauen zu haben. »Hallo, Jacob.«

»Schwesterherz«, grüßte er überschwänglich. Im Hintergrund vernahm sie Prasseln von heftigem Regen und das Rauschen von Reifen auf nasser Fahrbahn. »Schön, deine Stimme zu hören. Bei dem guten Wetter in Leipzig sitzt du doch bestimmt in deinem Dachgarten.«

Sie lächelte schwach. »Wenn du mich Schwesterherz nennst, willst du etwas von mir. Von jemandem, der als Verhörspezialist beim Geheimdienst arbeitet, hätte ich mehr erwartet.«

»Da ich dich nicht verhöre, sondern mit dir plaudere, kann ich weit unten anfangen.« Jacob lachte falsch. »Ich rufe wirklich nur an, um mit dir zu erzählen. Wie es dir geht, zum Beispiel.«

Geneve sah auf den Spielplatz, dann auf die dahinfließende Weiße Elster. »Danke. Gut«, erwiderte sie misstrauisch. Die Trennung von ihrem Freund ging ihn nichts an. »Woher die plötzliche Sorge?«

»Ich sorge mich immer um dich. Und um Mutter.«

»Dann hast du sie noch nicht angerufen?«

»Nein. Traue mich nicht. Sie schrieb mir vorhin, dass sie in Paris ist und nicht gestört werden will.« Jacob sog hörbar an seiner Zigarette.

»Du hast das Rauchen nicht aufgegeben?«

»Wozu? Ich mag diese ganze verlogene Gesundheitsheuchelei nicht. Die Lebensmittelindustrie stopft die Menschen mit Chemie und verseuchtem Fleisch voll, aber alle verteufeln den Tabak. So ein Humbug.« Er zog erneut an, es knisterte. »Außerdem bin ich im Freien. Noch darf man da ja rauchen. Glaube ich. Na, ist mir egal. Ich tu’s einfach.«

Geneve versuchte zu erraten, was hinter dem Anruf steckte. »Du brauchst irgendein Mittel von mir, habe ich recht? Etwas, das die Zungen deiner Verhörklienten lockern soll.«

»Überhaupt nicht.«

»Sondern?«

»Ich will dich zum Essen einladen. Komm nach London, und ich zeige dir die Stadt. Auf meine Rechnung.«

Das machte Geneve noch stutziger. »So kenne ich dich gar nicht.«

»Wir haben uns in den letzten Jahren entfremdet, Schwesterherz. Das wurde mir neulich schmerzlich bewusst«, sagte Jacob freundlich und sanft, als habe er wirklich die Erkenntnis gehabt. »Du fehlst mir.«

Geneve lachte auf. »Beinahe hätte ich dir geglaubt. Aber der letzte Satz war zu viel.«

»Es war ehrlich.«

»Das bin ich anscheinend auch nicht von dir gewohnt. Wie die Sorge um mich.« Geneve pflückte sich eine reife Himbeere von einem Strauch, der bereits im Frühling Früchte trug, dank ihrer Tricks. Selbst wenn es nicht stimmte, schien Jacobs Leben in arge Schieflage geraten zu sein, dass er freiwillig Zeit mit seiner Schwester verbringen wollte. »Hat sie dich verlassen und die Kinder mitgenommen?«

»Wer?«

Geneve überlegte, ob ihr der Name noch einfiel. »Cybil.« Sie hasste ihr Gehirn dafür, dass es ihr prompt das Gesicht ihres eigenen Ex vors innere Auge führte.

Jacob lachte. »Mit ihr bin ich schon seit einem Jahr nicht mehr zusammen. Da siehst du es: Wir reden zu wenig über unsere Leben.« Das Prasseln des Regens wurde lauter, es tropfte hörbar auf den Schirm, den er wohl über sich hielt. Ein dunkler anhaltender Trommelwirbel, wie um seinen Worten mehr Bedeutung zu verleihen. »Tu mir den Gefallen, Geneve. Ich muss mich endlich bei dir entschuldigen.«

»Das hast du bereits.«

»Nicht von Angesicht zu Angesicht.«

Geneve seufzte. Es könnte zudem eine Ablenkung sein, wenn sie sich über Jacob anstatt über ihren Ex ärgern durfte. »Meinetwegen. Ich bin gespannt, wie London sich in den letzten fünfzig Jahren veränderte.«

»So lange warst du schon nicht mehr auf der Insel?«

»Das sagte ich nicht. Aber London ist dein Revier.« Sie biss sich auf die Lippen, um nichts Verächtliches zu sagen.

»Das übernächste Wochenende?«

»Einverstanden.«

»Sehr gut!« Jacob war schwer zu verstehen. »Ich organisiere dir ein Hotel, den Flug, einfach alles, Schwesterherz. So gut hast du noch niemals genächtigt.«

Das bezweifelte sie. »Versprichst du mir, den wahren Grund für das Treffen zu nennen, wenn ich in London bin?«

Ihr Bruder lachte, dieses Mal auf die dunkle, finstere Weise, die sie abgrundtief hasste. »Du kennst mich doch zu gut.«

»Nicht gut genug, um dich zu durchschauen.« Geneve schob die Himbeere in den Mund und zerdrückte die reife Frucht mit der Zunge am Gaumen.

Sofort explodierte der Geschmack, Säure und Süße setzten sich frei. Die Pflanzen bekamen von ihr besonderen Dünger, für den die Agrarkonzerne Tonnen von Geld bezahlt hätten. Aber Geneve behielt die Rezeptur für sich. Das Privileg, ihr Wissen freiwillig zu teilen, konnte ihr keiner nehmen. Nicht einmal Jacob, der Verhörspezialist.

»Dann wünsche ich dir einen schönen Abend«, sagte er heiter und mit deutlichem Triumph in der Stimme, sie zum Besuch überredet zu haben. »Ich freue mich auf dich. Alles Weitere schicke ich dir via Mail.« Dann legte er auf.

Geneve aß eine weitere Himbeere und nahm die Post zur Hand, ging die Umschläge durch, während ihre Gedanken noch bei dem Anruf ihres Bruders verweilten.

Die Spatzen verschwanden aus ihrem Spatzen-Spa, dafür kreisten Raben über der Villa und grüßten sie mit einer besonderen Runde über ihrer alten Villa. Zufällige Beobachter würden sich über die Formation der schwarzen Vögel wundern, aber niemals erahnen, dass es einem Menschen galt.

Geneve hörte das Krächzen und hob den Arm zum Gruß und winkte. Erst als sich ihre Augen auf ein schweres, teures Kuvert in ihrer Post richteten, kehrte sie gänzlich in die Gegenwart zurück: Vor ihren Namen war die Abkürzung »V.« in Großbuchstaben geschrieben.

Das stand nicht für einen zweiten Vornamen.

Sondern für VETTERIN.

Geneves Aufregung stieg, als sie behutsam das aufgeklebte Siegel aus dünnem Wachs zerbrach und den Umschlag öffnete.

 

Überlassen wir Geneve ab diesem Moment ihrem Brief.

Und rätseln Sie gerne weiter, welcher Schlag von Menschen sich in den modernen, hektischen Zeiten altmodische Zeilen über Länder und Meere hinweg sendet, Tage und Wochen wartet, bis er Antwort auf Fragen bekommt. Oder mit großer Spannung jene Neuigkeiten lesen, die binnen Sekunden über elektronische Nachrichtendienste verschickt werden könnten.

Nun, Sie werden verstanden haben, dass es sich bei meiner Erzählung nicht um eine x-beliebige Geschichte handelt.

Es wird komplexer und vielschichtiger.

Und es geht weit, weit zurück in die Vergangenheit.

Doch bevor ich aushole, um Ihnen die Hintergründe zu erläutern, lassen Sie uns das Land wechseln.

Reisen wir über den Ärmelkanal, direkt ins Herz des Landes, das sich einst das »Empire« nannte und wie ich es noch erleben durfte. Das United Kingdom, weltumspannend, riesig und gierig nach den Rohstoffen und Schätzen jener Länder und Völker, die es unterwarf.

Heute ist davon ein Abglanz geblieben, aber so sind die Zeiten nun einmal.

Willkommen in Großbritannien, willkommen in London.

Treffen Sie Jacob Christian Heinrich Cornelius.

Meinen Sohn.

 

»Dann wünsche ich dir einen schönen Abend. Ich freue mich auf dich. Alles Weitere schicke ich dir via Mail.« Jacob Christian Heinrich Cornelius beendete das Gespräch mit seiner Schwester.

Er verstaute das Smartphone in der Innentasche des leichten Sommertrenchcoats und schnippte den Stummel der Zigarette unter dem Schirm heraus in den Rinnstein. Zischend verlosch die Glut, das Wasser schwemmte das Überbleibsel davon und aus dem Blick des Mannes.

Jacob wandte sich um und betrat den überfüllten Pub The Happy Hangman.

Er stellte den zusammengeklappten nassen Schirm in die Halterung und begab sich zur Nische schräg gegenüber dem Eingang, wo Jacob bereits erwartet wurde. Mit einem schweren, dunkelroten Vorhang konnte man den dortigen Tisch, an den sechs Personen passten, für die übrigen Gäste uneinsehbar machen.

Das Telefonat mit seiner Schwester hatte länger als geplant gedauert. Ihre Störrigkeit und ihr Misstrauen waren schwer zu übertölpeln gewesen.

Er suchte sich einen Weg durch die Gäste, die laut miteinander redeten, um gegen die Livemusik anzukommen, und näherte sich der jungen, kurzhaarigen blonden Frau, mit der er unter anderen Umständen, ohne zu zögern, ein Verhältnis angefangen hätte. Frauen konnte er im Prinzip nie genug haben.

Er gab dem Barkeeper ein Handzeichen, und der Mann zapfte sofort zwei schwarze Biere.

»Mr Cornelius«, sprach die Frau, ohne von ihrem Tabletcomputer aufzublicken. »Sie haben mich warten lassen.«

»Das geschieht äußerst selten.« Er schlüpfte aus dem Trenchcoat, den er an den seitlichen Haken hängte, und deutete eine Verbeugung an, bevor er sich ihr gegenüber hinsetzte. »Verzeihen Sie mir bitte, Ms Grey.« Schwungvoll zog er den Vorhang zu, die Gespräche im Pub verkamen zu leisem Gemurmel. »Sie haben mich neugierig gemacht.«

»Die Wirkung erziele ich meistens bei Männern.« Sie hob den Blick, die dunklen Augen schienen Geheimnisse vor ihm zu verbergen.

»Wir reden über Magie.«

»Über was sonst?« Grey schaltete das Tablet aus und lehnte sich zurück, steckte die rechte Hand lässig in die Tasche ihrer schwarzen Stoffhose. Ihre weiße Bluse mit dem geschnürten Kragen hing locker darüber, die kurze schwarze Lederjacke gab ihr etwas Gefährliches. »Sie haben das Geld?«

»Sie haben die Unterlagen?«

Grey nickte wie in Zeitlupe, ohne sich ansonsten zu regen. »Sie zuerst, Mr Cornelius.«

»Ich dachte, es heißt Ladies first?«

»Ich bin emanzipiert genug, um dem schwachen Geschlecht den Vortritt zu lassen.« Sie lächelte fies.

Jacob hatte geahnt, dass das Treffen kein Spaziergang werden würde.

Von außen wurde gegen den Rahmen geklopft, dann schob der Barkeeper den Vorhang zurück und stellte die Biere auf den Tisch. »Bitte sehr.«

»Sir, Verzeihung. Hätten Sie wohl einen Gin Tonic?«, fragte Grey, bevor er verschwinden konnte. »Bier ist nicht meine Sache.«

Jacob zog ihr Bier zu sich und reichte dem Mann einen Fünfzig-Pfund-Schein. »Tu uns den Gefallen, Jones.«

Der Barkeeper verschwand, ohne sich für das Geld zu bedanken oder einen Kommentar abzugeben.

»Ich kann mich schwer dran gewöhnen, dass man sich in England seine Getränke selbst holen muss, wenn man sich lange im restlichen Europa herumgetrieben hat«, sagte Grey mit gewisser Genervtheit, ohne sich bewegt zu haben. Sie erinnerte an eine angespannte Killerin, die jede Sekunde losschlug. »Wenn es dafür billiger wäre. Aber nein, das auch nicht.« Sie lächelte gefühlsfrei. »Apropos: mein Lohn, Mr Cornelius?«

Ganz langsam griff Jacob in die Sakkoinnentasche und nahm einen dicken braunen Umschlag heraus, den er auf den Tisch legte und zu ihr schob. »Hunderttausend britische Pfund.«

Eine Hand immer noch in der Tasche, zog Grey das Kuvert zu sich und öffnete es einen Spalt, um hineinzuschauen; das Papier raschelte. »Sie haben einen interessanten Sinn für Humor.«

»Was meinen Sie?«

»Die Wahl des Ortes. The Happy Hangman. Da Sie aus einer Dynastie von Scharfrichtern abstammen, halte ich es für einen gelungenen Scherz.« Grey ließ den Umschlag liegen, als befände sich wertloser Müll darin. »Dass ausgerechnet Sie sich mit schwarzer Magie beschäftigen, macht es dazu noch ironisch.« Sie klang unversehens feindselig. »Ihre Vorfahren haben Hexen hingerichtet.«

»Unter anderem. Wie Gestaltwandler, Zauberer, Ketzer, Teufelsanbeter, Wiedergänger und alles, was ich noch vergessen habe. Zusätzlich zu dem Abschaum, der die Gesetze brach. Wir hatten die Rechtsprechung nicht gemacht. Wir dienten ihr nur.« Er lächelte. »Was die Magie angeht: Man muss die Gegenseite kennen, um sie bezwingen zu können.«

»Das ist die beste Ausrede von allen!« Greys Gesicht nahm einen neugierigen Ausdruck an. »Ich wusste gar nicht, dass der britische Auslandsgeheimdienst an Okkultismus, Magie und derlei glaubt.«

»Es ist auch keine Frage des Glaubens, Ms Grey. Sie müssten das wissen. Ich bin ein vielschichtiger Spezialist. Deswegen schätzt mich der MI6.« Jacob unterbrach sich, da Jones mit dem Gin Tonic zurückkam und ihn auf den Tisch knallte, um gleich darauf verschwunden zu sein. »Trinken wir auf unser Geschäft.« Er packte sein Bierglas.

Grey griff sich den Drink und nippte daran. »Da Sie großzügig bezahlt haben, sollen Sie bekommen, um was Sie mich gebeten haben.« Sie stellte das Glas ab und zog aus ihrer Lederjacke ein gefaltetes, versiegeltes Pergament, das wie ein Fremdkörper in dem Pub wirkte. »Vierhundert Jahre alt, bestens in Schuss.« Sie warf es vor Jacob, ohne Rücksicht auf Alter, die Brüchigkeit des Materials und den Wert. »Sehen Sie nach, Mr Cornelius. Nicht, dass es heißt, ich hätte Sie betrogen.«

Jacob öffnete das Siegel, das über die Dekaden abgewetzt und unkenntlich geworden war. Ehrfurchtsvoll faltete er die behandelte Tierhaut auseinander. Es knarrte leise und knisterte warnend, dass er es nicht zu oft tun sollte.

Geschwungene, von Hand geschriebene Zeilen in Altenglisch kamen zum Vorschein. Ergänzt wurden sie von kleinen Skizzen und akribischen Zeichnungen, bei denen es um die Anordnung von Kerzen und Rituallinien ging.

Zufrieden betrachtete Jacob die Seite. »Sie wissen, was Sie mir brachten, Ms Grey?«

»Da ich vor dem Einbruch die Register genau durchsuchen musste: ja.« Sie hatte ihre Position noch immer nicht verändert, wenn man vom gelegentlichen Nippen am Gin Tonic absah. »Ein schöner kleiner Zauber ist das. Eine Anrufung. Sie haben wohl vor, die Hölle freizulassen, Mr Cornelius.«

»Nein.«

»Was wollen Sie dann damit?«

»Informiert sein. Um zu erkennen, wenn es jemand versuchen sollte.« Das war selbstverständlich gelogen, aber es ging die Frau nichts an. »Menschen wie Sie, Ms Grey. Sie sind eine Wicca des Tamesis-Covens. Was gibt es Neues von dort?«

»Nichts, was ich mit Ihnen teile, Mr Cornelius.« Grey zeigte auf das Pergament. »Ist alles in Ordnung und wie von Ihnen verlangt?«

Nun lächelte Jacob. So leicht lasse ich dich nicht vom Haken. »Seien Sie keine Spielverderberin. Ich weiß, dass Sie und Ihre Wicca-Schwestern seit einer Woche Vorbereitungen in Ihrem Coven treffen. Und was Sie tun wollen, finde ich auch noch heraus. Möglicherweise kann ich Ihnen behilflich sein? Sollte es darum gehen, jemanden zum Reden zu bringen, bin ich der beste Mann dafür.«

Grey ließ sich nichts anmerken. »Ich bedanke mich für Ihr Geld, Mr Cornelius. Haben Sie Bedarf an weiteren Seiten mit Beschwörungen oder Formeln, lassen Sie es mich wissen. Ich stehe Ihnen mit meinem Wissen und meinem Organisationstalent zur Verfügung.« Sie trank den Gin Tonic aus und erhob sich. »Wir beide werden ansonsten niemals Dinge miteinander teilen. Der Tamesis-Coven arbeitet nicht mit Folterern und Sadisten zusammen, selbst wenn sie vorgeben, es wäre zum Wohle des Landes.« Sie trat durch den Vorhang und verschwand.

»Alles im Dienste Ihrer Majestät«, sagte Jacob und hob sein Bier zum Toast. »Lang lebe die Queen.« Mit langen Zügen leerte er den Inhalt und nahm sich das von Grey verschmähte zweite Bier, während er das Pergament wieder und wieder las und sich dabei ertappte, die Zeilen in Altenglisch halblaut vor sich hin zu murmeln. Sollte er besser nicht.

Sein Smartphone vibrierte, und er zog es aus der Sakkotasche. Der Anrufer hatte seine Nummer unterdrückt.

Was wird das? Jacob nahm einen weiteren Schluck Bier und hob ab. »Ja?«

»Mr Smith-Miller, verzeihen Sie die Störung«, vernahm er eine helle Männerstimme, die zu einem Jugendlichen passte. »Hier ist Black. Ich habe Ihre Anfrage bei mir auf dem Tisch. Wegen des Schwertes.«

Den Namen Smith-Miller nutzte Jacob, wenn er Geschäfte betrieb, die nicht sauber waren; der Anruf ging über vier Weiterleitungen auf sein Smartphone und war nicht zurückzuverfolgen. Einer der Vorteile, wenn man für einen Geheimdienst arbeitete, war, dass man sich mit technischem Schnickschnack auskannte.

Der Lärmpegel im Pub war deutlich gestiegen. Der Vorhang konnte die anbrandenden Geräusche nicht mehr zurückhalten, um ein Telefongespräch vernünftig zu führen. Zum Gefiedel und Getrommel der Musikanten mischten sich die ersten Chöre der Betrunkenen.

Verdammt. »Einen Moment, ich muss … es ist zu laut«, rief Jacob ins Mikrofon und erhob sich. »Bleiben Sie dran.«

Er schnappte sich das Bier, schlüpfte zwischen den Menschen hindurch zum Hinterausgang des Happy Hangman, wo sich meistens die Raucher unter einem kleinen Blechdach drängten; eine schwache Lampe beleuchtete den Unterstand.

Zu seiner Freude war Jacob alleine im Freien und trank erneut. Der starke Regen hatte aufgehört und war in Nieseln übergegangen, es roch nach Feuchtigkeit und Müll aus den nahen Abfalltonnen. »So, Mr Black. Sind Sie noch da?«

»Bin ich.«

»Wie schön. Wir reden von meiner Anfrage bezüglich des Schwertes, mit dem Margaret Pole, die achte Countess of Salisbury, auf Geheiß von Heinrich dem Achten am 27. Mai 1541 hingerichtet wurde.«

»Ebendieses. Quellen sagen, dass es dem Henker nicht gelang, sie schnell und schmerzlos zu töten. Ein elender, stümperhafter Junge, der ihren Kopf und ihre Schulter auf schrecklichste Weise buchstäblich in Stücke hackte«, sagte Black. Vor Jacobs geistigem Auge entstand das Konterfei von Black in Form eines pickligen Jugendlichen, der gelangweilt im Arbeitszimmer des Vaters stand und an den Vitrinen mit alten Schwertern vorbeiging, die er illegal verkaufte. »Ich habe es vor einiger Zeit in meinen Besitz bekommen.«

»Sie können das belegen?«

»Meinen Sie den Ankauf oder die Echtheit?«

Jacob grinste. »Wie Sie drangekommen sind, ist mir ziemlich gleich. Die Echtheit ist entscheidend.«

»Ich habe ein Zertifikat von einem Fachmann. Sie können es prüfen lassen.«

»Das werde ich, Mr Black.« Er trank sein Bier fast leer und fühlte sich beschwingt-großartig. Der Tag verläuft nach meinem Geschmack. »Bevor wir zu feilschen anfangen, würde ich es gerne sehen und meinen eigenen Fachmann mitbringen.«

»Selbstverständlich. Wann passt es Ihnen, Sir?«

»Morgen? Mittagszeit, im Happy Hangman. Sagen Sie dem Wirt Jones, dass ich einen Termin mit Ihnen habe.«

»Geht klar. Bis morgen, Mr Smith-Miller.«

»Bis morgen, Mr Black.« Jacob beendete die Unterhaltung und lachte leise. »Ein grandioser Tag«, murmelte er und stellte das Glas auf den angeschraubten Tresen, steckte sich eine Zigarette an und lauschte mit geschlossenen Augen dem beständigen leisen Rauschen des Nieselregens, der das dünne Blech streichelte.

Ohne die Lider zu heben, tastete er nach dem Glas und trank. Der Wind wehte ihm das leise Echo des Big Ben zu, der die klassische und weltberühmte Melodie zur vollen Stunde schlug.

»Mörder«, hallte es unvermittelt geflüstert von den Wänden des Hofs und aus dem Durchgang wider. »Sohn aus einer Familie von Mördern.«

Ruckartig öffnete Jacob die Augen, seine aufmerksamen Blicke huschten über die Umgebung. Zu viele dunkle Winkel. Rückzug war die beste Option.

Er tastete nach dem Türknauf, aber der Eingang ließ sich auch durch heftiges Rütteln nicht aufziehen. »Scheiße«, fluchte er leise.

Mit einer Hand warf er das Glas gegen die funzelige Lampe über ihm, das Licht erlosch. Damit war er kein leichtes Ziel mehr.

Jacob duckte sich und bewegte sich hinter einen Stapel leerer Bieraluminiumfässer, lauschte.

»Mörder«, erklang das echohafte Raunen. »Ihr habt einen Unschuldigen getötet.«

Jacob konnte nicht sagen, ob es sich bei der Stimme um einen Mann oder eine Frau handelte. Die Beschaffenheit des Hofs und Durchgangs machte es unmöglich, den Standort des Wisperers anhand der Worte zu entdecken. Ein Scherz oder was Ernstes? »Sie haben sich in der Hintertür geirrt«, rief er. »Verschwinden Sie!«

»Deine Familie, Jacob Christian Heinrich Cornelius, hatte sich in den Dienst jener gestellt, die ihre eigenen Wahrheiten aufstellten, um sich an den Unschuldigen zu bereichern«, rollte es durch den Hof. »Keiner ihrer Ahnen lebt mehr. Ich habe für Gerechtigkeit gesorgt. Die Jahrhunderte löschen auch eure Schuld nicht.«

Jacob zückte notgedrungen seine halbautomatische Glock20 und lud durch. »Ich verstehe nicht, was Sie meinen?« Mit der anderen Hand zog er sein Smartphone und betätigte die Aufnahmefunktion. Möglicherweise würden die elektronischen Spielereien des Geheimdienstes die Stimme analysieren können.