Fast ein Märchen - Susanne Falk - E-Book
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Fast ein Märchen E-Book

Susanne Falk

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Beschreibung

Zwischen witzig und absurd bis böse schwankt Susanne Falks prominent besetzter Weihnachtsreigen. Mit dabei sind u. a. Goethe und Schiller, Rosa Luxemburg, Charlie Chaplin, Elvis Presley, Leonardo da Vinci, Wolfgang Amadeus Mozart, Juri Gagarin und Mary Shelley. Da vergessen die Gebrüder Grimm beinahe den Heiligabend vor lauter Arbeit und wer steht plötzlich vor der Tür? Das Christkind. Nur wollen die berühmten Geschichtensammler es weder in die gute Stube lassen noch in ihr Märchenbuch aufnehmen. Was es mit der Work-Life-Balance auf sich hat, muss König Artus leidvoll erfahren, als ihm seine Ritter der Tafelrunde einen Strich durch die Rechnung machen, weil sie sich weigern, ausgerechnet am Weihnachtsfeiertag einen Krieg anzuzetteln. Und obwohl die Erzherzogin Maria Theresia vom Volk als Mutter der Nation verehrt wird, schafft sie es doch glatt, an Heiligabend eines ihrer dreizehn Kinder bei der Bescherung zu vergessen. Dumm gelaufen, käme da der resoluten Herrscherin nicht in letzter Minute die rettende Idee  ...

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Seitenzahl: 178

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Susanne Falk, geboren 1976 in Kappeln an der Schlei, promovierte 2008 im Fach Germanistik. Sie veröffentlichte mehrere Bücher im Rowohlt Verlag. Ihr jüngster Roman, »Anatol studiert das Leben«, ist 2018 im Picus Verlag erschienen. Daneben schreibt sie Theaterstücke und arbeitet als freie Lektorin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien.

Copyright © 2019 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien

Umschlagabbildung: Martin Haake

ISBN 978-3-7117-2081-8

eISBN 978-3-7117-5405-9

Informationen über das aktuelle Programm

des Picus Verlags und Veranstaltungen unter

www.picus.at

SUSANNE FALK

Fast ein Märchen

24 WEIHNACHTSGESCHICHTEN

PICUS VERLAG WIEN

Inhalt

Fast ein Märchen

Brüder Grimm, Teil 1

Mutterfreuden

Maria Theresia von Österreich

Lonely This Christmas

Elvis

Von Füchsen und Hühnern

Katharina von Bora

Raunächte

Goethe und Schiller

Weihnachtskämpfe

Rosa Luxemburg

Der Mann aus Wachs

Leonardo da Vinci

Ein Weihnachtsleuchten

Marie Curie

Ein Geschenk für den König

König Artus

Auf zarten Füßen

Lola Montez

Diesseits des Nordpols

Juri Gagarin

Mieterversammlung

Ochs und Eselin

Die drei Reiter

Marco Polo

Willkommen in Miami

Florence Griffith-Joyner

Ein süßes Geschenk

Wolfgang Amadeus Mozart

Ein Stückchen Freiheit

Sally Hemings

Totenfeier

Charlie Chaplin

Das Monster

Mary Shelley

Sein schwerster Fall

Harry Houdini

Die Märtyrerin

Johanna von Orléans

Das Omen

James Cook

Tausend Rosen

Maria Callas

Venezia

Maria Montessori

Beim Klang der Glocken

Brüder Grimm, Teil 2

Fast ein Märchen

»Und wenn ich es dir doch sage, Wilhelm: Dies hier«, Jacob wedelte energisch mit einem Blatt Papier herum, »deutet sicher auf eine erneute Lautverschiebung hin.«

»Ich bin da anderer Meinung, Bruderherz.«

»Du bist immer anderer Meinung.«

»Nein, ich bin immer anderer Meinung, wenn du im Unrecht bist. Ansonsten stimme ich vollkommen mit dir überein.«

»Na wunderbar. Du bist also immer deiner Meinung, es sei denn, deine und meine Meinung sind deckungsgleich. Dann darf ich auch einmal recht behalten.«

»So ist es, Jacob.«

»Also wirklich, Wilhelm, es gibt so Tage, an denen kannst du mich kreuzweise!«

»Geht mir auch so. Aber an einem Tag wie heute halte ich es für unangebracht, das laut zu sagen.«

Verdutzt sah Jacob seinen Bruder an: »Wieso? Welcher Tag ist heute?«

Da legte Wilhelm seine Hand sanft auf den Arm des Bruders, lächelte und sagte: »Es ist Heiligabend.«

»Hm«, machte Jacob nur, »kein Grund, nicht zu arbeiten!«

Ich stimme dir zwar zu, aber …, wollte Wilhelm einwenden, als es plötzlich an der Tür klingelte. Wer konnte das sein an diesem Tag und noch dazu zu dieser Stunde?

»Ich werde kurz öffnen und, wer auch immer es ist, ihn oder sie wieder fortschicken«, schlug Jacob vor, »und danach reden wir noch einmal über dieses Beispiel für die erneute Lautverschiebung. Du bist da nämlich auf dem Irrpfad, mein Lieber!«

Jacob ging also die Treppe hinunter, schritt energisch auf die Haustür zu und riss sie mit einem Ruck auf.

»Ja?«, rief er.

Vor sich sah er ein kleines Wesen stehen, ein Kind, vielleicht zehn oder elf Jahre alt, mit sanften dunklen Augen und dunklem, lockigen Haar, gekleidet in ein leuchtend weißes Gewand.

»Gott zum Gruße!«, sagte das Kind. »Seid Ihr Herr Grimm?«

»Welcher von beiden?«, fragte Jacob unwirsch.

»Ich bitte um Verzeihung, mein Herr?«

»Na, willst du zu mir oder zu meinem Bruder?«, wollte Jacob wissen.

»Zu Ihnen beiden, falls möglich«, antwortete das Kind höflich. »Darf ich eintreten?«

»Nein«, sagte Jacob streng. »Kommst du, um Geld für die Armen zu sammeln?«

»Nein«, sagte das Kind, »obwohl Ihr sicher gut daran tätet, den Bedürftigen etwas zu geben, da doch heute Heiligabend ist.«

»Hab ich es mir doch gedacht«, sagte Jacob. »Du kommst, um mich um Spenden anzubetteln.«

Er griff in seine Jacketttasche, zog einen halben Taler heraus, gab ihn dem Kind und rief: »So, das ist reichlich. Und nun verschwinde!«

»Aber Ihr versteht mich völlig falsch!«, rief das Kind nun aus und trat dabei von einem Bein aufs andere, so, als wäre es plötzlich sehr in Eile. »Ich will ja gar kein Geld!«

»Was dann?«, wollte Jacob wissen. »Und merke: Meine Zeit ist kostbar!«

»Meine auch«, sagte das Kind und wirkte mit einem Mal gar nicht mehr so aufgeräumt. »Was glauben Sie denn, Herr Grimm, wie viele Haushalte ich heute noch besuchen muss?«

»Weiß ich nicht und es interessiert mich auch nicht.«

Mittlerweile hatte der Dialog an der Haustür auch Wilhelm auf den Plan gerufen und er tauchte hinter seinem Bruder im Türrahmen auf.

»Guten Abend. Darf ich erfahren, worum es hier geht?«, fragte er.

»Das Kind will Geld und gibt sich mit einem halben Taler nicht zufrieden«, stellte Jacob fest.

»Ach, das ist ja unerhört!«, sagte Wilhelm.

»Aber das stimmt doch gar nicht!«, rief das Kind aus. »Ich will Ihr Geld nicht. Wirklich nicht!«

»So? Was denn dann?«

Das Kind, von dem Jacob nicht recht zu sagen wusste, ob es nun ein Bub oder ein Mädel war, holte tief Luft und sprach: »Ich komm wegen der Märchen.«

»So«, stellte Jacob fest, »tust du das?«

»Ja«, bekräftigte das Kind seine Aussage und nickte so heftig, dass ihm seine braunen Löckchen ins Gesicht fielen. Und nun zog es aus den Falten seines weißen Oberkleids ein unscheinbares Büchlein hervor. Jacob erkannte schnell, dass es eine Ausgabe ihrer Kinder- und Hausmärchen war. Und nun dämmerte es ihm auch, was das Kind von ihnen wollte.

»Ach so, verstehe! Du willst es dir signieren lassen! Ja, warum hast du das denn nicht gleich gesagt? Das machen wir natürlich gerne.«

Schon zog er einen Bleistift hervor, willens, seinen Namen auf die erste Seite des Büchleins zu kritzeln, als das Kind das Druckwerk plötzlich zurückzog.

»Nein, ich will auch keine Signatur«, sagte es entschieden und rückte nun endlich mit der Sprache heraus: »Ich will da hinein!«

Da begannen die Brüder Grimm zeitgleich zu lachen und das Kind musste erstaunt feststellen, dass sie, obgleich sie offenkundig keine Zwillinge waren, doch ein nahezu identisches Lachen hatten.

»Ach, wie lustig«, sagte Wilhelm und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Ich hab gerade verstanden, du willst da hinein!«

»In unsere Kinder- und Hausmärchen!«, fügte Jacob hinzu, immer noch kichernd. »Ja, mit welchem Recht denn bitteschön? Hat man dich im Wald ausgesetzt oder bist du einer bösen Hexe entlaufen?«

»Kannst du etwa zaubern? Oder hast du unter deinem Kleidchen einen gestiefelten Kater versteckt?«

»Oder gar einen Gold scheißenden Esel?«, rief Jacob und konnte kaum noch an sich halten.

»Nein«, sagte das Kind. »Aber ich kann etwas, das sonst keiner kann.«

»So? Und das wäre bitteschön?«, fragte Wilhelm kichernd.

»Ich kann an Millionen Orten gleichzeitig sein«, zählte das Kind auf, »und dabei unfassbar viele Dinge bei mir tragen und sie überall verteilen. Ich kenne die Namen aller Kinder dieser Welt, auch die der unartigen, und ich mache mehr Menschen glücklich als irgendein anderes Wesen. Und man kann mich herbeizaubern, indem man mit einem Glöckchen klingelt, allerdings nur an einem Tag im Jahr. Dann aber erscheine ich und bringe Segen in jedes Haus.«

»War das alles?«, fragte Jacob.

»Ja«, sagte das Kind. »Und nun wollte ich fragen, ob die werten Herren mich und meine Geschichte nicht in Ihre Sammlung mit aufnehmen wollen.«

Da gab es kein Halten mehr. Die Brüder prusteten los und klopften sich vor überbordender Heiterkeit auf die Schenkel. Was für ein grandioser Spaß!

»Herrlich!«, rief Wilhelm aus.

»Famos!«, schrie Jacob.

»Diese Fantasterei! Könnte glatt von dir sein!«, sagte Wilhelm.

»Oder von dir, Bruderherz!«, stimmte Jacob mit ein.

Mit einem kräftigen Schubs knallte dieser die Tür dem Kind vor der Nase zu. Dann wandte er sich zu seinem Bruder um und sagte: »Komm, Wilhelm, lass uns etwas trinken auf diesen erheiternden Moment. Und dann geht es wieder frisch ans Werk.«

»Sehr wohl. Wobei ich immer noch der Meinung bin, dass du bezüglich der Lautverschiebung falsch liegst.«

»Ach, was du immer hast!«

An diesem Abend, als alle anderen in ihren warmen Stuben saßen und festliche Lieder sangen, konnte man die Brüder Grimm noch zwei Straßenzüge weiter miteinander debattieren hören …

Mutterfreuden

Zufrieden betrachtete sie das schmatzende Kind, wie es an der Brust der Amme nuckelte. Das Neugeborene, ein Bub, schien einen ausgeprägten Appetit zu haben. Gerade einmal sechzehn Tage alt, wies er bereits jetzt dickere Ärmchen und Beinchen auf als jedes ihrer anderen Kinder in diesem Alter.

»Ein guter Esser, Eure Majestät«, hatte die Amme freudestrahlend gesagt, ihre dunkelrote Brustwarze zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt und dem greinenden Baby in den Mund geschoben, sodass es auch die andere Brust leer saufen konnte.

»Gut«, sagte die Erzherzogin, »das ist sehr gut. Nur weiter so.«

Sechzehn Kinder hatte sie geboren. Dieses hier war das vorerst letzte in einer langen Reihe. Mit etwas Glück würde es ein gutes Alter erreichen, höher als das seiner viel zu früh verstorbenen Schwestern. Maria warf einen langen, sorgenvollen Blick auf das nuckelnde Baby. Es war Heiligabend und es fiel ihr schwer, beim Anblick des neuen Lebens nicht an die drei kleinen Mädchen zu denken, die sie so früh verloren hatte. Aber allzu lange durfte man sich nicht ins Reich der Toten begeben, sonst lief man Gefahr, gleich dort zu bleiben, so hatte es ihre Erzieherin immer gepredigt. Und sie hatte brav dazu genickt und der Frau versprochen, der Toten stets zu gedenken, doch nie zu lange. Das Herz, so sagte ihr die Erzieherin, sollte stets bei den Lebenden verweilen, denn da gehörte es hin.

Die Amme nahm das Kind hoch und ließ es aufstoßen. Es gab einen kräftigen Laut von sich und schlief dann sofort ein.

»Wollen Majestät das Kind kurz halten?«, fragte die Amme und streckte schon das pralle Bündel in Richtung ihrer Herrscherin.

Maria Theresia schüttelte energisch den Kopf. »Nein, leg es schlafen«, befahl sie. Die Amme trug darauf das Kind ins Nebenzimmer und legte es in seine Wiege.

Eigentlich war sie ja noch im Wochenbett und es wäre ihr ein Leichtes gewesen, sich in ihr Zimmer zurückzuziehen und ein gewisses Ruhebedürfnis geltend zu machen, aber da heute kein Tag wie jeder andere war, richtete sie seufzend ihren voluminösen Körper auf und klingelte nach der Zofe. Es war Zeit, sich anzukleiden. Zwar würde sie den Kirchgang ausfallen lassen müssen, da noch keine vierzig Tage seit der Geburt des kleinen Maximilian vergangen waren, aber für das Festessen mit der Familie würde sie sich ankleiden lassen. Das blaue Cape, das sie extra für diesen Anlass hatte anfertigen lassen, wie um sich selbst zum Weihnachtsfeiertag eine kleine Freude zu bereiten, würde gut zu dieser Gelegenheit passen. Die Farbe erinnerte nicht von ungefähr an einige beliebte Mariendarstellungen. Von der Gottesmutter zur Landesmutter war es gar nicht einmal so weit.

Die Geburt war unangenehm gewesen, aber nicht schwer, so wie ja viele Dinge, die mit dem Kinderkriegen zusammenhingen, eher unangenehm waren, aber nicht unbedingt schwer. Zum Beispiel, so dachte die Erzherzogin, als die herbeigeläutete Zofe ihr die passenden Unterröcke überstreifte, war die Empfängnis eine einfache Sache. Man hatte einfach nur dazuliegen und der Mann, in diesem Fall ihr lieber Franz Stephan, kurz »Mäusel« gerufen, besorgte den Rest. Das hatte immer gut und zuverlässig funktioniert und dann, Übelkeit und Wassersucht ertragend, erwartete man die Ankunft des neuen Kindes. Die Wehen waren scheußlich, keine Frage, aber gerade beim letzten hatte sie sich kaum anstrengen müssen. Nach nicht einmal zwei Stunden war er schon da gewesen und sie konnte sich bereits wenige Tage später wieder wichtigeren Dingen zuwenden. Alles, was das Kind brauchte, konnte ihm auch eine gute Amme bieten. Das war praktisch und erleichterte die Nachtruhe. Und diese hier, dachte Maria Theresia, als die Zofe sie in ihr Kleid schnürte, war offensichtlich eine gute Wahl gewesen. Mit diesen Brüsten konnte man eine ganze Heerschar an Säuglingen ernähren. Im Geiste gratulierte sie sich selbst zu dieser vortrefflichen Wahl.

Überhaupt war sie stets als besonders fürsorgliche Mutter in Erscheinung getreten und so sah man es auch im Volke, das sich gern die Geschichte erzählte, in der sie einst das hungernde Kind einer armen Bettlerin an den eigenen Busen gedrückt und gestillt haben soll. Vollkommener Unsinn, wohl wahr, hatte sie doch nicht eines ihrer Kinder selbst gestillt, aber derlei Anekdoten waren ungemein gut für ihr Ansehen im Volke, das ja immerhin zur Hälfte aus zukünftigen oder bereits gewordenen Müttern bestand. Und genauso sollte es sein, fand Maria Theresia, man sollte sie respektieren, wenn nicht gar fürchten, aber vor allem sollte man sie als Landesmutter verehren.

Jetzt war sie fertig angekleidet. Ein Blick in den Spiegel, ein Augenrollen, ein Seufzen, ein Hinnehmen. Sechzehn Geburten gingen nun einmal nicht spurlos an einer Frau vorbei, Erzherzogin hin oder her. Die Haut fahl, die wenigen Zähne gelb und das Kinn – nun, da gab es ein eindeutiges Zuviel an Kinn in diesem Gesicht. Aber die Augen, die blickten immer noch so munter und wach, wie sie es eh und je getan hatten. Und das Blau des Capes harmonierte sehr gut mit ihnen. Die Herrscherin streckte den Rücken, der vom langen Liegen schmerzte, durch und schritt langsam voran, dem Saal entgegen, in dem heute die Bescherung ihrer lieben Kinderlein stattfinden sollte.

An alle hatte sie gedacht. Jedes Geschenk war handverlesen und von ihr persönlich in Auftrag gegeben worden. Lange hatte sie darüber nachgedacht, was wem am besten zupasskam. Ihrem Mann finanzierte sie den Ankauf einer seiner unsinnigen Sammlungen von Urzeitschnecken, die sie zwar sterbenslangweilig fand, die ihn jedoch enorm zu faszinieren schienen. Nun gut, dann sollte er sich eben mit toten Schnecken befassen. Bei Weitem besser, als wenn er mit der Frau des Grafen von … Maria Theresia schüttelte sich. Die Affären ihres Gatten waren ein Übel, dem nicht beizukommen war. Da durfte sich eine Frau schon fragen, wozu sie sechzehn Geburten durchmachte, wenn er ihn dann doch woanders hinein … Sie schob den Gedanken beiseite. Wo war sie noch gleich gewesen? Ah ja, Urzeitschnecken! Franz Stephan war also versorgt.

Dann kamen die Kinder dran. Der detailreiche Sammelkasten der Botanik war für Joseph gedacht, der Stickrahmen mit dem feinen Garn für Maria Christina. Daneben gab es ein Hutschpferd, ein Puppengeschirr und viele andere Dinge für die vielen Erzherzoginnen und Erzherzöge. Sogar der jüngste Spross der Familie würde ein Geschenk erhalten, eine silberne Rassel mit einer Gravur des Wappens der Habsburger.

Im Saal huschten die Diener hin und her, um alles herzurichten. Maria schickte sie mit einem energischen Winken hinaus. Dann inspizierte sie das Buffet, stahl sich ein paar der Leckereien von der Tafel (besonders hatte es ihr das Spritzgebäck angetan) und schritt schließlich hinüber zum Gabentisch. Dort lagen sie, die Geschenke, in wunderschönes blaues Seidentuch geschlagen und mit goldenen Bändern versehen. Sie begann zu zählen: eins, zwei, drei, vier … Sie endete bei zwölf. Augenblick, das konnte ja wohl nicht sein? Es müssten dreizehn Geschenke dort liegen! Noch einmal begann sie von vorne zu zählen: eins, zwei, drei, vier … zwölf! Du lieber Himmel!

Wer war vergessen worden? In ihrem Inneren breitete sich Hitze aus, stieg ihr zu Kopf und schon begann sie unter ihrer Perücke zu schwitzen. Sie ging die Namensschilder durch. Dieses hier war also für Joseph, das für den kleinen Karl, daneben lag das Geschenk für Leopold, dann kamen die Mädchen, Maria Anna, Maria Christina, Maria Elisabeth und so weiter. Oder etwa doch nicht? Fieberhaft begann die Erzherzogin nach dem Namen Maria Amalias zu suchen, allein – es gab kein passendes Namensschild. Ausgerechnet Amalia! Wo man mit dem Kind doch jetzt schon nichts als Ärger hatte! Immerzu fand sie Widerworte für ihre Mutter, nie war sie mit dem zufrieden, was man ihr zugestand, und die Lehrer klagten ohne Unterlass über den Starrsinn des Mädchens. Und nun das: kein Geschenk für Maria Amalia!

Wie hatte ihr das nur passieren können? Dreizehn Geschenke für dreizehn Kinder. Das war doch nicht so schwer! Und doch – bevor sie die Schuld an dem Malheur einem ihrer Sekretäre in die Schuhe schieben konnte, wusste sie schon, dass es diesmal tatsächlich an ihr gelegen hatte. Weil sie die Liste der Präsente nur diktiert, aber nicht selbst schriftlich niedergelegt hatte. Und weil sie offenbar so kurz vor der Niederkunft nicht mehr bis dreizehn hatte zählen können. Ihr Hofstaat offensichtlich auch nicht, sonst wäre wohl jemandem aufgefallen, dass bei dreizehn Kindern und zwölf Geschenken irgendetwas schiefgegangen war.

Was also war jetzt zu tun? Natürlich konnte man das Ganze so aussehen lassen, als ob Amalia mit Absicht kein Geschenk erhalten würde, zur Bestrafung, und die Erzherzogin musste zugeben, dass ihr der Gedanke für wenigstens ein paar Sekunden so etwas wie Befriedigung verschaffte, weil, nun ja, Amalia eindeutig nicht ihr Lieblingskind war. Doch was hätte das für ein Licht auf sie als Mutter geworfen? Nein, es musste ein Geschenk her und zwar sofort.

Maria Theresia schaute besorgt auf die Uhr über dem Kamin. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die anderen Familienmitglieder auf den Weg in den Saal machten. Die Messe dürfte in eben diesem Augenblick zu Ende gegangen sein. Sie musste also schnell handeln.

»Diener, man bringe mir eine Feder und einen Kratzer! Schnell!«

Das Schreibzeug war alsbald zur Stelle und kurz entschlossen schritt sie auf den Gabentisch zu, packte das Geschenk für den kleinen Maximilian, griff nach dem Namensschild, kratze den Schriftzug herunter und schrieb dann mit ausladender Handschrift »Marie Antoinette« darauf. Gleiches tat sie mit den anderen Geschenken, indem sie sie je ein Kind weiter nach oben reihte. So bekam der kleine Ferdinand das Hutschpferdchen Marie Antoinettes, dessen Trommel ging an Maria Karolina, die wiederum ihr Püppchen an Maria Josepha weiterreichen musste und so weiter. Dass der kleine Leopold mit seinen neun Jahren ausgerechnet das Geschenk seiner sechsjährigen Schwester zugeeignet bekam, war alles andere als ideal, aber er würde sich schon über die bunten Perlen freuen, wenn sie ihm diese auch als mineralische Sammlung verkaufen musste und nicht als Schmuckperlen zum Selbstfädeln, was sie eigentlich waren. So ging also Leopolds Geschenk an Amalia über und das störrische Mädchen würde nunmehr mit einem Bildband über die Schönheiten Italiens bedacht werden. Sehr zufrieden mit dieser Lösung des Problems befahl Maria Theresia nun den Dienern, die Türen zu öffnen, damit sie ihren Mann und ihre Kinderschar begrüßen konnte, um ihnen ein wunderbares Christfest zu wünschen.

Später, in ihrem Schlafzimmer, gratulierte sich die Erzherzogin zu ihrem weisen Manöver und konnte zufrieden die glücklichen Gesichter ihrer Kinder im Geiste Revue passieren lassen. Alle hatten sich artig bei ihrer Mutter bedankt, Franz Stephan hatte sie mit einem Perlencollier beglückt und sich offensichtlich über seine langweilige Schneckensammlung sehr gefreut. Lediglich die Frage ihrer Tochter Elisabeth, was denn der neue kleine Bruder, der auf dem Arm der Amme einige Minuten dem trauten Familienkreis beiwohnte, als Gabe erhalten solle, hatte sie etwas verstimmt, obgleich sie den Kindern selbstverständlich ohne Umschweife erklärt hatte, dass ein Neugeborenes keiner Geschenke bedurfte und sie sich darum um das Baby keine Gedanken machen sollten. Doch nun, allein in ihrem Bett, nagte das schlechte Gewissen an Maria Theresia. Also mühte sie sich noch einmal aus den Laken und ging ins Nebenzimmer, wo die Amme friedlich neben der Wiege schnarchte. Sanft hob sie das schlafende Kind heraus und trug es auf ihrem Arm ins Schlafzimmer. Der Kleine, durch die ungewohnte Nähe zur Mutter plötzlich geweckt, krähte leise, ließ sich jedoch schnell mittels einer eilig in den Mund gestopften Zeigefingerspitze beruhigen. Er saugte ein paar Mal daran und schaute dabei seine Mutter mit kleinen Äuglein fragend an.

»Eigentlich hättest du auch etwas Schönes haben sollen«, gestand sie ihm flüsternd, »aber das hat nun Marie Antoinette bekommen.«

Der Kleine schnaufte leise beim Saugen. Vielleicht, so dachte Maria Theresia, sollte sie die Amme wecken. Er schien schon wieder Hunger zu haben. Doch dann überlegte sie es sich anders.

»Sollst auch was Feines kriegen«, flüsterte sie ihm zu und legte sich das Kind im Schoß zurecht. Sanft strich sie mit dem Zeigefinger zunächst über die zarte Kinderwange, schob schließlich ihr Nachthemd hoch und legte ihre rechte Brust frei. Dann tat sie, was sie bei ihrer Amme heute schon beobachtet hatte. Sie drückte ihre Brustwarze mittels Zeige- und Mittelfinger hervor und ließ sie in den Mund des Kindes gleiten. Sogleich begann der kleine Maximilian äußerst kräftig daran zu saugen.

»Autsch!«, entfuhr es der Herrscherin. »Himmel und Hölle! Das tut ja weh!« Sofort entzog sie ihm die Brust wieder. »Wie kannst du es wagen, deine Königin zu beißen?«

Sprach’s und ließ ihr Nachthemd schnell wieder über die nackte Brust gleiten. Und während das Kind schon zu schreien begann, weil man ihm so abrupt Nähe und Nahrung entzogen hatte, rief Maria Theresia laut nach der Amme, man solle ihr doch auf der Stelle das brüllende Kind abnehmen, was auch sogleich geschah.

Als die Türen zu ihrer Schlafkammer geschlossen waren, ließ sie sich müde, aber erleichtert in die Kissen gleiten. Und noch während sie in den Schlaf hinüberdämmerte, konnte sie das Greinen des Säuglings von nebenan hören. In das gedämpfte Weinen mischten sich, ausgehend von der Michaelerkirche, die ersten Glockenschläge des Weihnachtsläutens.

Lonely This Christmas

Im Dino’s hatte sich rein gar nichts verändert, seit er das letzte Mal hier gewesen war. Er kam nicht oft nach Downtown Las Vegas, aber wenn er es tat, dann ging er stets auf einen Sprung zu Dino’s. Er liebte dieses Lokal. Hier war alles so wie immer, die Einrichtung so hässlich wie eh und je und die Leute so betrunken wie zu der Zeit, als dies noch ein Liquor Store war. Schnaps war billig im Dino’s. Eine ehrliche Bar für ehrliche Alkoholiker. Es gab schlimmere Kneipen in Vegas.

Er ging direkt an die Bar und bestellte sich einen Tequilashot.

»Ist Chuck heute gar nicht da?«, fragte er den Barkeeper und kippte seinen Tequila hinunter.

»Nein, heute nicht. Noch einen?«

Er nickte und der Barmann füllte sein Glas ein zweites Mal.