Fate & Darkness - Die Geheimnisse von Asgard Band 1 - S.T. Bende - E-Book

Fate & Darkness - Die Geheimnisse von Asgard Band 1 E-Book

S.T. Bende

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Beschreibung

Die 18-jährige Mia Ahlström liebt Ordnung und Regeln. Mit ihrem Ehrgeiz hat sie es sogar an die renommierte Redwood State University geschafft. Und obwohl Mia auch ihr Happy End in Sachen Liebe finden möchte, liegen ihre Prioritäten woanders. Deshalb erwischt es Mia auch völlig kalt, als sie auf einer Collegeparty Tyr Fredriksen kennenlernt. Der selbstbewusste Schwede erobert ihr Herz im Sturm. Doch dann erfährt Mia, dass Tyr kein Geringerer ist als der nordische Gott des Krieges, der sich auf der Erde versteckt, um ein wertvolles Relikt Asgards zu schützen. Mia muss sich entscheiden: Will sie Tyr in ihr Leben lassen und damit ihrem sonst so geregelten Leben den Rücken kehren - oder nicht?

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Seitenzahl: 530

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Inhalt

Cover

Titel

Widmung

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Danksagungen

Nächste Folge

Impressum

S.T. Bende

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch vonStephanie Pannen

Für meine drei Gentlemen ...

Ich habe mir euch gewünscht, und all meine Träumewurden wahr.

»Seid fromm, liebt mich und bessert euch.«

Benedikt, Viel Lärm um nichts

William Shakespeare

Eins

»Scheibenkleister!« Nadeln schossen durch meinen Zeigefinger. Ich befreite ihn aus der Kommodenschublade, hielt ihn an die Brust und wartete darauf, dass der Schmerz nachließ. Mein Finger war das unglückliche Opfer einer übereifrigen Einräumaktion geworden. Je aufgeregter ich war, desto ungeschickter wurde ich, und heute war so ziemlich der aufregendste Tag meines Lebens. Seit meiner Ankunft vor zwanzig Minuten in Daffodil Drive 121 in Arcata, Kalifornien, hatte ich den Inhalt meiner beiden Koffer ausgepackt und in meinem Zimmer verteilt. Mein neues Zuhause war nur einen kurzen Spaziergang von der Redwood State University entfernt. Ich hatte so hart dafür gearbeitet, um dort angenommen zu werden. Doch nun, nach einer fast unendlichen Autofahrt und Snacks mit ungefähr siebentausend Kalorien, konnte ich es kaum erwarten, meine neue Nachbarschaft zu erkunden. Ich ging zu dem kleinen Fenster meines Studentenzimmers und schaute auf die Nadelbäume, die draußen Wache standen. Da meine Mitbewohnerinnen noch unterwegs waren, war es wohl nicht unhöflich, wenn ich noch schnell eine kurze Runde laufen ging. Fünf Tage ohne Joggen hatten mich steif und unleidlich gemacht, und es schien mir vernünftig, ein bisschen von meiner Nervosität wegzutrainieren, bevor ich die Mädchen traf, mit denen ich das nächste Jahr zusammenwohnen würde. Schließlich gab es keine zweite Chance für einen ersten Eindruck, und ich war fest entschlossen, dass meiner makellos sein sollte. Ich zog meine Trainingsklamotten über und schrieb einen Zettel.

Bin gerade angekommen und laufe eine Runde. Bin zum Abendessen zurück und kann es kaum erwarten, euch offiziell kennenzulernen! XO, Mia

Ich legte den Zettel in den Eingang und zog die Haustür hinter mir zu.

Eine kurze Suche auf meinem Handy verriet mir, dass es zwei Hauptwanderwege direkt hinter meinem Haus gab. Die Bewertung eines der beiden versprach »die urzeitlichsten Farne diesseits von Jurassic Park, inmitten von atemberaubenden Mammutbäumen, die man sich nicht entgehen lassen sollte«. Bingo. Ich prägte mir die Wanderroute ein – am Ende des Gehwegs geradeaus, auf dem Hügel links und an der Weggabelung in der Nähe des großen Felsens nördlich halten –, steckte mein Handy ein und begann in Richtung Wald zu laufen. Die Luft roch nach Herbst wie ein Haufen frisch gefallener Blätter in der warmen Nachmittagssonne. Am Ende des Blocks bog ich nach rechts ab, überquerte die Straße und betrat den an den Campus grenzenden Wald. Das dichte Blätterdach der Bäume filterte die Sonnenstrahlen und sorgte dafür, dass sich die Luft irgendwie dicker anfühlte. Irgendwann ging es ziemlich steil bergauf, und als ich den Gipfel erreicht hatte, hielt ich mich links und bahnte mir meinen Weg durch die sanft wirbelnden Nebelschleier. Der Nebel kitzelte mich in der Nase, kühlte meine Lunge, und ich nahm das Aroma von Erde und Kiefern wahr. Dieser Geruch gehörte zu den Dingen, die ich an den Campingausflügen meiner Familie immer am liebsten mochte. Es war schön, etwas Vertrautes in einer völlig fremden Welt zu finden, denn abgesehen von grünen Blättern und Dreck war nicht viel Vertrautes an meinem neuen Zuhause.

Erstens waren die Bäume in diesem Wald viel höher als die in den Wäldern Neuenglands. Um genau zu sein, Hunderte von Metern höher. Ihre Stämme waren rötlich und vom Boden bis zu den untersten Ästen mit smaragdgrünem Moos überwachsen.

Und die Luft ...

Als der Pfad plötzlich endete, blieb ich abrupt stehen. Da ich weit und breit keinen großen Felsen entdecken konnte, musste ich wohl falsch abgebogen sein. Die Luft war inzwischen zehn Grad kälter und der Nebel von einem kühlenden Dunst zu einer beklemmenden Rauchwolke geworden. Die Haut auf meinen Unterarmen begann zu kribbeln. Angst ergriff von mir Besitz und drehte mir den Magen um, während ich mich im dichten Wald hektisch umzusehen begann. Zwischen den hoch aufragenden Mammutbäumen und den kompliziert ineinander verschränkten Farnen war es hier so dunkel, dass ich kaum etwas sehen konnte. Aber das musste ich auch gar nicht, um die einzige Sache zu wissen, die eine Rolle spielte – ich war nicht allein. Und dem leisen Knurren nach zu urteilen, das aus dem Gebüsch vor mir drang, war mein Besucher fuchsteufelswild.

»Ich bin schon wieder weg«, sagte ich leise, in der Hoffnung, die ungesehene Kreatur durch meinen ruhigen Tonfall besänftigen zu können. Meine Stimme brach gerade genug, um meine Panik zu verraten. Was hatte ich mir dabei gedacht, so kurz vor Sonnenuntergang in einen fremden Wald zu gehen? Es gab Dinge, die in der Dämmerung hungrig wurden. Große Dinge. Fleischfressende Dinge.

Gott, ich hoffte inständig, dass das, was da knurrte, ein Pflanzenfresser war.

Ich streckte meine Arme zu den Seiten aus, um größer zu wirken, und setzte langsam einen Fuß hinter den anderen. Es blieb keine Zeit, über die Panik nachzudenken, die in mir aufstieg, oder die Taubheit in meinen Händen. Ich musste es nur zurück auf den Hügel schaffen. Dann war es nicht mehr weit zurück zur Stadt. Nur eine kleine Strecke zu laufen. Das konnte ich schaffen.

Während ich weiter mit meinen Armen wedelte, bewegte ich mich langsam zurück den Hügel hinauf und ignorierte den Impuls zu flüchten. Noch war die Kreatur nicht aus dem Gebüsch gekommen, und ich wollte ihr keinen Grund geben, mich zu jagen. Zentimeter für Zentimeter arbeitete ich mich rückwärts, bis ich die Hälfte des Hügels erklommen hatte. Ganz ruhig, Mia. Ich atmete zweimal bewusst ein und aus, um meinen Puls zu beruhigen und mein Herz aus seinem verzweifelten Tango zu holen.

Doch dann blieb ich wie angewurzelt stehen.

Hinter einem Farn tauchten zwei rotglühende Augen auf. Sie erinnerten mich an die künstlichen Fackeln, die mein Internat immer für sein Herbstfest aufgestellt hatte. Aber hier war nichts Amüsantes dran. Die unheimlichen Augen ließen meine Füße am Boden festkleben, obwohl in mir alles danach schrie wegzurennen. Ich kämpfte mit aller Macht dagegen an und befreite erst einen Sneaker, dann den anderen aus seiner Erstarrung. In meiner Panik bemerkte ich kaum den riesigen, mit grauem Fell bedeckten Kopf mit den spitzen Ohren, der die angsteinflößenden Augen einrahmte. Ich drehte mich einfach nur um und rannte den Hügel hinauf.

Das Biest schoss hinter mir her.

Der angestrengte Atem der Kreatur wurde lauter – sie kam näher. Meine Zehen drückten gegen die Polsterung meiner Nikes, während meine Schritte länger wurden und ich alles gab, um die Sicherheit der Lichtung zu erreichen. Doch ich hatte immer noch eine Viertelmeile vor mir, und das Knurren war inzwischen direkt hinter mir.

»Argh!« Ich schrie auf, als sich die Zähne des Biests um meinen Arm legten und mich nach hinten rissen, bevor es seinen Biss lockerte. Wieder wurde an meinem Arm gezogen, als der Ärmel meines Hoodies riss – der Stoff musste sich an einem der Reißzähne des Tiers verfangen haben. Mein Handgelenk begann zu pulsieren, als verletztes Fleisch auf kalte Luft traf. Etwas Heißes und Nasses rann meine Finger herunter, doch ich wagte nicht hinzusehen, denn ich hatte Angst vor dem, was ich sehen würde.

»Hilfe!« Als mein Ärmel endlich nachgab, stolperte ich vorwärts. Sobald ich frei war, begann ich wieder den Hügel hinaufzurennen, um so viel Abstand wie möglich zwischen dieses furchtbare Tier und mich zu bringen. Mein Arm brannte wie Feuer, und ich hatte Angst, dass ihn ein weiterer Biss brechen würde. Galle stieg mir die Kehle hoch, doch ich zwang sie wieder hinunter. Du kannst später ausrasten, Mia. Jetzt musst du rennen.

Ich war so darauf konzentriert, mich in Sicherheit zu bringen, dass ich den Mann im Schatten fast übersehen hätte. Er schoss an mir vorbei, als ich gerade den Gipfel erreicht hatte. Seine intensiv blauen Augen ließen mich innehalten, als sie sich für den Bruchteil eines Moments auf mich richteten. Die Verbindung wurde durchbrochen, als der Mann einen kehligen Schrei ausstieß und sich auf meinen Angreifer stürzte. Das Geräusch von aufeinanderprallenden Körpern hallte durch den Wald. Ich wirbelte herum und sah eine Masse aus Klauen und Fäusten, blonden Haaren und grauem Fell, während der Mann und das Biest in einem Busch landeten. Beide waren unnatürlich groß. Die Kreatur, was immer sie auch sein mochte, musste mindestens drei Meter groß sein und hatte den langen Schwanz und die spitzen Ohren von Füchsen, die ich von daheim kannte. Und der Mann ... obwohl er ein Sweatshirt mit Kapuze trug, war offensichtlich, dass er die Art von Muskeln hatte, die man außerhalb von Fitnessstudios selten zu sehen bekam. Er zwang den Kopf der Kreatur zur Seite, obwohl ich mir sicher war, dass das Biest viel schwerer war als er.

Sie verschwanden in den Wäldern, bevor ich auch nur Luft holen konnte. Als hinter mir das Geräusch brechender Knochen aus dem Gebüsch drang und ich den Schmerzensschrei eines verwundeten Tiers hörte, sackte ich auf die Knie.

Dann wurde alles schwarz.

Zwei

Als ich meine Augen öffnete, kniete ein blondes Mädchen an meiner Seite.

»Bist du okay?«, fragte sie besorgt, während sie mir sanft in eine sitzende Position half. Obwohl sie sehr schmal war, konnte sie mich mit Leichtigkeit bewegen, bis ich mit dem Rücken an einem moosbewachsenen Baumstamm lehnte. Ich fasste mir an den schmerzenden Hinterkopf. Dann warf ich einen Blick auf die trockene Erde und das scheinbar unendliche Grün des Waldes um mich herum. Wie komme ich hierher?

Dann brachen die Erinnerungen wie eine Lawine auf mein verwirrtes Hirn ein. Mühsam kam ich auf die Beine und drehte so schnell den Kopf, dass mir mein Pferdeschwanz ins Gesicht schlug. »Wo sind sie? Ist das Tier noch in der Nähe? Oh Gott, hat es ...?« Mit angehaltenem Atem warf ich einen Blick auf meinen Arm und befürchtete, freiliegende Knochen und zerrissenes Fleisch zu sehen. Stattdessen war da nur mein angeknabberter Nagellack und der unversehrte Ärmel meines Hoodies. Mir fiel vor Überraschung der Mund auf.

»Was in aller Welt ...?« Ich schob den Stoff bis zum Ellbogen und starrte verwirrt auf meinen Arm. Die Haut war unverletzt. Kein Knochen. Kein Blut. Keine Spuren des Überlebenskampfs, den ich hinter mir hatte. War das alles etwa nur ein Traum gewesen?

»Du hast ein Tier gesehen?« Das blonde Mädchen sprang auf und ging in eine Verteidigungsposition. Sie war wirklich klein, und ihre Locken hüpften herum, während sie von einem Bein aufs andere trat. Sie wirkte eher wie jemand, der Pompons schütteln sollte, statt es mit einer rasenden Bestie aufzunehmen, doch das war mir egal – ich war froh, nicht allein zu sein.

»Ich bin weggerannt, und es hat versucht, mir den Arm abzubeißen. Doch dann ist dieser Kerl aufgetaucht und – oh mein Gott, der Kerl. Ist er in Ordnung?« Ich suchte den Wald nach Spuren des Kampfes ab. Die Bäume, das Gebüsch und der leicht wirbelnde Nebel waren noch da, das Tier und mein Retter jedoch verschwunden.

»Bist du sicher, dass du okay bist?«, fragte mich das Mädchen und entspannte sich ein wenig.

»Nein!« Die Erinnerung an die Zähne, die sich in meinen Arm versenkt hatten, schnürte mir die Kehle zu und trieb mir die Tränen in die Augen.

»Am besten bringen wir dich erst mal von hier weg.« Das Mädchen führte mich am Ellbogen, als wäre ich völlig durchgeknallt. Mir war klar, dass ich ziemlich verrückt wirken musste, so wie ich immer wieder meinen unverletzten Arm anstarrte.

»Ich bin Brynn«, sagte das Mädchen beiläufig, während sie mich zurück in die Stadt führte. Ihre Stimme hob sich am Ende jedes Satzes, dadurch klang es ein bisschen, als würde sie singen.

»Ich bin Mia. Danke für deine Hilfe.«

»Na klar«, erwiderte Brynn fröhlich. »Mia Ahlström, richtig?«

»Woher weißt du das?« Ich sah sie misstrauisch an. Zuerst hatte mich ein riesiges Tier angegriffen, und nun kannte eine völlig Fremde meinen Namen. Entweder hatte es jemand auf mich abgesehen, oder ich war dabei, den Verstand zu verlieren.

»Ich hab dich von dem Foto erkannt, das du geschickt hast«, lachte das Mädchen unbekümmert. »Ich bin deine Mitbewohnerin Brynn ... aus Schweden.«

»Oh, natürlich. Tut mir leid.« Ich wurde rot. »Das hätte ich wissen müssen.«

»Du bist ziemlich durcheinander, flicka.« Brynn nickte fröhlich.

»Wie hast du mich genannt?« Durch meinen Großvater kannte ich ein bisschen Norwegisch, doch Schwedisch war etwas vollkommen anderes.

»Flicka. Das bedeutet Mädchen. Gehen wir zum Haus zurück. Charlotte und Heather können es kaum erwarten, dich zu treffen.«

»Sie waren nicht zu Hause, als ich gegangen bin«, erzählte ich Brynn, während wir Richtung Stadt gingen. Seit meiner Ohnmacht war der Himmel viel dunkler geworden, und die letzten Sonnenstrahlen des Tages fielen durch die dichten Baumkronen.

»Wir treffen sie später auf der Party.«

»Was für eine Party? Ich bin mir nicht sicher, ob mir gerade nach Feiern zumute ist ...« Wieder warf ich einen Blick auf meinen Arm. Nicht ein einziger Kratzer. Wie war das nur möglich?

»Hast du gesehen, was da vorhin passiert ist?«

Brynn schüttelte den Kopf. Ihre großen grünen Augen wirkten besorgt. »Nein. Ich war joggen und habe dich auf dem Boden entdeckt. Du musst beim Laufen ohnmächtig geworden sein. Ist dir das schon mal passiert?«

»Du hast kein großes Tier gesehen? Einen Berglöwen oder Wolf oder so etwas? Oder den riesigen blonden Kerl mit dem Todeswunsch?«

»Muss ich übersehen haben«, sagte Brynn. »Hätte mir aber nichts ausgemacht, einen großen muskulösen Kerl zu sehen.«

Ich kratzte mich im Nacken. Also wurde ich wirklich verrückt. Mein Bruder Jason würde an dieser Geschichte einen Heidenspaß haben.

»Komm jetzt.« Brynn lief voraus, und ihr goldener Pferdeschwanz wippte hin und her. »Lass uns Pizza bestellen. Ich bin am Verhungern, und du solltest deinen Blutzucker wieder in Ordnung bringen.«

Ich begann ihr nachzulaufen. Erst zögerlich, doch als mir nichts wehtat, folgte ich ihr schneller. Vielleicht war das einfach zu viel frische Luft gewesen. Oder vielleicht hätte ich nicht nach fünf Tagen im Auto direkt wieder mit dem Training beginnen sollen. Was auch immer passiert war, mein Arm war völlig in Ordnung. Und Pizza und eine Party waren eine viel bessere Geschichte über meinen ersten Tag am College, als etwas von einem ausgedachten Monster zu erzählen. Auch wenn die Aussicht darauf, mit einem Haufen Fremder herumzustehen, so verlockend wirkte, wie einen Test ohne Vorbereitung zu schreiben. Ein Schritt nach dem anderen, Ahlström. Irgendwann musst du ja mal anfangen.

Ich atmete tief durch und lief weiter. Offenbar begann dieses Irgendwann genau jetzt.

***

»Du machst was bitte?« Mein Bruder verzog schockiert das Gesicht. Ich lehnte das Handy gegen den Spiegel, damit ich mich während meines Videochats mit Jason schminken konnte. Es lebe das Multitasking.

»Du hast richtig gehört. Ich gehe zu einer Party.«

»Aber du hasst Menschenmengen«, sprach er aus, was jeder, der mich kannte, wusste.

»Erinnere mich bloß nicht.« Ich unterdrückte einen Schauder. »Meine Mitbewohnerin hat gesagt, wir treffen uns nur mit ein paar anderen Studienanfängern hier um die Ecke, also wird es vielleicht nicht so schlimm.«

»Ich erkenne dich ja gar nicht wieder. Weiß der Matheklub, dass du zu einer Party gehst? Ich dachte, freitagabends findet immer ›Spaß mit Brüchen‹ statt.« Jasons veilchenblaue Augen verzogen sich zu einem Lächeln. Sie hatten exakt die gleiche Farbe wie meine.

»Haha, sehr witzig. Nur zu deiner Information, Mathe kann wirklich Spaß machen.«

Jason schnaubte. »Rede dir das ruhig weiter ein.«

»Bist du nicht selbst in einer BWL-Verbindung, Mr Arrogant?«

»In der Tat.« Jason nickte. »Und Kappa O schmeißt die besten Feten auf dem Campus. Wobei ich mir sicher bin, dass der Matheklub auch das ein oder andere wilde Gelage gefeiert hat.«

Ich streckte ihm die Zunge raus und schraubte meinen Eyeliner auf. »Wie geht's Mama?«

»Schon viel besser, nachdem du heil in Arcata angekommen bist. Ihr siebzehnjähriges Nesthäkchen quer durchs Land fahren zu lassen, war nicht leicht für sie, weißt du?«

»In drei Monaten werde ich neunzehn«, rief ich ihm ins Gedächtnis. »Und sie schien schon viel beruhigter zu sein, nachdem ich dieses GPS-Ding auf ihrem Handy installiert habe, damit sie mich rund um die Uhr kontrollieren kann.« Ich malte eine Linie über meinem Wimpernkranz und zog sie im Augenwinkel ein wenig hoch.

»Apropos, Dad hat die Stalking-App gerade deaktiviert, also kannst du dein Collegeleben in relativem Frieden führen. Ich soll dir von ihm ›Gern geschehen‹ ausrichten.«

»Der Gute.« Ich schminkte mein anderes Auge.

Jason richtete seine Baseballkappe. »Und wie war die Fahrt?«

»Im Großen und Ganzen okay. Ich hatte auf halber Strecke in Nebraska einen platten Reifen und beim Auswechseln im strömenden Regen fast meine brandneuen Wildlederstiefel ruiniert. Ich hatte es so eilig, aus Buckshire zu verschwinden, dass ich vergessen habe, sie zu imprägnieren.«

»Oh nein. Du hast vergessen, deine Stiefel zu imprägnieren?« Jason legte seine Hände auf die Wangen und riss den Mund auf.

»Hör schon auf, das ist eine wirklich große Sache!« Ich liebte meinen Bruder, aber Jason hatte wirklich gar keine Ahnung von Schuhen.

Jason blinzelte. »Dir ist aber schon klar, dass nicht alles so furchtbar ernst sein muss, oder? Es gibt ein paar Dinge, die sollen einfach nur Spaß machen.«

Ich dachte darüber nach, während ich zur Wimpernzange griff. Mit unseren schokoladenbraunen Haaren und dem sportlichen Körperbau waren Jason und ich offensichtlich Geschwister, aber während mein Bruder locker und kontaktfreudig war, der Quarterback seines Schulteams und der strahlende Mittelpunkt jeder Party, hielt ich mich lieber bedeckt. Meine Lieblingsfächer waren Mathe und die Naturwissenschaften – Dinge mit konkreten Schwarz-Weiß-Antworten, da mir Grau einfach nicht lag. Meine Entscheidungen hatten zu einem Leben geführt, in dem alles einfach und geordnet vonstattenging. Und genauso gefiel es mir. Ein genau durchgeplantes Leben bedeutete, dass mich selten etwas aus dem Konzept brachte ... einschließlich meines allwissenden, charmanten, liebenswürdigen Bruders. Er war die einzige Person, die immer bedingungslos ehrlich zu mir war, und dafür liebte ich ihn über alles.

»Jason?«, fragte ich, während ich die erste Schicht Wimperntusche auftrug.

»Ja?«

»Es wird mir hier doch gefallen, oder?«

»Gibt Mia Ahlström etwa zu, dass sie nervös ist?«

»Sag es niemandem.« Meine Wangen begannen zu kribbeln. Meine Unfähigkeit, Gefühle zu verbergen, grenzte ans Absurde.

»Du wirst es lieben.« Jason nickte auf dem Monitor. »Eine ganze Universität voller Mathestreber? Da passt du rein wie die Faust aufs Auge.«

Wieder streckte ich ihm die Zunge raus, während ich die zweite Schicht Wimperntusche auftrug und mich dann ans andere Auge machte. »Ich meine es ernst. Ich will nicht das Mauerblümchen sein an einer Uni voller ...«

»Mathestreber«, wiederholte Jason. »Du wirst ihre Königin sein.«

»Ich habe kein Problem damit, die Verbindung zu unterbrechen.« Ich legte drohend einen Finger auf das Handy.

»Schon gut!« Jason hob kapitulierend seine Hände. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf meine Make-up-Tasche. Rouge, Rouge, Rouge .... ah, da ist es ja. Ich nahm die Packung heraus und staubte meinen Schminkpinsel ab. »Nein, ernsthaft, du wirst schon klarkommen. Du hältst die Familie zusammen, genau wie Meemaw. Hast du nicht letztes Jahr sogar diesen Preis für Teambuilding gewonnen?« Jetzt hatte Jason einen Lauf und zählte meine Errungenschaften mit den Fingern ab. »Du warst Schulsprecherin und hast die Unterstufenschüler davon abgehalten, sich während der Kissenschlachten gegenseitig umzubringen. Wenn du es schaffst, den Frieden in einem der versnobbtesten Internate der Tri-State-Area zu bewahren, wirst du keine Schwierigkeiten haben, dich mit ein paar kalifornischen Hippies anzufreunden. Auch wenn es wahrscheinlich leichter wäre, wenn du auf dem Campus wohnen würdest. Warum wolltest du nicht ins Studentenwohnheim?«

»Du weißt warum.« Ich schminkte mir die Wangen mit dem pinken Puder. »Ich war ewig in einem Wohnheim. Mit all diesen Mädchen auf engstem Raum zusammenzuleben war ein bisschen anstrengend.«

»Ich finde, das klingt perfekt.« Jason wackelte mit seinen Augenbrauen.

»War ja klar.«

»Und Mitbewohnerinnen hast du auch schon?« Er fuhr sich durchs Haar.

»Ja. Die Uni hat uns nach einem persönlichen Fragebogen zugewiesen. So eine Art Dating-App für Mitbewohner.«

»Die machen das, selbst wenn du nicht auf dem Campus wohnst?«, fragte Jason.

»Diese Uni schon.« Ich zuckte mit den Schultern. »War beim Erstsemester-Orienterungspaket dabei. Ich habe einfach nur das Kästchen angeklickt, auf dem stand, dass ich außerhalb des Campus wohne, und das Formular ausgefüllt. Ein paar Wochen später haben sie Heather und Charlottes Namen und Mailadressen geschickt. Und vor ein paar Tagen haben wir eine weitere Mitbewohnerin bekommen – Brynn.«

»Cooler Name.« Jasons Mund verzog sich zu einem schelmischen Grinsen. »Ich wette, sie ist voll scharf und sportlich.«

»Sie ist wirklich hübsch«, sagte ich. »Sie kommt aus Schweden. Sie ist die Einzige, die ich bis jetzt getroffen habe.«

»Schweden? Dann ist sie auf jeden Fall megaheiß. Also besuche ich dich möglichst bald.« Jason nickte. »Tja, ich bin mir sicher, dass du weißt, was du tust. Fang mit deinen Mitbewohnerinnen an, und arbeite dich von dort aus vor. Du schaffst das schon.«

»Danke, Jase.« Schnell umrandete ich meine Lippen und füllte sie dann mit einem rosafarbenen Lippenstift auf.

»Hey, hör mal. Ich weiß, dass du immer alles auf eine ganz bestimmte Art machst. Du bist meine kleine Pedantin, und das ist normalerweise auch völlig in Ordnung.«

»Da kommt jetzt ein Aber, oder?« Ich lächelte. Es war unmöglich, auf jemanden sauer zu sein, der immer auf einen aufpasste.

Na ja, nicht völlig unmöglich ...

»Aber ...« Jason erwiderte mein Lächeln. »Das Leben ist nicht immer schwarz und weiß. Du wirst dich manchmal in einer Situation wiederfinden, auf die dich unsere Erziehung nicht vorbereitet hat. So ging es mir jedenfalls. Ich will nur, dass du mir eine Sache versprichst.«

»Was?«

»Brich ein paar deiner ach so wichtigen Regeln für mich. Das College ist voller einmaliger Erfahrungen. Nie wieder werden wir so viel Freiheit kombiniert mit so wenig Verantwortung haben. Geh bis spät in die Nacht aus, hab Spaß auf Partys, und geh vielleicht auch ab und zu mal auf ein Date. Ich verspreche dir, dass sie dich nicht aus dem Matheklub werfen werden, wenn du mal ein bisschen Spaß hast.«

»Ich habe Spaß.« Ich hob trotzig mein Kinn. Wenn Jason quadratische Gleichungen und Ski-Unterricht nicht für Spaß hielt, hatte er nicht mehr Verstand als eine Ziege.

»Lebe einfach mal ein bisschen. Mehr sage ich ja gar nicht.«

Da mein Bruder immer schon gern Weisheiten von sich gab wie ein gewisser kleiner grüner Jedimeister, verzieh ich ihm seine Ignoranz bezüglich der Freuden der Mathematik. »Okay, Bro-da. Dir zuliebe.«

Jason lachte über den Spitznamen. Er wirkte so selbstzufrieden, dass ich es nicht übers Herz brachte, ihm zu sagen, dass er völlig falschlag. Natürlich definierte er in seiner Welt Mathe und Mädchensport nicht als aufregend. Doch wenigstens wusste ich, was dieses Leben für mich bereithielt: College, einen gut bezahlten Ingenieursjob und ein »Glücklich bis ans Ende ihrer Tage« mit meinem Märchenprinzen, genau wie es mir unsere Großmutter immer versprochen hatte.

»Tja, ich muss jetzt los. Drück mir die Daumen.«

»Party on, Mees.« Jason hob eine Faust. »Du schaffst das schon.«

»Danke. Versuch dieses Semester nicht zu viele Herzen zu brechen, okay?«

»Ich verspreche nie etwas, das ich nicht halten kann.« Jason zwinkerte mir zu, und ich musste lachen.

»Hab dich lieb, Jase.«

»Hab dich lieb, Mia.«

Ich beendete das Gespräch und steckte das Handy in meine Hosentasche, dann atmete ich tief durch und verließ entschlossen mein Zimmer.

Dann wollen wir mal.

***

Auf halbem Weg die Treppe hinunter wurde ich von einem Wirbelwind aus blonden Locken und Vanilleparfüm erfasst.

»Bist du bereit, oder bist du bereit, flicka? Charlotte hat mir gerade geschrieben – sie und Heather sind bereits auf der Party. Auf geht's!«

Brynn hüpfte aufgeregt herum, ihre hellgrünen Augen funkelten vor Freude, und sie grinste von einem Ohr zum anderen. Wenn sie immer so energiegeladen war, musste ich darauf achten, erst einen Kaffee zu trinken, bevor sich unsere Wege morgens kreuzten.

»Wie sehe ich aus?« Ich drehte mich.

Brynn musterte mich von Kopf bis Fuß. »Haare – laden zum Berühren ein. Make-up – subtil sexy. Outfit – chic und gleichzeitig bequem. Mit Skinny Jeans liegt man nie falsch. Du siehst perfekt aus. Und jetzt los, sonst verpassen wir den ganzen Spaß!« Brynn packte mich am Handgelenk und zog mich die restlichen Stufen hinunter.

»Ich muss nur noch schnell ...«

»Musst du nicht.« Die lebende Verkörperung der Freude eilte zur Tür und zerrte mich hinter sich her. Sie hüpfte die Treppe am Eingang so schnell hinunter, dass ich praktisch rennen musste, um hinterherzukommen. Wie konnte sie um neun Uhr abends noch so viel Energie haben? Brynn musste eine Eule sein.

Wir gingen die Straße entlang, bis wir ein dreistöckiges viktorianisches Gebäude erreichten. Brynn bahnte sich ihren Weg durch das Meer von Studenten, die überall auf der Wiese davor herumstanden, und steuerte geradewegs auf zwei Mädchen zu, die mit roten Plastikbechern in der Hand auf der Veranda standen. Als wir näher kamen, erkannte ich sie von den Fotos, die wir ausgetauscht hatten. Lächeln, Mia. Es ist an der Zeit, deine Mitbewohnerinnen kennenzulernen.

»Heather! Charlotte! Ich hab sie!« Endlich ließ Brynn mein Handgelenk los und schubste mich kurzerhand auf die Veranda. Ich konnte gerade noch stehen bleiben, bevor ich dem kleineren Mädchen auf die schwarzen Converse-Sneaker trat.

»Tut mir leid«, entschuldigte ich mich.

»Keine Sorge«, winkte das Mädchen ab. Sie hatte dunkelrote Haare, die ihr in sanften Wellen ums Gesicht fielen. Ihre Boyfriend-Jeans, das T-Shirt mit Aufdruck und eine grüne rechteckige Brille verliehen ihr einen Hipster-Vibe. »Ich bin Heather.«

»Und ich Charlotte. Wie schön, dich nach all den E-Mails endlich persönlich kennenzulernen, Mia.« Wir schüttelten uns die Hand. Charlotte hatte seidiges schwarzes Haar, das ihr in einem schrägen Bob auf die Schultern fiel, und einen dichten Pony, der bestimmt jede Woche nachgeschnitten werden musste. Zudem trug sie einfach unwiderstehliche Ankle Boots aus Wildleder.

»Es war auf jeden Fall ein langer Sommer. Schön, euch kennenzulernen.« Ich nickte auf Charlottes Füße. »Tolle Stiefel.«

»Hab ich erst heute Nachmittag gekauft«, gab sie zu. Sie sprach im strengen Tonfall einer Bibliothekarin, doch ihre braunen Augen und ihr Lächeln wirkten freundlich. So wie sie stand – kerzengerade, die Schultern zurückgezogen und die Hände an ihrer Hüfte gefaltet –, nahm ich an, dass sie entweder ebenfalls auf ein Mädcheninternat gegangen war oder das »Vergnügen« gehabt hatte, am Vorbereitungskurs eines Debütantinnenballs teilgenommen zu haben, einer Art Etiketten-Bootcamp, das in den Südstaaten oft zu finden war.

»Charlotte ist besessen von Schuhen. Sie hat sich heute vier Paar geholt, dabei sollte sie eigentlich nur Waschpulver kaufen.« Heather steckte die Daumen in ihre Gürtelschlaufen. Sie hatte eine tiefe, rauchige Stimme, die ich von Hollywoodstars der Schwarz-Weiß-Ära kannte, und ihre Worte kamen in einer eigenwilligen Geschwindigkeit, die mich an eine Jazzmelodie an einem Sommernachmittag denken ließ.

»Ich hab das Waschpulver doch geholt.« Charlotte stemmte eine Hand in die Hüfte.

»Zusammen mit was?« Heather schob sich die Brille hoch. Ihre Fingernägel hatten die gleiche Farbe wie das Gestell. Schick.

»Zusammen mit einem Filzhut, einem neuen Gürtel und ... vier paar Schuhen.« Charlotte schnaubte. »Was ist so schlimm daran, wenn ich die amerikanische Wirtschaft unterstütze?«

»Alles, was du gekauft hast, kommt aus China«, erwiderte Heather.

»Dann unterstützt eben die Mehrwertsteuer die lokale Wirtschaft. Oder so ähnlich. Und es ist ja nicht so, als hätte ich nicht angeboten, die Sachen mit dir zu teilen. Moi Schrank ist toi Schrank. Das gilt für euch alle.« Charlotte lächelte glückselig.

»An einem Kleidertausch wäre ich schon interessiert.« Ich nickte. Meine Garderobe zu vervierfachen, ohne einen Fuß in ein Geschäft setzen zu müssen, klang nach einem fabelhaften Deal. »Wenn das, was wir heute Abend tragen, ein Barometer für den Rest unserer Kleidung ist, haben wir so ungefähr jeden Stil abgedeckt.«

»Hey, Charlotte«, unterbrach Brynn das Modegespräch und nickte zur Seite. »Da kann jemand die Augen nicht von dir lassen.«

Unsere Blicke folgten Brynns Geste. Auf der anderen Seite der Veranda nippten zwei Jungs an ihren roten Plastikbechern und starrten unsere kleine Gruppe an. Charlottes perfekte Haltung wurde noch ein bisschen aufrechter.

»Der rechts ist Matt. Er hat uns die Flyer für die Party gebracht. Er kommt aus Texas«, flüsterte sie.

»Und der heiße Typ links hat heute Nachmittag sein Auto gewaschen. Oben ohne, möchte ich anmerken. Er hat echt tolle Arme, und mehr muss ich nicht wissen.« Heather zog ihre Schultern zurück und schob dadurch ihre Brust raus.

»Tja, klingt, als hättet ihr beide was vor. Ich erwarte morgen früh einen vollständigen Bericht.« Ich schubste sie leicht in die Richtung der Jungs und wandte mich lächelnd an Brynn. »Was ist mit dir? Hast du auch schon ein Auge auf jemanden geworfen?«

»Ja«, kicherte Brynn, schnappte sich erneut mein Handgelenk und zog mich zum Eingang. Sie musste sich einen dieser Energydrinks reingezogen haben, als ich unter der Dusche gestanden hatte. Ohne chemische Unterstützung war es für einen Menschen nicht möglich, so munter zu sein.

»Oh gut. Sie sind auch da!«, juchzte Brynn. Glättete die Vorderseite ihres Sweaters und betrat das Haus. Dann drehte sie sich um und bedeutete mir, ihr zu folgen. Sobald ich drinnen war, rutschte mir das Herz in die Hose. Brynn lächelte mich ahnungslos an. »Wie sind meine Zähne?«

»Ähm, perlweiß. Wie sind meine?« Ich grinste breit, doch meine Zähne waren das Letzte, worüber ich mir Gedanken machte. Es mussten etwa sechzig Leute sein, die sich in den kleinen Raum quetschten, und etwas weiter hinten, wo ich die Küche vermutete, noch mehr. Von wegen nur ein paar Studi‍enanfänger. Ich erschauerte. Jason hätte über meine Unsicherheit die Augen verdreht, doch dieses Wohnzimmer war absolut vollgestopft mit Sportlern in Flanellhemden und knapp bekleideten Studentinnen. Wohin ich auch sah, waren tief ausgeschnittene Tops und üppige Oberweiten. Ich hob die Hand an den V-Ausschnitt meines Sweaters, der gute zweieinhalb Zentimeter über meinem Dekolleté endete. Tja, Mist. Sollte mein Märchenprinz auf dieser Party sein, hoffte ich, dass er auf Schlüsselbeine stand.

Brynn winkte quer durch den Raum, und ihre blonden Locken hüpften an ihrem Rücken. Dann klatschte sie in die Hände und quietschte: »Yay!«

Ich konnte nicht anders als zu lächeln. Brynns Energie war einfach ansteckend. »Wem hast du gewinkt?«

»Meinen Freunden von zu Hause. Komm mit.« Sie zog mich an der Hand und zerrte mich praktisch in die Menge der angetrunkenen Studenten. »Ich stelle dich ihnen vor.«

Brynn eilte durch das Wohnzimmer und wich dabei gekonnt roten Plastikbechern und knutschenden Paaren aus. Ich behielt den Blick starr auf die winzigen Füße vor mir gerichtet und bewegte mich so vorsichtig wie möglich, während ich mir vorkam, als wäre ich Teilnehmerin eines Bierhindernislaufs.

Da ich auf den Boden starrte, bemerkte ich den Berg erst, als ich gegen ihn stieß.

Autsch.

»Hey. Mach langsam.« Starke Hände legten sich auf meine Schultern, als ich zurücktaumelte. Sie stabilisierten mich und hielten mich sanft fest. Ich wartete darauf, dass das Klingeln in meinen Ohren nachließ. »Brynn ist nicht die beste Navigatorin. Alles in Ordnung?«

»Alles bestens. Ich glaube ...« Es gelang mir aufzusehen, und ich fasste mir an die Stirn. Ich war beim Skifahren schon mal schwer genug gestürzt, um doppelt zu sehen, doch noch nie hatte ich mir eine ganze Person eingebildet. Der Junge, der meine Schultern festhielt, war offensichtlich nicht echt: Niemand konnte wirklich so aussehen. Er war riesig, locker zwei Meter groß. Ihn einen Berg zu nennen, war keine Übertreibung gewesen. Seine Hände hätten mit Leichtigkeit meine Taille umfassen können, und sein Bizeps erinnerte an einen Baby-Mammutbaum. Und seine Augen ... solch ein Mitternachtsblau hatte ich erst genau einmal gesehen. Für einen endlosen Moment hielt er meinen Blick, und ich versank in den unendlichen Tiefen seiner Augen. Ich war vollkommen verzaubert, doch gleichzeitig fühlte es sich an, als würde mir jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. Das kann er nicht sein. Das im Wald ist nicht wirklich passiert.

Ich ignorierte das Pulsieren in meinem Arm von dem Biss dieses wilden Tiers, das ich mir eingebildet hatte, und redete mir ein, dass die tiefe Stimme des Hünen nicht genauso klang wie die meines imaginären Retters. Der imaginäre Retter, den ich in meinem erschöpften Delirium heraufbeschworen habe.

Meine Finger sanken auf meine Wange, die ebenfalls auf die leicht unangenehme Weise kribbelte, wie das manchmal nach einem harten Training der Fall war. Mir war schwindlig, ich wusste nur nicht, ob von dem Zusammenstoß oder seiner Berührung.

Ernsthaft, er konnte nicht echt sein.

Die rötlichblonden Haare des Fremden prangten auf kunstvoll verstrubbelte Art und Weise über einem Gesicht, das so aussah, als ob es einem Filmstar geklaut worden wäre. Hohe Wangenknochen, ein markantes Kinn und schwach rosa Lippen mit einem Hauch von Fülle wurden durch diese Augen akzentuiert, die direkt in meine Seele zu blicken schienen. Mein Herz schlug in meiner Brust doppelt so schnell wie normalerweise und schickte eine ziemlich eindeutige Botschaft an mein völlig verwirrtes Hirn.

Oh wow.

»Wie viele Finger halte ich hoch?« Ohne mich auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen, nahm der Hüne eine Hand von meiner Schulter und streckte zwei Finger aus.

»Äh ... zwei?« Der schrille Klang meiner Stimme verriet, wie nervös ich war. Vielleicht würde er nicht bemerken, wie knallrot ich geworden war. Ich räusperte mich und senkte meine Stimme um eine Oktave. »Zwei.«

Der Fremde lachte. »Tja, deine Sicht wurde von Brynns schlechter Navigation schon mal nicht beschädigt.«

Der Klang seines Lachens ließ meine Knie weich werden. Als der Hüne nach meiner Taille griff, um mich festzuhalten, wurden meine Wangen noch mal eine Spur heißer. Reiß dich zusammen, Ahlström.

»Bist du ganz sicher in Ordnung?«, fragte er.

»Alles ... ähm ... bestens. Danke.« Es gelang mir, mich seiner magnetischen Anziehungskraft zu widersetzen, und ich trat zurück. Dann hob ich die Stimme, um über der lauten Musik gehört zu werden. »Ich bin Mia. Du musst einer von Brynns Freunden sein.« Sie hatte nur nicht erwähnt, dass einer ihrer Freunde dem Cover eines Fitnessmagazins entsprungen war. Der Kerl war der Inbegriff körperlicher Perfektion – jeder einzelne seiner Bauchmuskeln war durch den dünnen Stoff seines T-Shirts deutlich sichtbar. Das war kein Sixpack mehr, sondern ein ganzer Kasten voller Muskeln.

»Schuldig«, scherzte der Fremde. Er streckte die Hand aus und drückte meine sanft. »Ich bin Tyr Fredriksen. Und das ist Henrik Andersson.«

Tüüüür und Henrik?

Zum ersten Mal fiel mir auf, dass Brynn bei zwei riesigen Kerlen stand. Der zweite war ein wenig kleiner als Tyr und hatte graublaue Augen, eingerahmt von einer Brille mit schmalem Rahmen. Er trug seine vielen Muskeln an einem leicht schmaleren Körper, und sein Lächeln verlieh ihm das typische Charisma eines Schauspielers oder Politikers. Kein Wunder, dass ihn Brynn so anstrahlte.

»Hei hei.« Henrik nickte mir zu. »Tut mir leid mit Brynn. Wenn du das schon schlimm fandest, solltest du sie erst mal sehen, wie sie Auto fährt.«

»Oh, hör schon auf.« Brynn stieß Henrik spielerisch den Ellbogen in die Rippen. »Ich habe euch seit Tagen nicht gesehen. Bitte sagt mir, dass ihr nicht die ganze Zeit vor der Glotze gehockt habt. Ich habe deiner Mutter versprochen, dass ich dich nicht wieder beim Videospielen versumpfen lassen würde.«

Henrik tätschelte ihren Arm. »Wie süß. Als ob du uns davon abhalten könntest.«

Ich dachte mir, dass sie wohl nicht mal von einem Bulldozer fahrenden Dinosaurier aufgehalten werden konnten, so wie sie gebaut waren. Doch aus Höflichkeit sagte ich nichts.

Brynn verdrehte die Augen. »Mia, diese Nerds hier sind meine beiden ältesten Freunde. Henrik und ich sind nebeneinander aufgewachsen, und Tyr kenne ich seit der Grundschule.«

Ich versuchte, mir das dynamische Duo als vorwitzige Sechsjährige vorzustellen, aber es gelang mir nicht.

»Seid ihr auch Erstsemester?«, fragte ich.

Brynn kicherte. Henriks jüngerer Bruder Gunnar ist mein Jahrgang, aber dieser Kerl hier ist ein alter Mann.«

Henrik nickte. »Ich habe gerade mit meinem Master in Biomechanik angefangen.«

»Ich studiere auch Ingenieurswissenschaften.« Ich lächelte. »Ist das euer erster Besuch in den USA?«

Henrik warf Tyr einen Blick zu, der erst nach einer Pause antwortete. »Wir waren schon mal hier.«

»Was studierst du denn?«

»Die Welt.« Er grinste. Ich bekam Herzklopfen, während ich versuchte, ihm nicht auf den Mund zu starren.

Brynn verdrehte die Augen. »Sei nett, Tyr.«

»Das muss gerade diejenige sagen, die ihre Freundin gegen einen völlig Fremden geschleudert hat.« Tyr zog eine Augenbraue hoch.

»Ist gar nichts passiert. Alles gut.« Vorsichtig berührte ich die Stelle, wo meine Wange gegen Tyrs Brustbein geprallt war. Dann hob ich meine Hand. »Es blutet nicht mal.«

Brynn vergrub ihr Gesicht in den Händen. »Ugh. Tut mir so leid, Mia.«

Ich klopfte ihr auf den Rücken. »Ich bin wirklich in Ordnung.«

»Besorgen wir dir erst mal was zu trinken, Brynnie. Wollt ihr auch was?« Henrik schob seine Brille die Nase hoch.

»Nein danke.« Tyr schüttelte den Kopf.

»Ich auch nicht«, fügte ich hinzu.

»Okay. Dann bis später.« Henrik führte Brynn, die knallrot geworden war, in die Menge und ließ mich mit dem Hünen allein.

»Du bist also Brynns Mitbewohnerin?«

Ich nickte.

»Sie ist ein bisschen ungeschickt, aber dafür sehr loyal.« Tyrs Stimme war so schön wie sein Gesicht. Auch wenn die Sprachmelodie die gleiche war wie die seiner skandinavischen Freunde, klang sie viel tiefer und rauer – als wäre er gerade erst aufgewacht.

Doppelwow.

Ich schob die Vorstellung beiseite und sah ihn an. »Ihr drei seid ziemlich dicke, oder?«

»Ja.« Tyr lächelte. »Höre ich da einen Südstaatenakzent?«

Wieder begannen meine Wangen zu brennen. »Ich komme aus Connecticut, aber meine Mutter ist in Louisiana aufgewachsen. Das hat wohl auf mich abgefärbt.«

Bewusst verschwieg ich, dass der Akzent nur hörbar wurde, wenn ich nervös war. Zum Beispiel, weil ich inmitten einer großen Menschenmenge vor einem wunderschönen nordischen Mann stand und versuchte, nicht ohnmächtig zu werden. Meine wacklige Stimme und zappeligen Hände sprachen wahrscheinlich bereits Bände. Außerdem war mir nicht entgangen, dass während unseres Gesprächs jedes einzelne Mädchen im Raum zu Tyr starrte, als wäre er ein Hollywoodstar. Die Blicke, die sie mir zuwarfen, waren weniger wohlwollend.

Ein Dutzend betrunkener Jungs stürmte laut singend durch die Tür. Sie schunkelten im Takt ihres schiefen Gesangs, und währenddessen schwappte der Inhalt ihrer Plastikbecher gefährlich hin und her. Am Ende der Strophe riss einer von ihnen seinen Arm in die Höhe, und sein Bier flog durch den Raum.

Alles bewegte sich plötzlich in Zeitlupe, als ich den Becher genau auf mich zukommen sah. Mir blieb keine Zeit zum Ausweichen, und ich wartete entsetzt darauf, dass ein einziger Becher Bier meinen Kaschmirpullover und eine Stunde Zurechtmachen zerstören würde. Doch Tyr schlug den Becher in der Luft beiseite, bevor er mich erreichte, und ein Typ neben uns bekam die volle Ladung ab. Erleichterung stieg in mir auf, bevor mich die Wirklichkeit einholte.

Moment mal ... habe ich richtig gesehen? Hat sich dieses Bier gerade den Gesetzen der Physik widersetzt? Ich rieb mir die Augen. Meine fünf Tage im Auto hatten mir anscheinend das Hirn verdreht.

»Tut mir leid«, sagte Tyr. Der andere Kerl wischte sich Flüssigkeit vom Arm und zuckte nur mit den Schultern, bevor er sich wieder dem Mädchen zuwandte, mit dem er gerade sprach. So wie sie ihm ihre Brust zudrehte, schadete seine bierdurchtränkte Hose nicht seinen Chancen bei ihr. »Uff da«, murmelte Tyr.

Ich blinzelte. »Uff da? Ist das nicht Norwegisch? Ich dachte, ihr kommt aus Schweden.«

»Du sprichst Norwegisch?«

»Nicht so richtig«, gab ich zu. »Aber mein Großvater ist Norweger, und er sagt das oft.«

»Ah.« Tyr hielt einen langen Moment inne. »Meine Freunde und ich sprechen eine Mischung der nordischen Sprachen – eher so was wie ›Skandiwegisch‹. Wir kommen zwar aus Schweden, haben aber viel Zeit an anderen Orten verbracht.«

Ich atmete langsam aus und presste die Hände gegen meine Jeans. Das fliegende Bier und das multilinguale Model vor mir waren ziemlich überwältigend. Ich musste wieder herunterkommen.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, neigte Tyr den Kopf und sah mich halb einladend, halb herausfordernd an. »Das reicht mir jetzt mit diesem Gedränge. Magst du mich nach draußen begleiten?« Ich warf ihm einen dankbaren Blick zu, und er machte einen Schritt in Richtung Hintertür. »Lass uns von hier verschwinden.«

Ich nickte.

Tyr ergriff meine Hand, und eine Wärme durchströmte mich von den Fingerspitzen bis in die Zehen. Plötzlich hatte ich Schmetterlinge im Bauch und fühlte mich, als würde ich schweben. Tyr war zweifellos der attraktivste Mann, den ich je gesehen hatte, und er hielt meine Hand.

Er hielt. Meine Hand.

Bitte, lieber Gott, lass mich nicht ohnmächtig werden. Zumindest nicht, bevor ich diesem Kerl meine Nummer gegeben habe. Außerdem vielen Dank, dass du mich ihn an einem Tag hast treffen lassen, an dem meine Frisur sitzt. XOXO, Mia.

Ohne ein Wort zu sagen, führte mich Tyr durch die herumzappelnden Körper, vorbei an den Lautsprechern, aus denen Rockmusik drang, und die Hintertür hinaus. Ich musste meinen Füßen zugutehalten, dass sie mich nicht im Stich ließen – ich stolperte nicht ein einziges Mal. Mein Verstand hingegen drehte sich wie eine Zweijährige in einem Tutu.

Im Garten war es ruhiger. Hier verteilten sich nur eine Handvoll Studenten auf der Wiese. Am oberen Ende der drei Stufen, die von der Veranda in den Garten führten, hielten wir an. Tyr setzte sich und klopfte neben sich auf die Stufe. Also gesellte ich mich zu ihm, die Arme um meine Knie geschlungen.

»Ein bisschen zu wild da drin, oder?« Jetzt wo wir weiter von der Musik entfernt waren, sprach Tyr leiser.

Ich nickte und begann auf meiner Unterlippe herumzukauen. Ich war nervös, was aus meinem Mund kommen würde, wenn ich ihn öffnete. Danke, dass du mich aus diesem Irrenhaus geholt hast. Du bist sexy. Du hast meinen Lieblingspulli gerettet. Darf ich mal deine Muskeln anfassen? Danke, dass du dieses Bier abgeblockt hast. Sollen wir knutschen? Die Möglichkeiten, sich durch Ehrlichkeit zu blamieren, waren endlos.

Tyr sah zu, wie ich auf meiner Lippe herumkaute. Seine Lippen teilten sich, und sein Blick wurde intensiver. Er hob seine Hand, als wolle er mein Gesicht berühren, dann zog er sie zurück. Seufzend riss er seine Augen von meinem Mund los.

Atme, Ahlström. Atme.

»Also, Mia. Du stammst aus Connecticut?« Ich war dankbar, dass Tyr das Gespräch in unverfängliche Bahnen lenkte.

»Ja, aus einem Ort namens Buckshire. Ein hübscher Fluss, viele Weiden und offenes Land. Das typisch kleinstädtische Amerika.«

»Ich bin neu hier. Was bedeutet das?« Tyr starrte auf ein Pärchen, das durch den Garten ging.

»Nur dass es dort, wo ich herkomme, ziemlich altmodisch ist. Freitags geht man ins Kino am Marktplatz, sonntags zum Familienpicknick. Meine Mom ist Hausfrau, mein Dad hat einen Finanzjob in der nächsten Großstadt. Mein Bruder studiert inzwischen BWL an der Penn State, aber als wir noch jünger waren, haben wir alles als Familie gemacht – Wandern, Campen, Angeln, Jagen ...«

»Jagen? Du?« Tyr musterte mich von Kopf bis Fuß. »Das kleine Ding, das auf einer Collegeparty eine Perlenkette trägt? Du weißt, wie man eine Waffe hält?«

Ich hob trotzig das Kinn. »Unterschätze mich nicht. Ich kann in Nullkommanichts von Make-up auf Schlamm umschalten.«

Tyr lachte. »Das würde ich gern mal sehen.«

»Wenn du es richtig angehst, wirst du das vielleicht.« Ich lächelte arrogant und klopfte mir innerlich auf die Schulter, weil ich nicht nervös herumgeplappert hatte. Punkt für dich, Mia.

Tyr zog eine Augenbraue hoch, lehnte sich zurück und musterte mich erneut. Seine Augen wanderten langsam meinen Körper hinab und blieben auf dem Rückweg nur einen Moment länger als nötig auf meiner Brust liegen. Die Intimität seines Blicks ließ mich erröten. Aber als Tyr mir wieder in die Augen sah, wirkte er nicht im Geringsten schuldig. Stattdessen zwinkerte er mir zu und grinste frech. »Vielleicht komme ich darauf zurück.«

Oh mein Gott. Für wen hielt sich dieser Typ? Und die viel wichtigere Frage lautete: Warum ließ ich das mit mir machen? Ich war mir zu neunundneunzig Prozent sicher, dass es nicht angemessen war, einem Jungen, den man gerade erst kennengelernt hatte, so hinterherzuhecheln.

Zumindest nicht so offensichtlich.

Ich löste die Arme von meinen Knien und warf meine Haare über die Schulter. Gib dich cool, Mia. »Und du kommst also aus Schweden?« Ich lehnte mich zurück und imitierte Tyrs Pose. Ich wünschte, ich würde mich so cool fühlen, wie er aussah. »Wie ist das so? Gibt es da viele Polarbären? Iglus? Reist ihr mit dem Hundeschlitten?«

Tyr schüttelte amüsiert den Kopf. »Du bist witzig.«

»So sagt man.«

»Ich bin aus Malmö hergezogen. Das ist eine Stadt an der südlichen Spitze von Schweden. Leider gibt es dort keine Eisbären, aber dafür ein solides Nachtleben und eine außergewöhnlich gute Fußballmannschaft.«

»Meinst du Football?«

Tyr kniff die Augen zusammen. »Nein, natürlich meine ich Fußball. Dir ist schon klar, dass ihr das einzige Land seid, das den falschen Namen für den zweitgrößten Sport in allen Welten benutzt, oder?«

»In allen Welten?« Ich sah ihn fragend an.

»Im Universum«, korrigierte er schnell. Muss ein Übersetzungsfehler aus dem Schwedischen sein.

»Was ist denn der größte Sport?«

»Rugby natürlich«, sagte Tyr, als wäre es offensichtlich.

»Das ist in meiner Heimatstadt auch ganz groß. Unsere Highschool war drei Jahre lang Landesmeister.«

»Dann verstehst du es also.«

»Nicht wirklich. Ich bin nach Tottenham gegangen, das Mädcheninternat zwei Orte weiter. Wir haben kein Rugby gespielt, sind aber viel Ski gefahren. Das kennt ihr in Schweden doch sicher auch.«

»Na klar. Unsere Sessellifte werden von Polarbären betrieben.«

»Ha.« Ich stupste Tyr mit meinem Knie an. Der kurze Körperkontakt ließ mein Bein entflammen, also zog ich mich schnell wieder zurück. Es würde schwerer sein, cool zu bleiben, wenn ich zu einer hormongeschwängerten Pfütze zerschmolz.

»Also fährst du Ski?«, fragte Tyr. Ich zwang mich, in seine unergründlichen Augen zu blicken, die mich so intensiv beobachteten, als ob sie sich in meine Seele bohren wollten.

»Ähm, ja. Mein Team ist letztes Jahr beim Super G Bundeschampion geworden.« Super G – ein Rennen, das schneller war als der Giant Slalom, aber mit mehr Toren als Downhill – war mein Lieblingsturnier. Sosehr ich es auch liebte, die Kontrolle zu haben, liebte ich Geschwindigkeit noch mehr. »Mein Internat lag in der Nähe eines halbwegs brauchbaren Bergs, also sind wir unter der Woche dort abgefahren. Aber wenn wir richtig Ski fahren wollten, sind wir am Wochenende nach Vermont oder New Hampshire. Es geht einfach nichts über den Schnee dort, weißt du?«

»Du bist in Wettbewerben angetreten?« Die Überraschung in Tyrs Gesicht war gleichzeitig komisch und beleidigend.

»Ich war zwei Jahre in Folge Mannschaftscaptain und Trainingsleiterin.« Ich widerstand dem Drang, ihm zu sagen, wie viele Klimmzüge ich schaffte. Er hielt mich für ziemlich ungeschickt. Schließlich war ich ja gegen ihn gerannt.

»Und du hast am Super G teilgenommen?« Da war er wieder – dieser viel zu intensive Blick, als ob er versuchen würde, meine Gedanken zu lesen. »Ich muss mich bei dir entschuldigen. Ich habe dich für eine Prinzessin gehalten.«

»B-bitte was?« Mit meinen knallroten Wangen und meinem Gestotter wirkte ich gerade wenig königlich.

»Schicke Schuhe, Kaschmirpullover, Perlenkette? Du wirkst wie die Art Frau, der Vögel und Häschen durch den Wald folgen, während du Lieder singst.«

»Hast du zufällig alles, was du über amerikanische Kultur weißt, aus Zeichentrickfilmen?«

»Vielleicht.« Tyrs hinreißendes Lächeln ließ meine Wangen erneut entflammen. Ich erwiderte seinen Blick und widerstand dem Drang, mich hinter meinen Haaren zu verstecken. »Der Super G ist schwer. Du musst oft gestürzt sein.«

»Ein paarmal schon. Aber die Vögel und Häschen haben meinen Fall immer abgefangen.«

»Sehr witzig. Allein dafür nenne ich dich jetzt nur noch pr‍insessa.«

»Darf ich mir für dich auch einen Namen ausdenken?«

»Nein.«

»Das ist aber ziemlich unfair.«

»Tja, das Leben ist eben nicht fair.« Tyr sprach leise, doch seine Kiefermuskeln zuckten und verstärkten seine bereits einschüchternde Präsenz noch. Er hatte eine Intensität an sich, die unter der Oberfläche brodelte. Ich fragte mich, was genau er da in Schweden getrieben hatte. Brynn hatte ihn gewarnt, er solle sich benehmen – was hatte sie damit gemeint? Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, verzog sich Tyrs Mund zu einem Lächeln, und mein Hirn verstummte.

Gott, er war so hübsch.

Er lehnte sich vor, sodass sein Gesicht direkt neben meinem war, und mein Herz begann noch schneller zu schlagen. Mein Atem ging stoßweise. Wenn das so weiterging, würde ich wirklich umkippen. Tod durch nervöses Flirten.

»Studierst du das Gleiche wie Henrik?«, wechselte ich schnell das Thema.

»Ich studiere nicht. Ich habe mich nur an ihn drangehängt.« Er fuhr sich durchs Haar und fügte hinzu: »Und du studierst also Ingenieurswissenschaften?«

Wich er etwa der Frage aus? Sein Unbehagen zu spüren, sorgte dafür, dass ich mich ein bisschen besser fühlte. Vielleicht war er ja genauso nervös wie ich.

Ich nickte etwas mutiger. »Ich mag Struktur. Ich mag es, wenn Dinge Sinn ergeben.«

»Du magst es also, die Kontrolle zu haben.« Er zwinkerte mir zu. Nein, nervös war er auf keinen Fall. Captain Cool war zurück.

»Also ... das habe ich nicht gemeint. Überhaupt nicht. Na ja, auf jeden Fall nicht ganz. Ich meine, ich mag Kontrolle. Über Dinge, nicht über Menschen. Ich versuche nicht, andere Leute zu kontrollieren. Nur Situationen.«

»Du magst es, Situationen zu kontrollieren?« Tyrs Mundwinkel zuckten vor kaum verhüllter Belustigung.

Abbruch. Abbruch. Reiß dich zusammen, Ahlström. Du hast dich doch bis jetzt so gut geschlagen.

»Nein! Das habe ich nicht gemeint. Ich mag Pläne, weißt du? Und Routinen. Listen. Völlig vernünftige Dinge. Ich gehe zum Beispiel früh ins Bett, damit ich mein Training nicht verschlafe. Das ist nur vernünftig.«

»Ich verstehe.« Tyr lachte. »Du magst perfekte Ordnung.«

»Du nicht?« Händeringend sah ich auf. Wenn nicht, passten wir beide überhaupt nicht zusammen.

»Doch«, antwortete er ernst. »Tu ich.«

Erleichtert atmete ich auf. Danke, lieber Gott.

Wir saßen einen langen Moment schweigend da. Nach dem Debakel um die Frage, ob ich kontrollsüchtig war, hatte ich Angst, den Mund wieder aufzumachen.

»Dann erzähl mal, prinsessa«, brach Tyr die Stille. »Magst du italienisches Essen?«

Wollte er etwa mit mir ausgehen? Vielleicht stand Tyr ja wirklich auf Schlüsselbeine! Bevor ich die Frage beantworten konnte, von der ich hoffte, dass sie eine Einladung zu meinem höchstpersönlichen Märchenende sein könnte, summte Tyrs Handy laut in seiner Hosentasche.

»Skit«, fluchte er und hielt sich das Telefon ans Ohr. »Ja?«

Enttäuschung stieg in mir auf und ertränkte mich mit ihrem bitteren Geschmack. Wer nahm einen Anruf entgegen, wenn er gerade dabei war, jemanden um ein Date zu bitten? Außer das hatte er gar nicht vorgehabt. Nein, das war einfach nur seltsam. Er hatte mich definitiv fragen wollen. Mich, das Mädchen, das in achtzehn Jahren drei Jungs geküsst hatte, war so kurz davor, von einem zwei Meter großen schwedischen Traummann, der aussah, als ob er gerade dem Olymp entstiegen war, um ein Date gebeten zu werden. Aber dann hatte ja sein dämliches Handy klingeln müssen. Und er war auch noch rangegangen.

Das war einfach nur unhöflich.

»Ja, ich verstehe. Wie niedrig sind ihre Werte?« Tyr presste eine Faust gegen seinen Oberschenkel und drehte sich von mir weg. »Wie ist das passiert?«

Seine Körperhaltung wirkte jetzt regelrecht abweisend – die Schultern hochgezogen, der Rücken gekrümmt und der Kopf gesenkt. Er musste gerade richtig schlechte Neuigkeiten erhalten haben. Schuldgefühle über meinen Egoismus durchdrangen meine Enttäuschung, und ich streckte meine Hand aus, um sie auf seinen Arm zu legen.

»Nein. Tut nichts. Ich bin gleich da.« Er beendete den Anruf und schob das Handy wieder in seine Hosentasche. Dann fluchte er noch mal und atmete tief ein. Als er sich umdrehte, wirkte sein Gesichtsausdruck hart.

»Tyr?«, fragte ich leise.

»Ich muss gehen.« Er stand abrupt auf. Ich kam ebenfalls auf die Beine.

»Gibt es irgendwas, das ich tun kann?« Es hatte keinen Sinn zu fragen, ob alles okay war. Denn das war es offensichtlich nicht.

Tyr sah mich an und berührte mit der Rückseite eines Fingers meine Wange. Mein Körper reagierte, und ich lehnte mein Gesicht gegen seine Hand.

Tyr beugte sich vor und brachte seine Lippen an meine Stirn. Bevor er sich wieder zurückzog, atmete er tief ein. Mein Herz setzte einen Schlag aus. »Du bist süß. Aber nein.«

»Oh.« Verlegen steckte ich die Hände in meine Hosentaschen und verlagerte mein Gewicht auf mein hinteres Bein. Lass es, Mia. Er ist nur irgendein Typ, den du seit zwei Minuten kennst. »Okay.«

Tyr sah aus, als wollte er noch mehr sagen, doch sobald er den Mund geöffnet hatte, schloss er ihn auch schon wieder, ohne noch mal etwas von italienischem Essen erwähnt zu haben. Er verließ die Veranda und drehte sich noch ein letztes Mal um. »Pass auf dich auf.«

Damit verschwand er über den Rasen und um die Ecke des Hauses, bevor ich auch nur blinzeln konnte.

Drei

»Es ist also nichts passiert?« Brynn versuchte nicht mal, die Fassungslosigkeit zu verbergen.

»Nichts. Nada. Niente.« Ich trank einen Schluck Kaffee und starrte meine quietschfidele Mitbewohnerin an. Selbst an einem Sonntagmorgen um neun Uhr schien sie genug Energie zu haben, um einen Marathon zu laufen. Ihre blonden Locken rahmten ein Gesicht ein, das völlig ohne Schminke unnatürlich perfekt wirkte, und sie saß in Yogahose und Sport-BH im Fersensitz auf dem Boden des Wohnzimmers.

»Wie enttäuschend«, meldete sich Heather zu Wort. Sie trug immer noch ihre Pyjamahose und ein T-Shirt mit einem Aufdruck des Periodensystems und hatte es sich auf unserem kleinen Sofa bequem gemacht. »Was das wohl für ein Anruf war?«

»Wen juckt's?« Charlotte wedelte mit ihrer frisch manikürten Hand herum. »So einen Typen willst du nicht. Du willst jemanden, der erkennt, wie umwerfend Mia Ahlström ist: athletisch, klug und modebewusst.« Charlotte nickte auf meine Caprihose und taillierte Weste, dann deutete sie auf die Sammlung von Nagellacken auf dem Tisch. »Und ein Mädchen, das eine Maniküre braucht. Komm her und such dir eine schöne Farbe aus.«

»Ja, Ma'am.« Ich setzte mich mit meinem Kaffee neben Charlotte auf den Zweisitzer. Ihre Nägel passten jetzt zu ihrer pinken Pyjamahose. »Hmm. Ich glaube, ich will French Nails.«

»Ein Klassiker.« Sie nahm zwei Fläschchen und eine Nagelfeile vom Tablett und machte sich an die Arbeit.

»Wie lief es denn mit Texas-Matt und dem shirtlosen Hottie?«, fragte ich Heather. »Wie war noch mal sein Name?«

»Jack?« Heather grinste. »Wir fahren nächstes Wochenende an den Strand.«

»Denn sie haben schon im Wald rumgemacht.« Charlotte zog eine perfekt gestylte Augenbraue hoch.

Heather streckte ihr die Zunge raus. »Oh, das musst gerade du sagen. Texas-Matt und du wart auf der Verandaschaukel auch ziemlich vertraut miteinander, als ich nach Hause gegangen bin.«

Charlotte lief knallrot an. »Das hast du gesehen?«

»Das ganze Viertel hat es gesehen«, bestätigte Heather.

Charlotte brummte nur und fuhr damit fort, meine Nägel mit der Feile zu bearbeiten.

»Was ist mit dir, Brynn? Was ging mit Henrik?«, fragte ich.

»Henrik? Oh, nichts. Wir sind nur Freunde.« Sie seufzte.

»Willst du denn, dass ihr nur Freunde seid?«, Charlotte sah auf.

»Es funktioniert einfach nicht. Ich darf keinen Freund haben«, brummte Brynn.

»Du darfst keinen Freund haben?«, wiederholte Heather ungläubig. »Wieso das denn? Und wie sollen das deine Eltern überhaupt erfahren? Die sind doch in Schweden. Sag es ihnen einfach nicht.«

Brynn schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, es wäre so leicht. Ich soll mich auf das konzentrieren, wofür ich ... ähm, hier bin. Außerdem sieht mich Henrik nur als Klassenkameradin seines kleinen Bruders. Er ist einer von diesen Jungs, die ihre Meinung nicht mehr ändern, sobald sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt haben.«

Heather hob ihren Becher. »Ich glaube, das gilt für alle Männer.«

»Stimmt«, sagte Charlotte.

»Was sollen wir heute eigentlich machen?«, versuchte ich die Unterhaltung in unverfänglichere Bahnen zu lenken. »Habt ihr in der Orientierungswoche erfahren, was man hier so unternehmen kann? Bis jetzt weiß ich von dem Wald hinterm Haus und einem Warenhaus, das Charlotte magisch anzieht. Brynn, was weißt du über diese Gegend?«

»Oh, nicht mehr als du.« Brynn klang ein bisschen seltsam.

»Alles okay?« Charlotte sah von meinen Nägeln auf, und ich zog eine Hand weg, um einen Schluck Kaffee zu trinken.

»Alles bestens! Warum gibst du uns heute nicht einfach eine Tour? Ich war noch gar nicht in der Innenstadt.« Brynn faltete ihre Hände im Schoß.

»Zuerst brauchen wir mehr Koffein.« Heather stand auf, ging barfuß in die Küche und kam mit der Kaffeekanne zurück. »Wer will noch?«

»Ich, bitte.« Charlotte nickte in Richtung ihres Bechers und Heather schenkte nach.

»Für mich einen Doppelten«, fügte ich hinzu.

Heather füllte erst meinen Becher, dann ihren. »Brynn?«

»Nein danke.« Brynn strahlte. »Ich hatte schon einen.« Sie lehnte sich auf ihre Fersen zurück. »Aber wenn wir eine Tour machen wollen, sollte ich besser erst duschen. Dieser Kurs vorhin um sechs im Fitnessstudio war ganz schön heftig. Sollen wir in einer halben Stunde los?«

»Äh, ich brauche länger, um präsentabel auszusehen, und wir haben nur zwei Badezimmer.« Charlotte sah von meinen Nägeln auf, die jetzt weiße Spitzen hatten, und begann den durchsichtigen Überlack aufzutragen. »Sagen wir anderthalb Stunden, ja?«

»Perfekt!« Brynn sprang auf und eilte mit wippenden Locken zur Treppe. Heather, Charlotte und ich starrten ihr nach.

Heather brachte die Kaffeekanne wieder in die Küche. Als sie ins Wohnzimmer zurückkam, trank sie einen großen Schluck aus ihrem Becher. »Hat sie gesagt, dass sie nur einen Kaffee hatte?«

»Ich glaube schon.« Ich schüttelte den Kopf.

»Mann.« Heather stellte ihren Becher auf den Tisch und rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Das wird ein verdammt langes Jahr.«

****

Am Abend stolperten wir erschöpft und vollbeladen mit Einkaufstüten durch die Tür unseres kleinen Häuschens.

»Das war ein ziemlich erfolgreicher Tag, Ladys.« Charlotte ging mit je drei Tüten in jeder Hand nach oben.

»Die Schuhindustrie wird nicht wissen, was sie getroffen hat«, scherzte Heather. »Wie viele hast du gekauft?«

»Nach dem dritten Paar hab ich nicht mehr mitgezählt«, rief Charlotte über ihre Schulter. »Außerdem musst du gerade reden. Diese Ankle Boots werden zu deiner Boyfriend-Jeans großartig aussehen.«

»Ich weiß.« Heather grinste verlegen. Sie folgte mir in die Küche, in der Hand eine Tüte Gemüse, das wir auf dem Markt gekauft hatten.

Als ich meine Taschen auspackte und damit begann, ihren Inhalt in den Kühlschrank zu räumen, hüpfte Brynn in den Raum. »Wo wir gerade von großartig reden, ich kann es kaum erwarten, dein Chicken Parmigiana zu kosten, Mia! Kann ich helfen?«

»Das Rezept ist superleicht. Aber übernimm mal hier.« Ich tauschte den Platz mit Brynn, und sie räumte die Lebensmittel weg. »Dann kann ich schnell den Kochplan für diese Woche erstellen.«

»Ich weiß, dass Mia vorgeschlagen hat, uns mit der Zubereitung des Abendessens abzuwechseln, aber ihr solltet wissen, dass meine Kochkünste nicht über fertige Burgerpatties und Salat aus der Tüte hinausgehen.« Brynn reichte Heather das Gemüse und verstaute mehrere Packungen Frühstücksflocken im Schrank.

»Hast du schon gesagt. Keine Sorge, ich teile dir nichts zu, was du nicht schaffen kannst.« Ich setzte mich an den Küchentisch und begann auf einem Stück Papier herumzukritzeln. Eine Minute später war der Entwurf fertig. »Wo habe ich die Tafel hingepackt?«

»Das Ding da drüben?« Brynn deutete auf das weiße Rechteck, das aus einer der Einkaufstüten ragte.

»Danke.« Ich holte die weiße Tafel und die farbigen Stifte aus der Tüte. Genauso ein Whiteboard benutzte meine Mutter in unserer Küche. Ich schrieb unter jeden Wochentag eines der Gerichte, das wir mit den heute eingekauften Zutaten kochen konnten. Als ich fertig war, befestigte ich die Tafel mit Magneten am Kühlschrank.

»Tada!« Ich trat zurück, um meine Arbeit zu bewundern.

Heather, die gerade leere Papiertüten zusammenfaltete, sah auf und stellte sich neben mich.

»Wow, Mia. Das ist ja umwerfend.«

»Danke.« Ich grinste. »Könntet ihr mir dann bitte vier Hähnchenbrüste, zwei Eier und das Paniermehl holen? Ich fange am besten sofort an, dann können wir bald essen.«

»Na klar.« Während Brynn die Zutaten zusammentrug, schlug ich die Eier in einer Schale auf und begann sie glattzurühren. Heather stand da und starrte immer noch auf die Liste.

»Das Ding ist echt heftig.« Heather blinzelte.

Ich zuckte mit den Schultern. »Ist nur ein Speiseplan.«

»Und ein Haushaltsplan. Und er ist farbcodiert.«

»Die Haushaltsaufgaben sind nur ein Vorschlag.« Ich errötete. »Wir können noch tauschen oder uns ein anderes System ausdenken. So haben wir es in meinem Internat gemacht. Es vermeidet Streit, wenn jeder weiß, was er zu tun hat.«

Charlotte kam in die Küche und betrachtete stirnrunzelnd die Tafel. »Das sieht ja gruselig aus.«

»Mia hat das Essen für die nächste Woche durchgeplant«, erklärte Heather.

Brynn hob eine Pfanne hoch und sah mich fragend an. Ich nickte. »Die brauchen wir. Bitte mach ein bisschen Öl rein, und stell den Herd auf mittlere Flamme.«

»In Ordnung.« Brynn befolgte meine Anweisung. »Was bedeuten die Farben?«