Faule Äpfel - Helmut Jäger - E-Book

Faule Äpfel E-Book

Helmut Jäger

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Beschreibung

Rosa Blüten. Faule Früchte. Die Apfelbäume stehen in voller Blüte. Die schneebedeckten Berge leuchten in der Aprilsonne. Carl Sopran hat keinen Blick für diese Idylle, er ist schon wieder brandgefährlichen Menschen auf der Spur. Carl Sopran, will nicht wahrhaben, dass sich seine finanzielle Lage immer bedenklicher entwickelt. Vergeblich versucht er, wieder Anschluss an seinen früheren Job als Journalist zu finden, da erhält er eine Nachricht eines ehemaligen Kollegen. Ein litauischer Kriminellen-Clan soll auf der Suche nach exklusiven Immobilien in Süddeutschland und auch am Bodensee unterwegs sein. Es ist der Clan, dem er vor Jahren bei Recherchen zu baltischen Autoschieberbanden gefährlich nahegekommen war. Während er für seinen Journalisten-Kollegen nach Hinweisen sucht, überschlagen sich die Ereignisse. Ein Paketbote verschwindet spurlos. Im aufgefundenen Transporter befindet sich ein aufgerissenes Paket, adressiert an Francesca Vianello, die Partnerin aus seinem zweiten Fall. Wenig später verschwindet ein Fahrer eines Obsttransports auf ebenso seltsame Weise. Sopran kann nicht anders, als zu ermitteln. Bald ist er etwas Entsetzlichem auf der Spur, von dem er glaubt, dass es deutschlandweit fatale Auswirkungen hätte, wenn er es nicht stoppen kann. Carl Soprans dritter Fall. Brisant. Packend. Erschreckend.

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Helmut Jäger

Faule Äpfel

Carl Soprans dritter Fall

Die Apfelbäume stehen in voller Blüte. Die schneebedeckten Berge leuchten in der Aprilsonne. Carl Sopran hat keinen Blick für diese Idylle, er ist schon wieder brandgefährlichen Menschen auf der Spur.

Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

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Der Autor

Impressum

Sparkys Edition

Zum Buch

Endlich wieder eine ordentliche journalistische Recherche ohne Tote und persönliche Verwicklung – das wünscht sich Carl Sopran. Nach Jahren im beschaulichen Oberschwaben hat er den Anschluss an seinen Journalistenjob verloren. Eine gescheiterte Beziehung und ein permanenter, finanzieller Engpass zwingen ihn, sich mit detektivischen Ermittlungen über Wasser zu halten. Er sehnt sich nach seinem alten Job als freier investigativer Journalist und sieht endlich eine Perspektive. Da katapultiert ihn ein merkwürdiger Vorfall, in den seine Bekannte Francesca Vianello ohne ihr Zutun verwickelt wird, mitten hinein in einen Fall, in dem ihn auch seine journalistische Vergangenheit auf unangenehme Weise einholt.

Helmut Jäger

FAULE ÄPFEL

Carl Soprans dritter Fall

»Das Beunruhigende ist nicht die Perversität der Bösen, sondern die Gleichgültigkeit der Guten.«

Martin Luther King, 1929–1968 Quelle: https://beruhmte-zitate.de

Die Handlung und die Personen dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und keineswegs beabsichtigt. Nicht alle Örtlichkeiten entsprechen der Realität, manche sind fiktiv und existieren nur in der Fantasie des Autors.

Alle Rechte unterliegen dem Urheberrecht.

Verwendung und Vervielfältigung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages.

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Tanja Bochmann

Korrektorat: Andrea Arendt

Umschlaggestaltung: Designwerk-Kussmaul,

Weilheim/Teck, www.designwerk-kussmaul.de

Grafische Umsetzung Titelmontage: Designwerk Kussmaul

© 2023 Sparkys Edition

Herstellung und Verlag: Sparkys Edition,

Zu den Schafhofäckern 134, 73230 Kirchheim/Teck

ISBN: 978-3-949768-18-7

Druck: Stückle Druck, 77955 Ettenheim

1

Die junge Frau in Arbeitskleidung quittierte den Empfang mit ihrem Zeigefinger und unleserlichem Gekrakel auf dem Display des Scanners. Fawad störte es nicht, Hauptsache, er kam schnell weiter. Wortlos steckte er den Scanner weg, eilte zurück zum Transporter und verließ den Hof. Der mit Paketen volle Wagen und die lange Auslieferungstour, die er vor sich hatte, erlaubten keine Trödelei. Heute hatte er mehr geladen als sonst.

Nach kurzer, rasanter Fahrt tauchte das Dach eines kleinen Anwesens etwas abseits der schmalen Straße vor ihm auf. Viel zu schnell driftete er in die Zufahrt, fing das ausbrechende Heck des Renault Boxer aber routiniert ab. Hinter ihm kullerten Pakete durch den Laderaum. Er sollte vorsichtiger fahren, das erneute Sortieren kostete ihn unnötige Zeit.

Hierher hatte er noch nie geliefert. An altem landwirtschaftlichem Gerät und einem kleinen Bagger vorbei steuerte er auf ein heruntergekommenes Gebäude zu, das nach Wohnhaus aussah. Länger als die knappe Zeit es erlaubte, schichtete er den Haufen durcheinander gefallener Pakete hin und her, bis er das handliche Päckchen für den Empfänger Goran Marić gefunden hatte. Dreimal drückte er die Klingel mit dem vergilbten, unleserlichen Namen anhaltend. Niemand öffnete. Aber es war doch jemand zu Hause. Aus dem gegenüberliegenden Gebäude, einem Stall oder Geräteschuppen, hörte Fawad gedämpfte Stimmen.

***

»Stell die Kiste weg, für die anderen nehmen wir eine neue. Immer drum herum schichten, hast du gesehen, wie’s geht?« Der Große mit der Wollmütze und dem schmutzigen Blaumann zündete sich mit seinen ölverschmierten Händen, zuvor hatte er die Äpfel in die Kiste sortiert, eine Zigarette an und lehnte sich an den weißen Fiat Ducato. Er stutzte kurz und schaute Richtung Tür, dann holte er einen schwarzen Edding aus einer Werkbankschublade. »Los, er darf sie nicht vertauschen, nimm den und beeil dich, ich will weitermachen.«

Der andere war kleiner, stämmiger, das schwarze T-Shirt mit einem Schäferhundkopf auf dem Rücken war ihm mindestens eine Nummer zu groß. Er beugte sich über die Kiste, dabei kam der Kopf einer um seinen Hals tätowierten Schlange den gefletschten Hundezähnen auf dem Shirt gefährlich nahe.

Die Neonleuchten an der Decke verbreiteten kaltes Licht. In der ansonsten halbdunklen Werkstatt roch es nach frischen Äpfeln und Öl. Neben dem Transporter stand ein von zwei Wagenhebern aufgebockter Nissan Pickup, darunter hing eine hell leuchtende Stablampe. Schwarzes, dickflüssiges Altöl tropfte aus dem Motorraum in einen Blecheimer. Mit der Zigarette zwischen den Lippen ging der Große in die Hocke und zog den Eimer unter dem Pickup hervor. Die letzten Tropfen fielen auf den Betonboden, der Fleck glänzte im Licht der Arbeitslampe.

»Verdammt, da ist jemand auf den Hof gefahren.« Der Große sprang auf, warf die Zigarette auf den Boden und drückte sie mit dem Schuh aus. Auch der Kleine reagierte und drehte sich um. Beide starrten sie auf das Tor.

***

Mit dem Paket unterm Arm und dem Scanner in der Hand lief Fawad auf das verwitterte Holztor zu. Wieder verlor er wertvolle Minuten, aber er brauchte eine Annahmebestätigung des Empfängers. Er drückte die Klinke nach unten, die Tür war offen.

»Hey, was hast du hier zu suchen?«

Fawad erschrak und zog den Kopf ein. Warum brüllte ihn der Mann, der wie ein Schattenriss vor einem Pick-up stand, an? Er hatte doch nur ein Paket abzuliefern?

Fawad hielt den Kopf gesenkt und hatte Angst, ihm in die Augen zu schauen. Es war ein Reflex, den er sich angeeignet hatte. Er war in diesem Land nicht willkommen, das wurde ihm soeben wieder bewusst. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass hinter einem weiteren Fahrzeug, einem weißen Transporter, noch einer auftauchte. Klein und stämmig.

»Drüben ist niemand, ich habe euch gehört«, stammelte er, streckte ihnen das Paket entgegen und schaute auf. Dann erkannte Fawad den Kleinen. Der starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

»Scheiße, das ist Fawad, den kenn ich, für die bin ich mal gefahren.«

»Ich verdammter Idiot«, schrie der Große, »warum habe ich nicht abgesperrt?«

Fawad umklammerte Paket und Scanner mit beiden Händen. Er verstand nicht, was hier vor sich ging. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an das fahle Licht in der Werkstatt. Der Mann, der sich bedrohlich vor ihm aufbaute, rieb seine schmutzigen Hände am Overall, dann kam er auf ihn zu. Sein breiter Schädel mit den abstehenden Ohren unter der Wollmütze und die zusammengekniffenen Augen hinter den buschigen Brauen, flößten Fawad Furcht ein.

»Leg das Paket auf den Boden und dreh dich um, Kanak«, brüllte er, »los, umdrehen habe ich gesagt! Und schließ die Tür.«

Fawad zuckte zusammen. Kanak hatte er ihn genannt, dabei sah er selbst wie einer aus. Fawad hatte schnell gelernt, was es bedeutete, ein Kanak genannt zu werden. Von Leuten, die seinesgleichen so beschimpften, war nichts Gutes zu erwarten. Er begriff nicht, was er falsch gemacht hatte. Aber er verstand, dass er hier nicht sein durfte. Es war besser zu gehorchen. Er drehte sich um und gab dem offenen Türflügel mit dem Fuß einen Stoß, dann legte er das Paket zusammen mit dem Scanner auf den Betonfußboden.

»Was hast du mit ihm vor?«

Es war die krächzende Stimme des Kleinen. Fawad erinnerte sich an seinen Namen nicht, er hatte ihn zum letzten Mal im Herbst in der Firma gesehen.

»Wenn er etwas gesehen hat, wird er es nicht für sich behalten, dann sind wir fällig – beide. Hier, nimm die und behalt ihn im Auge.«

Der Mann mit den Segelohren hatte das Brüllen gelassen und die Stimme gesenkt. Fawad hatte den Namen auf dem Paketaufkleber im Kopf – Marić. Er musste es sein.

Fawad hörte schlurfende Schritte, die sich kurz entfernten. Starr hatte er den Blick auf das Holztor gerichtet. Nur ein Sprung bis zur Türklinke. Diesen klaren Gedanken konnte er noch fassen, aber die Angst überwältigte ihn und raubte ihm den Mut, die Tür aufzureißen und loszurennen. Die Schritte näherten sich wieder.

»Hier ..., mach ihn alle. Der Kanak ist dein Problem. Du hast für die gearbeitet, dann weißt du, dass er einen Tracker im Auto hat. Sie sehen, wann und wo er wie lange war. Los! Glotz mich nicht so blöd an, beeil dich!«

Fawad sank auf die Knie und hielt sich die Ohren zu. Er redete sich ein, nichts gehört zu haben und er wollte weiterhin nichts hören.

Das laute krächzende »Nein! Das kann ich nicht!« des Kleinen drang dennoch an seine Ohren.

»Du kennst sie nicht, mein Freund«, fuhr Marić dazwischen, »entweder er verschwindet oder wir beide werden unseres Lebens nicht mehr froh. Sie dulden keine Fehler, so einen schon gar nicht. Zu Hause, wo der herkommt, wäre er auch krepiert, also ist’s grad egal. Hey Kanak! Kannst aufstehen, dreh dich um und komm langsam zu uns.«

Fawad nahm die Hände von den Ohren, rappelte sich auf und versuchte aufrecht zu stehen. So war er zum letzten Mal den Grenzwächtern, die ihn in den Wäldern nahe der serbisch-ungarischen Grenze gestellt hatten, gegenübergestanden.

Der Mann, den Fawad für Marić hielt, hob den Putzlappen neben dem Altöleimer auf, wischte sich die Hände damit ab und drückte dem anderen eine Drahtrolle in die Hand.

»Ich entsorge ihn und du fährst seine Tour weiter, du kennst dich ja aus, oder? Setz seine Kappe auf, zieh sein Shirt an und lass dir nicht in die Fresse schauen beim Ausliefern. Wenn man nicht genau hinschaut, siehst du eh aus wie der Kanak. Liefer ein paar Pakete aus und wenn du weit genug von hier weg bist, stell die Karre ab, wo sie keiner sieht, und hau ab. Zieh dich aber vorher wieder um und lass das Hemd und die Kappe verschwinden. Wir treffen uns Punkt drei am Fußballstadion in Ravensburg, weißt du, wo das ist?«

Der Kleine nickte.

Fawad der Syrer, hatte die Bomben auf Aleppo überlebt, sich durch die Türkei bis an den Evros

durchgeschlagen, den Grenzfluss zu Griechenland nach einigen vergeblichen Versuchen durchschwommen und war im August 2015 mit dem großen Balkantreck über Ungarn und Österreich am Hauptbahnhof in München angekommen. Dort lief er durch ein Spalier freundlich lächelnder Menschen, sie winkten ihm zu und hießen ihn willkommen. Die ganzen Jahre hatte er hier in Freiheit und Sicherheit gelebt und sogar eine Familie gegründet. Jetzt sollte seine Reise zu Ende sein?

»Nein, bitte, bitte, ich hab doch nichts getan. Ich hab nichts gesehen, ich schwöre. Bitte lasst mich gehen!«

»Hör auf zu schreien, Kanak, hier ist keiner, der dich hört. Niederknien! Hinknien, hab ich gesagt und zieh dein Hemd aus!«

»Bitte, bitte!« Seit Fawad sich im Sommer vor beinahe zehn Jahren auf den Weg gemacht hatte, war er vielen unangenehmen Menschen begegnet. Dieser hier war böse, ein Satan. Er wollte ihn töten.

»Ich kann das Gewinsel nicht mehr hören, warte«, rief der Große dem kreidebleichen Schäferhundfreund zu, »ich habe eine andere Idee.«

Er riss ihm die Drahtrolle aus der Hand und warf sie auf die Ladefläche des Pick-ups. Dann bewegte er sich langsam mit einer Pistole in der Rechten und Fawad im Auge behaltend zur Werkbank. Nacheinander zog er die Schubladen auf, bis er gefunden hatte, was er suchte. Einen kleinen Metallzylinder ließ er in die Beintasche seiner Arbeitshose gleiten. Mit Kabelbindern, dem ölverschmierten Putzlappen, den er noch in der Hand hielt, und einem in Alufolie gewickelten Päckchen, das er in die Hosentasche steckte, kam er zurück. »Ich erledige das für dich, du Schisser.«

Wieder roch Fawad Öl, auch Zigarettenrauch, als der Mann mit dem großen Schädel den neben ihm liegenden Scanner aufhob und dem Kleinen hinhielt. »Los, scann das Paket. Und lass das Ding im Wagen liegen, wenn du ihn später abstellst, aber wisch es vorher ab, wegen der Fingerabdrücke. Man kann nie wissen.«

Dann holte der Große das Päckchen aus der Hosentasche. »So, und jetzt pass auf, bevor du verschwindest, reiß irgendein Paket auf und steck das hinein. Das ist wichtig, vergiss es nicht. Kapiert?«, schärfte er seinem Helfer ein.

Fawad warf ihm flehende Blicke zu. Sie kannten sich doch. Warum unternahm er nichts? Jetzt fiel ihm der Name ein. Olli hieß er. Sie hatten einmal die Tour getauscht, er hatte ihm damit einen Gefallen getan. Hatte er das vergessen? Was hatten die beiden zu verbergen, dass ihn der Große deshalb töten wollte? Warum ließ er das zu? Olli der Hundefreund ignorierte seine stummen Hilferufe. Er nickte nur wieder unterwürfig.

»Mach dich vom Acker, die Karre steht viel zu lange auf dem Hof. Ist dein Handy aus?«

»Ja, du hast doch gesagt, dass ich es nicht benutzen darf.«

»Wenigstens das hast du verstanden. Her damit, du bekommst es später zurück. Und jetzt zu dir, Kanak. Ausziehen! Los zieh das Hemd endlich aus.«

Der Große riss es Fawad aus der Hand und warf es Olli zu, der fing es auf und bewegte sich mit der Kappe des Syrers auf dem Kopf zum halb geöffneten Tor. »Los, mach dich endlich vom Acker.«

Olli wandte sich um und verschwand hinter Fawad aus der Werkstatt.

2

Den Start in den Tag hatte sich Carl Sopran anders vorgestellt: Zuerst duschen, dann ins Café zum Frühstücken, anschließend mit Francesca und Julia über die ungelösten Immobilienangelegenheiten reden und Fran­cesca bei der Einrichtung des Fotostudios helfen. Das war der Plan.

Stattdessen verbrachte er nach einer schnellen Dusche den sonnigen Frühlingsvormittag im Keller und suchte einen USB-Stick mit den Recherchen zu einem seiner ersten Artikel. Vor ihm, neben ihm und über ihm – Chaos. Sopran saß auf einem umgedrehten Putzeimer inmitten seines halben Lebens, verpackt in Umzugskartons, Bananenkisten und Plastiksäcken. Vor einigen Jahren hatte er in München seine Habe aus einer gemieteten Lagerbox geholt und war damit seiner vorübergehenden Lebensgefährtin Marietta gefolgt. In Oberschwaben war alles im Keller einer Doppelhaushälfte gelandet.

Mit Marietta und ihren Möbeln lebte es sich bequem und gut, er brauchte nicht mehr als seinen Laptop, die Jazz-CDs und seine Single-Malt-Whiskys. Nach fünfzehn Jahren Nomadenleben als investigativer Journalist machte Carl Sopran hoffnungsvolle Fortschritte, sich an eine geregelte Existenz in der oberschwäbischen Provinz zu gewöhnen. Dann kam es, wie es kommen musste: Der erste Versuch, nur einen kleinen Teil seines früheren Lebens wieder zurückzugewinnen, endete mit einem Drama. Marietta hatte ihn daraufhin vor die Tür gesetzt und er war mit den Habseligkeiten ein paar hundert Meter weitergezogen, in ein Appartement mit Panoramasicht, das seine finanziellen Möglichkeiten weit

überschritt. Wieder eine Durchgangsstation, wieder ein kurzer Lebensabschnitt zum Abhaken, einer von vielen.

Er betrachtete es nüchtern und sah sich erneut bestätigt: Ein sogenanntes geregeltes Leben, wie es seine Eltern gelebt und für ihr einziges Kind vorgesehen hatten, war nichts für ihn. Sie hatten dafür gesorgt, dass der Wunsch danach nicht in einer Sekunde seines Lebens aufkeimte. Es war paradox. Alles, was sie als gute Erziehung sahen – die regelmäßigen Mahlzeiten mit Anwesenheitspflicht, der gemeinsame sonntägliche Kirchgang, ihr gewissenhafter Besuch der Elternsprechtage – die Liste war noch länger – hatte nur eines zur Folge: Es bewirkte das Gegenteil. Sein Vater war Berufsoffizier und das Zuhause nichts anderes als eine Kaserne in Miniatur. Kaum hatte Carl die erstbeste Gelegenheit genutzt, sein Elternhaus zu verlassen, brach sich die unterdrückte Aufmüpfigkeit Bahn.

Den ständigen, bis zum Kotzen strapazierten Spruch seiner Mutter – es ist, wie’s ist – verinnerlichte er auf seine Art. Nichts war in Stein gemeißelt. Schicksalsergebenheit und eindimensionales Denken lehnte er ab. Vieles hatte eine zweite Seite: Sie war es, die ihn interessierte. Wollte er sie sehen, änderte er nur die Perspektive.

Sein Vater hatte ihm vorgeworfen, dass er es zu nichts bringen würde, weil er nie Ordnung in sein Leben brächte. Keine geregelte Arbeit, keine Familie, kein Einfamilienhaus. Dass sie selbst zeitlebens in einer Mietwohnung lebten, hatte er ignoriert.

Carl Sopran hielt sich an der Klinke der Kellertür fest, zog sich hoch und beschloss, demnächst radikal auszumisten. Den größten Teil des Krempels hatte er seit Jahren von Keller zu Keller geschleppt, aber das meiste nie mehr benutzt. Es war Zeit, sich endgültig von diesem Museum unnützer Erinnerungen zu trennen.

Auch wenn es ihn mittlerweile nicht mehr wegzog. Vor allem nicht, seit im vergangenen Sommer zwei erstaunliche Frauen in sein Leben getreten waren. Julia, die ihn beauftragt hatte, ihre in der Toskana verschwundene Mutter zu suchen, und Francesca, eine Bekannte aus alten Münchner Zeiten, die zur kongenialen Partnerin seiner Ermittlungen geworden war.

Zusammen mit ihr hatte er eine beispiellose Familientragödie aufgeklärt, aber nicht verhindern können, dass Julia dabei ihre Eltern und beinahe ihr ganzes geerbtes Vermögen verloren hatte. Immerhin konnten sie Julia vor dem privaten und geschäftlichen Ruin bewahren und gehörten seither beinahe zum Inventar der Firma, die Julias Mutter der Tochter nach ihrer Ermordung im vergangenen August hinterlassen hatte. Wie er vor einigen Jahren, war auch Francesca im Herbst von München nach Ravensburg gezogen und hatte nun ihr Fotostudio in Michaela Schillers ehemaligem Büro.

Lange Zeit hatte er angenommen, dass Francesca deshalb hierherzog, weil sie mit Julia eine Beziehung eingegangen war. Nach ihrem Gespräch im vergangenen Sommer, bei dem sie ihn mit der nüchternen und unmissverständlichen Mitteilung überrascht hatte, dass sie lesbisch sei, erschien es ihm naheliegend. Da hatte er sich geirrt. Ebenso klar, aber vertrauensvoll hatte sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie zu Julia eine tiefe Freundschaft entwickelt hatte und sie nach den schweren Schicksalsschlägen eine Stütze brauchte. Sonst nichts weiter.

Sopran hatte lange darüber nachgedacht und fand Francescas Entscheidung bewundernswert. Aber so recht verstand er sie nicht. Dauerhaft gepflegte Partnerschaften gehörten nicht zu seinen Kernkompetenzen. Umso angenehmer empfand er es, dass beide Frauen ihn in ihre Freundschaft einbezogen und er ohne Verpflichtungen Gesellschaft hatte, wenn ihm danach war.

Sopran knipste das Licht im Kellerabteil aus und stieg in den Lift zur Wohnung. Er gab es auf, nach dem Stick mit den Arbeitsdaten seiner Recherche zu den baltischen Autoschieber-Clans zu suchen. Oben im Wohnzimmer stand der Laptop mit den Links zu den damals veröffentlichten Artikeln, Google und das Internet vergaßen nichts.

Er hatte den Namen auch nicht vergessen: Jankauskas, die rechte Hand des Paten von Vilnius. Die deutschen, polnischen und litauischen Polizeibehörden und Dimitri Laurentow, den Paten von Vilnius, hatte er sich mit seinen Nachforschungen nicht zu Freunden gemacht. Sopran hatte damals ihre Arbeit und Kreise massiv gestört.

Ihn nach so langer Zeit wieder aufzutreiben, war für einen Journalisten wie Arto Tamm vom baltischen Redaktionsnetzwerk kein Problem. Tamms Mail war als Erstes aufgepoppt, nachdem er vor dem geplanten Frühstück den Laptop hochgefahren hatte. Er hatte den weit ver­zweigten Clan nie aus den Augen gelassen, teilte Arto Sopran in der Mail mit, weil sie die Autoschieberei trotz erheblichen Ermittlungsdrucks nicht ganz aufgegeben, sich aber in den zehn Jahren danach schwerpunktmäßig auf Einbruchsdiebstähle, bevorzugt in Juwelierge­schäfte, verlegt hatten. Arto Tamm und sein Team hatten Erkenntnisse und Tipps erhalten, dass Larentow sich aus dem kriminellen Kleingeschäft völlig zurückgezogen hatte und in Immobilien, teils über Strohmänner, investierte. Aus welchen Quellen das Geld kam, hatten bisher weder Soprans Kollegen im Baltikum noch die Polizei herausgefunden. Die Erträge aus den Einbrüchen reichten dafür nicht aus, dessen waren sich alle sicher, behauptete Tamm.

Es gab Hinweise, dass er schon vor längerer Zeit die Nähe zu russischen Geschäftsleuten gesucht hatte. Arto Tamm und seine Leute waren Laurentow auf der Spur geblieben und tatsächlich auf Investments in Mittel- und Südeuropa gestoßen, insbesondere auf Immobilien gehobenen Standards.

Sopran seufzte. Es war kurz vor zehn und er hatte nichts im Magen, nur eine Tasse Kaffee, die er sich vor zwei Stunden aufgebrüht hatte. Jetzt saß er mit trockenen, aber ungekämmten Haaren und einer zweiten Tasse in der Hand vor dem Computer und arbeitete sich erneut durch die in Englisch geschriebene Mail.

Dass er den Anschluss an seine frühere Tätigkeit verloren hatte, war eine schmerzliche Erkenntnis, die ihm in diesem Moment bewusst wurde. Endlich wieder mal eine ordentliche journalistische Recherche ohne Tote und persönliche Verwicklung, das wünschte er sich. Der Artikel, den er über Julias verstorbenen Großvater, den ein gefälschtes Dokument beinahe zum Kriegsverbrecher stempelte, schrieb, gab ihm kurzfristig Hoffnung. Seine geplante Recherche zu den Naziumtrieben in der Region wäre ein weiterer Versuch, wieder Zugang zu finden. Und dazu noch Tamm?

Bereits im vergangenen Dezember hatte er geplant, Sopran für die Recherchen in Deutschland ins Boot zu holen, hatte sich aber für die Kollegen eines deutschen Redaktionsnetzwerks entschieden. Das Team schien ihm schlagkräftiger und besser vernetzt zu sein. Tamm entschuldigte sich dafür in blumigen Sätzen und bat Sopran, es ihm nicht übel zu nehmen. Das war ehrlich und nachvollziehbar und galt für den vergangenen Dezember.

Ein paar Zeilen weiter war es schon wieder Makulatur. Stand heute, Montag, siebter April, brauchten die Balten seine Dienste doch, dringend, wie es sich anhörte.

Wieder blieb Soprans Blick am Namen Evald Jankauskas hängen. Der smarte Litauer war schon zur Zeit seiner Nachforschungen aktiv und erledigte für seinen Boss, der wie ein Schattenmann im Hintergrund blieb, die Geschäfte, die für die Öffentlichkeit seriös zu erscheinen hatten. Er war Jurist, ehemaliger Rechtsanwalt und in Laurentows Dunstkreis und damit ins kriminelle Milieu abgedriftet. Beide hatten sich noch nie die Hände schmut­zig gemacht - nach außen hin. Dahinter zu schauen war bisher niemandem gelungen. Bis jetzt nicht, behauptete Arto Tamm in seiner Mail, sie seien aber nah dran. Sie hätten Hinweise, dass Jankauskas kürzlich jemanden nach Süddeutschland geschickt hatte, auch in Soprans Region, um Kontakt zu Maklern zu suchen.

Der letzte Schluck Kaffee schmeckte schal. Sopran stand auf, stellte die Tasse auf die Küchentheke und öffnete die Balkontür. Der Ausblick gefiel ihm. Mittlerweile kannte er die Namen der Berggipfel, die bei schönem Wetter vom Balkon aus zu sehen waren. Bei Föhn waren sie sogar zum Greifen nah und nachts konnte man die Lichterkette der Hochgratbahn erkennen.

Im Allgäu und rund um den nahen Bodensee gab es attraktive Immobilien, daran hatte er keine Zweifel. Aber waren sie lukrativ genug, um baltische Kriminelle zur Geldwäsche anzulocken, ausgerechnet einen Clan, mit dem er vor Jahren Bekanntschaft gemacht hatte? Vielleicht war es Zufall, dann aber ein höchst merkwürdiger. Er beschloss, sich nicht allzu wichtig zu nehmen. Was sollten sie nach so langer Zeit von ihm wollen?

Arto Tamm bat ihn, herauszufinden, ob und mit welchen Maklern jemand aus Litauen gesprochen hatte.

Er würde ihm den Gefallen tun und sich umhören, aber mit der nötigen Zurückhaltung. Erneut Laurentows und Jankauskas’ Wege zu kreuzen, darauf hatte er nicht die geringste Lust. Er hatte andere Projekte im Sinn.

Bei seiner ersten detektivischen Ermittlung war er auf eine Neonazigruppe gestoßen. Der Sohn eines ortsansässigen Unternehmers war der Kopf der Clique. Dass er, wie sein Vater, von einem Psychopathen ermordet wurde, hatte nichts mit seinen neonazistischen Aktivitäten zu tun. Es war das tragische Ende eines weiteren Familiendramas, das Sopran seinerzeit aufgeklärt hatte.

Seine Annahme, die rechtsradikalen Umtriebe in der Region hätten sich mit dem Verlust ihres Anführers erledigt, war falsch. Heiner Radtke, Soprans Bekannter und Kollege von der Regionalzeitung, berichtete ihm regelmäßig von einschlägigen Aktivitäten.

Der aktuelle und gravierendste Fall hatte sich erst kürzlich in seiner unmittelbaren Nähe ereignet. Eine Horde Neonazis hatte am Sonntag nach Aschermittwoch, dem traditionellen Funkensonntag, das Funkenfeuer im Nachbarort förmlich gekapert. Sie hatten mitgebrachte Fackeln am Feuer entzündet und Naziparolen gegrölt. Ehe beherzte Bürger eingriffen, verschwanden sie. Die örtliche Feuerwehr, die den Funken überwachte, registrierte Autokennzeichen aus dem Schwarzwald, dem Stuttgarter und dem bayerischen Raum. Kurz darauf erschienen sie am Bodensee wieder und führten denselben Spuk erneut auf. Sopran hätte sich gewundert, wenn Polizei und Staatsschutz nicht schon längst ein Auge auf die regionale Szene geworfen hätte. Er hatte das auch vor, aber seit Wochen keinen Anknüpfungspunkt gefunden.

Arto Tamms Anliegen rutschte in diesem Augenblick in der Priorität nach vorne, freie Kapazitäten – für ihn hieß das Zeit – hatte er.

3

Francesca Vianello stand im Dunkeln, kein Lichteinfall störte. Zufrieden knipste sie die Deckenlampen wieder an und drückte auf den Rollladenschalter. Die Lamellen stellten sich waagerecht und mit leisem Summen fuhren die Jalousien nach oben. Julia hatte darauf bestanden, dass sie ihren Beruf nicht aufgab und den Raum, den ihre Mutter bis vor einem Jahr nur sporadisch als zu großes Büro nutzte, leerräumen lassen. Erdgeschoss, Zugang vom Lager, ideale Raumhöhe – er war perfekt geeignet für ein Studio.

Francesca hatte sich zuerst geweigert, hier zu arbeiten. Erst nachdem das letzte Möbelstück beseitigt, Wände und Decke frisch gestrichen und ein neuer Boden verlegt waren, war sie bereit, den Raum als Fotostudio zu akzeptieren. Das Bild von Julias Mutter – nur in Unterwäsche und halb verwest in einem dunklen Ziegenstall in der Toskana liegend – bekam sie dennoch nicht mehr aus dem Kopf. Es war ein Fehler gewesen, Carl zu bitten, es ihr zu zeigen. Sie hatten daraufhin beschlossen, dass Julia das Bild aus den Ermittlungsakten der italienischen Polizei nie zu Gesicht bekommen durfte.

Nur ihre persönliche Fotoausrüstung, die Hasselblad Studiokamera, die beiden Nikons und das Zubehör hatte Francesca behalten. Alles andere hatte ein Kollege übernommen, nachdem sie im vergangenen Oktober das Fotostudio und die Wohnung im Münchner Osten aufgegeben hatte, um zu Julias Unterstützung nach Ravensburg zu ziehen. Er hatte einen guten Preis bezahlt, sie konnte sich damit neu einrichten und brauchte für den Raum in Julias Firma keine Miete zu bezahlen.

Julia war froh, Francesca in ihrer Nähe zu haben und ihr selbst gefiel die Rolle als Julias Vertraute und Stütze.

An der Wand stapelten sich die Kartons mit den Montagesystemen für die ausrollbaren Hintergründe, Blitzleuchten und dem faltbaren Aufnahmetisch. Wenn heute Mittag die Studiobeleuchtung eintraf, war Auspacken angesagt. Carl hatte versprochen, bei der Montage zu helfen.

Francesca schaute auf die Uhr, die Sendungsverfolgung des Paketdiensts hatte die Lieferung zwischen halb und viertel nach zwölf angekündigt. Zeit genug, Julia und Dirk von der Werbeagentur bei der Konzeption der neuen Website über die Schulter zu schauen.

Nach der Tragödie vom vergangenen August lief das Geschäft von Julias Event- und Incentiveagentur wieder zaghaft an und die ersten Buchungen von Reisegruppen für das Resort in der Toskana waren fix. Der neue Werbeauftritt sollte für sie der nächste Schritt sein, das Trauma vom vergangenen Sommer zu verarbeiten und hinter sich zu lassen. Ende Mai hatten sie geplant, zusammen mit Carl nach Poggi del Sasso zu fahren, dort würde sie Fotos für die Website schießen. Francesca freute sich auf Motive mit Wiesen voller sattrot blühender Mohnblumen.

4

Sopran klopfte und streckte den Kopf durch die Studiotür, aber Francesca entdeckte er nicht. An der Wand gegenüber stapelten sich Kartons, einer war geöffnet und Verpackungsmaterial hing heraus. Davor lagen Teile, die vermutlich zu einer Blitzleuchte gehörten. Seine Schritte hallten im leeren Raum, er drehte sich um die eigene Achse und stellte sich vor, wie es aussehen würde, nachdem alles eingerichtet war. Francesca würde ihn sicher bei der Arbeit über die Schulter schauen lassen. Wenn er früher bei seinen Reportagen fotografierte, sollte es möglichst niemand mitbekommen.

Mit Schwung öffnete sich die Tür und sie schneite herein. »Ich habe schon gehört, dass du da bist, du hast dich über den Hintereingang hereingeschlichen.« Sie legte ihm nur einen Arm um den Hals, unter dem anderen hielt sie ein Notebook. »Ich komme mit dem Aufbau nicht voran, ich warte dringend auf den Paketdienst. Die Lieferung mit den Studioleuchten sollte schon längst da sein.«

Sopran schob mit dem Fuß ein Knäuel Verpackungsfolie beiseite. »Der kommt noch. Lass uns in der Zwischenzeit zu Julia ins Ristorante hochgehen.«

Francesca ging zum Kartonstapel, legte das Notebook drauf und klappte es auf. »Gleich, ich schau nur schnell, was die Sendungsverfolgung jetzt sagt.«

Hatte sie, so wie er, etwas zugelegt, oder täuschte er sich? Gewundert hätte es Sopran nicht, mit Julia hatten sie eine Gastronomin mit einem Veranstaltungs- und Cateringunternehmen als beste Bekannte. Und dazu gab es ein italienisches Restaurant im Haus. Es war aber auch möglich, dass die Jeans gut saß, in der rechten Gesäßtasche zeichnete sich die Kontur eines Handys ab.

»Carl, schau mal bitte«, riss sie ihn aus seiner Betrachtung, von der sie glücklicherweise nichts mitbekommen hatte, und winkte ihn zu sich. Auf dem Bildschirm hatte sie die Seite Live-Tracking des Paketdiensts und daneben einen Kartenausschnitt geöffnet. »Hier.« Sie zeigte mit dem Finger auf die Karte und ein Autosymbol nahe der Ravensburger Weststadt: Noch fünf Stopps. Lieferung elf Uhr fünfunddreißig bis zwölf Uhr fünfzehn, las er.

Sopran schaute Francesca fragend an, die Uhr am unteren Rand des Bildschirms zeigte zwanzig nach eins.

»Der stand vor eineinhalb Stunden an derselben Stelle. Seltsam. Er hat sich in der Zwischenzeit keinen Meter bewegt. Meinst du ich sollte im Depot anrufen?«

»Es kann ja sein, dass sich das System aufgehängt hat, aber ruf an, dann weißt du Bescheid«, schlug Sopran vor.

Während Francesca telefonierte, zählte Sopran die Kartons. Dabei ging ihm durch den Kopf, dass sie sich hier einen völlig neuen Kundenstamm aufbauen musste. Er würde ihr dabei keine Hilfe sein. Seit drei Jahren wohnte er hier und kannte so gut wie niemanden. Wenn es so lief wie bei ihm, würde sie dieses Studio kaum benötigen.

Francesca hatte das Gespräch beendet und kam auf ihn zu. »Die Pakete mit den Studioleuchten werden heute nicht mehr geliefert, komische Sache.«

»Warum?«

»Eine Panne, sagen sie. Sie bekommen heute keinen Ersatzwagen zum Umladen mehr. Morgen wird geliefert.«

»Na ja, das passiert schon mal, wir haben hier genug zu tun.« Sopran begutachtete die auf dem Boden liegenden Lampenteile. »Geh zum Essen hoch, ich habe doch

keinen Hunger. Ich packe die Kartons aus und komme nach. Anschließend bauen wir auf, was da ist.«

Francesca nickte verständnisvoll und steckte das Handy zurück in die Gesäßtasche. Sopran ließ es zu, dass sie seinen Bauchansatz, den das XXL-Poloshirt geschickt verbarg, tätschelte. Sie kannte ihn und wusste, dass er nicht wegen der Gewichtszunahme auf das Mittagessen verzichtete. Sopran aß, wenn er Hunger hatte, und nichts nervte ihn mehr als wichtige Besprechungen während des Essens. Julias ungeklärte Immobilienangelegenheiten gehörten dazu.

Er faltete den letzten Karton zusammen und legte ihn zu den anderen. Die Frauen hatten zum Essen Zeit genug gehabt, hier war nichts mehr zu tun. Auf dem Weg zum Ristorante blieb er auf der Treppe stehen. Er schaute hinunter auf den großzügigen Eingangsbereich von M&J – Food & Event Company. Ob Julia plante, den Firmennamen zu ändern? ›M‹ stand für den Vornamen ihrer im vergangenen Sommer ums Leben gekommenen Mutter und die Cateringabteilung war neuerdings in der Verantwortung von Julias engster Mitarbeiterin.

Michaela Schiller hatte ihrer Tochter neben der Firma einige Immobilien hinterlassen: eine nie bezogene Penthouse Wohnung in Wasserburg am Bodensee, das Elternhaus in bester Aussichtslage, das Resort in der Toskana, die Tenuta Sette Pine, und noch eine Villa dazu. Genau genommen war es das Erbe ihres italienischen Großvaters. Deshalb hatte Julia ihn hergebeten, sie wollte mit Francesca und ihm darüber reden. Sopran wusste, dass die Wohnung am Bodensee verkauft war, aber nicht, welchen Makler Julia damit beauftragt hatte. Besser konnte es nicht laufen, er brauchte Kontakt zur Branche und Arto Tamm wartete auf seine Antwort.

Francesca saß an ihrem Stammplatz am Ausgang zur Terrasse. Aus der Küche hörte Sopran das Klappern von Geschirr. Sie hatten das kleine Ristorante, das zur Cateringfirma gehörte, fast für sich allein, nur an einem Tisch am anderen Ende saßen zwei Männer in Anzügen vor einem Laptop.

»Hi Carl. Du brauchst bestimmt dringend einen Kaffee.« Das Klappern hatte aufgehört und Julia stand in der Tür. Auch sie kannte seine Gewohnheiten mittlerweile zur Genüge.

Er setzte sich neben Francesca, die ihn seltsam fragend ansah. Hatten sie über ihn gesprochen?

Mit einer Wolke Kaffeeduft im Schlepptau kam Julia an den Tisch und stellte ihm eine Tasse hin. »Prego«, sagte sie knapp, nahm zwischen ihm und Francesca Platz und schaute ihn ähnlich herausfordernd an. Also doch, die beiden hatten etwas ausgeheckt.

»Wie läuft’s so bei dir?«, wollte Julia von ihm wissen.

»Was soll wie laufen?«

»Na ja, Francesca hat erwähnt, dass du vielleicht doch wieder in deinen früheren Job zurückfindest. Irgendwas mit Neonazis in der Region würde dich beschäftigen, sagt sie. Bleib dran Carl, das ist doch dein Thema.«

»Das ist ausgelutscht, daran arbeiten sich genügend andere Kollegen ab.«

Sopran ahnte, worauf Julia hinauswollte und worüber die beiden gesprochen hatten. Um sein Nichtstun und die angespannte finanzielle Situation ging es, um nichts sonst. Fing das schon wieder an. In diese Falle tappte er ihnen nicht. »Ich bin an etwas Spannenderem, einer internationalen Geschichte, dran.« Arto Tamms Mail versprach tatsächlich wieder reelle journalistische Arbeit zusammen mit seinem geschätzten Kollegen.

»Seit wann? Davon hast du nichts erzählt«, schaltete sich Francesca verwundert ein.

»Das ist ganz frisch, ich weiß es selbst erst seit heute Morgen.«

Er erzählte den beiden von Artos Mail und der Litauengeschichte, hielt sich aber mit seiner Befürchtung, dabei wieder Laurentow und Jankauskas zu begegnen, zurück. Er wusste zu gut, wie sie reagieren würden. Sein Kollege brauchte nur Hilfe bei den Recherchen. Wenn er ehrlich zu sich war, erwartete er nicht mehr und musste den Job nicht unnötig dramatisieren.

»Wenn diese Leute besondere Immobilien suchen, sollen sie doch die Villa in Campagnatico kaufen«, schlug Julia trocken vor.

Sopran fiel beinahe die Kaffeetasse aus der Hand.

»Das war ein Spaß, Carl. Ich will sie loswerden, Francesca weiß es. Ich bin froh, dass mir die Vorfälle vom vergangenen Sommer nicht meine Immobilien gekostet haben. Aber sie sind mir zum Teil eine Last, darüber möchte ich mit euch reden.«

Dass sie sich entschlossen hatte, die Villa in dem kleinen Örtchen in der Maremma zu verkaufen, überraschte ihn nicht. Sie war für Julia mit zu schlimmen Erinnerungen belegt. Francesca hatte es ihm gegenüber mit keinem Wort erwähnt, aber er verstand es. Julias verstorbener Großvater hatte das Haus in der Toskana von dem Mann erpresst, der für seinen und den Tod ihrer Eltern verantwortlich war.

»Ich habe morgen einen Termin bei Duven & Stein, kennst du die?«

Nachdem Julia die Frage an ihn gerichtet hatte, ging Sopran davon aus, dass Francesca auch darüber Bescheid wusste.

»Ja, das sagt mir was.« An dem Maklerbüro war er hin und wieder vorbeigelaufen, wenn er in der Stadt war.

»Das Penthouse in Wasserburg haben sie zu einem guten Preis verkauft. Das hat mir geholfen, ohne Probleme über den Winter zu kommen. Sie haben mir geraten, auch Padres Haus zu verkaufen.«

Sopran schaute Francesca an. Sie senkte die Augenlieder und er nahm an, dass sie damit ausdrücken wollte, dass er sich Julias Anliegen anhören sollte. Sie nannte das Elternhaus in bester Aussichtslage immer noch Padres – Großvaters - Haus. Beide, der Alte und Julias Mutter, hatten bis zu ihrem Tod im vergangenen Jahr dort gewohnt. Er im Erdgeschoss und Michaela Schiller in der Wohnung oben. Vor ein paar Monaten hatte sie Francesca auf Julias Wunsch bezogen.

»Ich habe es mir anders überlegt. Ich behalte das Haus und Francesca bleibt dort wohnen. Und du Carl, du kannst ins Erdgeschoss ziehen, wenn du möchtest.«

Mit der Frage nach einem Job hatte sie es nicht geschafft, ihn zu überrumpeln. Damit aber beinahe. Sopran fing sich sofort wieder - er wusste, was er zu tun hatte: Julia bloß nicht vor den Kopf stoßen. Wieder reagierte Francesca nur mit einem vielsagenden Blick und der empfahl genau dies.

»Das kommt jetzt ein bisschen plötzlich, ich denke darüber nach.«

Die Hintergründe zu Julias Vorschlag waren offensichtlich und nobel zugleich. Sie hatte nur seine angespannte finanzielle Situation und seine viel zu teure Wohnung im Kopf. Julia hatte nur ihn angesprochen, Francesca sich bisher zurückgehalten. Er hatte richtig vermutet, die beiden hatten sich abgesprochen. Aber, dass Francesca eine Art Wohngemeinschaft mit ihm anstrebte, konnte er sich nicht vorstellen.

Sopran war Realist und hatte sein Konto im Blick. Noch war es nicht so weit. Die Zusammenarbeit mit Arto zeigte eine Perspektive auf und in einem Schuppen im Hinterland stand ein fünfzig Jahre alter, fahrbereiter Karman Ghia, den er jederzeit zu Geld machen konnte. Julias Angebot sollte er sich als letzte Möglichkeit vorbehalten. Eine andere Idee spukte aber in seinem Kopf herum, die Gelegenheit war perfekt.

»Wann hast du morgen den Termin beim Makler?«

»Um elf. Ich möchte ihn absagen oder zumindest verschieben. Das wollte ich mit euch besprechen. Mein Elternaus werde ich vorläufig nicht verkaufen, aber die Villa in Campagnatico muss weg. Bevor ich Duven & Stein damit beauftrage, möchte ich mich, wenn wir demnächst in der Toskana sind, dort umschauen. Ich könnte auch einen Makler vor Ort beauftragen, was meint ihr?«

Sopran fand es schön, dass sie ihn einbezog, aber die beiden hatten die Entscheidung bereits getroffen. Das merkte er, als Francesca, die sich endlich einschaltete, ihm Julias Entscheidung erklärte.

Die Gelegenheit, mit Duven & Stein Kontakt zu einem Immobilienmakler zu bekommen, wollte er sich nicht entgehen lassen. Wenn Julia den Termin morgen doch nicht absagte, könnte sie versuchen, für ihn und Arto ein paar hilfreiche Informationen zu bekommen. Sie hatte einen besseren Vorschlag.

»Ich rufe Herrn Sattau an, dass ich noch etwas Zeit brauche, und du nimmst den Termin stattdessen wahr. Ich sage ihm, wer du bist und dass du für einen Artikel Informationen brauchst. Alles Weitere erzählst du ihm selbst.«

Die beiden letzten Gäste hatten das Ristorante längst verlassen, Julia besprach in der Küche mit ihrer Geschäftspartnerin Luisa Menüpläne. Mit Francesca und einem weiteren Kaffee vor sich, blieb Sopran noch eine Weile sitzen.

Sie hatte ihm zu verstehen gegeben, dass sie ihm etwas zu sagen hatte. Allein, ohne Julia. Ob die Sache mit Arto Tamm etwas Substanzielles sei, wollte sie wissen und vor allem, ob es nicht wieder ein eher brotloser Job sei, der mehr Arbeit machte, als er einbrächte. Er war nahe dran, ihr die Meinung zu sagen. Zu sehr beschäftigten die beiden Frauen sich heute wieder einmal mit seinem Privatleben.

Er ließ es nicht darauf ankommen. Er wusste selbst, dass es nicht schadete, wenn sie hin und wieder auf ihn achteten. Ihre Anteilnahme und Ratschläge sollte er als Angebot betrachten. Er musste nicht alle annehmen.

Francesca gab sich damit zufrieden, dass es sich um eine reelle Recherche handelte, um die ihn sein litauischer Journalistenkollege bat. Nicht um einen zweifelhaften detektivischen Auftrag, der ihm schlimmstenfalls wieder nachhaltige körperliche Schäden einbrachte.

5

Die Karte erschien im Schlitz und Sopran zog sie heraus, im selben Moment schnellte die Schranke mit einem Ruck nach oben. Langsam steuerte er seinen Wagen die schmale Auffahrt zu den Parkdecks hinauf. Auf der zweiten Ebene fand er einen freien, etwas knapp bemessenen Platz neben einem dunkelgrauen Volvo SUV.

Der Wagen mit einem auswärtigen Kennzeichen war so geparkt, dass er Mühe beim Aussteigen hatte. Das bullige Fahrzeug stand auf dem Begrenzungsstreifen. Er zwängte sich daran vorbei und ärgerte sich über die gedankenlosen Parkgewohnheiten vieler Autofahrer.

Bis zum Marienplatz hatte er ein paar Minuten zu laufen, er genoss den warmen Frühlingsmorgen. Gestern hatten sie die ausgepackten Teile montiert, die Leuchten aufgestellt und eingesehen, dass noch eine Menge an Ausrüstung fehlte, bis ein halbwegs professionelles Arbeiten möglich war. Die nicht angekommenen Studioleuchten änderten nichts daran.

Geduldig wartete er an einer Fußgängerampel und über­querte bei Grün mit einem Pulk Passanten die Straße. Alle hatten es eilig. Ein entgegenkommender Radfahrer hielt es nicht für nötig abzusteigen, Sopran wich keinen Zentimeter aus und provozierte den Kerl zum abrupten Bremsen. Die Umhängetasche rutschte ihm mit Schwung vom Rücken nach vorne, er hob sich aus dem Sattel und landete mit dem empfindlichsten Körperteil auf der Stange seines teuren Rennrads. Sopran registrierte es amüsiert und verkniff es sich, sich umzuschauen, nachdem er die andere Straßenseite erreicht hatte.

Das Frühstück zu Hause hatte er sich gespart. Die Theke der Bäckerei, in der er sich an einen Stehtisch stellte, lockte ihn mit einem frischen Croissant.

Er hatte noch etwas Zeit, sich auf das Gespräch vorzubereiten. Sopran holte sich die Webseite von Duven & Stein und weiterer Maklerbüros aus der Region aufs Handy.

»Langsam habe ich keine Lust mehr, Fußball zu schauen. Hast du das Spiel gesehen? Ich bin mir vorgekommen wie bei der Afrikameisterschaft.«

Sopran setzte die Kaffeetasse ab und warf einen verstohlenen Blick zum Nachbartisch. Die beiden Senioren hatte er bisher nicht beachtet, er war mit seinem Handy beschäftigt.

»Wenigstens das Tor hat einer von uns geschossen. Bei den anderen waren nur Schwarze auf dem Feld.«

»Mich interessiert Fußball nicht, aber du hast schon recht. Brauchst bloß in den Fernseher reinschauen. Die Nachrichtensprecher: Nur noch Ausländer, alle von da unten. Hier, schau.«

Sopran legte das Handy beiseite und rückte näher an die beiden heran. Zwei ältere, unscheinbare Herren, Rent­ner, denen er sonst nie Aufmerksamkeit geschenkt hätte, beim Kaffeeplausch. Er vermied es, die beiden eingehend zu mustern. Aus dem Augenwinkel sah er wie der, der mit dem Rücken zu ihm stand, in einer Zeitung blätterte.

»Da steht was über einen Araberclan, in Berlin...«

Drei Handwerker in Malermontur betraten laut lachend das Café und stellten sich an die Theke, Sopran schaute hinüber. Auch die beiden Senioren unterbrachen ihr Gespräch. Einer der drei, der größte von ihnen, war ein Afrikaner. Alle kauften sich einen Leberkäsewecken und verließen wieder feixend das Café.

»Hast es gesehen? Der Schwarze hat sich einen Leberkäswecken geholt.«

»Dann war’s wenigstens kein Moslem. Aber wenn er Schwarzer und Moslem wäre, ... oh, oh.«

Sopran hatte genug, er steckte das Handy ein, streifte sich die Jacke über und verließ das Café. Bezahlt hatte er.

Wenig später schlenderte er hinter einem älteren Paar her und blieb vor dem Schaufenster einer Weinhandlung stehen. Sein Interesse galt nicht den spanischen Weinen, er nutzte es als provisorischen Spiegel und unterzog sein Äußeres einer kritischen Betrachtung. Das schwarze Poloshirt unter dem Leinensakko kaschierte den Kaffeefleck vom Frühstück perfekt und dass er gestern Nachmittag auf dem Boden kniend Fotolampen zusammengebaut hatte, sah man seiner Levis nicht an. Er zwinkerte einer Frau zu, die hinter der Dekoration stand und ihn amüsiert beobachtete, dann schaute er auf die Armbanduhr und stellte fest, dass er in fünf Minuten den Termin mit Herrn Sattau hatte.

Duven & Stein war nicht irgendein Maklerbüro. Sie hatten ihren Stammsitz in Königstein im Taunus und Büros in weiteren Städten und Regionen, die betuchte Kunden für ihr Angebot versprachen. Hier war er an der richtigen Adresse.

Er malte sich aus, wie es ankäme, wenn er direkt fragte, ob sie Geschäftskontakte mit einem litauischen Kriminellen-Clan pflegten, und stellte sich dabei Sattaus Reaktion darauf vor. Verblüffung? Oder würde er ihn sofort hinauswerfen? Arto hatte sicher eine andere Vorstellung von dezenter Recherche.

Hatten Laurentow und Jankauskas tatsächlich einen Sinneswandel vollzogen und betrieben mittlerweile seriöse Geschäfte? Investments von Osteuropäern, insbesondere von reichen Russen, waren seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nichts Ungewöhnliches und dem deutschen Immobilienmarkt jahrzehntelang höchst willkommen. Das war nicht neu und das Internet voll mit Artikeln zu diesem Thema. Oligarchen und die russische Oberschicht hatten sich ihre Objekte in Großbritannien, Südfrankreich und den Emiraten gesucht, aber auch in Süddeutschland. Aber das hatte sich seit Putins Krieg erledigt. Diese Klienten kamen für den Immobilienmarkt nicht mehr infrage. Was hatten die Litauer dann hier zu suchen?

Sopran begutachtete die Angebote von Duven & Stein im Schaufenster. Alles Wohnimmobilien jenseits der Million-Euro-Grenze.

Grundsätzlich beeindruckten Sopran Äußerlichkeiten nicht. Auch nicht das Interieur von Duven & Stein. Sicher sahen alle Filialen des Unternehmens so aus – Corporate Design: schneeweiße Regale, Schränke und Schreibtische mit den ebenfalls weißen 17-Zoll-Notebooks darauf. Nur die Sitzmöbel und der Parkettboden in geschmackvoll abgestimmtem, lichten Birkenholzbraun, bewirkten einen dezenten Kontrast.

Auch Menschen versuchte er nicht nach ihrem Äußeren zu beurteilen. Der Mann, der auf ihn zukam – geschätzt Mitte dreißig, dunkler Anzug, weißes Hemd, rote Krawatte, akkurat geschnittene Haare, glattrasiert wie am frühen Morgen – konnte manches sein: Bankberater, Börsenmakler, CEO oder eben Immobilienberater bei Duven & Stein. Er fand ihn reichlich schnöselig. Demnächst waren Play Off Spiele in der zweiten deutschen Eishockeyliga. Sopran hatte sich eine Karte besorgt. Er stellte sich den Mann mit einem Fanschal der Tower Stars in der Eishalle vor. Aber warum nicht?

»Herr Sopran.« Er wurde erwartet, also war es Sattau, der mit ausgestreckter Hand auf ihn zukam. Er trug die Uhr am rechten Handgelenk, eine von der schweren, überdimensionierten Sorte, mehr repräsentativer Schmuck als praktischer Zeitmesser. In dem Moment klingelte penetrant das Handy in Soprans Sakko.

---ENDE DER LESEPROBE---