Faust 2025 Band 1 - Thorolf Kneisz - E-Book

Faust 2025 Band 1 E-Book

Thorolf Kneisz

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Beschreibung

Beginnt man, in den Baenden Faust 2025 zu blaettern, stellt sich die Frage, ob es sich um einen Bilderroman, einen Inszenierungsversuch oder schlicht um ein Spiel mit dem beruehmtesten Drama der deutschen Literatur handelt. Die Antwort: Es soll alles in einem sein. Wuerde im Original Goethes Fausts Seele nicht von Margarethe in die sogenannte Erloesung gefuehrt, gaebe es, abgesehen von der durchgaengig praesentierten Beziehung zwischen Faust und Mephistopheles, keine nennenswerten Zusammenhaenge zwischen beiden Teilen des Dramas. Um den Kulminationspunkt, das EWIG WEIBLICHE, herauszustellen, wurden folgende Ueberlegungen angestellt, die keine Unordnung, sondern eine "andere" Ordnung der Szenenfolge mit sich bringen: Was hat Mephistopheles waehrend der neunmonatigen Schwangerschaft Margarethes mit Faust angestellt? Bei Goethe liegt zwischen dem Suendenfall und der Anklage wegen Kindesmordes lediglich eine kurze Zeitspanne, eher Wochen als Monate. Es bot sich daher an, das Duell zwischen Faust und Valentin zum Anlass zu nehmen, Faust durch eine Verletzung in einen zeitausfuellenden Komazustand zu versetzen. In diesem Zustand erlebt Faust in Traeumen die Geschehnisse des zweiten Teils, bis er in der Walpurgisnacht aus dem Koma erwacht und in die Realitaet zurueckkehrt. Der Versuch, Margarethe aus dem Kerker zu befreien, misslingt. Margarethe hat den Einfluss des Boesen ueber ihren Geliebten erkannt, wendet sich entsetzt von Faust ab und uebergibt sich ihrem Schicksal, der Hinrichtung. Faust findet ein neues Lebensziel: die Landgewinnung an einer Meereskueste. Das grosse Werk gelingt, und Faust fuehrt ein beinahe reales Leben bis ins hoechste Alter. Als sich sein Tod ankündigt, laesst ihn die SORGE erblinden. Mephistopheles glaubt, den Sieg ueber Fausts Seele errungen zu haben. Doch durch einen winzigen Eingriff in die Originalhandlung erfährt Faust am Ende seines Lebens ein menschliches Mitgefuehl und troestet ein kleines Kind. Diese Tat befaehigt ihn zur sogenannten Erloesung. Aber nicht eine Religion, sondern die Macht der Naechstenliebe, in der bereits Margarethe ihr Ziel fand, nimmt die Seele Fausts auf. Viele weitere Ueberraschungen in Wort und Bild erwarten den Leser.

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Seitenzahl: 304

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsübersicht

Band I

Vorwort

Szene 01 Geburt und Machtergreifung der Religion

Szene 02 Zueignung

Szene 03 Vorspiel auf dem Theater

Szene 04 Prolog im Himmel

Szene 05 Nacht

Szene 06 Vor der Stadt

Szene 07 Bibliothek 1

Szene 08 Bibliothek 2

Szene 09 Intermezzo „Steinigt sie!"

Szene 10 Bibliothek 3

Szene 11 Auerbachs Keller

Szene 12 OP – Saal

Szene 13 Kirchplatz

Szene 14 Intermezzo „Das Mädchen"

Szene 15 Abend

Szene 16 Dialog 1

Szene 17 Marthes Garten

Szene 18 Dialog 2

Szene 19 Erste Begegnung

Szene 20 Liebesgeständnis

Szene 21 Dialog 3 / Margarethes Zimmer

Szene 22 Intermezzo "Der Rosentraum"

Szene 23 Unter der Laterne 1

Szene 24 Intermezzo "Die erste Nacht

Szene 25 Am Taufbecken

Szene 26 Intermezzo "Die zweite Nacht"

Szene 27 Unter der Laterne 2

Szene 28 Valentins Tod

Szene 29 Dom

Szene 30 Intermezzo „Faust im Koma 1“

Szene 31 Die ersten vier Traumerlebnisse

Szene 32 Thronsaal des Kaisers

Szene 33 Karneval

Szene 34 An der Börse

Szene 35 Die Mütter

Szene 36 Warten auf Helena

Szene 37 Helena und Paris

Szene 38 Intermezzo "Faust im Koma 2"

Inhaltsübersicht Band 1 und 2

Band II

Vorwort

Szene 39 Die Geburt des Homunculus

Szene 40 Klassische Walpurgisnacht

Szene 41 Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta

Szene 42 Helena und Faust 1

Szene 43 Intermezzo „Mephistopheles – Panthyrann“

Szene 44 Helena und Faust 2

Szene 45 Walpurgisnacht

Szene 46 Dialog 4 - Der Ritt zu Margarethe

Szene 47 Die Todeszelle

Szene 48 Intermezzo – „Mater Agape"

Szene 49 Dialog 5

Szene 50 Walpurgisnachtstraum

Szene 51 Intermezzo „Erinnerungen“

Szene 52 Revolution

Szene 53 Die besiegte Revolution

Szene 54 Philemon und Baucis

Szene 55 Das neue Land

Szene 56 Tiefe Nacht

Szene 57 Die Sorge

Szene 58 Das Ende

Szene 59 Grablegung

Szene 60 Dialog Mephistopheles – Panthyrann

Szene 61 Epilog

Inhaltsübersicht Band 1 und 2

Nachwort

Gegenüberstellung FAUST I/II --- FAUST 2025

Quellennachweis

Begriffserklärungen

Bühnenmusik

Zum Autor

Vorwort

Beginnt man, in den Bänden „Faust 2025“ zu blättern, stellt sich die Frage, ob es sich um einen Bilderroman, einen Inszenierungsversuch oder einfach nur um ein Spiel mit dem berühmtesten Drama der deutschen Literatur handelt. Die Antwort: Es soll Alles in Einem sein.

Der "Faust" als „Ganzes“ ist in seiner Komplexität kaum aufführbar. Der Stoff verlangt Deutungen, Visionen, Adaptionen - und vor allem Streichungen, um in der heutigen Zeit eine breite Rezeption finden zu können. Eine Aufführung ohne Reduzierung der insgesamt 12111 Verszeilen überfordert ein breites Publikum.

Im „Faust 2025“ wurde gestrichen, wurden Szenen umgeordnet, wurde „gespielt“ mit hinzugefügten Intermezzi und Gestalten, wurden Charaktere umgedeutet, in Beziehungen, abweichend vom Original, zueinander gestellt.

Die Regisseure, die das Gesamtwerk mit umfangreichen Streichungen, Modernität und Witz aktualisierten, um die Universalität und Zeitlosigkeit dieses Stoffes (zu Recht) unter Beweis zu stellen, scheiterten, wenn nicht schon zu Beginn des zweiten Teiles, dann aber mit Sicherheit bei der Realisierung des Epiloges, der „Bergschluchten“.

Es gibt nur einen Künstler, und das war ausgerechnet ein Komponist, der diesen Epilog in eine Form brachte, die dieser Schlußszene und damit dem Kulminationspunkt des gesamten „Faust“ gerecht wurde - Gustav Mahler mit seiner Achten Sinfonie. Wie hoch Mahler diese letzten Worte - „Das ewig Weibliche zieht uns hinan“, bewertet hat, dürfte sich jedem erschließen, der diese Sinfonie bewußt hört.

Dieser 2. Sinfonie-Satz ließ die Idee für diese Inszenierungsvariante des „Faust 2025“ entstehen. Auf diesem „Das ewig Weibliche ….“ oder die „Weiblichkeit an sich“ baut sich die gesamte Handlungsfolge auf.

Würde im „Faust II“ nicht die Seele Fausts von der Margarethes in die sogenannte Erlösung geführt, gäbe es neben der ständig präsenten Beziehung Faust - Mephistopheles keine nennenswerten oder entscheidungsträchtigen Zusammenhänge zwischen beiden Faust-Teilen.

Um diesen Kulminationspunkt, das „Ewig Weibliche“ herauszustellen, wurden folgende Überlegungen angestellt, die nicht Unordnung, sondern eine „andere“ Ordnung der Szenenfolge nach sich zogen:

Was hat Mephistopheles mit Faust während der neunmonatigen Zeit der Schwangerschaft Margarethes angestellt? Bei Goethe beträgt die Zeitspanne zwischen dem „Sündenfall“ und der Anklage wegen Kindesmordes wenige Wochen (eher Tage). Es lag also nahe, die Schlägerei zwischen Faust und Valentin zum Anlaß zu nehmen, Faust von seinem Gegner verletzen zu lassen, so daß dieser in einen die fragwürdige Zeit ausfüllenden Komazustand versetzt wird. Es ist bekannt, daß Komapatienten gesprochene Worte hören und im Gedächtnis unbewußt speichern können. Mephistopheles und sein Gegenspieler Panthyrann sind äußerlich zwar normale Menschen, aber nicht irdischen Ursprunges. Die frei erfundene Gestalt des Panthyrann stellt das ebenbürtige Pendant zu Mephistopheles dar. Beide mythologische Gestalten versuchen in menschlicher Gestalt die Seele des Faust nach seinem Tode für sich zu gewinnen.

Gemeinsam erzählen sie dem im Koma liegenden Faust bildhaft und ausgeschmückt mit vielen Emotionen, alle die Erlebnisse, die ihn Goethe im zweiten Teil des „Faust“ erleben läßt. In letzter Minute gelingt es den beiden in der „Walpurgisnacht“, also nach den Geschehnissen im Kaiserreich, der „Klassischen Walpurgisnacht“ und den „Helena-Szenen“, Faust in das Bewußtsein zurückzuholen.

Die Handlung kommt in die Realität zurück und bei dem Versuch, Margarethe aus dem Kerker zu befreien, muß Faust feststellen, daß es für die Rettung der einstigen Geliebten zu spät ist. Nach der „Kerkerszene“ flüchten Faust und Mephistopheles zu dem bekannten Kaiser seiner Komaträume und Mephistopheles stellt die Weichen, um Faust zu ermöglichen, sein neues Lebensziel, die Landgewinnung an einer Meeresküste, zu verwirklichen. Faust gelingt das große Werk und er führt ein fast reales Leben bis zum höchsten Alter.

Sein Tod meldet sich an, er erblindet und Mephistopheles ist sich seines Sieges sicher. Aber Faust wird durch einen winzigen Eingriff in die Original-Handlung nicht „erlöst“, weil er „sich strebend bemüht hat“ sondern weil er ein kleines von Angst getriebenen Kind tröstet und liebevoll beruhigt.

Diese Episode wird zum Schlüssel für das Verständnis der Mater Agape, dem Symbol für die Nächstenliebe, die weit über den selbstsüchtigen, machtbesessenen, unglaubwürdigen Religionen, die Menschen ersannen, steht. In ihrem Schatten stehen die Verse des „Epiloges“. Ein kleines Mädchen hat aus dem absoluten Egozentriker einen Menschen, der Gefühlen der Nächstenliebe fähig ist, gemacht.

Der christliche Himmel bereitet sich auf den Empfang Faust`s Seele vor. Die Engel des Herrn singen, der „Herr“ selbst hat die Wette mit Mephistopheles längst vergessen, die Mater Gloriosa übernimmt dessen Stellvertretung, erkennt ihre eigene Inkompetenz und übergibt an die Seele Margarethes. Die erweist sich als kompetent und unter dem Schutz der Mater Agape nimmt sie die Seele des einstigen Geliebten und Vater ihres Kindes in sich auf.

Beide haben in ihrem vergangenen Leben versucht, sich von den religiösen Zwängen, von den Lügen, der Religion zu befreien und gehen einer Erlösung entgegen.

Mit dem „Epilog“ des „Faust 2025“ schließt sich der Kreis, ausgehend von der ersten Szene, der „Geburt und Machtergreifung der Religionen“ bis hin zur Vereinigung der wahren Liebe in einem immateriellen Jenseits Viele weitere Überraschungen in Wort und Bild warten auf den Leser.

Thorolf Kneisz 1. Juni 2025

1GEBURT UND MACHTERGREIFUNG DER RELIGION

Die Türen zum Zuschauerraum des Theaters öffnen sich, die ersten Zuschauer betreten den Saal und sehen in das Universum, das nicht nur auf die riesige Projektionsfläche vor der Bühne projiziert ist, sondern auf alle für Projektionen nutzbaren Flächen des Theaters. Ein Grundrauschen, ein gleichbleibendes Sphärensingen, das in Frequenz und Volumen schwankt, wird zum akustischen Hintergrund. Schwach sind Eruptionen und Stürme zu hören. In der oberen Bühnenmitte befindet sich ein Schriftband, auf dem Erklärungen angezeigt werden:

Vor etwa 13,8 Milliarden Jahren fand der sogenannte Urknall statt und leitete die Existenz des Weltalls ein. Seitdem rasen Milliarden von Sternen mit ihren unsichtbaren Planeten, den schwarzen Löchern und all dem sich noch nicht geformten Staub durch die Weiten des unendlichen Raumes.

Im Sternenhimmel bewegt sich ein heller Punkt, stetig größer werdend, auf die Zuschauer zu. Es ist unsere Sonne, um die auf ihren elliptischen Bahnen die Planeten kreisen. Ein Planet, die Erde, kommt in den Focus und man sieht auf der kreisrunden projizierten Fläche Feuer, wilde Stürme, Wasserfluten und Vulkanausbrüche.

Das Alter unseres Sonnensystems, also auch das des Planeten Erde beträgt ca. 4,6 Milliarden Jahre. Erstes organisches Leben bildete sich vor 3,5 - 4 Milliarden Jahren.

Auf den Projektionen wird die Entwicklung des Planeten Erde nachvollzogen. Die Naturgewalten verändern ihre Aktivitäten, grüne Flächen entstehen, die Erdteile bilden sich stetig um. Erste Mikroorganismen entstehen. Die Erde bevölkert sich mit Sauriern in allen Varianten. Große Vulkanausbrüche und Sintfluten vernichten alles Leben und bringen Stillstände in der Evolution. Aber aufs Neue entstehen Lebewesen, wachsen, mutieren, entwickeln sich. Affen und später die ersten Menschen, Lebewesen auf zwei Beinen, laufen Urzeittigern und Mammuten hinterher - die große Nahrungssuche - die Suche nach „Fleisch“ hat begonnen. Siedlungen entstehen.

Die ersten Menschen entwickelten sich vor ca. 6 Millionen (6 000 000) Jahren. Vor ca. 100 000 Jahren begann der Mensch zu „denken“.

Während die ersten Menschen lernten, sich Hütten zu bauen, sich bewußt mit Ackerbau, Jagd und Viehzucht zu beschäftigten, also die erste Stufe der sogenannten „Kultur“ erklommen, geschah etwas Sonderbares: Die Menschen stellten Fragen. Ihr Sprachschatz lernte das Wort WARUM kennen. Warum verschwindet die Sonne am Abend, warum regnet es - warum bleibt der Regen aus? Die WARUM`s wurden mehr und mehr und einige besonders Schlaue ersannen Erklärungsmöglichkeiten.

Sie erfanden Götter als Ursachen für nicht Erklärbares. Götter konnte man verantwortlich machen für Alles, restlos alles, was man sah, erlebte, für Freuden und Schmerzen usw. Die Geburt der Götter leitete eine neue Epoche ein. Doch niemand sah diese göttlichen Lebewesen. Also mußten diese besonders schlauen Menschen Gottesbilder erfinden, so daß die weniger Schlauen wenigstens Figuren sahen, die sie bitten oder auch strafen konnten. Über dem Parkett bläst sich ein stetig wachsender weißer Ballon auf. Er nimmt überdimensionales Volumen an, verformt sich, wird zum Ellipsoiden, teilt sich in zweit Teile und schließlich schweben zwei Ballons enormer Größe im Raum. Sie formen sich zu menschenkopfähnlichen Gebilden, auf denen sich Münder und augenlose Höhlen bilden. Beide Wesen sind von gespenstischem Aussehen. Während diese Luft-Köpfe dem sich langsam verblassenden Sternenhimmel entgegenschweben, bildet sich über dem linken Kopf ein kreisförmiger Lichtschein - ein Heiligenschein. Auf dem rechten bilden sich über den leeren Augenhöhlen zwei rote kreisrunde Flächen, die der Ursprung für wachsende Hörner sind. „Gut“ und „Böse“ haben sich entwickelt.

Die Kopfballons beginnen, sich aufeinander zuzubewegen, rammen sich, bekämpfen sich, aber keiner bekommt die Oberhand. Sie entfernen sich voneinander, besinnen sich und am Ende vereinigen sie sich zu einer Dualität. Jeder behält sein Gesicht und seine Insignien. Sie haben damit den Ursprung der Religionen gebildet. Diejenigen, die früher einmal Götter für jedes Problem erfanden und angebetet haben, werden in den Priesterstand erhoben und mit Macht ausgestattet. Die Menschenmassen glauben freudig an einen nach wie vor anonymen Gott, in dem sich „Gut“ und „Böse“ vereinen.

Seine Erfinder, die Priester, sind listig und manipulieren die Gläubigen, indem sie verkünden, daß nur sie Gottes Worte und Befehle hören können und die Gläubigen auf Befehl Gottes zwingen können, ihre Befehle, nein, die Befehle Gottes zu befolgen. Die Religionen haben sich somit als eigenständige Großmächte verselbständigt, stellen sich über Könige und Kaiser.

Im Theater geschieht folgendes: Der projizierte Weltraum verblaßt und in einer Choreographie wird, die Weiterentwicklung der Spezies Mensch unter der Macht der Religionen gezeigt.

Vor dem roten Theatervorhang begegnen sich zwei Menschen - eine Frau und ein Mann. Sie sind unbekleidet - kennen das Wort Scham noch nicht. Die Frau läuft von links nach rechts. Der Mann entgegengesetzt. In der Mitte laufen sie aneinander vorbei, ohne Notiz voneinander zu nehmen und verschwinden in den Seitenbühnen, wenden sich und der gleiche Vorgang wiederholt sich mehrere Male. Bei der nächsten Begegnung hebt der Mann den Kopf und nimmt wahr, daß ein anderer Mensch an ihm vorbeigeht. Der Mann läuft zwar weiter, wendet sich aber um und sieht der Frau nach. Bei der nächsten Begegnung spürt der Mann das Bedürfnis, sich bemerkbar zu machen und läuft dichter als zuvor auf die Frau zu, so daß diese gezwungenermaßen aufschaut und den anderen Menschen wahrnimmt. Nach und nach werden die Begegnungen intensiver. Man weiß um den anderen, man beginnt, sich zaghaft zu berühren.

Die nächste Stufe ist, daß man die Begegnung verlängert, denn man bleibt zusammenstehen, unterhält sich und nach und nach werden sich beide ihrer Zuneigung zueinander bewußt. Es kommt dazu, daß der Mann auf die Frau zukommt, sie an der Hand nimmt und beide in die Richtung gehen, aus der er kam. Die Entwicklung ist an dem Punkt, daß man beide nur gemeinsam über die Bühne laufen sieht. Einer der gemeinsamen Bühnengänge endet in der Bühnenmitte. Die Frau wendet sich ab vom Mann, bleibt stehen, verschließt ihr Gesicht mit den Händen. Sie weint. Der Mann dreht sich um zu ihr, bleibt verwundert stehen und macht ihr gestikulierend klar, daß er sie nicht versteht. Die Frau setzt sich auf den Boden und weint intensiver. Der Mann ist voller Unverständnis und wütend will er die Frau mit Gewalt wieder aufrichten. Die Frau weigert sich, wird wütend und schlägt zurück. Ein brutaler Streit entsteht. Man schlägt sich, man schreit sich an. Beide zerren einander. Die Frau fällt zu Boden. Der Mann greift sie an den Händen und läßt sie, selbst erschöpft vor Anstrengung, in der Bühnenmitte liegen. Er läuft in die Nebenbühne, kommt aber schnell zurück, stellt sich vor die liegende Frau, versucht, sie mit dem Fuß auf den Rücken zu schieben. Vergeblich - die Frau bleibt liegen. Der Mann schaut sie von oben herab an, zieht sich den rechten Schuh wieder an, den er beim Streit verloren hatte, und steigt auf den Rücken der Frau. Die liegt schluchzend auf dem Boden - wehrlos. Der Mann dagegen zeigt nicht nur Rachegefühle, sondern ist sich der Macht, die er über die Frau errungen hat, bewußt und genießt die für alle Zukunft uneingeschränkt bleibende Macht über das andere Geschlecht. Demonstrativ zeigt er dem Publikum, was bereits in der Bibel steht: daß die Frau dem Mann untertan sei!

Die Religionen sind maskulin geprägt. Das Feminine wird benötigt zur Erhaltung der Art. Die Münder der über allem schwebenden Luftblase verzerren sich zu einem hämischen Grinsen. Die Religionen werden sich ab sofort der Menschheit aufdrängen, sie werden sich in das Bewußtsein eines jeden Menschen einschleichen und so ihre Macht vom „Innen“ der Menschen heraus brutal und machthungrig ausüben.

Ihr Ziel ist einzig und allein MACHT, Macht und immer nur wieder MACHT. Doch die Menschheit entwickelt sich trotzdem weiter. Die Religionen bremsen diese Entwicklung, aus Angst, man erkennt ihre Lügen und teuflischen Machenschaften - und übersehen den Beginn einer Machtverschiebung. Die Menschheit unterwirft sich nicht mehr bedingungslos der Gewalt der Religionen.

Auf allen Kontinenten haben sich hochgradige Kulturen entwickelt in unterschiedlichsten Prägungen, denen es zum Teil sogar gelungen ist, sich den Fesseln der Religionen vollständig zu entziehen. In anderen Kulturen haben die Gottesanbeter ihre unheilbringenden Hände noch immer im Spiel und regieren mit Angst, Schrecken und brutalem Terror.

Im Theater wird es laut und bunt. Ausufernd überschlagen sich Bewegungen, Farben und Geräusche. Die Zuschauer möchten sich jetzt die Augen und Ohren verschließen, um die Eindrücke von sich fernzuhalten. Alles, aber restlos Alles wird filmisch in Szene gesetzt, was das Leben zu bieten hat.

An ägyptischen Pyramiden marschieren Kriegsheere vorbei, in Harems amüsieren sich die Herren der Schöpfung, Jagdszenen, wilde Tiere, Vulkanausbrüche, Verheerende Stürme und andere Naturgewalten bedrohen die Menschheit, Priester terrorisieren ihre Gläubigen, Szenen der Inquisition wechseln sich ab mit Gefängnissen der Neuzeit, autoritäre Herrscher grinsen den Zuschauern ihre brutale Macht entgegen. Zwischen diesem Riesenchaos gibt es ruhige Phasen, in denen ein altes Paar auf einer Bank in der Sonne sitzt, Liebe und Zärtlichkeit zwischen blühenden Wiesen gelebt wird - schlafende und träumende Menschen. Manche laufen traumwandlerisch umher. Wolkenkratzer wachsen empor und andere werde von Terrorangriffen zu Einsturz gebracht.

Die Bilder, die schönen, ergreifenden und furchtbaren, Angst einflößenden, wechseln sich ab. Viele werden gesehen und schnell vergessen, aber jeder hat noch viele Stunden Theaterspiel vor sich und oft wird es vorkommen, daß man spürt, diese Situation bereits einmal gesehen zu haben.

Philemon und Baucis waren doch schon einmal die beiden Alten. Ermordet wurden sie. Galatea in ihrer Muschelschale schwebte doch damals über einer Feuerbrunst. Die Szene einer Steinigung kommt ins Gedächtnis. Mit diesen Erinnerungen wird mit voller Absicht „gespielt“, denn unser aller Leben ist von derartiger Vielfalt geprägt, daß die Erinnerung häufig verlorengeht oder nur schemenhaft zurückgeholt werden kann.

Es wird laut im Theater - bis an die Schmerzgrenze. Eisenbahnzüge donnern über den Horizontvorhang, Flugzeuge und Autohupen unterstützen den Lärm, Die Großstadt ist ohrenbetäubend. Plötzlich kehrt Ruhe ein und die Projektionen verblassen. Auf der schwarzen Horizontleinwand fliegt aus weiter Ferne kommend „Mater Agape“ auf ihrem Wundervogel „Corvus Mysticus“ der Erde entgegen..

Im Universum hat sie die Ahnung erreicht, daß sich auf einem Winzling von Planeten, der Erde, eine höchst interessante Spezies von Lebewesen entwickelt hat, die zwar ein Höchstmaß an Intellekt entwickelte, aber mit diesem nicht umzugehen weiß und auf dem Wege ist, ihren Untergang selbst in die Hand zu nehmen. „Mater Agape“ schwebt regungslos als Projektion auf dem Horizontvorhang und verblaßt langsam.

2ZUEIGNUNG

Während des großen Tumults der vorangegangenen Szene gehen zwei Würfelspieler zur Bühnenrampe, schwingen sich auf diese und lassen ihre Beine lässig hin und her schaukeln. Die Würfel gleiten ihnen andächtig durch die Hände – andächtig, denn diese Würfel werden über menschliche Schicksale entscheiden. Wer die höchste Punktzahl würfelt, erhält sehr bald die Seele der zuvor gemeinsam ausgewählten Person, die – noch – im Publikum sitzt. Damit stellen sie sich als zwei der Hauptakteure des beginnenden Schauspiels um Dr. Heinrich Faust vor.

Einer von ihnen ist der Stellvertreter des Teufels mit dem Namen Mephistopheles, der andere der Stellvertreter Gottes mit dem Namen Panthyrann. Hinter ihnen werden ihre Gesichter im Großformat auf die Leinwand projiziert.

Während des Textes der Zueignung schiebt sich ein weiteres Porträt zwischen die beiden Stellvertreter bzw. Würfelspieler und verdrängt deren Bild bis zum Ende der Szene. Es ist die überirdische Gestalt der „Mater Agape“.

Eine Lautsprecherstimme beginnt, die Zueignung zu rezitieren. Dafür sind im gesamten Zuschauerraum unterhalb der Sitze Lautsprecher installiert. Die Stimmen haben mittlere Lautstärke, so daß die Zueignung bis zum Beginn des Vorspiels auf dem Theater mehrfach von jedem Zuschauer gehört wird.

Parallel zur Interpretation der Zueignung treiben Panthyrann und Mephistopheles auf der Bühnenrampe pantomimisch ihr makabres Schicksalsspiel. Panthyrann zieht ein Fernrohr aus seiner Manteltasche und richtet es suchend in den Zuschauerraum. Er findet eine passende Person und macht Mephistopheles darauf aufmerksam. Mephistopheles übernimmt das Fernrohr und nickt zustimmend. Beide lachen und beginnen ihr Würfelspiel. Sie zählen gemeinsam ihre gewürfelten Punkte, und Mephistopheles darf sich das erste „Opfer“ in seinem Kalender notieren.

Das Spiel geht weiter, bis die letzte Zeile der Zueignung verklungen ist. Das Ergebnis bleibt streng geheim.

Stimme

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,

Die früh sich einst dem Blick gezeigt.

Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?

Fühl ich mein Herz nach jenem Wahn geneigt?

Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,

Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;

Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert

Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.

Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage

Und manche liebe Schatten steigen auf;

Gleich einer alten, halbverklungnen Sage

Kommt erste Lieb` und Freundschaft mit herauf;

Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage

Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden

Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.

Sie hören nicht die folgenden Gesänge,

Die Seelen, denen ich die ersten sang;

Zerstoben ist das freundliche Gedränge,

Verklungen, ach! der erste Widerklang.

Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,

Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang.

Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,

Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.

Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen

Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,

Es schwebet nun in unbestimmten Tönen

Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,

Ein Schauer fasst mich, Träne folgt den Tränen,

Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich;

Was ich besitze, seh` ich wie im Weiten,

und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.

Mephistopheles und Panthyrann erheben sich und stellen sich Arm in Arm im Bühnenhintergrund auf. Der Vorhang schließt sich.

3VORSPIEL AUF DEM THEATER

Vor dem dunkelroten Theatervorhang, der die Bühne komplett verschließt, stehen auf einer Konsole drei Büsten: Bertold Brecht, Johann Wolfgang. von Goethe und Friedrich Nietzsche. Mephistopheles und Panthyrann treten zusammen vor den geschlossenen Vorhang und positionieren sich. Mephistopheles bleibt neben der Büste Nietzsches stehen und Panthyrann stellt sich neben die Büste Brechts. Somit ist in die Rolle des Theaterdirektors (Berthold Brecht) Panthyrann als Sprecher geschlüpft. Für die Rolle der Lustigen Person stehen Friedrich Nietzsche und Mephistopheles als Sprecher. Die Rolle des Dichters, also die Stimme Goethes wird von einer sonoren Stimme per Lautsprecher übertragen. Das Wechselgespräch beginnt:

Direktor (B. Brecht - Panthyrann)

Ihr beiden, die ihr mir so oft

In Not und Trübsal beigestanden,

Sagt, was ihr von unsrer Unternehmung hofft!

Jedermann erwartet sich ein Fest.

Doch so verlegen bin ich nie gewesen:

Zwar sind sie an das beste nicht gewöhnt,

Allein sie haben schrecklich viel gelesen.

Wie machen wir`s, dass alles frisch und neu

Und mit Bedeutung auch gefällig sei?

Dichter (Goethe - Stimme)

O sprich mir nicht von jener bunten Menge,

Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.

Was glänzt, ist für den Augenblick geboren;

Das Echte bleibt der Nachwelt nicht verloren.

Lustige Person (F. Nietzsche - Mephistopheles)

Lasst Fantasie mit allen ihren Chören,

Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,

Doch merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.

Besonders aber lasst genug geschehen!

Direktor (B. Brecht - Panthyrann)

Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen.

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen,

Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.

Sucht nur die Menschen zu verwirren,

Sie zu befriedigen ist schwer - -

Lustige Person (F. Nietzsche - Mephistopheles)

Greift nur hinein ins volle Menschenleben!

Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.

Noch sind sie gleich bereit, zu weinen und zu lachen.

Dichter (Goethe - Stimme)

Ich hatte nichts und doch genug:

Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.

Ging ungebändigt jene Triebe,

Das tiefe, schmerzenvolle Glück,

Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,

Gib meine Jugend mir zurück!

Lustige Person (F. Nietzsche - Mephistopheles)

Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls,

Wenn mit Gewalt an deinen Hals

Sich allerliebste Mädchen hängen,

Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,

Es findet uns nur noch als wahre Kinder.

Direktor (B. Brecht - Panthyrann)

Der Worte sind genug gewechselt,

Lasst mich auch endlich Taten sehn!

Indes ihr Komplimente drechselt.

Kann etwas nützliches geschehn.

Euch ist bekannt, was wir bedürfen:

Nun braut mir unverzüglich dran!

Ihr wisst, auf unsern deutschen Bühnen

Probiert ein jeder, was er mag;

Gebraucht das gross`und kleine Himmelslicht,

Die Sterne dürfet ihr verwenden;

So schreitet in dem engen Bretterhaus

Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,

„Mater Agape“ schreitet langsam hinter den drei Büsten über die Bühne.

Zu dritt:

Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle!

Panthyrann gibt einen Einsatz nach oben, und die ersten Takte des ersten Satzes der 8. Sinfonie von Gustav Mahler erfüllen mit gewaltiger Lautstärke das Theater.

Auf dem Theatervorhang erscheint schemenhaft, in übergroßer Projektion, die Gestalt des „Herrn“. Nahtlos erfolgt der Übergang zum Prolog im Himmel.

Während die drei Büsten im Schnürboden verschwinden, verdunkelt sich der Theatervorhang. Mephistopheles und Panthyrann verlassen die Bühne. Langsam wird die Projektion des Herrn auf dem Vorhang immer deutlicher sichtbar.

4PROLOG IM HIMMEL

Drei Geistliche treten auf. Jeder hält einen riesigen Vogelkäfig an der Hand, in dem jeweils ein Engel, Raphael, Gabriel und Michael, gefangen ist. Es sind leichte Kopien von Marmorstatuen. Die Männer und insbesondere die „Kirchen-Männer“ haben es immer vorgezogen, Frauen zu unterdrücken und ihnen jede Führungsposition in der Kirche zu verweigern. Frauen müssen es erst in den Heiligenstatus geschafft haben, um Anerkennung zu finden. Doch schöne Frauen haben seit eh und je auch zölibattreue Kirchenmänner, egal, in welche Position sie es in der Hierarchie geschafft haben, in sexuelle Erregung bringen können.

In der Welt der Männer konnten Frauen, besonders, wenn sie aufreizend schön waren, zu Ruhm und Ehre gelangen - als Vorzeigeobjekte, die voller Stolz verehrt werden konnten. Im folgenden Bild männliche Engel in Käfigen zu präsentieren, ist absurd und wirklichkeitsfern - oder soll es mit der Aufforderung zu Mißverständnissen verbunden werden?

Also ist es naheliegend, daß die Priester die schönen weiblichen Engel wie Paradiesvögel in Käfigen halten und lieber selbst die hingebungsvollen Worte an den Herrn, an ihren Herrn und Gebieter, richten. Der Herr hört in dieser Parodie kaum sichtbar im Hintergrund zu und wird sich sein Teil denken, setzt man voraus, daß er weiß, wie und was Untergebene feierlich in seine Ohren blasen.

Üblicherweise wird in Faustinszenierungen „Der Herr“ im riesigen Gewand als Herrscher über die große weite Welt dargestellt. Hier ist das „Auge“ Gottes im prunkvollen vergoldeten Stuckrahmen dargestellt, das in der weiten Ebene überdimensional als Metapher in den Wolken hängt. Es hängt nicht für Menschen, für irgendein Volk, sondern für die unzähligen Teufel und Hilfsgötter, die in jedem Menschen zu Hause sind, die in jeder dieser Kreaturen das Gute und das Böse verkörpern. Es sind die beiden Seelen, die in jeder Brust das Schicksal ihres Besitzers in die Hand genommen haben. So wird es später einmal Heinrich Faust in seiner Selbstanalyse bekennen.

Raphael

Die Sonne tönt nach alter Weise

In Brudersphärenwettgesang,

Und ihre vorgeschriebne Reise

Vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,

Wenn keiner sie ergründen mag;

Die unbegreiflich hohen Werke

Sind herrlich wie am ersten Tag.

Gabriel

Und schnell und unbegreiflich schnelle

Dreht sich umher der Erde Pracht;

Es wechselt Paradieseshelle

Mit tiefer schauervoller Nacht;

Es schäumt das Meer in breiten Flüssen

Am tiefen Grund der Felsen auf,

Und Fels und Meer wird fortgerissen

In ewig schnellem Sphärenlauf.

Michael

Und Stürme brausen um die Wette

Vom Meer auf`s Land, vom Land aufs Meer,

Und bilden wütend eine Kette

Der tiefen Wirkung rings umher.

Da flammt eine blitzendes Verheeren

Dem Pfade vor des Donnerschlags;

Doch deine Boten, Herr, verehren

Das sanfte Wandeln deines Tags.

Chor der Erzengel

Der Anblick gibt den Engeln Stärke,

Da keiner dich erkünden mag,

Und alle deine hohen Werke

Sind herrlich wie am ersten Tag.

Die drei Geistlichen verlassen mit ihren Engeln die Bühne. Der Vorhang verschwindet, und das Auge des Herrn dominiert die Bühne im kunstvollen Stuckrahmen.

Der Herr hat zwei seiner besten Diener, Mephistopheles und Panthyrann, auf einen der schwierigsten Menschen angesetzt – den Universalgelehrten Dr. Heinrich Faust. Dieser Faust ist ein unerbittlicher Zweifler, führt seine Studenten auf den Weg der Abkehr vom rechten Glauben und läßt Gedanken zu, die dem Dogma der Heiligen Kirche widersprechen. Er muß diesem Problem auf den Grund gehen. Mephistopheles und Panthyrann treten vor das Auge des Herrn. Sie stehen dicht beieinander, sprechen mal im Chor, mal einzeln. Sie wagen es nicht, sich zu berühren – auch wenn sie liebend gern in enger Umarmung vor ihrem Meister stehen würden.

Das Gespräch beginnt.

Panthyrann

Da du, o Herr, wieder einmal fragst,

Wie alles sich bei uns befinde,

Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst,

So siehst du mich auch unter dem Gesinde.

Das „O Herr“ kommt höchst ironisch unterwürfig mit angedeuteter Verbeugung.

Mephistopheles

Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen.

Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;

Mein Pathos brächte dich gewiss zum Lachen,

Hätt`st du dir nicht das Lachen abgewöhnt.

Von Sonn und Welten weiß ich nichts zu sagen;

Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.

Der kleine Gott der Welt bleibt stets vom gleichen Schlag.

Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.

Ein wenig besser würd er leben,

Hätt`st du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;

Panthyrann

Er nennts Vernunft und braucht`s allein,

Nur tierischer als jedes Tier zu sein.

Und läg er immer nur noch in dem Grase!

In jeden Quark begräbt er seine Nase.

Der Herr

Hast du mir weiter nichts zu sagen?

Kommst du nur immer anzuklagen?

Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?

Mephistopheles

Nein, Herr! Ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht.

Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen;

Ich mag sogar die Armen selbst nicht plagen.

Der Herr

Kennst du den Faust?

Mephistopheles

Den Doktor?

Der Herr

Meinen Knecht!

Mephistopheles verfällt in einen mittleren Lachanfall, der sich im unendlichen Himmel echohaft vervielfältigt.

Mephistopheles

Fürwahr! Er dient euch auf besond`re Weise.

Nicht irdisch ist des Toren Trank und Speise.

Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne

Und von der Erde jede höchste Lust,

Und alle Näh und alle Ferne

Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.

Der Herr

Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient,

So werd` ich ihn bald in die Klarheit führen.

Mephistopheles fällt ihm ins Wort und greift sich unanständig an sein Geschlecht.

Mephistopheles

Was wettet ihr? den sollt ihr noch verlieren,

Wenn ihr mir die Erlaubnis gebt,

Ihn meine Straße sacht zu führen!

Der Herr

Solang er auf der Erde lebt,

Solange sei dir`s nicht verboten.

Es irrt der Mensch, solang er strebt.

Mephistopheles

Da dank ich euch; denn mit den Toten

Hab ich mich niemals gern befangen.

Am meisten lieb ich mir die vollen, frischen Wangen.

Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;

Mir geht es wie der Katze mit der Maus.

Der Herr

Nun gut, es sei dir überlassen!

Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab

Und führ ihn, kannst du ihn erfassen,

Auf deinem Wege mit herab,

Und steh beschämt, wenn du bekennen musst:

Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange

Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.

Mephistopheles

Schon gut! nur dauert es nicht lange.

Mir ist für meine Wette gar nicht bange.

Wenn ich zu meinem Zweck gelange,

Erlaubt ihr mir Triumph aus voller Brust.

Der Herr

Staub soll er fressen, und mit Lust.

Mephistopheles

Wie meine Muhme, die berühmte Schlange!

Damit ist der Wortwechsel beendet, und die Bühne verändert sich. Das Bild des Herrn verschwindet. Mephistopheles und Panthyrann stehen nun allein auf der Theaterbühne und umarmen sich freudig erregt.

Endlich haben sie einen Auftrag erhalten, der sie beide in höchste Befriedigung versetzt – einen gebildeten, aber äußerst schwierigen Menschen manipulieren zu dürfen, ihm ihre Fantasien vorgaukeln, ihn quälen und ihm zugleich alle Freuden und Leiden des Lebens erleben lassen. Und sie dürfen zusehen, wie er am Ende schmählich untergeht.

Panthyrann dreht sich um und blickt ins Leere. Er macht Anstalten, sich tief zu verbeugen – als Dank für diesen Auftrag. Mephistopheles jedoch reißt ihn zurück und macht ihm klar, dass ihr Auftraggeber schon morgen nicht mehr wissen wird, was er ihnen beiden heute gesagt hat. Doch er hat sie legitimiert, und sie können sich jederzeit auf die Worte ihres Hohen Herrn berufen.

Sie tauchen nun ab in ein Menschenleben, sie klinken sich bald in die Person Dr. Heinrich Faust ein. Noch nie waren sie derart euphorisch gespannt auf die bevorstehende Arbeit.

Mephistopheles legt seinen linken Arm um Panthyrann und sagt:

Mephistopheles

Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,

Und hüte mich, mit ihm zu brechen.

Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,

So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.

Während beide langsam im Hintergrund der dunklen Bühne verschwinden, schwebt der Vogel „Corvus Mysticus“ mit „Mater Agape“ ein und landet in der Bühnenmitte. „Mater Agape“ steigt ab und folgt dem Paar. Sie fühlt, daß sie gebraucht wird – wissend, daß sie die einzige Macht ist, die das Gewissen der Menschen erkennen und aktivieren kann.

5NACHT

Dr. Heinrich Faust ist Direktor eines berühmten Forschungszentrums für Gentechnologie, Mikrobiologie und Bakteriologie. Neben zahlreichen Labors, Bibliotheken und Rechenzentren gibt es einen Sicherheitstrakt, in dem mit besonders gefährlichen Substanzen gearbeitet wird. Der Zugang zu diesem Bereich erfolgt über zwei lange Gänge, zwei Sicherheitsschleusen und mehrere Panzerglastüren. Nur wenige Auserwählte, die nicht nur wissenschaftliche Kriterien erfüllen müssen, erhalten Zutritt. Am Ende entscheidet stets Dr. Faust über das Ja oder Nein.

Hinter dem Sicherheitstrakt stehen etwa hundert Käfige mit Versuchstieren, vor allem Menschenaffen. Zudem leben dort unzählige kleine Nager wie Mäuse und Ratten in ihren engen Zellen. Noch hunderte Meter entfernt hört man das verstörte Brüllen der Affen, die ihre Angst vor Schmerz und Qual herausschreien.

Das Dienstzimmer von Dr. Faust ist durch eine lichtdurchlässige Glaswand zu erkennen. Links und rechts neben der Glaswand befinden sich die Zugänge zu den Gängen des Sicherheitstrakts, gesichert durch schwere Metalltüren, wie sie in bombensicheren Schutzräumen verwendet werden.

Schemenhaft sind zwei große Ledersessel sichtbar. Im Hintergrund erhebt sich eine gewaltige Bücherwand. Das Licht im Raum ist schwach. Dahinter erstreckt sich der zweistöckige Sicherheitstrakt, in dessen oberer Etage zwei Fenster hell erleuchtet sind. Es wird Abend. Die Schreie der Affen werden leiser und monotoner.

Plötzlich erschüttert eine gewaltige Explosion das Gebäude. Ein leuchtender Feuerball steigt in die Höhe und läßt auch abgehärtete Zuschauer zusammenzucken. Nach wenigen Sekunden völliger Stille brechen die Affen erneut in panisches Gebrüll aus. In der Ferne hört man die näherkommenden Alarmsignale von Feuerwehren und Krankenwagen. Aus der Höhe fallen verglühende Reste des Feuerballs geräuschlos zu Boden.

Der linke Gang erhellt sich von innen. Die Glaswand hebt sich lautlos, so daß das Dienstzimmer Fausts sichtbar wird. Die beiden Ohrensessel haben bereits Generationen von Wissenschaftlern überdauert. Auf einem zerschlissenen Teppich steht ein eingestaubter Clubtisch mit eingelassenem Schachbrett. Eine alte Stehleuchte mit großer Glaskuppel erhellt lediglich die Sitzgruppe. Im Bücherregal, das sich an der Stirnseite des Raumes erstreckt, stehen Bücher und Bildbände neueren Datums, aber auch in Leder gebundene, mit Goldschrift verzierte antiquarische Bibeln sowie Medizin- und Gesetzesbücher.

Faust stürmt durch die Panzerglastür, die sich wie von Geisterhand lautlos geöffnet hat, und steuert auf einen der beiden Sessel zu. Bevor er sich hineinfallen läßt, bemerkt er, daß sein Schutzanzug voller Ruß ist. Er streift ihn ab und wirft ihn achtlos auf den Boden.

Zorn erfüllt ihn, erregt läuft er zum Bücherregal und zieht eine Cognacflasche hervor, die stets hinter den Büchern verborgen liegt. Er gießt sich ein volles Glas ein, in dem noch ein vertrockneter Rest verblieben war, trinkt es ohne abzusetzen halb aus, knallt das Glas auf den Tisch, schüttelt sich und wirft sich zurück in den Sessel. Er rauft sich die Haare, schlägt sich gegen die Brust. Jahrelange Forschungsarbeit ist der Explosion zum Opfer gefallen – er muß entweder von vorne beginnen oder aufgeben. Doch er verscheucht alle weiteren Gedanken, die ihn nicht aus seiner Verzweiflung befreien können. Apathisch liegt er im Sessel, trinkt den Rest des Cognacs aus und läßt sich zurückfallen.

Auf dem rechten Gang zum Sicherheitstrakt schiebt sich eine Leiter in die Höhe. Mephistopheles steigt auf das Dach, Panthyrann folgt ihm. Ein kleines, geschicktes Teufelchen – ein Gehilfe Mephistopheles’ – trippelt ins Zimmer, läuft zielgerichtet zum zweiten Bord des Regals und zieht das Buch „Faust I/II“ heraus. Es legt es neben dem schlafenden Dr. Faust auf den Couchtisch. Daneben hängt er einen dunklen, altertümlichen Gelehrtenmantel, den Mephistopheles vom Dach aus herabgeworfen hat.

Mephistopheles und Panthyrann machen es sich bequem, setzen sich auf das Dach, lassen ihre Beine baumeln und beobachten Faust, der sich langsam regt und erwacht. Der alte Mann reckt sich, greift nach seinem Glas, sieht, daß es leer ist, gießt den Rest der Cognacflasche ein und verschüttet dabei einige Tropfen, die er ungeniert mit der Zunge aufleckt.

Dabei entdeckt er erstaunt das Buch. Noch beschäftigt ihn die Cognacflasche mehr als das dicke Werk, doch nach dem ersten Schluck sieht er genauer hin und liest den Titel. Es ist „Faust I/II“ von Johann Wolfgang von Goethe. In seiner Jugend hielt er eine andere Ausgabe in den Händen, las sie voller Begeisterung, ja, lernte sogar einige Passagen auswendig.

Wie lange ist das her? Doch wie kommt dieses Buch, das einst versteckt und vergessen im Bücherschrank stand, plötzlich auf seinen Couchtisch? Diese Frage stellt er sich, nur um sie gleich wieder zu vergessen. Seine Finger blättern bereits durch die ersten Seiten – und er liest. Und mit jeder Zeile kehrt eine seltsame Freude zurück: Er erinnert sich.

Faust

Habe nun, ach! Philosophie, und Medizin

Und leider auch Theologie

Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.

Da steh ich nun, ich armer Tor!

Und bin so klug als wie zuvor;

Heiße Magister, heiße Doktor gar,

Und ziehe schon an die zehen Jahr

Herauf, herab und quer und krumm

Meine Schüler an der Nase herum –

Und sehe, dass wir nichts wissen können!

Das will mir schier das Herz verbrennen.

Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,

Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;

Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,

Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel -

Dafür ist mir auch jede Freud entrissen,

Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,

Die Menschen zu bessern und zu bekehren.

Auch hab ich weder Gut noch Geld

Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;

Es möchte kein Hund so länger leben!

Drum hab ich mich der Magie ergeben,

Ob mir durch Geistes Kraft und Mund

Nicht manch Geheimnis würde kund,

Zu sagen brauche, was ich nicht weiß,

Dass ich erkenne, was die Welt

Im Innersten zusammenhält,

Schau` alle Wirkenskraft und Samen

Und tu` nicht mehr in Worten kramen.

O sähst du, voller Mondenschein,