Ferien mit Mama und andere Katastrophen - Petra Kasch - E-Book

Ferien mit Mama und andere Katastrophen E-Book

Petra Kasch

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Beschreibung

Ferien auf Kreta? Sophie ist begeistert! Doch statt Bräunung steht Bildung auf den Programm und ihre Mutter benimmt sich oberpeinlich. Nicht auszuhalten! Wäre da nicht Nikos, der Traumprinz mit dem süßesten Lächeln der Welt …

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Inhalt

Titel

Impressum

Widmung

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Autoreninformation

Als Ravensburger E-Book erschienen 2013 Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH © 2013 Ravensburger Verlag GmbH Umschlaggestaltung: Kathrin Steigerwald unter Verwendung eines Fotos von Image Source (© gettyimages) Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbHISBN978-3-473-47287-1www.ravensburger.de

Mein besonderer Dank für dieses Buch gilt meiner fabelhaften Lektorin Jo Anne Brügmann für die wundervolle Zusammenarbeit und Inspiration. Und ich danke auch Sophie Fischer, denn ohne sie hätte es diese traumhafte Sommerreise nie gegeben!

Das erste Mal im Leben hatte Mama bei ihren Kreuzworträtseln etwas gewonnen. Und nicht etwa eine dieser Kaffeemaschinen oder Billigmatratzen. Nein, Mama hatte eine Reise gewonnen. Eine richtige Reise nach Kreta! Das war total verrückt, denn ich dachte, ich müsste in den Sommerferien wieder zu Oma Inge ins Sauerland. Nicht, dass ich was gegen Oma Inge habe, aber das Sauerland ist nicht gerade der richtige Ort, wenn man schon vierzehn ist und noch nicht mal einen Jungen geküsst hat.

Wir hatten genau drei Tage, um Mamas Chef davon zu überzeugen, dass seine beste Restaurantkraft mitten in der Saison ausfallen würde. Zunächst zickte er ein bisschen herum, aber Mamas Kollegen waren echt nett. Sie haben Mamas Schichten einfach unter sich aufgeteilt, damit wir fahren konnten. Das werden die besten Ferien deines Lebens, Sophie Fischer, habe ich die ganze Zeit gedacht. So ein Glück hat man nur ein Mal. Acht Tage Kreta!

»Das haben wir alles Hekate zu verdanken«, trällerte Mama ausgelassen, als wir unsere Sachen packten. Denn das war das Lösungswort gewesen: HEKATE. Griechische Göttin der Zauberei und Totenbeschwörung. Wenn ich allerdings vorher gewusst hätte, wozu diese Hekate fähig ist, wäre ich vielleicht doch lieber ins Sauerland gefahren …

Wir flogen mitten in der Nacht los. Mama spendierte uns sogar eine Taxifahrt zum Flughafen. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal so luxuriös chauffiert wurde. Ich glaube, als ich vom Baum in unserem Hof gefallen bin und eine Gehirnerschütterung hatte. Mama schwebte in Todesangst und ich irgendwo zwischen Himmel und Erde, weil ich das Bewusstsein verloren hatte.

Nicht viel anders fühlte es sich an, als wir mit unserem Gepäck zur Abflughalle zuckelten. Dass wir nicht allein abheben würden, war selbst einer Erstfliegerin wie mir klar. Doch als ich die Reisegruppe sah, wurde mir noch übler als nach meinem Freiflug vom Baum. Nicht einer von denen war auch nur annähernd in meinem Alter. Und als Krönung ragte aus der Mitte dieser Rentnertruppe ein braun gebrannter Mann mit einem großen Schild, auf dem Wanderstudienreise Kreta stand.

»Ulrike und Sophie Fischer?«, fragte er freundlich, als wir wie hypnotisiert sein komisches Schild anstarrten.

Mama nickte nur stumm. Von Wandern und Studien hatte sie die letzten drei Tage nicht geträumt, eher von Strand und Palmen. Der zweite Schock erwischte gleich darauf mich. Neben der Reisegruppe lungerte verloren ein einzelner Mann herum und wusste offenbar nicht, wohin er schauen sollte. Da stand doch tatsächlich mein Mathelehrer! Was wollte der denn hier?

»Was ist denn los?«, zischte Mama, als ich mich hinter ihr verstecken wollte.

»Gar nichts«, zischte ich zurück. Wenn sie zum letzten Elternabend gegangen wäre, wüsste sie es. Aber da hatte sie ja wieder mal Spätdienst gehabt.

Plötzlich zog sie mich dicht an sich heran. »Ich glaube, hier sind lauter Lehrer!«

»Was du nicht sagst.«

Stumm schauten wir uns um. Wir waren umringt von wild entschlossenen Bildungsfliegern, ausgerüstet mit schweren Wanderschuhen und Rucksäcken. Das waren alles Wiederholungstäter, jede Wette! Ade, Swimmingpool, ade, Urlaub unter Palmen. Hier kam das Ferienbildungsprogramm!

»Egal«, seufzte Mama schließlich. »Gewonnen ist gewonnen«, und schob mich Richtung Abfertigungsschalter.

Da gab es aber gleich die nächste Blamage. Als ich meinen Koffer auf das Laufband hievte, sagte die Schalterfrau mit ausdruckslosem Gesicht: »Drei Kilo Übergepäck.«

Ich wurde rot und wusste nicht, was ich machen sollte. Übergepäck? Ich kannte nur Übergewicht. Hinter uns begannen einige zu murren, weil es nicht weiterging.

»Was hast du denn da eingepackt?«, zischte Mama mir ins Ohr.

Wenn ich ihr das verriet, würde sie mich sofort heimschicken. Also presste ich die Lippen zusammen und sagte keinen Ton.

Da mischte sich der Reiseleiter ein. »Junge Damen haben halt immer etwas mehr dabei«, sagte er grinsend zu der Schalterfrau. »Aber schauen Sie, ich reise nur mit kleinem Gepäck. Das Flugzeug wird also nicht gleich vom Himmel fallen.«

Er sprach so laut, dass es auch noch die in der letzten Reihe mitbekamen und zu lachen anfingen. Ich hatte jetzt nicht nur ein rotes Gesicht, sondern auch glühende Ohren. Mama schob mich rasch vom Schalter weg.

Irgendwann ist das Flugzeug dann auch gestartet, aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich versuchte, mich so unsichtbar wie möglich zu machen. Mein Mathelehrer schien wohl das Gleiche im Sinn gehabt zu haben und ist dann ausgerechnet in der Reihe hinter uns gelandet.

»Ist dir schlecht?«, nervte mich Mama den halben Flug lang, weil ich kein Wort mehr sagte.

Schlecht ist gar kein Ausdruck, hundeelend war mir. Aber gewonnen ist schließlich gewonnen. Und so kam es, dass ich mit meinem Mathelehrer und zwölf anderen Studienräten in die Ferien flog.

Es war schon weit nach Mitternacht, als wir endlich ankamen. Der Bus kippte uns irgendwo in der finstersten Pampa aus. Nicht mal Straßenlaternen hatten die Griechen. Ferien im Süden hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt, ein bisschen lebendiger.

Das Hotel stand direkt am Meer, zumindest hörte man es dahinter rauschen. Von außen ähnelte es einem alten Steinhaufen, doch innen herrschte der blanke Luxus. Im Foyer plätscherte ein Springbrunnen, überall lagen dicke blaue Teppiche und versteckte Lampen erleuchteten die weißen Flure. Nur der Fahrstuhl funktionierte nicht, sodass wir unsere Koffer die steile Treppe hinaufschleppen mussten. Mir riss dabei fast der Arm ab.

»Nun verrat mir endlich, was du da Schweres mitgenommen hast!«, flüsterte Mama.

Aber ich schwieg eisern. Zum Glück mussten wir nur in den ersten Stock und Mama hatte meinen mysteriösen Kofferinhalt komplett vergessen, sobald wir in unserem Zimmer waren: Meerblick und Luxusbad.

»Hekate sei Dank«, stöhnte sie und ließ ihr Gepäck fallen, um sofort im Spiegelparadies zu verschwinden.

Das war nicht nur ein Bad, das war ein Reinigungstempel aus Tausendundeiner Nacht! Von der Decke funkelten Sterne und spiegelten sich in den polierten weißen Marmorwänden. Und in den Fußboden war sogar ein Muschelmosaik eingelassen. Aber das Beste verbarg sich hinter einer geschliffenen Glastür: eine Dusche mit Massagedüsen.

Ich habe das Teil ja meist gemieden, denn es strahlte einem förmlich die Haut von den Knochen. Einmal im Leben wollte ich nach den Ferien die Tanning Queen meiner Klasse sein – sonst war das immer nur Charlotte mit ihrer Maledivenbräunung.

Während Mama die Dusche gleich ausprobierte, setzte ich mich draußen auf den Balkon. Irgendwo im Dunkeln rauschte das Meer friedlich vor sich hin. Ich war müde und glücklich. Ein paar Schiffe tuteten in der Ferne und Grillen zirpten durch die warme Nacht. Das war also Kreta. Im Sauerland regnete es jetzt bestimmt.

Ich musste auf einmal an meinen Vater denken, den ich noch nie gesehen habe. Nach meiner Geburt ist er wieder auf sein Schiff gestiegen und nicht mehr an Land gekommen. Hat Mama jedenfalls erzählt.

Ein Stöhnen vom Balkon nebenan riss mich abrupt aus meinen Gedanken. Ich versuchte, mich möglichst geräuschlos von meinem Liegestuhl zu erheben, und lehnte mich ein Stück über die Balkonbrüstung. Im ersten Moment war überhaupt nichts zu sehen, unsere Zimmernachbarn hatten kein Licht an. Doch dann fuhr ich erschrocken zurück. Drüben auf dem Balkon machte mein Mathelehrer irgendwelche Verrenkungen und zwar nackt! Das wäre eigentlich der Moment gewesen, in dem ich mich diskret hätte zurückziehen sollen. Das hätte sicher auch jeder gemacht, der Herrn Zadek nicht kennt. Seit er an unserer Schule unterrichtet, ist meine Mathenote wie ein Komet nach oben geschossen. Mehr muss ich wohl nicht sagen. Zadek ist einer aus der Johnny-Depp-Liga.

Ich linste also noch einmal um die dünne Trennwand, denn ich wollte unbedingt herausfinden, was er da im Dunkeln trieb. Doch genau in diesem Moment kam meine Mutter auf unseren Balkon und rief erschrocken: »Sophie, du wirst noch vom Balkon stürzen!«

Johnny Depp erstarrte mitten in einer seiner Verrenkungen. Mama stand mit einem weißen Haarturban verwundert in der milden Nachtluft und rührte sich ebenfalls nicht. Keiner rührte sich. Und so hatte mein Mathelehrer alle Zeit der Welt, mein zwischen die Balkonbrüstung und die Trennwand gequetschtes Gesicht zu betrachten, bis Mama mich schließlich zurückzog.

»Was machst du denn da?«, fragte sie.

»Sterne gucken«, murmelte ich und verzog mich schleunigst in unser Zimmer.

Mama warf die Balkontür zu und ließ sich aufs Bett fallen. »Gott, bin ich müde«, stöhnte sie und kuschelte sich unter das kühle Laken. »Endlich Ferien, Sophie! Ich freu mich so.« Und dann war sie auf der Stelle eingeschlafen.

Ich hockte mich auf meinen Koffer, der noch immer mitten im Zimmer lag. Mein Gesicht brannte, als hätte Zadek mich beim Abschreiben erwischt. Das ging ja gut los. Wenn ich nicht schleunigst irgendeine Tarnkappe auftreiben konnte, dann würden das die fürchterlichsten Ferien meines Lebens werden. Vielleicht sollte ich es mal mit dieser Hekate versuchen. Mama hat sie ja auch Glück gebracht.

Wahrscheinlich hätte ich diese Göttin auf Knien und in Alt-griechisch anflehen müssen, aber mit Fremdsprachen habe ich es nicht so. Jedenfalls war die Dame eindeutig nicht auf meiner Seite, als ich am nächsten Morgen zusammen mit Mama den Frühstücksraum betrat.

Die Studienräte lächelten uns milde zu, als wir am Büfett erschienen. Mann, wir hatten uns aber auch echt schön gemacht. Ich hatte sogar ein Kleid angezogen, Mama zuliebe. Die hatte ihre höchsten High Heels angeschraubt, und weil wir schließlich in den Ferien waren, hatte sie ihren Haarspangen auch eine Runde Freizeit verordnet. Als sie ihren Teller zu einem der freien Tische balancierte, wallten ihre langen blonden Haare wie Loreleys Mähne um sie. Es war unmöglich, mit ihr nicht aufzufallen.

Ich stolperte mit gesenktem Kopf hinter ihr her. Vielleicht war Zadek ja in der Nacht wieder abgereist, überlegte ich. Seine Mutter könnte zum Beispiel gestürzt sein. Liebe Hekate, so ein kleiner Sturz ist für dich doch höchstwahrscheinlich ein Klacks. Ich werde von jetzt an auch immer meine Hausaufgaben machen.

Als ich es endlich wagte hochzuschauen, starrte ich in unzählige Augenpaare, die uns eindringlich musterten. Ich versuchte zu lächeln, doch niemand lächelte zurück. Es war kurz nach sieben. Kein Mensch hatte diese Leute hier gezwungen, so früh aufzustehen. Keine Ahnung, warum sie dann alle so schlecht gelaunt waren. Ich aß wie eine Verrückte, nur um mich irgendwie zu beschäftigen. Mein Mathelehrer war nirgendwo zu entdecken.

Um sieben Uhr fünfzehn kam der Reiseleiter hereingestürmt. In seinem strahlend weißen Hemd sah er noch brauner aus als am Tag zuvor auf dem Flughafen. »Also, meine Herrschaften«, rief er in die Runde. »In zehn Minuten ist Abfahrt!«

Mama und ich schauten uns fragend an. Wir wollten nirgendwohin abfahren, wir wollten an den Strand und uns sonnen. Wozu flog man denn sonst nach Kreta?

Mr Wanderstudium kam an unseren Tisch. »Aber Sie kennen doch das Programm, Frau Fischer.« Er schielte etwas ungläubig auf Mamas High Heels.

Mama schüttelte den Kopf. »Wir sind doch das Kreuzworträtsel«, flüsterte sie.

Der Mann schüttelte nun ebenfalls den Kopf und ein Hauch von seinem scharfen Rasierwasser haute mich fast vom Stuhl. Schließlich kramte er in seinem ledernen Rucksack und zog einen kleinen bedruckten Zettel hervor. »In zehn Minuten vorm Hotel. Bitte pünktlich, die Damen.«

Und dann marschierte er mit den Studienräten, die allesamt schon wild entschlossen in ihren Wanderschuhen steckten, aus dem Frühstücksraum.

Stockend las Mama den Zettel vor: »Heute fahren wir zur Lassíthi-Hochebene und wandern über einen alten Eselsweg hinauf zur Zeusgrotte, wo der Göttervater das Licht der Welt erblickte. Anschließend Besuch eines Klosters. In einem Gespräch mit den Nonnen erfahren wir etwas über das Klosterleben und die Frage: Sind die Kreter gläubig?«

»Mama, ich will baden«, jammerte ich und dachte an Charlotte, die sicher schon längst in der Sonne lag.

Doch Mama bekam plötzlich diesen komischen Ausdruck im Gesicht. Den hat sie auch immer, wenn sie noch eine Nachtschicht extra schiebt, damit ich mit auf Klassenfahrt kann. »Ein bisschen Kultur hat noch keinem geschadet«, sagte sie und scheuchte mich vom Tisch hoch.

Super Ferien, dachte ich und schaute wütend auf die Muscheluhr, die über dem Büfett hing. Doch wenn wir nicht schon wieder unangenehm auffallen wollten, mussten wir uns beeilen. Mama zog ihre Highheels aus und rannte barfuß die Treppe zu unserem Zimmer hoch.

Aber wir waren einfach nicht auf Hochland-Trekking eingestellt. Mir blieb nichts anderes übrig, als meine neuen Sandalen anzuziehen, und Mama hatte leider nur Badelatschen dabei. Im Rausrennen schnappte ich noch unsere Strohhüte und so kamen wir atemlos am Bus an.

Es saßen natürlich schon alle drin und guckten grimmig aus den Fenstern.

»Los, letzte Bank«, raunte Mama mir zu.

Ich quetschte mich mit den Sonnenhüten an den Studienräten vorbei. Aber die Idee mit der letzten Bank hatte schon ein anderer gehabt. Da saßen wir dann also zu dritt: Mama, mein Mathelehrer und dazwischen ich.

»Guten Morgen«, sagte Mama fröhlich zu ihm und fächelte sich frische Luft zu.

»Morgen«, murmelte er und starrte auf den Boden.

Mama legte ihren Strohhut auf ihre nackten Knie. Zadek drehte genervt eine Wasserflasche zwischen seinen Händen. Es war ihm förmlich anzusehen, was er über seine Sitznachbarn dachte. Zum Glück fuhr der Bus in diesem Moment endlich los.

Wer meine Mutter kennt, der weiß, dass sie nicht zu den großen Schweigern gehört. Vielleicht liegt das auch daran, dass ihr die Leute auf ihrer Arbeit so viel erzählen, besonders in der Nacht und wenn sie ihren Zug verpasst haben. Jedenfalls nahm sie, nachdem wir eine halbe Stunde über eine staubige Landstraße gerumpelt waren und sie nichts entdecken konnte, das nach Kultur oder Bildung aussah, meinen Mathelehrer ins Visier.

Das war genau der Moment, in dem ich mich für eine längere Betrachtung meiner Sandalen entschied. Für diese teuren Treter hatte ich auf Luises Rat hin mein komplettes erspartes Taschengeld ausgegeben. »Man weiß nie, wen man unterwegs trifft«, hatte meine beste Freundin gesagt. Sie hat ihren Lars bei einem Skilager kennengelernt. Dass es bei mir nur zu einer Bildungsreise inklusive Mathelehrer reichen würde, hatte sie ja nicht ahnen können.

Ich zählte also konzentriert die weißen Perlen an den schmalen Riemen, während Mama neben mir munter plauderte. Mein Lehrer versuchte wirklich tapfer, sie eine Weile zu ignorieren. Das habe ich schon vor Jahren aufgegeben. Mama bekommt einfach jeden. Sie will nämlich immer ganz genau wissen, wie die Leute ticken. Wer war also dieser komische Typ mit den abgeschnittenen Jeans, der nervös eine Wasserflasche zwischen seinen Händen drehte? Ich rechnete es Zadek hoch an, dass er unser beider Bekanntschaft bisher verschwiegen hatte. Doch als ich Mama zuhörte, brach mir trotz der Klimaanlage im Bus der Schweiß aus. Es war nur eine Frage der Zeit, bis alles herauskam. Und dann würde ich für den Rest der Ferien keine ruhige Minute mehr haben.

Aber Zadek schien keiner dieser Bahnhofstypen zu sein, die jedem ihre Geschichte auf die Nase binden müssen. Er lächelte höflich und nickte zu allem. Einmal grinste er mich kurz an. In seinen schwarzen Augen blitzte etwas auf, wie in der Schule, als wir endlich den Pythagoras begriffen hatten. Doch hier begriff ich überhaupt nichts. Warum verriet er Mama nicht, dass er mein Mathelehrer war?

Schließlich hielt der Bus an. Als ich aus den gefühlten zehn Grad minus in die Sonne sprang, war das, als ob mir jemand ein Brett vor die Stirn schlug. Obwohl es noch früh am Morgen war, dröhnte die Hitze schon überall. Wir standen am Rand einer weit gestreckten Geröllhalde. Der Reiseleiter nannte sie malerisch Hochebene. Von mir aus. Die Studienräte hatten sich bereits brav um ihn geschart, nur wir drei bildeten irgendwie eine Extragruppe.

Zadek sah etwas grün aus. Wahrscheinlich waren ihm die vielen Straßenkurven nicht bekommen. Mir anscheinend auch nicht, denn noch ehe der Reiseleiter mit seinen Ausführungen begonnen hatte, suchte ich hektisch nach einem Busch. Doch ich fand keinen. Das Frühstück flog im Schwall wieder aus mir heraus und hing dann am hinteren Reifen des Busses. Es ging alles so schnell, dass ich meine neuen Sandalen nicht mehr in Sicherheit bringen konnte. Hilfe, war mir übel. Und wie ich jetzt aussah!

Mama versuchte, mit einem Papiertaschentuch an mir herumzureiben, aber das machte es nur noch schlimmer. Die Studienräte starrten uns kopfschüttelnd an. Der Busfahrer schimpfte, weil ich seinen Bus versaut hatte.

Nur Zadek behielt die Nerven. »Heb mal deinen Fuß hoch«, sagte er.

Jetzt kommt’s, dachte ich. Zadek benahm sich aber echt klasse. Er spülte mir mit seinem Wasser die Reste des Frühstückstoastes von den Sandalen und drückte mir dann die Flasche in die Hand. In meinem Kopf drehte sich alles. Die Hitze machte mich total fertig.

Als der Reiseleiter auf seine Uhr klopfte, sagte Mama leicht genervt: »Gehen Sie schon mal los!«

Und so zuckelten wir dann mit einigem Abstand hinter den Studienräten her zur Zeus-Höhle: eine Blondine in Badelatschen mit ihrer Tochter, die gleich bei der ersten Tour schlappmachte. Mama sagte jetzt kein einziges Wort mehr. Sie bewachte jeden meiner zitterigen Schritte über das Geröll. Komischerweise hielt Zadek tapfer bei uns aus. Er bildete das Schlusslicht. Irgendwann kamen dann auch wir bei der Höhle an.

Während die Lehrer durch die Grotte krochen, lehnten wir im Schatten eines Olivenbaumes an einem Felsen. Mama hatte ein schlechtes Gewissen. Sie weiß ja eigentlich, dass mir beim Busfahren immer schlecht wird. Aber nach einer Stunde Fußmarsch durch die staubige Hitze hatte ich einfach keine Kraft mehr, ihr böse zu sein. Ich nippte müde an dem Rest lauwarmen Wassers, der noch in der Flasche war.

Dabei erzählte Mama mir die Geschichte von Zeus, als Wiedergutmachung sozusagen. Sie weiß alles über Götter, ob mit zwei oder zehn Buchstaben. Wir hätten uns diesen Grotten-Trip also komplett sparen können.

Dass Zeus eines Tages der oberste olympische Gott wurde, verdankte er nur seiner Mutter. Sein Vater hatte nämlich Angst, seine Kinder würden ihn eines Tages entmachten. Deshalb verschlang er sie alle. Als Zeus geboren wurde, schob seine Mutter seinem Vater deshalb zur Täuschung einen in Windeln gewickelten Stein unter und versteckte den Knaben in der Höhle, an der wir jetzt hockten. Ein paar Nymphen zogen Klein-Zeus dann heimlich mit Ziegenmilch auf. Schöne Sitten hatten die damals.

Als die Lehrer genug von ihrer Erkundung hatten, ging es wieder zum Bus zurück. Unterwegs kehrten wir in einer kleinen Taverne ein. Mama und ich saßen allein am Tisch. Mit uns wollte niemand etwas zu tun haben. Mir war das ja recht, aber Mama tat mir leid. Sie gab sich echt Mühe, aber gegen zwölf Studienräte auf einmal anzukommen, ist nicht leicht. Die meisten sahen wahrscheinlich einfach nur Mamas Haare und glaubten gleich Bescheid zu wissen.

Aber einer älteren Dame musste ich wohl leidgetan haben. Sie kam an unseren Tisch und stellte sich vor. »Ich bin Margarete Potzgalski. Geht es Ihrer Tochter schon besser, Frau Fischer?«

Margarete war echt in Ordnung. Sie bot mir und Mama ihren Busplatz in der ersten Reihe an. Sie war Spanischlehrerin und ihr Mann machte in Hamburg in Latein und Alt-griechisch. Am Nachmittag klärten wir dann noch die Frage »Sind die Kreter gläubig?«.

Zadek hatte sich inzwischen von uns abgeseilt, was mir sehr recht war. Er simste dauernd mit seinem Handy herum. Irgendwie sah er nicht gerade glücklich aus. Aber ging es mir besser? Charlotte lag nun schon einen halben Tag am Strand!

Während sich alle anderen das Kloster anschauten, setzte ich mich draußen zwischen zwei Säulen in die Sonne und baumelte mit den Beinen. Es war so angenehm, nicht mehr die ratternde Stimme des Reiseleiters zu hören. Mama hatte sich den Lehrern angeschlossen. Kein Gramm der kostbaren Bildung sollte ungehört bleiben. Sie wollte mir später berichten. Von mir aus.

Ich döste auf den heißen Steinen und stellte mir vor, wie ich nach den Ferien braun gebrannt die Klasse betreten würde. Da hörte ich ein leises Geräusch. Durch den schattigen Wandelgang kam eine alte Frau in langen schwarzen Tüchern geschwebt. Ihr verwittertes Gesicht sah aus wie Baumrinde.

»Hekate?«, flüsterte ich. Als ich klein war, habe ich oft gebetet, dass Neptun alle Meere austrinkt, damit die Schiffe nicht weiterfahren können. Hat aber nicht funktioniert. Vielleicht ist Neptun für flüchtige Väter nicht zuständig. Oder es lag an dem vielen Wasser. Aber bei Hekate war ich doch bei der Zaubergöttin vom Dienst, da konnte eigentlich nichts schiefgehen. Ich wünschte mir so heftig, dass ich nicht mehr auf diese langweiligen Ausflüge mitmusste, dass mir der Schweiß die Schläfen hinunterlief.

Während ich in Gedanken auf meine Strandliege davonschwebte, kam Mama freudestrahlend aus dem Kloster.

»Hast du die alte Frau gesehen?«, flüsterte ich, noch benommen von meiner göttlichen Begegnung.

»Welche Frau denn?«

»Na, die in den langen schwarzen Tüchern!«

Mama legte ihre Hand auf meine Stirn. »Ist dir immer noch übel, Schatz?«

Nun kamen auch die anderen aus dem Kloster, allen voran der Reiseleiter, dessen Gesicht leuchtete wie eine reife Tomate. Mama grinste. Na super, dachte ich. Hat sie wieder einen um ihren Finger gewickelt. Darin ist sie nämlich Weltmeisterin. Eigentlich war mir das egal, doch als ich den Reiseleiter flöten hörte: »Ulrike, über das minoische Klosterleben müssen wir uns aber noch einmal unterhalten«, wusste ich, dass es mir lieber nicht egal sein sollte. Begann Mama jetzt etwa gemeinsame Sache mit diesem Wandertrupp zu machen? Ich schaute sie finster an.

»Sophie, jetzt mach doch nicht so ein Gesicht«, sagte sie. »Wir sind in den Ferien.«

»Eben«, presste ich hervor.

»Was denkst du, wie interessant es drinnen im Kloster war«, erwiderte sie.

Interessant ist ein absolutes Signalwort. Wenn Mama etwas »interessant« findet, dann hat man sie bei etwas erwischt, von dem sie absolut keine Ahnung hat. Ich wusste ja nicht, was drinnen im Kloster passiert war. Aber ich wusste, dass ich genau deshalb nicht mit hatte reinwollen.

Auf der Rückfahrt zum Hotel hockten alle schweigend auf ihren Plätzen. Die Klimaanlage röhrte auf Hochtouren. Keiner der Lehrer wollte noch irgendwas vom Reiseleiter wissen. Nicht, wann die Türken Kreta besetzt hatten, und auch nicht, was die Nazis hier wollten. Nichts. Nada. Alle waren total erledigt von der Hitze. Wenigstens die Sonne war auf meiner Seite.

Es war nur noch nicht ganz raus, auf welche Seite Zadek sich geschlagen hatte. Ich schaute mich nach ihm um. Er saß jetzt allein auf der letzten Bank und hypnotisierte sein Handy. Aber Kreta schien ein einziges Funkloch zu sein, Verbindung zum Heimatplaneten nicht möglich.

Der Oberknaller kam dann beim Aussteigen. Der Reiseleiter verkündete fröhlich, dass nach dem Essen ein Kennenlernabend stattfinden würde. Dabei zwinkerte er Mama verschwörerisch zu. Die Studienräte lächelten müde. Der Einzige, der hier wen kennenlernen wollte, war der Reiseleiter. Und zwar meine Mutter. Aber ohne mich.

Als wir oben in unserem Zimmer waren, rannte ich schnurstracks ins Bad und schloss mich ein. Reichte es nicht, dass Zadeks Tarnung gleich aufflog? Musste ich auch noch dabei sein?

»Mensch, Sophie«, rief Mama gegen das Rauschen der Dusche, »Wolfgangs Idee ist doch super!«

Ich stellte mich taub. Sollte sie doch zu ihrem Kennenlernabend gehen. Ich blieb hier. Der Typ hieß jetzt also nicht mehr Herr Kubasch, sondern bereits Wolfgang. Gehörte das etwa auch zu ihrem Sophie-Fischer-Bildungsplan?

Ich entstamme nämlich einer Kellner-Dynastie. Oma Inge gehörte wie Mama zur Bahnhofsklasse, Onkel Rudolf hatte sich auf Hafenkneipen spezialisiert. Mein Urgroßvater bediente sogar den König von England im Adlon und Ururgroßvater Leopold war Leibdiener von Friedrich dem Großen. Doch ich, Sophie Fischer, Schülerin des Einstein-Gymnasiums, soll der Welt beweisen, dass die Fischers auch studierte Leute hervorbringen können und nicht nur Bedienpersonal. Ach, Mama. Kellner ist doch auch ein schöner Beruf!

Schließlich hielt ich es nicht mehr aus unter der Dusche und drehte den Wasserhahn zu. Als ich die Badtür wieder öffnete, sah ich Mama traurig auf dem Bettrand hocken. Allein würde sie nicht hingehen, das wusste ich. Wahrscheinlich würden wir nun auf dem Balkon Mensch ärgere dich nicht spielen. Aber da musste sie eben durch. Und ich auch.

Während Mama in die Dusche schlurfte, setzte ich mich in mein Handtuch gewickelt auf den Balkon. Keine fünfzig Meter vom Hotel entfernt rauschte das Meer. Und was für eins! Ich starrte sehnsüchtig auf die wahnsinnsblaue Farbe. Das würde mir Luise niemals glauben: Jetzt waren wir schon einen ganzen Tag hier und noch nicht ein Mal darin geschwommen! Deswegen waren wir doch eigentlich hergekommen. Wir wollten Ferien am Meer machen, das erste Mal in meinem Leben richtige Ferien. Aber nun war alles anders und total doof.

Mir wurde plötzlich trotz der Hitze kalt, und ich wollte mich schon anziehen gehen, als ich ein seltsames Geraschel hörte. Vor unserem Balkon standen einige alte Eukalyptusbäume, die den Pool und die Liegen, die um diesen herum aufgestellt worden waren, beschatteten. Und in einem dieser Bäume hockte Zadek und schaukelte auf einem Ast hin und her. Ich fiel vor Lachen bald vom Balkon. Was um alles in der Welt machte er da?

Plötzlich hörte ich ihn eindringlich mit jemandem reden. Hockte da etwa noch einer? Ich beugte mich über das Geländer. Da sah ich Zadeks Hand aus dem Blättergewirr hervorschießen und wild sein Handy schwenken. Mein Mathelehrer suchte wohl wieder Empfang. Das mochte der Ast aber gar nicht. Gab das ein Getöse, als Zadek samt Ast in den Pool klatschte und unterging! Neugierig hielt ich Ausschau. Schließlich tauchte er prustend und fluchend wieder auf.

»Nun zieh dich endlich an!«, rief Mama aus dem Bad. »Ich will nicht auch noch das Beste an diesem Tag verpassen. Es gibt Büfett.«

Das wollte ich auch nicht, ich hatte einen wahnsinnigen Hunger. Aber das Beste an diesem Urlaub war eindeutig der Balkon.

Ich weiß nicht, wie diese Lehrer es schafften, immer und überall die Ersten zu sein. Entweder lag es an dem bevorstehenden Kennenlernabend oder der Aussicht auf kostenlose Cocktails – jedenfalls benahmen sich alle total aufgekratzt und schwatzten wild durcheinander. Ganz anders meine Mutter, die still auf ihrem Stuhl hockte und lustlos in ihrem Salat stocherte. Herr Kubasch warf ihr immer wieder heimliche Blicke zu. Mann, war das peinlich! Als ob die anderen das nicht mitbekommen würden. Einige tuschelten schon. Zadek erschien etwas später mit nassen Haaren und zerschrammtem Gesicht.

»Willst du’s dir nicht doch noch mal überlegen?«, fragte Mama, nachdem ich die dritte Portion Moussaka in mich hineingestopft hatte.