Fetzer und der Zorn der Schwäne - Susanne Wiegele - E-Book

Fetzer und der Zorn der Schwäne E-Book

Susanne Wiegele

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Beschreibung

Bereits mit dem ersten Band „Fetzer und die Ordnung der Dinge“ avancierte Fetzer zum neuen Kult-Kommissar! Der vorliegende Band ist der vierte in der Reihe um den ständig grantelnden aber genialen Wiener Kieberer. Eigentlich könnte Fetzer zufrieden sein – seine Aufklärungsquote ist sensationell und sogar der Kriminaldirektor lässt ihn, um des lieben Friedens willen, in Ruhe. Aber der grantelnde Wiener Kommissar steht sich wieder einmal selbst im Weg. Nach einem totalen Ausraster verlässt er den Polizeidienst. Er kann jetzt keinen Unterschied mehr zwischen jenen, die er verfolgt, und sich selbst erkennen. So verkriecht er sich in einer Badehütte am Mühlwasser und sucht zwangsweise nach einer neue Betätigung. Doch vor dem eigenen Ich kann Fetzer nicht flüchten, jedenfalls nicht ewig. Im Sicherheitsbüro geht es inzwischen drunter und drüber – ein hoher Polizeioffizier ist brutal ermordet worden, und die Ermittlungsarbeit bleibt an Fetzers ehemaligen Mitarbeitern hängen. Nicht lange, und Fetzer ist wieder mittendrin im Geschehen …

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

Kapitel XXV

FETZER

UND DER ZORN DER SCHWÄNE

Susanne Wiegele

Impressum

Die Handlung und alle Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen, ­Handlungen und Schauplätzen sind nicht beabsichtigt und unterliegen dem Zufall.

 

eISBN: 978-3-902900-91-3

E-Book-Ausgabe: 2015

2014 echomedia buchverlag ges.m.b.h.

Media Quarter Marx 3.2

A-1030 Wien, Maria-Jacobi-Gasse 1

Alle Rechte vorbehalten

 

Produktion: Ilse Helmreich

Layout: Brigitte Lang

Lektorat: Susanne Hartmann

Umschlagbilder: Eky Studio, Oksana Bratanova / shutterstock.com

Gedicht auf Seite 121: „The Swan“ von Mary Oliver

(Winter Hours. © Houghton Mifflin, 1999)

E-Book-Produktion: Drusala, s.r.o., Frýdek-Místek

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.echomedia-buch.at

Für Maren, deren kleines Paradies am Mühlwasser ­Fetzers Zufluchtsort ist,

für ein paar Schwäne ebenda,

und

für den Kerl, ohne dessen schlechte Eigenschaften der Fetzer eine beinahe nette, aber höchst langweilige Person wäre.

Kapitel I

Ein Mensch kann nicht mehr als sieben Informationen gleichzeitig aufnehmen. Ein Mensch aber, der so außer sich vor Wut war wie Fetzer, konnte nicht einmal das.

Wie er vor die Tür der Theres gekommen war, wusste er nicht. Wahrscheinlich hatte er die Straßenbahn genommen, oder er war zu Fuß gegangen. Nein, zu Fuß wohl nicht. Gehen beruhigte ihn immer. Mit einer Hand klaubte er am schadhaften Verputz neben dem Türstock herum, die andere hielt die Klingel gedrückt. Seine Dienstwaffe steckte im Hosenbund.

Warum macht die Drecksfotze nicht auf? Ist wahrscheinlich dieser andere Typ bei ihr. Sehr gut, Fetzer. Sehr gut. Dann reißen s’ glei alle beide a Bankerl. Geht glei auf einmal. Die lacht wahrscheinlich da drin. Und der Typ sitzt dort, wo ich sitz, wenn ich da bin. Oder besser: wo ich gesessen bin.

Dass die Weiber nichts verstehen. Dass ein Mann eine gute, sanfte und zarte Frau braucht. Eine, neben der man ganz für sich sein kann. Die alles an einem liebt, einen nie für einen Idioten hält. Neben der man nicht aufpassen muss, was man sagt, was man denkt. Und von der man sich nicht fesseln, quälen und benutzen lässt, weil das einfach nicht normal ist. Weil man einmal so sein will wie alle. Ein bissl langweilig vielleicht und sehr bieder. Na und? War er nicht weiter zu ihr gekommen? Wusste dieser Trampel nicht, was sie ihm bedeutete? Natürlich nicht. Sie hatte sich ja einem anderen an den Hals geworfen!

Fetzer spürte einen scharfen Stich in der linken Brust. Noch immer keine Reaktion. Nur eine Nachbarin schaute schon argwöhnisch durch den Türspalt. Ein Blick genügte und die alte Schachtel verzog sich wieder in ihre Wohnung.

Kane Zeugen, Fetzer, nur kane Zeugen. Zwei schnelle, saubere Schüsse, und das war’s schon. Dann abhaun. Untertauchen. Der Patron von der Casa Piccola würd wissen, wo er hingehen könnt. In Italien ist’s sicher schön. Schön warm und schön weit weg. Sie macht nicht auf. Die Tür eintreten? Warum nicht. Wär ja ned das erste Mal!

Beim ersten Tritt tat sich nichts. Nur die Nachbarin öffnete ihre Tür wieder einen Spaltbreit, ein Auge starrte ihn an, dann ging die Tür abermals zu. Die nächsten Tritte ließen die Türfüllung brechen.

Fetzer griff durch die Tür auf die Schnalle. Kein Schlüssel. Scheiße. Die war gar nicht zu Hause. Wie viel Zeit hab i noch? Die alte Vettel hat sicher mittlerweile die Polizei gerufen. Dabei war die schon da, oder?

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und fluchte, als ihm ein Bröckerl Verputz ins Auge geriet. Was er mitmachte mit diesem Weib war ja unglaublich! Das Folgetonhorn draußen auf der Straße brachte ihn zur Besinnung. Rasch drehte er sich um, lief die Stiege hinunter, verlangsamte bewusst kurz vor dem Haustor, öffnete dieses langsam und ging gemächlich die Straße entlang. Hinter ihm bremsten sich die zwei Amöben mit der Funkstreife ein. Er riskierte keinen Blick – wer weiß, bei seinem Pech erkannte ihn das zwar uniformierte, aber heute vielleicht einmal ausnahmsweise nicht gänzlich hirnlose Personal seiner eigenen Dienststelle.

Immerhin war er der Schrecken der Polizeidirektion. Die Älteren warnten die Jungen vor dem Fetzer, außer sie wollten sie anrennen lassen. Glaubten die denn, dass wüsste er nicht?

Vor einem Schaufenster mit Herrenmode blieb er stehen. Die Deko war, wie zu erwarten, scheußlich. Den Trottel, der diese Schaufenster gestaltet hat, sollte man einsperrn, wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Die Farben! Viel zu nahe beieinander im Farbton. Zu viel Zeug im Fenster. Keine Ahnung vom Goldenen Schnitt. Was lernen die heutzutag eigentlich? Nix offenbar.

Die Funkstreife stand jetzt herrenlos am Gehsteig. Die Amöben waren sicher bei der alten Vettel und schrieben sich die Finger wund. Und wieder a Bericht mehr voller Schreibfehler und nur leere Kilometer!

Fetzer brachte den Fußweg zur Kettenbrückengasse betont gemächlich hinter sich. Dann bog er auf den Naschmarkt ein.

Automatisch schaute er immer wieder hinter sich. Nichts zu sehen, das einer Uniform ähnlich war. Bei der Casa Piccola standen und saßen frohe Menschen vor dem Lokal. Wie unbelastet die doch waren! Sie lachten, tranken, führten Gespräche, liefen vor nichts und niemandem davon und hatten wohl auch kaum um ein Haar ihre Geliebten erschossen.

Fetzer blieb stehen. Was zum Teufel war los mit ihm? Er, ein Mitglied des Wiener Polizeikörpers, mehrfach dekoriert für seine Erfolge und ebenso mehrfach schriftlich verwarnt für diverse Insubordinationen, aber sonst von tadellosem Ruf und vor allem: tadelloser Arbeitsauffassung und ebensolchem Rechtsverständnis.

War ja ganz einfach, eigentlich. Hier er und seine hilf- und hirnlose Truppe, dort die Mörder, Räuber, Betrüger und Diebe. Die einen sorgten für die Ordnung, die andern hatten ebendiese gestört und waren ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Durch ihn. Da gab es kein Zweifeln und kein Mitfühlen mit einem patscherten Leben. Nur klare Fakten. Und sein ausgeprägtes Rechtsempfinden. Was falsch war, war falsch. Wurscht, ob das so im Gesetz stand oder nicht. Na gut, manchmal bedingte diese Auffassung, dass man wegsah, wenn etwas moralisch richtig, aber gesetzlich eigentlich zu ahnden war. Offenbar hatte er doch ein wenig Mitgefühl mit dem patscherten Leben der anderen.

Das ist es, Fetzer, mit den anderen hast Mitgefühl, weil s’ eben schwach und deppert sind. Aber du selbst? Bist ja weder noch!

Der Padrone war aus der Tür des Lokals getreten und ging auf ihn zu. Fetzer fühlte sich scharf gemustert und sogleich am Arm genommen und ins Lokal geführt. Dort wurde er am „Katzentisch“ neben der Küche hingesetzt und gleichzeitig eine Gästeschar, die dort Platz genommen hatte, verscheucht.

Kaum hatte Fetzer den Kopf gehoben, stand ein Glas Verduzzo vor ihm. Wenige Minuten später auch ein dampfender Teller Fegato alla veneziana mit Polenta. Fetzer fühlte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Kalbsleber. Polenta, wie sie nur die „mamma“ eines mafiösen Naschmarktstandlers zubereiten konnte. Als er kostete, zerging die Leber förmlich auf seiner Zunge. Das hatte die Theres auch nie begriffen – dass man Innereien sehr wohl essen konnte, wenn Italiener sie zubereitet hatten. Die Theres! Er legte die Gabel hin und erstarrte.

Der Padrone eilte hinter der Theke hervor und erkundigte sich wortreich, ob denn etwa die Leber …? Fetzer schüttelte nur den Kopf.

Der Wirt setzte sich und sah ihn an. Dann nickte er. So sahen seine Schutzbefohlenen aus, wenn sie zu ihm kamen, um sich eine Passage nach Amerika oder nach Sizilien zu erbitten. Immer, wenn sie was ausgefressen hatten also. Aber sein Freund, der Kommissar? Dieses Abbild von Ehrgefühl und Rechtschaffenheit, soweit irgendein Mitglied der falschen Seite für ihn so etwas haben konnte natürlich. Hatte er nicht vorletztes Jahr dem Polizeipräsidenten die Nase gebrochen? Ein feiner Mensch, zweifellos, fast Familie war er! Und hatte ebendieser nicht wie selbstverständlich den Mund gehalten über alles, was er an seinem Tisch gehört und gesehen hatte? Einer seiner eigenen Söhne hatte nur für ihn – den Wirt um seine Meinung zu befragen hatte keiner für nötig befunden – im „Roten Hund“ kellneriert, damit Fetzer nicht dem ohnehin zum Scheitern verurteilten Versuch des Besitzers, es ihm recht machen zu können, ausgesetzt war! Jetzt, wo das einzige Personal, das Fetzers Ansprüchen genügte, von ihm selbst in den Häfen befördert worden war, hatte er sicher Grund zu Missmut – aber so sehr konnte ihn das doch nicht hernehmen, oder?

An etwaige häusliche Unzukömmlichkeiten dachte er gar nicht. Der Kommissar war ein echter Mann vom alten Schlag. Der hatte keine häuslichen Unzukömmlichkeiten. Na gut, diese neue Liebschaft von ihm war eine Peinigung für einen gebildeten, feinen Geist, aber das musste er selbst wissen, warum er sich das antat. Außerdem war es undenkbar, so ein Thema unter Männern von Ehre auch nur anzusprechen. Ja, die dunkelhaarige Signora, die er früher gehabt hatte, die war eine echte Dame. Wie er gelacht hatte, wenn er mit ihr da gewesen war! Ein glücklicher Mann, hatte er gedacht, und ihr jedes Mal die Hand geküsst.

Fetzer unterbrach seine Gedankengänge, indem er ihm das leere Glas hinrückte. Sofort erhob sich der Padrone, füllte nach und nahm wieder gegenüber Platz. Geduldig wartete er, bis Fetzer fertig gegessen hatte und ihn endlich ansah.

Ob er noch das Grundstück am Mühlwasser als Pfand für das Verstecken seines Patenkindes hätte? Der Padrone ersparte es sich, empört zu tun oder die Tatsache abzustreiten, dass er einem anderen Kriminellen geholfen hatte, das Land zu verlassen. Er nickte nur. Si, si, das sei noch da, schließlich sei die Verjährung abzuwarten, und die sei nicht so bald. Fetzer grunzte zufrieden. Er brauche den Schlüssel. Und ob es möglich wäre, wenn es keine Umstände machen würde, dass er eventuell eine Zeitlang dort wohnen könnte? Der Pa­drone erhob sich wortlos, ging nach hinten in die Küche und kam mit einem Schlüsselbund wieder. Umständlich erklärte er Fetzer, wie er das Wasser aufdrehen sollte, wie der Strom einzuschalten sei und wo das Boot gelagert war.

Fetzer rang mit sich selbst und formulierte dann stockend, dass er einen der Söhne brauchen könnte, zum Abholen seiner Sachen bei der Angela. Was immer er verlangen würde, der Padrone breitete die Arme aus, er sei ja wie ein Bruder für ihn! Er solle ihm nur sagen, wann er den Buben brauche, der begleite ihn dann gern und trüge ihm auch die Sachen ins Gartenhaus. Nein, nein, Fetzer zögerte, ob der Matteo das nicht alleine tun könne? Er würde im Gartenhaus warten und sich derweil häuslich einrichten.

Der Padrone verstand sofort. Fetzer solle die Signora Theresa herzlich grüßen lassen, wenn er sie sähe, und es sich gut gehen lassen am Wasser! Fetzer hatte sich unvermittelt erhoben und war unter Mitnahme des Schlüsselbundes gegangen. Die gerunzelte Stirn und der böse Blick Fetzers ließen den Padrone ratlos zurück. Also von dieser Angela war er offensichtlich geheilt, der Madonna sei Dank, aber die Signora wollte und würde er nicht sehen. Aber es stand ihm nicht zu, über ihn zu urteilen, ein Mann von Ehre tut, was er tun muss und basta. Als er in der Küche seinen Sohn in­struierte, wo und wie er die Habseligkeiten des Kommissars zu holen und danach abzuliefern hatte, fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, Fetzer vor den Schwänen zu warnen.

Kapitel II

Fetzer aber war bereits auf dem Weg ans Mühlwasser.

Am Praterstern streifte er widerwillig durch den überfüllten Billa und kaufte wahllos Lebensmittel, Gelsenschutzmittel und Alkohol. Noch widerwilliger stieg er in die U2, denn die führte über die Donau, eine Gegend, in der man nicht einmal tot über einem Zaun hängen will, wenn man es vermeiden kann. Ein kurzer Fußmarsch brachte ihn in die Kleingartensiedlung. Schnell fand er die Holztür mit der passenden Nummer, schloss auf, ging ein paar Stufen bergab und fand sich im Paradies.

Vor ihm lag das Mühlwasser. Grün, hellgrün und gelbgrün das Schilf. Ein paar Schritte und er war am Wasser. Tief atmete er durch. Ja, hier ließ es sich gut sein. Allein, ohne die fordernden Fragen aller möglichen Weiber. Und, plötzlich wurde es ihm bewusst, auch ohne die Kollegen aus dem Büro. Kein Oprieschnig. Kein Navratil. Keine Lichtblau. Kein Spitz.

Warum hatte er nicht sofort daran gedacht? So ein tröstlicher Gedanke kam ihm so spät! Fetzer schüttelte den Kopf und machte sich beinahe vergnügt ans Entdecken des kleinen Grundstücks und des noch kleineren Häuschens.

Ah! Das mussten einmal drei Kabanen gewesen sein, diese bei den Wienern beliebten Badehütten. Jetzt war nur noch in einer eine kleine Küche, dazu ein Diwan und ein Bücherregal. Die notwendigsten Dinge eben. Er nickte anerkennend. In zwei Kästen waren Geschirr, Tisch- und Bettwäsche, Handtücher und Putzmittel. In der angrenzenden Kabane fanden sich zwei Schlafcouchen, ein Moskitonetz und ein paar Zeitschriften. Die dritte war als Rumpelkammer in Verwendung. Und als Waffenlager, wie ein flüchtig über eine offene Kiste hinwegstreifender Blick bestätigte.

Fetzer beschloss, diesen Umstand schon aus Höf­lichkeit seinem Gastgeber gegenüber zu ignorieren, vermerkte aber Anzahl und Waffenart in seinem präzise arbeitenden Hirn.

Neben dem Gebäude befand sich die Außendusche, daneben das Plumpsklo. Fetzer rümpfte die Nase. Das würde er mit Sicherheit nicht benutzen! Am anderen Ende war der Geräteschuppen. Mit Befriedigung regis­trierte Fetzer das kleine Schlauchboot, den Rasenmäher, diverse Heckenscheren und wenige Gartengeräte. Nur mühsam hatte er bis soeben die unglaubliche Un­ordnung, mit der man hier die Natur gewähren ließ, ignorieren können. Die Erleichterung, wenigstens die notwendigsten Gerätschaften zur Verbesserung vorgefunden zu haben, zeigte ihm das Ausmaß seiner unterdrückten Irritation.

Rasch suchte er den Stromkasten, schaltete alles ein, verstaute die mitgebrachten Lebensmittel im Kühlschrank, stellte Gelsenspray und Alkohol auf die Anrichte und zog sich anschließend aus.

Das Handy war ohnehin auf lautlos gestellt, und sobald der Sohn des Padrone die Sachen abgeliefert hatte, würde er es ausschalten. Die entgangenen Anrufe und Nachrichten ignorierte er.

Nackt und fluchend mit einer Heckenschere hantierend fand ihn Stunden später Matteo.

Fetzer band sich ein Badetuch um die Hüften und inspizierte die Taschen und Koffer. Sehr gut. Alles da. Sogar der Laptop. Der war natürlich nutzlos ohne Internetanschluss, aber den konnte man ja besorgen. Er brauchte ohnehin auch eine kleine Schere für die überstehenden Gräser, die zwischen den Platten der Terrasse und den Wegsteinen gewachsen waren, weil sich hier ja offenbar niemand um die grundlegendsten Dinge gekümmert hatte.

Matteo half ihm beim Wegräumen, ohne irgendetwas zu fragen. Wie selbstverständlich nahm er an, dass Fetzer sich eine Zeitlang verstecken musste, daher erklärte er ihm genauestens die Alarmanlage, die man bei Bedarf einschalten konnte und die jede Bewegung in der Nähe des Zaunes melden würde.

Direkt am Wasser sei keine, denn die Enten, Rohrsänger und Reiher würden sonst den Alarm dauernd auslösen, aber er hätte ja die Schwäne als natürlichen Alarm. Vor denen müsse er sich überdies vorsehen! Fetzer verdrehte innerlich die Augen. Schwäne. Na sicher. Ganz unbedingt.

Endlich waren sie fertig und Fetzer lud den Buben ein, mit ihm zu essen und zu trinken. Beinahe wortlos genossen sie, beim Holztisch auf der Terrasse sitzend, Wein und Shrimps-Salat, getrocknete Tomaten, Oliven, Hummus, Coppa di Parma und Fladenbrot. Matteo versprach, morgen mit einer kleinen Schere für den Rasen, mit mehr Lebensmitteln und vor allem mit einer an den Laptop ansteckbaren Internetverbindung wiederzukommen. Prepaid und nicht nachverfolgbar, wie er versicherte.

Dann zeigte er ihm, wo die Kaffeevorräte sowie die Trockenmilch und die ewig haltbaren Kekse gelagert waren und kochte ihm einen der besten Espressi seines Lebens.

Ausnehmend höflich verabschiedete sich der „Bub“ schließlich, nachdem er, offenbar routinemäßig, mit gezogener Waffe, die danach wieder diskret hinten im Hosenbund verschwand, das Grundstück abgegangen war.

Fetzer hatte das deutliche Gefühl, dass er ihm beinahe die Hand geküsst hätte, sich es aber gerade noch rechtzeitig überlegt hatte – schließlich war Fetzer zwar ein Freund des Vaters, aber kein Capo.

Fetzer musste lachen ob der Situation, in die er sich gebracht hatte. Ein Kommissar, bis heute zumindest, der in einem sicheren Haus eines Mafiacapos einquartiert war und wie ein Flüchtling vor der Polizei behandelt wurde. Wenn die wüssten!

Die Ordnung aller Dinge herzustellen gelang ihm danach leicht. Schnell war alles aufgeräumt und er saß in der Dämmerung auf der Terrasse, bis schließlich die Nacht anbrach. Und mit dieser kamen die Gedanken, in die sich weder durch gutes Zureden noch durch Gewalt Ordnung bringen lassen wollte.

Als ihn endlich zu sehr fror, um weiter draußen sitzen zu bleiben, ging er in die Küchenkabane und legte sich auf den Diwan. Er gestand sich für eine Sekunde ein, dass ihm der Kater fehlte.

Schließlich konnte er einschlafen, nachdem er das rhythmisch blinkende Handy zuerst umgedreht und schließlich ausgeschaltet hatte.

Seine Träume aber waren voller Schwäne.

Kapitel III

Am nächsten Morgen war er vor Tagesanbruch munter. Fetzer watete ins Wasser und ignorierte die aufsteigende Kälte. Später würde es wärmer werden. Zügig schwamm er bis zum Zulauf, dann drehte er um und kraulte bis unter die Brücke. Die Enten schienen noch zu schlafen, er absolvierte sein soeben ausgedachtes Trainingsprogramm ohne Störung. Als er spürte, wie seine Schultern sich zu verkrampfen begannen, stieg er aus dem Wasser und kochte sich Kaffee. Auf der Terrasse sitzend verfolgte er die sich ändernde Linie des Lichts über dem Horizont. Die Sonne ging auf.

Da sitzt jetzt, du Vollidiot. Wie kann man nur so blöd sein und fast seine Geliebte erschießen? Und ihren Typen gleich dazu?

Warum zuck ich so aus wegen einer Kleinigkeit? Ich weiß ja nicht einmal, ob sie mit dem überhaupt was hat! Und Recht hab ich schon überhaupt keins dazu. Als ob jemals irgendwer das Recht zu sowas hatte! Aber i bin Polizist. I sollt wissen, was Recht ist und was ned. Und offenbar weiß i es nimmer.

Und wer nimmer weiß, was Recht und was Unrecht ist, der kann kein Polizist sein. So einfach ist das.

Fetzer machte sich eine Liste in seinem Kopf. Als Erstes: dem Büro ein Kündigungschreiben schicken. Dann: nachdenken, was danach zu tun sei. Zuletzt: der Theres sagen, dass es ihm unendlich leidtäte. Er strich den letzten Punkt sofort wieder.

Bevor er kündigen konnte, brauchte er die Internetverbindung. Er schätzte, dass Matteo nicht vor dem späten Vormittag kommen würde, also machte er sich an die dringende Aufgabe des Rasenmähens, Heckenschneidens und Wurzelausgrabens.

So fand ihn Matteo gegen elf Uhr auf der Terrasse liegend und Gräser zwischen den Platten ausrupfend, als dieser mit zwei Einkaufstaschen, mehreren Zeitungen und einer Schachtel, die den sehnlichst erwarteten Stick für die Internetverbindung enthielt, die Stiegen herabkam.

Wortlos nickte er ihm zu, legte die Einkäufe und die Zeitungen in der Küche ab und begann danach, die Internetverbindung zu installieren. Fetzer stand endlich auf, beäugte die Versuche Matteos zuerst kritisch, dann aber bewundernd und bereitete aus den mitgebrachten Lebensmitteln ein opulentes Frühstück für beide.

Matteo, dieses leibhaftige Abbild eines guten Sohnes, fragte nichts, sprach nur, wenn er angesprochen wurde und richtete schließlich, nach vielen Entschuldigungen und der Versicherung allergrößter Ehrerbietung, eine Nachricht seines Vaters aus. Fetzer möge sein Handy eingeschaltet lassen, falls man ihn erreichen müsse. Und erreichen müsse man ihn, das sei die übliche, bewährte Prozedur, jeweils um zehn am Vormittag und um zehn in der Nacht. Damit sich die Familie versichern könne, dass alles in Ordnung sei mit ihm. Und um ihn, sollte es notwendig sein, warnen zu können. Er solle keine Sorge haben, die Gespräche würden kurz sein und sich auf das Notwendigste beschränken. Der Vater würde ihn fragen, ob es Zia Dea gut ginge, und Fetzer habe darauf, wenn alles in Ordnung sei, mit ihm völlig freigestellten Erörterungen über den schlechten Gesundheitszustand der Tante zu antworten. Das würde der Vater ausgesprochen bedauern und versichern, wieder anrufen zu wollen. Sollte er aber zu warnen sein, würde der Vater anregen, den Arzt zu konsultieren. Dann müsse Fetzer schnell verschwinden. Wenn er selbst aber Hilfe benötigen sollte, müsse er sehr erfreut berichten, dass es der Tante ganz überraschend gut ginge, und die Anzahl der verschwundenen Symptome bezeichne die Zahl der Personen, die entweder bereits eingedrungen seien oder die er entdeckt habe.

Fetzer grunzte, nickte aber schließlich. Immerhin war er hier Gast, also musste er sich wohl oder übel nach den Gepflogenheiten richten. Bevor sich diese äußerst interessante Absprachemethode in seinem polizeilich geschulten Gehirn festsetzen konnte für eine eventuelle spätere Verwendung bei einer Telefonüberwachung, unterdrückte er bewusst die Speicherung. Er war bereits kein Kommissar mehr.

Um sich selbst von diesem Gedanken abzulenken, brachte er das Gespräch auf die Angela. Er habe gar nicht gefragt, ob das Abholen seiner Sachen problemlos vonstattengegangen sei? Matteo senkte den Blick und versicherte, dass er keine Schwierigkeiten gehabt habe, nur die Situation sei ihm sehr unangenehm gewesen, als die Frau, seine Unterschenkel umfassend, weinend vor ihm gekniet sei, während sie ihn angefleht habe, ihr doch zu sagen, wo der Franzl sei und was sie ihm denn getan hätte.

Fetzer fluchte. Was hatte er auch fragen müssen! Nur damit ihm genau diese zu vermeidende Situation nunmehr deutlich vor Augen stand? Das wollte er gar nicht wissen, das hatte er sich ersparen wollen.