Feuer der Nacht - Linda Howard - E-Book

Feuer der Nacht E-Book

Linda Howard

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Beschreibung

Es sollte der schönste Tag ihres Lebens werden. Doch sie erlebte ihn nicht mehr ...

Die Hochzeitsplanerin Jaclyn Wilde liebt ihren Job über alles - normalerweise. Doch dann begegnet sie Carrie, der Königin aller Bridezillas, die kurz vor ihrem großen Tag ermordet wird. Der mit den Ermittlungen betraute Detective Eric Wilder stößt auf eine Flut von Beweisen, die auf unzählige Verdächtige hindeuten. Zu seinem großen Missfallen stellt sich Jaclyn, mit der er kurz vor der Ermordung der Braut eine leidenschaftliche Nacht verbracht hat, als Hauptverdächtige heraus. Während es zwischen Jaclyn und Eric zunehmend knistert, kommt ihnen ein kaltblütiger Mörder gefährlich nahe. Und diesmal ist sein Ziel nicht die Braut ...

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Inhalt

Cover

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Über dieses Buch

Titel

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Über die Autorin

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Impressum

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Über dieses Buch

Die Hochzeitsplanerin Jaclyn Wilde liebt ihren Job über alles – normalerweise. Doch dann begegnet sie Carrie, der Königin aller Bridezillas, die kurz vor ihrem großen Tag ermordet wird. Der mit den Ermittlungen betraute Detective Eric Wilder stößt auf eine Flut von Beweisen, die auf unzählige Verdächtige hindeuten. Zu seinem großen Missfallen stellt sich Jaclyn, mit der er kurz vor der Ermordung der Braut eine leidenschaftliche Nacht verbracht hat, als Hauptverdächtige heraus. Während es zwischen Jaclyn und Eric zunehmend knistert, kommt ihnen ein kaltblütiger Mörder gefährlich nahe. Und diesmal ist sein Ziel nicht die Braut ...

Linda Howard

Feuer der Nacht

Aus dem amerikanischen Englisch von Jutta Ressel

1

Sechs Hochzeiten in fünf Tagen. Heiliger Himmel.

Jaclyn Wilde konnte nur eines denken: Ihre Mutter Madelyn hatte wohl einen bis zwölf Martini mit Champagner zu viel intus gehabt, als sie so viele Reservierungen in so kurzem Abstand angenommen hatte. Madelyn war ihre Partnerin bei Premier, dem Topunternehmen, das in Atlanta und Umgebung engagiert wurde, wenn jemand seine Gäste so richtig beeindrucken wollte. Es wäre ja nicht so schlimm gewesen, wenn es sich bei den Buchungen nicht durchweg um Hochzeiten gehandelt hätte. Eine Party war simpel verglichen mit einer Hochzeit, denn es kamen keine Gefühlsturbulenzen auf. Eine Hochzeit hingegen war mit sämtlichen Emotionen überfrachtet, die der Mensch so im Repertoire hatte. Da ging es nicht nur um die Braut, sondern auch um die Mutter der Braut, die Mutter des Bräutigams, die Brautjungfern, die Eltern des Blumenmädchens und die Ringträger, die Cousins, die zur Hochzeitsfeier nicht eingeladen wurden, um die passenden Farben, das Datum, den Veranstaltungsort, um die verdammte Schriftart der ebenso verdammten Einladungskarten ...

»Jaclyn Wilde«, rief die Angestellte und riss Jaclyn aus ihrem Gedankenkarussell. Die Stimme der Angestellten war zu fröhlich. Kam es ihr denn gar nicht in den Sinn, dass diese Art Frohsinn beim Eintreiben von Strafgebühren für Verkehrsübertretungen fehl am Platze war? Dass sie sich irgendwie trist anhören sollte, war ja vielleicht zu viel verlangt, aber zumindest könnte sie gelangweilt und unverbindlich klingen, anstatt beim Einkassieren des Geldes vor Entzücken fast schon zu tanzen.

Jaclyn unterdrückte ihre Irritation; sie beruhte eher auf der fast nicht zu bewältigenden Arbeitsbelastung, die ihr in der kommenden Woche bevorstand, als auf dem Strafzettel, den sie wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung kassiert hatte. Weiteren Stress hatte die Tatsache verursacht, dass sie vergessen hatte, die Strafgebühr zu überweisen, eben weil sie alle so hart gearbeitet hatten; und heute war der Fälligkeitstag, und deshalb hatte sie von der Arbeit freinehmen müssen – wodurch sich natürlich der Stress verstärkte, weil sie nun ja mit allem in Verzug geriete –, ansonsten erginge ein Haftbefehl. Ja, das wäre der wahre Stressreduzierer gewesen ...

Dass sie die Überweisung verbummelt hatte, war ihre Schuld. Wenn die Stadt Hopewell, in der sie lebte und wo sie den Strafzettel kassiert hatte, Onlinezahlungen akzeptieren würde, wäre die Sache längst erledigt. Tat sie aber nicht. Jaclyn stand auf, schob schweigend das Geld hinüber und schritt einen Augenblick später den Gang hinunter – der Strafzettel war bereits vergessen, denn diesen Punkt hatte sie ja nun auf der Liste der zu erledigenden Dinge abhaken können.

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Die Zeit reichte gerade noch, um rechtzeitig zum nächsten Termin zu kommen – Carrie Edwards, eine Schlampe, wie sie im Buche stand, und einer der Gründe, weshalb sich die sechs Hochzeiten in fünf Tagen zu einer schier unmöglichen Mission auswuchsen. Und Carries Hochzeit zählte noch nicht einmal dazu; ihre Hochzeit sollte erst in einem Monat stattfinden, doch Carrie nahm mit ihrem theatralischen Getue und ihren ständigen Sinneswandeln einfach zu viel von ihrer Zeit in Anspruch, viel zu viel sogar. Eine Brautjungfer hatte ihr schon gesagt – Carrie, nicht Jaclyn –, dass sie sich zum Teufel scheren solle, ein Debüt in Jaclyns Erfahrung. In der Regel bissen die Teilnehmer einer Hochzeitsgesellschaft die Zähne zusammen und machten alles mit, egal was die Braut beschloss. Und wenn einmal eine ausstieg, dann mit einer höflichen Entschuldigung. Nicht jedoch dieses Mädchen: Sie war volles Rohr auf Carrie losgegangen und hatte kein Blatt vor den Mund genommen.

Als der Eklat passierte, hatte Jaclyn sich davongemacht; sie hatte sich ein breites Grinsen genehmigt und die Faust zum Triumph erhoben, doch dann ihren Gesichtsausdruck unter Kontrolle gebracht. Und sie war zurückgekehrt, um einen Zickenkrieg mit Haareziehen und Augenauskratzen abzuwenden. Es hätte sie gefreut, wenn Carrie ein blaues Auge davongetragen hätte, aber Geschäft war nun mal Geschäft.

Wäre sie nicht so in ihre Gedanken versunken gewesen, hätte sie vielleicht schneller reagiert, doch als plötzlich eine Tür aufschwang, erwischte es sie kalt, und sie stieß mit einem groß gewachsenen, dunkelhaarigen Mann in dunklem Anzug zusammen, der gerade ins Foyer trat. Sie rief kurz ein scharfes »Huch!« aus. Durch den Aufprall riss es ihr den Aktenkoffer aus der Hand, der dann über den grau gefliesten Boden segelte. Sie spürte, wie ihr ein Fuß, der elegant in einem Schuh mit zehn Zentimeter hohen Absätzen steckte, wegrutschte, und so packte sie panisch den Mann am Arm, um nicht vollends das Gleichgewicht zu verlieren. Ihre freie Hand fasste dabei in sein offenes Sakko, und sie hielt eine Handvoll Stoff seines Hemdes umklammert, als hinge ihr Leben davon ab. Mit dem Arm stieß sie dabei seitlich an etwas Hartes, und einen kurzen Moment lang war Leder zu sehen, bis sie schließlich erstaunt das Halfter und gleich darauf die Pistole identifizierte – und den Bullen. In Anbetracht der Tatsache, dass sie sich im Rathaus befand, war die Schlussfolgerung ebenso logisch wie unausweichlich.

Der Arm, den sie gepackt hatte, wurde stahlhart, denn der Mann spannte sofort die Muskeln an, damit er ihr Gewicht halten konnte. Er drehte sich halb um, wobei sein zweiter Arm ihre Taille umfasste, um sie aufzufangen. Einen kurzen Moment – höchstens die eine Sekunde lang, die erforderlich war, um wieder das Gleichgewicht zu finden – war sie fest an den überaus warmen, sehr massiven und eindeutig männlichen Körper gepresst.

Er gab sie in just jenem Augenblick frei, als sie wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte, ging jedoch nicht auf Distanz. Nicht sofort jedenfalls. Zittrig stieß sie den Atem aus. »Mannomann. Puh.« Ihr Herz, das dank des Zusammenstoßes und ihres vereitelten Sturzes auf Hochtouren arbeitete, pochte so gegen ihren Brustkorb, dass sie jeden Schlag spürte. Eine Bauchlandung auf dem Boden des Rathauses wäre an diesem total bekloppten Tag ja überaus passend gewesen; doch das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war ein gebrochener Knöchel oder etwas in dieser Art. Selbst ein verrenkter Knöchel würde Premier solche Zeitprobleme bescheren, dass sie sich nicht mehr in den Griff kriegen ließen.

»Alles in Ordnung, Madam?«

Er neigte beim Sprechen den Kopf zu ihr hinunter, und sein Atem, der nach Pfefferminzkaugummi roch, strich ihr über die Stirn. Seine Stimme war ein warmer Bariton mit einem leichten Kratzen, das seine Stimme gerade so rau machte, dass der Ton nicht sanft klang, sondern eher irgendwie ... Sie wusste nicht recht, wie, aber jedenfalls war da etwas. Aber Moment mal: Hatte er sie gerade mit Madam angesprochen?

Sah sie etwa so mitgenommen aus?

Jaclyn unterdrückte ihren ersten Ärger. Seine Ausdrucksweise ließ sich mit seiner Dienstmarke begründen. Aber die eigentliche Erklärung war wohl der Süden der USA. Er gab keinen Kommentar zu ihrem Aussehen ab; er war Polizist – ein Beamter mit besten Umgangsformen. Sie stieß erneut den Atem aus. Schließlich wurde ihr bewusst, dass sie noch immer seinen Arm und sein Hemd gepackt hielt. Er konnte also gar nicht einen Schritt beiseitetreten, nicht solange sie sich so an ihm festklammerte. Sie zwang ihre Finger, sich von Hemd und Arm zu lösen, und machte dann einen Schritt nach hinten, um eine gewisse Distanz zwischen sie beide zu legen.

»Alles okay«, sagte sie, während sie zu ihm aufsah. »Danke, dass Sie mich aufgefangen haben. Ich hatte nicht aufgepasst, wo ich hingehe.« Ein kleiner Anteil ihres Gehirns, der für Hormone und irrationale Entscheidungen reserviert war, ließ einen bewundernden Pfiff hören. Mit einem Mal fühlte sie, dass sie überhitzt und total erregt war. Mann, dieser Typ sah wirklich gut aus, und zwar nicht irgendwie jungenhaft, der Eindruck beruhte auf Stärke und Kompetenz, nicht auf regelmäßigen Gesichtszügen. Es gab eben Jungs – und es gab Männer. Der hier war ein Mann. Und dieser Mann hatte das gewisse Etwas – undefinierbaren Sexappeal, Reife und Stärke, und das alles vermischt zu einem potenten Ganzen.

Er ließ den Anflug eines Lächelns sehen, eine hübsche, natürliche, simple Biegung seiner Lippen. »Nicht gerade günstig, was den Verkehrsfluss angeht.«

»Erwähnen Sie bloß das Thema Verkehr nicht!«, erwiderte Jaclyn fast atemlos.

Er warf einen kurzen, verständnisinnigen Blick in die Richtung, aus der sie soeben gekommen war, und sein Lächeln wurde etwas breiter. Ihr gefiel dieses Lächeln besser, als es eigentlich gut für sie war.

In ihrem Beruf lernte Jaclyn viele Männer kennen. Leider standen sie alle kurz vor der Hochzeit. Nicht immer natürlich, aber es musste schon etwas Besonderes vorhanden sein, dass ihre Aufmerksamkeit derart geweckt wurde: ein bestimmter Blick, die unerwartet gleiche Wellenlänge ... Und, ehrlich gesagt, war es schon sehr lang her, seit sie Zeit gehabt hatte, überhaupt einen Mann zu bewundern.

Und jetzt hatte sie auch keine Zeit dazu. Sie musste sich wirklich beeilen, wenn sie nicht zu spät kommen wollte.

»Danke noch mal. Tut mir leid, dass ich Sie fast umgerannt habe.« Sie nickte dem höflichen Polizisten noch einmal schnell zum Abschied zu – freundlich, aber auch wieder nicht zu freundlich – und schaute sich dann nach ihrem Aktenkoffer um.

Das Ding war quer durch das weitläufige Foyer gesegelt, um schließlich am anderen Ende an der Wand liegen zu bleiben. Bevor Jaclyn den Aktenkoffer noch holen konnte, beugte sich schon ein Mann in fleckigen Jeans und einem schmuddeligen T-Shirt, das sich über seinen riesigen Bierbauch spannte, beflissen hinunter, um ihn aufzuheben. »Hier, bitte, Madam«, sagte er und hielt ihr mit seiner fleischigen Hand den schlanken Koffer hin, wobei sein derbes Gesicht ein schon absurd süßes Lächeln sehen ließ.

»Danke«, sagte Jaclyn, als sie den Griff packte und den Dickwanst mit einem herzlicheren Lächeln bedachte als den Polizisten vorhin; sie fand ihn nicht attraktiv, deshalb war es nicht so gefährlich für sie, freundlich zu sein, wie vorhin bei dem Bullen. Während sie durch das Foyer schritt, ging es ihr durch den Kopf, wie hirnrissig – logisch betrachtet – diese Begründung war, aber wie hieb- und stichfest für die weibliche Intuition. Bauchgefühl eben. Sie hatte keine Zeit für den Polizisten, sie hatte keine Zeit, sich zu ihm hingezogen zu fühlen, und deshalb tat sie auch nichts, damit er sich zu ihr hingezogen fühlen könnte.

Als sie davonging, war sie sich ziemlich sicher, dass er ihr nachschaute, aber sie wagte nicht, sich umzudrehen, um sich zu vergewissern. Sie musste sich auch gar nicht umdrehen. Sie konnte spüren, wie seine Augen sich in ihren Rücken bohrten.

Sie hastete zum Parkplatz hinaus, wobei sie mit der Fernbedienung ihren stahlgrauen Jaguar aufsperrte, bevor sie dort ankam. Fast gleichzeitig riss sie die Tür auf, warf ihren Aktenkoffer auf den Beifahrersitz und setzte sich hinters Steuer. Als Erstes verriegelte sie die Tür, eine Sicherheitsmaßnahme, die ihr bereits zur zweiten Natur geworden war. Während sie mit der einen Hand den Zündschlüssel umdrehte, zog sie mit der anderen den Sicherheitsgurt in Position.

Da sie keinen weiteren Strafzettel kassieren wollte, hatte sie ein Auge auf den Tacho. Für ein Treffen mit Carrie Edwards würde sie sicher nicht aufs Gas treten. Sie musste das Auto also nur in die richtige Richtung steuern, doch selbst da liebäugelte sie noch mit der Idee, ihre Mutter anzurufen und zu sagen: »Ich muss mich ständig übergeben, habe Nesselsucht und womöglich die Masern; könntest du vielleicht meinen Termin mit Carrie übernehmen?« Was machte es, wenn Madelyn damit beschäftigt war, für die morgige Hochzeit die letzten Details zu arrangieren, und auch noch eine Hochzeitsprobe bewerkstelligen musste? Madelyn hatte Carries Buchung entgegengenommen, und somit wäre es eigentlich nur richtig, wenn sie jetzt auch an den Freuden, mit einer solchen Person Umgang zu haben, zumindest beteiligt wäre.

Jaclyn seufzte. Nein, das konnte sie ihrer Mutter nicht antun. Nein, eigentlich nicht. Sie hatte es wahrlich nicht eilig, zu dem Termin mit Carrie zu kommen; sie war das schlimmste Übel in einer Branche, die bei manchen Frauen bisweilen ihre unschönste Seite zutage brachte. Es gab Kundinnen, deren Betreuung von Anfang an Spaß machte – aber es gab auch welche, denen sie am liebsten eine Hochzeit im Standesamt oder in einer Kapelle in Las Vegas, die die ganze Nacht über offen hatte, ans Herz gelegt hätte. Aber natürlich war sie nicht so dumm, das laut zu sagen. Schließlich verdiente sie mit Hochzeiten ihr tägliches Brot.

Der Termin mit Carrie fand heute in Buckhead im Büro von Premier statt. Morgen standen mehrere Konsultationen auf dem Programm – mit der Frau vom Catering-Service, der Konditorin und dem Floristen –, allesamt im Empfangssaal von Hopewell. Carrie hatte ihre ersten Anweisungen bereits vor Monaten erteilt, aber es mussten noch diverse Entscheidungen in letzter Minute getroffen werden – und die Monsterbraut ließ sich Zeit. Die Braut sollte für diese Konsultationen die verschiedenen Selbstständigen aufsuchen, aber Carrie hatte darauf bestanden, Hof zu halten: Alle Handwerker und freien Unternehmer mussten zu ihr kommen. Sie nahm sich sehr wichtig, deshalb mussten alle zu ihr kommen – nicht umgekehrt.

Da die Hochzeit groß und sehr teuer war – der Bräutigam war der Sohn eines Staatssenators –, hatten alle eingewilligt. Und natürlich hatte die Braut darauf bestanden, dass auch Jaclyn mit von der Partie war. Carrie Edwards bestand auf vielem. Der morgige Tag würde also genauso bekloppt werden, diesmal allerdings wegen Carrie, außerdem musste sie die erste der sechs Hochzeiten in fünf Tagen über die Bühne bringen. Auch wenn Madelyn die Hochzeit durchzog, kam es unvermeidlich zu Notfällen in letzter Minute, die ihre besondere Mithilfe erforderlich machten – und wenn es nur darum ging, ewig herumzutelefonieren, um einen Ersatz für das Hochzeitsauto zu finden, das die falsche Farbe hatte oder nicht anspringen wollte; oder das Blumenmädchen hatte den Smoking des Bräutigams vollgekotzt, und nun musste ein neuer aufgetrieben werden. An einem Hochzeitstag konnte wirklich alles passieren – sie mussten gewappnet sein.

Jaclyn kam knapp fünf Minuten vor dem vereinbarten Termin bei Premier an. Natürlich war Carrie bereits da und wartete in ihrem Privatbüro. Diedra, Jaclyns Assistentin, saß an der Rezeption, wo sich Bücher, Stoffmuster und Fotos nur so stapelten. Sie bedachte Jaclyn mit einer übertriebenen Beileidsbekundung, die auch von Frustration zeugte, wobei sie in Richtung Bürotür nickte.

Jaclyn straffte die Schultern und drehte den Türknauf. Bevor sie noch eintreten konnte, hatte Carrie sich auch schon umgedreht, ein unzufriedener Ausdruck lag auf ihrem schönen Gesicht. Sie sah wirklich umwerfend aus: eine wohlproportionierte Figur mit Kurven, goldblondes Haar, weicher Teint, strahlend grüne Augen. Ihr Wesen umfasste allerdings die gesamte Skala von unsympathisch bis gemein. »Was für ein Kaffee soll denn das sein? Sie können sich doch sicher eine bessere Marke leisten. Er ist zu bitter. Und ich muss sagen, Ihre Sekretärin ...«

»Diedra ist nicht meine Sekretärin, sie ist meine Assistentin«, unterbrach Jaclyn sie, als sie ins Büro trat und die Tür hinter sich schloss. Sie überging die Bemerkung hinsichtlich des Kaffees, der ihr selbst sehr gut schmeckte. Schließlich hielt ja niemand Carrie fest und kippte ihr den Kaffee in den Schlund; es stand ihr frei, ihn nicht zu trinken, wenn er ihr nicht zusagte. Außerdem hätte sie einen der aromatisierten Tees oder auch ein Erfrischungsgetränk wählen können.

»Also, sie war unhöflich.« Carrie ließ sich nicht gern unterbrechen. Sie schätzte es auch nicht, wenn sie nicht in jeder Hinsicht ihren Willen durchsetzen konnte. Und einen gewissen Groll hegte sie auch noch immer, weil Jaclyn den Sänger Michael Bublé für den Hochzeitsempfang nicht hatte gewinnen können. Komm auf den Teppich, Mädchen. Jaclyn hatte sich nicht erblödet, es überhaupt zu versuchen.

»In welcher Hinsicht, meine Liebe?« Sie befleißigte sich eines beruhigenden Tonfalls und fügte noch »meine Liebe« hinzu, obwohl ihre Lippen sich vor Abscheu kräuselten, als sie die Worte aussprach. Manchmal vermochte ein beruhigendes »meine Liebe« oder »meine Teuerste« die reizbarste Kundin zu besänftigen – doch bei so mancher Klientin war eher ein Pfeil mit einem Beruhigungsmittel erforderlich. Carrie hätte vermutlich dieselbe Dosis gebraucht, die man einem durchgeknallten Nashorn verabreichen würde.

»Sie wollte, dass ich draußen warte.«

»Das kommt, weil ich nicht möchte, dass sich jemand in meinem Büro aufhält, wenn ich nicht da bin«, erwiderte Jaclyn ruhig. »Das werden Sie doch sicher verstehen.«

»Welch ein Unsinn. Wieso sollten Sie darauf Wert legen?«

»Weil ich hier vertrauliche Informationen aufbewahre. Vielleicht sollte ich von nun an ja einfach die Tür abschließen. Das hätte ich schon lang so handhaben sollen.« Bei den vertraulichen Informationen handelte es sich nicht um die Nummern von Kreditkarten oder Versicherungen, sondern um die Details von Hochzeiten – und ja, einige Klienten würden viel Geld bezahlen, um zu erfahren, was der eine oder andere plante oder wie viel Geld jemand ausgab. Hochzeiten waren ein gnadenloses Geschäft.

Carrie bedachte sie mit einem unfreundlichen, kühlen Blick, aber offensichtlich wurde ihr klar, dass sie bei diesem Punkt keinen Boden gewinnen konnte, und so ging sie zu ihrer nächsten Beschwerde über. »Ich habe meine Ansicht hinsichtlich der Kleider für die Brautjungfern geändert«, verkündete sie. »Die Farbe des Stoffes ist zu schlicht, alle in einheitlichem Grau wie beim Appell an der Militärakademie von West Point. Ich finde, es würde besser aussehen, wenn das Mädchen neben mir ein schwarzes Kleid trüge, das nächste dann eines, das einen Ton heller ist, und so weiter und so fort. Das wäre doch wirklich spannend, finden Sie nicht? Und anstatt pinkfarbener Schärpen hätte ich gern aquamarinfarbene. Pink ist zu Paris Hilton. Ich wünsche mir etwas Ausgefalleneres wie Aquamarin. Aber kein grünstichiges Aquamarin, sondern eher ins Bläuliche spielend. Sie können sich ja wohl des Problems annehmen, oder?«

Jaclyn biss sich auf die Zunge. Die armen Brautjungfern hatten bereits ihre scheußlichen Gewänder bezahlt, und Carrie hatte natürlich keinen billigen Stoff ausgesucht. Nicht die Farbe war scheußlich, sondern der Schnitt. Sie hatte versucht, Carrie von Rüschen und Schleifen abzubringen, aber wenn Carrie auch nur im Entferntesten mit einem guten Rat konfrontiert wurde, hatte sie bislang immer prompt das Gegenteil getan. Wenn die armen Brautjungfern von dieser Veränderung erfuhren – wenn sie erfuhren, dass sie Geld für ein weiteres Kleid ausgeben mussten, und in diesem Fall sogar noch mit kräftigem Preisaufschlag wegen der Blitzbestellung –, dann würden sie vielleicht alle auf und davon rennen. Das Mädchen, das Carrie die Meinung gesagt hatte und sich dann von der Hochzeitsgesellschaft verabschiedet hatte, war eindeutig klug gewesen.

»Carrie«, sagte Jaclyn beruhigend, »es ist eigentlich zu spät für diese Änderung. Ich denke, Sie werden mit dem Aussehen der Kleider Ihrer Brautjungfern sehr zufrieden sein, wenn Sie die Mädchen mit den Blumen sehen, die Sie ausgesucht haben.«

»Ich trage mich mit dem Gedanken, auch die Blumen zu ändern«, entgegnete Carrie. Ein Glitzern in ihren Augen verriet Jaclyn, dass es ihr Spaß machte, so schwierig zu sein. »Sie passen einfach nicht. Ich habe gestern Abend die Probefotos studiert, und sie sehen aus, als hätte jemand Pepto Bismol, das Zeug gegen Sodbrennen, erbrochen. Ich habe ein absolut zauberhaftes Blumenarrangement in einer Zeitschrift gesehen. Wenn ich die Blumen ändere, muss ich allerdings auch den Look der Brautjungfern komplett umgestalten.«

»Das ist aber mit erheblichen Kosten für Ihre Freundinnen verbunden.«

Carrie schürzte die Lippen, ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. »Das wird ihnen nichts ausmachen. Das ist mein besonderer Tag, und sie werden tun, worum ich sie ersuche. Egal was.« In ihrem Ton schwang ein unausgesprochenes Und wehe, wenn nicht mit.

»Wenn Sie darauf bestehen, können Sie die Schneiderin anrufen und ...«

»Ich möchte, dass Sie das übernehmen«, sagte Carrie unbekümmert. »Ich habe keine Zeit dazu.« Sie öffnete ihre teure, überdimensional große Handtasche, nahm das Stoffmuster heraus und warf es auf den Tisch. Jaclyn sah auf den ersten Blick, dass es edle, schwere Seide war – eine weitere teure Wahl, die jede Brautjungfer mehrere Hundert Dollar kosten würde, wenn nicht gar Tausend. »Davon abgesehen war sie, als ich sie heute Vormittag angerufen habe, um die Sache mit ihr zu besprechen, unausstehlich und uneinsichtig.«

Sich mit der Schneiderin auseinanderzusetzen gehörte eigentlich nicht mit zu Jaclyns Job. Sie arrangierte den Event als solchen. Aber sie kannte Gretchen recht gut; sie bewegten sich in den gleichen Kreisen, sie arbeiteten beide oft für dasselbe Hochzeitspaar. Gretchen war nie unausstehlich oder uneinsichtig, doch auch hier zeigte sich Carrie Edwards’ Fähigkeit, bei jedem die negative Seite zutage zu bringen.

»Ich will sehen, was ich tun kann, aber versprechen kann ich nichts. Uns läuft die Zeit davon, und zwar so sehr, dass Ihnen bald keine andere Wahl mehr bleiben wird, als die Kleider für die Brautjungfern von der Stange zu kaufen ...«

»Nein. Niemals!«

»Dann müssen Sie an Ihrer ursprünglichen Auswahl festhalten. Also, was die Blumen angeht, so hat der Florist bereits viel Zeit investiert, damit auch wirklich jeder Aspekt der Hochzeit und des Empfangs gut koordiniert und so originell ist, wie es Ihren Wünschen entspricht«, erinnerte sie Carrie. »Wenn Sie Ihre Meinung hinsichtlich der Brautjungfernsträuße ändern, dann wirkt sich das auf das Brautbouquet und die Anstecksträußchen sowie auf die Arrangements beim Empfang aus.« Bishop Delaney war ein Genie. Allerdings verfügte er über eine sehr niedrige Toleranzschwelle, wenn es um irgendwelchen Blödsinn ging, und wenn er ausstieg, dann wäre es schwierig, zu diesem Zeitpunkt noch einen würdigen Ersatz zu finden. »Wenn Sie auf Ihren Änderungen bestehen, müssen Sie sich darauf einstellen, dass es Sie erheblich teurer kommt als ursprünglich vereinbart.«

»Wieso?«, wollte Carrie wissen. »Wenn ich die anderen Blumen nicht verwende, weshalb sollte ich sie dann bezahlen?«

»Weil der Florist bereits erhebliche Zeit auf das Design der Arrangements verwendet hat, und er wird keinen Verdienstausfall hinnehmen, nur weil Sie Ihre Meinung geändert haben. Seine ursprüngliche Bestellung wurde bereits bearbeitet, und ich weiß nicht, ob er sie rückgängig machen kann.« Morgen sollte Bishop Fotos und Zeichnungen von seinen großen Plänen vorlegen – also nicht gerade der Moment, um wieder am Punkt null anzufangen. Jaclyn wollte jedenfalls nicht zwischen Bishop und Carrie geraten, wenn die beiden sich die Köpfe einschlugen.

Manchmal kam sie sich vor, als würde sie einem eigensinnigen, ungezogenen Kind Manieren beibringen, aber das Glitzern in Carries Augen war dazu doch zu berechnend. Sie stellte solche Ansprüche, weil sie so oft damit durchgekommen war. Vermutlich gaben viele Leute einfach nach und akzeptierten lieber ihren Verdienstausfall, als sich weiterhin mit Carrie herumschlagen zu müssen. Und das bedeutete, dass sie gelernt hatte, sich noch sturer zu stellen, wenn jemand sie auf ihr Benehmen hin ansprach. Wenn sie sich schlecht benahm, bekam sie in der Regel, was sie wollte.

Jetzt zog sie die Nase kraus und schniefte, bevor sie verdrossen Jaclyns Einwand mit einer Geste abtat. »Wir diskutieren das morgen mit dem Floristen. Er wird sicher vernünftig sein. Momentan ist meine Hauptsorge, das Problem mit den Kleidern der Brautjungfern zu lösen.«

Jaclyn atmete tief durch: ein – und aus. Sie würde sich dieser verzogenen, unsympathischen, dummen Pute nicht beugen. »Warum treffen wir uns nicht morgen mit der Schneiderin und sprechen unsere Möglichkeiten durch?« Vielleicht könnte sie gemeinsam mit Gretchen Carrie überzeugen, dass es für diese Änderung viel zu spät war, dass schlichtweg die Zeit fehlte, den Stoff zu bestellen und die Kleider zu nähen. Nicht, dass die Vernunft und die Monsterbraut viel miteinander gemein gehabt hätten. Jaclyn wusste nicht zu sagen, ob sie überhaupt je Bekanntschaft geschlossen hatten. Um Gretchen ein weiteres Telefonat zu ersparen, sagte sie: »Ich rufe heute Nachmittag an und arrangiere alles.«

Carrie rollte mit den Augen. »Nun, tja, das ist ja nun auch Ihr Job.«

Jaclyn hatte es früher schon oft mit schwierigen Bräuten zu tun gehabt, aber Carrie war wirklich die absolute Krönung. Einer der Vorteile, wenn man seine eigene Chefin war, bestand in der Möglichkeit, frei zu entscheiden, wann das Maß voll war. Jaclyn stand also in Zeitlupe auf, legte die Hände auf den Schreibtisch und sagte: »Dies ist auch ein Job, den ich hinschmeißen kann. Ich lasse mich nicht schikanieren, und meine Assistentin auch nicht. Ist das jetzt klar?«

Carrie funkelte sie beleidigt an. »Schikanieren? Ich habe hier überhaupt niemanden schikaniert! Ich möchte schlicht und ergreifend eine spektakuläre Hochzeit, und ich sehe nicht ein, weshalb ...«

»Anstatt spektakulär wird sie eine Katastrophe, wenn Sie nicht aufhören, ständig Ihre Meinung zu ändern«, erwiderte Jaclyn unverblümt. »Und ich sage das, weil es nämlich mein Job ist, dass alles gut klappt; und das bedeutet, dass ich Ihnen mitteile, wenn Sie über das Ziel hinausschießen. Ich sage damit nicht, dass der Florist absolut nicht in der Lage sein wird, zu diesem Zeitpunkt noch die Blumenarrangements umzugestalten. Ich sage nur, dass Sie dieser Wunsch etwas mehr kosten wird und dass Sie sich bei Gretchen erkundigen sollten, ob es überhaupt möglich ist, neue Kleider für die Brautjungfern zu fertigen, bevor Sie etwas an den Blumen ändern. Und Sie sollten auch bei Ihren Brautjungfern nachfragen, weil die eine oder andere nämlich, ganz egal für welche Farbe Sie sich letztlich entscheiden, aussteigen könnte, um nicht ein weiteres Kleid bezahlen zu müssen, das sie nie mehr in ihrem Leben tragen wird. Nun, falls Sie für die Kosten aufkommen wollen, wird natürlich sicher niemand Einwände haben ...«

»Machen Sie sich nicht lächerlich«, fauchte Carrie. »Die Braut bezahlt nicht die Kleider der Brautjungfern.«

»Unter besonderen Umständen wohl schon. Und seine Meinung im letzten Moment zu ändern ist so ein besonderer Umstand.« Vielleicht, so ging es Jaclyn optimistisch durch den Kopf, würde Carrie, wenn sie mit der jungen Frau Tacheles redete, ja aufhören herumzunerven oder Premier feuern. Jaclyn könnte einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen, und Carrie würde ihr Auge auf einen anderen Eventdesigner werfen, den die Aussicht auf einen dicken Scheck blind für die Situation machte.

»Ich kenne meine Freundinnen«, erklärte Carrie. »Keine von ihnen ist so kleinlich.« Sie warf ihre goldblonde Mähne nach hinten, griff dann in ihre Handtasche und zog die geplante Speisekarte für den Empfang heraus – wenn sie doch nur zu einem Entschluss hinsichtlich des Kebabs käme: Rindfleisch oder Lamm. Wie schwierig konnte das sein? »Und noch etwas ...«

Jaclyn blieb ruhig, doch als Carrie unablässig erklärte, was akzeptabel war und was nicht, verabschiedete sie sich geistig und traf eine ernste Entscheidung: Bevor dieser Tag zur Neige ging, würde sie sich einen guten, hochprozentigen Drink genehmigen.

2

Detective Eric Wilder saß an der Bar seiner Lieblingskneipe, dem Sadie’s; er mochte das Lokal, weil es gleich beim Rathaus und dem Polizeipräsidium lag und deshalb wirklich praktisch war. Auch für die meisten anderen Polizisten war dies die Hauptattraktion der langen, schmalen und schummrigen Kneipe.

Mit der Zeit hatten sich Geschäft und Klientel aufeinander eingestellt, und so machte das Sadie’s den Polizisten gegenüber Zugeständnisse, und die Polizisten machten Sadie gegenüber Zugeständnisse, dem mageren Barmann mit dem roten Nacken. Eigentlich hieß er gar nicht Sadie, sondern Will Aster. Und was für ein Ambiente er mit der Wahl eines Frauennamens für seine Kneipe auch im Sinn gehabt haben mochte, es war jedenfalls längst alles unter der Woge von Uniformen, Waffen und Testosteron untergegangen. Klar, es kamen auch Polizistinnen her, und manchmal brachte ein Typ seine Frau oder Freundin mit, oder es schauten Zivilisten vorbei, aber das Sadie’s war mittlerweile eine echte Bullenkneipe.

Falls Will je ein schickeres Lokal hatte aufziehen wollen, so hatte er dieses Unterfangen längst aufgegeben. An Getränken wurden überwiegend Bier und Bourbon ausgeschenkt, und die Essensauswahl war auch nicht gerade abwechslungsreich und eher deftig. Man bekam hier frittierte Hühnerteile und Pommes, aber keinen Salat. Erdnüsse waren vorhanden, nicht aber Popcorn. Gelegentlich, wenn Will bei Laune war, gab es eine »Wing-Nacht«, dann kamen bloß dampfende Chickenwings auf den Tisch. Die knappe Speisekarte störte Eric nicht, denn er besuchte das Sadie’s ja nicht, um zu essen.

Ihm gefiel die Kneipe, es sagte ihm zu, wie er sich hier entspannen konnte. Die Atmosphäre hatte fast etwas von einer Höhle dank der schummrigen Beleuchtung, den dunklen Ziegelmauern, den mitgenommenen Bodenfliesen und einer Reihe von kleinen schwarzen Tischen an der Wand. Ein rund zwei Meter breiter Gang trennte die lange Bar von den Tischen, sodass die beiden Kellnerinnen ausreichend Platz hatten. Eine Musikbox stand in der Ecke, und damit war der Unterhaltung auch schon Genüge getan. Tanzfläche gab es keine, aber wenn genügend Leute Lust bekamen, schoben sie einfach die Tische hinter die Bar und schafften sich so Platz zum Herumwirbeln. Die Kneipe dröhnte meist vor lautem Gelächter und üblen Witzen, denn so entspannten sich die Polizisten nach einem harten Tag. Sobald Eric durch die Tür trat, spürte er förmlich, wie sich die Spannung in seinem Nacken und in den Schultern löste. Bis er an der Bar stand, hatte Will ihm schon ein Budweiser eingegossen und schob ihm das schäumende Glas hin. Dieser Service ließ sich kaum überbieten.

Nach einem Tag als Zeuge vor Gericht brauchte Eric ein Bier, bevor er sich auf den Heimweg machte. Kaum etwas frustrierte ihn so wie die Anwälte und das gesamte Gerichtswesen, selbst wenn das Ergebnis positiv war. Ein schlechtes Ergebnis war, wenn ein gewitzter Erfolgsanwalt ein Drogendelikt abschmetterte, bloß weil auf einem unwichtigen i der Punkt fehlte, was ihm tierisch auf die Nerven ging; dann konnte er nicht anders, er hoffte, dass der Drogenabhängige bei dem Anwalt zu Hause einbrechen würde auf der Suche nach Wertgegenständen, die sich schnell zu Geld machen ließen, um weiterhin seiner Sucht frönen zu können. Heute hatte man nur relativ unbedeutende Fälle verhandelt, und der Gerechtigkeit war Genüge getan, aber er hatte für seine Aussage von gerade einmal fünf Minuten dennoch viel zu viele Stunden dort verbracht, während er an seinen Fällen hätte arbeiten können. Das alles gehörte mit zu seinem Job, aber diesen Aspekt mochte er am wenigsten.

Er war etwa eine Viertelstunde da, lang genug, um das vergnügliche Nichtstun in seine Muskeln sickern zu lassen, als plötzlich die Lokaltür aufging; Straßenlärm und die warme, schwüle Luft drangen herein. Alle Polizisten in der Kneipe schauten automatisch hinüber, um den Neuankömmling zu taxieren. Es war ein Reflex, die unbewusste Beurteilung einer potenziellen Bedrohung: War der Neuankömmling Freund oder Feind, Polizist oder Zivilist? Eric verhielt sich genauso und erkannte den Neuankömmling sofort. Ein warmer Stoß durchzuckte seine Körpermitte. Kein Zweifel: Das war die Frau, mit der er am Vormittag im Rathaus zusammengestoßen war, vor den städtischen Verhandlungssälen. Sie trug noch immer das gleiche schicke Kostüm, was bedeutete, dass sie einen ebenso langen Tag gehabt haben musste wie er.

Was er sah, gefiel ihm ebenso sehr wie bereits im Foyer des Rathauses. Alles an ihr hatte Klasse, vom Kostüm bis zu der Art, wie sie ihr dichtes schwarzes Haar zu einem lockeren, schweren Knoten am Hinterkopf zusammengefasst hatte. Und Beine hatte sie, und was für welche, heiliger Himmel, Beine, von denen sich jeder Mann gern umschlingen ließ: lang, leicht muskulös und straff. Er konnte schier spüren, wie das Interesse in der Kneipe erheblich stieg, als die Typen sie taxierten. Die Polizistinnen, die herkamen, kleideten sich fast immer mehr als dezent, unterdrückten ihre Weiblichkeit nicht nur, damit sie besser zu ihren Kollegen passten, sondern auch, damit sie von den aus der Bahn geratenen Bürgern, mit denen sie es ja meist zu tun hatten, auch wirklich ernst genommen wurden. Diese Frau spielte nichts herunter. Dennoch war nichts Schrilles oder Offensichtliches an ihr, was sie umso attraktiver machte, denn »Klasse« und das »Sadie’s« passten eigentlich nicht zueinander.

Sie hielt kurz an der Tür inne, warf einen prüfenden Blick auf die Tischreihen, als würde sie nach jemandem suchen, dann ging sie nach hinten, wo zwei freie Tische unweit der Toiletten standen. Die zehn Zentimeter hohen Absätze bewirkten, dass sie nicht schnell ausschreiten konnte, aber sie hatte wahrlich einen Gang in den Pumps, der es ihm unmöglich machte, seine Augen von ihrem Hüftschwung zu nehmen. Am Vormittag im Rathaus hatte er ein ähnliches Problem gehabt, als sie davonging: Da konnte er seine Augen nicht von ihrem Hintern nehmen.

Sie wählte einen freien Tisch und ließ sich auf einen der Stühle sinken, der so stand, dass er ihr Profil im Blickfeld hatte; ihr Rücken war größtenteils der Bar zugewandt, was ihm sagte, dass es ihr entweder am Überlebensinstinkt fehlte, die Tür im Auge zu behalten, oder sie mit niemandem in Blickkontakt treten wollte. Nachdem sie Platz genommen hatte, atmete sie sichtlich aus, entkrampfte die Schultern und ließ ihren Kopf von einer Seite zur anderen pendeln, um die verspannten Muskeln zu lockern – als würde der Grund für ihre Anwesenheit hier hundertprozentig mit dem der anderen Stammgäste übereinstimmen.

Vom Ende der Bar, wo Eric Platz genommen hatte, konnte er sie unschwer im Auge behalten, ohne den Kopf drehen zu müssen. Sie schenkte den anderen Gästen keinerlei Aufmerksamkeit, hatte ihren Stuhl so gewählt, dass dies auch nicht möglich war, ohne sich auf dem Stuhl umzuwenden. Vermutlich wartete sie ja auf jemanden. Er stellte fest, dass es ihn erstaunlich stark interessierte, mit wem sie sich da in einer Bullenkneipe wohl treffen könnte. Ob sie mit einem Polizisten verabredet war? Oder hatte sie sich mit einem Freund einfach aus praktischen Gründen hier verabredet, um dann anderswo gemeinsam zu Abend zu essen – oder was?

Er warf einen Blick auf seine Uhr, weil man sich im Allgemeinen zur vollen Stunde oder zur halben verabredete. Es war elf nach acht. Wenn sie auf jemanden wartete, war sie womöglich zwanzig Minuten zu früh dran. Er spürte seine erhöhte Wachsamkeit, so ein kleines Ping, das er immer fühlte, wenn ihm etwas auffiel, das irgendwie von der Normalität abwich. Die meisten Frauen würden eher im Auto warten, bis ihr Freund oder Bekannter kam, und sich nicht allein in eine Kneipe setzen. Vielleicht war es ein Gefühl von Verlegenheit, eine Frage der Sicherheit – oder sie wollten sich einfach nicht mit ungewollter Aufmerksamkeit konfrontiert sehen. Diese Frau, die allein hereingekommen war, und zwar zwanzig Minuten vor dem logischen Zeitpunkt der Verabredung, fiel jedenfalls nicht in die mentalen Parameter der gängigsten Verhaltensmuster.

Er taxierte sie automatisch auch physisch: eins siebzig, sechzig bis dreiundsechzig, schwarz und blau. Ihr Haar war wirklich schwarz, und auch wenn er ihre Augen momentan nicht erkennen konnte, erinnerte er sich an die strahlend blaue Farbe, an den blassen Teint. Die Farben einer schwarzen Irin vom Feinsten. Sie war groß und schlank, superteuer gekleidet – wie gesagt: Klasse eben.

Auch kein Ehering. Sie trug eine feine goldene Uhr und schmale Goldstecker im Ohr. Keinerlei Ringe. Wäre er näher herangekommen, hätte er vielleicht den blässlichen Kreis oder eine Einkerbung an ihrem Ringfinger bemerkt, wenn er in die Luft gereckt war, doch von wo er saß, konnte er keinerlei Indizien ausmachen.

Eine der Kellnerinnen näherte sich ihrem Tisch, knallte eine Cocktailserviette hin und wartete mit gezücktem Kuli auf die Bestellung. Eric konnte nicht hören, was sie wollte, aber ein paar Sekunden später schob die Kellnerin die Bestellung Will über den Tresen und sagte: »Margarita mit Eis.«

Im Sadie’s gab es nicht viele exotische Drinks, aber Eric nahm an, eine Margarita wäre so eine Art Mittelding: nicht zu effeminiert, dass ein Mann ihn nicht trinken würde, aber auch nicht in der gleichen Liga wie Whiskey-Cola. Als man ihr den Drink brachte, beobachtete er, wie sie einen Schluck nahm, den Geschmack kostete und sich schließlich entspannter in ihren Stuhl zurücklehnte.

Sie ließ sich Zeit mit ihrer Margarita, nippte mit Bedacht, wobei sie vermutlich den Drink mit Absicht langsam während des Wartens genoss. Und er sah, wie die Zeiger der Uhr sich in Richtung halb neun bewegten. Aber halb neun kam und verstrich, und niemand stellte sich ein. Und sie schaute auch nicht auf die Uhr, um die Zeit zu prüfen, und wurde offensichtlich auch absolut nicht nervös, weil es immer später wurde. Sie schaute sich nie um, wenn die Tür aufging. Puh. Offensichtlich lag er falsch mit seiner Annahme, dass sie auf jemanden wartete. Vielleicht war sie aus keinem anderen Grund hergekommen, als sich bei einem Drink zu entspannen – wie alle anderen Gäste in dieser Kneipe auch.

Er überlegte sich, zu ihr an den Tisch zu gehen, sie anzusprechen, doch obwohl sein Interesse erregt war, verhielt er sich Frauen gegenüber vorsichtiger als früher. In seinem Alter, mit fünfunddreißig, ließ er sich nicht mehr von seinem Schwanz herumkommandieren, und eine Scheidung hatte er auch schon hinter sich – jedenfalls war er deshalb zu dem Schluss gekommen, dass es generell klüger war, sich in nichts hineinzustürzen.

Tatsache war, dass sie teuer wirkte, und nach einer teuren Komplikation stand ihm nicht der Sinn. Frauen bedeuteten immer Komplikationen, dank ihrer perversen Engherzigkeit. Er mochte Frauen aus vielerlei Gründen, aber er mochte auch sein simples Junggesellendasein. Ein Mann musste eine Frau noch nicht einmal heiraten, um seinen Singlestatus zu verlieren. Er musste bloß so eine Art feste Beziehung mit ihr eingehen, und dann strukturierte er auch schon seine Freizeit nach ihren Wünschen. Und Gott behüte, mit seiner festen Freundin auch noch zusammenzuleben; dann könnte man ja genauso gut gleich heiraten. Er wusste das, denn er hatte bereits alle Varianten durchprobiert: geheiratet, unverheiratet zusammengelebt, eine feste Beziehung, eine halbwegs feste Beziehung ... Im Endeffekt lief es immer auf ein und dasselbe hinaus: zwei Leben zu kombinieren. Und momentan wollte er ein unkombiniertes Leben. Eines Tages, ja, da würde er vermutlich wieder heiraten, aber er hatte keine Eile damit, und wenn er diesen Schritt tat, dann wollte er, verdammt noch mal, sicher sein, dass sie beide besser zusammenpassten, als dies mit seiner ersten Frau der Fall gewesen war. Es sollte ein Gesetz geben, dass Leute unter fünfundzwanzig nicht heiraten durften.

Und es bestand bei Ms Klasse noch eine Möglichkeit, die ihn doppelt vorsichtig machte: Vielleicht war sie ja eine Bullenbraut. Manchen Frauen verpasste Sex mit einem Bullen einen besonderen Kick. Es hatte etwas mit der Uniform und mit der Waffe zu tun – ob nun die im Halfter oder die hinter dem Hosenreißverschluss oder vielleicht ja auch beides. Manche Polizisten, vor allem Neulinge, ließen sich das erhöhte sexuelle Interesse zu Kopfe steigen, was dann oft die Karriere wie auch die Ehe ruinierte. Eric hatte sich von alledem stets ferngehalten, selbst wenn er Uniform trug. Jetzt als Detective sah er seiner Beförderung entgegen, und er ließ es nicht zu, dass ein Hintern, und wenn er noch so sexy war, ihm seine Urteilsfähigkeit und seinen gesunden Menschenverstand verhagelte.

Dieser Versuchung erlag dann ein anderer. Ein Stuhl wurde zurückgeschoben. Er sah, wie Blake Gillespie, ein Streifenpolizist, der noch seine Uniform anhatte, sich dem Tisch von Ms Klasse näherte. Eric brachte seinen Unmut unter Kontrolle. Es ging ihn nichts an, wenn Gillespie sein Glück versuchen wollte, und wenn sie eine Bullenbraut war, dann lieber Gillespie als ein anderer von den Burschen. Zumindest war Gillespie Single. Das hieß nicht, dass Eric gern zusah, wie sich ein anderer Mann an eine Frau heranmachte, die er zuerst entdeckt hatte – selbst wenn er nicht vorhatte, etwas mit ihr anzufangen. Nun gut, Männer waren hirnverbrannte Platzhirsche. Informiere die Presse, ruf bei den Fernsehsendern an und schau, ob jemand darauf anspringt.

Er beobachtete, wie Gillespie sich an sie heranmachte – mit einem lockeren Lächeln und der Einladung, sich doch zu ihm zu setzen. Ms Klasse schaute auf, ohne die Miene zu verziehen, schüttelte dann bedächtig den Kopf und sagte: »Nein, danke«, bevor sie wegsah, als wäre die Sache damit erledigt. Eric konnte nicht hören, was sie sagte, es jedoch von ihren Lippen ablesen, weil sie die Worte so klar und unmissverständlich ausgesprochen hatte.

Nun gut, dann war sie also keine Bullenbraut. Gillespie war ein junger Bursche, er ging ständig ins Studio, um seine Uniform mit Muskeln zu bestücken, und er war auch nicht potthässlich. Wenn sie es darauf angelegt hätte, sich einen Polizisten zu schnappen, würde Gillespie jetzt neben ihr sitzen, anstatt schulterzuckend zurück zu seinem Tisch zu marschieren. Zumindest war er nicht verärgert, weil sie ihn hatte abblitzen lassen, was das Ansehen des jungen Streifenbeamten bei Eric steigen ließ.

Sie wartete auf niemanden, und sie war auch nicht auf einen Aufriss aus. Mann, vielleicht war sie ja einfach nur eine Frau, die einen Drink wollte. Das könnte zutreffen. Nicht der Punkt, dass sie eine Frau war, sondern dass sie einen Drink wollte – das war eindeutig richtig.

Eric lenkte seine Aufmerksamkeit auf sein Bier, studierte die bernsteinfarbene Flüssigkeit mehrere Minuten lang. Er sollte eigentlich austrinken und sich auf den Heimweg machen. Das Letzte, was er tun sollte, war, sich noch länger den Kopf zu zerbrechen, was diese Frau denken mochte – selbst eine Frau mit Beinen von Weltklasse und einem hinreißenden Hintern. Aber ... »Zum Teufel«, murmelte er atemlos, als die Versuchung ihn am Schwanz packte und standhaft verweilte. Er rutschte von seinem Barhocker, schnappte sich sein Bier und setzte sich in Richtung teure Komplikation mit Klasse in Bewegung.

Am Rande ihres Blickfelds sah Jaclyn, wie ein anderer Mann sich ihr näherte. Sie konnte nur hoffen, dass er nicht zu ihr wollte, sondern unterwegs zur Männertoilette war und somit nur ihren Tisch passieren würde. Es hatte allerdings den Anschein, als ginge er direkt auf sie zu. Da er ein Glas in der Hand hielt, stand mit ziemlicher Sicherheit fest, dass er nicht zum WC wollte. Warum konnte eine Frau nach der Arbeit nicht eine Pause für einen Drink einlegen, ohne dass die Männer – manche zumindest – annahmen, sie wollte sich abschleppen lassen? Der erste Typ war ja wenigstens so anständig gewesen, ohne große Diskussion Leine zu ziehen, als sie Nein gesagt hatte; sie konnte also nur hoffen, dass dieser Bursche es nun genauso halten würde. Sie schaute mit Absicht nicht in seine Richtung in der Hoffnung, er würde den Hinweis kapieren und einfach weitergehen.

»So klein ist die Welt!«

Die Worte verschreckten sie, denn damit hatte sie nun gar nicht gerechnet. Sie blickte dennoch kühl und gefasst auf, doch als sie den Mann erkannte, der da vor ihr stand, hatte sie einen Moment so eine Art Blackout. Sie stotterte eigentlich nie herum, war aber verdammt nah dran, als sie geistig nach einer passenden Erwiderung suchte. Heraus kam etwas total anderes als geplant: »Sagen Sie nie mehr ›Madam‹ zu mir«, antwortete sie, wobei ihre Augen warnend blitzten.

Der Bulle lächelte – es spielte die gleiche leichte Belustigung um seine Lippen, die ihr am Vormittag schon aufgefallen war. Jaclyn entspannte sich. Der Mann hatte etwas Authentisches, etwas Direktes, das nichts mit einem Aufriss oder sonst irgendwelchen Spielchen zu tun hatte. Und er war verdammt fesch. Eine bessere Beschreibung fiel ihr momentan nicht ein. Er war nicht gut aussehend, doch alle ihre Hormone und kleinen Erotikrezeptoren waren alarmiert. Sie gaben ein begeistertes Mannomann! von sich. Sie war nicht der Typ Frau, der einen Mann anhimmelt, und ihr war – weiß Gott! – nie sonderlich an einem Flirt gelegen, doch das bedeutete nicht, dass sie den Körper und das Gesicht eines Mannes nicht zu würdigen wusste, wenn er einen Körper und ein Gesicht besaß, die dieser Würdigung wert waren.

Der Bulle hatte beides.

Sie stellte fest, dass sie ihm ein kurzes schuldbewusstes Lächeln zuwarf, um dann zu erklären: »Na ja ... wenn ich an einem schlechten Tag auch noch von jemandem meines Alters mit ›Madam‹ angesprochen werde, dann komme ich mir wie eine alte Schachtel vor. Sie haben gute Manieren, ich sollte Ihnen das also nicht übel nehmen.«

»Ich hoffe, Ihr Tag hat noch einen Aufschwung genommen, nachdem Sie das Rathaus verlassen haben«, erwiderte er.

»Nicht wirklich.« Sie musste ihren Kopf in den Nacken legen, um zu ihm aufzublicken. Das schummrige Licht in der Kneipe und sein Standort im Schatten vereitelten einen klaren Blick in sein Gesicht, wie sie ihn sich gewünscht hätte, aber sie hatte ein gutes Gedächtnis. Sie wusste, dass er groß war, denn mit ihren Absätzen brachte sie es auf eins achtzig, und er war dennoch locker fünfzehn Zentimeter größer gewesen als sie. Ihr gefielen seine breiten Schultern und seine muskulöse, massive Brust. Ihr Gedächtnis versorgte sie mit einer messerscharfen Gefühlssensation von seinem Körper, der sich in dem kurzen Augenblick des Zusammenstoßes hart und warm angefühlt hatte; doch sie nahm geistig Abstand von der Intimität, die damit einhergegangen war.

Ihre Hormone wussten nicht, dass der Zusammenstoß Zufall gewesen war; sie wussten nur, dass sie den Kontakt mit dem Körper dieses Mannes gemocht hatten. Sie hatte so eine starke physische Anziehung sicher früher schon einmal empfunden, konnte sich momentan jedoch nicht mehr erinnern, wann. Die Tatsache, dass ihre Gefühlsempfindung so stark war, törnte sie ebenso an wie ab. Ein Teil von ihr war erregt, wollte reagieren, wollte sehen, was daraus würde; der andere Teil drängte sie, Hals über Kopf davonzurennen. Wenn sie sich überlegte, was sie von einer Beziehung erwartete, kamen ihr Behaglichkeit und Übereinstimmung in den Sinn, ein Gefühl von Leichtigkeit, des Zusammenpassens – und natürlich auch die körperliche Anziehung, klar. Wenn die körperliehe Anziehung so stark war, dass sie ihr den Verstand vernebelte, konnte dies allerdings nicht gut sein.

»Das ist aber schade.«

Seine Bemerkung passte so genau zu ihrem Gedankengang, dass sie einen Augenblick brauchte, um die Verbindung zu ihrem Gespräch herzustellen. »Aber zumindest habe ich heute Nachmittag nicht noch einmal jemanden über den Haufen gerannt.«

»Das ist ein Pluspunkt. Noch einmal etwas in dem Stil, und ich müsste Sie als Gefahrenquelle auf zwei Beinen vorladen.« Sein Ton war so trocken, dass sie wieder lächeln musste, obwohl sie mit sich selbst den üblichen Disput ausfocht. Sie kannte ihn nicht. Von der Tatsache abgesehen, dass er sie physisch so anmachte – was sie ihm allerdings nie auf die Nase binden würde –, hatten sie keinen Gesprächsstoff. Wahrscheinlich würden sie gleich übers Wetter reden, oder er würde sie nach ihrem Sternzeichen fragen. Darauf wollte sie sich nicht einlassen, aber irgendwie war da einfach etwas an ihm ... dass sie ihn nicht gehen lassen wollte. Noch nicht.

»Bitte, nehmen Sie doch Platz«, sagte sie und deutete auf den freien Stuhl an ihrem Tisch.

Er setzte sich, stellte lautstark sein Glas auf den Tisch, als würde er ihn bereits für sich einnehmen, und sah ihr in die Augen. Sein Gesicht lag jetzt nicht mehr im Schatten wie vorhin, als er neben ihr gestanden hatte. Gutes Kinn, fast gerade Nase, dunkle Brauen und eine durchdringende Intensität im Blick. Dunkles Haar. Sie dachte, dass seine Augen vermutlich braun waren, doch in der schummrigen Kneipe vermochte sie es nicht zu sagen. Am wichtigsten war jedoch, dass dieser Mann Selbstvertrauen hatte. Er war es gewohnt, sich durchzusetzen, was oft abstoßend wirkte, doch irgendwie vermittelte er diese Eigenschaft ohne Arroganz. Ihr ging plötzlich durch den Kopf, dass seine guten Manieren eine Art Tarnung sein könnten – sie sollten die Gefährlichkeit verbergen, die in seinem intensiven Blick lag.

»Erwarten Sie jemanden?«, fragte er vorsichtshalber, obwohl er bereits Platz genommen hatte.

»Nein.«

»Gut.« Er machte es sich auf seinem Stuhl bequemer, streckte ihr die Hand hin. »Ich bin Eric Wilder.«

Amüsiert begann sie zu grinsen, bevor sie ihm ihre Hand reichte. Seine großen warmen Finger umfassten die ihren, und sie zwang sich, sich von diesem Gefühl nicht total einlullen zu lassen, obwohl es eine Empfindung war, in der sie sich leicht zu verlieren vermochte. »Wilder?«

»Ist nur ein Name, kein Hinweis auf mein Wesen oder meinen Lebensstil.«

»Sehr erfreut, Eric Wilder«, sagte sie. »Ich bin Jaclyn Wilde. Ist nur ein Name, kein Hinweis auf mein Wesen oder meinen Lebensstil.«

Er drehte seine Hand einen Tick um, eine subtile Bewegung, die aus dem Händeschütteln etwas ... Intimeres machte. Ihr Herz vollzog einen Satz, und sie bezwang ihren Drang, sich über die Lippen zu lecken.

Er lachte, die Fältchen um seine Augen kräuselten sich, und sein Kopf neigte sich etwas nach hinten und ließ seinen starken gebräunten Hals sehen. »Im Ernst?«

»Im Ernst.«

»Die Welt ist wirklich klein, nicht wahr?« Er ließ ihre Hand los; so wenig es ihr gefiel, diese Wärme und Kraft freizugeben, so konnte sie doch nicht einfach seine Hand weiterhin festhalten. Dann nahm er gezielt ihre linke Hand und hob sie hoch, um den Ringfinger prüfen zu können. Sie zog die Augenbrauen in die Höhe, bedachte ihn mit einem kühlen Blick und prüfte dann ihrerseits seine Hand. Nicht dass ein fehlender Ehering bedeutete, dass jemand auch wirklich Single war, aber zumindest standen die Chancen besser.

Er lehnte sich zurück, hob sein Bierglas hoch, um einen Schluck zu trinken. »Nun, Jaclyn Wilde, wieso war eigentlich Ihr Nachmittag so mies?«

Mit einem Seufzer griff sie nach ihrem Margarita, womit sie sein Verhalten spiegelte. Er gönnte sich sein Bier vermutlich mit Genuss, während bei ihr der bloße Gedanke an Carrie Edwards das Bedürfnis nach alkoholischer Aufrüstung auslöste. »Ich bin Hochzeitsdesignerin, und ich hatte einen langen, üblen Termin mit der wohl schlimmsten Klientin, die ich je in meinem Berufsleben hatte. Sie hat das Zeug, die sanftmütigsten Menschen in durchgeknallte Irre zu verwandeln.«

»Sie sehen mir aber nicht wie eine durchgeknallte Irre aus.«

»Nein, aber viel hat nicht gefehlt. Mich überkam das überwältigende Bedürfnis nach einem Drink auf dem Heimweg, dank dieser Monsterbraut. Normalerweise mache ich das nicht.« Sie wollte nicht, dass er sie für eine Trinkerin hielt. Aber eigentlich war es ja auch egal, was er dachte. Sie würde jetzt etwas mit ihm trinken, dann würde sie nach Hause fahren – und das war es dann.

Männer machten Jaclyn nicht nervös. Sie wusste, wer sie war, und mehr zählte nicht ... Meistens jedenfalls. Eric Wilder jedoch machte sie nervös. Nicht hypernervös, nicht unangenehm nervös, nur angespannt und bewusst – als wäre ihre Haut plötzlich zu eng und übersensibilisiert. Es war ihr plötzlich zu viel, ihn auch nur anzusehen, und so ließ sie den Blick mit einer Nonchalance über die Kneipe schweifen, die sie bei Weitem nicht empfand.

»Hochzeitsdesigner«, sagte er. »Hört sich nach einem interessanten Job an.«

»Ich bin praktisch Eventmanagerin, aber bei einem Großteil unserer Aufträge handelt es sich um Hochzeiten. Zugegebenermaßen sind manche Tage interessant, aber manche eben auch nicht.« Sie vergaß ihre Nonchalance und sah ihm unvermittelt ins Gesicht, was ihrem Nervensystem einen Kick verpasste, denn er schaute nicht weg. Er hatte vielmehr seine Augen – ja, sie waren wirklich braun – auf die ihren geheftet.

»Meiner Erfahrung nach ist eine Hochzeit ein echt beklopptes Unterfangen, um eine Ehe zu beginnen«, erklärte Eric.

»Worauf beruht diese Einschätzung?«, fragte sie amüsiert, aber auch etwas provokant, denn es bestand durchaus die Möglichkeit, dass er recht hatte.

»Auf meiner eigenen Hochzeit«, lautete die lakonische Antwort. »Das ganze Wochenende war ein einziger Albtraum. Ich glaube, ich war der Einzige, der nicht geheult hat, und ich rede hier nicht von Freudentränen.«

Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Jaclyn fühlte, wie sich ihr Rückgrat aufrichtete, ihre unerwartete Freude über das nahe Ende der Unterhaltung. »Sie sind verheiratet?«

»Nicht mehr. Geschieden. Seit sechs Jahren schon.« Er hob sein Bierglas hoch. »Und Sie?«

»Auch geschieden.«

Gott sei Dank, dieses kleine Detail war nun also geklärt. Sie waren beide geschieden und somit auf dem Markt. Nicht dass dies für eine Unterhaltung erforderlich gewesen wäre, aber es war gut zu wissen.

»Waren Sie schon Hochzeitsdesignerin, als Sie geheiratet haben?«

»Ja. Ich hatte mit meiner Mutter die Firma aufgezogen.«

»Nun, geht eine Frau, die Hochzeiten für andere plant, mit ihrer eigenen konform? Oder waren Sie die ganze Sache schon leid?«

»Um Ihre Fragen in umgekehrter Reihenfolge zu beantworten: nein und ja«, gab sie zu, um noch trocken hinzuzufügen: »Die Ehe hat kaum länger als die Zeremonie gedauert. Aber, nein, ich bin meinen Job nicht leid. Wenn alles gut klappt und sich alle prächtig amüsieren, dann ist das eine schöne Erinnerung.

Und für den Fall, dass Sie das interessiert: Ich habe bei meiner eigenen Hochzeit nicht geweint«, fügte sie schelmisch hinzu.

»Hätte ich mir auch nicht vorstellen können.«

Sie nahm einen Schluck Margarita, und Eric winkte der Kellnerin. »Ich würde Ihnen gern noch einen Drink spendieren.«

Jaclyn schüttelte den Kopf in Richtung Kellnerin und bedeckte ihr Glas, um ihr zu signalisieren, dass sie nicht nachgeschenkt haben wollte, dann wandte sie sich Eric zu. »Einer reicht. Ich bin mit dem Auto unterwegs.«

»Sie sind nicht gekommen, um mit Limettensaft und Tequila benebelt alles zu vergessen?«

»Ich beneble mich nie und vergesse mich auch nie mit Alkohol«, erklärte sie.

»Wann vergessen Sie sich dann?«, fragte er, und sie konnte fast spüren, wie sein intensiver Blick sich ihr in die Haut bohrte.

»Arbeit«, antwortete sie ehrlich, obwohl ein Teil von ihr, ein Teil, der lange Zeit in einer Art Dornröschenschlaf gelegen hatte, erkannte, dass sie sich unschwer an Eric Wilder verlieren konnte. »Und Sie?«

»Arbeit.«

»Besser Workaholic als Alkoholiker«, meinte Jaclyn, wobei sie an ihren Vater und seinen Kampf mit dem Saufen dachte. Es war kein Zufall, dass sie keinen Alkohol im Haus hatte und sich auch immer mit nur einem Drink begnügte. Sie hatte nie ein Alkoholproblem gehabt, aber sie kannte Jacky Wildes Schwäche, und es bestand die Möglichkeit, dass sie den Hang zu Hochprozentigem geerbt hatte. Oder, Gott behüte, die Sucht. Aber sie wollte nicht an ihren Dad denken – sie liebte ihn, auch wenn er nicht viel auf die Reihe kriegte. Aber sie hatte genug von sich selbst geredet. Sie wollte mehr über ihn erfahren. »Wie lange sind Sie schon bei der Polizei?«

»Dreizehn Jahre. Ich bin direkt nach der Highschool zur Armee gegangen, habe dort meinen Dienstgrad bekommen und dann mein Staatsexamen abgelegt, nachdem ich meine Anstellung bei Uncle Sam beendet hatte.«

»Ihr Job ist vermutlich viel interessanter als meiner. Die Leute, mit denen ich zu tun habe, schrecken zumindest in der Regel davor zurück, ein Verbrechen zu begehen.«

»In der Regel?« Seine dunklen Brauen zogen sich nach oben.

»Das sollten Sie lieber nicht wissen.«

Da er nicht lockerließ, erzählte sie ihm schließlich von der Hochzeitsgesellschaft, die vor der Zeremonie einträchtig Pot geraucht hatte, von dem Bräutigam, den plötzlich Zweifel überfallen hatten, und von der Mutter der Braut, die daraufhin ein Messer aus der Tasche gezogen hatte und gedroht hatte, ihm den Quell seiner Freuden abzusäbeln, falls er, nach dem vielen Geld, das sie ausgegeben hatte, nun ausbüxen wollte. Jaclyn hatte zig solch düsterer Geschichten auf Lager. Er lachte an den richtigen Stellen, ein sonorer Klang, der von echter Belustigung zeugte und zu weiteren Vertraulichkeiten beflügelte. Er erzählte ihr ein paar Kriegsgeschichten, und ihr war bewusst, dass er die düstereren, verstörenden Einzelheiten mit Absicht wegließ.

Es war unkompliziert, sich mit ihm zu unterhalten. Trotz der aufgeheizten körperlichen Anziehung, die sie völlig verzehrte, insofern sie dies zuließ, war sie irgendwie in der Lage, diesen Aspekt beiseitezuschieben und schlichtweg seine Gesellschaft zu genießen. Nie entstand zwischen ihnen ein peinliches Schweigen, wie dies bei Leuten, die sich gerade erst kennengelernt hatten, häufig der Fall war. Momentan gab es nur das Vergnügen, sich mit ihm zu unterhalten, und ein aufgeheiztes Kribbeln aufgrund der körperlichen Anziehung. Sie hatte es von dem Augenblick an empfunden, als sie am Vormittag mit ihm zusammengestoßen war, und die nähere Bekanntschaft mit ihm hatte es nicht vermindert. Sie war nur ins Sadie’s gekommen, weil sie mit dem Auto vorbeigefahren und dazu noch einen freien Parkplatz erspäht hatte, und die Vorstellung, mit einem beruhigenden Drink wieder auf den Teppich zu kommen, war zu verführerisch gewesen, als dass sie ihr hätte widerstehen können. Sie war froh, dass sie ihr nicht widerstanden hatte, froh, dass sie nicht in eine schickere Kneipe gegangen war.

Hätte sie darüber nachgedacht, wäre ihr klar geworden, dass sich in einer Kneipe so nah am Polizeipräsidium sicher auch ein paar Polizisten aufhalten würden. Sie glaubte nicht, dass ihr Unbewusstes sie hergeführt hatte in der Hoffnung, ihn hier zu treffen. Sie hatte einen so turbulenten Tag hinter sich, dass sie wirklich nicht mehr an ihn gedacht hatte ... Aber falls ihr Unbewusstes beteiligt war, dann Hut ab: Gute Arbeit! Sie war froh, dass sie hier haltgemacht hatte, und sie war froh, ihm hier über den Weg gelaufen zu sein.

Sie trank ihren Margarita aus, war aber noch nicht bereit zu gehen. Als die Cocktail-Kellnerin vorbeikam, um ihr nachzuschenken, bestellte Jaclyn einen entkoffeinierten Kaffee. Eric war noch mit seinem Bier beschäftigt, und sie war froh, dass er es nicht hinunterkippte und sich ein neues kommen ließ. Wie sie, so war auch er überaus diszipliniert.

Es sah ihr nicht ähnlich, mit einem Mann so schnell Vertraulichkeiten auszutauschen, aber dieses Gefühl von Leichtigkeit hatten wohl beide. Nach den Kriegsgeschichten erzählte sie ihm von ihrem Geschäft, ihrer Mutter und Geschäftspartnerin in Personalunion und dem absolut wahnwitzigen Terminplan der nächsten Tage.

Er drehte sein fast leeres Bierglas zwischen den Handflächen hin und her, schaute dann zu ihr. »Dann warte ich also wohl besser bis nächste Woche mit meinem Anruf?«

Seine braunen Augen waren so intensiv, dass ihr Herz erneut einen kleinen, beunruhigenden Satz machte und ihr der Mund trocken wurde. Ihr erster Gedanke war, dass es vielleicht an der Zeit war, ihre Dürreperiode in Sachen Sex zu beenden. Ihr zweiter Gedanke war, dass er genau der Richtige war, um dieser Dürre ein Ende zu setzen. Und ihr dritter Gedanke war dann, dass sie, verdammt noch mal, gar keine Zeit dazu hatte. Doch als sie den Mund aufmachte, kam ein »nicht unbedingt« heraus. Dann schaltete sich wieder ihr gesunder Menschenverstand ein, und sie seufzte. »Ach ja, nächste Woche wäre wohl schon besser. Bei sechs Hochzeiten in fünf Tagen bleibt mir nicht viel Freizeit, selbst wenn Mom und ich uns die Arbeit teilen.«

»Etwas essen müssen Sie aber«, sagte er; seine Stimme klang leichthin und etwas rau. Er hatte diese Art Stimme, die sie zu so ziemlich allem überreden konnte. Ach, Mann, er war entweder gut oder gefährlich oder beides zugleich.

»Ja, wohl schon.« Das Klügste, was sie jetzt tun konnte, wäre wohl, sich aus dem Dunstkreis des Testosterons zu entfernen, das er wie ein Kraftfeld verströmte, um wieder klarer denken zu können. Davon abgesehen war es schon spät. Und ob es ihr passte oder nicht: Sie musste nach Hause ins Bett. Sie zögerte, öffnete dann ihre Handtasche, um ihr goldenes Visitenkartenetui herauszunehmen. »Meine Karte«, sagte sie unnötigerweise, wobei sie ihre cremefarbene Geschäftskarte, auf der neben Premier auch ihr Name und ihre Telefonnummern in goldenen Lettern standen, auf den Tisch legte und zu ihm hinüberschob. »Es stehen meine Geschäfts- und meine Privatnummer drauf.«

Er warf einen Blick auf die Visitenkarte, hob sie hoch, um sie im Licht besser entziffern zu können. »Nicht Wilde Hochzeiten?«

Jaclyn lächelte. »Das ist nicht das Image, um das wir uns bemühen.«

Er studierte die Karte. »Hat Klasse.« Sein Blick huschte wieder zu ihr. »Wie Sie.«

Bevor sie noch etwas erwidern konnte, griff er in seine Sakkotasche und holte seine eigene Geschäftskarte heraus. Sie war schwarz-weiß, die Schrift schlicht, ganz geschäftsmäßig eben. Seine Visitenkarte sagte so viel über ihn aus wie die ihre über sie. Er drehte das Kärtchen um, nahm einen Stift aus der Tasche und kritzelte etwas auf die Rückseite. »Meine Handynummer. Sie können mich jederzeit anrufen.«

Sie steckte die Karte in ihre Handtasche, stand auf und sagte gute Nacht. »Sie werden von mir hören«, erklärte er. Daran zweifelte sie nicht. Als sie in Richtung Ausgang schritt, konnte sie seinen Blick im Rücken spüren – wie am Vormittag auch schon. Doch diesmal drehte sie sich um und lächelte. Ja, klar, er hatte seinen Blick auf sie geheftet. Und wie er sie ansah, ließ ihr die Knie weich werden.

Mannomann.

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