Fiammetta - Giovanni Boccaccio - E-Book

Fiammetta E-Book

Giovanni Boccaccio

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Beschreibung

Dem Geschmack der Zeit entsprechend entwarf Boccaccio das wiederkehrende Bild einer idealen Geliebten, die er Fiammetta nannte und deren reales Vorbild vermutlich eine neapolitanische Adlige namens Maria d'Aquino ist.

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Fiammetta

Giovanni Boccaccio

Inhalt:

Giovanni Boccaccio – Biografie und Bibliografie

Fiammetta

Prolog

Erstes Buch

Zweites Buch

Drittes Buch

Viertes Buch

Fünftes Buch

Sechstes Buch

Siebentes Buch

Schluss

Fiametta, Giovanni Boccaccio

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849605582

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Giovanni Boccaccio – Biografie und Bibliografie

Einer der größten ital. Dichter und hochverdienter Humanist, geb. 1313 in Paris, gest. 21. Dez. 1375 in Certaldo bei Florenz, war der natürliche Sohn des Florentiner Kaufmanns Boccaccio di Chellino, der aus Certaldo stammte, weshalb B. seinem Namen stets da Certaldo hinzufügte, und einer jungen, vornehmen Pariser Witwe mit Vornamen Gianna (Jeanne). Zum Kaufmann bestimmt, widmete er sich 6 Jahre lang mit Widerwillen diesem Beruf, während ihn seine Neigung zu den Wissenschaften und der Dichtkunst zog. Etwa Ende 1330 siedelte er nach Neapel über. Sein Widerwille gegen den Kaufmannsstand wuchs in der prächtigen Umgebung noch mehr, und endlich gestattete ihm sein Vater, einen andern, freilich nicht den ersehnten, Beruf zu ergreifen. Er sollte kanonisches Recht studieren, »um dadurch später reich zu werden« (1332). Sechsjähriges Studium blieb erfolglos. Mit aller Macht zog es B. zur Dichtkunst und zum Studium der klassischen Literatur. Dichter und Gelehrte am Hofe, dessen Gesellschaftskreise ihm durch seinen Landsmann Niccolò Acciajuoli zugänglich gemacht wurden, waren sein liebster Umgang. Zu seinen ersten Werken, die italienisch geschrieben sind, begeisterte ihn die Liebe zu der natürlichen Tochter König Roberts von Neapel, Maria (»Fiammetta«). B. hat ihr viele lyrische Gedichte gewidmet, und in einer Reihe von Romanen und Erzählungen in Prosa und Versen hat er die Geschichte seines Werbens, seines Glückes und seiner Verschmähung in die Darstellung eingefügt. 1340 oder 1341 rief ihn der Vater nach Florenz zurück, 1346 war er in Ravenna, 1348 in Forlì. Als sein Vater 1348 oder 1349 an der Pest gestorben war, kehrte B. nach Florenz zurück. Er war nun freier Herr und konnte sich mit seinen bescheidenen Mitteln das Leben nach Wunsch gestalten. Als Dichter besaß er schon großen Ruf, und seine Mitbürger übertrugen ihm nun auch manche wichtige politische Ämter. Die 1350 mit Petrarca geschlossene Freundschaft bewirkte, daß er sich fast ausschließlich humanistischen Studien zuwandte und weckte in ihm wahre Gläubigkeit. B. besuchte Petrarca wiederholt auf längere Zeit (1359, 1363, 1368). 1359 gelang es B., den Griechen Leontius Pilatus als Professor nach Florenz zu ziehen. So war er der erste, der für eine Neubelebung der Kenntnis des Griechischen sorgte. Er selbst brachte es freilich nicht mehr weit in dieser Sprache. 1362 siedelte B. auf dringen des Bitten des Großseneschalls Niccolò Acciajuoli nach Neapel über, kehrte aber schon 1363 nach Florenz zurück, weil der Empfang den Erwartungen Boccaccios nicht entsprochen hatte. In Florenz blieb er nun mit kurzen Unterbrechungen bis an sein Lebensende, oft auf seinem Gütchen in Certaldo weilend, oft auch noch mit politischen Missionen betraut, so 1365 an Urban V. nach Avignon und 1367 an denselben nach Rom. 1370 bis 1371 war B. noch einmal in Neapel. Mit dem zunehmenden Alter befielen ihn allerlei Krankheiten. Dennoch übernahm er noch 1373 den ebrenvollen Auftrag der Florentiner Regierung, öffentliche Vorlesungen über Dantes »Divina Commedia« zu halten, die er im Oktober d. J. begann. Schon im Januar 1374 zwang ihn jedoch sein Gesundheitszustand, das Lehramt aufzugeben, und im Herbst zog er sich ganz nach Certaldo zurück. Im Juni 1879 wurde ihm hier auf der Piazza Solferino ein Denkmal errichtet.

Boccaccios überaus zahlreiche Werke sind teils in italienischer, teils in lateinischer Sprache geschrieben. Leidenschaftliche Liebe brachte sein Dichtertalent zur Entfaltung. Im Auftrag Marias schrieb B. sein erstes Werk, den dicken Roman »Filocolo« (1338–1340, zuerst gedruckt Vened. 1472), eine weitschweifige und schwülstige Bearbeitung der Sage von Flor und Blancheflor. Wahrscheinlich noch 1338 vollendete er den »Filostrato« in Ottaven (Vened. 1480), die B. zuerst in der Kunstdichtung verwendete. Das prächtige Gedicht hat Chaucer in »Troylus and Cryseyde« oft wörtlich übersetzt, und darauf beruht Shakespeares »Troilus and Cressida«. Nicht so schön ist die ebenfalls in Ottaven gedichtete »Teseide« (1341, gedruckt Ferrara 1475), welche die Liebe des Palemone und Arena zu des Theseus Schwägerin Emilia behandelt und von Chaucer für seine »Knightes Tale« verwertet wurde. B. vollendetstes Gedicht in Ottaven ist das idyllische »Ninfale Fiesolano« (Vened. 1477), wohl der Abschluß seiner Jugendwerke. Wohl schon früher ist das »Ninfale d'Ameto« (1341–42), in Prosa und Terzinen verfaßt (Rom 1478), eine Hirtendichtung in Verbindung mit Allegorie. Ebenfalls verherrlicht noch die Maria die allegorische »Amorosa Visione« (etwa 1342, gedruckt Mail. 1521) in 50 Gesängen in Terzinen. Dem Trennungsschmerz gibt die »Fiammetta« (1342, gedruckt Padua 1472) Ausdruck, ein Liebesroman von feinster psychologischer Durchführung und hinreißendem Zauber der Sprache. Alle Phasen der Liebe zu Maria spiegeln endlich auch noch die lyrischen Gedichte wider (Livorno 1802). Eine kulturhistorisch wertvolle, aber oft unflätige Satire in Prosa auf eine Florentiner Witwe, die sich B. versagte, ist der »Corbaccio« oder »Labirinto d'amore« (zuerst Flor. 1487). Boccaccios Dantebegeisterung entsprang die Lobschrift (zwischen 1357 u. 1362) »Vita di Dante« (hrsg. von Macri-Leone, Flor. 1888; der erste Entwurf von Rostagno, Bologna 1899) und seinen Vorlesungen der wertvolle »Commento sopra la Commedia« (beste Ausg. von Milanesi, Flor. 1863, 2 Bde.), der leider nur bis zum 17. Gesang der Hölle reicht. Das Werk jedoch, dem der Dichter B. seinen Nachruhm zumeist verdankt, ist das »Decamerone«, das man treffend die »Menschliche Komödie« genannt hat und das durch die Schönheit der Sprache und den Stil der Erzählung ein fast unerreichtes Muster seiner Gattung geworden ist. Das »Decamerone« ist eine Sammlung von 100 durch eine Rahmenerzählung miteinander verbundenen Novellen, die der Dichter von zehn während der Pest 1348 aus Florenz entflohenen Personen, sieben Damen und drei Jünglingen aus der seinen Gesellschaft, zu ihrer Unterhaltung an zehn Tagen (daher der nach dem Griechischen gebildete Name) vortragen läßt. Die Erzählungen sind von der mannigfachsten Art; sie behandeln tragische und komische, wunderbare und rührende, witzige und schlüpfrige Stoffe und sind den mannigfachsten Quellen entnommen. Die Verschiedenheit der dem Leser vorgeführten Menschenklassen und Persönlichkeiten, ihre vortreffliche Charakteristik, die Mannigfaltigkeit der Vorgänge, der reizvolle Wechsel von Ernst und Scherz, die Anmut der Erzählungsweise, verbunden mit der Fülle und Gewandtheit der Sprache, haben das »Decamerone« zu einem der hervorragendsten Werke der italienischen Literatur gemacht. Die Unsittlichkeiten des Buches, die nie um ihrer selbst willen dargestellt werden, sondern um ihre Komik hervorzuheben, fallen der Sittenlosigkeit der Zeit des Dichters zur Last.

Das »Decamerone« ist unendlich oft gedruckt und wiederholt in alle gebildeten Sprachen übersetzt worden. Der vielleicht älteste sogen. Deo gratias-Druck erschien ohne Angabe des Jahres und des Ortes, der zweite Venedig 1471; außerdem brachte das 15. Jahrh. noch elf Ausgaben. Über die Ausgaben vgl. Bacchi della Lega, Serie delle edizioni delle opere di Giovanni B. (Bologna 1875), und Passano, I novellieri italiani in prosa (2. Ausg., Turin 1878). Bereits um 1460 wurde das »Decamerone« ins Deutsche von Arigo (s.d.) übertragen (hrsg. von Keller, Stuttg., Literarischer Verein, 1860); neuere deutsche Übersetzungen lieferten Soltau (Berl. 1803, 3 Bde.; neue Ausg., das. 1884) u. a., die besten K. Witte (3. Aufl., Leipz. 1859, 3 Bde.). Zu den Übersetzungen vgl. Bacchi della Lega a. a. O.; über die Quellen grundlegend Landau, Quellen des Dekameron (2. Aufl., Stuttg. 1884), und Bartoli, I precursori del B. e alcune delle sue fonti (Flor. 1876). Boccaccios »Opere volgari« gab Moutier heraus (Flor. 1827–34, 17 Bde.), eine Auswahl in deutscher Übersetzung W. Röder (»Boccaccios Romane und Novellen«, Stuttg. 1844, 4 Bde.). – In lateinischer Sprache schrieb B. verschiedene mythologische u. historische Werke, die »Genealogia deorum gentilium«, 15 Bücher; »De montibus, sylvis, fontibus, lacubus, fluminibus, stagnis etc.« (in alphabetischer Ordnung); »De casibus virorum illustrium«; »De claris mulieribus« (deutsche Übersetzung von Steinhöwel, hrsg. von Drescher für den Literarischen Verein, Stuttg. 1896); außerdem 17 Eklogen, Briefe u. a. Vgl. Hortis, Studj sulle opere latine del B. (Triest 1879); Hecker, Boccaccio-Funde (Braunschw. 1901).

Biographische Literatur etc.: Landau, B., sein Leben und seine Werke (Stuttg. 1877; erweiterte ital. Übersetzung von Antona-Traversi, Neapel 1881); Körting, Boccaccios Leben und Werke (Leipz.1880); Crescini, Contributo agli studj sul B. (Turin 1887); Wesselofsky, Boccaccio (Petersb.1893–1894); Rossi, Dalla mente e dal cuore di Giovanni B. (Bologna 1900).

Fiammetta

Prolog

Fiammetta spricht:

Unglücklichen pflegt Lust aus der Klage zu erwachsen, erkennen oder fühlen sie Mitleid in andern. Da nun mir, die mehr als andere zur Klage geneigt, in langer Übung ihr bittrer Quell nie versiegte, ja noch reichlicher sich ergoß, so wünsche ich euch, o edle Frauen, in deren Herzen vielleicht glücklichere Liebe wohnet, durch die Erzählung meiner Leiden zu frommem Mitleid zu bewegen.

Es liegt mir nicht am Herzen, daß meine Rede zu den Männern gelange, vielmehr bleibe sie ihnen, soviel ich dazu vermag, gänzlich verborgen; denn so jammervoll hat sich an mir die Härte eines einzelnen erwiesen, daß ich, alle andere ihm ähnlich wähnend, eher höhnendes Lächeln als mitleidige Tränen von ihnen erwarte. Euch allein, die ich durch mich selbst als beweglich und für Unglück mitleidend kenne, bitte ich, mich zu lesen.

Aber ihr werdet nicht griechische Fabeln, geschmückt mit schöner Lüge, nicht trojanische Schlachten, befleckt mit dunklem Blute, hier finden -- nur Mythen der Liebe und die Kämpfe heftiger Leidenschaft; in ihnen werden die bittern Tränen, die ungestümen Seufzer, die klagenden Töne und stürmischen Gedanken vor euern Augen erscheinen, welche, mit ewigem Stachel mich peinigend, Nahrung, Schlummer, fröhliche Zeit und die geliebte Schönheit von mir genommen haben. Wollt ihr diese Dinge mit jenem Herzen, das den Frauen eigen zu sein pflegt, betrachten, o! so bin ich versichert, ihr werdet, jede für sich selbst oder alle zusammen vereint, die zärtlichen Wangen in Tränen baden, welche mir, die anders nichts sucht, ein Quell ewigen Schmerzes sind; so bitte ich euch denn, haltet sie nicht zurück und denket, daß, sollte meinem Geschick, dem wandelbaren, das eure ähnlich werden (was Gott abwende!), es euch lieb sein würde, solche Tränen von mir wiederzuerhalten. Damit nun die Zeit nicht mehr in Worten als in Tränen vergehe, will ich mich bemühen, schnell zu meinem Versprechen zu kommen. Von freundlicher Liebe, die glücklicher war als beständig, beginne ich, damit ihr, von jener Seligkeit zur traurigen Gegenwart blickend, erkennet, daß ich unglücklicher bin als irgend eine andere; dann will ich die bösen Tage, um welche ich mit Recht weine, mit rührender Klage begleiten, so gut ich es vermag.

Doch zuerst, wenn anders das Flehen der Elenden erhört wird und wenn eine Gottheit im Himmel lebt, deren heiliger Gedanke von Erbarmen gegen mich bewegt ist, flehe ich, tiefbetrübt und gebadet in meinen Tränen, zu ihr, daß sie helfe der trauernden Erinnerung und unterstütze die bebende Hand zu diesem Werke, und beide also stärke, daß jene die Worte gebe und diese, williger als stark zu solchem Geschäft, die Leiden, also wie ich sie in der Seele erlitten habe und noch leide, niederschreibe.

Erstes Buch

Die Dame Fiammetta beschreibt, wer sie war und durch welche Zeichen ihre künftigen Leiden ihr vorher angedeutet wurden; auch, zu welcher Zeit, wo, auf was für Art und in wen sie verliebt ward; nebst der darauf folgenden Freude.

In den Tagen, wo die neu geschmückte Erde sich schöner als in der ganzen übrigen Zeit des Jahres zeigt, kam ich auf die Welt, von edlen Eltern gezeugt und von einem freundlichen, überreichen Glück empfangen.

O! unseliger Tag der Geburt! welcher Sterbliche darf dich mit größerm Abscheu betrachten als ich?

Ach! wie weit glücklicher, wenn ich nie geboren wäre, oder wenn sie mich bald nach der traurigen Geburt ins Grab getragen hätten, wenn die Parze den Faden meines Lebens in derselben Stunde, wo sie ihn ausgezogen, auch wiederum abgerissen hätte! Dann hätte die unentfaltete Knospe meines Daseins all die unendlichen Qualen in sich verschlossen, die mir nun betrübten Stoff zu dieser Schrift darbieten. Doch was hilft es, mich zu beklagen? Ich lebe! Es gefiel Gott und gefällt ihm noch, mich auf der Erde zu lassen.

Die freudenvollsten Umgebungen hatten mich auf Erden empfangen; Vergnügen war meine Nahrung, und als die zarte Kindheit verschwunden war und das liebliche Mädchenalter begann, lehrte eine ehrwürdige Meisterin mir alle die Sitten, die einer edlen Jungfrau angemessen sind. Und so, wie ich an Alter wuchs, wuchsen auch meine Reize, die vornehmsten Quellen meines Unglücks.

Ach! wie stolz schlug mir das Herz, so klein ich auch noch war, wenn ich meine Schönheit von so vielen preisen hörte! wie bemüht war ich, sie durch Sorgfalt und Kunst immer mehr zu erhöhen! Und als ich in ein reiferes Alter getreten war und die Natur mich wahrnehmen lehrte, wie heftig weibliche Schönheit die Jünglinge zu entflammen vermag, da bemerkte ich bald, daß mein Reiz -- ach ein trauriges Geschenk für ein Herz, das ruhig und tugendhaft zu leben wünscht! -- alle meine Gespielen und viele andere edle Männer immer mehr mit zärtlicher Glut entzündete.

Sie alle waren bemüht, durch ausdrucksvolle Blicke und Worte, in zahllosen Versuchen mir das Gefühl mitzuteilen, das sie verzehrte und das mich selbst in der Folge stärker als alle anderen zu entflammen und zu verzehren bestimmt war. Viele auch zeigten sich, die mit höchstem Eifer meine Hand zu erhalten strebten.

Doch da bald darauf derjenige unter ihnen, welcher mir in jeder Hinsicht am angemessensten war, mein Gemahl ward, so zerstreute sich mit der verlorenen Hoffnung die beschwerliche Schar der Liebhaber, und sie hörten auf, mich mit ihren verliebten Torheiten zu bestürmen.

Mit einem so würdigen Gemahl, wie billig, vollkommen zufrieden, lebte ich nun höchst glücklich, bis die sinnberaubende Liebe mit nie empfundenem Feuer mein jugendliches Gemüt erfüllte. Ach! damals gab es nichts in der Welt, was meinen Wunsch -- ja den Wunsch irgend einer Frau -- hätte reizen können, was mir nicht sogleich im vollen Maß gewährt worden wäre!

Mein junger Gemahl fand in mir sein einziges Gut, seine höchste Glückseligkeit, und so wie er von mir geliebt ward, liebte er mich auch wieder.

O! wie weit glücklicher als andere hätte ich mich preisen können, wenn das Gefühl solcher Liebe mir stets treu geblieben wäre! Ich war zufrieden, und mein Leben schien ein immerwährendes Fest, als das Glück, welches schnell die irdischen Dinge verkehrt und die mir geschenkten Güter selbst zu beneiden schien, auf einmal seine Hand von mir abzog und mit schlauer Überlegung, auf welche Art es meine Ruhe am besten vergiften könne, mich durch meine eigenen Augen den Weg ins Verderben finden ließ. Und gewiß, kräftiger hätte das Gift auf keine andere Weise wirken können als auf diese.

Aber die Götter, die mich damals noch liebten und wegen meines Geschickes besorgt waren, sahen, wie das Glück mir heimlich nachstellte, und wollten meine Brust bewaffnen, wenn ich anders ihren Willen verstanden hätte; nicht unbewehrt sollte ich in den Kampf gehen, in dem ich fallen sollte.

Deshalb ward ich in der Nacht vor dem Tage, da mein Verderben begann, durch ein deutliches Gesicht über die künftigen Begebenheiten erleuchtet, und zwar auf folgende Weise: Mir, die ich auf dem weichsten Lager, alle Glieder waren in tiefem Schlaf aufgelöst, ruhete, kam es vor, als wäre es Tag, aber heiterer und strahlender wie noch je, und ich selbst fröhlicher und leichter als jemals.

Und weiter schien es mir, als säße ich in meinem fröhlichen Mut ganz allein auf dem zarten Grün einer Wiese, wo die Schatten jung blühender Bäume mich vor den sengenden Strahlen der Sonne schirmten. Der ganze Grund war mit Blumen übersäet; ich hatte verschiedene gepflückt und mit meinen weißen Händen in eine Falte meines Gewandes gesammelt: jetzt zog ich jede Blume einzeln hervor, und aus den schönsten und gewähltesten wand ich mir einen Kranz, womit ich meine Locken schmückte. So Proserpinen gleich geziert, als Pluto sie ihrer Mutter raubte, stand ich auf und ging mit fröhlichem Gesang durch den neuen Frühling dahin, bis ich ermüdet mich in das weiche, dichte Gras ausstreckte und ruhete. Aber ebenso wie damals ein verborgenes Tier Eurydicens zarten Fuß verletzte, so kam es mir im Traum auch vor, als schliche sich aus dem Gras eine Schlange zu mir heran, die mich unter der linken Brust verwundete. Anfangs schien es mir, als fühlte ich bei dem ersten Biß ihrer scharfen Zähne ein leichtes Brennen. Und da ich nichts Schlimmeres besorgte und kühner ward, verbarg ich die kalte Schlange an meinem Busen, weil ich durch die Güte, sie an meinem Busen zu wärmen, sie zu bewegen hoffte, auch mir freundlicher zu sein. Aber durch meine Milde nur stolzer geworden und sicherer, nahte sie mit ihrem verruchten Mund wiederum der mir gegebenen Wunde, und nachdem sie lange mein Blut getrunken hatte, dünkte es mir, als schlüpfte sie von meinem Busen hinweg und schliche mit neuem Leben unter die Blumen, wo sie zuerst gelegen hatte.

Und wie sie verschwand, trübte sich der fröhliche Tag, sein Schatten kam hinter mir her und bedeckte mich ganz. Und so wie die Schlange sich entfernte, folgte die Dunkelheit, als würde sie von ihr angezogen. Eine Menge dunkler Wolken drangen herab und folgten ihr.

Und so wie ein weißer Stein, in tiefes Wasser geworfen, nach und nach vor den Blicken des Zuschauers undeutlich wird und verschwindet, so verlor auch ich sie endlich ganz aus dem Gesicht. Jetzt sah ich den Himmel gänzlich eingehüllt, die Sonne war hinweggegangen, und ich glaubte, eine Nacht sei angebrochen, wie sie einst bei den Griechen dem Verbrechen des Atreus folgte. Blitze zuckten in wilder Verworrenheit durch den Himmel, und mein Herz bebte gleich der Erde vor der furchtbaren Stimme des Donners.

Meine Wunde, die mich bis jetzt nur an einer Stelle geschmerzt hatte, verbreitete sich mit giftiger Glut, und ohne rettende Heilmittel ward der ganze Körper von einer häßlichen Geschwulst bedeckt.

Mit der Flucht der Schlange schien auf eine unbeschreibliche Art mir auch die Seele entflohen zu sein. Ich fühlte, wie die Macht des Giftes auf den feinsten Zugängen nach dem Herzen drang, und ich streckte mich auf die frischen Rosen hin, um den Tod zu erwarten. Schon schien der Augenblick gekommen zu sein, wo ich sterben sollte, als mein Herz, noch von Schrecken über den furchtbaren Sturm pochend und den Tod erwartend, einen so heftigen Schmerz empfand, daß der ganze Körper auch im Schlummer erzitterte und die Bande seines tiefen Schlafes zerrissen. Kaum war ich erwacht, so fuhr ich, noch voll Furcht über mein Traumgesicht, schnell mit der rechten Hand nach der verwundeten Stelle. Ach! ich suchte in der Gegenwart die Wunde, welche erst in Zukunft meiner harrte!

Als ich mich gesund und unverletzt sah, da kehrten schnell mein fröhlicher Mut und meine Sicherheit zurück; ich verhöhnte die Torheiten meines Traumes und vereitelte so die Bemühung der Götter. Ach weh mir, daß ich diese damals verachteten Winke, zu meinem tiefen Schmerz, in der Folge für wahr anerkennen mußte! --

Was half es mir, meine Blindheit zu beweinen und die Götter anzuklagen, daß sie ihre Geheimnisse dem groben Sinn des Menschen so dunkel und unverständlich kundtun und ihre Warnungen nicht eher begreiflich werden, bis die Begebenheiten selbst sie erklären!

So war ich denn erwacht und richtete das schlaftrunkene Haupt in die Höhe. Da fiel durch einen kleinen Spalt ein Strahl der neuen Sonne in meine Kammer; mit ihm entwich mir jeder andere Gedanke, und fröhlich stand ich auf.

Dieser Tag war höchst feierlich für jedermann. Deshalb wandte auch ich die größte Sorgfalt an, mich festlich zu schmücken. Mein Gewand leuchtete von Gold, und mit Meisterhand wußte ich mich, gleich einer der Göttinnen, als sie sich in Idas Tal dem Paris zeigen wollten, zu zieren, um an der großen Festlichkeit würdig teilnehmen zu können. Als ich mich jetzt im Spiegel sah und wie der Pfau seine schimmernden Federn von allen Seiten betrachtete, als ich in süßer Selbstbewunderung den andern ebenso zu gefallen hoffte wie mir selbst, da weiß ich nicht, wie es geschah, daß eine Blume meines Hauptschmuckes sich in den Vorhang meines Lagers verwickelte und zur Erde fiel. Vielleicht auch, daß eine himmlische Hand, von mir ungesehen, sie mir entführte. Ich aber, auch dieses geheimen Winkes der Götter nicht achtend, hob sie wieder auf, befestigte sie von neuem in meine Locken und ging hinweg, als wenn nichts geschehen wäre.

Ach! konnten die Himmlischen mir ein deutlicheres Zeichen von dem, was mir bevorstand, geben? Gewiß, sie konnten es nicht. Hätte ich es recht verstanden, so war dies hinreichend, mir zu sagen, daß an diesem Tage meine Seele, die bis dahin eine freie Herrin ihrer selbst gewesen war, ihr Fürstentum verlieren und eine Sklavin werden sollte -- und es ward! O! wenn damals mein Gemüt gesund gewesen wäre, so hätte ich leicht erkennen müssen, welch ein schwarzes Verhängnis an diesem Tag über mir waltete, und im stillen, in meine Wohnung eingeschlossen, hätte ich ihn verlebt! Aber es berauben die himmlischen Mächte die, gegen welche sie erzürnt sind, der wahren Einsicht, obgleich sie ihnen die heilsamen Winke über ihr Heil nicht vorenthalten. Und so scheint es, daß sie mit einem Male beides, ihrer Schuldigkeit Genüge leisten und ihren Zorn sättigen, wollen.

Mein Schicksal also wollte, daß ich glänzend und mit sorglosem Mut mein Haus verließ. Von mehreren begleitet, gelangte ich mit abgemessenen Schritten in den geheiligten Tempel, wo die an solchen Tagen üblichen, feierlichen Gebräuche bereits begonnen hatten. Mir aber hatten ein alter Gebrauch und mein Rang unter den andern Frauen eine sehr ausgezeichnete Stelle aufbewahrt, und sobald ich Platz genommen hatte, unterließ ich nicht, meiner Gewohnheit nach die Augen nach allen Seiten hin zu wenden und die vielen Männer und Frauen zu betrachten, welche in verschiedenen Gruppen den Tempel erfüllten.

Die heiligen Gebräuche huben an, und sobald man mich im Tempel wahrnahm, geschah es, wie ich schon gewohnt war, daß nicht allein die Männer, sondern auch die Frauen ihre Blicke bewundernd auf mich hefteten, nicht anders, als wäre eine Göttin sichtbar zu ihnen herabgestiegen. O! wie oft hatte ich bei mir selbst diesen Wahn belächelt, der mich jedoch sehr ergötzte und mich in meinen Gedanken wirklich zu einer Göttin erhob. Alle die Kreise von Jünglingen hörten nun auf, sich um andere zu drehen, und bildeten, dicht um mich versammelt, gleichsam einen Kranz, indes sie abwechselnd über meine Schönheit sprachen und mich fast einstimmig erhoben und rühmten. Und ich, indes meine Augen mit andern Gegenständen beschäftigt schienen, lauschte ihren Worten mit der süßesten Wollust und gönnte ihnen dann wohl, als wäre ich ihnen deshalb verpflichtet, einige günstigere Blicke. O! nicht einmal, sondern oft bemerkte ich dann, wie einer oder der andere sich deshalb mit leerer Hoffnung schmeichelte und gegen seine Gefährten voll Eitelkeit brüstete. So von vielen angestaunt, nur wenigen einen Blick gönnend und fest glaubend, daß meine Schönheit alles besiegte, nahte der Augenblick, wo ein fremder Reiz meiner selbst sich gänzlich bemeistern sollte.

Er erschien, der verderbliche, schmerzhafte Augenblick, der mir gewissen Tod oder ein unendlich qualvolles Leben erschaffen sollte, und von einem unbekannten Geist getrieben, erhob ich mit leichtem Anstand die Augen und überschaute die Menge der um mich versammelten Jünglinge mit festem und sicherm Blick.

Dicht in meiner Nähe zeigte sich mir an eine Marmorsäule gelehnt ein Jüngling, dessen Ansehen und Anstand, was bis dahin noch nie geschehen, meine Aufmerksamkeit unwiderstehlich an sich fesselte. Seine Gestalt -- so urteilte ich schon damals, da mein Urteil noch nicht durch Liebe befangen war -- hatte die schönste Form, seine Bewegungen zeigten die größte Anmut, Anstand und Kleidung Würde und Schicklichkeit. Die Zartheit seiner Wangen gab ein sprechendes Zeugnis seiner Jugend, und seine Blicke, mit denen er aus der ganzen Versammlung mich auszeichnete, waren ebenso zärtlich als verständig. Zwar stand es in meiner Gewalt, meine Augen von ihm wegzuwenden, aber keine Gewalt vermochte, wie ich mich auch immer bemühte, die schnell empfangenen Eindrücke aus meinem Herzen zu verdrängen und meinem Sinn eine andere Richtung zu geben. Das Bild seiner Schönheit war bereits tief in meine Seele gedrückt, mit geheimer Wollust schaute ich es an, und erfinderisch wußte ich mit Gründen die Empfindung all des Herrlichen, was mir in ihm erschien, zu rechtfertigen. Es entzückte mich, der Gegenstand seiner Blicke zu sein, doch war ich stets auf meiner Hut, sooft sein Auge mir begegnete. Aber einmal, als ich, ganz sorglos über die Gefahr, ihn betrachtete und meine Augen länger und fester als gewöhnlich auf den seinigen verweilten, da schien es mir, als läse ich in ihnen deutlich die Worte: ›O Gebieterin! Du allein bist meine Seligkeit!‹, und mein Entzücken war so groß, so überraschend, daß mit einem leisen Seufzer mein Herz die Antwort gab: ›Und du die meinige!‹ Doch schnell mich fassend und meiner selbst bewußt, drängte ich sie von der Lippe zurück. Doch was auch der Mund verschweigt, wird dennoch von dem Herzen verstanden, und hätte ich damals ausgesprochen, was ich im Innern verschlossen hielt, vielleicht daß ich jetzt noch frei wäre. So aber schwieg ich und verstattete meinen törichten Augen die größte Freiheit, sich an den Reizen zu sättigen, die sie bereits so sehr entzückt hatten.

Ach! hätten die Götter, die jedes Ereignis zu einem verständigen Zweck leiten, mir damals nicht allen Verstand geraubt, ich könnte jetzt noch mir selbst angehören! Doch ich verbannte alle Überlegung, ich folgte meinen Gelüsten und setzte so mein Gemüt in den Stand, leicht eine Beute der Liebe zu werden.

Und wie der Lichtstrahl eigenmächtig von einem Ort zum andern fliegt, drang ein Feuer aus seinen Augen, das mit dem feinsten Strahl die meinigen traf. Aber nicht die Augen allein; weiß ich es, durch welche geheimen Wege er plötzlich bis zum Herzen drang, daß dieses, erschreckt über die unvermutete Erscheinung des fremden Gefühls, alle Lebensgeister zu sich rief und ich äußerlich ganz blaß und fast ohne Leben und Wärme blieb?

Aber nicht lange, so entzündete eine schnelle Glut das Herz; alle Lebensgeister waren von der innern Flamme ergriffen. Die Blässe verschwand, eine brennende Röte trat auf meine Wangen, und ich seufzte still über die Quelle dieses Wechsels, den ich verwundernd wahrnahm. Von diesem Augenblick an hatte ich keinen andern Gedanken mehr als den, ihm allein zu gefallen.

Dies alles ward von ihm, der unbeweglich seinen Platz behielt, mit feinem, scharfem Blick beobachtet. Vielleicht schon erfahren im Reich der Liebe und mit den Waffen bekannt, welche die gewünschte Beute leicht erobern können, nahm er sogleich die Miene der frömmsten Demut und eines liebenden Verlangens an. Ach! welche Arglist war unter dieser Milde, dieser Unterwürfigkeit verborgen! Einmal aus seinem Herzen entwichen -- so hat es mich der Erfolg gelehrt --, war die fromme Liebe nie wieder dahin zurückgekehrt und leuchtete nur mit betrügerischem Schein aus den Zügen seines Angesichts.

Doch ich will nicht jeden kleinen Zug voll von erfinderischer Arglist erzählen, und es sei genug, zu sagen, daß sein ganzes Wesen mich mit schneller, unerwarteter Liebe entzündete. Ich weiß nicht, war es sein Werk oder das Werk der Schicksalsmächte: genug, ich liebte ihn, und ich liebe ihn noch!

Dieser also war es, ihr mitfühlenden Frauen, den mein Herz vor allen andern wählte! Nach einer flüchtigen Aufmerksamkeit erkor es sich unter so vielen edeln, schönen und mutigen Jünglingen meines ganzen Landes nur diesen allein auf ewig, zum unumschränkten Gebieter meines Lebens. Er war es, den ich über alles liebte und liebe. Er war es, welcher Anfang und Quelle all meiner Leiden sein sollte, und wie ich hoffe, auch meines Todes. Dies war der Tag, der mich zuerst aus einem freien Weib zu der elendesten Sklavin machte. Dies war der Tag, an dem ich die Liebe, mir bis dahin gänzlich unbekannt, zum erstenmal kennenlernte. Dies war der Tag, an dem das Gift der Leidenschaft zum erstenmal die reine, keusche Brust durchdrang! Ach! daß zu meinem Elend je ein solcher Tag der Welt geleuchtet hat! Wieviel Schmerz und Angst wäre mir ferngeblieben, wenn dichtes Dunkel diesen Tag verschlungen hätte! Doch was klage ich! Das einmal geschehene Übel kann eingesehen, aber niemals wieder gutgemacht werden.

Ich war bezwungen; die feindliche Macht, deren Gewalt ich erlag, war es eine Furie der Hölle oder eine feindliche Schicksalsgöttin, welche meine reine Glückseligkeit beneidete und ihr nachstellte -- sie durfte sich seit diesem Tag mit der größten Hoffnung eines unfehlbaren Triumphs tragen. Ganz in der neuen, unbekannten Leidenschaft verloren, saß ich erstaunt und mir selbst entrückt unter den andern Frauen; die heiligen Lieder wurden von mir kaum gehört, viel weniger verstanden, und ebensowenig vernahm ich, was die Gespielinnen unter sich oder mit mir redeten. So sehr erfüllte die neue, plötzliche Liebe meine ganze Seele, daß ich mit Blicken und Gedanken stets nach dem geliebten Jüngling hingewandt war und in mir selbst nicht begreifen konnte, wohin ein so heftiger Trieb mich führen würde.

O! wie oft schalt ich, voll Sehnsucht, ihn näher bei mir zu sehen, sein Verweilen hinter den andern und schrieb auf die Rechnung der Lauigkeit, was nur seine Klugheit war. Denn schon war die Aufmerksamkeit der andern Jünglinge, die vor ihm standen, erregt: da meine Augen immer einen unter ihnen suchten, so wähnten sie selbst das Ziel meiner Blicke und vielleicht meiner Sehnsucht zu sein.

Während ich verloren in träumerischen Gedanken war, ging der Gottesdienst zu Ende; schon waren die Gefährtinnen aufgestanden, um den Tempel zu verlassen, als ich endlich die Seele, die das Bild des lieblichen Jünglings umschwebte, gewaltsam zurückrief und, was um mich her vorging, wahrnahm. Ich stand auf, und meine Blicke, die den seinigen zu begegnen suchten, lasen in seinen Augen, was die meinigen ihm selbst zu sagen strebten: wie schmerzlich mir das Weggehen sei! Gleichwohl mußte ich, mit Seufzen und ohne zu wissen, wer er sei, mich aus dem Tempel entfernen.

O! wer sollte glauben, meine Freundinnen, daß ein einziger Augenblick das Herz in so hohem Grade erschüttern, daß ein nie gesehener Mann auf den ersten Anblick so unbegreiflich geliebt werden könne!

Wer sollte glauben, daß das Anschauen allein die Sehnsucht so wunderbar entzünden könnte, daß, dieses Anschauens beraubt, ein brennender Schmerz die Seele durchdringt und nur der Wunsch nach Wiedersehen sie ganz erfüllt!

Wer sollte glauben, daß nichts von allem, was uns sonst höchst erfreulich war, nach diesem neuen Eindruck uns mehr ergötzt? Ach! gewiß keiner vermag es, der diese Erfahrungen nicht gleich mir selbst gemacht hat oder macht.

Warum mußte die Liebe nur gegen mich mit nie erhörter Grausamkeit verfahren! warum einen Gefallen daran finden, nach neuen Gesetzen mich zu beherrschen? Denn mehr als einmal habe ich sagen hören, die Liebe sei anfänglich kindisch und unbedeutend, nur durch die Phantasie genährt und mit Kräften ausgerüstet werde sie erst stark und bedeutend. Aber wie anders ist sie mir erschienen! Mit siegreicher Gewalt erfüllte sie im ersten Moment mein Herz und erfüllt es noch; vom ersten Augenblicke an ward sie unumschränkte Gebieterin meines ganzen Wesens. Ergangen ist es mir wie frischem Holz, das schwer und mit Widerstand Feuer fängt, aber wenn es einmal angezündet ist, es länger und mit stärkerer Glut festhält.

Als ich mich endlich allein und frei in meinem Gemache befand, von mancherlei Wünschen entflammt, mit neuen Gedanken erfüllt und von neuen Sorgen gepeinigt, und nun dies alles in dem Bilde des lieblichen Jünglings sich verlor, da gedachte ich, daß, wenn es auch unmöglich sei, die Liebe aus meinem Herzen zu verjagen, ich sie doch zum mindesten verschwiegen und vorsichtig in der traurigen Brust verschließen müsse. Aber wie schwer diese Sorge ist, kann nur der begreifen, der sie erfahren hat; ja ich irre wohl nicht, wenn ich glaube, daß die Liebe selbst keine größere Qual verursacht als sie. Auch wußte ich nicht, wen, ich fühlte nur, daß ich liebte.

Doch alle die Herzensbewegungen zu schildern, welche die Leidenschaft in mir erzeugte, würde zu weitläufig sein: nur einiges sei mir vergönnt. Bald fühlte ich, wie eine nie empfundene, lebhafte Freude sich meiner bemächtigte. Dann suchte ich alles andre zu vergessen und ergötzte mich einzig und allein in dem Gedanken an den geliebten Jüngling, bis mich die Sorge wiederum störte, daß ich durch solche Träumerei gerade das Geheimnis verraten möchte, welches ich so sehr zu verhehlen strebte, und dann verwies ich mir selbst mein Nachsinnen. Vor allem aber sehnte ich mich zu erfahren, wer der fremde Jüngling sei, und meine Liebe machte mich bald sinnreich genug, schlaue und geschickte Mittel zu erfinden, dies Verlangen zu befriedigen.

Auch fand ich jetzt allen Schmuck, der mir bis dahin, weil unbrauchbar, gar gleichgültig gewesen war, bedeutend und schätzbar. Jetzt hielt ich ihn für ein Mittel, noch mehr zu gefallen, und aus diesem Grunde kamen mir Kleider, Gold, Perlen und mancher andere köstliche Putz als Dinge von Wert und hoher Wichtigkeit vor. Und ich, die bis dahin Tempel, Feste, Meeresufer und Gärten bloß in der unschuldigen Absicht, mich mit meinen jungen Gespielinnen zu erfreuen, besucht hatte, fand mich jetzt von einem neuen Verlangen an diese Orte gezogen, denn mein Herz sagte mir, daß ich meinen Abgott dort sehen und von ihm gesehen werden könnte.

Gleichwohl floh mich das Vertrauen, das ich in meine Schönheit zu setzen pflegte. Nie verließ ich mein Gemach, ohne von meinem Spiegel die treuesten Ratschläge eingezogen zu haben, und meine Hände, von einer unbekannten Meisterin belehrt, wußten jeden Tag einen neuen reizenden Putz zu erfinden, der durch künstliche Schönheit die natürliche hob und mich unter allen Frauen glänzend hervorleuchten ließ. So fing ich jetzt auch an, die Ehrenbezeugungen, die mir teils aus der gegen Frauen üblichen Achtung, vielleicht auch wegen meines Ranges erwiesen wurden, gleichsam für Pflicht anzusehen. Denn im stillen schmeichelte ich mir, daß mich mein Geliebter nur begehrenswerter und der Liebe würdiger finden würde, je herrlicher und prachtvoller ich vor ihm erschien. Die den Frauen angeborne Sparsamkeit entwich gänzlich von mir, und meine eigenen Angelegenheiten wurden mir so unwichtig, als gingen sie mich gar nichts an. Die Kühnheit wuchs, die weibliche Mäßigung fehlte bei allem, und manches war mir jetzt unendlich lieber geworden als sonst. Auch veränderten meine Augen ganz ihren Charakter, und sie, die bis dahin mir nur allein zum Sehen gedient hatten, erlernten jetzt eine wunderbare Fertigkeit, sich auf das sinnreichste verständlich zu machen. Noch vieles könnte ich erzählen von den Veränderungen, die in mir vorgingen, wenn ich nicht fürchtete, zu weitläufig zu sein, und auch glaubte, daß ihr, die ihr gleich mir die Liebe kennt, auch sehr wohl wisset, wie mannigfaltig die seltsamen Wirkungen ihrer Allgewalt sind.

Mehr als eine Erfahrung bewies mir, wie äußerst vorsichtig und verständig der Jüngling war. Denn nur selten und mit größter Besonnenheit kam er an die Orte, wo ich war, und als hätte er den gleichen Entschluß gefaßt wie ich selbst, die Flamme der Liebe vor jedem fremden Auge zu verbergen, betrachtete er mich nur mit bescheidenen und vorsichtigen Blicken. Sein Anblick hauchte stets die lebendigen Flammen in mir zu höherer Glut an, und die erlöschenden -- wenn es deren gab -- wurden von neuem entzündet.

Gleichwohl war der Anfang dieser Liebe bei weitem nicht so leicht und fröhlich wie das Ende traurig und schwer. Oft blieb ich seines Anblicks beraubt, und eine schmerzhafte Ahnung von Leiden drang in mein Herz. Dann quollen aus dem Herzen gar tiefe Seufzer hervor, und das Verlangen, das aus dem leisesten Gefühl sprach, versetzte mich gleichsam außer mir selbst, so daß alle, die mich sahen, über mein Betragen erstaunten. Doch von der Liebe selbst gelehrt, fehlte es mir nicht an zahllosen Vorwänden, durch welche ich dies rätselhafte Benehmen zu erklären wußte. Auch fehlte mir oft die Ruhe des Nachts, oft die nötige Nahrung bei Tage, und nicht selten fühlte ich mich zu Handlungen verleitet, mehr wahnsinnig als rasch, und zu Reden, die ich sonst nie zu gebrauchen pflegte.

So geschah es, daß der sorgfältige Putz, die brennenden Seufzer, die neue Art zu sein, die wilden Bewegungen, die verlorne Ruhe und andere Dinge, die mit der neuen Liebe bei mir eingezogen waren, unter dem übrigen Hausgesinde die Aufmerksamkeit meiner Amme erregten, die an Jahren alt und an Einsicht nicht jung war. Diese, durch eigene Erfahrung schon mit dieser traurigen Glut bekannt, stellte sich gleichwohl ganz fremd und stellte mich mehrmals über mein seltsames Benehmen zur Rede. Und da sie mich einst voll Melancholie auf meinem Lager ausgestreckt und mein Gesicht mit trüben Gedanken bedeckt fand, hub sie an, da kein Dritter zugegen war, mich mit diesen Worten anzureden: »O Töchterchen! das mir so lieb ist, wie ich mir selbst bin, sag, welches Bekümmernis drückt dich doch seit einiger Zeit? Keine Stunde geht dir ja ohne Seufzer hin, dir, die ich sonst immer leicht und frei von aller Schwermut zu sehen gewohnt war.« Ich seufzte tief, als ich sie so reden hörte; meine Farbe wechselte mehr als einmal, und ich wandte mich hin und her, um Zeit zur Antwort zu gewinnen. Kaum war ich meiner Zunge mächtig, um ein verständliches Wort hervorzubringen. Doch antwortete ich endlich: »Liebe Amme, es ist nichts Neues, was mich drückt, noch fühle ich anders, als ich zu fühlen gewohnt bin. Es ist bloß der natürliche Lauf der Dinge, der den Lebendigen, wie du wohl weißt, nicht immer auf gleiche Art zu sein vergönnt und der auch jetzt mich mehr als gewöhnlich sinnig und tiefsinnig macht.« »Töchterchen,« versetzte die Alte, »gewiß hintergehst du mich. Und glaubst du, es sei so leicht, einer erfahrenen Person mit Worten etwas einzureden, was doch Gebärden und Aussehen Lügen straft? Es ist nicht