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Als Amy und Julian sich zum ersten Mal begegnen, ist es Liebe auf den ersten Blick, doch ein tödliches Geheimnis droht ihr Glück zu zerstören. Nach einer traumatischen Beziehung will Amy in einer neuen Stadt, an einer neuen Schule nochmal von vorn anfangen. Doch die Demütigung durch ihren Ex Liam hat sie tief verletzt. Amy wird von Misstrauen und Selbstzweifeln geplagt. Von ihren Eltern fühlt sie sich unverstanden. Als sie Julian kennen lernt, scheint sich ihr Leben endlich zum Guten zu wenden. Bei ihm erfährt sie was Liebe ist. Doch Julian ist nicht der, der er vorgibt zu sein. Eine gefährliche Lüge droht ihre Liebe für immer zu zerstören.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Inhalt
Impressum
Über das Buch
Über mich
Triggerwarnung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
Epilog
Impressum
Dieses Werk ist reine Fiktion. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, sowie Schauplätze sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle darin beschriebenen Vorkommnisse sind frei erfunden, ebenso wie die Städte New Town und Blue Water.
2. Auflage, überarbeitet
© / Copyright 2021
Janina Schlick
Georgstraße 29
86316 Friedberg
Erschienen bei Tolino Media
Tolino Media GmbH & Co. KG
Albrechtstr. 14
80636 München
Cover: Kiwibytes Buchdesign | kiwibytesdesign.de Buchsatz: Rauschgold Coverdesign | rausch-gold.com
Über das Buch
Als Amy und Julian sich zum ersten Mal begegnen, ist es Liebe auf den ersten Blick, doch ein tödliches Geheimnis droht ihr Glück zu zerstören.
Nach einer traumatischen Beziehung will Amy in einer neuen Stadt, an einer neuen Schule nochmal von vorn anfangen. Doch die Demütigung durch ihren Ex Liam hat sie tief verletzt. Amy wird von Misstrauen und Selbstzweifeln geplagt. Von ihren Eltern fühlt sie sich unverstanden. Als sie Julian kennen lernt, scheint sich ihr Leben endlich zum Guten zu wenden. Bei ihm erfährt sie, was Liebe ist. Doch Julian ist nicht der, der er vorgibt zu sein. Eine gefährliche Lüge droht ihre Liebe für immer zu zerstören.
Über mich
Ich bin Janina, 25 Jahre alt und hab Bücher schon geliebt, bevor ich selber lesen konnte. Seit der zweiten Klasse schreibe ich eigene Geschichten. Das Schreiben ist für mich in den letzten Jahren mehr und mehr zu einer Leidenschaft geworden, die ich neben meinem Beruf als Gärtnerin ausübe.
Fighting for you ist der erste Band meiner Reihe Fighting for love.
Falls ihr euch mit mir über Bücher und das Schreiben austauschen möchtet, findet ihr mich auf Instagram unter dem Namen @Janina.is.reading.
Triggerwarnung
Das Buch handelt von Drogenhandel und Bandenkriminalität. Es enthält Gewaltszenen.
1. Kapitel
Amy hörte die aufgebrachten Stimmen schon als sie die Treppen hinunterging. Seufzend betrat sie die Küche.
„Es ist eure Schuld“, klagte Kate, während sie mit einem Löffel in ihrem Joghurt rührte, „Ihr musstet ja unbedingt das Haus in New Town verkaufen.“
„Ach Kate.“ Mom wischte sich einen Fussel von der Bluse. „Wie oft hatten wir diese Diskussion schon? Ich bin es wirklich leid, mir immer dieselben Vorwürfe anhören zu müssen.“
„Hey Mom“, sagte Amy, unsicher ob es nicht besser war gleich wieder zu verschwinden.
„Amy.“ Ein Lächeln erschien auf Moms Lippen. „Was möchtest du zum Frühstück?“
„Ich mach mir selber was.“ Amy holte einen Teller aus dem Schrank, bestrich einen Toast dick mit Schokocreme und setzte sich Kate gegenüber an den Tisch. Die würdigte sie keines Blickes.
„Mom ich ...“, setzte Kate an.
„Wir sind jetzt fertig mit dem Thema. Wenn es dir hier nicht gefällt, kannst du jederzeit ausziehen.“
„Zu Marc etwa? Niemals. Seine Mutter ist ein Albtraum.“ Angewidert verzog Kate das Gesicht. Amy biss in ihren Toast und konzentrierte sich auf den schokoladigen Geschmack in ihrem Mund. Warum konnten diese ewigen Streitereien nicht endlich aufhören? Warum konnte Kate nicht akzeptieren, dass sie jetzt hier lebten? Früher hatte Amy sich immer gewünscht, in Grannys und Grandpas Haus zu wohnen und jetzt waren sie hier. Manchmal glaubte sie sogar, noch Grannys Parfüm zu riechen.
Dad platzte in die Küche, wie immer in Anzug und Krawatte. „Morgen“, murmelte er und schnappte sich einen Schokomuffin, „Ich muss gleich los. Hab heute ein wichtiges Meeting.“
„Willst du nicht mal zusammen mit deiner Familie frühstücken?“, fragte Mom in vorwurfsvollem Ton.
„Du weißt doch, dass ich viel zu tun hab“, entgegnete er mit Blick auf sein Handy. Es tat weh zu sehen, dass er sich offensichtlich kaum für seine Familie interessierte.
„Das liegt an dieser Stadt“, raunte Kate ihr zu. Genervt von Kates ständigen Versuchen sie auf ihre Seite zu ziehen, schenkte Amy sich Orangensaft ein.
Dad stürmte, seine Aktentasche unterm Arm, aus der Küche und wenige Augenblicke später startete der Motor seines Wagens. Kopfschüttelnd blickte Mom ihm hinterher. Sie schüttete ihren Kaffee, der inzwischen eiskalt sein musste, hinunter und hängte sich ihre Handtasche über die Schulter.
„Ich fahr jetzt ins Büro. Im Kühlschrank ist noch Lasagne für heute Mittag. Macht euch einen schönen Tag.“ Sie rang sich ein Lächeln ab.
„Bis später Mom“, sagte Amy. Kate gab nur ein mürrisches Schnauben von sich.
Amy seufzte traurig und nahm einen Schluck von ihrem Orangensaft. Dabei entging ihr Kates lauernder Blick nicht.
„Warum sagst du eigentlich nie was?“ Kate stand auf und stützte ihre Hand links von ihr auf der Tischplatte ab. „Du sitzt auf deinem Stuhl, als würde dich das alles nichts angehen. Mom und Dad sind nur noch mit sich selbst beschäftigt. Für uns interessieren sie sich gar nicht mehr. Es stört sie nicht, dass wir hier unglücklich sind.“
„Was soll das? Warum ziehst du mich da mit rein? Von mir bekommst du sicher keine Bestätigung“, entgegnete Amy ein wenig trotzig.
„Du kannst dich nicht überall raushalten. Oder gehörst du etwa nicht zur Familie?“
„Ach Kate, ich …“ Um sich Zeit zu verschaffen, biss sie von ihrem Toast ab, doch Kate ließ sie sowieso nicht zu Wort kommen. Sie knallte ihren mit Joghurt verschmierten Löffel auf den Tisch. „Was? Werden wir jetzt endlich erfahren was die liebe Amy denkt? Oder bin ich nicht gut genug für deine Meinung?“ Kates Blick drückte pure Provokation aus.
Amy sprang auf und rannte zur Haustür. Heute würde sie Kate keine Gelegenheit geben mit ihr zu streiten.
Eilig ließ sie die kleine gelbe Villa mit den Marmorsäulen vor dem Eingang hinter sich. Ohne darüber nachzudenken, steuerte sie den Süßigkeitenladen gegenüber an.
Kurze Zeit später machte Amy sich mit einer Tüte Gummibärchen in der Hand auf den kurzen Weg in den kleinen Park und setzte sich auf den kühlen Rand des Springbrunnens. Sie riss die Tüte auf und fischte die roten Gummibärchen mit Himbeergeschmack heraus. Kate hatte das früher immer für sie gemacht. Damals waren sie noch Schwestern gewesen. Mehr als das. Sie waren beste Freundinnen gewesen. Fast jedes Wochenende hatten sie zusammen mit Mom und Dad Granny und Grandpa besucht. Damals waren sie noch eine richtige Familie gewesen, doch dann war Granny gestorben. Ein Schlaganfall. Es kam ganz plötzlich. Keine Zeit für einen Abschied. Nach ihrem Tod war nichts mehr wie zuvor. Wenn sie mit Mom und Dad Grandpa besuchten, nahm er sie kaum wahr. Auch Kate wurde immer ernster und stiller, so als hätte sie mit ihrer Kindheit abgeschlossen. Sie hatte sich verändert. Sie alle hatten sich verändert.
***
Amy knüllte die leere Tüte zusammen und machte sich auf den Weg ins Stadtzentrum. Kurz überlegte sie, zum Strand zu gehen. Sie könnte sich eine Weile in den Sand setzen und dem Rauschen der Wellen zuhören, aber dann entschied sie sich doch dagegen. Die Hektik einer Großstadt würde sie eher von ihren düsteren Gedanken ablenken.
Es war früher Vormittag und langsam kam Leben in die Stadt. Die Cafés füllten sich mit lachenden schwatzenden Menschen, nach und nach öffneten alle Geschäfte. Aus geöffneten Fenstern drangen Stimmen und Musik. Amy legte den Kopf in den Nacken und blickte hoch zu den Wolkenkratzern, die um diese Zeit noch angenehme Schatten warfen. Sie fühlte sich frei zwischen all den fremden Menschen. Anonym. Anders als in New Town, wo jeder jeden kannte.
Nach einer Weile erreichte Amy den Bahnhof, ein großes graues Gebäude. Auf dem Vorplatz standen haufenweise Taxis. Menschen eilten aus dem Bahnhofsgebäude und nahmen sich ein Taxi oder standen wartend an den Bushaltestellen. Eine junge Frau im Businesslook eilte auf hohen Schuhe an ihr vorbei, einen kleinen Rollkoffer hinter sich herziehend, eine Gruppe halbwüchsiger Jungs machte sich laut lachend auf einer Bank breit.
Amy überquerte den Platz und drängte sich vorbei an gestressten Reisenden ins Bahnhofsgebäude. Sie wusste nicht, was genau sie hier suchte. Es war einfach die Neugier, die sie trieb. Schon als kleines Mädchen hatte sie belebte Orte wie Bahnhöfe und Flughäfen geliebt.
Amy setzte sich auf eine freie Bank und starrte auf die große hell erleuchtete Anzeigetafel, vor der sich die Menschen drängelten. In Fünfzehn Minuten fuhr ein Zug nach New Town. Kurz kam ihr der Gedanke, sich einfach in diesen Zug zu setzen und Emily einen Überraschungsbesuch abzustatten, da sie aber kein Geld bei sich hatte, kam das nicht in Frage. Sie würde noch genügend Gelegenheiten haben ihre beste Freundin zu treffen. Emily war die Einzige, die ihr in New Town noch geblieben war, nachdem sie all ihre Freunde verloren hatte und auf dem Schulhof nur noch geduldet wurde. Hoffentlich würde das auf der neuen Schule in Blue Water anders werden.
***
Nachdem sie eine Weile dort gesessen hatte, stand sie wieder auf und ging in Richtung Ausgang. Sie schlupfte durch die elektrische Tür und zwängte sich an einem Mann mit Koffer vorbei, hinter ihr drängelten die Leute. Amy stolperte und stieß mit jemandem zusammen. Geduckt wich sie zur Seite, doch ein Kerl, etwa in ihrem Alter, berührte sie leicht am Arm.
„Alles ok?“
„Äh … ich …“ Ihr Mund fühlte sich plötzlich staubtrocken an. Nervös fuhr sie sich mit der Zunge über die Unterlippe.
Aus großen grün-braunen Augen schaute er sie fragend an, die Lippen leicht geöffnet, als wollte er noch etwas sagen. Doch dann wandte er sich ab und war im nächsten Moment auch schon verschwunden. Noch immer wie erstarrt stand sie oben vor den fünf Stufen, die zum Platz hinunterführten. Die Menschen mussten ihr ausweichen, einige schimpften und schließlich wurde Amy an den Rand gedrängt, wo sie sich auf die oberste Stufe setzte.
Was war nur mit ihr los? Sie hatte sich nicht einmal entschuldigt. Diese außergewöhnlichen Augen und seine Berührung hatten etwas in ihr ausgelöst. Kurz dachte sie an seine Hand auf ihrem Arm. Er war ein Fremder und trotzdem war es ihr nicht unangenehm gewesen. Amy beschloss, nicht mehr daran zu denken. Wahrscheinlich sah sie ihn nie wieder.
***
Mom wirkte niedergeschlagen als sie am Abend von der Arbeit nach Hause kam. Sie warf ihre Handtasche in die Ecke und kam in die Küche.
„Was ist passiert?“, fragte Amy, die auf der Küchenzeile saß und einen großen Haselnusscookie aß, der mit Schokocreme gefüllt war.
Mom schüttelte nur den Kopf, während sie im Kühlschrank wühlte. Amy glaubte schon sie würde keine Antwort mehr bekommen, als sie ihr dann doch erzählte was vorgefallen war.
„Dein Vater hat mich heute im Büro angerufen. Er wird wieder nicht mit uns zu Abend essen.“ Seufzend nahm sie sich ein in Folie gewickeltes Sandwich aus dem Kühlschrank und machte sich daran es auszupacken. Amy wusste, dass Kate es sich am Nachmittag gemacht hatte, um später etwas zu essen zu haben, doch sie sagte nichts. Dank Dad ging es Mom schon mies genug, da wollte sie ihr nicht auch noch das Essen verderben.
„Warum kann es nicht wieder so werden wie früher?“, sagte Amy mehr zu sich selbst und legte den halben Cookie weg. Mom zuckte nur mit den Schultern. Es würde nie mehr so sein wie früher. Das wussten sie beide. Dad wollte Karriere machen, um jeden Preis. Die Familie schien ihm nichts mehr zu bedeuten.
Den Abend verbrachte Amy vor dem Fernseher. Es lief irgendeine Serie, die sie eigentlich nicht besonders interessierte. Alles was sie wollte, war Ablenkung. Aber den Streit unten im Erdgeschoss konnte sie nicht ignorieren. Kate beschwerte sich lautstark bei Mom, da sie ihr Sandwich gegessen hatte und Mom schimpfte mit Kate, da sie sich ständig über irgendetwas beschwerte und niemals zufrieden war.
Amy schaltete den Fernseher aus und zog sich die Decke über den Kopf, als könnte sie dadurch alles, was um sie herum geschah, ausblenden. Wenn es doch nur so wäre. Sie war es so leid Tag für Tag die Streitereien der anderen mit anzuhören. Zwei Wochen musste sie noch durchhalten. Dann würde das neue Schuljahr beginnen und sie wäre sowieso tagsüber nicht mehr zu Hause. Erst dann begann ihr neues Leben richtig. Sicher würde sie bald Freunde finden, mit denen sie sich abends und am Wochenende verabreden konnte, um der schlechten Atmosphäre in diesem Haus zu entkommen. Bestimmt würde alles besser werden, wenn sie erst mal an der Blue-Water-High-School war.
Schließlich wurde es ruhig und im gesamten Haus gingen die Lichter aus. Amy lag hellwach im Bett und schaute hoch an die Decke. Vor ihrem inneren Auge tauchte der Typ vom Bahnhof auf. Mit einem Lächeln auf den Lippen sah er sie an. Amy wollte etwas sagen, doch ihr Kopf war plötzlich wie leergefegt. Sie versank in seinen dunklen Augen. Er beugte sich zu ihr hinunter ...
2. Kapitel
Julian schlug die Decke zurück und quälte sich aus dem Bett. Helle Sonnenstrahlen fielen durch die Ritzen der Jalousie ins Zimmer. Wieder hatte er den kompletten Vormittag verschlafen.
Er öffnete die Rollläden und das kleine Fenster. Stickige Luft kam ihm entgegen, vermischt mit dem Gestank der Müllsäcke, die sich unten am Straßenrand türmten. Da sowieso nur schlechte Luft hereinkam, schloss er das Fenster wieder, schlupfte in seine hellblaue verwaschene Jeans und fischte irgendein T-Shirt aus dem Schrank. Die Turnschuhe fand er unter dem Bett.
Im Wohnzimmer herrschte Chaos. Überall lagen leere Plastikverpackungen herum. Über dem Sofa hingen Daniels schmutzige Pullis. In seinem Zimmer sah es vermutlich genauso aus. Daniel war ein unordentlicher Mensch, aber Julian störte es nicht.
Nach einem kurzen Frühstück, bestehend aus einer Scheibe Toast mit Erdnussbutter und einem Glas Saft, verließ Julian die Wohnung und trat hinaus auf die Straße. Er wusste, wo er Daniel und die anderen finden würde.
Es war wieder einmal unerträglich heiß und Julian freute sich auf die kühle Fabrikhalle, in der sich die Mitglieder der Blue Killers regelmäßig trafen, um sich die Zeit zu vertreiben und Neuigkeiten auszutauschen. Irgendjemand war immer da.
Julian trat durch das Tor und überquerte den ehemaligen Parkplatz. Die weißen Linien waren kaum noch zu erkennen, Unkraut spross aus den Rissen im Asphalt. Das gesamte Gelände war von einem rostigen Maschendrahtzaun umgeben, der mehrere große Löcher aufwies. Einer der beiden Schornsteine des Fabrikgebäudes war halb eingestürzt. Die bunten Graffitis, die hier überall das Straßenbild bestimmten, zierten auch die grauen Wände der Fabrik.
Aus dem Inneren drang Gelächter nach draußen, das schwere Stahltor war wie immer geöffnet. In der Halle war es angenehm kühl und dämmrig. Nur wenig Licht fiel durch die schmalen hochliegenden Fenster. Bei seinem ersten Besuch war Julian fasziniert gewesen von der unheimlichen Atmosphäre des Gebäudes. Als kleiner Junge hätte er sicher gern an einem solchen Ort gespielt.
Daniel und Jackson saßen auf der alten grünen Couch, aus deren Rissen der Schaumstoff quoll, beide eine Dose Bier in der Hand. Mit der Zigarette im Mundwinkel und der Narbe unter dem linken Auge hätte man Jackson leicht für den Anführer der Gang halten können.
Daniel grinste Julian frech an. „Na, auch schon aufgestanden?“
„Du hättest mir ruhig ein bisschen mehr zu essen dalassen können“, entgegnete Julian und ließ sich aufs Sofa fallen. Jackson reichte ihm eine Bierdose. Julian öffnete sie und setzte zum Trinken an, als sich eine warme Hand auf seine Schulter legte.
„Hi Julian“, hörte er Avas Stimme, „Ich hab dich gestern vermisst.“
Sie kletterte über die Lehne und setzte sich so dicht neben ihn, dass ihre Beine sich berührten. Julian rutschte an den Rand des Sofas, was Ava nicht daran hinderte, ihm eine Hand mit knallrot lackierten Nägeln aufs Knie zu legen.
„Lass den Scheiß“, sagte er und nahm einen Schluck Bier.
Ava legte ihm in einer verführerischen Geste eine Hand auf die Brust und lehnte sich an ihn. „Du warst doch nicht etwa bei Madison. Sie war gestern nämlich auch nicht da.“ Ein drohender Unterton lag in ihrer Stimme.
Genervt schob er ihre Hand weg. „Und wenn es so wäre? Braucht dich doch nicht zu interessieren.“
Empört sprang Ava vom Sofa auf. „Es interessiert mich sehr wohl, dass du ihr in den letzten Wochen ständig auf die Brüste gestarrt hast und das vor meinen Augen.“
Julian stöhnte genervt auf, drückte die inzwischen leere Bierdose zusammen und ließ sie einfach auf den Boden fallen.
„Du benimmst dich ja als wären wir verheiratet. Was geht es dich an, mit welcher Frau ich schon was hatte?“
„Du wusstest, dass ich in dich verliebt war.“
„Ich war aber nicht in dich verliebt und das bin ich auch jetzt nicht.“
Ava saß in sich zusammen gesunken auf dem Sofa. „Du bist ein Arschloch. Du spielst nur mit den Gefühlen der Mädchen. Genau wie Jackson.“ Mit einem wütenden Funkeln in den Augen starrte sie die beiden an. Jackson grinste sie nur unverschämt an. Julian setzte seine gleichgültige Miene auf. Es war nichts Neues, dass Ava ein solches Theater veranstaltete, aber das würde vorbeigehen.
Julian erhob sich vom Sofa. „Ich hab noch was zu erledigen. Wir sehen uns später.“ Er verließ die Halle und das Gelände. Vor dem Tor blieb er stehen. Mit zusammengekniffenen Augen schaute er zum Himmel. Die Sonne stand schon hoch. Eigentlich wäre es das Beste nach Hause zu gehen, die Rollläden runterzulassen und sich mit einer Tüte Chips vor den Fernseher zu setzen. Als ihm einfiel, dass er genau das auch in den letzten Tagen gemacht hatte, entschied er sich spontan, in die Stadt zu gehen. In der Nähe des Bahnhofs gab es einen kleinen Park, in dem sich meistens Jugendliche trafen. Dort konnte er ungestört nachdenken.
Trotz der Hitze waren die Straßen voller Menschen. Doch das störte Julian nicht. Im Gegenteil. Er liebte die Anonymität der Großstadt. Niemand wusste wer er war und wie er seinen Tag verbrachte.
Bei der erstbesten Gelegenheit war er aus New Town weg gegangen. Und das nicht nur, weil ihm das langweilige Kleinstadtleben auf die Nerven ging. Er hatte es einfach nicht mehr ausgehalten mit seinem Vater Mike zusammen zu leben, der jeden Morgen betrunken aus der Kneipe zurückkam und fluchend durch die Wohnung polterte, immer auf der Suche nach einer weiteren Flasche Schnaps. Der Gestank nach Schnaps war ein Teil von Julians Leben. Auch das Chaos störte ihn nicht. Das Schlimmste war Mike selbst. Julian hatte die meiste Zeit mit Freunden im nahe gelegenen Park verbracht, um Mike nicht über den Weg zu laufen. Erst spät abends war er nach Hause gekommen und gleich ins Bett gegangen. Das Zimmer hatte er sich mit seinem Bruder Logan geteilt. In den Wochen vor Julians Abreise war er seltsam in sich gekehrt gewesen. Julians Annäherungsversuche hatte er abgewehrt. Was auch immer ihn quälte, er wollte es nicht teilen. Als Logan anfing, genau so viel trinken wie Mike und sich immer mehr zurückzog, war für Julian endgültig Schluss gewesen. Und so war er in Blue Water gelandet. Durch Daniel war er in Kontakt mit den Blue Killers und Brandon gekommen. Alle Bemühungen einen vernünftigen Job zu finden, waren gescheitert. Ohne Daniel hätte er kein Dach über dem Kopf gehabt. Ihm war garnichts anderes übrig geblieben als sich der Gang anzuschließen. Brandon beschützte Julian und zahlte gut für die Deals. Es war nicht das, was Julian gewollt hatte als er aus New Town weg gegangen war, aber es war ein einfaches Leben.
Er überquerte die Straße und steuerte auf den Park zu. Junge Menschen saßen in Gruppen auf dem Rasen oder lagen ausgestreckt auf Decken. Manche sangen und lachten, andere saßen einfach nur da und starrten ins Leere. Hier trafen sich die Kaputten, die Zerbrochenen.
Julian suchte sich eine freie Bank, setzte sich auf die Lehne und stützte die Füße auf die Sitzfläche. Gedankenverloren zupfte er Splitter aus dem spröden Holz und zerbrach sie zwischen seinen Fingern.
Wie sich sein Leben wohl entwickelt hätte, wenn seine Mutter nicht gestorben wäre? Carmen Ramirez. Sie war eine schöne Frau gewesen und voller Lebensfreude. Als sie klein gewesen waren, hatte sie ihnen immer Geschichten aus ihrer Heimat Mexiko erzählt und leckere Gerichte gekocht. Julian lächelte, als er daran dachte wie sehr Mike sich immer darüber geärgert hatte, dass sie mit ihm und seinen Geschwistern Spanisch sprach. Seine Mutter war eine Optimistin gewesen, die es verstand ihre wahren Gefühle, ihre Ängste und Sorgen zu verbergen. Wenn sie doch nur geahnt hätten, was wirklich in ihr vorging.
Mit ihrem Tod änderte sich alles. Mike, der schon immer viel getrunken hatte, war zum Alkoholiker geworden, Charlie, die Älteste musste sich um den Haushalt und um ihn und Logan kümmern und nebenbei zur Schule gehen. Für den damals neunjährigen Julian war die acht Jahre ältere Charlie fast so etwas wie eine Ersatzmutter gewesen, doch nur ein Jahr später ging auch sie. Eines Morgens war sie plötzlich verschwunden, ebenso wie der Inhalt ihres Kleiderschranks und der pinke Koffer. Das war nun elf Jahre her und seitdem hatte niemand mehr etwas von ihr gehört. Niemand wusste wohin sie gegangen war. Es war als hätte sie nie existiert.
Sein Magen knurrte. Außer dem Toast am Vormittag hatte er heute noch nichts gegessen. In seiner Hosentasche klimperten ein paar Münzen. Das musste für ein großes dickbelegtes Sandwich reichen.
Er stand von der Bank auf und ging hinüber zum Bahnhofsgebäude, einem hässlichen grauen Klotz mit fleckiger Fassade. Kurz bevor er eine der elektrischen Türen erreichte, durch die sich die Reisenden drängten, stieß er mit einem Mädchen zusammen. Sie rannte direkt in ihn hinein und wandte sich gleich wieder ab.
Julian berührte sie leicht am Arm. „Alles okay?“, fragte er, da sie ein wenig verwirrt wirkte. Doch statt einer Antwort starrte sie ihn bloß an. Er versank in ihren meerblauen Augen. Seine Finger auf ihrer Bluse kribbelten. Verstört über seine seltsame Reaktion, ließ er sie stehen und quetschte sich durch die Tür.
Daniel war nicht in der Wohnung als er eine Stunde später heimkam. Wahrscheinlich saß er noch mit Jackson und Ava in der Fabrikhalle. Sicher waren noch andere dazu gekommen, aber das war Julian im Moment egal. Er war verschwitzt und müde.
Nach einer kalten Dusche ging er in sein aufgeheiztes Zimmer. Verdammt! Warum hatte er die Rollläden nicht unten gelassen? Leise fluchend ließ er sich aufs Bett fallen. Er hob die dünne durchgelegene Matratze ein Stück an und tastete nach dem Buch, das darunter lag. Es war ein etwas älterer Reiseführer von Mexiko. Vom vielen Blättern waren die Ecken abgenutzt und die Seiten voll mit Fettflecken. Heute konnte Julian sich nicht aufs Lesen konzentrieren. Immer wieder verschwammen die Buchstaben vor seinen Augen. Stattdessen sah er das Mädchen vom Bahnhof. Sie hatte ihn angesehen als wäre er etwas Besonderes. Er schüttelte den Kopf. Er und etwas Besonderes! Warum dachte er über ein fremdes Mädchen nach? Sie hatte nichts mit seinem Leben zu tun. Er war und blieb ein Blue Killer, ein Gangster, ein Drogendealer. Außerdem würde er sie sowieso nie wiedersehen.
3. Kapitel
Amy schlupfte gerade in ihre hellblaue Lieblingsjeans, als es schon an der Tür klingelte. Schnell band sie ihre dicken Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, stürmte die Treppe hinunter und öffnete die Haustür.
„Hi Amy.“ Emily schloss sie fest in die Arme. Seit dem Umzug letzten Monat hatten sie sich nicht mehr gesehen.
„Schön, dass du da bist.“ Amy hängte sich ihre Tasche um. „Wir können gleich los.“
„Hast du dich schon eingelebt?“, fragte Emily und steckte sich eine Handvoll gebrannte Mandeln in den Mund. Die Freundinnen spazierten durch den nahe gelegenen Park. Amy lächelte und schaute auf die Wolkenkratzer und die vielen Menschen um sie herum. „Ich hab das Gefühl all die Jahre etwas verpasst zu haben während ich in diesem verschlafenen Nest saß. Dabei hätte ich einfach nur in den Zug steigen und hierherkommen müssen.“
„New Town fehlt dir gar nicht“, stellte Emily fest.
„Nein. Es liegt nicht an New Town. Es ist… nicht so wichtig.“
„Ich weiß schon. Tut mir leid.“
Emily hielt ihr die Mandeltüte hin. Amy nahm die letzte Mandel heraus.
„Kate vermisst es. Sie beschwert sich jeden Tag darüber, dass wir umgezogen sind.“
„Warum zieht sie nicht aus?“
„Sie würde am liebsten wieder nach New Town ziehen. Aber zu Marc will sie nicht. Sie hat ein Problem mit seiner Mutter. Ich weiß garnicht was sie an Blue Water so schlimm findet. Sie hat es jetzt näher zur Uni als sonst.“
In den vergangenen zwei Wochen hatte sich nichts an Kates schlechter Stimmung geändert. Ob sie sich jemals an ihr neues Leben gewöhnen würde?
Emily und Amy setzten sich auf eine Bank nahe des Fußballplatzes und sahen ein paar Kindern beim Spielen zu. Sie waren so sehr in ihr Spiel vertieft, dass sie die beiden Zuschauerinnen nicht bemerkten. Die hatten es gut. Am liebsten hätte Amy auch einfach alles vergessen, doch die Gedanken an die schwierige Situation zu Hause hatten sie fest im Griff. Und die Einzige, der sie sich anvertrauen konnte, war Emily. Ob sie an der neuen Schule auch eine so gute Freundin finden würde? In drei Tagen fing das neue Schuljahr an und Amy wusste nicht, ob sie sich freuen oder Sorgen machen sollte. Einerseits war die neue Schule eine Chance, die sie nutzen musste, doch andererseits konnte so viel schiefgehen. Was, wenn sie in den Pausen wieder allein dastehen würde? Wie damals nach der Trennung von Liam. Schluss jetzt! ermahnte sie sich. Es nützte nichts, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Es musste einfach gutgehen.
Amy zuckte zusammen als der Fußball an den hohen Maschendrahtzaun donnerte, der das Spielfeld umgab.
„Alles ok?“ Emily sah sie besorgt an.
Amy nickte bloß.
„Beschäftigt dich was?“
„Ich hab nur gerade an die neue Schule gedacht. So etwas wie in New Town halte ich nicht nochmal aus.“
Emily zerknüllte die leere Papiertüte und schaute unsicher zu Amy. Die antwortete mit einem fragenden Blick.
„Ich muss dir etwas über Liam sagen“, begann Emily, „Es wird dich sicher interessieren.“
Beschämt musste Amy sich eingestehen, dass es sie tatsächlich interessierte. Auch, wenn es immer noch wehtat an ihn zu denken.
„Hat es mit mir zu tun?“, fragte Amy mit fester Stimme. Sie wollte nicht zeigen, wie sehr das, was Liam ihr angetan hatte, sie immer noch belastete. Nie würde sie diesen schrecklichen Tag vergessen. Eine Woche vor ihrem ersten Jahrestag war Schluss gewesen. Seine Begründung: Er empfand nichts mehr für sie. Mehr wollte er dazu nicht sagen. Keine Erklärungen. Kein „Lass es uns noch einmal versuchen.“ Er hatte sie einfach weggeworfen wie ein altes Kleidungsstück. Liam, der Junge, mit dem sie so glücklich gewesen war. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, war er eine Woche später eng umschlungen mit Monica Hamilton durch den Flur der Schule spaziert. Es war die schlimmste Demütigung ihres Lebens gewesen. Auch heute, fast vier Monate später, tat es noch weh daran zu denken.
„Er hat es mit Monica genauso gemacht wie mit dir“, erzählte Emily knapp.
Erstaunt blickte Amy ihre Freundin an. Dann schüttelte sie ungläubig den Kopf. „Er ist und bleibt ein Mistkerl.“
Emily legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. „Ich kann verstehen, dass du wütend bist. Aber Monica hat es verdient.“
Amy schwieg. Sie konnte immer noch nicht fassen, dass sie sich so sehr in Liam getäuscht hatte. Blind vor Liebe hatte sie nicht bemerkt, dass in ihrer Beziehung etwas nicht stimmte. Bis zum letzten Tag war sie glücklich mit ihm gewesen.
„Es tut mir leid“, sagte Emily, „Ich hätte nicht über ihn sprechen dürfen.“
„Lass uns gehen“, bestimmte Amy und erhob sich. Sie musste dringend auf andere Gedanken kommen und sie wusste auch wie sie das anstellen würde.
***
Der salzige Duft des Meeres stieg Amy in die Nase. Kinder rannten fröhlich lachend durch den Sand. Sie liebte den Strand. In den letzten beiden Wochen war sie fast täglich hier gewesen, nur um dem Meeresrauschen und dem Gewirr aus Stimmen zu lauschen und zu beobachten wie sich die Wellen am Strand brachen.
Emily und sie suchten sich einen freien Platz zwischen den eng beieinander liegenden Menschen und setzten sich nebeneinander in den Sand. Schweigend schauten sie aufs Meer. Wie immer, wenn sie am Strand saß, spürte Amy wie sie ruhiger wurde. Ihre Wut auf Liam verflog. Dafür tauchte ein anderes Bild vor ihrem inneren Auge auf. Sie sah ihn. Seine schwarzen Haare, diese außergewöhnlichen grün-braunen Augen, die sie für wenige Sekunden interessiert musterten. Dann war er wieder verschwunden.
Amy war verwirrt. War er wirklich interessiert gewesen? Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Wie konnte sie überhaupt an irgendeinen Mann denken – noch dazu an einen völlig fremden – nachdem Liam sie so sehr verletzt hatte?
„Amy, hörst du mir gar nicht zu?“
Erschrocken blickte Amy auf. „Was ist denn los?“
„Ich will mir eine Cola mit Eiswürfeln holen. Willst du auch was?“
Amy fiel ein, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Der Gedanke an ein kaltes Getränk bei der Hitze war verlockend.
Emily machte sich auf den Weg zu nächsten Strandbar. Gut, dass sie keine Gedanken lesen konnte. Sie würde sie für verrückt halten, wenn sie wüsste, dass sie ständig an einen fremden Mann dachte, dessen Namen sie nicht einmal kannte. Sie konnte es sich selbst nicht mal erklären.
Emily kam zurück und reichte ihr einen Becher. Amys Finger schlossen sich um das kühle Plastik.
„Wovon hast du vorhin geträumt?“, wollte Emily wissen und saugte an dem schwarzen Strohhalm.
„Hab ich doch gar nicht“, widersprach Amy, obwohl sie wusste, dass ihre beste Freundin sich nicht täuschen ließ.
„Doch, das hast du. Ich hab doch gesehen wie du rot geworden bist.“ Emily grinste. „Gibt es da jemanden?“
„Es gibt niemanden.“
„Wirklich nicht?“
„Emily, hör auf damit.“
„Du musst es mir nicht erzählen.“ Emily nahm den Strohhalm aus ihrer Cola und trank einen Schluck. „Obwohl es mich schon interessieren würde.“
Jetzt musste auch Amy grinsen. Emily war wirklich unglaublich neugierig. Würde sie diesen Kerl tatsächlich kennen, hätte sie ihr vielleicht sogar von ihm erzählt. Aber so blieb er nichts weiter als ein kurzes unbedeutendes Treffen, nur eine Erinnerung. Auch wenn er wahnsinnig attraktiv war.
Am späten Nachmittag begleitete Amy Emily zum Bahnhof. „Schön, dass du da warst.“
„Danke, dass du mich begleitet hast.“ Emily seufzte. „Ich bin so froh, wenn der Range Rover endlich wieder läuft.“ „Ich hoffe es für dich.“ Autofahren reizte sie nicht. Aber Emily liebte ihren Wagen. Dass er schon wieder in der Werkstatt war, setzte ihr sichtlich zu.
„Mach´s gut. Ich komm dich im neuen Schuljahr nochmal besuchen.“
„Dann gehen wir in dieses neue Café. Mr. Percy.“ Amy lächelte und umarmte ihre Freundin zum Abschied. Es tat gut zu wissen, dass es eine Person gab, mit der sie über alles reden konnte. Na ja, fast alles.
Als der Zug den Bahnhof verlassen hatte, machte Amy sich auf den Rückweg. Eigentlich hatte sie wenig Lust nach Hause zu gehen und sich dort wieder die ewigen Streitereien anzuhören. Spontan entschied sie, noch ein bisschen durch die Stadt zu schlendern. Sie kam am Rathaus und am Theater vorbei, zwei beeindruckenden historischen Gebäuden. Unzählige Restaurants und Imbissbuden verströmten verführerische Düfte in den Straßen. Ihr Magen fühlte sich hohl an. Sie träumte von einer dick mit Käse belegten Pizza. Leider hatte sie nicht daran gedacht mehr Geld mitzunehmen.
In Gedanken versunken entfernte sie sich immer weiter von der Stadtmitte, den vielen Geschäften und Wolkenkratzern. Die Gegend wurde immer düsterer. Heruntergekommene Wohnblocks und Müllsäcke bestimmten das Straßenbild. Außer ihr war kein Mensch auf der Straße. Amy fühlte sich zunehmend unwohl. Sie spürte die Blicke eines anderen Menschen im Rücken und sah sich panisch um. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, doch das Gefühl verfolgt zu werden, blieb. Als sie einen Schatten über die Hauswand huschen sah, stockte ihr der Atem. Ihr Puls raste.
Der Schatten verschwand und wenige Augenblicke später wurden Mülltonnen scheppernd umgestoßen. Sie hielt den Atem an und lauschte auf Schritte. Nichts. Plötzlich herrschte gespenstische Stille. Wo war sie hier? Amy schaute sich wieder um. Die Straße vor ihr war immer noch leer, doch sie spürte jetzt ganz deutlich die Anwesenheit einer anderen Person. Ihr wurde schlecht. Sie dachte an Horrorgeschichten von Menschen, die auf offener Straße erschossen wurden, nur weil sie sich in das falsche Viertel verirrt hatten. Wer auch immer sie beobachtete, hatte die Mülltonnen umgestoßen um sie zu warnen. In Gedanken sah sie schon eine dunkel gekleidete Gestalt den Lauf einer Pistole auf sie richten.
Amy drehte um und rannte bis sie die hässlichen düsteren Wohnblocks weit hinter sich gelassen hatte. Erst am Theater blieb sie stehen, um zu verschnaufen. Ihre Lungen brannten, Tränen liefen ihr über die Wangen. Ob man sie wirklich erschossen hätte? Es war eine blöde Idee gewesen in dieser unheimlichen Gegend herumzuschnüffeln. Ihre Neugier hatte sie beinahe das Leben gekostet. Sie schwor sich, nie wieder in diesen Teil der Stadt zu gehen.
Am Abend versuchte sie, die düsteren Gedanken mit einer romantischen Komödie zu vertreiben. In solchen Filmen war alles immer so einfach. Warum konnte das echte Leben nicht auch so sein? Amy starrte gebannt auf den Bildschirm und plötzlich sah sie ihn. Braune Augen mit grünen Sprenkeln. Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und küsste sie leidenschaftlich. Ein warmes Kribbeln lief durch ihren Körper. Wenn sie doch nur seinen Namen wüsste.
Das Knallen einer Tür im Erdgeschoss riss sie aus ihren Träumen. Sie berührte ihre Lippen und stellte enttäuscht fest, dass nicht sie geküsst worden war. Auf dem Bildschirm lief der Film weiter, aber sie schaute nicht mehr hin.
4. Kapitel
Die Sonne stieg hinter den Wohnblocks auf und warf ihr Licht in die dunklen leeren Straßen des Viertels. Julian öffnete das Fenster und ließ die kühle Morgenluft ins Zimmer. Er hörte das Rattern eines Güterzugs, der zwei Blocks weiter vorbeifuhr. Dann war es wieder still, bis auf das Bellen eines Hundes. Er schloss das Fenster wieder und ging in die Küche. In der Wohnung war es dunkel. Daniel schlief also noch. Julian schloss leise die Küchentür und kochte sich einen Kaffee. Den gestrigen Tag hatte er nach einer durchfeierten Nacht im Bett verbracht, weshalb er nun seit über drei Stunden auf den Beinen war. Für ihn war es ungewohnt so früh schon auf zu sein. Gewöhnlich stand er erst mittags auf.
Julian dachte an die Party am Donnerstagabend zurück. An das meiste erinnerte er sich nicht mehr. Er wusste nur, dass Jasons Wohnung aus allen Nähten geplatzt war. Alle Jugendlichen aus dem Viertel waren eingeladen gewesen und offensichtlich auch erschienen.
Wieder hatte er es mit dem Trinken maßlos übertrieben. Meistens war er so dicht, dass er nicht einmal sagen konnte, wie viel er überhaupt getrunken hatte. Jedes Mal schwor er sich, es nicht wieder zu tun und trotzdem betrank er sich auf jeder Party. Manchmal fragte Julian sich, warum er sich so schwer beherrschen konnte. Was reizte ihn am Betrinken so sehr? Das Vergessen? Kopfschüttelnd schenkte er sich eine zweite Tasse Kaffee ein.
***
„Es sind keine Eier mehr da“, beschwerte sich Daniel lautstark und schaute Julian an, der an einer Scheibe Toast kaute, „Du warst mit Einkaufen dran. Oder hast du wieder alles für Bier ausgegeben?“
„Oh man, Daniel. Mach dir keine Sorgen. Brandon hat den letzten Auftrag gut bezahlt. Ist heute irgendwas Besonderes?“
„Das weißt du nicht?“
Verwundert sah Julian ihn an. „Was Wichtiges?“
„Brandon will, dass wir heute Vormittag alle in die Fabrik kommen. Er will was mit uns besprechen. Ich hab es dir gestern gesagt.“
„Ist das dein Ernst? Du hättest warten sollen, bis ich wieder nüchtern bin.“
Daniel grinste spöttisch. „Du bist ja schon fast so schlimm wie Jackson.“
Nachdem Julian zum Supermarkt gelaufen war, um Eier für Daniels Frühstück zu kaufen, das dieser eilig hinunterschlang, machten sie sich auf den Weg zum Hauptquartier. Chloe, Madison und Jason saßen bereits auf der alten grünen Couch.
„Hey Julian!“, rief Jason, „Da bist du ja. Ich hab mir schon Sorgen gemacht, dass du bei irgendeinem Mädchen ans Bett gefesselt bist.“
Julian öffnete den Mund zu einer Antwort, aber Daniel war schneller. „Das wäre nicht schwer gewesen. Allerdings hätte sie nicht viel mit ihm anfangen können. Er war so besoffen, er wusste nicht mal mehr, wie er heißt. Seine Hose hätte er nie aufgekriegt.“ Er grinste schadenfroh. Jason lachte johlend. Die Mädchen kicherten.
„Du würdest doch nach drei Bechern Bier schon vom Stuhl fallen“, entgegnete Julian mit einem spöttischen Grinsen. Insgeheim wünschte er sich an einen anderen Ort. Vorzugsweise sein Bett.
Allmählich trafen die anderen ein. Ava setzte sich mit ihrer umgedrehten Kiste neben Julian und lehnte sich an ihn. „Lass den Scheiß.“ Er drückte sie grob von sich weg.
„Ach Julian. Du bist so ein Spielverderber.“ Sie schmollte. Julian war kurz davor, aufzuspringen und seine Kiste woanders hinzustellen, als Brandon die Halle betrat. Er strahlte eine Kälte aus, die Julian trotz der Hitze frösteln ließ. Augenblicklich war es still.
Mit großen Schritten durchquerte Brandon die Halle. Der durchdringende Blick seiner kalten hellen Augen blieb an jedem einzelnen von ihnen hängen. Alle waren da. Nur Jackson fehlte. Brandon ließ sich nichts anmerken, doch Julian wusste, dass er Jackson nicht einfach so davonkommen lassen würde. Zu einer Versammlung zu spät zu kommen, war an Respektlosigkeit kaum zu überbieten.
„Jason hat mir berichtet, dass gestern Nachmittag eine Fremde im Viertel war“, begann er, ohne auf Jacksons Fehlen einzugehen. „Jason hat sie verjagt, aber das ist nicht genug. Immer mehr Fremde verirren sich hier her.“ Er ließ den Blick durch die Reihe wandern, um zu prüfen ob auch jeder aufmerksam zuhörte. „Das darf nicht sein. Niemand, der nicht mit uns in Verbindung gebracht werden kann, hat hier etwas zu suchen. Wir wissen nicht ob ein möglicher Verräter unter ihnen ist. Das hier ist unser Gebiet. Deshalb müssen wir…“
Schritte waren von draußen zu hören. Alle Blicke richteten sich auf das Eingangstor, durch das Jackson die Halle betrat. Mit gesenktem Kopf joggte er zum Sofa und nahm sich eine Kiste.
„Es tut mir leid, ich…“ Mit einem düsteren Blick brachte Brandon ihn zum Schweigen und ließ ihn auch als er weiter redete nicht aus den Augen. Niemand wollte jetzt in Jacksons Haut stecken.
„Wir müssen unser Viertel schützen“, fuhr Brandon fort, „Und deshalb wird es ab sofort rund um die Uhr bewacht. Eine viel größere Gefahr als Touristen sind natürlich Dereks Leute. Ihr wisst alle, dass er unser Gebiet für sich beansprucht. Zeigen wir diesen widerlichen Parasiten, dass sie nicht die geringste Chance gegen uns haben.“
Er machte eine kurze Pause, ließ seine Worte wirken. Es herrschte Totenstille. Dann hallte wieder Brandons Stimme durch den Raum.
„Immer zwei von euch halten Wache. Tragt immer eure Pistolen bei euch und bewegt euch unsichtbar durch die Straßen. Wer etwas Verdächtiges sieht, meldet es mir sofort.“ Sein Blick schweifte durch die Reihen. Ein böses Grinsen umspielte seine schmalen Lippen. „Jackson!“ Der zuckte zusammen und riss den Blick von seinen Schuhen los. „Du und Julian, ihr fangt heute Abend damit an. Ist das klar?“
Allgemeines Nicken. Jackson presste die Lippen fest zusammen und blickte Brandon stur in die Augen.
„Steh auf!“, fuhr er ihn an. Als Jackson ein paar Sekunden zögerte, ergriff Brandon seinen Arm und riss ihn von seiner Kiste. Jackson stolperte, doch Brandon hatte ihn fest im Griff.
„Du kennst unsere Regeln.“
„Das tu ich, aber ich hab nicht vor, mich zu rechtfertigen“, entgegnete Jackson trotzig. Auf einmal herrschte Totenstille. Brandon verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Jackson lief knallrot an. Nur die helle Narbe leuchtete in seinem Gesicht.
„Das hat niemand verlangt und nach deiner Meinung hab ich dich auch nicht gefragt.“ Brandon griff nach der Pistole in seinem Gürtel. Julian hielt den Atem an. Er würde doch nicht… Nicht hier vor allen.
„Du weißt was du falsch gemacht hast. Und du weißt, was du jetzt zu tun hast.“ Mit einem bösen Funkeln in den Augen hielt Brandon ihm die Pistole an den Kopf. „Knie dich hier hin und schwör mir deine Treue.“
Jackson erstarrte. Eine schlimmere Demütigung konnte man sich kaum vorstellen.
Grob drückte Brandon ihn an den Schultern auf den Boden. Er ließ ihn im Dreck knien und den Treueeid der Blue Killers aufsagen. Julian sah, wie Jackson vor Wut und Scham zitterte. Es fiel ihm sichtlich schwer nicht die Beherrschung zu verlieren. Als er fertig war, lachte Brandon schallend. Das Echo hallte von den Wänden wider.
***
Jackson lief unruhig in der Halle auf und ab und raufte sich die Haare. „Verdammte Scheiße!“ Er trat in einen Haufen Schutt. Staub wirbelte auf und Steine flogen durch die Gegend. Julian, Jason und Daniel tauschten stumm Blicke aus. Sie saßen auf Kisten und tranken Bier. Jason zündete sich eine Zigarette an. Er lachte leise.
„Was gibt’s da zu lachen?“, rief Jackson, „Das hätte dir auch passieren können.“ Er baute sich vor Jason auf. „Also halt gefälligst dein Maul. Sonst musst du mir die Treue schwören.“
Jason stand auf. Er war einen Kopf kleiner als Jackson. „Du bist der größte Mistkerl im Universum.“
Jackson schnaubte daraufhin wütend.
„Jetzt hört auf damit.“ Julian zerdrückte seine leere Bierdose und legte Jackson freundschaftlich einen Arm um die Schulter. „Beruhig dich, Mann. Wenn bei der Nachtwache alles gut läuft, hat Brandon wieder einen Grund stolz auf dich zu sein.“
„Den werde ich ihm geben“, entgegnete Jackson fest entschlossen.
***
In der Wohnung aß er eine Kleinigkeit und dachte über Brandons Worte nach. Auch er war hier vor einigen Monaten einem Fremden begegnet. Jemand wie Brandon oder David, seine zweite Hand, hätte diesen Eindringling sofort erschossen, doch Julian war kein skrupelloser Killer. „Verschwinde hier“, hatte er gerufen und drohend seine Pistole auf den Fremden gerichtet. Der war sofort abgehauen. Getan hätte Julian ihm nichts. Die meisten verirrten Touristen kamen schnell von selbst darauf, dass sie hier nicht erwünscht waren.
Die Street Fighters waren dagegen eine echte Bedrohung. Auseinandersetzungen zwischen Dereks und Brandons Leuten endeten oft in blutigen Kämpfen mit Verletzten auf beiden Seiten. Jacksons älterer Bruder Mason war bei einem Messerkampf tödlich verletzt worden. Jackson wusste nicht, wer genau seinen Bruder getötet hatte, doch dieser Verlust hatte seinen Hass auf die Street Fighters noch weiter geschürt.
Um kurz vor zehn verließ Julian die Wohnung. Er trug ein blaues Stoffband am rechten Handgelenk, das Erkennungszeichen der Blue Killers. Die geladene Pistole steckte er in die Tasche seines Kapuzenpullis und umklammerte sie mit der linken Hand, während er möglichst leise die Treppen hinunterging. Er war bereit, sein Revier zu verteidigen.
Jackson wartete unten im Hauseingang. Sie begrüßten sich mit Handschlag und versteckten sich in einer schmalen dunklen Gasse zwischen zwei Wohnblocks. Das schwache Licht der Straßenlaterne reichte nicht bis hier her.
„Um die Zeit kommen doch sowieso keine Touristen her“, sagte Jackson in die Dunkelheit, „Außerdem, wer hat schon Angst vor denen? So einen Affen puste ich einfach weg.“
„Es geht hier ganz allein um die Street Fighters. Brandon hat was von Verrätern gesagt. Leute, die irgendwas mit den Street Fighters zu tun haben. Die geben sich als Touristen aus und tun so, als wären sie ahnungslos, aber in Wirklichkeit spionieren sie uns aus.“, sagte Julian und tastete nach der Pistole in seiner Tasche. Sein Gefühl sagte ihm, dass Brandon ihnen etwas verschwieg. Nie im Leben interessierte er sich für Urlauber. Das war doch lächerlich.
„So ein Schwachsinn. Dereks Arschlöcher geben sich nicht als Touristen aus. Die spazieren hier einfach rein und wenn sie das tun, knall ich sie ab.“ Fast liebevoll strich Jackson über den Lauf seiner Pistole.
Julian lehnte sich an die Wand. Er hatte Pläne für sein Leben gehabt. Einen Job und eine Wohnung finden. Ein neues Leben anfangen und genug Geld sparen, um irgendwann nach Mexiko zu fliegen. Dieser Traum war in weite Ferne gerückt als er sich vor zwei Jahren den Blue Killers angeschlossen hatte. Aber es war damals seine einzige Möglichkeit gewesen zu überleben.
„Was läuft eigentlich zwischen dir und Ava?“, fragte Jackson, „Sie ist doch scharf auf dich, oder?“
„Da läuft Garnichts“, entgegnete Julian genervt, „Sie will es nur nicht kapieren.“
„Du hast recht. Da verpasst du garnichts. Auf ihre Sabberküsse hätte ich auch gut verzichten können.“ Julian stimmte in sein Lachen mit ein, verstummte aber als ihm wieder einfiel warum sie hier waren.
„Auf der Party waren ein paar süße Mädels. Ich glaub ich hab eine flachgelegt.“
„Ganz bestimmt“, entgegnete Julian. Jackson war ein Aufreißer. Das wusste jeder, der ihn kannte. Wenn er auf einer Party nur mit einem Mädchen etwas hatte, war das schon ungewöhnlich. Seine Beziehungen waren nichts weiter als ein Spiel. Er nahm sich ein Mädchen, vergnügte sich eine Weile mit ihr und hielt dann Ausschau nach der Nächsten. Die Gefühle anderer interessierten ihn nicht. Für Julian kam es nicht Frage ein Mädchen so derb abzuservieren.
„Hab ich wohl“, sagte Jackson und lachte leise. Er wollte noch etwas sagen als plötzlich Schritte zu hören waren. Julian spürte wie sein Puls raste. Seine schweißnassen Hände umklammerten die Waffe in seiner Tasche. Er atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Falls es tatsächlich Männer der Street Fighters waren, musste er einen kühlen Kopf bewahren. Schon mehrmals war er in solche Kämpfe verwickelt gewesen und wusste, dass Nervosität und Angst ihn zu einem leichten Opfer machten.
Vorsichtig schlich Jackson an der Hauswand entlang und steckte den Kopf um die Ecke. Eilig zog er sich wieder zurück. Julian sah ihn fragend an. Jackson nickte und hielt zwei Finger hoch.
„Sie sind es“, wisperte er fast lautlos. Julian nickte ebenfalls, als Zeichen, dass er verstanden hatte. Jetzt durfte er nicht unüberlegt handeln.
Die Schritte kamen immer näher. Vor ihrem Versteck blieben sie stehen. Julian glaubte ihren Atem hören zu können. Wahrscheinlich würden sie heute Nacht nicht angreifen. Sie waren nur zu zweit und bestimmt nur da um diesen Teil des Viertels auszuspionieren. Vermutlich wollten sie sogar wissen, ob es bewacht wurde und wie viele Männer Wache hielten. In der Vergangenheit hatte Brandon immer wieder zwei von ihnen befohlen nachts das Viertel zu bewachen, wenn er Verdacht geschöpft hatte.
Ein leises Klicken war zu hören. Das Entsichern einer Waffe. Die Männer der Street Fighters wussten, dass sie hier waren. Während Julian noch darüber nachdachte, ob es klug wäre, ebenfalls seine Waffe zu ziehen, trat Jackson auf die Straße, Julian folgte ihm.
„Verschwindet!“, rief Jackson, „Das ist unser Revier!“
Ehe er sich versah, waren zwei geladene Pistolen auf ihn gerichtet. Julian zog nun ebenfalls seine Waffe und richtete sie auf die Angreifer. Eine stumme Warnung.
„Gebt uns zurück was uns gehört!“, schrie einer der Angreifer.
„Euch gehört garnichts!“, brüllte Jackson.
Ein Schuss krachte und zerriss die Stille der Nacht. Getroffen wurde niemand. Jackson hatte einen Warnschuss abgegeben. Doch die Männer der Street Fighters werteten das als Angriff und einer der beiden schoss ebenfalls. Die Kugel verfehlte Julian nur knapp. Er feuerte zurück und weitere Schüsse fielen. Ein paar Mal wurde in die Luft geschossen. Sie verschwenden Munition, dachte Julian, nur um uns Angst einzujagen? Er lehnte sich an eine Hauswand, hielt die Pistole fest umklammert. Seine Hände waren feucht. Angestrengt lauschte er. Schritte hallten von den Wänden wider, Hunde bellten, irgendwo weinte ein Baby, eine Frau schrie. Aber Schüsse fielen keine mehr. Verdammt! Wo war Jackson? Steckte er in Schwierigkeiten? Julian schaute sich um. Die Straße war leer. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Er traute sich nicht den Finger vom Abzug zu nehmen. Bestimmt stand gleich jemand hinter ihm und…
„Hey!“
Mit beiden Händen umklammerte Julian seine Pistole und richtete sie auf den Angreifer. Da sah er, dass es Jackson war.
„Sag mal spinnst du? Ich hätte dich grade fast abgeknallt.“
„Ich glaub du hast sie nicht mehr alle“, fuhr Jackson ihn an, „Ich“ – er schlug sich mit der flachen Hand auf die Brust – „Ich hab mich um die zwei Mistkerle gekümmert, während du dich hier versteckt hast. Ich hab ihnen gesagt, wenn sie sich nochmal hierher trauen, werde ich sie mit tausend Kugeln durchlöchern.“ Schwer atmend stützte er sich an der Wand ab.
„Jetzt komm mal runter“, verlangte Julian und strich sich die wirren Locken aus der Stirn. Ja, er hatte sich versteckt. Aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern. Jackson würde es verkraften. Er schien fast stolz darauf zu sein, dass er die Street Fighters allein vertrieben hatte.
„Warte erstmal ab was Brandon morgen dazu sagt.“
„Das sagst du so leicht. Aber eines verspreche ich dir. Irgendwann knall ich diese Schweine alle ab“, schrie Jackson, „Für dich Mason. Ich werde dich rächen!“
Sie gingen zurück in ihr Versteck. Schweigend saßen sie da. Beim kleinsten Geräusch griff Julian nach seiner Pistole, bereit sie zu benutzen. Doch es passierte nichts mehr. Es blieb ruhig in den Straßen. Julian wusste, dass sie nichts zu befürchten hatten. Das Viertel war fest im Griff der Gangs. Niemand würde die Polizei rufen. Zumindest niemand, der an seinem Leben hing.
Um zwei kamen David und Ryan um sie abzulösen.
„Morgen ist wieder Versammlung“, sagte David, „sagt den anderen Bescheid.“ Er klopfte Jackson auf die Schulter. „Und komm nicht wieder zu spät. Du weißt ja, dass Brandon nicht immer so freundlich ist wie heute.“
Froh, seine Schicht beendet zu haben, schleppte Julian sich die Treppen hinauf. Obwohl er todmüde war, wusste er, dass er in dieser Nacht wohl nicht mehr würde schlafen können.