Loving you: Dakota und Logan - Janina Schlick - E-Book
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Loving you: Dakota und Logan E-Book

Janina Schlick

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Beschreibung

Sie will ihre Vergangenheit hinter sich lassen. Er wird von seiner eingeholt. Als Dakota nach Blue Water kommt, will sie nochmal ganz von vorne anfangen. Nachdem ihr etwas Schreckliches zugestoßen ist, fällt es ihr schwer, sich anderen Menschen zu öffnen. Als sie Logan begegnet, leugnet sie zunächst die aufkommenden Gefühle. Doch seine einfühlsame und verständnisvolle Art macht es ihr schwer, sich ihm zu entziehen. Zum ersten Mal in ihrem Leben lernt sie, zu vertrauen und zu lieben. Doch als Logan in die Fänge einer Gang gerät und von seiner Vergangenheit eingeholt wird, steht nicht nur ihre Beziehung auf dem Spiel.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Impressum

Die­ses Werk ist rei­ne Fik­ti­on. Jeg­li­che Ähn­lich­kei­ten mit le­ben­den oder ver­stor­be­nen Per­so­nen, so­wie Schau­plät­ze sind zu­fäl­lig und nicht be­ab­sich­tigt. Alle dar­in be­schrie­be­nen Vor­komm­nis­se sind frei er­fun­den, eben­so wie die Städ­te New Town und Blue Wa­ter.

1. Auf­la­ge© Co­py­right 2021 Ja­ni­na SchlickGe­org­stra­ße 29, 86316 Fried­berg

Er­schie­nen bei To­li­no Me­diaTo­li­no Me­dia GmbH & Co. KGAl­brecht­str. 14, 80636 Mün­chen

Co­ver: Ki­wiby­tes Buch­de­sign, Ki­wiby­tes­de­sign.de

Lek­to­rat: As­trid Töpf­ner, Lek­to­rat Meer­wör­ter

Buch­satz: Con­stan­ze Kra­mer, Co­ver­bou­tique.de

Über das Buch

Sie will ihre Ver­gan­gen­heit hin­ter sich las­sen. Er wird von sei­ner ein­ge­holt.

Als Da­ko­ta nach Blue Wa­ter kommt, will sie noch­mal ganz von vor­ne an­fan­gen. Nach­dem ihr et­was Schreck­li­ches zu­ge­sto­ßen ist, fällt es ihr schwer, sich an­de­ren Men­schen zu öff­nen. Als sie Lo­gan be­geg­net, leug­net sie zu­nächst die auf­kom­men­den Ge­füh­le. Doch sei­ne ein­fühl­sa­me und ver­ständ­nis­vol­le Art macht es ihr schwer, sich ihm zu ent­zie­hen. Zum ers­ten Mal in ih­rem Le­ben lernt sie, zu ver­trau­en und zu lie­ben. Doch als Lo­gan in die Fän­ge ei­ner Gang ge­rät und von sei­ner Ver­gan­gen­heit ein­ge­holt wird, steht nicht nur ihre Be­zie­hung auf dem Spiel.

Über mich

Ich bin Ja­ni­na, 25 Jah­re alt und hab Bü­cher schon ge­liebt, be­vor ich sel­ber le­sen konn­te. Seit der zwei­ten Klas­se schrei­be ich ei­ge­ne Ge­schich­ten. Das Schrei­ben ist für mich in den letz­ten Jah­ren mehr und mehr zu ei­ner Lei­den­schaft ge­wor­den, die ich ne­ben mei­nem Be­ruf als Gärt­ne­rin aus­übe.

Falls ihr euch mit mir über Bü­cher und das Schrei­ben aus­tau­schen möch­tet, fin­det ihr mich auf Ins­ta­gram un­ter dem Na­men @Ja­ni­na.is.rea­ding.

Triggerwarnung

Das Buch ent­hält The­men, die trig­gern kön­nen: Dro­gen, Ge­walt, Se­xu­el­le Be­läs­ti­gung

1. Kapitel

Dakota

Das war ein Neu­an­fang. Sie spür­te es.

Da­ko­ta zog den schwe­ren Roll­kof­fer hin­ter sich her, als sie aus dem Zug stieg. Ihr gan­zes Le­ben be­fand sich in die­sem Kof­fer und dem al­ten zer­fled­der­ten Ruck­sack, des­sen Ge­wicht auf ihre Schul­tern drück­te. Je­den­falls al­les, was da­von noch üb­rig war. Nichts von dem, was sie in New York zu­rück­ge­las­sen hat­te, be­deu­te­te ihr et­was. Es war vor­bei. Ein für alle Mal. Von nun an wür­de sie nur noch nach vor­ne schau­en.

Ziel­stre­big bahn­te sie sich ih­ren Weg zwi­schen den Men­schen, die sich am Bahn­steig und in der gro­ßen War­te­hal­le dräng­ten. Ein flau­es Ge­fühl mach­te sich in ihr breit, als sie drau­ßen auf der Trep­pe stand und über den Platz vor dem Bahn­hofs­ge­bäu­de schau­te. Erst jetzt wur­de ihr so rich­tig klar, dass sie sich in ei­ner frem­den Stadt be­fand. Nie­mand wür­de ihr hel­fen. Nein, nie­mand durf­te ihr hel­fen. Das wür­de sie nicht zu­las­sen. Sie wür­de es al­lein schaf­fen.

Ihr Blick fiel auf die Ta­xis, die in ei­ner Rei­he vor­ne an der Stra­ße stan­den. Ei­ni­ge Fah­rer wa­ren aus­ge­stie­gen und be­ob­ach­te­ten die vor­bei­lau­fen­den Men­schen, in der Hoff­nung, einen Kun­den zu ge­win­nen.

»Brau­chen Sie ein Taxi?«, rief ihr ein weiß­haa­ri­ger Mann mit ei­ner Zi­ga­ret­te im Mund zu. Da­ko­ta dreh­te sich weg und be­schleu­nig­te ihre Schrit­te. Ein Taxi konn­te sie sich nicht leis­ten. Ei­gent­lich konn­te sie sich gar nichts leis­ten. Nicht mal ein Dach über dem Kopf, aber das wür­de schon ir­gend­wie ge­hen. Hier einen Job zu fin­den, dürf­te nicht all­zu schwer sein.

Als sie den Bahn­hof ein Stück hin­ter sich ge­las­sen hat­te, fiel ihr ein klei­ner Park auf. Ei­gent­lich war es nur eine Wie­se, auf der ein paar Men­schen in Grup­pen zu­sam­men­sa­ßen. Sie such­te sich eine freie Bank und stell­te mit ei­nem er­leich­ter­ten Seuf­zer den schwe­ren Trol­li ne­ben sich ab. Sie steck­te ihre lin­ke Hand in die Ta­sche ih­res schwa­r­zen Rocks und um­klam­mer­te den Zet­tel. Das war al­les, was sie hat­te. Nur eine Adres­se und eine Han­dy­num­mer.

Mit zit­tern­den Fin­gern hol­te sie den Zet­tel aus ih­rer Ta­sche und fal­te­te ihn aus­ein­an­der. Lan­ge starr­te sie die Adres­se an, die sie längst aus­wen­dig konn­te. Sie wuss­te so­gar ganz ge­nau, wo sie hin muss­te. Den Weg hat­te sie sich auf Goo­gle Maps min­des­tens hun­dert­mal an­ge­schaut, sich die Ge­bäu­de ein­ge­prägt und war ihn in Ge­dan­ken mehr­mals ab­ge­lau­fen. Da­mit sie bloß nie­man­den nach dem Weg fra­gen muss­te.

Ich schaf­fe das al­lein. Ich bin von nie­man­dem ab­hän­gig. Im­mer wie­der sag­te sie die­se Wor­te in ih­ren Ge­dan­ken auf. Sie wuss­te, sie wür­de es schaf­fen. Hier, weit weg von ih­rem Zu­hau­se, das nie eins ge­we­sen war, konn­te sie ganz von vor­ne an­fan­gen. Nie­mand kann­te sie. Nie­mand wuss­te, was sie durch­ge­macht hat­te.

Blue Wa­ter war klein ver­gli­chen mit New York. Die Glas­fron­ten der Hoch­häu­ser, die in der Son­ne glit­zer­ten, wür­den ne­ben den Wol­ken­krat­zern in der Fifth Ave­nue mick­rig wir­ken. New York war gi­gan­tisch, be­ein­dru­ckend und Blue Wa­ter war … nur eine Stadt.

Ihre neu­en Mit­be­woh­ne­rin­nen und Mit­schü­ler wür­den sie fra­gen, war­um sie aus der Stadt der Träu­me weg­ge­gan­gen war. Je­der woll­te nach New York, je­der glaub­te, dass man dort et­was er­rei­chen konn­te. Vie­le Men­schen woll­ten je­doch nur das schö­ne schil­lern­de New York mit sei­nen tau­send Mög­lich­kei­ten se­hen. Doch die Stadt hat­te auch ihre Schat­ten­sei­ten. Wenn je­mand frag­te, wür­de sie ein­fach be­haup­ten, dass all ihre Ver­wand­ten tot wa­ren und nichts und nie­mand sie dort ge­hal­ten hat­te. Noch bes­ser sorg­te sie da­für, dass nie­mand sie fra­gen konn­te.

Ein Kind rann­te fröh­lich la­chend an ihr vor­bei und riss sie aus ih­ren Ge­dan­ken. Ihr Herz zog sich schmerz­haft zu­sam­men, als sie dem Jun­gen hin­ter­her­schau­te. Als sei­ne Mut­ter ihn in die Arme nahm und sich mit ihm im Kreis dreh­te, wand­te sie schnell den Blick ab, stand auf, pack­te ih­ren Kof­fer und ließ den Park hin­ter sich. Als wür­de sie schon im­mer hier woh­nen, mar­schier­te Da­ko­ta durch die Stra­ßen. Gut so. Sie woll­te nicht auf­fal­len.

Ihre neue Blei­be be­fand sich in ei­nem fünf­stö­cki­gen, gelb ge­stri­che­nen Wohn­block et­was ab­seits der gro­ßen Ein­kaufs­s­tra­ße, die durch die Stadt­mit­te ver­lief. Die Fa­r­be und die nied­ri­gen or­dent­lich ge­schnit­te­nen He­cken lie­ßen die An­la­ge freund­lich wir­ken. Zum ers­ten Mal, seit sie aus New York weg­ge­fah­ren war, stahl sich ein Lä­cheln auf ihre Lip­pen. Es wür­de schon al­les gut ge­hen. Die bei­den Mäd­chen er­war­te­ten sie. Ihre Email hat­te nett ge­klun­gen.

Ihr Fin­ger schweb­te über den Na­men­s­chil­dern. Da war es. Mil­ler & Gregson. Da­ko­ta at­me­te noch ein­mal tief durch und klin­gel­te. Ihr Herz ras­te. Der Laut­spre­cher an der Tür knack­te.

»Hal­lo?«, mel­de­te sich eine ver­zerrt klin­gen­de Stim­me.

»Äh, hal­lo … ich …« Da­ko­ta schluck­te. Ihr Hals war staub­tro­cken. »Ich bin Da­ko­ta«, krächz­te sie. »Ich bin …«

»Ah, die neue Mit­be­woh­ne­rin. Ich lass dich rein. Vier­ter Stock.«

Es knack­te wie­der. Dann surr­te der Tür­öff­ner. Ei­lig drück­te Da­ko­ta die Tür auf und hiev­te ih­ren Kof­fer über die Tür­schwel­le. Ein fri­scher, zi­tro­ni­ger Duft weh­te ihr ent­ge­gen. Die Stu­fen glänz­ten noch feucht vom Wi­schen. Ihre Schul­tern brann­ten vom über­vol­len Ruck­sack, den sie seit ih­rer An­kunft per­ma­nent auf dem Rü­cken trug. Wer in ei­ner gro­ßen Stadt wie New York auf­wuchs, ließ sein Ge­päck nie ir­gend­wo un­be­auf­sich­tigt ste­hen.

Da­ko­ta schau­te sich im Haus­flur um. Ob­wohl das Ge­bäu­de so­wohl von au­ßen als auch von in­nen sehr mo­dern und ge­pflegt wirk­te, gab es kei­nen Auf­zug.

»Schei­ße«, mur­mel­te sie. Mit ei­nem ge­quäl­ten Auf­stöh­nen leg­te sie den Kopf in den Nacken und starr­te die Trep­pe an, die sich schein­bar end­los in die Höhe wand. Vier Stock­wer­ke. Aber nur die­ses eine Mal. Da­nach blieb der Kof­fer oben.

Nach ei­ner ge­fühl­ten Ewig­keit kam sie völ­lig ver­schwitzt oben an. Ihr Ge­sicht glüh­te und war wahr­schein­lich rot wie eine To­ma­te.

Im Tür­rah­men stand ein Mäd­chen mit blon­den Lo­cken und lä­chel­te sie be­dau­ernd an. »Sor­ry. Dass wir kei­nen Auf­zug ha­ben, ist echt blöd. Wir soll­ten ei­gent­lich einen be­kom­men, aber an­geb­lich hat die Haus­ver­wal­tung kein Geld.«

»Schon gut.« Da­ko­ta rang sich ein Lä­cheln ab, das das an­de­re Mäd­chen mit ei­nem brei­ten Grin­sen er­wi­der­te.

»Hi, ich bin Am­ber.« Pein­lich be­rührt er­griff Da­ko­ta die Hand, die ihr Am­ber zum Gruß ent­ge­gen­streckt. Sie war so ver­schwitzt, wäh­rend Am­bers Hand warm und tro­cken war. Am­ber ließ sich nichts an­mer­ken, doch Da­ko­ta fühl­te sich ek­lig, kleb­rig. Sie brauch­te drin­gend eine Du­sche. »Komm, ich zeig dir dein Zim­mer.«

Da­ko­ta zog die Woh­nungs­tür hin­ter sich zu und stell­te den Kof­fer in den Flur. Den wür­de sie spä­ter ho­len, wenn sie ge­duscht und sich ein biss­chen aus­ge­ruht hat­te.

Sie folg­te Am­ber durch einen kur­z­en, hel­len Flur. Die gan­ze Wand war voll mit Fo­tos. Auf ei­ni­gen er­kann­te sie Am­ber, meis­tens mit ir­gend­wel­chen Freun­den. Im Vor­bei­ge­hen er­hasch­te sie einen kur­z­en Blick in die Kü­che, die eben­falls sehr hell und sau­ber war.

Am­ber blieb ste­hen und deu­te­te auf eine Tür. »Hier ist dein Zim­mer. Das Bad ist ge­gen­über. Es gibt einen Putz­plan, aber den be­spre­chen wir nach­her, wenn Ja­mie da ist.« Da­ko­ta nick­te nur. Zu fra­gen, wo Ja­mie war, er­schien ihr zu neu­gie­rig. Am­ber kam ihr so­wie­so zu­vor. »Sie gibt Nach­hil­fe in der Nach­bar­schaft und kommt wahr­schein­lich erst in ei­ner Stun­de.«

»Ach, das macht doch nichts …«

»Na ja, sie hät­te dich schon gern be­grüßt«, mein­te Am­ber und wirk­te be­schämt. Jetzt ent­schul­dig­te sie sich schon zum zwei­ten Mal für et­was, für das sie nichts konn­te.

»Das ho­len wir spä­ter nach«, ent­geg­ne­te Da­ko­ta, »Ich muss so­wie­so erst du­schen und mich ein biss­chen ein­rich­ten.«

»Klar, kein Pro­blem. Wir re­den dann nach­her.« Am­ber lä­chel­te wie­der und ließ sie dann al­lein. Sie war wirk­lich nett und gab sich so viel Mühe, doch Da­ko­ta wür­de nicht viel Zeit mit ih­ren bei­den Mit­be­woh­ne­rin­nen ver­brin­gen. Sie wür­den neu­gie­rig sein. Wis­sen wol­len, wo sie her­kam und was sie nach Blue Wa­ter führ­te. Al­les Din­ge, über die sie nicht re­den konn­te.

Da­ko­ta schloss die Zim­mer­tür hin­ter sich, warf den Ruck­sack aufs Bett und schau­te sich im Zim­mer um. Ge­gen­über dem Bett stand ein gro­ßer, zwei­tü­ri­ger Klei­der­schrank an der Wand und vor dem Fens­ter ein Schreib­tisch mit ei­nem ho­hen, schma­len Re­gal da­ne­ben. Es gab kei­ne per­sön­li­chen Ge­gen­stän­de. Auch der Klei­der­schrank war kom­plett leer. Nichts deu­te­te dar­auf hin, dass hier wahr­schein­lich vor Kur­z­em noch je­mand an­de­res ge­wohnt hat­te. Als hät­te die­ses Zim­mer nur dar­auf ge­war­tet, dass Da­ko­ta hier ein­zog.

Sie dreh­te sich ein­mal um sich selbst und ließ sich rü­ck­wärts aufs Bett fal­len. Die Bett­wä­sche war so weich, dass sie dar­in ver­sank. Sie hat­te ihr ei­ge­nes Zim­mer. Einen Ort, an den sie sich zu­rück­zie­hen und un­ge­stört sein konn­te. Nie wie­der muss­te sie ir­gend­wo auf der Stra­ße oder auf ei­nem Spiel­platz sit­zen, wenn sie al­lein sein woll­te. Hier wür­de nie­mand ein­fach in ihr Zim­mer plat­zen. Sie konn­te die Tür zu­ma­chen und sich si­cher füh­len.

In ih­rem zer­fled­der­ten Ruck­sack wühl­te sie nach Un­ter­wä­sche zum Wech­seln und ih­rem al­ten, dün­nen Hand­tuch. Im Bad stell­te sie al­ler­dings fest, dass be­reits sau­be­re, wei­ße Hand­tü­cher im Schrank la­gen. Ge­nau­so wie Fla­schen mit Flüs­sig­sei­fe und Sham­poo. Kurz war Da­ko­ta ver­sucht, ein­fach ein Hand­tuch und eine der hell­ro­sa Fla­schen zu neh­men. Am­ber wür­de si­cher nichts sa­gen. Doch als sie mit ih­ren Fin­ger zart über den Sta­pel wei­cher Hand­tü­cher strich, pack­te sie die Angst. Es stand ihr nicht zu, ein­fach frem­des Ei­gen­tum zu be­nut­zen. Am­ber wirk­te nett, aber was war mit Ja­mie? Viel­leicht wür­de es ihr gar nicht ge­fal­len, wenn eine Frem­de ein­fach ihr Zeug nahm.

Schnell zog sie die Hand zu­rück und häng­te ihr grü­nes Hand­tuch über den Stuhl, der ge­gen­über der Du­sche an der Wand stand. Sie war ihr gan­zes Le­ben ohne Lu­xus aus­ge­kom­men, hat­te im­mer ge­brauch­te Kla­mot­ten ge­tra­gen und alte Hand­tü­cher be­nutzt. Das konn­te sie auch wei­ter tun.

Da­ko­ta kam ge­ra­de aus dem Bad, als die Woh­nungs­tür auf­ging und ein Mäd­chen mit ei­nem hell­brau­nen Pfer­de­schwa­rz her­ein­kam. Das muss­te Ja­mie sein. Be­vor Da­ko­ta in ih­rem Zim­mer ver­schwin­den konn­te, ent­de­cke Ja­mie sie und lä­chel­te ihr zu. Ihre Hän­de fin­gen schon wie­der an zu schwit­zen. We­nigs­tens hat­te sie sich im Bad voll­stän­dig an­ge­zo­gen und stand nicht halb­nackt vor ih­rer neu­en Mit­be­woh­ne­rin.

»Hey, du bist die neue Mit­be­woh­ne­rin. Da­ko­ta, stimmts?« Sie stell­te ihre Schu­he or­dent­lich in den Flur und kam auf Da­ko­ta zu. »Ich bin Ja­mie.«

»Hal­lo.« Zö­gernd streck­te Da­ko­ta ihr die Hand hin, doch Ja­mie wink­te la­chend ab und zog sie in eine Um­ar­mung.

»Will­kom­men in der WG.«

So­fort ver­steif­te Da­ko­ta sich. Mit al­lem hat­te sie ge­rech­net, nur nicht da­mit, dass eine Frem­de ihr gleich um den Hals fal­len wür­de.

»Wun­de­re dich nicht«, sag­te Am­ber, die ge­ra­de aus der Kü­che kam, »So ist Ja­mie nun mal.« Mehr als ein Ni­cken brach­te Da­ko­ta nicht zu­stan­de.

»Du ge­wöhnst dich dran«, be­haup­te­te Ja­mie, doch Da­ko­ta be­zwei­fel­te das. Kör­per­li­che Nähe konn­te sie schon lan­ge nicht mehr mit Freund­schaft und Zu­nei­gung ver­bin­den. Wahr­schein­lich wür­de sie es nie mehr kön­nen.

»Al­les in Ord­nung?«, frag­te Ja­mie und be­trach­te­te sie prü­fend, als sie wei­ter­hin schwieg.

»Äh, ja. Na klar. Ich muss nur gleich weg.«

»Du musst weg? Wo­hin denn?«

»Ich bin auf Job­su­che.« Das war nicht mal ge­lo­gen. Da­ko­ta brauch­te drin­gend eine Ar­beit. Ihre mick­ri­gen Er­spar­nis­se reich­ten nicht mal für eine Mo­nats­mie­te.

»Lass uns doch zu­sam­men ge­hen«, schlug Ja­mie vor. »Wir kön­nen dir ei­ni­ges zei­gen.« Am­ber nick­te zu­stim­mend und griff be­reits nach ih­rer Ja­cke.

Die Be­geis­te­rung der bei­den mach­te es Da­ko­ta schwer, ihr An­ge­bot ab­zu­leh­nen, doch sie muss­te al­lein sein, um einen kla­ren Kopf zu be­kom­men und über al­les nach­zu­den­ken. Wenn Ja­mie und Am­ber die gan­ze Zeit auf sie ein­re­de­ten, konn­te sie nicht ab­schal­ten.

»Dan­ke. Viel­leicht ein an­der­mal.« Sie schlüpf­te in ihre ab­ge­tra­ge­nen Turn­schu­he und flüch­te­te re­gel­recht aus der Woh­nung, die ihr auf ein­mal viel klei­ner vor­kam. Be­vor sie die Tür zu­zog, hör­te sie noch Ja­mies Pro­test.

***

Schei­ße! Was hat­te sie ge­tan? Da war sie noch nicht mal eine Stun­de in der WG und hat­te schon ihre bei­den Mit­be­woh­ne­rin­nen ver­är­gert. Viel­leicht war es doch kein gu­ter Plan, sich so sehr ab­zu­schot­ten. Wie soll­te sie Am­ber und Ja­mie aus dem Weg ge­hen, wenn sie sich mit ih­nen eine Woh­nung teil­te?

Die Son­ne brann­te heiß auf den As­phalt. In den Stra­ßen war we­nig los um die Mit­tags­zeit. Selbst auf den Ter­ras­sen der Re­stau­rants wa­ren nicht alle Ti­sche be­setzt. Die meis­ten Men­schen ver­brach­ten den hei­ßen Nach­mit­tag lie­ber in kli­ma­ti­sier­ten Ca­fés und Ge­schäf­ten. Ein paar Kin­der stan­den vor ei­nem Hot­dog­stand. Es roch ver­füh­re­risch nach fri­schen Bröt­chen und ge­bra­te­nen Würst­chen. Da sie kein Geld bei sich hat­te, ließ sie den Stand schnell hin­ter sich.

Wäh­rend sie durch die brei­te Ein­kaufs­s­tra­ße schlen­der­te, hielt sie nach An­zei­gen in Schau­fens­tern Aus­schau. Ihre Ansprü­che, was Jobs an­ging, wa­ren ge­ring. Haupt­sa­che, es reich­te, um die Mie­te zu zah­len. In ei­nem Su­per­markt wur­de je­mand zum Re­ga­le auf­fül­len ge­sucht, doch als sie nach­frag­te, sag­te man ihr, der Job wäre schon ver­ge­ben. Auch wo­an­ders hat­te sie kein Glück. Ent­we­der es gab den ver­meint­li­chen Job nicht mehr oder das Ge­halt, das ihr an­ge­bo­ten wur­de, war so ge­ring, dass es kaum für die Mie­te reich­te. Für Es­sen schon gleich gar nicht. Für einen Fe­ri­en­job war sie so­wie­so zu spät dran. Schließ­lich fing in we­ni­ger als ei­ner Wo­che die Schu­le an.

Nach über zwei Stun­den hät­te sie schon wie­der eine Du­sche ver­tra­gen kön­nen. Frus­triert kick­te sie einen Stein über den Geh­weg. Eine Frau warf ihr einen em­pör­ten Blick zu, doch Da­ko­ta igno­rier­te sie.

»Ver­dammt«, fluch­te sie lei­se und lehn­te sich an eine küh­le Haus­wand. Wenn sie kein Geld ver­die­nen konn­te, blieb ihr nichts an­de­res üb­rig, als Am­ber und Ja­mie die Mie­te für die nächs­ten drei Wo­chen zu über­wei­sen und Ende Sep­tem­ber wie­der aus­zu­zie­hen. Dann stand sie wie­der vor dem nichts und einen Plan B hat­te sie nicht. Zu­rück nach New York zu ge­hen, kam nicht in Fra­ge und wo­an­ders wür­de es si­cher nicht bes­ser lau­fen als hier.

Sie ver­grub das Ge­sicht in den Hän­den, die sich schon wie­der feucht und kleb­rig an­fühl­ten. Ei­gent­lich muss­te sie wei­ter­su­chen, doch sie war er­schöpft von den vie­len Ab­sa­gen. Noch eine Nie­der­la­ge konn­te sie nicht er­tra­gen.

Ihr Blick fiel auf ein Café auf der an­de­ren Stra­ßen­sei­te. Mr. Per­cy Coo­kies & More stand in gro­ßen Buch­sta­ben auf ei­nem leuch­tend bun­ten Schild. Da­ne­ben war ein grin­sen­der Scho­ko-Coo­kie ab­ge­bil­det. Auf der Ter­ras­se stan­den die Ti­sche dicht an dicht und alle wa­ren be­setzt. Auch vor der Tür stan­den ein paar Men­schen, die wahr­schein­lich auf einen frei­en Tisch war­te­ten. Ein Kell­ner und eine Kell­ne­rin has­te­ten zwi­schen den Ti­schen durch. Es sah fast so aus, als könn­ten sie Un­ter­stüt­zung brau­chen. Da­ko­ta be­schloss, noch einen letz­ten Ver­such zu un­ter­neh­men.

Sie rann­te zwi­schen den an der Am­pel ste­hen­den Au­tos über die Stra­ße und be­trat das Café. Stim­men und das Ge­klap­per von Ge­schirr er­füll­te den Raum. Ir­gend­wo hin­ter dem Tre­sen summ­te eine Kaf­fee­ma­schi­ne. Es roch nach Kaf­fee und frisch ge­ba­cke­nen Kek­sen. Ihr lief das Was­ser im Mund zu­sam­men und sie ver­fluch­te sich da­für, nicht mal ein biss­chen Klein­geld mit­ge­nom­men zu ha­ben.

Die Schlan­ge war­ten­der Kun­den reich­te fast bis zum Ein­gang. Da­ko­ta gab vor, sich an­zu­stel­len, und hielt nach je­man­dem Aus­schau, der nicht all­zu be­schäf­tigt war, was gar nicht so ein­fach war. Die Mit­a­r­bei­ter hin­ter dem Tre­sen hat­ten alle Hän­de voll zu tun. Ja, zwei Hän­de mehr wür­den tat­säch­lich nicht scha­den. Und wenn sie nur ab­wa­schen durf­te. Selbst das wür­de sie ma­chen.

Als nur noch zwei Leu­te vor ihr stan­den, trat sie aus der Schlan­ge und ließ ih­ren Blick durch den Raum schwei­fen. Der Typ hin­ter ihr zuck­te mit den Schul­tern und rück­te einen Schritt vor. Die zwei Be­die­nun­gen husch­ten alle paar Mi­nu­ten wie­der mit vol­len Ta­bletts auf die Ter­ras­se oder zu­rück in die Kü­che. Eine von ih­nen, ein Mäd­chen etwa in Da­ko­tas Al­ter mit ei­nem blon­den Pfer­de­schwanz, ver­lang­sam­te kurz ihr Tem­po, um das Ta­blett auf ih­rem Arm um­zu­la­gern.

Da­ko­ta mach­te einen Schritt auf sie zu. »Äh, hal­lo«, sag­te sie. Ihre Stim­me klang in ih­ren Oh­ren piep­sig und dünn. Das Mäd­chen blieb ste­hen und schau­te sie stumm an. »Habt ihr hier nur zwei Be­die­nun­gen?«, frag­te Da­ko­ta schnell, be­vor sie der Mut doch noch ver­ließ und be­reu­te ihre Di­rekt­heit so­fort, als das Mäd­chen ihr einen säu­er­li­chen Blick zu­wa­rf.

»Dau­ert es dir zu lan­ge, oder was?«, frag­te sie sicht­lich ge­nervt und wand­te sich schon zum Ge­hen, doch Da­ko­ta wür­de sich nicht ab­wim­meln las­sen.

»Nein. Ich hab mich nur ge­fragt, ob ihr Un­ter­stüt­zung ge­brau­chen könn­tet. Der La­den scheint gut zu lau­fen.« Sie lä­chel­te, doch ihr Ge­gen­über seufz­te nur, als wür­de die Last der gan­zen Welt auf ih­ren Schul­tern lie­gen.

»Du hast ja kei­ne Ah­nung.«

»Das heißt, ihr braucht Hil­fe?«

Das Mäd­chen mus­ter­te sie von oben bis un­ten und zog eine Au­gen­braue hoch, als wäre sie nicht ganz über­zeugt von dem, was sie sah. »Weißt du was? Komm ein­fach mit. Perc soll das ent­schei­den.« Da­ko­ta konn­te sich ein brei­tes Grin­sen nicht ver­drü­cken, wäh­rend sie dem Mäd­chen in die Kü­che folg­te. «Perc!», rief sie, ließ Da­ko­ta ste­hen und ver­schwand hin­ter ei­ner Tür. »Da ist je­mand, der einen Job braucht.«

Un­auf­fäl­lig schau­te Da­ko­ta sich um. Al­les wirk­te sau­ber und or­dent­lich. Drei Mit­a­r­bei­ter – zwei Frau­en und ein Mann –, die mit Mehl und gro­ßen Schüs­seln han­tier­ten, be­äug­ten sie neu­gie­rig.

Mit wip­pen­dem Pfer­de­schwanz kam das Mäd­chen zu­rück in die Kü­che und wies auf die Tür hin­ter sich. »Du kannst zu Per­cy ge­hen.« Ihr Blick war ab­wei­send, als hät­te sie schon ent­schie­den, dass sie Da­ko­ta nicht lei­den konn­te. Na, hof­fent­lich war sie zu den Kun­den nicht so un­freund­lich.

Ein Typ, der Da­ko­ta um mehr als einen Kopf über­rag­te, lehn­te im Flur an der Wand, als wür­de er nur auf sie war­ten. Er trug ein wei­ßes Hemd mit ei­ner ro­ten Schür­ze dar­über. Es war das­sel­be Rot, dass alle Mit­a­r­bei­ter tru­gen.

»Hey.« Er streck­te ihr die Hand zum High Five hin. »Perc.«

»Da­ko­ta.« Ge­zwun­ge­ner­ma­ßen schlug sie ein.

»Du suchst Ar­beit?« Perc mus­ter­te sie neu­gie­rig, aber freund­lich. Nicht so ab­schät­zig wie die hoch­nä­si­ge Blon­di­ne. Er wirk­te viel net­ter. Und er war sehr jung für einen Chef. Das mach­te es ein­fa­cher.

»Ja, ich hab das Ge­fühl, dass zwei zu­sätz­li­che Hän­de nicht scha­den könn­ten.«

»Du hast Glück. Wir muss­ten erst ges­tern je­man­den raus­schmei­ßen und brau­chen drin­gend Er­satz.« Perc steck­te läs­sig die Hän­de in die gro­ße Ta­sche sei­ner Schür­ze. »Hast du schon mal ge­kell­nert oder so­was?«

Da­ko­ta dach­te an ihre lei­di­ge Er­fah­rung als Kell­ne­rin in ei­ner Eis­die­le, die das scheuß­lichs­te Eis auf der Welt ver­kauf­te. Nach­dem sie sich end­lich ge­traut hat­te, sich bei der Chefin über den Schleim zu be­schwe­ren, der den Kun­den dort vor­ge­setzt wur­de, war sie frist­los ent­las­sen wor­den.

»Klar, ich hab schon mal in ei­nem Café ge­ar­bei­tet.«

»Su­per. Wann kannst du an­fan­gen?«

Sie muss­te sich zu­sam­men­rei­ßen, um ihn nicht mit of­fe­nem Mund an­zu­star­ren. Der Typ woll­te sie tat­säch­lich ein­stel­len. Ein­fach so.

»Ich hab Schu­le ab nächs­ter Wo­che. Aber ich könn­te viel­leicht ab und zu abends ar­bei­ten. Und am Wo­chen­en­de.«

»Wie wärs, wenn du mor­gen ein­fach mal zum Pro­be­a­r­bei­ten kommst. Falls es gut läufst, kannst du ab so­fort je­den Sams­tag hier ar­bei­ten und un­ter Wo­che, wenn ich dich brau­che.« Das muss­te ein Traum sein. Hof­fent­lich wür­de sie nicht gleich auf­wa­chen. »Deal?«, frag­te Perc und streck­te ihr die Hand hin.

»Deal.« Da­ko­ta schlug ein. »Dann se­hen wir uns mor­gen. Wann soll ich an­fan­gen?«

»Wir ha­ben auch vor­mit­tags ge­öff­net. Komm ein­fach um zehn. Du musst den Vor­der­ein­gang be­nut­zen. Für Sams­tag be­kommst du dann den Schlüs­sel für die Hin­ter­tür.«

»Dan­ke, Per­cy.« Sie grins­te breit.

Perc lä­chel­te. »Gern, ich freu mich auf mor­gen.«

Als sie die Kü­che ver­ließ, konn­te sie nur schwer dem Drang wi­der­ste­hen, durch das Café zu hop­sen. So viel Glück konn­te man doch gar­nicht ha­ben. Kurz kam ihr der un­sin­ni­ge Ge­dan­ke, Am­ber an­zu­ru­fen und ihr von dem Job zu er­zäh­len, aber die war wohl nicht gut auf sie zu spre­chen, nach­dem sie vor­hin so schnell ab­ge­hau­en war. Au­ßer­dem war es nicht gut, sich je­man­dem so­fort an­zu­trau­en. Das wür­de sie un­vor­sich­tig ma­chen.

Komm run­ter, sag­te sie sich, Be­nimm dich ganz nor­mal.

Die letz­ten Schrit­te bis zum Aus­gang leg­te sie in ei­nem nor­ma­len Tem­po zu­rück. Ge­ra­de als sie die Tür auf­zog, lief je­mand di­rekt in sie hin­ein. Da­ko­ta wich er­schro­cken zu­rück, als wäre sie ge­gen eine Wand ge­lau­fen. Ohne den Kerl auch nur an­zu­se­hen, dräng­te sie sich an ihm vor­bei und stol­per­te auf den Geh­weg.

»Hey«, rief er ihr hin­ter­her, doch Da­ko­ta dreh­te sich nicht um. Was woll­te die­ser Typ von ihr?

»Jetzt war­te doch mal!« Konn­te er sie nicht ein­fach in Ruhe las­sen? Im letz­ten Mo­ment sprin­te­te sie über die Stra­ße, be­vor die Am­pel rot wur­de. Erst als das Café aus ih­rem Blick­feld ver­schwun­den war, gönn­te sie sich eine Pau­se. Nach Atem rin­gend lehn­te sie sich an eine Haus­wand und schau­te sich um. Er war ihr nicht ge­folgt. Er­leich­tert at­me­te sie auf. Ihr Herz ras­te. Hof­fent­lich tauch­te er nicht doch noch ir­gend­wo auf.

»Hey, Da­ko­ta, Schätz­chen«, hall­te eine Stim­me in ih­rem Kopf, »Du musst dich doch vor mir nicht ver­ste­cken.« Sei­ne Stimm­te klang lieb und lo­ckend, als wür­de er mit ei­nem ver­ängs­tig­ten Tier spre­chen, doch er mein­te es nicht gut. So wie es die meis­ten Men­schen nicht gut mit ihr mein­ten.

»Geh weg«, mur­mel­te Da­ko­ta und ver­bann­te die­se Ge­dan­ken aus ih­rem Kopf. Hier wür­de ihr nie­mand et­was an­tun. Nie­mand kann­te sie und sie teil­te sich ihre Woh­nung mit zwei Mäd­chen. Es wür­de schon nichts pas­sie­ren.

***

Am­ber und Ja­mie sa­ßen in der Kü­che und aßen Piz­za, als Da­ko­ta heim­kam.

»Ich bin wie­der da«, rief sie und steck­te den Kopf kurz zur Tür her­ein. Beim An­blick der Piz­za knurr­te ihr Ma­gen. Wie schön wäre es, sich ein­fach zu ih­ren Mit­be­woh­ne­rin­nen an den Tisch zu set­zen, als wäre es das Selbst­ver­ständ­lichs­te der Welt. Aber sie wa­ren Frem­de und Da­ko­ta fühl­te sich, trotz des quä­len­den Hun­gers, noch nicht be­reit, mit ih­nen ge­mein­sam am Tisch zu sit­zen.

»Möch­test du was?«, frag­te Ja­mie mit ei­nem strah­len­den Lä­cheln.

»Nein dan­ke. Ich hab kei­nen Hun­ger«, log Da­ko­ta. In ih­rem Ruck­sack war noch eine Pa­ckung Kek­se. Die wür­den als Abend­es­sen rei­chen müs­sen. »Ich bin müde«, sag­te sie und flüch­te­te in ihr Zim­mer.

Sie hät­te sich ohr­fei­gen kön­nen für ihr schreck­li­ches Ver­hal­ten. Wenn ihre Mit­be­woh­ne­rin­nen sie jetzt schon hass­ten, konn­te sie es ih­nen nicht mal ver­übeln. Nor­ma­le­r­wei­se hät­te sie sich ent­schul­di­gen müs­sen, aber nichts in ih­rem Le­ben war nor­mal. Sie war nicht nor­mal. Nicht nach dem, was man ihr an­ge­tan hat­te. Wie konn­te je­mand so et­was er­le­ben und da­nach so tun, als wäre nichts pas­siert? Nie wür­de sie so sein wie an­de­re Mäd­chen in ih­rem Al­ter und sie brauch­te auch nicht so tun, als wäre es an­ders.

Im Ge­hen zog sie die Schu­he aus und stell­te sie mit­ten ins Zim­mer. Ihr Kof­fer stand im­mer noch drau­ßen im Flur, doch sie konn­te sich nicht über­win­den, ihr Zim­mer zu ver­las­sen und noch mal an Am­ber und Ja­mie vor­bei­zu­ge­hen. So nett Ja­mie auch war, Da­ko­ta fehl­te jetzt ein­fach die Ener­gie, sich mit ir­gend­je­man­dem zu un­ter­hal­ten.

Zur Ab­len­kung wür­de sie sich ein­fach ein paar sinn­lo­se Vi­de­os auf You­Tube an­schau­en, doch als sie in ihre Rock­ta­sche nach dem Han­dy griff, war dort nichts.

Kei­ne Pa­nik. Si­cher hat­te sie es auf dem Weg ins Zim­mer ver­lo­ren. So ru­hig wie mög­lich such­te sie den Bo­den zwi­schen Bett und Tür ab, schau­te so­gar nach, ob es un­ter den Schreib­tisch ge­fal­len war. Nichts. Dann lag es wohl im Flur. Auf Ze­hen­spit­zen schlich sie zur Tür und öff­ne­te sie einen Spalt. Sie steck­te nur den Kopf her­aus und warf einen Blick in den Flur. Auch dort lag au­ßer dem flie­der­fa­r­be­nen Läu­fer nichts am Bo­den.

Be­vor die Mäd­chen sie be­merk­ten, mach­te sie die Tür wie­der zu und schloss ab.

Ganz ru­hig Da­ko­ta. Wo könn­te es sein?

Viel­leicht lag es drau­ßen im Trep­pen­haus. Aber sie hät­te es doch mer­ken müs­sen, wenn es ihr dort aus der Ta­sche ge­fal­len wäre. Ihre Schrit­te wa­ren das ein­zi­ge Ge­räusch ge­we­sen. Oder viel­leicht …

Ver­dammt! Was, wenn die­ser Typ ihr nur ihr Han­dy hat­te wie­der­ge­ben wol­len? Viel­leicht war er ihr des­halb nach­ge­lau­fen. Und sie war ge­flüch­tet, als wäre ein Axt­mör­der hin­ter ihr her.

Sie schlug sich mit der fla­chen Hand ge­gen die Stirn. Wie blöd konn­te man ei­gent­lich sein? Er hat­te ihr nur ihr Han­dy ge­ben wol­len und sie war in blin­der Pa­nik ge­flüch­tet.

Da half nur eins: Wenn sie mor­gen zum Pro­be­a­r­bei­ten ging, muss­te sie einen ih­rer neu­en Kol­le­gen fra­gen, ob die­ser Kerl ehr­lich ge­nug ge­we­sen war, ihr Han­dy im Café ab­zu­ge­ben. Das hat­te er si­cher. Sonst wäre er ihr nicht nach­ge­lau­fen, um es ihr zu­rück­zu­ge­ben. Be­stimmt be­kam sie ihr Han­dy mor­gen wie­der. Also ein Grund mehr, sich auf den mor­gi­gen Tag zu freu­en.

2. Kapitel

Lo­gan

Ver­dutzt schau­te Lo­gan dem Mäd­chen hin­ter­her, das ohne ir­gend­ei­ne Re­ak­ti­on da­von­rann­te. Aber sie hat­te ihn ge­hört, sonst wür­de sie nicht so ren­nen. Er frag­te sich nur, war­um sie es so ei­lig hat­te. Lo­gan schau­te an sich her­un­ter. Nichts an ihm war so furcht­er­re­gend, dass je­mand vor ihm flüch­ten muss­te. Wahr­schein­lich hat­te sie sich ein­fach er­schreckt.

Mit ei­nem Schul­ter­zu­cken schau­te er auf das Han­dy in sei­ner Hand und be­trat das Mr. Per­cy. Er wür­de es ein­fach an der Kas­se ab­ge­ben. Sie wür­de es schon ab­ho­len, wenn sie es ver­miss­te.

Eine Tüte mit Ba­gels und eine mit Mr. Per­cys be­rühm­ten Rie­sen­coo­kies in der Hand, ver­ließ Lo­gan kur­ze Zeit spä­ter das Café. Hof­fent­lich hat­te Matt nichts für sich ge­kocht. Al­lein wür­de Lo­gan das vie­le Es­sen nicht schaf­fen. Matt da­ge­gen war fast zwei Me­ter groß und dünn wie eine Boh­nen­stan­ge. Er konn­te Un­men­gen an Es­sen ver­drü­cken.

»Hey Matt«, rief er und ließ die Woh­nungs­tür ins Schloss fal­len. Im Flur war es sti­ckig. Kein Wun­der. Matt saß wahr­schein­lich wie­der vor dem Fern­se­her und hat­te seit Stun­den nicht ge­lüf­tet. »Hier stinkt’s. Wo bist du über­haupt?«

Ohne an­zu­klop­fen, platz­te Lo­gan ins Wohn­zim­mer und tat­säch­lich saß Matt dort auf dem Sofa. Dunk­le, zer­zaus­te Haa­re un­ter schwa­r­zen Kopf­hö­rern lug­ten über die Rü­cken­leh­ne. Lo­gan schlug mit den Fin­ger­knö­cheln ge­gen den Tür­stock. Kei­ne Re­ak­ti­on. Das war ty­pisch Matt. Selbst wenn er al­lein war, schau­te er im­mer mit Kopf­hö­rern fern.

»Weil ich’s gern laut mag und das wür­de die Nach­barn stö­ren«, er­klär­te er im­mer. Matt hat­te sei­ne Ei­gen­ar­ten, doch er war der Lo­gans ein­zi­ger rich­ti­ger Freund in Blue Wa­ter. Er war für ihn da ge­we­sen, als er ohne Zu­hau­se, ohne ir­gend­wel­che Kon­tak­te und ohne Zu­kunfts­per­spek­ti­ven aus der Ent­zugs­kli­nik ent­las­sen wor­den war. Da die Kli­nik in Blue Wa­ter war, war Lo­gan ein­fach hier ge­blie­ben, an­statt in sei­ne Hei­mat­stadt New Town zu­rück­zu­ge­hen. Mit ei­nem Al­ko­ho­li­ker zu­sam­men­zu­le­ben, war auch das Dümms­te, das man nach ei­nem Ent­zug ma­chen konn­te. Soll­te Mike doch al­lein klar­kom­men. Wahr­schein­lich merk­te er noch nicht mal, dass seit ei­nem Jahr auch sein jüngs­ter Sohn weg war. Wenn der Alte über­haupt noch leb­te. Aber selbst das küm­mer­te Lo­gan nicht. Schließ­lich war Mike nie ein Va­ter ge­we­sen. Er hat­te ihn nie un­ter­stützt, ihm nie et­was bei­ge­bracht, au­ßer dass es wohl eine gute Lö­sung war, all sei­ne Pro­ble­me in Un­men­gen Bil­lig­schnaps zu er­trän­ken. Und eins wuss­te Lo­gan jetzt: Das war es nicht. Seit sei­nem Ent­zug vor acht Mo­na­ten hat­te er kei­nen Trop­fen Al­ko­hol mehr an­ge­rührt und das wür­de auch so blei­ben. Nie wie­der woll­te er er­le­ben, was er wäh­rend sei­ner Sucht und dem Ent­zug er­lebt hat­te.

Lo­gan grins­te, wäh­rend er zum Sofa schlich und Matt die Kopf­hö­rer vom Kopf riss. Er­schro­cken dreh­te der sich um und starr­te ihn mit of­fe­nem Mund und auf­ge­ris­se­nen Au­gen an. »Hey, was soll das?«

Lo­gan ließ wort­los die zwei Tü­ten aufs Sofa fal­len.

Gie­rig wühl­te Matt dar­in. »Na end­lich«, sag­te er und biss im sel­ben Atem­zug in einen Coo­kie mit ex­tragro­ßen Scho­ko­stü­ck­chen.

»Ohne mich wür­dest du ver­hun­gern», be­haup­te­te Lo­gan und da war sehr wohl et­was Wah­res dran. Matt konn­te sich stun­den­lang in ir­gend­wel­che Kochs­hows ver­tie­fen und be­kam dann über­haupt nichts mit.

»Hey, ver­giss nicht, dass ich ko­chen kann«, rief Matt em­pört. Wie­der wühl­te er in ei­ner der Tü­ten und hol­te einen Lachs­ba­gel her­aus. »Die mag ich am liebs­ten.«

»Das weiß ich doch, Mann. Du ver­gisst es nur, wenn du vor dem Fern­se­her sitzt.« Lo­gan ließ sich ne­ben sei­nen Kum­pel aufs Sofa fal­len. Der Fern­se­her lief noch. Al­ler­dings ohne Ton, da der Kopf­hö­rer noch steck­te. Ein höchst­wahr­schein­lich be­rühm­ter Koch, den Lo­gan nicht kann­te, bri­et ein rie­si­ges Steak.

Matt zeig­te mit dem Fin­ger auf den Bild­schirm. »Ich be­komm im­mer so Hun­ger, wenn ich mir das an­schaue.« Er schüt­tel­te den Kopf, ver­wun­dert über sich selbst.

Schul­ter­zu­ckend griff Lo­gan in die Tüte und biss von sei­nem Ba­gel mit Sa­lat und To­ma­ten ab. Seit dem Ent­zug ach­te­te er all­ge­mein dar­auf, nicht zu viel zu kon­su­mie­ren und aus­zu­ge­ben. Ers­tens war er chro­nisch plei­te und zwei­tens woll­te er nicht, dass sei­ne Al­ko­hol­sucht in et­was an­de­res um­schlug. Er woll­te von nichts mehr ab­hän­gig sein. Nicht von Al­ko­hol, nicht von Com­pu­ter­spie­len, Zu­cker oder ir­gen­d­et­was an­de­rem.

»Al­les klar?«, frag­te Matt zwi­schen zwei Bis­sen. Matt war oft un­auf­merk­sam und ließ sich leicht ab­len­ken, aber wenn Lo­gan nach­denk­lich oder schlecht ge­launt war, be­merk­te er es so­fort.

»Si­cher. Die al­ten Sa­chen kom­men nur wie­der hoch.« Lust­los biss er noch­mal in sei­nen Ba­gel.

»We­gen dei­nem Dad?«

»Nenn ihn nicht im­mer so. Er ist kein Va­ter«, knurr­te Lo­gan. Dad! So eine Be­zeich­nung ver­dien­te der Typ nicht.

»Ok, sor­ry.« Eine Wei­le schwie­gen sie. »Lo­gan?« Matt schau­te ihn fra­gend an, fast schuld­be­wusst. »Isst du dei­nen Coo­kie gar nicht?«

»Be­dien dich. Und iss den hier auch.« Er warf den halb ge­ges­se­nen Ba­gel auf die Tüte und ver­schwand in sei­nem Zim­mer. Plötz­lich konn­te ihn nicht mal das Fast Food rei­zen, das er sonst so lieb­te. Ohne die Schu­he aus­zu­zie­hen, leg­te er sich aufs Bett.

Ver­dammt! War­um muss­te Matt aus­ge­rech­net nach Mike fra­gen? Und war­um woll­te er ein­fach nicht ver­ste­hen, dass Mike ihm nie ein Va­ter ge­we­sen war? Matt war naiv. Sein Glau­ben an das Gute in je­dem Men­schen war un­er­schüt­te­r­lich, doch bei Mike war die­ser Glau­be ver­geb­lich. Seit Lo­gan den­ken konn­te, hat­te Mike im­mer einen Fla­sche mit ir­gend­ei­nem bil­li­gen Fu­sel in der Hand ge­habt. Für Lo­gan war es das Nor­mals­te der Welt ge­we­sen, mit sei­nen Ge­schwis­tern zwi­schen lee­ren und halb­vol­len Fla­schen zu spie­len. Sei­ne Mom hat­te wohl ab und zu ei­ni­ge Fla­schen weg­ge­räumt, aber dar­an konn­te er sich nicht er­in­nern. Er war noch zu klein ge­we­sen, als sie sta­rb.

Und Cha­r­lie? An sie woll­te er gar nicht den­ken. Auch sie hat­te er ver­lo­ren. So wie sei­ne ge­sam­te Fa­mi­lie. In ei­nem An­flug von Wut schlug er mit der Faust aufs Kis­sen. Das Blut rausch­te in sei­nen Oh­ren. Die Welt war un­ge­recht! War­um muss­te er im­mer so viel Pech ha­ben?

Schnell ver­steck­te er die Fäus­te in den Ta­schen sei­nes Ka­pu­zen­pul­lis. Was nütz­te es, sich über die Ver­gan­gen­heit auf­zu­re­gen? Sie ließ sich nicht än­dern. Al­les, was er tun konn­te, war nach vor­ne zu schau­en. In sie­ben Ta­gen fing die Schu­le an. Ein neu­es Jahr vol­ler Chan­cen. Die­ses Jahr wür­de über sei­ne Zu­kunft ent­schei­den. Er brauch­te einen Plan. Und ein Sti­pen­di­um für die Uni in Blue Wa­ter. Er durf­te sich nicht ab­len­ken oder von sei­ner Wut über­ren­nen las­sen. Al­les, was zähl­te, war sei­ne Zu­kunft, und die hat­te er von nun an selbst in der Hand.

3. Kapitel

Dakota

Der Diens­tag war ein vol­ler Er­folg. Mit ei­nem Lä­cheln auf den Lip­pen ver­ließ Da­ko­ta am frü­hen Nach­mit­tag das Mr. Per­cy. Sie spür­te das Ge­wicht ih­res Han­dys in ih­rer Jack­en­ta­sche, das ihr Per­cy heu­te Mor­gen im Na­men des Un­be­kann­ten ge­ge­ben hat­te. Da­ne­ben klim­per­te ein klei­ner Schlüs­sel­bund. Ihre Fin­ger glit­ten in die Ta­sche und um­schlos­sen das war­me Me­tall. Ei­ge­ne Schlüs­sel be­deu­te­ten Ver­ant­wor­tung, und es fühl­te sich gut an, ein biss­chen Ver­ant­wor­tung zu tra­gen. Nicht nur für sich selbst, son­dern auch für Per­cys Café.

Nicht mal, dass Mil­ly sie of­fen­sicht­lich nicht lei­den konn­te, hat­te ihr die gute Lau­ne heu­te ver­der­ben kön­nen. Heu­te war sie mit Sam ein­ge­teilt ge­we­sen, die ne­ben ih­rem Stu­di­um jobb­te und auch meis­tens sams­tags da war. Da­ko­ta ver­stand sich auf An­hieb mit ihr, und in­ner­halb kür­zes­ter Zeit konn­te sie die kom­ple­xe Kaf­fee­ma­schi­ne be­die­nen, Milch­s­ha­kes zu­be­rei­ten und durf­te so­gar schon Kun­den am Tre­sen be­die­nen. Und an­de­res als er­war­tet, war die Ar­beit nicht nur ein nö­ti­ges Übel, son­dern mach­te ihr tat­säch­lich Spaß. Mil­lys böse Bli­cke hat­te sie ein­fach igno­riert. Von ihr wür­de Da­ko­ta sich das nicht ka­putt­ma­chen las­sen.

Be­tont lang­sam schlen­der­te sie die Ein­kaufs­s­tra­ße ent­lang, um das Zu­sam­men­tref­fen mit Am­ber und Ja­mie noch mög­lichst lan­ge hin­aus­zu­zö­gern. In der Früh wa­ren bei­de noch in ih­ren Zim­mer ge­we­sen, als Da­ko­ta ih­ren Kof­fer ins Zim­mer ge­holt und sich im Bad für den Ar­beits­tag fer­tig ge­macht hat­te. Doch heu­te stand die Be­spre­chung des Putz­plans an. Ihr wur­de flau im Ma­gen. Wie soll­te sie sich den Mäd­chen ge­gen­über ver­hal­ten? Wenn sie wei­ter so ab­wei­send war, wür­de sich das Zu­sam­men­le­ben ziem­lich schwie­rig ge­stal­ten. Ir­gend­wie muss­te sie es schaf­fen, sich ih­nen we­nigs­tens ein biss­chen an­zu­nä­hern. Sie woll­te nicht ihre Freun­din wer­den. Denn eine Freund­schaft be­deu­te­te, dass man sich ge­gen­sei­tig al­les er­zähl­te, dass man Fra­gen stell­te. Fra­gen, die sie nicht be­ant­wor­ten woll­te und konn­te. Es gab Er­in­ne­run­gen, die sie tief in sich ver­gra­ben hat­te und dort soll­ten sie auch blei­ben. Nie­mals wür­de sie je­man­dem die Ge­le­gen­heit ge­ben, in ih­ren Wun­den zu boh­ren. So schwer das auch war. Sie muss­te Am­ber und Ja­mie wei­ter auf Ab­stand hal­ten, ohne ih­nen stän­dig aus dem Weg zu ge­hen. Ir­gend­ei­ne Lö­sung wür­de sie schon fin­den.

Fast ge­räusch­los öff­ne­te sie die Woh­nungs­tür und schloss sie wie­der hin­ter sich. Die Schu­he ließ sie dies­mal im Flur ste­hen und schlich auf So­cken durch den Flur. Sie wuss­te, dass es lä­cher­lich war, was sie tat. Es war egal, ob Am­ber und Ja­mie sie hör­ten. Ent­kom­men wür­de sie ih­nen so­wie­so nicht. Es war wohl ein­fach eine alte Ge­wohn­heit. Zu Hau­se war es ihr am bes­ten er­gan­gen, wenn nie­mand sie be­merkt hat­te.

Lei­se Stim­men dran­gen aus der Kü­che. Da­ko­ta leg­te eine Hand auf die Brust, um ih­ren wil­den Herz­schlag zu be­ru­hi­gen. Ihr Kör­per spiel­te ihr einen Streich. Es gab nichts, wo­vor sie Angst ha­ben muss­te, doch sie konn­te nichts da­ge­gen tun.

Am­ber sah sie so­fort und ver­zog die Lip­pen zu ei­nem klei­nen Lä­cheln. Da­ko­ta at­me­te tief durch und er­wi­der­te das Lä­cheln.

»Hi, da bin ich wie­der.« War doch gar­nicht so schwer.

Jetzt schau­te auch Ja­mie zu ihr. Sie wirk­te we­ni­ger be­fan­gen als Am­ber. »War die Job­su­che er­folg­reich?«

»Ja, ich durf­te heu­te zur Pro­be ar­bei­ten und fan­ge am Sams­tag an.« Wie­der griff sie in die Ta­sche ih­res Ka­pu­zen­pul­lis und um­klam­mer­te die Schlüs­sel.

»Das ist toll. Wo denn?« Ja­mie blick­te sie so of­fen an, dass Da­ko­ta ein schlech­tes Ge­wis­sen be­kam. War­um nur fühl­te es sich so an, als wür­de Ja­mie sie ver­hö­ren? Sie war doch nur neu­gie­rig.

»In ei­nem Café in der Stadt«, ant­wor­te­te sie kurz an­ge­bun­den. »Ich dach­te, wir könn­ten heu­te den Putz­plan be­spre­chen. Da­mit ihr mich ein­tra­gen könnt.«

Am­ber nick­te, stand auf und ging zum Kühl­schrank. »Ich hab einen neu­en Plan ge­macht. Bad und Kü­che wer­den zwei­mal die Wo­che ge­putzt. Wir ha­ben dich schon ein­ge­tra­gen.« Da­ko­ta be­trach­te­te den Ka­len­der. Der Plan war für die nächs­ten bei­den Wo­chen fest­ge­legt. Hof­fent­lich wür­de ihr Putz­dienst sich nicht mit ih­ren Ar­beits­zei­ten über­schnei­den. Viel­leicht soll­te sie … Nein, es wäre un­ver­schämt, Am­ber um Än­de­run­gen zu bit­ten, nach­dem sie sich seit ih­rer An­kunft ges­tern Nach­mit­tag kaum hat­te bli­cken las­sen.

»Ist das ok für dich?«, frag­te Am­ber schließ­lich.

Da­ko­ta riss sich von dem Plan los. »Ja, klar. Si­cher.« Ein paar Se­kun­den stand sie noch un­sch­lüs­sig in der Kü­che, wäh­rend Am­ber sich wie­der an den Tisch setz­te. Dann ging sie zur Tür, ohne Plan, wie sie den rest­li­chen Tag ver­brin­gen soll­te. Wie­der al­lein in ih­rem Zim­mer? Doch da kam ihr eine Idee. »Soll ich viel­leicht noch was ein­kau­fen? Ich woll­te so­wie­so noch­mal los.«

Un­si­cher schau­te Am­ber zu Ja­mie. »Äh, nein, ei­gent­lich …«

»Klar«, fiel Ja­mie ihr ins Wort, »Wir könn­ten zu­sam­men ko­chen. Ich mach dir schnell eine Lis­te.«

Not­ge­drun­gen koch­te Da­ko­ta zu­sam­men mit Am­ber und Ja­mie Spa­ghet­ti Bo­lo­gne­se. Ja­mie be­stand dar­auf, die Soße aus fri­schen Zu­ta­ten selbst zu ma­chen. Mit an­ge­spann­ten Schul­tern stand Da­ko­ta an der Ar­beits­plat­te und schnitt Cock­tail­to­ma­ten in klei­ne Stü­ck­chen. Am­ber saß am Tisch und zer­hack­te Kräu­ter, wo­bei sie im­mer wie­der ver­stoh­len zu Da­ko­ta her­über sah. Ob­wohl Da­ko­ta froh war, dass Am­ber kei­ne Fra­gen stell­te, konn­te sie das Schwei­gen nur schwer er­tra­gen. Sie schau­te sich nach ei­nem Ra­dio um. Ein biss­chen Mu­sik oder sinn­lo­ses Ge­schwätz wür­den die pein­li­che Stil­le we­nigs­tens ein biss­chen über­tö­nen.

»Hey, ihr habt ja schon an­ge­fan­gen.« Mit ei­nem un­be­schwer­ten Lä­cheln trat Ja­mie in die Kü­che. Die rot­brau­nen Haa­re fie­len ihr feucht auf den Rü­cken. Ihr Ge­sicht strahl­te und Da­ko­ta frag­te sich, wie sie es schaff­te, so zu tun, als wäre al­les in Ord­nung.

»Wir ma­chen die Soße«, ent­geg­ne­te Am­ber bei­läu­fig, wahr­schein­lich nur, um die all­ge­mei­ne An­span­nung zu über­spie­len, von der Ja­mie an­schei­nend nichts merk­te.

»Su­per, dann mach ich den Sa­lat«, sag­te Ja­mie, schnapp­te sich den in Fo­lie ein­ge­wi­ckel­ten Sa­lat­kopf und be­gann, die Blät­ter ab­zu­rei­ßen und zu wa­schen. Sie wirk­te da­bei so rou­ti­niert, dass Da­ko­ta sich blöd vor­kam, wie sie un­ge­lenk die To­ma­ten in un­ter­schied­li­che gro­ße, un­för­mi­ge Stü­cke schnitt.

»Möch­test du den Sa­lat wa­schen? Dann schnei­de ich die To­ma­ten«, bot Ja­mie an.

»Nein, schon gut.« Ja­mie jetzt auch noch mehr Ar­beit auf­zu­bür­den, nur weil sie sich so un­ge­schickt an­stell­te, war das Letz­te was sie woll­te.

»Das ist doch nicht schlimm. Dir fehlt ein­fach nur die Übung.«

»Das krieg ich schon hin.« Da­ko­ta dreh­te Ja­mie halb den Rü­cken zu, doch das hielt sie nicht da­von ab, wei­ter­plap­pern.

»Am­ber und ich ha­ben schon in der Grund­schu­le zu­sam­men ge­kocht. Zu­sam­men mit ih­rer Mom. Ein­mal ha­ben wir uns eine To­ma­ten­schlacht ge­lie­fert. Weißt du noch, Am­ber?«

»Ja, das war lus­tig«, press­te Am­ber her­vor und zwang sich zu ei­nem Lä­cheln.

»Jetzt zieht doch nicht sol­che Ge­sich­ter.« Ja­mie leg­te Da­ko­ta eine Hand auf die Schul­ter und sie zuck­te zu­sam­men, ob­wohl sie ei­gent­lich da­mit hat­te rech­nen müs­sen, nach­dem Ja­mie ihr bei ih­rer ers­ten Be­geg­nung gleich um den Hals ge­fal­len war. Ja­mie run­zel­te die Stirn und nahm ihre Hand lang­sam wie­der weg. »Hey, Da­ko­ta, wenn es ir­gend­was gibt, das …«

»Mir geht’s gut.«

»Wirk­lich? Du wirkst so be­drückt. Ich mei­ne, du kennst uns nicht, aber…«

»Lass sie in Ruhe. Sie will nicht mit dir re­den«, rief Am­ber.

Ja­mie stock­te in der Be­we­gung. Für ein paar Se­kun­den war nur das Rau­schen des Was­ser­hahns zu hö­ren. Be­trof­fen sah sie zu Am­ber. Dann zu Da­ko­ta. »Stimmt das?«

Da­ko­ta schluck­te die auf­stei­gen­den Trä­nen hin­un­ter. Die gan­ze Si­tua­ti­on war noch viel schlim­mer als be­fürch­tet. Sie um­klam­mer­te das Mes­ser so fest, dass der Griff schmerz­haft in ihre Hand­flä­che drück­te. Sie brach­te es nicht fer­tig, Ja­mie an­zu­se­hen. »Nein, tut mir leid. Ich …«

»Schon ok. Du musst nicht re­den. Wir ver­ur­tei­len dich auch nicht.« Ja­mie klang ver­ständ­nis­voll, doch Am­bers ab­fäl­li­ges Schnau­ben sprach eine an­de­re Spra­che.

Die Stim­mung war ge­drückt. Beim Es­sen war Ja­mie die Ein­zi­ge, die ver­such­te, ein Ge­spräch am Lau­fen zu hal­ten, doch auch sie war sicht­lich ge­knickt. Am­ber starr­te die meis­te Zeit an­ge­spannt auf ih­ren Tel­ler. Kein Wun­der. Sie dach­te wahr­schein­lich zu Recht, dass Da­ko­ta sie nicht lei­den konn­te. Das schlech­te Ge­wis­sen zer­fraß sie und mach­te sie fast wahn­sin­nig. Ei­lig stopf­te sie die Spa­ghet­ti in sich hin­ein und ver­schwand in ih­rem Zim­mer. Erst als sie sich si­cher war, dass Am­ber und Ja­mie im Bett wa­ren, wag­te sie sich ins Bad.

In den nächs­ten drei Ta­gen ging sie Am­ber und Ja­mie so gut wie mög­lich aus dem Weg. Sie streif­te wie eine Hei­mat­lo­se durch die Stadt, kauf­te sich ihr Es­sen bei ir­gend­wel­chen Im­biss­bu­den und hielt sich in ver­schie­de­nen Parks auf.

Am Sams­tag ver­ließ sie eine Stun­de frü­her als nö­tig das Haus und spa­zier­te ziel­los durch Blue Wa­ter, be­vor sie zur Ar­beit ging. Sich eine Woh­nung zu tei­len war schreck­lich und es war ganz al­lein ihre Schuld. Da­ko­ta ver­fluch­te sich für ihre Hem­mun­gen und Ängs­te. Sie hass­te ihre El­tern für das, was sie ihr an­ge­tan hat­ten. Ei­gent­lich wa­ren sie schuld. Sie hat­ten sie zu dem Mensch ge­macht, der sie heu­te war. Ein Mensch, der nie­man­dem ver­trau­en konn­te und an­de­ren aus dem Weg ging.

Den gan­zen Sonn­tag ver­schanz­te sie sich wie­der in ih­rem Zim­mer, da sie sich nicht dazu über­win­den konn­te, mit Am­ber und Ja­mie zu re­den, sich bei ih­nen für ihr schreck­li­ches Ver­hal­ten zu ent­schul­di­gen. Nach fast ei­ner Wo­che war der Zug schon ab­ge­fah­ren. Ihre Mit­be­woh­ne­rin­nen hat­ten sich ihre Mei­nung über sie längst ge­bil­det. Es gab kein Zu­rück mehr. Jetzt ging es nur noch dar­um, das kom­men­de Schul­jahr zu über­ste­hen und einen gu­ten Ab­schluss zu ma­chen. Viel­leicht konn­te sie da­nach wirk­lich von vor­ne an­fan­gen. Und beim nächs­ten Mal, das schwor sie sich, wür­de sie es bes­ser ma­chen.

4. Kapitel

Dakota

Fest um­klam­mer­te Da­ko­ta die Trä­ger ih­res Ruck­sacks und ging mit lan­gen, si­che­ren Schrit­ten über den Schul­hof der Blue Wa­ter High, so als wäre sie schon seit Jah­ren auf die­ser Schu­le. Nie­mand ach­te­te auf sie. In der Men­ge fiel sie nicht auf.

Be­tont läs­sig lehn­te sie sich an das Trep­pen­ge­län­der vor dem Haup­t­ein­gang und ließ ih­ren Blick über das Ge­län­de schwei­fen. Die meis­ten Ju­gend­li­chen stan­den in klei­nen Grup­pen zu­sam­men. Nur we­ni­ge sa­ßen al­lein auf ei­ner Bank oder auf dem Ra­sen und starr­ten in ihre Han­dys oder ir­gend­wel­che Bü­cher.

Hier drau­ßen fühl­te sie sich si­cher, doch es grau­te ihr da­vor, ins Schul­ge­bäu­de zu ge­hen und durch den Gang zu lau­fen. Zwi­schen all den Möch­te­gern-Bad-Boys und selbst er­nann­ten An­füh­re­rin­nen, die an ih­ren Spin­den lehn­ten und je­den be­ob­ach­te­ten, der vor­bei­kam. Um nicht auf­zu­fal­len, blieb sie so lan­ge wie mög­lich vor dem Ein­gang ste­hen und ging erst hin­ein, kurz be­vor es zum Un­ter­richts­be­ginn läu­te­te.

Ob­wohl nie­mand wirk­lich In­ter­es­se an ihr zeig­te, glaub­te Da­ko­ta, die Bli­cke der an­de­ren im Rü­cken zu spü­ren. Drei Ty­pen, die vor ei­nem of­fe­nen Spind stan­den, pfif­fen ihr hin­ter­her. »Hey Süße«, rief ei­ner, »dich kenn ich gar nicht.«

Un­be­irrt setz­te Da­ko­ta ih­ren Weg fort und ver­such­te, ihr hef­tig po­chen­des Herz zu igno­rie­ren. Ein Bild fla­cker­te in ih­rem Kopf auf. Kräf­ti­ge Hän­de, die nach ih­ren Hand­ge­len­ken grif­fen. Je­mand lach­te hä­misch.

Sie schüt­tel­te den Kopf, um das Bild los­zu­wer­den. Nie­mand wür­de ihr et­was an­tun. Die Jungs auf der High­school fühl­ten sich ein­fach nur cool, aber sie wür­den ihr nicht weh­tun. Zu­min­dest re­de­te sie sich das ein.

Kurz be­vor sie das Se­kre­ta­ri­at be­trat, strich sie ihre schwa­r­ze Blu­se und den leicht zer­knit­ter­ten, eben­falls schwa­r­zen Rock glatt. Mist. Viel­leicht hät­te sie ihn doch bü­geln sol­len. Wäre sie nicht so un­freund­lich zu Am­ber und Ja­mie, hät­te sie eine der bei­den so­gar nach ei­nem Bü­gel­ei­sen fra­gen kön­nen. In­ner­lich ohr­feig­te sie sich.

Reiß dich zu­sam­men. Tu, was du tun musst.

Als auf ihr Klop­fen nie­mand ant­wor­tet, öff­ne­te sie ein­fach die Tür und steck­te den Kopf her­ein. Eine äl­te­re Frau saß am Schreib­tisch.

»Gu­ten Mor­gen«, quetsch­te Da­ko­ta so höf­lich wie mög­lich her­vor.

Die Frau schau­te auf. »Soll­test du nicht längst im Klas­sen­zim­mer sein?«, frag­te sie streng und rück­te ihre Bril­le zu­recht.

Da­ko­ta er­klär­te ihr, dass sie neu an der Schu­le war und ih­ren Stun­den­plan noch nicht be­kom­men hat­te. Ihr Ge­gen­über tipp­te et­was in ih­ren Com­pu­ter ein. Dann for­der­te sie Da­ko­ta auf, schleu­nigst in ihr Klas­sen­zim­mer zu ge­hen und ih­ren Stun­den­plan in der Pau­se ab­zu­ho­len.

---ENDE DER LESEPROBE---