Fort von hier - Niccolò Ammaniti - E-Book

Fort von hier E-Book

Niccolò Ammaniti

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Beschreibung

Ein kleiner Ort an der italienischen Küste. Graziano Biglia hat ein wildes Leben hinter sich. Jetzt ist er wieder da und will heiraten. Seine Liebste aber wirft sich einem Filmproduzenten an den Hals. Während Graziano in der Bar hockt und auf Rache sinnt, betritt die schöne Lehrerin Laura Palmieri das Lokal. Da trifft Graziano eine folgenschwere Entscheidung, die sein Leben auf schicksalhafte Weise mit dem ihren und dem eines schüchternen, verträumten Jungen verbinden wird.

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Das Buch

Ein kleiner Ort an der italienischen Küste. Graziano Biglia hat ein wildes Leben hinter sich. Jetzt ist er wieder da und will heiraten. Seine Liebste aber wirft sich einem Filmproduzenten an den Hals. Während Graziano in der Bar hockt und auf Rache sinnt, betritt die schöne Lehrerin Laura Palmieri das Lokal. Da trifft Graziano eine folgenschwere Entscheidung, die sein Leben auf schicksalhafte Weise mit dem ihren und dem eines schüchternen, verträumten Jungen verbinden wird.

Der Autor

NICCOLÒ AMMANITI, geboren 1966 in Rom, ist einer der erfolgreichsten und renommiertesten Autoren italienischer Sprache. Seine Bücher wurden von international herausragenden Regisseuren für das Kino verfilmt und seine Werke in 44 Sprachen übersetzt. Jetzt erscheinen der 1999 erstmals auf Deutsch veröffentlichte Roman Fort von hier sowie Ammanitis Weltbestseller Ich habe keine Angst, für den er mit dem Premio Viareggio ausgezeichnet wurde, in einer neuen Ausgabe im Eisele Verlag, zeitgleich mit seinem neuen Bestseller Intimleben. Er lebt mit seiner Frau in Rom.

NICCOLÒ AMMANITI

Fort von hier

ROMAN

AUS DEM ITALIENISCHEN VON ULRICH HARTMANN

Besuchen Sie uns im Internet:www.eisele-verlag.de

ISBN 978-3-96161-179-9

Die Originalausgabe »Ti prendo e ti porto via« erschien 1999 bei Arnoldo Mondadori, Mailand.

Die Rechte an der Nutzung der deutschen Übersetzung von Ulrich Hartmann liegen beim Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH.

Taschenbuchausgabe

1. Auflage Juli 2023

© 1999 by Niccolò Ammaniti

Published in Italian by Giulio Einaudi editore.

© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe

Julia Eisele Verlags GmbH, München

© der deutschen Übersetzung 2001

by Wilhelm Goldmann Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München

Umschlagmotiv: © Kovalov Anatolii/Shutterstock

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Inhalt

Über das Buch / Über den Autor

Titel

Impressum

Widmung

Hinweis

Zitate

18. JUNI 199…

1.

Sechs Monate vorher …

9. DEZEMBER

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10. DEZEMBER

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11. DEZEMBER

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Sechs Monate später …

18. JUNI

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19. JUNI

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151.

Sechs Jahre später …

Danksagung

EMPFEHLUNGEN

Orientierungsmarken

Cover

Inhalt

Textbeginn

Für Nora

Dieses Buch ist ein Werk der Fantasie. Namen, Personen, Orte und Ereignisse sind vom Autor frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit realen lebenden oder verstorbenen Personen, Ereignissen oder Orten ist rein zufällig.

e ripensavo ai primi tempi, quando ero innocente, a quando avevo nei capelli la luce rossa dei coralli, quando ambiziosa come nessuna, mi specchiavo nella luna e l’obbligavo a dirmi sempre sei bellissima.

Sei Bellissima, Loredana Berté

Pecché nun va cchiù a tiempo ’o mandolino? Pecché ’a chitarra nun se fa sentì?

Guapparia, Rodolfo Falvo

Alegría es cosa buena

La macarena

18. JUNI 199…

1.

Es ist vorbei.

Ferien. Ferien. Ferien.

Drei Monate Ferien. Also eigentlich ewig.

Strand. Baden. Fahrradausflüge mit Gloria. Und im Schilf bis zu den Knien im warmen Brackwasser stehen und nach kleinen Fischen, Kaulquappen, Molchen und Insektenlarven suchen.

Pietro Moroni stellt sein Fahrrad an die Mauer und sieht sich um.

Er ist zwölf, wirkt aber zu klein für sein Alter.

Er ist mager, braun gebrannt und hat einen dicken Mückenstich auf der Stirn. Seine Haare sind schwarz und von seiner Mutter mehr schlecht als recht kurz geschnitten. Er hat eine Stupsnase und zwei große, haselnussbraune Augen. Er trägt ein weißes T-Shirt von der Fußballweltmeisterschaft, ein Paar kurze ausgefranste Jeans und durchsichtige Gummisandalen, von denen man diese schwarze Schmiere zwischen den Zehen bekommt.

Wo ist Gloria?, fragt er sich.

Er schiebt sich zwischen den überfüllten Tischchen der Bar Segafredo durch.

Alle seine Kameraden sind da.

Und alle warten, essen Eis, suchen sich einen Platz im Schatten. Es ist sehr heiß.

Seit einer Woche hat man das Gefühl, dass es überhaupt keinen Wind mehr gibt, dass er sich irgendwohin verzogen, alle Wolken mitgenommen und nur eine enorme Sonne zurückgelassen hat, die einem das Hirn im Kopf zum Kochen bringt.

Es ist elf Uhr vormittags, und das Thermometer zeigt schon siebenunddreißig Grad.

Auf den Pinien hinter dem Volleyballplatz zirpen die Zikaden wie besessen. Und irgendwo in der Nähe muss ein Tier verendet sein, denn immer wieder kommt ein süßlicher Aasgeruch herüber.

Das Gittertor der Schule ist geschlossen.

Die Ergebnisse hängen noch nicht aus.

Ein leichtes Angstgefühl schleicht sich in seinen Bauch, drückt auf das Zwerchfell und macht ihm das Atmen schwer.

Er geht in die Bar.

Obwohl man vor Hitze fast umkommt, drängen sich eine Menge Jungen um das einzige Videospiel.

Er geht wieder raus.

Da ist sie!

Gloria sitzt auf dem Mäuerchen. Auf der anderen Straßenseite. Er geht zu ihr. Sie gibt ihm einen Klaps auf die Schulter und fragt: »Hast du Angst?«

»Ein bisschen.«

»Ich auch.«

»Hör auf«, sagt Pietro. »Du bist versetzt worden. Das weißt du doch.«

»Was machst du nachher?«

»Weiß nicht. Und du?«

»Weiß nicht. Machen wir was zusammen?«

»Okay.«

Sie sitzen still auf dem Mäuerchen. Pietro geht durch den Kopf, dass seine Freundin in diesem blauen Frottee-T-Shirt noch besser aussieht als sonst, und spürt gleichzeitig, wie seine Panik zunimmt.

Wenn er darüber nachdenkt, weiß er, dass er nichts zu befürchten hat, dass die Sache gut ausgegangen ist.

Doch sein Bauch ist anderer Meinung.

Er hat das Gefühl, dass er aufs Klo muss.

Vor der Bar gibt es Bewegung.

Alle werden wach, gehen über die Straße und drängen sich vor dem geschlossenen Gittertor.

Italo, der Hausmeister, kommt mit den Schlüsseln in der Hand über den Hof und schreit: »Sachte! Sachte! Sonst gibt’s hier noch Verletzte.«

»Gehen wir.« Gloria macht sich auf den Weg zum Tor.

Pietro fühlt sich, als hätte er zwei Eiswürfel unter den Achseln. Er kann sich nicht rühren.

Inzwischen schieben und drücken alle, um hineinzukommen.

Du bist sitzen geblieben!, meldet sich eine leise Stimme.

(Was?)

Du bist sitzen geblieben!

Es ist so. Es ist keine Vorahnung. Es ist kein Verdacht. Es ist so.

(Warum?)

Weil es so ist.

Gewisse Dinge weiß man, und es hat keinen Sinn, nach dem Warum zu fragen.

Wie konnte er nur glauben, versetzt zu werden?

Geh nachsehen, worauf wartest du? Geh. Lauf.

Er schafft es endlich wieder, sich zu bewegen, und quetscht sich zwischen den anderen durch. Das Herz schlägt ihm wie wild in der Brust.

Er gebraucht seine Ellbogen. »Lasst mich durch … Ich muss durch, bitte.«

»Mal langsam! Bist du verrückt?«

»Ganz ruhig, du Idiot. Wo willst du denn hin?«

Er wird gestoßen und geschubst. Er versucht, durch das Tor zu kommen, doch weil er klein ist, drängen ihn die Größeren zurück. Er duckt sich und schlüpft auf allen vieren zwischen den Beinen der anderen durch, erreicht die andere Seite.

»Sachte! Sachte! Nicht drängeln … Langsam, verdam…« Italo steht neben dem Tor, und als er Pietro sieht, bringt er kein Wort mehr heraus.

Du bist sitzen geblieben …

Das steht dem Hausmeister ins Gesicht geschrieben.

Pietro starrt ihn einen Moment an und rast weiter, Hals über Kopf auf die Treppe zu.

Er nimmt immer drei Stufen auf einmal, dann ist er drinnen.

Hinten in der Eingangshalle, neben der Bronzebüste Michelangelos, hängt der Schaukasten mit den Ergebnissen.

Etwas Seltsames geschieht.

Da ist einer, ich glaube aus der 2 A, der hei…, sein Name fällt mir jetzt nicht ein, und der wollte gerade gehen, da hat er mich gesehen und ist stehen geblieben, als wäre das nicht ich, sondern ich weiß auch nicht, ein Marsmensch, und jetzt sieht er mich an und gibt einem anderen einen Stoß mit dem Ellbogen, der heißt Giampaolo Rana, an den Namen kann ich mich erinnern, und sagt irgendwas zu ihm, und Giampaolo hat sich auch umgedreht und sieht mich an, dann die Listen, dann wieder mich, und redet mit einem anderen, der mich ansieht, und noch einer sieht mich an, und alle sehen mich an, und es ist still …

Es ist still.

Die Gruppe hat sich geöffnet und lässt ihn zu den Listen durch. Seine Beine tragen ihn voran, die Kameraden bilden eine Gasse. Er geht nach vorn und steht wenige Zentimeter vor dem Schaukasten, wird geschubst von denen, die nach ihm kommen.

Lies.

Er sucht seinen Zweig.

B! Wo ist B? Der B-Zweig? 1 B, 2 B. Da ist er ja!

Es ist der Letzte rechts.

Abate. Altieri. Bart …

Sein Blick wandert auf der Liste von oben nach unten.

Ein Name ist rot geschrieben.

Einer ist sitzen geblieben.

Ungefähr in der Mitte der Spalte. In der Gegend von M,N,O,P.

Sie haben Pierini sitzen lassen.

Moroni.

Er kneift die Augen zusammen, und als er sie wieder aufmacht, ist alles um ihn herum unscharf und schwankend.

Er liest den Namen noch einmal.

Moroni Pietro Nicht versetzt

Er liest noch einmal.

Moroni Pietro Nicht versetzt

Kannst du nicht lesen?

Er liest ein weiteres Mal.

M-o-r-o-n-i. Moroni. Moroni. Mor… M…

Eine Stimme dröhnt in seinem Kopf. Und wie heißt du?

(Na, was ist los?)

Wie heißt du?

(Wer? Ich …? Ich heiße … Pietro. Moroni. Moroni Pietro.)

Und da steht Moroni Pietro. Und gleich daneben, in Rot, in riesengroßer Blockschrift, Nicht versetzt.

Dann war das Gefühl also richtig.

Und er hatte gehofft, es wäre das übliche blöde Gefühl, das man hat, wenn man eine Klassenarbeit zurückbekommt und zu neunundneunzig Prozent sicher ist, sie in den Sand gesetzt zu haben. Ein Gefühl, das sich dann doch nie bewahrheitet, weil man weiß, dass dieses winzig kleine eine Prozent viel mehr wert ist als der Rest.

Die anderen! Sieh bei den anderen nach.

Pierini Federico versetzt

Bacci Andrea versetzt

Ronca Stefano versetzt

Er sucht nach Rot auf irgendeinem anderen Blatt, aber es ist alles blau.

Ich kann nicht der Einzige in der ganzen Schule sein, der sitzen geblieben ist. Die Palmieri hat mir gesagt, dass ich versetzt würde. Dass sich alles regeln würde. Sie hat es mir verspro…

(Nein.)

Er darf jetzt nicht daran denken.

Er muss jetzt nur gehen.

Wieso haben sie Pierini, Ronca und Bacci versetzt und mich nicht?

Da ist er.

Der Kloß im Hals.

Ein Spion im Hirn informiert ihn: Lieber Pietro, es ist besser, du läufst jetzt schnell weg, du fängst nämlich gleich an zu weinen. Und du willst doch nicht vor allen weinen, oder?

»Pietro! Pietro! Und?!«

Er dreht sich um.

Gloria.

»Bin ich versetzt worden?«

Das Gesicht seiner Freundin taucht hinter den anderen auf. Pietro sucht Celani.

Blau.

Wie alle anderen.

Er möchte es ihr sagen, aber er schafft es nicht. Er hat einen komischen Geschmack im Mund. Kupfer. Säure. Er holt Luft und schluckt.

Ich muss kotzen.

»Und? Bin ich versetzt worden?«

Pietro nickt.

»Ah! Wie schön! Ich bin versetzt worden! Ich bin versetzt worden!«, schreit Gloria und fängt an, die Umstehenden zu umarmen.

Warum macht sie dieses ganze Theater?

»Und du? Und du?«

Antworte ihr, los!

Er fühlt sich schlecht. Ihm ist, als hätte er Hornissen in den Ohren. Seine Knie sind weich wie Butter, seine Wangen feuerrot.

»Pietro!? Was hast du denn? Pietro!«

Nichts. Sie haben mich nur sitzen lassen, möchte er antworten. Er lehnt sich an die Wand und sackt langsam zusammen.

Gloria kämpft sich durch das Gedränge zu ihm vor.

»Pietro, was hast du? Ist dir schlecht?«, fragt sie und sieht auf die Listen.

»Sie haben dich nicht ver…?«

»Nein …«

»Und die anderen?«

»J…«

Und Pietro Moroni wird bewusst, dass alle einen Kreis um ihn bilden und ihn anstarren, dass er dort in der Mitte der Trottel ist, das schwarze (rote) Schaf, und dass auch Gloria auf der anderen Seite steht, zusammen mit all den anderen, und es hilft nichts, absolut nichts, dass sie ihn jetzt mit diesen Bambi-Augen anschaut.

Sechs Monate vorher …

9. DEZEMBER

2.

Am 9. Dezember morgens um zwanzig nach sechs, gerade fegte ein Unwetter mit Sturm und Regen über das Land, bog ein schwarzer Uno Turbo GTI (Überrest einer anderen Zeit, als man sich für ein paar Lire Aufpreis einen motorisierten Sarg kaufen konnte, der losschoss wie ein Porsche, Benzin soff wie ein Cadillac und sich zusammendrücken ließ wie eine Coca-Cola-Dose) auf die Ausfahrt ein, die von der Aurelia nach Ischiano Scalo führte, und setzte seinen Weg auf der zweispurigen Straße durch die Äcker fort. Er passierte das Sportzentrum und den Sitz der landwirtschaftlichen Genossenschaft und fuhr in den Ort hinein.

Der kurze Corso Italia war von einer Schlammschicht bedeckt. Das Reklameschild des Schönheitssalons Ivana Zampetti war vom Wind umgeworfen und mitten auf die Straße geschleudert worden.

Keine Menschenseele war unterwegs, nur ein lahmer Straßenköter mit mehr Rasse im Blut als Zähnen im Mund wühlte in den Abfällen eines umgekippten Müllcontainers.

Der Uno fuhr an ihm vorbei, passierte die heruntergelassenen Rollläden der Metzgerei Marconi, des Tabakwaren- und Parfümgeschäfts und der Landwirtschaftsbank und erreichte schließlich die Piazza XXV Aprile im Ortskern.

Altpapier, Plastiktüten, Zeitungen und Regen wirbelten auf dem Bahnhofsplatz durcheinander. Die gelben Blätter der alten Palme in der Mitte des Parks waren alle nach einer Seite gebogen. Die Tür des kleinen Bahnhofs, eines rechteckigen, grauen Gebäudes, war geschlossen, doch das rote Licht der »Station Bar« brannte und zeigte an, dass sie schon geöffnet hatte.

Er stoppte vor dem Denkmal für die Gefallenen von Ischiano Scalo und ließ den Motor laufen. Der Auspuff spuckte dicken schwarzen Rauch aus. Durch die getönten Scheiben konnte man nicht ins Innere sehen.

Schließlich öffnete sich die Fahrertür mit einem metallischen Knarren.

Zunächst war nur Volare in der Flamenco-Version der Gipsy Kings zu hören, doch gleich darauf zeigte sich ein großer, kräftiger Mann mit einer langen blonden Mähne, Pilotenbrille und einer braunen Lederjacke mit einem aus Perlen gestickten Apachenadler auf dem Rücken.

Sein Name war Graziano Biglia.

Der Typ reckte und streckte sich. Gähnte. Vertrat sich die Beine. Zog ein Päckchen Camel heraus und zündete sich eine an.

Er war wieder zu Hause.

Der Albatros und das Go-go-Girl

Um zu verstehen, warum Graziano Biglia beschloss, ausgerechnet am 9. Dezember nach zweijähriger Abwesenheit in seinen Geburtsort Ischiano Scalo zurückzukehren, müssen wir eine kurze Rückschau halten.

Wir müssen nicht weit zurückgehen. Nur sieben Monate. Und wir müssen einen Sprung machen, auf die andere Seite Italiens, an die Ostküste. Genauer gesagt an die sogenannte Riviera romagnola.

Der Sommer beginnt gerade.

Es ist ein Freitagabend, und wir sind im »Carillon del mare«, auch »Calzino del Mario« genannt, einem kleinen, billigen Restaurant am Strand, wenige Kilometer von Riccione entfernt, das auf Fischplatten und bakterielle Magendarmentzündungen spezialisiert ist.

Es ist heiß, doch vom Meer her weht ein kühles Lüftchen, das alles erträglicher macht.

Das Lokal ist überfüllt. Es sind vor allem Ausländer, deutsche und holländische Pärchen, Leute aus dem Norden.

Und da ist Graziano Biglia. Er lehnt an der Theke und trinkt gerade seinen dritten Margarita.

Pablo Gutierrez, ein dunkler Typ mit Fransenfrisur und einer Tätowierung auf dem Rücken, kommt ins Lokal und geht auf ihn zu.

»Fangen wir an?«, fragt der Spanier.

»Fangen wir an.« Graziano wirft dem Barkeeper einen Blick zu; der bückt sich, holt hinter der Theke eine Gitarre hervor und gibt sie ihm.

Heute Abend hat Graziano nach langer Zeit wieder einmal Lust zu spielen. Er fühlt sich inspiriert.

Es mögen die Margaritas sein, die er sich gerade genehmigt hat, oder der frische Wind oder die intime und freundliche Atmosphäre dieser Terrasse am Meer, wer kann das wissen?

Er setzt sich auf einen Hocker in die Mitte der von warmen roten Lichtern erleuchteten kleinen Tanzfläche und holt die Gitarre aus ihrer Lederhülle wie ein Samurai seine Katana.

Eine spanische Gitarre, die der berühmte Gitarrenbauer Xavier Martinez aus Barcelona eigens für Graziano hergestellt hat. Er stimmt sie und hat das Gefühl, dass zwischen ihm und dem Instrument ein magischer Strom fließt, der sie beide zu Komplizen macht, die gemeinsam wundervolle Akkorde hervorbringen. Dann sieht er Pablo an. Er steht hinter den Congas.

Ein Funken der Verständigung blitzt in ihren Augen auf.

Und ohne weitere Zeit zu verlieren, fangen sie mit einem Stück von Paco de Lucia an, dann gehen sie zu Santana über, lassen ein paar Sachen von John McLaughlin hören und kommen schließlich zu den unsterblichen Gipsy Kings.

Grazianos Hände fliegen über die Saiten seiner Gitarre, als wäre er vom Geist des großen Andrés Segovia besessen.

Dem Publikum gefällt es. Applaus. Zurufe. Begeisterte Pfiffe.

Er hat sie in der Hand. Vor allem die Frauen. Sie geben Laute von sich wie paarungswillige Kaninchen.

Das hat wenig mit der Magie der spanischen Musik zu tun und viel mit Grazianos Aussehen.

Es ist schwer, bei einem wie Graziano nicht den Kopf zu verlieren.

Die blonde Löwenmähne, die ihm bis auf die Schultern fällt. Die kräftige Brust, die von einem kastanienbraunen weichen Flaum bedeckt ist. Arabische Augen wie Omar Sharif. Verwaschene und über den Knien zerrissene Jeans. Die Kette mit dem Türkis. Das Tribal-Tattoo auf dem geschwollenen Bizeps. Die nackten Füße. Alles spielt zusammen, um die Herzen seiner Zuhörerinnen zu brechen.

Als das Konzert zu Ende ist, nach der x-ten Zugabe von Samba pa ti, nach dem x-ten Küsschen für die sonnenverbrannte Deutsche, verabschiedet sich Graziano von Pablo und geht aufs Klo, um sich ein schönes Pfeifchen mit bolivianischem Tiramisù zu stopfen.

Er will die Toilette gerade verlassen, als eine Brünette, braun wie ein Schokokeks und nicht mehr ganz jung, aber mit Titten wie Luftballons, hereinkommt.

»Hier ist für Männer …«, lässt Graziano sie wissen und zeigt auf die Tür.

Die Frau unterbricht ihn mit einer Handbewegung. »Ich möchte dir einen blasen, hast du Lust?«

Seit die Welt sich dreht, hat noch niemand dieses Angebot abgelehnt.

»Dann nichts wie rein«, sagt Graziano mit einer einladenden Geste.

»Zuerst will ich dir was zeigen«, sagt die Brünette. »Sieh mal da, in der Mitte des Lokals. Siehst du den mit dem Hawaiihemd? Das ist mein Mann. Wir kommen aus Mailand …«

Ihr Mann ist ein schmächtiger, pomadisierter Typ, der sich gerade mit Muscheln vollstopft.

»Wink mal zu ihm rüber.«

Graziano macht ein Zeichen in seine Richtung. Der Typ hebt sein Sektglas und klatscht dann.

»Er findet dich sehr gut. Er sagt, dass du spielst wie ein Gott. Dass du Talent hast.«

Die Frau schiebt ihn ins Klo. Schließt die Tür. Setzt sich auf die Schüssel. Knöpft ihm die Jeans auf und sagt: »Aber jetzt setzen wir ihm Hörner auf.«

Graziano lehnt sich an die Wand, schließt die Augen.

Und die Zeit verschwindet.

So war damals das Leben von Graziano Biglia.

Außer Atem, wie im Film. Ein Leben, das aus Begegnungen, glücklichen Zufällen, positiven Energien und Schwingungen bestand. Ein Leben nach den Noten einer Merengue.

Was gibt es Schöneres als den bitteren Geschmack der Droge, von der man ein taubes Gefühl im Mund bekommt, während einem eine Milliarde kleiner Moleküle durchs Hirn wirbeln, wie ein Wind, der wütet, aber nichts Schlimmes anrichtet? Was gibt es Schöneres als eine fremde Zunge, die einem den Schwanz verwöhnt?

Was?

Die Brünette lädt ihn ein, mit ihnen zusammen zu essen. Champagner. Gebackene Tintenfische. Muscheln.

Ihr Mann hat eine Fabrik für Tierfutter in Cinisello Balsamo und einen Ferrari Testarossa auf dem Parkplatz des Restaurants.

Ob sie wohl irgendwelchen Stoff nehmen?, fragt sich Graziano.

Wenn er es schafft, ihnen ein paar Gramm zu vertickern und damit ein paar Lire zu verdienen, kann aus dem guten Abend noch ein genialer werden.

»Du hast bestimmt ein irres Leben: immer nur Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll?«, fragt ihn die Brünette und knabbert dabei an einer Languste.

Es deprimiert Graziano, wenn die Leute so mit ihm reden.

Warum machen die Leute den Mund auf und spucken irgendwelche Wörter aus, überflüssige palabras?

Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll … Immer dieselbe Geschichte.

Doch beim Essen denkt er weiter darüber nach.

Im Grunde ist was Wahres daran.

Sein Leben ist Sex und Drogen und … nein, Rock ’n’ Roll kann man nun wirklich nicht sagen … und Flamenco.

Ja und …?

Sicher, viele Leute fänden ein Leben wie meins furchtbar. Ohne Orientierung. Ohne Fixpunkte. Aber ich finde es okay so und scheiße darauf, was die anderen denken.

Auf einer Treppe in Benares hatte er einmal eine meditierende Belgierin sagen hören: »Ich fühle mich wie ein Albatros, der von den Luftströmungen getragen wird. Von positiven Strömungen, die ich mit einem leichten Flügelschlag kontrolliere.«

Auch Graziano fühlte sich wie ein Albatros.

Ein Albatros mit nur einer großen Verpflichtung: weder sich noch den anderen wehzutun.

Es gibt Leute, die meinen, Dealen sei nicht okay.

Graziano meint, es hängt davon ab, wie man es macht.

Wenn du es machst, um dich durchzuschlagen, und du dich nicht dabei bereichern willst: in Ordnung. Wenn du an Freunde verkaufst: in Ordnung. Wenn du guten Stoff verkaufst und keine Scheiße: in Ordnung.

Wenn er allein von seiner Musik leben könnte, würde er augenblicklich mit dem Dealen aufhören.

Es gibt Leute, die meinen, Drogen nehmen sei nicht okay. Graziano meint, es hängt davon ab, wie man es macht. Wenn du übertreibst, wenn du dich von der Droge verarschen lässt, ist es nicht in Ordnung. Er braucht keine Ärzte und Pfarrer, die ihm erklären, dass Koks unangenehme Nebenwirkungen hat. Aber wenn du dir ab und zu mal was reinpfeifst, ist absolut nichts Schlimmes dabei.

Und Sex?

Sex? Stimmt, ich habe viel Sex, aber was kann ich dafür, wenn ich den Frauen gefalle und sie mir? (Mit Männern, das finde ich widerlich, damit’s da kein Vertun gibt.) Sex macht man zu zweit. Sex ist die schönste Sache auf der Welt, wenn man sie richtig macht und man sich gut versteht.(Graziano hat nie viel darüber nachgedacht, wie selbstverständlich diese Feststellung ist.)

Und was gefiel Graziano noch?

Latino-Rock, in Lokalen Gitarre spielen (wenn ich bezahlt werde!), sich am Strand bräunen, mit Freunden herumhängen, wenn eine riesige blutrote Sonne im Meer versinkt und …

… und weiter nichts.

Man darf diesen Leuten nicht glauben, die einem erzählen, dass man sich den Arsch aufreißen muss, um die Dinge des Lebens schätzen zu können. Das stimmt nicht. Die wollen dich nur drankriegen. Die Lust ist eine Religion, und der Körper ist ihr Tempel.

Und Graziano hatte es sich entsprechend eingerichtet.

Er wohnte von Juni bis Ende August in einer Einzimmerwohnung im Zentrum von Riccione, ging im September nach Ibiza und im November nach Jamaika, um zu überwintern.

Mit vierundvierzig Jahren nannte sich Graziano Biglia einen Berufszigeuner, einen Vagabunden des Dharma, eine wandernde Seele auf der Suche nach seinem Karma.

Jedenfalls bis zu jenem Abend, bis zu jenem verdammten Abend im Juni, als sein Leben sich mit dem des Go-go-Girls Erica Trettel verflocht.

Und hier sehen wir unseren Berufszigeuner zwei Stunden nach dem Großen Fressen im »Carillon del mare«.

Auf der Galerie des »Hangover« hängt er über einem Tisch, als hätte ihm irgendein Verbrecher die Wirbelsäule geklaut. Die Augen sind zu zwei Schlitzen verengt. Der Mund steht halb offen. In der Hand hält er einen Cubra libre, schafft es aber nicht, zu trinken.

»Madonna, bin ich voll«, sagt er immer wieder.

Der Mix aus Koks, Ecstasy, Wein und gebratenem Fisch hat ihn umgehauen.

Der Futtermittelhersteller und seine Frau sitzen neben ihm.

Die Diskothek ist schlimmer vollgestopft als ein Regal im Supermarkt.

Er hat das Gefühl, auf einer Kreuzfahrt zu sein: Die Disko neigt sich nach links und neigt sich nach rechts. Sie haben einen Scheißplatz, da können sie lange behaupten, das wäre die VIP-Zone. Ein riesiger Lautsprecher hängt über seinem Kopf, das zerrt an den Nerven. Doch bevor er aufstehen und sich einen anderen Platz suchen würde, ließe er sich lieber den rechten Fuß amputieren.

Der Futtermittelhersteller schreit ihm unaufhörlich irgendwas ins Ohr. Graziano kapiert rein gar nichts davon.

Er schaut nach unten.

Die Tanzfläche sieht aus wie ein verdammter Ameisenhaufen. In seinem Kopf sind nur noch einfache Wahrheiten.

Was für ein Chaos. Es ist Freitag. Und freitags ist Chaos.

Er bewegt seinen Kopf langsam, wie eine Schweizer Kuh auf der Weide.

Da sieht er sie.

Sie tanzt.

Sie tanzt nackt auf einem Podest mitten in dem Ameisenhaufen.

Er kennt die Go-go-Girls aus dem »Hangover« von vorne und von hinten. Doch die hat er noch nie gesehen.

Sie muss neu sein. Echt ein Klasseweib. Und wie sie tanzt.

Aus den Lautsprechern ergießt sich Drum ’n’ Bass über die Masse aus schweißüberströmten Körpern und Köpfen und Armen, und sie ist da unten, allein und unerreichbar wie die Göttin Kalì.

Die Strobolights zeigen sie in einer endlosen Folge von plastischen geilen Posen.

Er beobachtet sie mit dieser typischen Starrheit, die sich einstellt, wenn man zu viele Drogen genommen hat.

Sie ist die schärfste Frau, die er je gesehen hat.

Stell dir vor, du wärst ihr Freund … So eine neben sich zu haben. Stell dir vor, wie man dich beneiden würde. Wer ist sie bloß?

Er würde gern jemanden nach ihr fragen. Vielleicht den Typ an der Bar. Doch er schafft es nicht, aufzustehen. Seine Beine sind wie gelähmt. Und außerdem kann er nicht aufhören, sie anzustarren.

Sie muss wirklich Spitze sein, denn normalerweise hat Graziano kein Interesse an Frischfleisch (wie er dazu sagt).

Ein Kommunikationsproblem.

Er macht Jagd auf etwas ältere Frauen. Er bevorzugt die reife, großzügige Frau, die einen Sonnenuntergang und eine Serenade im Mondschein zu schätzen weiß, die sich nicht tausend Probleme macht wie eine Zwanzigjährige und sich einen Fick genehmigt, ohne ihn mit Ängsten und Erwartungen zu belasten.

Doch in diesem Fall kann man jede Einteilung und Kategorie im Klo runterspülen.

Bei einer Frau wie dieser wird ja selbst ein Schwuler andersrum.

Stell dir vor, du vögelst sie.

Das blasse Bild einer Umarmung am weißen Strand eines Atolls taucht in seinem Kopf auf. Und wie durch Magie bekommt er langsam einen Ständer.

Aber wer ist sie? Woher kommt sie?

Gott, Buddha, Krishna, Höchstes Prinzip, wer immer du sein magst, du hast sie auf diesem Podest erscheinen lassen, um mir ein Zeichen deiner Existenz zu geben.

Sie ist perfekt.

Nicht dass die anderen Go-go-Girls am Rand der Piste nicht perfekt wären. Alle haben sie knackige Hintern und atemberaubende Beine, volle, üppige Busen und straffe Bäuche. Doch keine ist wie sie, sie hat etwas Besonderes, etwas, das Graziano mit seinen Worten nicht beschreiben kann, etwas Animalisches, das ihm vorher nur bei Kubanerinnen begegnet ist.

Der Körper dieser Frau reagiert nicht auf die Musik, er ist die Musik. Der physische Ausdruck der Musik. Ihre Bewegungen sind langsam und präzise, wie bei einem Tai-Chi-Meister. Sie kann ganz ruhig auf einem Bein stehen und dabei das Becken kreisen lassen und mit den Armen wirbeln. Verglichen mit ihr sind die anderen spastisch.

Wahnsinn.

Und das Unglaubliche ist, dass es keinem in der Disko aufzufallen scheint. Diese Höhlenbewohner hampeln einfach weiter herum, reden weiter, während vor ihnen ein Wunder geschieht.

Mit einem Mal, als hätte Graziano ihr einen Schwung telepathischer Wellen geschickt, hört die Frau auf zu tanzen und wendet sich ihm zu. Graziano ist sich sicher, dass sie ihn ansieht. Regungslos steht sie da auf dem Podest und sieht ihn an. Ganz klar, in all dem Chaos, in diesem wahnsinnigen Gewimmel von Menschen, ihn und niemanden sonst.

Schließlich gelingt es ihm, ihr ins Gesicht zu sehen. Mit diesen kurzen Haaren, diesem Mund, diesen grünen Augen (er kann sogar die Farbe ihrer Augen erkennen!) und dieser perfekten ovalen Gesichtsform sieht sie einer Schauspielerin wahnsinnig ähnlich … einer Schauspielerin, deren Name Graziano auf der Zunge liegt …

Wie heißt sie gleich? Die aus Ghost?

Was wäre es schön, wenn ihn jemand auf den Namen brächte: Demi Moore.

Doch Graziano kann keinen danach fragen, er ist hypnotisiert, wie eine Kobra vor einem Schlangenbeschwörer. Er streckt seine Finger in ihre Richtung, und seine Fingerspitzen senden zehn feine orangefarbene Strahlen aus, die in einer Wellenbewegung wie eine elektrische Ladung durch die Diskothek fließen, über die ignorante Masse hinweg, bis sie schließlich bei ihr in der Mitte der Tanzfläche ankommen, in ihren Nabel eindringen und sie wie eine byzantinische Madonna erstrahlen lassen.

Graziano fängt an zu zittern.

Sie sind vereint durch einen Lichtbogen, der sie miteinander verschmelzen lässt, in unvollkommene Hälften eines vollständigen Wesens verwandelt. Nur zusammen werden sie glücklich sein, wie Engel mit nur einem Flügel, die durch ihre Umarmung fliegen und das Paradies erreichen.

Graziano möchte am liebsten weinen.

Er ist überwältigt von einer grenzenlosen Liebe, wie er sie nie zuvor erlebt hat, einer Liebe, die keine gewöhnliche Geilheit ist, sondern ein durch und durch reines Gefühl, eine Empfindung, die zur Fortpflanzung drängt, zur Verteidigung seiner Frau gegen äußere Gefahren, zum Bau eines Nests, um Kleine aufzuziehen.

Er streckt die Hände aus und sucht den Kontakt mit dieser Frau.

Die beiden aus Mailand starren ihn fassungslos an.

Doch Graziano kann sie nicht sehen.

Die Diskothek ist nicht mehr da. Die Stimmen, die Musik, das Chaos, alles ist von einem Nebel verschluckt worden.

Und dann lichtet sich das Grau langsam, und ein Jeans-Shop taucht auf.

Ja, ein Jeans-Shop.

Nicht so ein beschissener Jeans-Shop wie die in Riccione, sondern einer, der so ist wie die Stores, die er in Vermont gesehen hat: Da sind ordentliche Stapel Norwegerpullover, Reihen schwerer Bergschuhe aus Virginia und Schubladen voller handgestrickter Strümpfe aus Lipari und Gläser mit Marmelade aus Wales, und da sind er und das Go-go-Girl, seine Frau, unübersehbar in guter Hoffnung, hinter der Theke, die aber keine Theke ist, sondern ein Surfbrett. Und dieser Jeans-Shop befindet sich in Ischiano Scalo, dort, wo jetzt das Kurzwarengeschäft seiner Mutter ist. Und alle, die vorbeikommen, bleiben stehen, treten ein und sehen seine Frau und beneiden ihn und kaufen teure Mokassins und Windjacken aus Goretex.

»Der Jeans-Shop«, flüstert Graziano verzückt mit geschlossenen Augen.

Das also hält die Zukunft für ihn bereit!

Er hat es gesehen.

Einen Jeans-Shop.

Diese Frau.

Eine Familie.

Er hat genug von seinem Streunerleben, von diesem freakigen Herumflippen, von Sex ohne Liebe, von Drogen.

Erlösung.

Jetzt hat er eine Mission im Leben: diese Frau kennenzulernen und sie mit nach Hause zu nehmen, weil er sie liebt. Und sie liebt ihn.

»Geliiiebte«, seufzt Graziano, steht von seinem Stuhl auf, lehnt sich über das Geländer und streckt die Arme aus, um sie zu erreichen. Ein Glück, dass die Mailänderin da ist, ihn am Kragen packt und verhindert, dass er abstürzt und sich den Hals bricht.

»Tickst du nicht mehr richtig?«, fragt ihn die Frau.

»Ihm gefällt das Flittchen da unten in der Mitte.« Der Tierfutterhersteller kriegt sich kaum noch ein vor Lachen. »Er wollte sich ihretwegen umbringen. Hast du verstanden? Hast du verstanden?«

Graziano ist wieder auf den Beinen. Er steht mit offenem Mund da. Er ist sprachlos.

Wer sind diese beiden Ungeheuer? Und was erlauben sie sich? Vor allem: Worüber lachen sie? Warum machen sie sich über eine reine, zarte Liebe lustig, die trotz all des Hässlichen und Widerwärtigen in dieser heruntergekommenen Gesellschaft erblüht ist?

Es sieht so aus, als würde der Mailänder jeden Moment vor Lachen platzen.

Diesen Hurensohn mache ich alle. Graziano packt ihn am Kragen seines Hawaiihemds. Er hört augenblicklich auf zu lachen und zeigt ein Lächeln mit zu viel Zahnfleisch. »Entschuldige, tut mir leid … Wirklich, entschuldige. Ich wollte nicht …«

Graziano ist kurz davor, ihm einen Faustschlag auf die Nase zu geben, doch dann lässt er es sein. Dies ist die Nacht der Erlösung, da ist kein Platz für Gewalt, und Graziano Biglia ist ein neuer Mensch.

Ein liebender Mensch.

»Was versteht ihr schon, ihr … ihr habt doch kein Herz«, sagt er leise und taumelt auf die Geliebte zu.

Die Liebesgeschichte mit Erica Trettel, dem Go-go-Girl aus dem »Hangover«, entpuppte sich als eines der katastrophalsten Unternehmen im Leben von Graziano Biglia. Wahrscheinlich war jener Mix aus Koks, Ecstasy und gebratenem Fisch, den er im »Carillon del mare« zu sich genommen hatte, der Anlass für den Blitz, der einen Kurzschluss in seinem Kopf auslöste, doch die tieferen Ursachen waren seine Halsstarrigkeit und angeborene Blindheit.

Wenn man nach einer Nacht mit einer Überdosis an Drogen und Alkohol wach wird, hat man meist Mühe, sich an seinen eigenen Namen zu erinnern. Und auch Graziano hatte alles aus seinem Gedächtnis getilgt: den erfolgreichen Auftritt im »Carillon«, die Futtermittelhersteller und …

Nein!

Das Go-go-Girl nicht.

Diese Frau hatte er nicht vergessen.

Als Graziano am nächsten Tag die Augen öffnete, hatte sich das Bild von ihm und ihr im Jeans-Shop wie eine Krake in seinen Nervenzellen festgesetzt, und wie Actarus in Goldrake steuerte es den ganzen Sommer über seinen Geist und seinen Körper.

Denn in diesem verdammten Sommer war Graziano blind und taub, er wollte nicht sehen und wollte nicht hören, dass Erica nicht zu ihm passte. Er wollte nicht begreifen, dass es unvernünftig war, sich auf sie zu fixieren, und dass es ihm nur Kummer und Unglück bringen würde.

Erica Trettel war einundzwanzig Jahre alt und von einer atemberaubenden Schönheit.

Sie kam aus Castello Tesino, einem Dorf in der Nähe von Trient, hatte einen von einer Wurstfabrik gesponserten Schönheitswettbewerb gewonnen und war mit einem der Juroren auf und davon. In der Motor Show in Bologna hatte sie als Opel Girl gearbeitet. Dann ein paar Fotos für den Katalog eines Bademodenherstellers in Castellammare di Stabia. Und ein Bauchtanzkurs.

Wenn sie auf dem Podest im »Hangover« tanzte, schaffte sie es, sich zu konzentrieren, ihr Bestes zu geben, mit der Musik zu verschmelzen, denn in ihrem Kopf leuchteten positive Bilder auf, wie Lichter am Weihnachtsbaum: Sie in der Tanzgruppe von »Domenica In« und Fotos in »Novella 2000«, wie sie gerade mit jemandem wie Matt Weyland aus einem Restaurant kommt, und das große Quiz und die Fernsehwerbung für die elektrische Reibe von Moulinex.

Fernsehen!

Dort lag ihre Zukunft.

Erica Trettels Wünsche waren einfach und konkret.

Und als sie Graziano Biglia kennenlernte, versuchte sie, ihm diese Wünsche zu erklären.

Sie erklärte ihm, dass es nicht ihr Wunsch war, einen alten Freak und Fan der Gipsy Kings zu heiraten, der aussah wie Sandy Martin nach Paris-Dakar, und auch nicht, sich die Figur zu ruinieren, indem sie schreiende Bälger in die Welt setzte, und noch weniger, einen Jeans-Shop in Ischiano Scalo zu eröffnen.

Doch Graziano wollte nicht verstehen und erklärte ihr, wie ein Lehrer einer verstockten Schülerin, dass das Fernsehen die schlimmste Mafia sei. Er kannte sich da aus. Er hatte ein paarmal in der »Planet Bar« gespielt. Sie konnte ihm glauben, dass Erfolg im Fernsehen nicht von Dauer ist.

»Erica, du musst wachsen, du musst begreifen, dass die Menschen nicht dazu gemacht sind, sich zur Schau zu stellen, sondern dazu, einen Ort zu finden, wo sie in Harmonie mit dem Himmel und der Erde leben.«

Und dieser Ort war Ischiano Scalo.

Er hatte auch ein Rezept, sie »Domenica In« vergessen zu lassen: eine Reise nach Jamaika. Er meinte, dass eine Reise in die Karibik ihr guttun werde, denn dort seien die Menschen froh und gelassen, all die Dummheiten dieser Scheißgesellschaft zählten nicht, Freundschaft sei noch etwas wert, und man könne sich einfach so am Strand aalen und nichts tun.

Er würde ihr beibringen, was man vom Leben wissen musste.

Dieses Gerede hätte vielleicht Eindruck auf eine Frau gemacht, die Bob-Marley-Fan und für die Legalisierung weicher Drogen war, nicht aber auf Erica Trettel.

Die beiden passten zusammen wie ein Skistiefel zu einer griechischen Insel.

Warum also machte Erica ihm dann Hoffnungen?

Das folgende kurze Gespräch zwischen Erica Trettel und Mariapia Mancuso, einem anderen Go-go-Girl aus dem »Hangover«, kann uns helfen zu verstehen. Die beiden machen sich gerade in der Garderobe zurecht.

»Stimmt das, was man hört, dass du mit Graziano gehst?«, fragt Mariapia und zupft sich dabei mit der Pinzette ein überflüssiges Härchen am Rand der rechten Brustwarze aus.

»Wer hat dir das gesagt?« Erica macht Stretching in der Mitte der engen Garderobe.

»Das sagen alle.«

»Ah … sagen sie das?«

Mariapia kontrolliert im Spiegel ihre rechte Augenbraue und fängt an, mit der Pinzette daran herumzuzupfen. »Stimmt es?«

»Was?«

»Dass du mit ihm gehst?«

»Na ja … Sagen wir mal, wir sind zusammen.«

»In was für einem Sinn?«

Erica stößt die Luft aus. »Du nervst vielleicht! Graziano hat mich gern. Ernsthaft. Nicht wie dieser Arsch von Tony.«

Tony Dawson, der englische DJ aus dem »Antrax«, hatte eine kurze Affäre mit Erica gehabt und sie dann wegen der Sängerin von Funeral Strike, einer Death Metal Band aus den Marken, sitzen lassen.

»Und du hast ihn auch gern?«

»Natürlich habe ich ihn auch gern. Er lügt einen nicht an. Er ist in Ordnung.«

»Das stimmt«, findet auch Mariapia.

»Weißt du, dass er mir einen kleinen Hund geschenkt hat? Wahnsinnig süß. Ein brasilianischer Rassehund.«

»Was ist das für einer?«

»Ein ganz seltener Hund. Eine spezielle Rasse. Sie haben ihn in Brasilien dazu benutzt, die Sklaven zu jagen, die von den Plantagen geflohen sind. Aber der Hund ist bei ihm, ich will ihn nicht. Ich habe ihn Antoine genannt.«

»Wie den Friseur?«

»Genau.«

»Und was ist mit dieser Geschichte, die er überall herumerzählt, dass ihr heiratet und in seinen Heimatort zieht und da ein Kleidergeschäft aufmacht?«

»Bist du verrückt?! Das war neulich abends am Strand, da fängt er mit dieser Geschichte an, von diesem Jeans-Shop und den Norwegerpullovern, von dem Kurzwarengeschäft seiner Mutter und dass er Kinder haben will und mich heiraten, weil er mich liebt. Ich habe ihm gesagt, als Idee ist das nett …«

»Nett?!«

»Jetzt warte mal einen Moment. Du weißt ja, wie das ist, wenn man einfach so daherredet. Im ersten Moment schien mir das eine nette Idee. Doch bei ihm hat sie sich im Kopf festgesetzt. Ich muss ihm wirklich sagen, dass er diese Geschichte nicht überall herumerzählen kann. Ich blamiere mich ja. Da werde ich echt wütend, wenn er so weitermacht.«

»Sag es ihm.«

»Sicher sage ich es ihm.«

Mariapia geht zur anderen Augenbraue über. »Bist du denn in ihn verliebt?«

»Ach, ich weiß nicht … Er ist nett, das habe ich dir ja schon gesagt. Er ist ein ganz lieber Kerl. Tausendmal besser als Tony, dieser Bastard. Aber er ist zu oberflächlich. Und dann diese Geschichte mit dem Jeans-Shop … Wenn ich Weihnachten nicht arbeite, hat er gesagt, will er mit mir nach Jamaika. Das ist doch geil, findest du nicht?«

»Und … machst du es mit ihm?«

Erica steht auf und streckt sich. »Was du für Fragen stellst … Nein. Normalerweise nicht. Aber er lässt nicht locker, und wenn er nicht locker lässt, ab und zu, zum Schluss, dann mache ich es mit ihm, aber … Wie sagt man?«

»Was?«

»Wenn man was nicht so richtig macht, man macht es schon, aber man ist nicht so richtig dabei.«

»Was weiß ich … Cool?«

»Doch nicht cool. Wie sagt man gleich …?«

»Lustlos?«

»Nein!«

»Zurückhaltend?«

»Genau! Zurückhaltend. Wenn ich es mit ihm mache, dann zurückhaltend.«

Solange Graziano hinter Erica her war, erniedrigte er sich wie noch nie, blamierte sich bis auf die Knochen: Er wartete stundenlang irgendwo auf sie, wo sie, wie jeder wusste, niemals auftauchen würde, klebte am Handy, wenn er sie in Riccione und Umgebung suchte, wurde von Mariapia belogen, die ihre Freundin deckte, wenn sie mit diesem Bastard von DJ ausging, und verschuldete sich bis über beide Ohren, um ihr einen brasilianischen Rassehund, ein superleichtes Kanu, ein amerikanisches Fitnessgerät, bei dem man selbst nichts tun musste, ein Tattoo auf der rechten Pobacke, ein Schlauchboot mit 25-PS-Außenbordmotor, eine Hi-Fi-Anlage von Bang & Olufsen, einen Haufen Designerklamotten, Schuhe mit zwanzig Zentimeter hohen Absätzen und unzählige CDs zu kaufen.

Wer ihn auch nur ein bisschen mochte, sagte ihm, er solle sie aufgeben. Dass diese Frau ihn fertigmachen würde.

Doch Graziano wollte nichts davon hören. Er vögelte keine älteren Frauen mehr, gab seine Musik auf und glaubte immer noch an den Jeans-Shop, ohne weiter darüber zu reden, weil Erica das nervte, und daran, dass er sie früher oder später ändern und dazu bringen würde, sich dieses Scheißfernsehen aus dem Kopf zu schlagen. Das alles war ja gar nicht seine Entscheidung gewesen, sondern das Schicksal hatte es so gewollt, in jener Nacht, als es Erica auf ein Podest im »Hangover« gestellt hatte.

Und dann kam ein Augenblick, wo all dies, wie durch ein Wunder, Wirklichkeit zu werden schien.

Im Oktober sind die beiden in Rom.

In einer Einzimmerwohnung in Rocca Verde. Ein Loch im achten Stock eines zwischen Umgehungsstraße und Autobahnring eingequetschten Mietshauses.

Erica hat Graziano überredet, mit ihr zu gehen. Ohne ihn fühlt sie sich in der Großstadt verloren. Er soll ihr helfen, Arbeit zu finden.

Es gibt eine Menge Dinge zu tun: einen guten Fotografen für die Präsentationsmappe suchen. Einen tüchtigen Agenten mit den richtigen Kontakten. Einen Sprachlehrer, der ihr den harten Trienter Akzent abgewöhnt, und einen Schauspiellehrer, der sie etwas lockert.

Und dann die Probeaufnahmen.

Sie gehen morgens früh aus dem Haus, verbringen den Tag zwischen Cinecittà, Casting-Büros und Filmproduktionen und kommen am Abend völlig erledigt zurück.

Manchmal, wenn Erica Unterricht hat, packt Graziano sich Antoine ins Auto und fährt zur Villa Borghese. Er geht durch den Hirschpark, weiter bis zur Piazza di Siena und dann hinunter zum Pincio. Er hat einen flotten Schritt und liebt Spaziergänge im Grünen.

Antoine schleppt sich hinter ihm her. Er hat Mühe mitzukommen. Graziano zerrt an der Leine. »Los, beweg dich, du Faulpelz. Mach schon!« Nichts. Also setzt er sich auf eine Bank und raucht eine Zigarette, während Antoine an seinen Schuhen knabbert.

Graziano hat nicht mehr viel Ähnlichkeit mit dem Latin Lover aus dem »Carillon del mare«, bei dem die deutschen Frauen in Ohnmacht fielen.

Er scheint um zehn Jahre gealtert. Er ist blass, hat Säcke unter den Augen, das Haar ist dunkel nachgewachsen, er trägt einen Trainingsanzug, hat einen weißen Stoppelbart, und er ist unglücklich.

Wahnsinnig unglücklich.

Alles läuft scheiße.

Erica liebt ihn nicht.

Sie ist nur mit ihm zusammen, weil er den Unterricht, die Miete, die Kleider, den Fotografen, alles zahlt. Weil er für sie den Chauffeur spielt. Weil er am Abend ein Hähnchen aus der Rosticceria holt.

Erica liebt ihn nicht und wird ihn nie lieben.

Sie macht sich einen Scheiß aus ihm, um die Wahrheit zu sagen.

Was mache ich denn bloß hier? Ich hasse diese Stadt. Ich hasse diesen Verkehr. Ich hasse Erica. Ich muss hier weg. Ich muss hier weg. Ich muss hier weg. Es ist eine Art Mantra, das er wie besessen wiederholt.

Und warum geht er dann nicht?

Im Grunde ist es kinderleicht, er muss nur ein Flugzeug nehmen. Und tschüs.

Aber das muss man erst mal schaffen!

Da gibt es nämlich ein Problem: Wenn er einen halben Tag von Erica getrennt ist, geht es ihm schlecht. Er meint, keine Luft zu bekommen. Muss aufstoßen.

Was wäre es schön, wenn man sich per Knopfdruck das Gehirn waschen könnte. Wenn man sie aus dem Kopf vertreiben könnte, diese weichen Lippen, schlanken Fesseln, perfiden und bezaubernden Augen. Eine schöne Gehirnwäsche. Wenn Erica im Gehirn wäre.

Aber da ist sie nicht.

Sie steckt wie ein Glassplitter im Bauch.

Er hat sich in ein verzogenes Kind verliebt.

Sie ist eine blöde Kuh. Und eine Schlampe. So klasse sie tanzt, so wenig Talent hat sie, zu spielen und vor einer Fernsehkamera zu stehen. Sie stammelt, bekommt kein Wort heraus.

In drei Monaten hat sie nur ein paar Statistenrollen in Fernsehfilmen bekommen.

Doch Graziano liebt sie, auch wenn sie kein Talent hat. Auch wenn sie die schlechteste Schauspielerin auf der ganzen Welt ist.

Verdammt …

Und das Schlimme ist, dass er sie umso mehr liebt, je beschissener sie sich verhält.

Wenn sie keine Probeaufnahmen hat, verbringt Erica den Tag vor dem Fernseher und isst Tiefkühlpizza und Viennetta-Eis. Sie will nichts tun. Sie will nicht ausgehen. Sie will niemanden sehen. Sie ist zu deprimiert, um auszugehen, sagt sie.

Die Wohnung ist total verkommen.

Berge schmutziger Kleider, irgendwo hingeworfen. Abfälle. Stapel von Tellern mit eingetrockneter Soße. Antoine, der auf den Teppichboden pisst und kackt. Erica scheint sich wohlzufühlen in der Scheiße. Graziano nicht, Graziano wird wütend, schreit, dass er die Nase voll davon hat, wie ein Penner zu leben, dass es ihm reicht, dass er nach Jamaika abhaut, doch stattdessen nimmt er den Hund und geht in den Park.

Wie kann man es nur mit ihr aushalten? Nicht mal ein Zen-Mönch würde sie ertragen. Sie heult wegen nichts und wieder nichts. Und sie wird wütend. Und wenn sie wütend wird, lässt sie furchtbare Sachen los. Geschosse, die in Grazianos Herz eindringen, als wäre es aus Butter. Sie ist voller Gift und verspritzt es bei jeder Gelegenheit.

Du bist ein Stück Scheiße. Du widerst mich an! Ich liebe dich nicht, kapierst du? Willst du wissen, warum ich immer noch bei dir bin? Willst du es wirklich wissen? Weil du mir leidtust. Deshalb. Ich hasse dich. Und weißt du, warum ich dich hasse? Weil du nur darauf wartest, dass bei mir alles schiefgeht.

Das stimmt.

Jedes Mal, wenn eine Probeaufnahme schlecht läuft, freut Graziano sich heimlich. Es ist ein kleiner Schritt nach Ischiano. Doch dann fühlt er sich schuldig.

Sie schlafen nicht miteinander.

Er hält es ihr vor. Da macht sie Arme und Beine breit und sagt: »Bedien dich. Wenn du willst, kannst du mich so vögeln.« Und ein paarmal hat er es, verzweifelt wie er war, sogar getan; es ist, wie mit einer Leiche zu schlafen. Mit einer warmen Leiche, die ab und zu, wenn Werbung kommt, die Fernbedienung nimmt und umschaltet.

So geht es weiter bis zum 8. Dezember.

Am 8. Dezember stirbt Antoine.

Erica ist mit Antoine in einer Parfümerie. Die Verkäuferin sagt ihr, dass Hunde nicht mit ins Geschäft dürfen. Erica lässt ihn draußen, sie muss einen Lippenstift kaufen, das dauert einen Moment. Doch dieser Moment genügt Antoine, auf dem Gehweg gegenüber einen Schäferhund zu sehen, auf die Straße zu laufen und unter ein Auto zu geraten.

Weinend kommt Erica nach Hause. Sie sagt Graziano, sie habe nicht den Mut gehabt, es sich anzusehen. Der Hund liegt noch da. Graziano rennt nach draußen.

Er findet ihn am Straßenrand. In einer Blutlache. Er atmet noch schwach. Aus Nase und Mund rinnt in kleinen Bächlein schwarzes Blut. Graziano bringt ihn zum Tierarzt, der ihn mit einer Spritze einschläfert.

Graziano geht wieder nach Hause.

Er hat keine Lust zu reden. Er hat an diesem Hund gehangen. Es war ein lustiger Kerl. Und sie haben sich Gesellschaft geleistet. Erica sagt, dass es nicht ihre Schuld sei. Dass sie einen Augenblick gebraucht habe, den Lippenstift zu kaufen. Und der Scheißkerl in dem Auto hat nicht gebremst.

Graziano verlässt die Wohnung wieder. Er nimmt den Uno, und um sich zu beruhigen, dreht er auf dem Autobahnring eine Runde mit hundertachtzig Sachen.

Es war falsch, nach Rom zu gehen.

Es war alles falsch.

Er hat einen wahnsinnigen Fehler gemacht. Das ist gar keine Frau, das ist eine Strafe, die Gott ihm gesandt hat, um sein Leben zu zerstören.

Letzten Monat haben sie praktisch jeden Tag gestritten.

Graziano kann nicht glauben, was ihr alles über die Lippen kommt. Tödliche Beleidigungen. Und manchmal greift sie ihn mit einer derartigen Wucht an, dass er nicht mal mehr in der Lage ist, sich zu verteidigen. Ihr gehörig Bescheid zu sagen. Ihr zu sagen, dass sie eine Versagerin ist.

Neulich zum Beispiel hat sie ihn beschuldigt, Unglück zu bringen, und gesagt, dass Madonna, wäre sie mit einem wie ihm zusammen gewesen, heute immer noch Veronica Luisa Ciccone wäre, und sonst gar nichts. Dann hat sie noch eins draufgesetzt und behauptet, in Riccione hätten alle gesagt, er sei ein jämmerlicher Gitarrenspieler und höchstens als Dealer zu gebrauchen. Und zum Schluss, als Kirsche auf der Torte, hat sie noch gemeint, die Gipsy Kings wären eine Bande Schwuler.

Es reicht! Ich verlasse sie.

Er muss es schaffen.

Es wird ihn nicht umbringen. Er wird es überleben. Auch Drogis überleben ohne Stoff. Du drehst fast durch, leidest wie ein Tier, denkst, dass du es niemals schaffst, aber zum Schluss schaffst du es und bist clean.

Durch Antoines Tod ist er wenigstens wieder zur Vernunft gekommen.

Er muss sie verlassen. Und die beste Art ist ein cooler Auftritt, distanziert, ohne sich gehen zu lassen, der Auftritt eines starken Mannes mit einem gebrochenen Herzen. So wie Robert De Niro in Stanley und Iris, als er Jane Fonda verlässt.

Ja, es reicht.

Er geht zurück in die Wohnung. Erica sieht sich Lupin III an und isst dazu ein Käsebrötchen.

»Kannst du den Fernseher ausmachen?«

Erica macht den Fernseher aus.

Graziano setzt sich hin, räuspert sich und fängt an. »Ich wollte dir etwas sagen. Ich glaube, es ist jetzt der Moment gekommen, Schluss zu machen. Du weißt es, und ich weiß es. Lass es uns offen aussprechen.«

Erica sieht ihn an.

Graziano redet weiter. »Ich gebe es auf mit uns beiden. Ich habe sehr daran geglaubt. Ernsthaft. Doch jetzt reicht es. Ich habe keine Lira mehr. Wir streiten uns jeden Tag. Und außerdem halte ich es in Rom nicht mehr aus. Ich finde es zum Kotzen, es deprimiert mich. Ich bin wie eine Möwe, wenn ich nicht weiterziehe, sterbe ich. Ich …«

»Hör mal, Möwen sind keine Zugvögel.«

»Bravo. Dann eben wie eine verdammte Schwalbe, bist du jetzt zufrieden? Ich sollte um diese Zeit in Jamaika sein. Morgen fahre ich nach Ischiano. Ich treibe ein bisschen Geld auf, und dann haue ich ab. Und wir werden uns nie wiedersehen. Es tut mir leid, dass es sich so …« Hier enden die Worte De Niros.

Erica sagt nichts.

Was redet Graziano denn da?

Was hat er für einen komischen Tonfall? Normalerweise macht er ihr eine Szene, schreit herum, wird wütend. Diesmal nicht, er ist kalt, resigniert. Wirkt wie ein amerikanischer Schauspieler. Antoines Tod muss ihn erschüttert haben.

Mit einem Mal gibt es ihr zu denken, dass er ihr nicht die übliche pathetische Szene macht. Diesmal ist es ihm ernst.

Wenn er geht, was passiert dann?

Dann bricht alles zusammen.

Erica sieht absolut schwarz. Eine Zukunft ohne ihn kann sie sich nicht einmal vorstellen. Das Leben ist schon so scheußlich genug, doch ohne Graziano wäre es vollkommen scheiße. Wer soll die Miete bezahlen? Wer soll das Hähnchen in der Rosticceria holen? Wer soll den Schauspielunterricht finanzieren?

Und außerdem ist sie nicht mehr ganz so sicher, dass sie es schafft. Es sieht ganz so aus, als hätte sie keine Chance. Seit sie in Rom ist, hat sie eine Flut von Probeaufnahmen gemacht, und aus keiner ist etwas geworden. Vielleicht hat Graziano recht. Sie ist nicht fürs Fernsehen geeignet. Sie hat kein Talent.

Sie kann ihre Tränen kaum noch zurückhalten.

Ohne eine Lira wäre sie gezwungen, nach Castello Tesino zurückzukehren, und bevor sie sich diese eisige Gegend und ihre Eltern wieder antut, geht sie lieber auf den Strich.

Sie versucht, einen Bissen von ihrem Brötchen herunterzubekommen, aber sie schafft es nicht, es ist bitter wie Galle. »Meinst du das im Ernst?«

»Ja.«

»Du willst gehen?«

»Ja.«

»Und was wird aus mir?«

»Was soll ich dazu sagen?«

Stille.

»Du bist fest entschlossen?«

»Ja.«

»Im Ernst?«

»Ja.«

Erica fängt an zu weinen. Ganz sachte. Das Brötchen zwischen den Zähnen. Die Schminke verläuft unter den Tränen.

Graziano spielt mit dem Feuerzeug. Macht es an und aus. »Tut mir leid. Aber es ist viel besser so. Wenigstens haben wir so eine gute Erinner…«

»Ich … Ich … will mi…«, schluchzt Erica.

»Was?«

»Ich … Ich will mit dir gehen.«

»Wohin?«

»Nach Ischiano.«

»Und was willst du da? Hast du nicht gesagt, es kotzt dich an?«

»Ich will deine Mama kennenlernen.«

»Du willst meine Mutter kennenlernen?«, wiederholt Graziano wie ein Papagei.

»Ja, ich will Gina kennenlernen. Und dann fahren wir nach Jamaika und machen Urlaub.«

Graziano sagt nichts.

»Willst du nicht, dass ich mitkomme?«

»Nein. Besser nicht.«

»Graziano, verlass mich nicht. Ich bitte dich.« Sie ergreift seine Hand.

»Es ist besser so … Das weißt du auch … Jetzt …«

»Du kannst mich nicht in Rom zurücklassen, Grazi.«

Graziano spürt, dass sich tief innen in ihm etwas tut. Was will sie?

Das kann sie nicht machen. Das ist nicht fair. Jetzt will sie mit ihm gehen.

»Graziano, komm her«, sagt Erica mit einem tieftraurigen Stimmchen.

Graziano steht auf. Setzt sich neben sie. Sie küsst ihm die Hände und schmiegt sich an ihn. Legt ihr Gesicht an seine Brust. Und fängt wieder an zu weinen.

Graziano spürt jetzt, wie sein Inneres wieder lebendig wird. Er erwacht aus seiner Lethargie. Seine Luftröhre wird plötzlich wieder frei. Er atmet ein und atmet aus.

Er schließt sie in die Arme.

Sie wird von Schluchzern geschüttelt. »Es … tut … mir … leid. Es … tut … mir … leid.«

Sie ist so klein. Und wehrlos. Sie ist ein kleines Mädchen. Ein Mädchen, das ihn braucht. Das schönste Mädchen der Welt. Sein Mädchen. »Einverstanden. In Ordnung. Lass uns weggehen aus dieser Scheißstadt. Ich verlasse dich nicht. Mach dir keine Sorgen. Du kommst mit mir mit.«

»Jaaa, Graziano … Nimm mich mit.«

Sie küssen sich. Speichel und Tränen. Er wischt ihr mit dem T-Shirt die verlaufene Wimperntusche ab.

»Ja, morgen früh fahren wir. Aber ich muss vorher meine Mutter anrufen. Damit sie ein Zimmer für uns herrichtet.«

Erica lächelt. »In Ordnung.« Dann verfinstert sich ihre Miene wieder. »Ja, wir gehen weg … Nur dass ich übermorgen noch eine Sache erledigen muss, verdammte Scheiße.«

Graziano ist gleich misstrauisch. »Was?«

»Eine Probeaufnahme.«

»Erica, das ist doch die gleiche alte …«

»Warte! Hör zu. Ich habe meinem Agenten versprochen, dass ich hingehe. Er braucht Mädchen aus seiner Agentur, die so tun, als kämen sie wegen der Probeaufnahmen. Der Regisseur hat schon entschieden, wen er nimmt, eine mit Beziehungen, aber die Sache muss echt aussehen. Das übliche Scheißspiel.«

»Geh einfach nicht hin. Lass das Arschloch seinen Scheiß doch alleine machen.«

»Ich muss auf jeden Fall hin. Ich habe es ihm versprochen. Nach allem, was er in der letzten Zeit für mich getan hat.«

»Was hat er denn für dich getan? Nichts. Er hat uns nur abgezockt. Lass ihn seinen Scheiß alleine machen. Wir müssen weg von hier.«

Erica ergreift seine Hände. »Hör zu, wir machen es so: Du fährst morgen. Ich gehe zu der Probeaufnahme, regle hier alles, packe meine Koffer und bin am nächsten Tag bei dir.«

»Soll ich nicht auf dich warten?«

»Aber nein. Rom hat dich derart gestresst. Ich nehme den Zug. Und wenn ich ankomme, hast du schon alles vorbereitet. Kauf viel Fisch. Ich esse gerne Fisch.«

»Natürlich kaufe ich Fisch. Magst du Seeteufel?«

»Ich weiß nicht. Ist der gut?«

»Sehr gut. Soll ich auch Muscheln kaufen?«

»Ja, Muscheln, Grazi. Pasta mit Muscheln. Wunderbar.« Erica zaubert ein Lächeln auf ihr Gesicht, das die ganze Wohnung erstrahlen lässt.

»Pasta mit Muscheln ist die absolute Spezialität meiner Mutter. Du wirst schon sehen. Wir lassen es uns gut gehen.«

Erica wirft sich in seine Arme.

In dieser Nacht lieben sie sich.

Und zum ersten Mal überhaupt nimmt Erica ihn in den Mund.

Graziano liegt ausgestreckt auf diesem ungemachten Bett voller Pullover, stinkender T-Shirts, CD-Hüllen und Brotkrümel und betrachtet Erica zwischen seinen Beinen, wie sie ihm den Schwanz lutscht.

Wieso hat sie beschlossen, ihm genau heute einen zu blasen?

Sie hat immer gesagt, sie findet es eklig, es mit dem Mund zu machen.

Was will sie ihm zu verstehen geben?

Das ist einfach. Dass sie dich liebt.

Graziano wird von Gefühlen überwältigt, und es kommt ihm. Erica schläft nackt in seinen Armen ein. Graziano rührt sich nicht, damit sie nicht wach wird, drückt sie und kann nicht glauben, dass dieses schöne Mädchen seine Frau ist.

Seine Augen werden nicht müde, sie anzusehen. Seine Hände nicht müde, sie zu streicheln, seine Nase nicht müde, ihren Duft einzuatmen.

Wie oft hat er sich gefragt, wie ein so vollkommenes Wesen aus einem so gottverlassenen Ort kommen kann. Es ist ein Wunder.

Und dieses Wunder gehört ihm. Auch wenn sie sich manchmal nicht verstehen, auch wenn sie launisch ist, auch wenn sie die Welt verschieden sehen, auch wenn Graziano viel falsch gemacht hat. Sie sind vereint. Verbunden durch ein Band, das niemals zerreißen wird.

Sicher, er hat Fehler gemacht, er ist schwach gewesen, entschlusslos, feige, er hat Erica bei all ihren Launen unterstützt, hat zugelassen, dass die Situation sich immer mehr zuspitzte, bis sie schließlich unerträglich wurde, doch dann hat er diesen großartigen Befreiungsschlag geschafft. Er hat sie von den Spinnweben befreit, unter denen sie zu ersticken drohten.

Erica hat gespürt, dass sie ihn für immer verloren hätte, dass er diesmal nicht nur so tat als ob. Und sie hat ihn nicht gehen lassen.

Grazianos Herz fließt über vor Liebe. Er küsst sie auf den Hals.

Erica murmelt: »Graziano, bringst du mir ein Glas Wasser?«

Er holt ihr das Wasser. Sie setzt sich mit geschlossenen Augen auf, hält das Glas mit beiden Händen, trinkt so gierig, dass es ihr am Kinn herunterläuft.

»Erica, sag mir eines, hast du mich wirklich gern?«, fragt er sie, als er wieder ins Bett schlüpft.

»Ja«, antwortet sie und schmiegt sich an ihn.

»Wirklich?«

»Wirklich.«

»Und … willst du mich heiraten?«, hört er sich fragen. Als hätte ihm ein böser Geist diese schrecklichen Worte in den Mund gelegt. Ein Geist, der alles ruinieren will.

Erica kuschelt sich noch enger an ihn, zieht die Steppdecke ein Stückchen hoch und sagt: »Ja.«

Ja?!

Graziano ist einen Augenblick lang sprachlos, überwältigt, legt sich eine Hand auf den Mund und schließt die Augen.

Was hat sie gesagt? Hat sie gesagt, dass sie ihn heiraten will?

»Wirklich?«

»Ja«, flüstert Erica im Halbschlaf.

»Und wann?«

»In Jamaika.«

»Ja. In Jamaika. Am Strand. Wir heiraten auf den Klippen von Edward Beach. Ein wunderbarer Ort.«

Dies ist der Grund dafür, warum Graziano Biglia am 9. Dezember um fünf Uhr früh trotz des Unwetters aus Rom aufbrach, um nach Ischiano Scalo zu fahren.

Er hatte seinen ganzen Besitz dabei, und eine gute Nachricht für seine Mama.

3.

Ein mit einem Fernglas ausgerüsteter Reisender in einem Heißluftballon könnte besser als jeder andere den Schauplatz unserer Geschichte überblicken.

Sofort würde ihm eine lange schwarze Narbe auffallen, die die Ebene durchschneidet. Das ist die Aurelia, die Staatsstraße, die in Rom anfängt und nach Genua und weiter führt. Fünfzehn Kilometer lang verläuft sie schnurgerade wie eine Landebahn, dann beschreibt sie ganz sachte einen Bogen nach links und erreicht das an der Lagune gelegene Städtchen Orbano.

Das Erste, was die Mütter ihren Kindern in dieser Gegend beibringen, ist nicht »Nimm keine Bonbons von fremden Männern an«, sondern »Gib an der Aurelia Acht«. Man muss mindestens ein paarmal nach rechts und nach links schauen, bevor man sie überquert. Zu Fuß genauso wie mit dem Auto (Gott bewahre, dass einem mitten auf der Fahrbahn der Motor ausgeht). Die Autos schießen wie Torpedos vorbei. Und in den letzten Jahren hat es zu viele tödliche Unfälle gegeben. Jetzt haben sie die Höchstgeschwindigkeit auf neunzig Kilometer festgesetzt und Radarkontrollen eingeführt, doch die Leute kümmern sich nicht darum.

Bei schönem Wetter am Wochenende und vor allem im Sommer kommt es auf dieser Straße zu kilometerlangen Staus. Das sind die Leute aus Rom auf ihrem Weg von oder zu den Ferienorten weiter im Norden.