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Für alle Fans von »Dublin Street« und »London Road« hat Bestsellerautorin Samantha Young eine exklusive E-Book-Novelle geschrieben. Wer erfahren will, wie bei Ellie und Adam alles begann: Unbedingt reinlesen! Seit sie denken kann, ist Ellie Carmichael in Adam Sutherland verliebt, den besten Freund ihres großen Bruders. Aber Adam scheint in ihr nur eine gute Freundin zu sehen. Bis es eines Nachts zu einem leidenschaftlichen Kuss kommt, der alles verändert. Adam geht auf Abstand. Doch dann gerät Ellie ernsthaft in Gefahr, und Adam muss sich entscheiden, wie viel sie ihm bedeutet ...
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Veröffentlichungsjahr: 2013
Das Buch
Ellie Carmichael und Adam Sutherland sind seit Jahren eng befreundet. Und sie wollen es auch bleiben. Insgeheim glauben alle um sie herum, dass sie das perfekte Paar wären – die sexuelle Spannung zwischen ihnen ist kaum zu übersehen. Nur Ellie und Adam scheinen das nicht zu merken. Doch dann kommt es eines Abends zu einem verhängnisvollen Kuss, und plötzlich ist alles anders. Adam hat Ellie gegenüber zwar einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, aber schließlich ist sie ja auch die kleine Schwester seines besten Freunds Braden. Ellie hingegen hat schon als Teenager für den attraktiven Adam geschwärmt. Inzwischen scheint er sie mit anderen Augen zu sehen: Ellie hat sich zu einer langbeinigen blonden Schönheit entwickelt, und Adam stört es mehr und mehr, dass sie ständig die Blicke anderer Männer auf sich zieht. Doch wie soll er Braden erklären, dass er sich in seine kleine Schwester verliebt hat, ohne dabei ihre Freundschaft aufs Spiel zu setzen?
Die Autorin
Samantha Young wurde 1986 in Sterlingshire, Schottland, geboren. Seit ihrem Abschluss an der University of Edinburgh arbeitet sie als freie Autorin und hat bereits eine Jugendbuchserie veröffentlicht. Dublin Street, ihr erster Roman für Erwachsene, wurde bereits kurz nach seinem Erscheinen zu einem internationalen Bestseller.
Homepage der Autorin: www.samanthayoungbooks.com
Von Samantha Young sind in unserem Hause bereits erschienen:
Dublin Street – Gefährliche Sehnsucht
London Road – Geheime Leidenschaft
Samantha Young
Fountain Bridge
Verbotene Küsse
Roman
Aus dem Englischen von Sybille Uplegger
Ullstein
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ISBN 978-3-8437-0492-2
Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Juni 2013© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2013 © Samantha Young 2013
Published by arrangement with NAL Signet, a member of Penguin Group (USA) Inc.Titel der Originalausgabe: Until Fountain BridgeUmschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, MünchenTitelabbildung: © Getty Images / Astra Production
Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden
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Es ist immer dasselbe, wenn man etwas in einem großen Haufen von Sachen sucht: Das, was man sucht, befindet sich unweigerlich ganz zuunterst. Endlich hatte ich den letzten Karton auf die andere Seite des Zimmers geschleppt, wo ich ihn fallen ließ und mir den Schweiß von der Stirn wischte.
Als ich vor drei Monaten bei Adam eingezogen war, hatte ich ihm versprochen, sämtliche Kartons mit Krimskrams, die ich in seinem unbenutzten Zimmer zwischengelagert hatte, innerhalb von zwei Wochen auszupacken. Leider hatte ich dieses Versprechen gebrochen, und ich gebe zu, dass ich noch immer den Tumor vorschob, um der Standpauke zu entgehen, die mir sonst von ihm geblüht hätte. Vor acht Monaten hatte man bei mir einen Gehirntumor diagnostiziert. Zwar hatte er sich als gutartig herausgestellt, dennoch war es eine beängstigende Erfahrung gewesen. Die Diagnose hatte meine Familie und meine Freundin Joss schwer erschüttert. Vor allem aber hatte sie Adam, dem besten Freund meines Bruders, einen kräftigen Tritt in den Allerwertesten versetzt. Er hatte endlich offen gestanden, dass er mich liebte, und seitdem waren wir kaum einen Tag getrennt gewesen. Obwohl unsere Beziehung sich seitdem verändert hatte, gab Adam sich Mühe, mich nicht zu behandeln, als wäre ich aus Glas. Trotzdem fiel mir auf, dass er mir Dinge durchgehen ließ, über die er sich früher geärgert hätte, zum Beispiel, dass ich seine schicke, penibel aufgeräumte Wohnung mit meinen Sachen überflutete. Ich wusste nicht recht, ob das an dem Tumor lag oder daran, dass wir jetzt ein Paar waren und er Kompromissbereitschaft signalisieren wollte.
Mit einem triumphierenden »Ha!« stürzte ich mich auf den letzten Karton und riss das Klebeband ab. Darin fand ich genau das, wonach ich gesucht hatte. Ich lächelte und hatte den Karton bereits umgekippt, so dass meine alten Tagebücher mit lautem Poltern auf Adams Parkett hinunterregneten, als mir einfiel, dass Kratzspuren im Holz nicht ganz unwahrscheinlich waren, wenn man eine Kiste Bücher auskippte. Ich verzog besorgt das Gesicht und führte einen albernen kleinen Tanz über den Büchern auf, als könnte ich so auf wundersame Weise die Wirkung ihres Aufpralls abmildern.
Was natürlich reines Wunschdenken war.
Ich hockte mich auf den Boden, sammelte die Bücher ein und inspizierte das Parkett. Nichts. Gott sei Dank. Adam war Architekt, was bedeutete, dass er ganz genaue Vorstellungen davon hatte, wie sein Zuhause aussehen sollte – nämlich in erster Linie makellos, da es ihn ein kleines Vermögen gekostet hatte. Parkett war nicht billig. Adam hatte sein Leben für mich umgekrempelt. Er hatte eine Hundertachtziggradwende vom notorischen Aufreißer zum hingebungsvollen Freund vollzogen, vom Junggesellen und stolzen Besitzer einer noblen, perfekt aufgeräumten Wohnung zum liebenden Partner und stolzen Besitzer einer Designerwohnung voller Nippes, den seine komische, übermäßig romantische Freundin an allen möglichen Orten (unter anderem auch Wohltätigkeitsläden) zusammengekauft hatte. Er hatte mir erlaubt, mich in jedem Zimmer auszubreiten, und sein Parkett zu beschädigen war keine angemessene Art, sich dafür zu bedanken. Zur Entschuldigung küsste ich meine Fingerspitzen und presste sie auf den Fußboden.
»Els, was war denn das für ein Krach? Alles in Ordnung?« Adams tiefe Stimme schallte quer durch den Flur. Er saß in seinem Arbeitszimmer und feilte gerade an einem neuen Projekt, das Braden und er gemeinsam betreuten.
»M-hm!«, rief ich zurück und sah den Stapel Tagebücher durch, um mich zu vergewissern, dass keins fehlte. Die Tätigkeit beanspruchte meine gesamte Aufmerksamkeit, so dass ich Adams näherkommende Schritte gar nicht hörte.
»Was machst du da?« Plötzlich war seine Stimme direkt über mir. Vor Schreck fuhr ich zusammen, verlor das Gleichgewicht und plumpste mit einem »Uff!« auf den Hosenboden.
Ich hörte Adams unterdrücktes Gelächter und schaute anklagend zu ihm hoch. »Ich sollte dir eine Kuhglocke besorgen.«
Adam ignorierte die Bemerkung, kniete sich neben mich und musterte die Tagebücher. Wie jedes Mal, wenn ich ihn ansah, war da dieses leichte Flattern in meiner Magengrube, und meine Haut begann am ganzen Körper zu prickeln. Mit seinen dichten dunklen Haaren und seinem phänomenalen, durch tägliche Besuche im Fitnessstudio gestählten Körper war Adam ein attraktiver Mann, und zwar die Art von attraktiv, die sich umgehend in heiß verwandelte, sobald man anfing, sich mit ihm zu unterhalten. Er hatte ein Wahnsinnslächeln, kluge dunkelbraune Augen, die aufleuchteten, wenn er sich für das interessierte, was man sagte, und eine kräftige Stimme, die eine Direktverbindung zu den erogenen Zonen einer Frau zu haben schien. Er richtete seine wunderschönen Augen auf mein Gesicht und lächelte mich an. »Mit denen hast du dich schon eine ganze Weile nicht mehr beschäftigt.«
»Mit meinen Tagebüchern?« Ich nickte, während ich mich daranmachte, sie in eine chronologische Reihenfolge zu bringen. »Ich schreibe nicht mehr.«
»Wieso?«
»Nachdem wir zusammengekommen sind, habe ich aufgehört. Ich fand es irgendwie sinnlos, weil sie im Grunde ja nur ein Ventil für meine unerwiderten Gefühle waren.«
Adam zog einen Mundwinkel nach oben. »Baby«, murmelte er und streckte die Hand aus, um mir eine kurze Haarsträhne hinters Ohr zu streichen. Ich schob missmutig die Unterlippe vor, weil mich seine Geste daran erinnerte, dass meine Haare so kurz waren. Vor der Operation hatte ich lange hellblonde Haare gehabt. Ich hatte sie heiß und innig geliebt, und ich wusste, dass Adam sie immer besonders an mir gemocht hatte. Aber die Chirurgen mussten an einer Stelle meine Kopfhaut rasieren, um ungehindert an meinem Hirn herumschnippeln zu können. Anfangs hatte ich die kahle Stelle mit einem Kopftuch kaschiert, aber als dann die Haare langsam nachwuchsen, ließ ich mich von meiner Mutter dazu überreden, mir einen »schicken Pixie-Cut« zuzulegen.
Ich war am Boden zerstört, als ich aus dem Frisörsalon kam, und es tröstete mich nur teilweise, dass Adam mir versicherte, er fände meine neue Frisur süß und sexy. Vollständigen Frieden mit meinem Haarschnitt schloss ich erst, als Joss mir sagte, alles sei besser als ein Tumor.
Sie hatte recht. Wenn mein Tumor mich eins über das Leben gelehrt hatte, dann, dass es nicht lohnte, sich über Kleinigkeiten aufzuregen. Was allerdings keinesfalls bedeutete, dass es nicht unglaublich nervtötend war, zu warten, bis meine Haare wieder lang waren. Im Moment reichten sie mir knapp bis zum Kinn.
»Und? Warum schaust du sie dir an?«, wollte Adam wissen. Er nahm eins der Tagebücher in die Hand und begann gedankenverloren darin zu blättern. Mir machte das nichts aus. Ich war von Natur aus ein sehr offenherziger Mensch, Adam gegenüber sowieso. Ich schämte mich für nichts, was ich geschrieben hatte. Ich hätte ihn in die tiefsten Tiefen meiner Seele blicken lassen.
»Für Joss«, antwortete ich vergnügt. Ich war ganz aufgekratzt deswegen.
Gestern Abend hatten Joss und ich in ihrer und Bradens gemeinsamer Wohnung – meiner alten Wohnung in der Dublin Street – zusammengesessen, und sie hatte mir erzählt, dass ihr Manuskript große Fortschritte machte. Joss war Schriftstellerin. Sie stammte aus den USA und war nach Edinburgh gekommen, um ihrer traurigen Vergangenheit zu entfliehen. Ihr Schicksal brach einem das Herz. Mit vierzehn hatte sie ihre gesamte Familie bei einem Autounfall verloren. Ich konnte mir nicht ansatzweise vorstellen, wie sehr sie gelitten haben musste, ich wusste nur, dass das Ereignis eine tiefe Wunde in ihrer Seele hinterlassen hatte.
Joss war damals wegen eines freien WG-Zimmers zu mir gekommen, und ich hatte sie auf Anhieb gemocht. Gleichzeitig war mir aufgefallen, dass sie irgendwie gebrochen wirkte, und ich hatte ihr helfen wollen. Zuerst war sie sehr verschlossen gewesen, aber als sie begann, mit meinem großen Bruder Braden auszugehen, taute sie ganz allmählich auf. Sie glaubt, Braden und ich hätten sie verändert, aber eigentlich war es vor allem Braden. Er hatte ihr sehr geholfen, sich über ihre Gefühle klarzuwerden, so dass sie sogar anfing, einen Roman über die Beziehung ihrer Eltern zu schreiben – für sie ein riesengroßer Schritt. Gestern Abend nun hatte sie mir anvertraut, dass sie gar nicht glauben könne, wie viel Spaß es ihr mache, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Das hatte mich auf eine Idee für ihr nächstes Projekt gebracht.
»Wieso für Joss?«
»Weil in diesen Tagebüchern unsere Vergangenheit steckt.« Ich grinste ihn an. »Sie erzählen eine wunderschöne romantische Geschichte. Ich finde, sie sollte daraus ihren nächsten Liebesroman machen.«
Aus irgendeinem Grund war Adam kurz davor, in Gelächter auszubrechen, aber da ich mir nicht erklären konnte, weshalb, ging ich nicht weiter darauf ein.
»Ihren nächsten Liebesroman?«, fragte er.
»Nächster im Sinne von: der, der auf den jetzigen folgt. Die Geschichte über ihre Eltern ist auch eine Liebesgeschichte.«
»Trotzdem. Ich glaube kaum, dass Joss sich als Liebesromanautorin sieht. Ich habe sogar gehört, wie sie das gesagt hat.«
»Ich auch.« Das erste Tagebuch warf ich zurück in den Karton. Es würde Joss nicht weiterhelfen, da ich es im Alter von sieben Jahren geschrieben hatte. Die Eintragungen drehten sich hauptsächlich um meine Barbie- und Sindy-Puppen sowie um das Dilemma, dass Sindy zu flache Füße hatte und die beiden deshalb niemals untereinander die Schuhe tauschen konnten. Das hatte mich damals schier in den Wahnsinn getrieben. »Aber ich finde, dass sie sich ein bisschen zu heftig gegen diese Bezeichnung wehrt. Sie ist definitiv eine Liebesromanautorin. Und ich habe dafür den Grundstein gelegt. Ich habe sie gezwungen, so viele Liebesfilme anzuschauen, dass es an ein Wunder grenzen würde, wenn sie keine Liebesromanautorin wäre.«
Er lachte leise und setzte sich im Schneidersitz neben mich. Er hielt noch immer das aufgeschlagene Tagebuch in den Händen. Sein Blick flog über die Seiten hinweg. »Soll das heißen, du hast in all diesen Büchern über mich geschrieben?«
O ja, das hatte ich. Ich hatte schon für Adam geschwärmt, als ich zehn und er siebzehn gewesen war. Als ich vierzehn wurde, war diese Schwärmerei in echte Verliebtheit umgeschlagen und von da an stetig angewachsen. Ich ließ ein weiteres Tagebuch aus Kindertagen in den Karton wandern und nahm mir das nächste vor. »Ich liebe dich eben schon sehr, sehr lange«, murmelte ich.
»Ich möchte es lesen«, gab er leise zurück. Sein Tonfall war ernst, und ich sah unwillkürlich zu ihm auf. Seine Augen funkelten. In ihnen lag so viel Zärtlichkeit und Liebe, dass mir der Atem stockte. »Ich will alles von dir erfahren. Auch das, was ich verpasst habe, ohne zu wissen, dass ich es verpasse.« Er spielte auf den Umstand an, dass er die längste Zeit nichts von meinen Gefühlen für ihn gewusst hatte.
Ich schmolz dahin. Ich war eine hoffnungslose Romantikerin, und obwohl niemand, der Adam näher kannte, es geglaubt hätte, ging er auf meine romantische Seite mit einer Hingabe ein, die ich einfach umwerfend fand. Er konnte sich sehr gut ausdrücken und fand immer Worte, die mein Herz berührten – und mich dann unweigerlich erregten, insofern war es für uns beide eine absolute Win-win-Situation.
Ich schenkte ihm noch ein Lächeln, bevor ich mich wieder den Tagebüchern zuwandte und im Stapel herumsuchte, bis ich das richtige entdeckt hatte. Ich blätterte es durch, fand die Stelle, die ich ihm zeigen wollte, und hielt ihm das aufgeschlagene Buch hin. »Hier, fang damit an. Da war ich vierzehn.«
Adam zog eine Braue hoch, vermutlich bei dem Gedanken daran, was einem vierzehnjährigen Mädchen so alles durch den Kopf ging, und griff nach dem Tagebuch. Ich wusste genau, was er gleich lesen würde. Ich konnte mich daran erinnern, als wäre es gestern gewesen.
Montag, 9. März
Heute war ein ziemlich seltsamer Tag. Angefangen hat er wie jeder andere Tag auch: Ich bin aufgestanden, gerade als Clark zur Arbeit aufbrach, und habe dann Mum mit Hannah geholfen, weil die sich um Dec kümmern musste. Ich habe versucht zu essen und gleichzeitig Hannah zu füttern, was allerdings darauf hinauslief, dass ich meine Bluse wechseln musste, weil Hannah der Meinung ist, Porridge wäre nur zur Dekoration da. Ich wünschte, das wäre der einzige unangenehme Zwischenfall an diesem Tag geblieben, aber leider kam es anders. Als ich Allie und June vor dem Schultor traf, merkte ich sofort, dass irgendwas nicht stimmte …
Kaum hatte es zur Mittagspause geläutet, schoss ich von meinem Platz hoch und stürzte aus der Spanischklasse, als wäre mir ein Rudel Wölfe auf den Fersen. Ich versuchte, die Tränen zurückzuhalten, ich versuchte es wirklich, weil diese Idioten auf keinen Fall sehen sollten, wie sehr sie mich verletzt hatten, doch als ich durch den Haupteingang der Schule ins Freie stolperte, öffneten sich die Schleusentore.
Das Getuschel und die Beschimpfungen – es war furchtbar. So etwas war mir noch nie passiert. Nicht in diesem Ausmaß. Normalerweise mochten mich alle. Ich war ein netter Mensch! Ich war keine »Schlampe«. Ich weinte noch heftiger, weil ein paar Jungs aus der Klasse über mir laut lachten, als ich am Tor an ihnen vorbeilief. Mit zitternden Fingern zog ich das Handy, das Braden mir zu Weihnachten geschenkt hatte, aus der Tasche und rief meinen großen Bruder an.
»Els, ist alles in Ordnung?«
Sobald ich seine Stimme hörte, fing ich erneut an zu schluchzen.
»Ellie?« Ich hörte die Besorgnis in seiner Stimme. »Ellie, was ist los?«
»Bri–«, begann ich unter Tränen und schnappte verzweifelt nach Luft. »Brian.« Vor lauter Weinen bekam ich kaum ein Wort heraus. »Fairmont … der – der ist in der Zehnten, und e-er hat allen erzählt, ich hä-hätte auf Allies Geburtstagsparty am Samstag S-sex mit ihm gehabt.« Ich verstummte und hockte mich vor einen Gartenzaun. Mittlerweile hatte ich genügend Abstand zwischen mich und die teure Privatschule gebracht, die mein ansonsten durch Abwesenheit glänzender Vater für mich bezahlte. Sie lag nur einen zwanzigminütigen Fußweg vom Haus meiner Eltern am St. Bernard’s Crescent entfernt, und ich überlegte ernsthaft, ob ich die Schule schwänzen und mich für den Rest des Tages zu Hause verkriechen sollte.
»Dieser kleine Scheißer«, knurrte Braden. Seine Wut schien durch die Telefonleitung bis in meine Hand geleitet zu werden.
»Sie sagen, dass ich eine Nutte und eine Schlampe bin, und tuscheln und lachen die ganze Zeit über mich. Und June spricht kein Wort mehr mit mir.«
»Wieso spricht June nicht mehr mit dir? Was hat die denn damit zu tun?«
»Sie steht auf Brian. Ich hab nicht mal … Braden, ich hab am Samstag ungefähr vier Sätze mit ihm geredet. Er hat mich gefragt, ob ich mit ihm knutschen will, und ich hab gesagt: ›Vielleicht in deinen Träumen.‹«
»Waren Leute in der Nähe, als du das zu ihm gesagt hast?«
»Seine Freunde waren dabei, ja«, schniefte ich.
»Du hast den kleinen Perversling abblitzen lassen, und er hat ein Gerücht über dich in die Welt gesetzt.« Braden stieß einen Fluch aus. »Okay, wo bist du gerade?«
»Ich gehe jetzt nach Hause. Ich halte das nicht noch drei Stunden durch.«
»Liebes, du kannst jetzt nicht nach Hause gehen. Auf der Braebank sieht man es nicht gern, wenn die Schüler schwänzen. Warte vor dem Tor, ich kümmere mich darum.« An seinem Tonfall erkannte ich, dass Brian Fairmont schon sehr bald lernen würde, dass man sich mit Braden Carmichaels kleiner Schwester besser nicht anlegte.
Ich legte auf und wischte mir übers Gesicht. Zum allerersten Mal war ich froh, dass Mum mir verboten hatte, vor meinem fünfzehnten Geburtstag Mascara zu benutzen oder mich zu schminken. Selbst danach, hatte sie betont, seien ausschließlich Mascara und Concealer erlaubt, keine Foundation und definitiv kein Lippenstift, zumindest nicht, bis ich sechzehn war.
Meine Freundinnen fanden meine Mum komisch.
Ich wartete auf Braden und fühlte mich schon ein kleines bisschen besser, weil ich wusste, dass er gleich kommen und mir helfen würde. Genau genommen war mein großer Bruder nur mein Halbbruder. Wir hatten denselben Vater – Douglas Carmichael. Dad war ein wichtiger Geschäftsmann in Edinburgh, er besaß eine Immobilienagentur, mehrere Restaurants und jede Menge Mietwohnungen. Er war stinkreich. Für Braden opferte er hin und wieder seine Zeit, aber was mich anging, schien er zu glauben, dass Geld als Entschuldigung dafür ausreichte, dass er mich die ganzen vierzehn Jahre, die ich bereits auf diesem Planeten weilte, ignoriert hatte. Sein Desinteresse tat mir sehr weh. Aber immerhin hatte ich Braden, der mich praktisch mit Mum und meinem Stiefvater Clark zusammen großgezogen hatte. Mum hatte Clark vor fünf Jahren geheiratet, und er hatte vom ersten Moment an keinen Zweifel daran gelassen, dass er mir ein Vater sein wollte. Und das war er auch. Mehr, als Douglas Carmichael es jemals sein würde.
Manchmal fragte ich mich, wie es überhaupt möglich war, dass Braden und ich von Douglas Carmichael abstammten. Wir waren beide viel zu anständig, um seine Kinder zu sein. Man nehme nur Braden: Nachdem er es lange Zeit bewusst vermieden hatte, für unseren Vater zu arbeiten, war er vor einigen Jahren zu dem Schluss gekommen, dass er doch eine Rolle im Carmichael-»Imperium« spielen wollte – was im Klartext bedeutete, dass er sich den Arsch aufriss, damit unser Vater glücklich war. Er arbeitete nicht nur hart, er verbrachte auch viel Zeit mit seiner neuen Freundin Analise. Sie war eine Studentin aus Australien, und Braden ging seit kurzem mit ihr aus. Er schien sie wirklich zu mögen. Und trotzdem fand er immer noch Zeit für mich. Etwa, um mich aus grauenhaften Situationen wie dieser hier zu befreien.
»Ellie.« Eine vertraute Stimme drang an mein Ohr, allerdings war es nicht die, die ich erwartet hatte. Eine Autotür wurde zugeschlagen. Ich drehte mich um und machte große Augen. Adam Gerard Sutherland ging um die Motorhaube seines sechs Jahre alten Fiats herum – ein Wagen, von dem Braden meinte, dass er eine völlig unsinnige finanzielle Belastung für Adam darstellte, zumal Adam noch studierte und die Parksituation in der Innenstadt ein absoluter Alptraum war.
Adam Gerard Sutherland war Bradens bester Freund.
Ich war seit meinem zehnten Lebensjahr heimlich in ihn verliebt, entsprechend peinlich war es mir, dass Braden ihn geschickt hatte, um mir aus der Patsche zu helfen. Nicht dass es mich überraschte. Die beiden teilten diese Aufgabe unter sich auf, seit ich ein Baby war.
»Adam.« Ich wurde blass und fuhr mir hektisch mit den Händen übers Gesicht, um sicherzugehen, dass ich auch alle Tränen erwischt hatte.