Frau Mimis Vergangenheit - Edmund Edel - E-Book

Frau Mimis Vergangenheit E-Book

Edmund Edel

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Beschreibung

Ein komischer Boulevard-Krimi aus dem Wilden Berlin der 1910er um einen toten Erbonkel und sein unerwartetes Testament zugunsten einer Nackttänzerin. Fräulein Mimi, ehedem hoffnungsvolle Schauspielerin, jetzt nur noch eine Revuetänzerin, die so manchen Gast mehr als nur ihre schönen Beine vorzeigt, erbt Onkel Ferdinands Vermögen. Klar, dass das den Erbschleichern nicht passt. Denn eigentlich sollte das Erbe an Ferdinands Bruder Adolf oder vielmehr an seinen Neffen Paul fallen, wenn dieser lebendig aus dem Kriege heimkäme. Das Chaos aus Niedertracht und Neid ist vorprogrammiert. Aber Mimi weiß sich zu helfen. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 139

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Edmund Edel

Frau Mimis Vergangenheit

Kriminalroman aus Schieberkreisen

Edmund Edel

Frau Mimis Vergangenheit

Kriminalroman aus Schieberkreisen

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-962810-62-7

null-papier.de/480

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Au­tor

Ers­tes Ka­pi­tel.

Zwei­tes Ka­pi­tel.

Drit­tes Ka­pi­tel.

Vier­tes Ka­pi­tel.

Fünf­tes Ka­pi­tel.

Sechs­tes Ka­pi­tel.

Sieb­tes Ka­pi­tel.

Ach­tes Ka­pi­tel.

Neun­tes Ka­pi­tel.

Zehn­tes Ka­pi­tel.

Elf­tes Ka­pi­tel.

Zwölf­tes Ka­pi­tel.

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel.

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel.

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel.

Dan­ke

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Autor

Ed­mund Al­bert Edel (1863–1934) war ein deut­scher Ka­ri­ka­tu­rist, Il­lus­tra­tor, Schrift­stel­ler und Film­re­gis­seur. Er stamm­te aus ei­ner jü­di­schen Arzt­fa­mi­lie, die 1864 nach Char­lot­ten­burg ge­zo­gen war, das da­mals noch nicht zu Ber­lin ge­hör­te. Nach ei­ner kauf­män­ni­schen Aus­bil­dung ver­such­te er sich in Pa­ris und Mün­chen als Künst­ler. In Pa­ris freun­de­te er sich u. a. mit Tou­lou­se-Lautrec an. Aus des­sen Künst­ler­kreis schöpf­te er auch sei­ne In­spi­ra­tio­nen zur Pla­kat­ma­le­rei. Über frü­he Er­fol­ge als Il­lus­tra­tor und Ge­brauchs­gra­fi­ker ge­lang­te er An­fang des 20. Jahr­hun­derts auch zur Schrift­stel­le­rei und zum Film. Nach der Machter­grei­fung der Na­zis 1933 fand sich der bis da­hin be­kann­te und ge­schätz­te Künst­ler und Au­tor zu­neh­mend an­ti­se­mi­ti­schen An­fein­dung aus­ge­setzt. Er starb we­ni­ge Mo­na­te dar­auf.

Erstes Kapitel.

Fer­di­nand Grün­mei­er leb­te zu ei­ner Zeit, da in der Welt noch ei­ni­ger­ma­ßen Ord­nung herrsch­te. Krieg war ein apo­kry­pher Be­griff und Re­vo­lu­tio­nen kann­te man nur aus Ope­ret­ten und aus Zei­tungs­be­rich­ten über süd­ame­ri­ka­ni­sche Katz­bal­ge­rei­en. Fer­di­nand war der Erbon­kel der Fa­mi­lie. Die­se Fa­mi­lie, die der Agent Adolf Grün­mei­er mit Frau und Sohn dar­stell­te und die ih­ren Da­seins­zweck in stramm bür­ger­li­cher Pf­licht er­füll­te, blick­te wäh­rend zwei­er Jahr­zehn­te mit ehr­fürch­ti­ger Hochach­tung auf den On­kel Fer­di­nand, den sie mit al­ler in Fa­mi­li­en üb­li­chen Lie­be und Sorg­falt um­gab. On­kel Fer­di­nand sei­ner­seits ver­füg­te über nicht so stark aus­ge­präg­ten Fa­mi­li­en­sinn. Er hat­te in glück­li­chen Spe­ku­la­tio­nen ein an­sehn­li­ches Ver­mö­gen er­wor­ben, das eine sie­ben­stel­li­ge Zahl in sich fass­te, und be­nutz­te sei­nen Reich­tum, um sich einen gu­ten Tag zu ma­chen, um sich mit al­len je­nen schö­nen Din­gen zu um­ge­ben, die man sich für Geld an­schaf­fen konn­te. Zu die­sen schö­nen Din­gen ge­hör­te auch Mimi.

Die Fa­mi­lie Adolf Grün­mei­er be­ob­ach­te­te den Erbon­kel so­zu­sa­gen aus dem Ver­steck. Adolf war reich­lich zehn Jah­re jün­ger als Fer­di­nand und fühl­te sich da­her aus Na­tur­ge­setz erb­be­rech­tigt. Kein Le­be­we­sen auf der Welt hät­te ihm die­ses Recht neh­men kön­nen. Grün­mei­ers gab es nicht vie­le auf Er­den und im Ber­li­ner Te­le­fon­buch konn­te man nur noch einen fin­den, der den glei­chen wohl­klin­gen­den Na­men führ­te. Aber die­ser Grün­mei­er schrieb sich mit ai, war also kein ech­ter Grün­mei­er.

On­kel Fer­di­nand dach­te aber den Teu­fel dar­an, sich von sei­ner Fa­mi­lie über­haupt be­er­ben zu las­sen. Er er­freu­te sich ei­ner aus­ge­zeich­ne­ten Ge­sund­heit und amü­sier­te sich vor­läu­fig so gut es ging. Er war, nach­dem es ihm sei­ne Mit­tel er­laubt hat­ten, Le­be­mann ge­wor­den, emp­fing in sei­ner pracht­voll ein­ge­rich­te­ten Woh­nung im Wes­ten sei­ne Freun­de, ver­säum­te kei­ne Pre­mie­re im Thea­ter, war auf al­len Ren­nen und öf­fent­li­chen Bäl­len zu tref­fen, reis­te nach der Ri­vie­ra und nach der Nord­see, wie es die Sai­son er­for­der­te. Er hat­te den wirk­li­chen Grands­eigneurs es ab­ge­guckt, wie sie sich räus­pern und ähn­li­ches tun und stell­te mit sei­nem forsch ge­stri­che­nen Haby-Bart1 ganz den Typ des Be­zwin­gers von vor 1914 dar.

Sein Bru­der Adolf leb­te in be­schei­de­nen Ver­hält­nis­sen und muss­te viel in der Stadt her­um­lau­fen, um das täg­li­che Brot zu ver­die­nen. Für sei­nen Sohn Paul sorg­te zwar On­kel Fer­di­nand, der ihn auf der tech­ni­schen Hoch­schu­le stu­die­ren ließ und ihm man­chen Hun­der­ter Ex­tra­ta­schen­geld zu­steck­te. Adolf ging treu und brav den Lei­dens­weg der Tret­müh­le. Im stil­len Her­zens­käm­mer­chen schlum­mer­te das si­che­re Be­wusst­sein, einst­mals Herr der Fer­di­n­and­schen Mil­li­on zu wer­den. Kommt Zeit, kommt Rat. Adolfs Frau, die gute Lui­se, rech­ne­te nicht mit. Sie war eine je­ner Haus­frau­en, die mög­lichst bil­lig ein­zu­kau­fen such­te und die sich selbst und ih­ren Mit­menschen zur Qual leb­te, denn sie litt an der ewi­gen Zwangs­vor­stel­lung, mit ih­rem Haus­hal­tungs­geld nicht aus­kom­men zu kön­nen.

Jah­re­lang ging das Le­ben der Grün­mei­ers so da­hin. Adolf schuf­te­te um die paar Gro­schen, Fer­di­nand leb­te in Saus und Braus. An sei­nem Ge­burts­tag oder zu Weih­nach­ten öff­ne­ten sich die Schleu­sen sei­ner Ge­ne­ro­si­tät und er über­schüt­te­te sei­ne Ver­wand­ten mit ei­nem Abendes­sen, das er bei Bor­chardt an­ge­mie­tet. Und Adolf be­trank sich je­des Mal in ech­tem Pom­me­ry und Char­te­reu­se. Aber um sei­ne In­ti­mi­tä­ten wob Fer­di­nand im­mer einen un­durch­sich­ti­gen Schlei­er. Man muss­te wohl, dass er ein tüch­ti­ger Drauf­gän­ger war und dass er trotz sei­ner sech­zig Jah­re für den er­klär­ten Lieb­ling der Tanz­pa­last­schön­hei­ten galt. Adolf hör­te von man­chem Aben­teu­er sei­nes leicht­le­bi­gen Bru­ders und be­nei­de­te ihn im Stil­len. Und dach­te an das schö­ne Geld, das ihm durch die­se ero­ti­schen Übun­gen ver­lo­ren ging.

Bis ei­nes schö­nen Ta­ges das Gerücht zu ihm drang, Fer­di­nand Grün­mei­er hal­te die Schau­spie­le­rin Mimi Schwarz aus, die im Me­tro­pol­thea­ter all­abend­lich ei­nem sehr ver­ehr­ten Pub­li­ko ihre schö­nen Bei­ne und noch an­de­re Tei­le ih­res eben­so schö­nen Kör­pers im Ge­fun­kel des Ram­pen­lich­tes feil­bot.

Die­se Wen­dung der Din­ge gab al­ler­dings zu den­ken.

Adolf be­rech­ne­te die Un­sum­men, die die­se Ver­schwen­dung ver­schlang.

Als der Krieg aus­brach und alle Leu­te sich ein­schränk­ten, glaub­te Adolf, sein Bru­der wür­de sich des Mä­dels ent­le­di­gen.

Je­den­falls hör­te man im Sturm der Er­eig­nis­se nichts mehr von On­kel Fer­di­nand. Auch bei ihm blieb das Rad ste­hen und das Ein­zel­schick­sal ver­sank im großen Mas­sen­grab des Wel­ten­kamp­fes.

Paul ging in’s Feld.

Adolf ver­such­te, Ge­schäf­te zu ma­chen, woll­te sei­nen Bru­der zu Un­ter­neh­men ver­an­las­sen, die je­ner aber ab­wies. Denn er be­tei­lig­te sich selbst an Lie­fe­run­gen und mach­te große Ab­schlüs­se, die un­ge­heu­ren Ver­dienst ab­war­fen.

Dann trat eine Ka­ta­stro­phe ein, an die kei­ner bei Grün­mei­ers ge­dacht. On­kel Fer­di­nand starb nach ei­ner Krank­heit von drei­tä­gi­ger Dau­er.

Plötz­lich. Ohne ei­gent­lich einen Grund zu ha­ben. Über­ra­schend. An der Grip­pe, die eine Mo­de­krank­heit ge­wor­den. Und ein Spöt­ter hät­te sa­gen kön­nen, dass On­kel Fer­di­nand, der alle Mo­den wie ein rich­ti­ger Snob mit­ge­macht hat­te, auch die­se Mode nicht aus­las­sen woll­te.

Aber On­kel Fer­di­n­ands Tod war nicht die ein­zi­ge Über­ra­schung in der Fa­mi­lie Grün­mei­er.

Das Ver­blüf­fen­de, das wie ein Blitz aus hei­te­rem Him­mel ein­schla­gen­de, war das Te­sta­ment.

Eine Nie­der­träch­tig­keit.

Das sag­te Lui­se Grün­mei­er, die Schwä­ge­rin.

Es muss übel um das Te­sta­ment be­stellt ge­we­sen sein, wenn Frau Lui­se sich zu sol­cher schar­fen Kri­tik ver­stei­gen konn­te.

Gleich, nach­dem der Tod ein­ge­tre­ten war, er­schie­nen Adolf und Lui­se in der Wie­land­stra­ße. Scho­ben das ih­nen öff­nen­de Dienst­mäd­chen ener­gisch bei Sei­te und dran­gen ge­ra­de­wegs in das Schlaf­zim­mer, wo On­kel Fer­di­n­ands sterb­li­che Res­te, in wei­ßen Lin­nen ge­bet­tet, für ewig ver­stummt dala­gen. Sie fal­te­ten die Hän­de und mur­mel­ten ir­gend­ein Ge­bet, un­ter der Sug­ge­s­ti­on des al­les be­zwin­gen­den Schick­sals. Aber in Adolfs Ge­hirn über­wu­cher­ten die Trost­wor­te des Ge­be­tes die Ge­dan­ken um die Zu­kunft und auch zwi­schen Lui­sens Trä­nen zuck­ten die Blit­ze der Er­war­tung.

Ein Schluch­zen un­ter­brach die An­dacht, die über die­ser Wei­he­stun­de des To­des in dem lu­xu­ri­ösen Schlaf­zim­mer lag.

Adolf und Lui­se schreck­ten auf, starr­ten in die Ecke, die vom Licht­ke­gel am Bett im schum­me­ri­gen Dun­kel ge­las­sen.

Eine schlan­ke Ge­stalt lös­te sich vom Hin­ter­grund, nahm fes­te­re Kon­tu­ren an, nä­her­te sich lei­se den bei­den Ver­wand­ten, die er­staunt die Frem­de be­trach­te­ten.

Die drei stan­den sich stumm ge­gen­über.

Lui­se fand zu­erst das Wort.

Mit dem In­stinkt der Frau hat­te sie das Rich­ti­ge er­fasst.

»Sie sind wohl die Dame von un­se­rem ar­men Fer­di­nand?« frag­te sie.

Sie be­ton­te spitz das Wort »Dame«, als wenn sie es in An­füh­rungs­stri­chen spre­chen woll­te.

Die Blon­de nick­te schwei­gend. Dann senk­te sie den Kopf und ver­such­te das aus­bre­chen­de Wei­nen in ih­rem Ta­schen­tuch zu er­sti­cken.

»Der arme Fer­di­nand! – – So schnell!« sag­te Lui­se.

Aber Adolf be­tei­lig­te sich nicht an die­ser Kon­ver­sa­ti­on, son­dern schau­te mit ei­nem mit­lei­di­gen Blick auf das jun­ge Mäd­chen, das in der ge­bro­che­nen Licht­stim­mung des Rau­mes mit ih­ren Gold­haa­ren wie eine Hei­li­ge wirk­te, wie eine Ab­ge­sand­te des Him­mels, die den To­ten be­hü­ten woll­te.

Für Adolf war die­se Mimi eine Grö­ße von ges­tern, ein Stern, der er­lo­schen, eine ent­thron­te Kö­ni­gin.

Er über­ließ die bei­den Frau­en sich sel­ber und be­gab sich in die vor­de­ren Zim­mer, um so­zu­sa­gen Be­sitz zu er­grei­fen von sei­nem Ei­gen­tum.

Dass ihm mm alle die­ser Mö­bel, Go­bel­ins, An­ti­qui­tä­ten, das Sil­ber­ge­schirr und die Biblio­thek, die Per­ser­tep­pi­che und Bil­der ge­hör­ten. stand bei ihm au­ßer je­dem Zwei­fel.

Wem sonst hät­te Fer­di­nand sein Ver­mö­gen hin­ter­las­sen kön­nen?

Adolf setz­te sich an den großen Schreib­tisch des Ver­stor­be­nen und ließ sich vom Dienst­mäd­chen die Schlüs­sel ge­ben.

Er durch­forsch­te die ein­zel­nen Fä­cher, fand al­ler­hand Auf­zeich­nun­gen und Pa­pie­re, Schuld­schei­ne und Wech­sel, Ban­k­ab­rech­nun­gen. Und er sah, dass sein Bru­der die­ses ir­di­sche Jam­mer­tal als or­dent­li­cher Staats­bür­ger ver­las­sen hat­te, der kei­ne Un­klar­heit über sei­ne Ver­hält­nis­se auf­kom­men las­sen woll­te.

Adolf ver­tief­te sich in die Bü­cher und war mit­ten in der Be­rech­nung des Ver­mö­gens­stan­des, als Lui­se ein­trat.

»Hast du das Te­sta­ment ge­fun­den?« frag­te sie scharf und be­stimmt.

Rich­tig; das Te­sta­ment. Da­ran hat­te er ganz ver­ges­sen. War ja auch gleich­gül­tig, For­men­sa­che.

»Nein«, ant­wor­te­te Adolf.

Lui­se ging im Zim­mer um­her und be­stimm­te die ein­zel­nen Ge­gen­stän­de teils zum Ver­kauf, teils zur Ein­ver­lei­bung in ihre ei­ge­ne Wirt­schaft.

»Man kann doch den gan­zen Plun­der nicht be­hal­ten«, mein­te sie. »Die­ser Fer­di­nand hat zu viel un­nüt­zes Zeug um sich her­um­ge­habt …«

»Ich hab’s!« un­ter­brach Adolf sei­ne Gat­tin, »hier hat es ge­steckt: es lag im Wand­sa­fe, zu dem ich eben erst den Schlüs­sel ge­fun­den.«

Er hat­te einen großen Brief­um­schlag in der Hand, mit dem er sei­ner Frau wink­te, die vor ei­ner wun­der­vol­len blau­en Vase aus al­tem Ber­li­ner Por­zel­lan stand, sie kri­tisch ab­schät­zend.

Das Ehe­paar blick­te ge­spannt auf den Dop­pel­bo­gen Pa­pier, der den In­halt des Brief­um­schla­ges bil­de­te. Sie la­sen mit weit aus den Höh­len quel­len­dem Au­gen. Das Licht der Steh­lam­pe stach grell auf der wei­ßen Flä­che und die Buch­sta­ben tanz­ten wie böse Ko­bol­de vor ih­ren Au­gen.

Das Te­sta­ment war ganz kurz ge­fasst, ent­hielt nur ein paar Sät­ze. Es war, wie der Ver­merk dar­auf zeig­te, die Ab­schrift des auf dem Ge­richt lie­gen­den Ori­gi­na­les.

Adolf blick­te sei­ne Frau wie geis­tes­ab­we­send an und es war in die­sem Au­gen­blick, da Lui­se sag­te:

»Das ist eine Nie­der­träch­tig­keit!! …« Das Te­sta­ment be­stimm­te Mimi Schwarz, die Freun­din zur Uni­ver­saler­bin. Aber On­kel Fer­di­nand knüpf­te eine Be­din­gung an die­se Be­stim­mung: er ver­lang­te von Mimi, dass sie Zeit ih­res Le­bens nicht hei­ra­te­te oder ei­nem Kind das Le­ben gäbe. In die­sen bei­den Fäl­len soll­te das ge­sam­te Fer­di­n­and­sche Ver­mö­gen an die Fa­mi­lie sei­nes Bru­ders Adolf oder viel­mehr an sei­nen Nef­fen Paul fal­len, wenn die­ser le­ben­dig aus dem Krie­ge heim­käme.

On­kel Fer­di­nand war im­mer ein Mann ge­we­sen, der das Au­ßer­ge­wöhn­li­che lieb­te und der Sinn für Über­ra­schun­gen hat­te – –

François Haby war ein deut­scher Un­ter­neh­mer und Hof­fri­seur Kai­ser Wil­helms II.  <<<

Zweites Kapitel.

Die Über­ra­schung war auf al­len Sei­ten. Auch Mimi, über die Fer­di­nand Grün­mei­ers Mil­lio­nen her­ab­ge­rie­selt wa­ren wie einst die Gold­stücke Ju­pi­ters auf Io, muss­te sich in die ei­gen­tüm­li­che Si­tua­ti­on erst all­mäh­lich hin­ein­fin­den. Es ist im­mer­hin nicht leicht für eine Frau, auf die stan­des­amt­li­che Ab­stem­pe­lung zu ver­zich­ten, eine Staats­hand­lung, die ja ei­gent­lich zum ei­ser­nen Be­stand je­des Jung­fern­trau­mes ge­hört. Auf das Kin­der­krie­gen wür­de sie auch ohne Te­sta­ments­be­stim­mung kei­nen Wert ge­legt ha­ben, wenn nicht das Schick­sal mit ihr und Fer­di­nand Grün­mei­er eine ei­gen­tüm­li­che Nar­rens­pos­se vor­ge­habt hät­te.

Doch dar­über mach­te sie sich vor­läu­fig kei­ne Ge­dan­ken.

Als sie vom No­tar ge­kom­men war, der ihr in tro­ckenem Ge­schäftston die Mit­tei­lung ge­macht, dass sie glück­li­che Be­sit­ze­rin von ei­ner Mil­li­on und sechs­hun­dert­tau­send Mark ge­wor­den wäre, wo­bei er die Ein­schrän­kungs­be­din­gun­gen mit war­nen­dem Ton­fall ganz im Sti­le ei­nes Buß­pre­di­gers be­son­ders scharf ak­zen­tu­ier­te, hat­te sie das Ge­fühl, die Er­den­schwe­re ver­lo­ren zu ha­ben. Der Tan­te Ma­rie, bei der sie wohn­te, fiel sie um den Hals, als sie in die sau­be­re Wohn­stu­be ein­trat. Sie küss­te sie ab, wie einen Liebs­ten, lach­te ihr ins Ge­sicht, zog sie auf das ge­schweif­te grü­ne Rips­so­fa, das noch von ih­ren se­li­gen El­tern stamm­te und eine Zier­de der klei­nen Woh­nung bil­de­te. Sie war au­ßer Rand und Band.

»Du bist nicht bei Sin­nen«, sag­te Tan­te Ma­rie, als der ers­te An­sturm sich ge­legt hat­te und die gute alte Per­son end­lich Atem schöp­fen konn­te. Aber Mimi stand auf und trat dicht vor die Tan­te hin.

»Weißt du, was ich bin?«

Sie mach­te eine ge­wich­ti­ge Mie­ne.

Tan­te Ma­rie strich ver­le­gen über die nicht sehr sau­be­re Kü­chen­schür­ze und schau­te sie ganz dumm an.

»Mil­lio­nä­rin bin ich …!!«

Mimi wei­de­te sich an der klei­nen Frau, die sich wie ein Vö­gel­chen un­ter dem Brau­sen des Or­kans ver­schüch­tert in sich zu­sam­men­zog.

Dann er­zähl­te Mimi.

Und dann spra­chen die bei­den Frau­en von neu­en un­ge­wohn­ten Zu­kunfts­mög­lich­kei­ten, schmie­de­ten Plä­ne und fass­ten Ent­schlüs­se, die sie im­mer wie­der durch neue, bes­ser er­schei­nen­de er­setz­ten.

So viel Geld!

Tan­te Ma­rie konn­te es gar nicht fas­sen, dass das große Glück über ihre Nich­te ge­kom­men.

Aber Mimi war von prak­ti­scher Ver­an­la­gung und über­ließ die klei­ne Tan­te ih­ren Fan­tasi­en, wäh­rend sie selbst an die Auf­ma­chung ei­nes neu­en Le­bens ging, das der ein­und­ein­hal­ben Mil­li­on, de­ren Zin­sen sie sich jetzt er­freu­te, wür­dig wäre. Sie rich­te­te sich drau­ßen am Kur­fürs­ten­damm eine glanz­vol­le Woh­nung ein, die sie mit des ver­stor­be­nen Fer­di­n­ands Mö­beln mit gu­tem Ge­schmack aus­stat­te­te. Dann stell­te sie den gan­zen Haus­halt auf eine hö­he­re so­zia­le Stu­fe. Sie mach­te Tan­te Ma­rie zu ih­rer Haus­da­me, ver­bot ihr die Kü­chen­schür­ze und hol­te sie mit Ge­walt aus der Mäd­chen­kam­mer, wo­hin sich die be­schei­de­ne alte Jung­fer ver­kro­chen hat­te.

In ih­rem Hau­se galt Mimi als die rei­che Frau Schwarz, Pri­va­tie­re. In dem großen, pa­last­ar­ti­gen Kas­ten, der in der Nähe der Ha­len­seer Brücke lag, küm­mer­ten sich die Mie­ter nicht viel um­ein­an­der und für die Por­tiers­leu­te war das Geld das al­lein Aus­schlag­ge­ben­de. Ih­rer schau­spie­le­ri­schen Kar­rie­re mach­te sie ein schleu­ni­ges Ende, denn sie hat­te nicht den Ehr­geiz in der Öf­fent­lich­keit auf­zu­fal­len. Sie lieb­te die Be­quem­lich­keit und war froh, kei­ne Vor­mit­tags­pro­ben und Abend­vor­stel­lun­gen mehr mit­ma­chen zu müs­sen. Die un­be­ding­te Frei­heit, die ihr das große Ver­mö­gen in vol­lem Maße ge­währ­te, ge­noss sie in vol­len Zü­gen.

Tan­te Ma­rie wur­de in ein­fach bür­ger­li­cher Wei­se aus­staf­fiert und be­glei­te­te sie über­all hin. Die klei­ne scheue Dame wur­de von Mimi in die Thea­ter und Kon­zer­te, selbst in die Ka­ba­retts mit­ge­schleppt, muss­te bei der Mo­dis­tin zu­ge­gen sein, im Schlaf­wa­gen durch die Welt mit ihr damp­fen, in den Ba­de­or­ten ne­ben der schö­nen Nich­te über die Kur­pro­me­na­de wan­deln. Tan­te Ma­rie wur­de Mi­mis Schlag­schat­ten.

Ge­gen die Män­ner­welt ver­hielt sich Frau Mimi, wie sie sich jetzt nen­nen ließ, ab­wei­send und zu­rück­hal­tend. Für das star­ke Ge­schlecht emp­fand sie kei­ne Sym­pa­thie mehr, nach­dem das Ge­s­penst der Lie­be sich zwi­schen ihre Mil­lio­nen ge­drängt hat­te. Sie woll­te nicht in Ver­su­chung ge­ra­ten. Und was sie bis­her in der Lie­be er­lebt hat­te, ge­nüg­te ihr so wie so.

Das Ver­hält­nis mit dem se­li­gen Fer­di­nand zum Bei­spiel – – – ihr letz­tes Aben­teu­er. Es war zu­stan­de ge­kom­men, wie eben die­se Be­kannt­schaf­ten im­mer ge­macht wur­den. Auf der Renn­bahn, ei­nes schö­nen Früh­lings­ta­ges, sprach Fer­di­nand sie an. Und dann ent­wi­ckel­te sich eben aus dem ers­ten Tête-à-Tête im Ex­tra­zim­mer bei Hil­ler eine Liai­son, die sie in An­be­tracht des vor­ge­rück­ten Al­ters ih­res Lieb­ha­bers gleich auf eine ge­si­cher­te ma­te­ri­el­le Ba­sis stell­te. Und wäh­rend der Jah­re, die sie dem »Al­ten« op­fer­te, ver­zich­te­te sie aus Ver­nunft­grün­den auf jede wei­te­re Auf­re­gun­gen und Lie­bes­sa­chen, die ih­rer Ver­an­la­gung über­haupt nicht ent­spra­chen.

Sie hielt nicht viel von der Lie­be. Was sie bis­her er­lebt, gab ihr Recht. Der ers­te, der sie in die Ge­heim­nis­se von Jen­seits von Gut und Böse ein­ge­weiht, war ein Lum­pen­kerl. Ließ sie sit­zen und warf sie auf die Stra­ße, wo sie ver­lo­ren ge­we­sen wäre, wenn Tan­te Ma­rie sie nicht zu sich ge­nom­men.

Dann noch zwei, drei oder mehr Ver­su­che mit den Män­nern, jün­ge­ren und äl­te­ren. Sie hat­te kein Glück da­mit. Egois­ten und Kni­ckern fiel sie in die Hän­de. Sie hielt sich nicht lan­ge mit ih­nen auf. Sie war­te­te.

Bis ein glück­li­cher Zu­fall den al­ten Fer­di­nand Grün­mei­er, der wie ein ge­wichs­ter Schwe­re­nö­ter prü­fend durch die Men­ge auf der Renn­bahn stol­zier­te, auf sie auf­merk­sam mach­te.

Alle, die sich jetzt um ihre Gunst be­müh­ten, prall­ten mit ih­ren Be­wer­bun­gen an der stahl­har­ten Wand der Gleich­gül­tig­keit ab, mit der sich Frau Mimi pan­zer­te. Aber der un­er­mess­li­che Reich­tum, den die Fama ihr an­dich­te­te, zog je­den Tag neue An­be­ter in ih­ren Kreis, die wie die Mot­ten zum Licht flo­gen.

Frau Mimi woll­te sich nicht um ihr Glück be­trü­gen las­sen. Sie dach­te an die Te­sta­ments­be­stim­mung und hü­te­te sich, sie zu ver­let­zen.

Ge­gen Ende des Som­mers kam sie aus Swi­ne­mün­de zu­rück, wo sie die Hoch­flut der Sai­son in vol­len Zü­gen ge­nos­sen. Die­se ers­te Sai­son nach den Müh­sals­jah­ren des Krie­ges hat­te die Men­schen zu wah­ren Or­gi­en der Ver­gnü­gun­gen ge­peitscht und aus der großen Not kei­ne Tu­gend ge­macht, wenn man das Sprich­wort so um­keh­ren darf.

Frau Mimi war trotz ih­rer Un­nah­bar­keit der Mit­tel­punkt ei­ner Ge­sell­schaft ge­we­sen, in der man sich nicht lang­weil­te. Jetzt, da sie in ihr Ber­li­ner Heim zu­rück­ge­kehrt, woll­te sie sich von den Stra­pa­zen ih­rer Er­ho­lung, wie sie von ih­rer Som­mer­rei­se scherz­haft sprach, aus­ru­hen.