Frau Paula Trousseau - Christoph Hein - E-Book

Frau Paula Trousseau E-Book

Christoph Hein

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Beschreibung

Gegen den Willen ihrer Eltern und ihres Verlobten fährt die 19jährige Paula zur Aufnahmeprüfung der Kunsthochschule nach Berlin. Sie wird Malerin, um den Preis der Verhärtung gegen alle und alles. Sämtliche Beziehungen zu Männern scheitern, die zu Frauen gehören zu den beständigeren, vertreiben jedoch nicht die dominierenden Grautöne aus ihren Bildern. Woher kommt diese Gleichgültigkeit gegenüber den anderen und am Ende gegen sich selbst? Wie werden wir, was wir sind? Christoph Hein erzählt von einer Frau, die in ihrem Leben das Abenteuer der Selbstbehauptung eingeht: die Geschichte einer gelungenen Emanzipation.

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Seitenzahl: 728

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Christoph Hein

Frau Paula Trousseau

Roman

Suhrkamp

Umschlagfoto: Sven Paustian

ebook Suhrkamp Verlag Berlin 2010

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2007

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das

der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

www.suhrkamp.de

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

eISBN 978-3-518-73590-9

für Paula T.

Erstes Buch

1.

Drei Wochen zuvor hatte sich Paula bei ihm gemeldet, so erschien es ihm jedenfalls. Er war derart merkwürdig und unerklärlich auf ihren Namen gestoßen, dass er den ganzen Tag immer wieder an sie denken musste und schließlich mit einem befreundeten Computerspezialisten telefonierte, um von ihm eine Erklärung für das Geschehene zu bekommen.

An jenem Tag hatte Sebastian Gliese an seinem Schreibtisch vor der geöffneten Adressendatei gesessen, um eine Telefonnummer zu suchen. Die Sekretärin hatte zwei Jahre zuvor sämtliche Namen und Anschriften seiner alten Rolodex-Kartei in den Computer übertragen. Es war eine Liste von mehreren hundert Namen, da er nie eine Adresse löschte, auch wenn es seit Jahren keinen Kontakt mehr gab und die Angaben möglicherweise überholt waren. Als er die Namen durchrollen ließ, stutzte er. Der Name Paula Trousseau war zweimal vorhanden. Er öffnete nacheinander beide Adresskarten, sie waren identisch, seine Sekretärin musste aus Versehen die Adresse zweimal abgeschrieben haben. Er erinnerte sich an Paula, die er ein halbes Leben lang nicht gesehen hatte, dann löschte er die Dublette. Der Computer fragte, ob dieser Eintrag tatsächlich gelöscht werden solle, er drückte nochmals die Taste, und auf dem Bildschirm erschien für Sekunden der Vermerk: gelöscht am 22. Mai.

Als er sich vergewissern wollte, dass ihre Adresse nur noch einmal vorhanden ist, war ihr Name nicht mehr zu finden. Beide Einträge waren verschwunden, Paula Trousseau existierte in seinem Computer nicht mehr. Er versuchte, die Löschung rückgängig zu machen, aber das war nicht möglich oder er dafür zu ungeschickt. Er grübelte, worin der Fehler bestanden haben könnte. Ein Freund, den er anrief, weil er sich von ihm eine Lösung des Problems erhoffte, erklärte ihm lediglich, so etwas komme vor, er solle eben stets eine Sicherheitsdatei anlegen, um sich vor solchen Überraschungen zu schützen.

Und nun, wenige Wochen nachdem er ihren Namen gelöscht hatte, hörte er wieder von ihr. Er war von einem Kundenbesuch ins Büro zurückgekommen, als ihm seine Sekretärin sagte, die französische Polizei habe angerufen und wünsche ihn zu sprechen. Sie würden gegen drei Uhr nochmals anrufen.

»Wer will mich sprechen?«, fragte Gliese überrascht.

»Die Gendarmerie von Vendôme. Ein Monsieur Passeret.«

Er fuhr herum und starrte die Frau überrascht an.

»Die Gendarmerie? Aus Vendôme? In Frankreich?«

»Ja, natürlich.«

»Was habe ich mit der französischen Gendarmerie zu tun? Was wollen die von mir?«

»Das wollte er mir nicht sagen.«

Er schüttelte belustigt den Kopf.

»Gut. Stellen Sie ihn durch, falls er sich wieder meldet.«

»Sie müssen französisch mit ihm sprechen. Monsieur Passeret spricht kein Deutsch und kein Englisch.«

»Auch das noch.«

Eine halbe Stunde später klingelte es.

»Monsieur Gliese?«

»Ja.«

»Können Sie mich verstehen? Sprechen Sie Französisch?«

»Ein wenig. Sprechen Sie bitte langsam.«

»Sie sind Monsieur Sebastian Gliese? Sie wohnen in der Nummer fünf der Körnerstraße in Berlin?«

»Das ist korrekt. Was wollen Sie von mir?«

»Mein Name ist Jean-François Passeret, ich bin Commandant der Gendarmerie Nord von Vendôme. Kennen Sie eine Paulette Trousseau oder Pauline Trousseau?«

»Paulette Trousseau? Nein. Aber ich kenne eine Paula Trousseau.«

»Pauline Trousseau?«

»Sie heißt Paula Trousseau. Was ist mit ihr?«

»Sind Sie ihr Ehemann?«

»Nein, ich bin nicht ihr Ehemann.«

»Ihr Vater? Ihr Bruder?«

»Nein, ein Freund. Oder vielmehr, ich war ein Freund von ihr. Wir haben uns aus den Augen verloren. Ich weiß nicht, wie ich es auf Französisch ausdrücken soll. Ich habe sie jahrelang nicht gesehen, verstehen Sie? Ist etwas mit ihr passiert, Monsieur Commandant?«

»Können Sie mir Namen, Adresse oder Telefonnummer des Ehemanns von Paula Trousseau geben?«

»Nein. Ich weiß nur, sie war verheiratet, ist aber längst geschieden. Der Mann hieß oder heißt Trousseau. Wenn ich richtig gehört habe, lebt sie allein.«

»Können Sie mir einen Verwandten von Paula Trousseau nennen?«

»Sie hat einen Sohn. Ich glaube, er heißt Michael. Er müsste Anfang zwanzig sein, ich weiß nicht, wo man ihn auftreiben könnte. Und es gibt noch eine Tochter, etwas älter, aber mehr weiß ich nicht. Mit Paula hatte ich in der letzten Zeit keinen Kontakt. Es ist mindestens fünf Jahre her, dass ich sie gesehen habe.«

»Sie können mir keinen Namen eines Verwandten nennen?«

»So ist es. Was ist mit Paula? Ist Paula Trousseau irgendetwas zugestoßen?«

»Dann danke ich für Ihre Mühe. Und entschuldigen Sie bitte die Störung. Einen guten Abend.«

Sebastian Gliese sah überrascht auf den Hörer.

»So ein Idiot«, sagte er, »so ein ungehobelter Patron.«

In den nächsten Tagen schrieb er einem Freund, der Paula auch kannte. Er berichtete von dem seltsamen Anruf des französischen Polizisten und fragte, ob er etwas über Paula wisse. Und er telefonierte mit zwei ihrer Kollegen, die er vor Jahren bei ihr kennengelernt hatte, aber keiner von ihnen konnte genauere Auskünfte geben. Paula musste sich vor vier Jahren von allen Freunden ohne Lebewohl verabschiedet haben.

Einer vermutete, Paula habe Drogenprobleme. Er habe so was gehört, erklärte er, als Sebastian Gliese nachfragte.

»Sind Sie mit ihr verwandt oder irgendwie verbandelt?«

»Nein. Die Polizei hat sich bei mir nach ihr erkundigt.«

»Die Polizei? Sie wird doch nichts ausgefressen haben, die hübsche Paula.«

»Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«

»Ich weiß nicht, wie Sie zu ihr stehen, aber als Malerin, da taugt das Mädchen nichts. Ich habe ihr gesagt, Mensch, Mädel, so wie du ausschaust, da musst du doch deine Zeit nicht mit Malen verplempern. Such dir einen Kerl, der Moos hat, und genieße das Leben. Du zerquälst dich doch nur auf der Leinwand. Das ist Tristesse mit Trauerrand, was du da pinselst. Wer soll das kaufen? Oder hast du einen Großauftrag vom Beerdigungsinstitut? Die schöne Paula weiß überhaupt nicht, dass es auch freundliche Farben gibt, ein leuchtendes Gelb, ein Karminrot. Bei ihr ist Terrakotta schon der Gipfel der Lebenslust. Bei ihr gibt es nur Schwarz und Grau, und Grau und Schwarz. Depressionen auf die Leinwand pinseln, das ist das Letzte, was der Markt braucht. Oder lieben Sie solche Bilder?«

»Nein, eigentlich nicht.«

»Sag ich doch. Aber sie greift immer nur nach der größten Tube Schwarz und drückt sie voll auf die Leinwand. Wenn ich das sehe, tut mir die schöne Grundierung leid.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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